Totalitarismus a la Faeser
Zuletzt vor wenigen Tagen, am 13. Juli, hatten wir uns hier unter der Überschrift “Der sanfte Totalitarismus hat gesiegt” mit einer Buchneuerscheinung befaßt. Drei Tage später hat die Wirklichkeit alle Verharmlosungen übertroffen, der neue Totalitarismus sei sanft. Schwer Bewaffnete schleppten bei Berlin einem Verlag die Möbel aus dem Haus. Per ordre de Mufti war erstmals in der Nachkriegsgeschichte ein Presseverlag komplett verboten worden.
Das wirft natürlich Rechtliche, aber wesentlich über das Rechtliche hinausgehende Fragen auf.
Rechtliches
Verschiedene Kommentatoren halten es schon vom Ansatz her für rechtswidrig, das Vereinsrecht mit seinem Vereinsverbot auf eine GmbH anzuwenden. Das Vereinsgesetz belehrt uns aber in
§ 17 VereinsG
auf den ersten Blick, daß es auch auf GmbHs anzuwenden ist, “wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten”.
Das Vereinsgesetz ist unabhängig von der Rechtsform einer Vereinigung anwendbar,
Skurrilerweise gilt wegen dieser Gleichstellung sogar eine Ein-Mann-GmbH als Verein (Einpersonen-GmbH, BVerwG, U.v. 26. Januar 2022 – 6 A 7/19).
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§ 3 VereinsG
erlaubt ein Verbot, wenn sich der Verein “gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet”. Bei Vereinen oder einer GmbH, die in mehreren Bundesländern agieren, ist das Bundesinnenministerium zuständig (§ 3 Abs.2 Satz 2 VereinsG).
Am 26.1.2022 hatte das Bundesverwaltungsgericht auch das Verbot verschiedener GmbHs für rechtens erklärt, weil ihr “Mutterverein”, die kurdische PKK, schon lange zuvor verboten worden war. Diese hatten auch Zeitschriften sowie Tonträger vertrieben.
Die Vorschriften des Vereinsgesetzes sind auf die Klägerinnen anwendbar, bilden die Rechtsgrundlage für den Regelungsgehalt der Verbotsverfügung und erlauben eine nachträgliche Einbeziehung von Teilorganisationen in das Verbot der Gesamtvereinigung
(BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2022 – 6 A 7/19 –, Rn. 26).
Ist das Vereinsgesetz ein “allgemeines Gesetz”
Das Verbot von Compact ist aber in der Sache massiv verfassungswidrig. Während bei einem Vereinsverbot nur die Rechte dessen Mitgliedern auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art.2 GG) und auf Vereinigungsfreiheit (Art.9 GG) berührt sind, stellt das Verbot der Herausgeber-GmbH einer Zeitung einen Eingriff in die Pressefreiheit dar:
Art.5 Abs.1 GG
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Unter Nancy Faeser findet sie doch statt. Das Grundgesetz hat die Meßlatte für staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit besonders hoch gehängt:
Art.5 Abs.2 GG
Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Allgemeine Gesetze sind Gesetze, die sich ihrem Inhalt nach nicht mit Pressefragen befassen. So kann sich niemand auf die Pressefreiheit berufen, wenn er sie zu einem Mordaufruf benutzt. Das ist strafbar, Presse hin, Presse her. Zu den vom BVerfG schon einmal als “allgemeines Gesetz” im Sinne des Art.5 GG bezeichneten Gesetzen zählt das VereinsG nicht (vgl. Roman Herzog, in: Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Lfg.20, Art.5 I, II GG Rdn.276). Daß Herzog das schrieb, ist allerdings länger her.
Später, 2011, hatte das Bundesverwaltungsgericht kein Problem damit, das Verbot eines kurdischen Fernsehprogramms nach dem Vereinsgesetz abzusegnen: Der Sender war als dänische Aktienholding organisiert, und das Gericht sah den Verbotsgrund der Ausrichtung gegen die Völkerverständigung (§ 3 I 1 VereinsG) als “allgemeines Gesetz” an und berief sich dabei sogar auf den EuGH:
Dieser Artikel [Art. 22a der Fernseh- Richtlinie] verwehrt es in seiner Auslegung durch den Gerichtshof einem Mitgliedstaat nicht, in Anwendung allgemeiner Rechtsvorschriften wie dem Vereinsgesetz Maßnahmen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Fernsehveranstalter mit der Begründung zu treffen, dass die Tätigkeiten und Ziele dieses Veranstalters dem Verbot des Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlaufen
BVerwG, Gerichtsbescheid vom 23. Juli 2012 – 6 A 4/11 –, Rn. 6)
Auch im Falle des Indymedia-Verbots hatte das Bundesverwaltungsgericht lapidar entschieden:
Vereine im Sinne des § 2 VereinsG können auch Organisationen sein, deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen besteht.
BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1/19 –, BVerwGE 167, 293-311.
Wer sich vor den Verwaltungsgerichten bemüht, das Compact-Verbot anzufechten, wird das zu bedenken haben und vielleicht erst beim Bundesverfassungsgericht mit dem Argument Erfolg haben, das Vereinsgesetz sei gar nicht anwendbar.
(Ergänzung 14.8.2024: Ebenso entschied das BVerwG den vorliegenden Fall laut Pressemitteilung Nr. 39/2024 vom 14.08.2024, BVerwG 6 VR 1.24 – Beschluss vom 14. August 2024).
Ich halte dagegen die Regelungen des Vereinsgesetzes, nach der eine GmbH verboten werden kann, wenn sie sich “gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet” nicht für ein “allgemeines Gesetz”, jedenfalls dann nicht, wenn man sie, wie Nancy Faeser, so interpretiert, mit dieser dehnbaren Generalklausel ein Presseorgan verbieten zu können. Pressefreiheit wäre eine Farce, wenn sie jederzeit amtlich aufgehoben werden dürfte, sobald die Regierung ihre Regierungspolitik mit der verfassungsmäßigen Ordnung verwechselt und gleichsetzt.
Verfassungskonforme Auslegung des VereinsG
Schon auf der Anwendungsebene des Vereinsgesetzes ist die wertsetzende Bedeutung der Pressefreiheit zu berücksichtigen. Alle einfachgesetzlichen Regelungen sind im Zweifel grundrechtskonform auszulegen. Der Kernbereich der Pressefreiheit wäre verletzt, dürfte eine Regierung mit der einfachen Behauptung eine Zeitung verbieten, angeblich richte diese sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Was jedermann wegen seiner Meinungsfreiheit darf und die Presse erst recht, hat das Bundesverfassungsgericht völlig klar ausgesprochen:
Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat. Der Schutz vor einer “Vergiftung des geistigen Klimas” ist ebenso wenig ein Eingriffsgrund wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechtsbewußtseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (BVerfGE 124, 300 <334>).
(BVerfG, Beschluß vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 –, Rn. 26).
Es ist erlaubt, wenn Linkspresse von der Weltrevolution träumt oder Compact die rotgrüne Regierung “delegitimiert”. Solange man sich nicht strafbar macht, darf man sogar hassen oder lieben, wen immer mann will. Von irgendeiner Bestrafung Jürgen Elsässers oder seiner Autoren wegen eines Presseinhaltsdelikts ist nichts bekannt.
Die politische Brisanz
Politisch ist das Agieren Faesers darum erheblich spannender als juristisch. Offenkundig hat sie die Macht, eine Zeitung zu verbieten. Ob die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt sie in ihre Schranken weisen wird, werden wir sehen.
Die alten Spielregeln gelten nicht mehr: Bei so groben Verfehlungen mußten Minister früher zurücktreten. Faeser aber wird bis zur Stunde von SPD, Grünen und SPD eisern gestützt. Das Spiel dreht sich ausschließlich noch um den bloßen Machterhalt, komme was wolle. Rechtsstaatlichkeit, Anstand und Stil gelten keinen Pfifferling mehr. Wir erkennen in dieser Regierungskoalition Machtbewußtsein um jeden Preis.
Dieses ist international zum Merkmal der extremen Linken geworden. Sie ist gegenüber allem Rechten von blankem Haß und Vernichtungswillen erfüllt, der inzwischen bis zu den Schüssen auf Donald Trump reicht. Vergessen wir alles, was wir von rechtsstaatlichen Bindungen unserer Regierungen an Recht und Gesetz gelernt haben. Ein Witzbold, wer noch von einer gepflegten Diskursgesellschaft schwafelte. Der geistige Bürgerkrieg ist ausgebrochen. Die Messer sind gezogen. Die ersten Schüsse sind gefallen.
In öffentlichrechtlichen Rundfunk-Kreisen freut man sich bereits, “wenn Faschisten sterben”
Die Linke ist erfüllt von handgreiflichen Vernichtungsphantasien. Sie spielt nicht mehr nach den klassischen Regeln des Rechtsstaats. Diese werden nur noch gebraucht und mißbraucht, wenn es gilt, den linken Totalitätsanspruch durchzusetzen. Sie bildet noch immer – an den Wahlergebnissen abzulesen – eine Minderheit. Sie zwingt der rechtsstaatlich gesinnten Mehrheit aber ihren Willen und die Spielregeln auf. Diese Mehrheit wird sich nicht behaupten, wenn sie nicht begreift, daß man nicht nach den Regeln des feinen Fußballs siegen kann, wenn der Gegner ungestraft Rugby spielt.
Die Mehrheit in Deutschland ist allerdings weder willens noch irgend motiviert, den Kampf um unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat aufzunehmen. Wie üblich, steht der Bürger bei Umwälzungen hinter der Gardine und wartet ab, welche Fahne demnächst zu grüßen ist. Er handelt nach dem St. Florians-Prinzip: “Du heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd’s and’re an!”
Die Scheidelinie verläuft hier zwischen bürgerlichen Rechten, die schon immer eine Nähe zu einem kämpferischen Weltbild hatten, und bürgerlichen Unionsanhängern, die bis heute fest die Augen davor zu verschließen scheinen, wann auch ihre Stunde geschlagen haben wird. Der angebliche Faschismus beginnt schließlich, tönt es seit ein paar Jahren von linksaußen, “in der Mitte der Gesellschaft”. Auf sie richtet sich der Frontalangriff des neuen Totalitarismus.
Totalitär wird eine Gesellschaft, wenn sie den Menschen in seiner Gesamtheit – also total – erfaßt: ihn vom Kindergarten bis in die Universitäten weltanschaulich lenkt, die für ihn wichtigen Informationszugänge kontrolliert, ihm einen bestimmten Glauben aufdrängt, den größeren Teil seines Erarbeiteten wegnimmt und nach Gusto verwendet, ihm vorschreibt, was er zu essen und zu trinken hat und was gefälligst nicht, seine Mobilität beschränkt, ihm sagt, wo der Feind steht, gegen den zu kämpfen und zu sterben sich lohne und ihm zugleich erzählt, wie gut es ihm doch gehe. Wir stehen auf der Schwelle zu einem solchen Totalitarismus.