Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Nonkonform

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 10 / 1994 )

 

Nonkonform sein - wer wollte das nicht? Die Leipziger Jungsozialisten im Hof­geismarer Kreis möchten das auch. "Die Bonner Republik", führt der Schriftleiter des Leipziger SPD-Nach­wuchses in sei­nem "Aufruf zum Nonkon­formismus" aus, "erlebt bei näherer Be­trachtung seit 1989 die er­ste richtige Sy­stemkrise". Nonkonform sein kann da nur heißen, "nach dem Zu­sammenbruch des so­wjeti­schen Blocks wird erkennba­rer, daß die libe­ralistische Ideologie auch nicht der Weisheit letz­ter Schluß und die Lö­sung für die Menschheits­probleme ist. Der Unter­gang des Kommunismus kann und darf nicht zum Endsieg des Kapita­lis­mus werden." Doch "Was tun?", würde Lenin fra­gen. Ha­ben wir diesen Sieg nicht schon lange? Aber nein: "Die Me­tamorphose der SPD von der pragmati­sch-liberalen Partei Hemut Schmidts hin zur ökolo­gisch-hedonistischen der 'Enkel' hat uns da auch nicht weitergerbracht." Waren wir denn nun damals liberal, oder sind wir es heute? Non­konform sein scheint nicht einfach zu sein, und das Durch­schauen von Sein und Scheinen bun­des­deutscher Be­findlichkeit gelingt nicht auf er­sten Anhieb, zumal, wenn man überall auf Denk­verbote stößt:


"Mir klingt es wieder in den Oh­ren", klagt Jung, "der wohlmeinende Rat mei­ner Staatsbür­gerkun­delehrerin, den sie mir 1988 gab, ich solle nicht an Tabuthemen rühren." Heute sind sie wie­der da, die Tabus. Die Nation ist so ein Tabu. National sein mögen westdeutsche Sozialdemo­kraten nicht erst seit Wehners tete a tete mit Ho­necker nicht mehr. Noch in der Wei­marer Zeit war das ganz an­ders, wie Michael Rudloff in Teil II sei­nes Auf­satzes "Das Verhältnis der Sozi­al­de­mokratie zur na­tionalen Frage" akribi­sch nach­weist. Das Gedächtnis der Leip­ziger Jusos reicht erstaunlich weit zu­rück, ver­gleicht man es mit dem auf 12 Jahre be­schränkten Ge­schichtsbe­wußt­sein ihrer westlichen Genossen: "Herr Ebert," zitiert Rudloff Max von Badens Amts­übergabe an Friedrich Ebert, "ich lege Ihnen das Deutsche Reich ans Herz!", worauf Ebert ant­wor­tete: "Ich habe zwei Söhne für die­ses Reich verlo­ren."


Solche Töne haben 1994 in der SPD wirklich den besonderen Charme des Nonkonformen. Was ihnen in der SPD schnell widerfahren kann, wenn sie nicht die übliche Nonkonformi­stenuni­form tra­gen, deu­tet Sascha Jung mit den Worten an: "Ketzer hat es immer gegeben, sie sind Bedingung für jede Veränderung, und auch der Umgang mit ihnen ähnelt sich. Zwar wurde nicht immer gleich um­ge­bracht," aber "auch unter Genossen und Parteifreunden" wird da schnell "mit rei­nem, zu Differen­zie­ren nicht mehr fähi­gem Haß persönlich diffa­miert." Nach Günther Nenning sind das jene "Schrumpfintellektuellen, die nur noch aus einer Nazi-Riech­nase" bestehen. Jung ortet sie zum Bei­spiel in Peter Katz und seinem "Bonner Insti­tut für Fa­schismus­forschung und Antifaschisti­sche Ak­tion", der für ihn nichts als ein phan­tasie­loser, "unverbesserlicher Struktur­konserva­tiver" ist.


Im "Mentalitätsdissens zwischen Ost- und West-Sozis, eindrucksvoll in den Wahlen auf dem letzten Parteitag doku­mentiert", sieht Jung einen Grund für die von ihm seit 1989 beobachtete "Idenditätskrise", eine nicht nur Leip­zi­ger Er­scheinung. Mentalitätsdissense hat es unter Ge­nossen schon oft gege­ben. Wäh­rend die Ost-So­zis nonkon­form sind, ha­ben die westli­chen So­zis "ihre revo­lu­tio­näre Gegenwart schon hinter sich,", wie Eckhard Fuhr in der FAZ bemerkt hatte, "und sie su­chen ihren Einfluß mit aller Macht zu kon­ser­vieren. ... Dabei han­delt es sich um den linksliberalen Main­stream des der­zeitigen BRD-Estab­lish­ments, der, aus dem Geiste der 1968er-Studenten­revolte geboren, seinen Marsch durch die Insti­tutionen erfolg­reich been­det hat. Be­kanntlich sind die Revo­lutio­näre der Ge­genwart die Re­ak­tionäre der Zukunft. Die verbissene Ver­teidi­gung ih­rer Bastionen in Parteien und Medien trägt alle Züge eines Kultur­kampfes." Die Hof­geismarer stehen in diesem Kul­tur­kampf unzwei­felhaft auf der nonkonfor­men Seite.


Politischer Rundbrief des Hof­geis­markrei­ses der Jungsozialisten Deutsch­lands, Jg.2 Nr.1, Februar 1994, c/o Hof­geismarkreis, Harald Heinze, Richard-Lehmann-Str.57, 04275 Leipzig