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Der Universalist

Auszug aus: Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1998, S.69 ff.
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Ihre weiteste geographische Intensität erreicht das Dominanzstre­ben, wenn der Nor­mativist sei­nen Normgeltungsanspruch auf die ganze Welt aus­dehnt, indem er für seine Ideen universale Geltung fordert. Die geläufige Taktik da­bei ist es, die subjek­tive Welt-An­schauung univer­sal zu ver­absolu­tieren und so den Normgel­tungsan­spruch: "Alles hört auf mein moralisches Komman­do!", auf die ganze Welt aus­zu­deh­nen.

Bei Religionen ist das der Regelfall: Jeder Un­ge­hor­same werde si­cher Är­ger be­kommen werde, wenn er sich nicht nach den Geboten ihres jeweiligen Gottes richtet. Nur sehr be­scheidene Völ­ker schreiben ihren Göttern nicht gleich die Schöpfung des ganzen Weltalls zu. Derar­tige aus dem Jenseits begründete, also transzen­dierte Gel­tungs­an­sprü­che [1] sind der Regelfall gesell­schaft­­li­cher Herr­schafts­legiti­mati­on, sie sind der Kitt des Gemein­schaft­lichen schlechthin und spie­len bei der Auf­recht­erhal­tung aller so­zialen Sy­steme die ausschlagge­bende Rolle. Viel ak­tueller ist es aber, eine den eigenen Interessen folgende weltliche Moral zu universalisieren. "In der gegen­wärtigen planetari­schen Konstellation gibt es ge­wichtige Kräfte und Mächte, die an der Universal­sie­rung bestimmter Werte und somit an der Universalsierung des (ih­res) Ethi­schen interessiert sind" [2]

Es spielt für das Funk­tionieren solcher universa­listi­scher Morallehren keine ausschlag­geben­de Rolle, ob sie durch friedliche Missio­nare, durch Kanonen­boote oder durch Han­delsboykotte verbreitet wird. Wer moralisch-ethische Normen aufstellt, verstärkt und verab­so­lutiert damit sei­nen konkreten Ein­zelbefehl. Dieser richtet sich jetzt universal an die ganze Welt. In seiner Norm verkörpert sich sein Macht­­anspruch gegenüber dem Rest der Welt. In einer zweiten, ar­chai­schen Stufe wird dann der bereits zur geltenden Norm erhobenen all­gemeine Befehl noch re­ligiös transzendiert und perso­ni­fi­ziert: So wie die alten Ger­manen meinten, daß da jemand sein müsse, wenn es donnert, und wie sie die­sen Je­mand Do­nar nannten, behaup­ten be­sonders fundamentalisti­sche Verfechter ihrer eige­nen ethischen Ideen, nachdem sie diese zur Norm erhoben und vergessen ha­ben, daß sie selbst Schöpfer dieser Norm waren: Da müsse wohl irgendwo im metaphysischen Jenseits ein persona­ler Norm­schöpfer schweben, der durch sein eigentliches Sein dem innersten We­sen der Norm im be­sonderen Ma­ße entspreche.

Im Christentum wird die völ­lige Deckungs­gleichheit eines Verhaltens mit dem In­be­griff sämtlicher re­li­giöser For­de­run­gen mit dem Begriff des Guten bezeichnet und auf die Person eines vor­ge­stell­ten Gottes proji­ziert. So wie die von einem Menschen aufge­stellte Norm nichts weiter ist als die Projektion der Machtan­sprüche dieser Person an die Umwelt, ist auch die Vor­stel­lung eines personalen Gottes als Inbegriff ethi­scher Tu­gen­den die Projektion der in religiöses Gewand geklei­de­ten Macht­­­an­sprüche ei­nes Menschen an seine Mit­welt. Menschen, die das be­­mer­ken, pflegen an Götter nicht zu glauben, die of­fen­kun­dig mit ih­ren Fein­den im Bunde stehen. Ihre ebenbürtigen irdi­schen Feinde können sie besie­gen; deren Spuken aber wie eine wirkliche Macht an­zuer­kennen, hieße es mit der Majestät eines Allgemeinen auf­neh­men zu wol­len. [3]

Je stärker der Strom von Menschen, Waren und Informationen in­nerhalb eines Kulturraumes ist, desto mehr Menschen werden ihrer engeren Heimat entfremdet und entwurzelt. Großreiche und Ein­fluß­he­misphären brachten schon immer Men­schenmas­sen ver­schiedener Her­kunft und Glaubens unter ihre Kontrolle und ver­wan­delten sie in lenk­bare Massenmenschen. Je umfas­sender eine Herrschaft sich geo­graphisch aus­dehnt, desto dringlicher ihr Be­dürfnis nach einer univer­salen Herr­schaftsideologie. Diese dient dazu, ganz heterogenen Un­terworfenen ihre Stammes­götter madig zu ma­chen. Im Innen­leben ei­nes Großreiches sind Tugen­den wie Ei­genständigkeit, Freiheit und Selbst­bestimmung nicht gefragt. Das Be­dürfnis nach einer uni­versa­li­sti­schen Moral ist aber ein wechselseitiges: Wer als Ent­wurzelter fern der Heimat un­ter frem­den Anschauungen lebt, muß sich trösten und eine Moral der Heimat­losen annehmen, eine überall brauch­bare Ethik der Bindungslosen, der Zer­streuten, der Entorteten. In dieser Lage be­­fanden sich die Menschen im ersten historischen multi­eth­nischen Groß­­­reich: dem Alexanders und der folgenden Diadochen. Gehlen hat kenntnisreich den unmittelbaren Zusam­menhang zwi­schen der allum­fas­senden Kosmopolis des Hel­lenismus und der Aus­bil­dung universa­listi­scher Ideen nach­gewiesen. Der in Athen woh­nen­de Phönizier Zenon, ein schwer­reicher Händler, fand die passende Ideo­logie für den moralisierenden Handels­staat: eine universali­sti­sche Welt­sicht, nach der alle Verwandt­schaftsverbindun­gen und Stam­mes­pflich­ten vor der Tugend zurückzutreten hätten. [4]

Was diese Tugend im einzelnen forder­te, erläu­terten gern die Phi­lo­sophen, und so hatte je­der seinen Vorteil. Hier entstand der Ge­danke eines mensch­heits­um­spannenden Naturrechts. Eine analoge Entwick­lung hat sich wäh­rend des 20. Jahrhunderts abgespielt: Wieder gewinnen in den Quasi-Viel­völ­kergebilden USA und Europa universalistische Vor­stellungen an Bo­den, so daß Kos­mopoliten und Globetrotter sich über­­all hei­misch fühlen dür­fen. Der geistige An­spruch einer Mensch­heits­moral hat aber auch immer ei­ne polemische Spitze. Sie rich­tete sich zu­nächst gegen diejenigen Staaten, die sich der Zumutung wider­setzten, sich die amerika­nischen Ansichten von Mo­ral, Demokratie und Frei­heit zu eigen zu ma­chen. Heute richten diese sich vor allem ge­gen Staa­ten Asiens mit gänzlich anderen Ideen vom Ver­hältnis von Frei­heit, Bin­dung und Religion.

Ebenso wie das Individuum seinen Geltungsanspruch am wirk­sam­sten vor­trägt, indem es ihn in die äuße­re Form genereller Normen hüllt, pflegen auch Staaten - gleichsam wie Indi­vi­duen - "ihre An­lie­gen im Vokabular uni­versaler Ziel­setzungen und weltum­spannender So­zialentwürfe zu formulie­ren." [5] Mit dieser Formulierung ver­all­ge­mei­nerte Kondylis Carl Schmitts Beobachtung zwei­er Haltungen: der of­fe­­nen [dezisionistischen] Machtstaat­lichkeit und ei­nem sich [nor­ma­ti­­vistisch] ethisch -mora­lisch verschleiernden Weltherr­schafts­­an­­spruch. [6] Als "gera­de­zu klassisches Beispiel reinsten Dezi­sio­nis­mus" führt Schmitt eine Be­mer­kung des US-Staatsse­kre­tär Hug­hes an, was die Monroe-Dok­trin - nichta­merikanische Mächte hätten sich dort nicht ein­zumischen - jeweils konkret besa­ge: Das "definiere, in­ter­pre­tiere und sank­tioniere" nur die Re­gie­rung der Ver­einigten Staaten von Ame­rika. [7]

Ganz normativistisch treten die USA dagegen heute im Namen der Men­schen­rech­te auf, was nach Luh­manns Beobachtung eine "inter­na­tio­nale In­ter­ven­tions­ethik" be­gründet. Die Menschenrechte sind für ihn nichts als "eine inter­es­sante Denk­­­fi­gur", [8] die auf eine Ver­än­de­rung des Rechtsbe­wußtseins hin­­deu­te:" Sie be­gründen den uni­ver­­sa­len Geltungsan­spruch einer konkreten Welt­macht, unter Beru­fung auf das, was sie als Men­schenrecht definiert, not­falls global mili­tä­risch ein­­zu­­greifen. Damit folgt Luhmann Carl Schmitt: Die­ser hatte auf das "uni­­­­ver­­sali­stisch-imperialistische, rau­m­­auf­he­bende Welt­recht" hin­ge­wie­­sen, von dem aus "un­ab­seh­bare 'hu­­ma­ni­täre' In­ter­ventionen völ­ker­­­­­rechtlich zulässig sind. [9] "Universalistische, weltum­fas­sende All­ge­­­mein­­­begriffe" seien "im Völ­ker­­­recht die typischen Waffen des Inter­­­ven­tio­nismus": eine "imperialistische, un­ter humanitä­ren Vor­wän­­den in alles sich einmischende, sozusagen pan-in­ter­ven­tionistische Welt­­­ideo­lo­gie". [10]

Wenn liberale Philosophen heute universalistische Vernunfts­ent­wür­fe vorle­gen und deren Geltung für die ganze Welt beanspruchen, bereitet das objektiv die mora­lische und informelle Machtübernahme in den infiltrierten Ländern vor. Chaïm Perelman ap­pelliert "an ein uni­versales Auditorium": "In dem Maße, wie der Philosoph seine Ent­schei­dung auf Regeln grün­det, die für die ganze Mensch­heit gelten sol­len," [11] könne er keine Re­geln auf­stellen, die man nicht schlechthin verallgemei­nern könne. So­lange es aber Interessen­ge­gen­sätze und We­­sensunter­schiede zwi­schen Völkern gibt, ist das Aufstellen solcher Re­geln immer ein Akt des "Vernunftimperialismus". [12] Die­­­se Phi­lo­so­phen predigen nicht ganz zufällig, aber subjektiv guten Wil­­lens den Glau­ben an eine Mensch­­heitsmoral, der die Welt­bank auf dem Fuß folgt. Jede Philo­so­phie mit universa­lem Anspruch ist eine ob­jektive Bedro­hung für jedes Volk, das geistig eigenständig bleiben will. Im le­bens­wich­tigen Punkt sei­nes Glaubens, seiner Moral, seiner Werte gleich­ge­schal­tet und fremd­­be­stimmt, treibt das Volk "der Auflösung ent­ge­gen: zur Gegen­wehr nicht nur unfähig, sondern auch unwillig." [13]

Fortsetzendes Kapitel: Der Prinzipienreiter

 



[1] Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, S.23.

[2] Siehe dazu Panajotis Kondylis, Planetarische Politik nach dem Kalten Krieg, Berlin 1992, 105 ff.

[3] Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, S.233.

[4] Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, S.30.

[5] Panajotis Kondylis, Ausschau nach einer planetarischen Politik, FAZ 21.10.1995.

[6] Carl Schmitt, Staatliche Souveränität und freies Meer (1941), in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.401 (408).

[7] Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raum­fremde Mächte (1939, 4.Aufl.1941), in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.269 (281). Zitat (vgl.Maschke ebd.S.326[12]) nach Hughes, Observations on the Monroe Doctrine, AJIL, 1923, S.616.

[8] Niklas Luhmann nach E.Straub, Dasein geht durch den Magen, FAZ 2.2.1995.

[9] Carl Schmitt, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: der., Staat, Groß­raum, Nomos, S.234 (251).

[10] Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung ..., ebenda, S.285.

[11] Chaim Perelman, Über die Gerechtigkeit, S.158.

[12] Den Begriff prägte Kaufmann, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, S.228.

[13] Hans-Dietrich Sander, Die Auflösung aller Dinge, S.109.