Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Der geschätzte Feind

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 22 / 1999 )

 

"Die Zahl der Opfer im Kampf gegen Hit­ler war natürlich größer als heute," erinnerte sich der von Milosevic gefeu­erte Vizepremier Drascovic im SPIE­GEL. "Wir erinnern uns an einige deut­sche Ge­neräle und an den deut­schen Feind, und wir be­greifen, daß ein wür­di­ger Feind immer ein halber Freund ist. Die Serben fielen ehrenhaft, wir sahen dem Geg­ner in die Augen. Der deutsche General­feld­marschall Mackensen ließ 1915 sofort nach der Einnahme Belgrads ein Denkmal errichten mit der Inschrift: 'Dem großen serbischen Feind.' Wer sind diese Feiglinge jetzt, die ein Land vom Him­mel aus zerstören, ein Volk der kol­lektiven Rache unterziehen und es ver­nichten wollen"


Wer einen gerechten Krieg führt, kennt aber keine würdigen Feinde. Im Mittelalter galt als bell­um justum der von einem christlichen Herr­scher geführte Krieg, wenn er der Durch­set­zung religi­ös-mora­lisch gebilligter Ziele diente. "Du sollst nicht töten" galt nicht im An­griffskrieg gegen Heiden, Ketzer und Ver­brecher. Solche Kriege wurden als Ver­nich­tungskriege geführt. Mit dem unter­le­genen Feind wurde nicht ver­han­delt und kein ehren­voller Frieden ge­schlossen: man metzel­te ihn nieder, ver­brannte ihn oder hängte ihn einfach auf: Der ge­rechte Krieg ist nicht Duell Eben­bürtiger, sondern eine poli­zei­liche Straf­ak­tion.


Erasmus von Rotterdam seufzte, jeder halte seine Sache für gerecht. Welche Instanz sollte auch über die Gerechtigkeit entscheiden? Kein Souverän kann mora­lisch über einen an­deren Sou­verän zu Gericht sitzen und ihn als Verbrecher dis­kriminieren. Das euro­pä­ische Völ­ker­recht des 16.Jahrhunderts bis zum 1.Weltkrieg erkannte je­den Krieg als völker­rechtlich erlaubt an, der von ei­nem souverä­nen Staat gegen den ande­ren nach den Regeln des Völkerrechts ge­führt wurde. Der Feind, erkannte man, muß nicht böse sein. Man kann ihm ge­rade ins Auge se­hen, mit ihm verhan­deln und einen Frieden schließen. Es kam aus der Mode, Feinde als Verbrecher an­zuse­hen und ihre An­führer nach einem Krie­ge aufzu­hängen.


Unberührt von den grauenhaften eu­ro­pä­i­schen Bürgerkriegserfahrungen und der ver­nünftigen Ab­wendung vom dis­krimi­nie­renden Kriegsbegriff hielten sich die US-Amerikaner immer für gerecht, sie führten nur gerechte Kriege, ihre Feinde waren darum immer Ver­brecher, und im Machtbereich ihrer Öko­nomie und ihrer Waffen gilt das europäi­sche Völkerrecht des 16.-20.Jahrhunderts nicht mehr. Im Sog der USA ist Europa zur mit­telalter­lichen Kriegsrecht­ferti­gung zurückge­kehrt. Wer aber Krieg im Namen der Mensch­lichkeit zu füh­­ren vorgibt, erklärt den Feind zum Un­men­­schen. Gegen ihn ist alles erlaubt und trotzdem kein Krieg im eigentli­chen Sin­ne, wie man sich mit scholasti­scher Spitz­findigkeit er­innert: Es ist bloß eine Art Poli­zeiaktion.


Nach neuzeitlichem europäischen Völkerrecht hätte man Jugoslawien den Krieg erklären dürfen, zum Beispiel weil die Flüchtlings­ströme unsere Interessen tangieren. Dorthin schritt Drascovic hi­sto­risch um Jahrzehnte zurück, als er uns als ehrlichem Feind gerade in die Augen sehen wollte. Wir aber schritten Seite an Seite mit den USA um Jahrhunderte zu­rück bis in die Zeit der Kreuzzüge. Un­se­re neue und doch uralte Lehre vom ge­rechten Krieg zur Wah­rung der christli­chen Werte von Hu­manität und Men­schen­würde blieb, was sie schon immer war: eine panin­terven­tionistische Ideo­logie, die jetzt auch ih­ren globalen Klä­ger, Richter und Vollstrecker ge­funden hat.