… oder die strukturelle Gewalt des Islam

Nacht bricht über Paris herein. Es wird dunkler in Europa. Langsam erlöschen die Lichter unserer Kultur und Zivilisation.

Das Köpfen hat in Paris eine gute Tradition. Früher köpfte man hier Gegenrevolutionäre oder wen man dafür hielt. Am 16. Oktober 2020 wurde bei Paris der Lehrer Samuel Paty auf offene Straße geköpft. Es hatte einem 18jährigen Moslem nicht gefallen, daß Paty seinen Schülern anhand von Mohammed-Karikaturen erklärt hatte, was wir in Europa unter religiöser Toleranz verstehen. Auf Twitter verbreitete sich die Ansicht:

Samuel Paty wurde enthauptet, nachdem der Islamrat diese Fatwa gegen ihn aussprach und islamisierte Eltern seit Tagen gegen ihn hetzten. Er wurde vorher schon bedroht. Muslime und der Islam könnten die Ursache für diesen bestialischen Mord sein.

Verbreitete Twitter-Meldung 17.10.2020

Das linke Establishment in unserem Lande weist reflexhaft von sich, solche Morde hätten etwas mit der Religion des Islam zu tun, Die gleichen Leute sind aber sofort zur Stelle, wenn ein Polizist auf der Straße eine dunkle Gestalt kontrolliert, festnimmt oder dabei gar Gewalt anwendet. Dann ist das Geschrei groß, unserer Polizei „strukturellen Rassismus“ und unserem Staat „strukturelle Gewalt“ vorzuwerfen.

Über Europa ziehen sich dunkle Wolken zusammen.

Von struktureller Gewalt des Islam habe ich merkwürdigerweise von links außen noch nichts gelesen. Tatsächlich ließe sich leicht ein Ursachenzusammenhang aufweisen: Von Mohammed selbst zieht sich die Blutspur über Gewaltprediger in Moscheen bis auf den blutigen Asphalt vor den Toren von Paris. Mohammed verstand keinen Spaß.

Wer gegen Mohammed und seine Partei Schmäh- und Hetzgedichte verfaßte oder in Umlauf setzte, mußte sich auf die hinterhältigsten Vergeltungsmaßnahmen gefaßt machen. Etliche von solchen Dichtern wurden ermordet, geächtet oder hingerichtet.

Rudi Paret, Mohammed und der Koran, bei Kohlhammer (Stuttgart 1957), Urban-Bücher, Die wissenschaftliche Taschenbuch-Reihe, 1966, S.147.

In gewisser Weise ist Gewalt strukturell in vielen Ideologien und Religionen angelegt. Hinter jeder Moral, die sich selbst für absolut und universell gültig erkärt, wandelt unsichtbar schon das Richtschwert.

Es gab und gibt Religionen, die ohne den Anspruch auskommen, allein selig zu machen. Die antiken Griechen, die Ägypter, die Römer und die Germanen hatten meist kein Problem damit, neben ihren Lieblingsgöttern vorsichtshalber auch den einen oder anderen göttlichen Import zu dulden. Solch eine großzügige Religion finden wir noch bei den Hindus.

Die Gewalt ist aber in den monotheistischen Religionen strukturell angelegt. „Ich bin ein eifersüchtiger Gott. Du sollst keinen anderen Gott haben neben mir!“, tönte es einst in der Bronzezeit in Tempeln des vorderen Orients. Und mit Feuereifer gehorchte man dem Befehl: „Den Hexer sollst Du nicht leben lassen!“ Ketzer und andere Abweichler gingen später denselben Weg.

Daß weiten Teilen unserer Kirchen diese Einstellung heute fremd ist, deutet nicht etwa auf im Christentum angelegte Toleranz hin. Es weist nur nach, daß ihnen der Glaube an die Wahrheit ihrer eigenen “Offenbarung” abhanden gekommen ist.

Strukturell gewaltbereit ist jede Religion und jede weltliche Ideologie, die einen absoluten Wahrheitsanspruch erhebt und universell gelten will. Die Gewalttätigkeit ist bereits in der Ideologie selbst strukturell angelegt.

Poststrukturalismus

Ich verwende damit einen anderen Strukturbegriff als der postmoderne Strukturalismus. Er sieht strukturelle Gewalt in jeder gesellschaftlichen Ordnung.

Bei Ideologien mit absolutem Wahrheitsanspruch geht es um die Struktur des Gedankengebäudes selbst. Es liegt in der „Natur der Sache“ eines absolutgesetzten Wertes, ihn zu realisieren. So kann man nicht „die Gleichheit“ aller Menschen als Wert absolut setzen, ohne jene auch real gleichmachen zu wollen.

Völlig anders argumentiert der Strukturalismus der Postmoderne. Er besagt auf politischer Ebene, alle Menschen seien einander im Prinzip gleich und darum beliebig untereinander austauschbar. Da sie an keine unabänderliche hierarchische Ordnung gebunden sind, ergibt sich die jeweilige gesellschaftliche Struktur ausschließlich aus der jeweiligen Art und Weise, wie sie zusammengefügt sind.[1] Alle Übel seien “strukturell bedingt”, nämlich beruhend auf einer falsch konstruierten Gesellschaft. Der modische Strukturalismus übersieht die in der Stuktur einer Ideologie angelegte Gewaltneigung führt alle “strukturelle Gewalt und Unterdrückung” darauf zurück, daß es im realen Leben gesellschaftliche Über- und Unterordnungsverhältnisse gibt.

Auch diese Ideologie trägt die Aufforderung zu ihrer praktischen Verwirklichung in sich. Sie sieht jede von Menschen gestiftete Hierarchie, jede Ordnung, tendenziell als totalitär an, selbst die Ansprüche der Moderne auf die rationale Leitung der menschlichen Angelegenheiten durch Vernunft.[2] Darin liegt ein Abschied von jedem Ordnungsdenken schlechthin. Mit Strukturalismus und den auf ihm beruhenden Denkrichtungen läßt sich kein Staat machen. Er ist prinzipieller Feind jeder Staatlichkeit.

Um sämtliche gesellschaftlichen Faktoren und Akteure untereinander gleich und miteinander austauschbar zu machen, muß der Poststrukturalismus zunächst alle vorfindbaren gesellschaftlichen Einheiten und Zusammenhänge auflösen und die Unterschiede zwischen den Individuen gleichsam auf null stellen. Diesen Vorgang nennt er Dekonstruktion und die Idee, alle gesellschaftlichen Rollen und Institutionen seien nichts als Konstrukte, heißt dann Konstruktivismus. Er ist der Abrißbagger zur Auflösung aller Dinge.

Und hier gelingt der Postmoderne etwas historisch Neues. Im Spiel der Reflexion über Ordnung und Unordnung wird alles, was sich mit Unordnung, Nichtordnung oder neutraler mit Entstrukturierung besetzen oder assoziieren läßt, ganz und gar positiv gewertet. Man kann von einer Phantasie der Anti-Ordnung sprechen.

Bettina Gruber auf der 21. Sommerakademie des IfS, 13.10.2020

Der Poststrukturalismus, führt Bettina Gruber aus, sehe die Abwesenheit jeder Ordnung als etwas Erstrebenswertes an. Seiner Idee nach ist das Individuum erst wirklich frei, wenn es sich in keinerlei gesellschaftliche Bindungen mehr einzuordnen hat. Wenn ihm irgend etwa schiefläuft: Immer ist die Gesellschaft schuld. Das Mantra von struktureller Gewalt, strukturellem Rassismus und anderen struktureller Übeln wird uns immer dann vorgespielt, wenn staatliche Institutionen relativiert und angegriffen werden sollen. Gewiß werden wir bald die Hypothese lesen, an der Enthauptung des Pariser Lehrers sei strukturelle Gewalt des repressiven französischen Staates schuld, wohingegen der Täter vermutlich persönlich schuldunfähig sei.

Der Grundgedanke des Poststrukturalismus führt unmittelbar hin zur Rechtfertigung der Anarchie. Hier konvergiert der Poststrukturalismus ideologisch mit der reinen Lehre des historischen Liberalismus aus dem 19. Jahrhundert. Auch dieser wollte möglichst wenig Staat, denn dieser könnte ihn am Geldverdienen hindern wollen und ihm Steuern abknöpfen. “Logischerweise würde ein aus Rand und Band gerate­ner Liberaler ein An­ar­chist, nie aber ein Sozialist wer­den.”[3] Wäh­rend die Angst vor der Ord­nung den Li­be­ralen nach einem Bilde Carl Schmitts erst vom Staate weg­­treibt, treibt ihn schnell die Angst vor dem So­zia­lismus wie­der ein Stück weit zum Staate hin. “So schwankt er zwi­schen seinen beiden Fein­den und möchte beide betrü­gen.”[4]

Fundamentalistische Liberale sind im Grunde ihrer Herzens Anarchisten, und zwar diejenigen Anarchisten, die zu Gut und Geld gekommen sind und gerade noch so viel Staat ertragen können, daß er sie vor Diebstahl und Raub beschützen kann. Die offenen Anarchisten haben nichts zu verlieren. Sie teilen die Aversion gegen den Staat wie gegen jede menschliche Über- und Unterordnung und stellen sich eine friedlich selbst regulierende Weltgesellschaft vor. Auch der klassische Liberalismus hatte sich von der Abwesenheit des Staates viel versprochen: Wie von unsichtbarer Hand werde dann aus Rede und Gegenrede die Wahrheit und aus der Quersumme aller ökonomischen Handlungen das Gemeinwohl hervorgehen.

Narrenfreiheit für Fortgeschrittene

Wenn man diese Prämissen des klassischen Liberalismus und des Poststrukturalismus vor dem Hintergrund der heutigen globalen Konsumwirtschaft und des Finanzkapitalismus betrachtet, stützen beide ideologisch die Dominanz des freien Finanzkapitals über alle staatlichen Versuche, es einzuhegen.

Die Verkünder postmoderner Wert, die die Vernunft totalitärer Universalismen verdächtigen, wollen nicht recht einsehen, daß ihre angeblich spielerisch-humane Skepsis keine Grundlage zur Regelung menschlichen Zusammenlebens überhaupt und als solchem bilden kann, sondern eine ideologisch sublimierte Projektion von Einstellungen und Mentalitäten darstellt, die für die massenhaft konsumierende und permissive Massendemokraie kennzeichnend sind – vom apolitischen Hedonismus bis zur resignierten Gleichgültigkeit und zur intellektuellen Narrenfeiheit.“[5]

Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.5.

Wenn man allen Menschen alle staatlichen Fesseln abstreift, führt das keineswegs zu einer harmonischen Gesellschaft. Die Verteilung der Ressourcen auf unserem Planeten ist zu ungleich. Ein Krieg aller gegen alle wäre die Folge. Die ökonomisch stärksten Akteure wären dabei multinationale Konzerne, die sich paramilitärisch absichern und unkontrollierte Marktmacht ausüben könnten. Zu ihr zählt inzwischen auch die Macht über die sozialen Medien, die uns bereits in ihrem Sinne zu indoktrinieren suchen.

Unsere Poststrukturalisten führen oft persönlich ein gutbürgerliches Leben. Sie leben von Beamtengehältern oder erzählen Studenten das Märchen vom Konstruktivismus. Sie benutzen ihre intellektuelle Narrenfreiheit dazu, den Ast abzusägen, auf dem sie mit uns gemeinsam sitzen. Mit ihren Lippen bekennen sie sich zum globalen Antikapitalismus, dem Antifaschismus, offenen Grenzen und einer humanen Gesellschaft. Doch auf ihrer Schulter sitzt bereits der Teufel des Finanzkapitalismus und lacht sich über seine Narren ins Fäustchen.


[1] Panajotis Kondylis, Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform, 1991, S.153.

[2] Kondylis a.a.O., S.4.

[3] Erik von Kuehnelt-Leddihn, Liberalismus auf amerikanische Art, Criticón 1991,105.

[4] Carl Schmitt, Politische Theologie, S.77.

[5] Kondylis, a.a.O., S.5.