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Heimatforschung oberes Weserbergland
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Friedhelm Biermann, Die Adelsherrschaften an Ober- und Mittelweser des 13. und 14. Jahrhunderts im Kräftespiel zwischen einer neu formierten welfischen Hausmacht und expandierenden geistlichen Territorien, Diss. Münster 2005

 

Zur historischen Bedeutung des Weserberglandes

 

[Zur Gründung des Kultur- Naturhistorischen Dreiländerbundes Weserbergland e.V.]

von Prof. Dr. Hans-Georg Stephan
(Universität Halle, bis 2004 Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Göttingen)

 

Die Lage des Weserberglandes im Grenzbereich der Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen ist Ergebnis der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte. Sie stellt bisher eher ein Hindernis bei der Erforschung und Nutzung der Potentiale dieser schönen und hochinteressanten Kulturlandschaft im Herzen Deutschlands und Europas dar.
Im Mittelalter gehörte die Region zeitweise zu den Kernlandschaften des fränkisch-deutschen Reiches. Im 13. Jh. geriet sie in eine hart umkämpfte Randlage. Die Bedeutung Corveys für die Integration Norddeutschlands in das fränkische Reich und die abendländische Kultur ist kaum zu überschätzen. Helmarshausen entwickelte sich zu einem Zentrum des romanischen Kunsthandwerks. Vom 12.-19. Jh. gehörte das Werra-Weserbergland zu den wichtigsten Herstellungsgebieten von Glas in Europa. Infolge der relativ schwachen Industrialisierung haben sich vielfältige Kulturlandschaftselemente in großer Fülle erhalten, die bislang wenig genutzt und bekannt sind. Im Gegensatz zu den Baudenkmälern sind die Geländedenkmäler bisher eher vernachlässigt worden. Ihre vielfältigen Möglichkeiten in der Veranschaulichung von Geschichte sollen im Rahmen dieser langfristigen Initiative als nachhaltige Resourcen gehoben und gepflegt werden. Als optimale Voraussetzung dafür sehen wir die bereits erfolgte, aber zu intensivierende Lokalisierung, Kartierung und erste Auswertung zahlreicher typischer Kulturlandschaftsrelikte durch engagierte Laien und Fachinstitutionen an. Insbesondere von der Universität Göttingen aus wurde und wird seit Jahrzehnten Grundlagenforschung betrieben. Grundsätzlich muß die gründliche Erforschung Basis für alle weiteren Schritte sein. Neben der weiteren flächenhaften Erschließung müssen Fallbeispiele intensiv fächerübergreifend bearbeitet und schließlich der breiten Öffentlichkeit didaktisch aufbereitet und konservatorisch gesichert zugänglich gemacht werden.
Aufgabe des Bundes soll es sein, engagierte Fachwissenschaftler verschiedenster Disziplinen mit Bewohnern der Region, mit Verwaltungen, Wirtschaft, Presse und Politikern in dem gemeinsamen Bestreben zusammenzuführen, die Nutzung der kulturellen und natürlichen Schätze der Region aktiv voranzutreiben. Kulturlandschaftsrelikte sind besonders geeignet, Geschichte zu veranschaulichen, die Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur und die Entstehung der heutigen Landschaft zu verstehen. Die Archäologie nimmt eine Schlüsselrolle in der Verzahnung derartiger Ansätze ein. Bisherige Schwerpunkte stellen z. B. die Erforschung der Siedlungs- und Alltagsgeschichte im Umfeld von Höxter und Corvey, in Stadtwüstung und Schloß Nienover bei Bodenfelde und in den Glashütten der Region dar.

Der Kampf um die Landesherrschaft und die wirtschaftlichen Resourcen der Region seit dem 12. Jh. hat besonders eindrucksvolle Spuren in der Landschaft hinterlassen. Genannt sei an dieser Stelle die in Mitteleuropa einzigartige Häufung verödeter mittelalterlicher Städte, besonders Blankenrode, Corvey, Everstein, Neustadt Helmarshausen, Landsberg bei Wolfhagen, Nienover und Stoppelberg. Auch die vielen hundert ehemaligen Glashüttenplätze und die weit über 1000 verödeten mittelalterlichen Dörfer sind hier hervorzuheben. Hinzu kommen bedeutende verlassene Burgen wie der Schöneberg bei Hofgeismar, die Brunsburg bei Höxter, Homburg und Everstein (Lkr. Holzminden) und viele zugehörige Kulturlandschaftselemente wie fossile Wege und Äcker, Steinbrüche, Meiler und anderes mehr.
Aufgegebene mittelalterliche Städte sind in Europa selten und fast durchweg neuzeitlich überbaut. Durch intensiven jahrhundertelangen Ackerbau bedingte Bodenerosion hat zahlreiche archäologische Fundstellen nachhaltig geschädigt. Für die Stadtwüstung Nienover ist es in der Kooperation mit Bodenwissenschaftlern in einem ungeahnten und zugleich erschütternden Zustand deutlich geworden, in welch starken Maße die archäologische Quellensubstanz flächenhaft zerstört ist. Dies gilt für zahllose andere Oberflächenfundstellen auch und manifestiert, wie falsch es ist, anzunehmen, derartige Fundstellen seien für die Zukunft im Boden am besten geschützt. Es ist im Gegenteil festzuhalten, daß die Zerstörungen durch Ackerbau weit umfassender und gefährlicher sind als punktuelle Bodeneingriffe. Durch moderne intensivierte forstliche Bewirtschaftungsmethoden mit Großmaschinen sind auch die Bodendenkmale im Wald zunehmend gefährdet. Saure Böden, saurer Regen, wechselfeuchtes Klima und intensive Düngung führen zudem zu einer weitgehenden Zerstörung der organischen, der Metall- und Glasfunde. Ohne Unterschutzstellung mit konsequenter Nutzungsänderung oder ohne Ausgrabungen wird diese Substanz immer stärker zerstört.
Fallbeispiele
Klosterbezirk und Stadtwüstung Corvey stellen in mancher Hinsicht ein einzigartiges archäologisches Denkmal von europäischem Rang dar. Dies wird dem Besucher bisher nicht einmal ansatzweise vermittelt. Größere gezielte Ausgrabungen und Erkundungen sind ein dringendes Desiderat.
Kleinere planmäßig angelegte Städte wie Nienover wurden von der Archäologie bisher wenig beachtet, obwohl sie die Masse der Städte in Europa stellen. Schriftliche Quellen fehlen oder sind zumeist wenig ergiebig. Somit muß die Archäologie die Überlieferungslücke füllen. Stadtwüstungen bilden einen vorzüglichen Forschungsgegenstand, da sie frühe Stadien der Stadtentwicklung konserviert haben, die in der Regel nur vielfach überprägt und partiell zerstört erhalten sind und unter großem Aufwand und Zeitdruck in heutigen Stadtkernen untersucht werden können.
Dies gilt insbesondere dann, wenn die Orte nur über eine oder wenige Generationen hinweg besiedelt waren und planmäßig angelegte städtische Strukturen aus der Frühzeit des voll entwickelten abendländischen Städtewesens in statu nascendi erhalten sind wie in Nienover. Der Forschungsstand in fast ganz Europa steht in krassem Gegensatz zur Bedeutung der Stadtwüstungen für die Klärung von Fragen zur frühen Stadtentwicklung.
Wir gewinnen durch die seit 2000 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Grabungen seit 1996 vielfältige Erkenntnisse zum Siedlungsablauf im Gebiet der Stadtwüstung Nienover sowie zu Intensität und Art der Bebauung und Parzellierung. Ausgehend von unseren bisherigen Forschungen sollen 2005-2007 Grundstrukturen des Straßenplanes und der Ablauf der Verödung der Stadt nach den beiden großen Zerstörungen um 1210/20 und 1270 geklärt werden. Nachweisbar sind ein Ost-West ausgerichtetes Dreistraßenschema und Quergassen. Die Bebauung in der ca. 500 mal 300 m großen Fläche ist mindestens an der Hauptstraße sowie wahrscheinlich an der südlichen Nebenstraße vor allem in der Frühphase um 1200 dicht. Im Ergebnis sollen in dieser Art und Weise ziemlich einzigartige Einblicke in die Planung und Strukturierung sowie das Leben in einer typischen kleineren dynastischen Stadtgründung des Mittelalters im Herzen Europas und in die Entwicklung der Kulturlandschaft vom Ende der letzten Eiszeit bis zur Neuzeit gewonnen werden.
In Hinblick auf die Gesamtfläche sind die Untersuchungen in Nienover, die bis 2006 schätzungsweise 20 % der ehemals vorhandenen Hausgrundstücke zumindest in den wichtigsten noch im Boden erhaltenen Grundstrukturen erfaßt haben werden in Deutschland und Mitteleuropa einzigartig. Anhand von naturwissenschaftlichen Prospektionen konnte etwa zwei Drittel der Stadtfläche erkundet werden. Mit den für 2005-2006 vorgesehenen Untersuchungen wollen wir einen sinnvollen Abschluß der Erforschung der Topographie, der inneren Entwicklung der Stadt und der materiellen Kultur ihrer Bewohner erreichen. Neben den Arbeiten im Stadtzentrum sollen in den letzten Kampagnen bisher kaum erforschte Bereiche in weniger zentraler Lage, vor allem im Süden mit offenbar der besten Befunderhaltung, erschlossen werden. Nur so ist ein einigermaßen ausgewogenes Bild der Gesamtentwicklung zu erarbeiten. Letztendlich erhoffen wir uns von der Fortführung der Untersuchungen in Nienover vielschichtige, teilweise völlig neuartige Einblicke in die Struktur und die Genese wie auch in die Sachkultur einer kleinen mittelalterlichen Stadt im deutschen Altsiedelland. Wir erwarten von daher Stimulierungen für die archäologische, historische und naturwissenschaftliche Stadt- und Umweltforschung auf bisher vernachlässigten Teilgebieten.
Ein Desiderat bilden noch Forschungen zum Schloß Nienover. Ein Anfang wurde gemacht mit der Erfassung der vorhandenen sichtbaren Reste und Fundnachrichten, der Höhenschichtenvermessung und nicht zuletzt mit den Grabungen im Brunnen. Die Untersuchungen im Burgbrunnen mit zahlreichen freiwilligen studentischen und anderweitigen Helfern (bes. AG Karstforschung Harz e. V.) erbringen vielfältige Einblicke in die materielle Kultur der Bewohner des Amtshauses Nienover und die Erzeugnisse der regionalen Töpfereien und Glashütten in der Zeit um 1800 kurz vor der Industrialisierung.
Im Rahmen der Förderung im LEADER + Projekt der EU „Erlebnis Kulturgeschichte“ in der Region Weserbergland - Solling (Flecken Bodenfelde, Stadt Uslar) wurden Forschungsergebnisse für die breitere Öffentlichkeit aufbereitet und sollen wichtige archäologische Kulturdenkmale zukünftig auch touristisch präsentiert werden. Den Schwerpunkt könnte Schloß und Stadtwüstung Nienover gemeinsam mit dem biologisch-forstlichen Hutewald - Projekt der Fachhochschule Lippe bilden.
Das ländliche Umland und die dramatischen Veränderungen der Kulturlandschaft im 12.-16. Jh. sollen in weiteren von uns durchgeführten Projekten am Beispiel der nahegelegenen Dorfwüstungen Winnefeld und Schmeessen erforscht und später der Öffentlichkeit vermittelt werden. Besonders eindrucksvoll sind die Fundamente der ungewöhnlich großen romanischen Kirche in W., zu der die mutmaßliche kleine Kapelle in S. einen ummittelbaren Kontrast bilden kann, falls die Untersuchungen 2005 realisiert werden können.
In einen wichtigen Bereich der regionalen Wirtschaft und der europäischen Landschafts-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der frühen Neuzeit führen die Untersuchungen an der Glashütte am Lakenteich (1655-1681) zwischen Uslar und Dassel. Wünschenswert ist die Erforschung weiterer Glashütten im Solling, oder angrenzenden Gebieten insbesondere aus der Renaissance und dem Mittelalter, um diese Lücken aufzufüllen.
Alle erforschten Plätze sollen, falls eine Finanzierung möglich ist, dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Angestrebt wird eine konservatorisch und optisch optimale Präsentation der im Gelände sichtbaren Relikte. Wünschenswert ist z. B. eine partielle Aufmauerung der Fundamente von Häusern (Kellern) und Kirchen mit didaktisch aufbereiteter Beschilderung. Darüber hinaus könnten einzelne Häuser und ein Abschnitt der Stadtbefestigung von Nienover (Wall mit Palisade, Graben, ev. Tor) rekonstruiert werden. Eine museale Präsentation der wichtigsten Funde und Forschungsergebnisse vor Ort ist ebenso denkbar, wie ein archäologischer Freiluftpark mit mehreren Teilstandorten. Konstruktive Gespräche darüber wurden mit den Kommunen Bodenfelde und Uslar sowie dem Landkreis Northeim und der Kreishandwerkerschaft Northeim geführt, die Interesse an einer Realisierung dieser Vorhaben bekundet haben. Die Rekonstruktion eines funktionsfähigen Glasofens des 17. Jh. ist in Kooperation mit der Kreisarchäologie Holzminden angedacht. Sie könnte im Solling oder auch neben dem Glasmuseum in Grünenplan erfolgen.