Schlapphüte in die Produktion 
              (Publikation des Aufsatzes: 
                Junge Freiheit 47 / 1998 )
              
               
                
                  
                
                
              In den 50er Jahren sollten die Verfassungsschutzbehörden  verhindern, daß die Verfassungsorgane von umstürzlerischen Absichten  überrascht werden. Damals herrschte kalter Krieg. KPD und SRP wurden im  Westen verboten. Ein VS war dazu nicht nötig, weil ihre Propaganda öffentlich  und offenkundig war. Heute wissen wir aus Stasi-Unterlagen von Tausenden  SED-Spitzeln in den Chefetagen der Bonner Republik. Der Verfassungsschutz  war blind, wo er hätte sehen müssen und informieren müssen. 
              
                Heute ist er ist anachronistisch und steht der zunehmenden  europäischen Eingliederung im Wege. Deutschland wird von "älteren Demokratien"  bereits belächelt mit seinem negativen Sonderweg, die einzige real existierende  Demokratiebehörde zu besitzen. Tatsächlich ist Demokratie immer ein offener  Meinungsbildungsprozeß. Der politische Wille muß dabei vom Volk zu den  Staatsorganen hin gebildet werden, und es darf nicht umgekehrt eine Geheimbürokratie  gesellschaftliche Vorstellungen auf subtile Weise lenken. Das versucht der VS  seit Jahrzehnten, indem er Generationen von Studenten vorgab, welche Worte  sie zur Vermeidung beruflicher Nachteile nicht im Munde führen und in welcher  Gruppe sie sich nicht engagieren sollten. Auch mit der bürokratischen Fernlenkung  des akademischen Nachwuchses dürfte spätestens jetzt Schluß sein: Der Europäische  Gerichtshof erklärte die auf VS-Einschätzungen beruhende Rechtsprechung im  Fall einer Lehrerin für menschenrechtswidrig. 
              
                Das Gesamtkonzept "VS" mit seinen V-Leuten, der  nachrichtendienstlichen Observation und der ans Kindische grenzenden Geheimnistuerei  ist überholt und paßt nicht mehr in unsere Zeit globalen gesellschaftlichen  Wandels. Dieser findet bereits in Deutschland wie in Japan fast synchron  statt. Ein Alleingang hin zu einer völlig anderen Staatsform ist als Sonderweg  nicht mehr vorstellbar. Uns blieb als Besonderheit eine gewisse Hysterie gegenüber  abweichenden Meinungen, verbunden mit lustvollem Bürokratismus. In der  absolutistischen Tradition des Vormärz meint er, geistige Entwicklungen ließen  sich amtlich mit der Strichliste in der Hand verhindern. 
              
                Es ist nicht schwer für einen Bürokraten, überall  Verfassungsfeinde zu finden, wenn man die linken oder rechten Bösewichter  schon an Begriffen wie "Sozialismus" oder "Vaterland" erkennt.  Einer substanziellen wissenschaftlichen oder politischen Auseinandersetzung  stehen solche peinlichen "Erkenntnisse" bloß im Wege. Bei  scheinbarer amtlicher Objektivität findet der VS vor allem da Extremisten,  wo er vom jeweiligen Minister auf die Suche geschickt wurde, bis dieser wechselt  und der früher beobachtete "Extremist" zum neuen Brotherrn wird. 
              
                Oppositionsgruppen mit nachrichtendienstlichen Mitteln  auszuspähen, hat sich im Zeitalter der Mediendemokratie überholt und überlebt.  Der offene Wettbewerb der Meinungen ist ihre Grundspielregel. Wer den  Konkurrenten bei Wahlen überflügeln will, muß seine Forderungen plakativ  formulieren und millionenfach verbreiten. Keine Partei kann millionenmal  ein demokratisches Hüh rufen, aber heimlich zum verfassungsfeindlichen Hott  rüsten. Darum gibt es bei keiner erfolgreichen Partei bis hin zu den Grünen,  der PDS oder den Republikanern, eine verheimlichte Kluft zwischen  "offenen" und "wahren" Absichten. Nur Verschwörungstheoretiker  oder Verfassungsschützer wähnen überall geheime Ränke und verborgene Absichten.  Der durch unsere Gesetze vorgeschriebene Weg zum demokratischen Machtgewinn  zwingt ohnehin jede Opposition, strukturell so zu werden, wie die bisher  Erfolgreichen schon sind. Es kann in der Massenmediendemokratie keine erfolgreiche  heimliche Neigung zur Revolte geben. Wozu also heimliches Beobachten?
              
                Die offene politische Auseinandersetzung kann man nicht  beenden, indem man auf juristische Rechtgläubigkeit pocht. Nach den  jahrzehntelang erhärteten Maßstäben westdeutscher Verfassungsschützer  zählen Jungminister wie Trittin oder Fischer ebenso zum festen  "Kundenstamm", wie die frischgewendeten PDS-Minister in  Mecklenburg. Doch immer weniger Wähler fragen danach. Die Bundestagsdrucksache  12/6000 vom 3.11.1993 hatte den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission  enthalten. Diese schrieb den offenherzigen Satz: "Probleme der  Verfassung und der Verfassungsreform sind letztlich politische Machtfragen."  Damit ist zum Sinn und Unsinn des VS alles Wesentliche gesagt. Schily fragt  zurecht: Die Beobachtung der PDS ist absurd, nachdem sie regiert. Soll sie  sich selbst beobachten? Diese Beobachtung jetzt zu beenden, heißt einzugestehen,  daß der VS bloß ein Instrument der Verdächtigung des Gegners ist.
              
                Die Tugenden jedes guten Geheimdienstlers sollten besser  genutzt werden: Das VS-Bundesamt könnte als Abteilung zur Bekämpfung der  organisierten Kriminalität dem BKA und die Landes-VS-Ämter den jeweiligen LKAs  angegliedert werden. Dort könnten ihre Beamten wirklich schützen: Nicht ihren  Dienstherr vor dem öffentlichen demokratischen Diskurs, sondern alle Bürger  vor wirklichen Gefahren.