Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Streng ge­heim

Publikation: Junge Freiheit 43/1994 vom 21.10.1994, S.14

Manche Leute sind so geheim, daß sie ihren eigenen Namen vergessen. So et­was kann in die Ho­se gehen, wenn man am En­de vergißt, auf wel­cher Seite man über­haupt steht. So eine ist die selbst­er­nannte antifaschistische Geheimagentin Fran­ziska Tenner. Jah­relang infiltrierte sie die NS-Szene, färbte sich die Haare und schnallte sich sogar zur Tarnung ei­nen "riesigen BH" um, den sie "mit Un­men­gen Watte" voll­stopfte. "Getarnt un­ter Nazi-Frauen heute", so der Un­tertitel ih­res Reisebe­richts ins rechte Grusel­land, heimste sie deren Le­bensbeichten ein, um diese zu veröffentli­chen. Eine perfekte Tarnung darf sich nicht auf Äußerlich­kei­ten beschränken. So hat die weibliche 007 "den Kontakt", zum Bei­spiel "zwischen Frank Hübner und mir" [Hübner: Chef der verbotenen Deutschen Alternative] "in den letzten beiden Jah­ren ziemlich gefestigt", na­türlich nur, um an einen autorisierten Text von dessen Ehe­frau Anka Hüb­ner zu kommen.

"Einmal Geheimdienst, immer Ge­heim­dienst", lautet eine alte Faustre­gel. Konnte die Autorin das Infiltrieren nicht lassen? Wie fest wurden ihre Kontakte zur NS-Szene tat­sächlich? Dem ehemals SED-ei­genen Aufbau-Verlag in Berlin fiel jeden­falls nicht auf, daß seine Nach­wuchs-Au­torin Tenner hauptsächlich NS-Ideologie transportiert, und zwar in so massiver Form, wie sie selbst recht­sex­treme Partei­verlage nicht zu drucken wa­gen würden. In ihrem soeben erschie­ne­nen Sam­melband "Ehre, Blut und Mutter­schaft" hat sie auf sage und schreibe 136 Seiten vier Aufsätze von offenba­ren Na­tio­nalsozialistInnen vor­ge­legt, die alles in sich haben, was das Herz eines Natio­nal­soziali­sten er­freut: Auf 34 Seiten darf da die 1912 geborene Dr.Ursula Schaffer er­zählen, wie eng sie da­zumal mit Frau Dr.Magda Goebbels zu­sam­mengearbeitet hat, warum es bei Adi so schön war, daß "Märchen sind", "was über die Lager er­zählt wird (aber das darf ich ja nicht laut sagen)", warum in Auschwitz niemand vergast worden sein könne und warum Russen primitive und sa­distische Men­schen sind. Anka Hüb­ner erklärt auf 33 Seiten, warum sie doch "nicht selber" von sich sagt: "Ich bin ein Nazi", wo sie sich doch "als nor­mal denkenden Men­schen be­zeich­nen" würde. Monika Ba­gin­ski plaudert auf 34 Textsei­ten aus der Schu­le, wenn ihr Molli am Asyl­be­wer­ber­heim in Lübbenau gezündet hätte, "dann wä­ren die eben alle abge­brannt." Ge­gen Ras­senmischung hat Moni­ka was: "Wenn ich einmal sehe, daß 'n Ne­ger anfängt, so'n Schuh­plattler zu tanzen, finde ich das wi­der­­lich." Bei Fransiska Tenner dürfen wir noch einmal in letzter Minute offen nachle­sen, was Monika übermor­gen ma­chen wird: "Die vie­len Parteiver­bote trei­ben uns in'n Un­tergrund. ... Wie sollen die uns dann zu greifen kriegen? Ei­ne Partei kannst'de grei­fen. Gegen die kannst'de was unter­nehmen. Aber wenn je­der ein­zeln läuft und je­der sein eigenes Ding macht, wie willst du die Leute dann kriegen?"

Von Lisa W., Ex-Gefährtin Mi­chael Kühnens, ist Fransiska Tenner wirklich be­geistert: eine richti­ge Emanze! Leider von der falschen, der rechten, Feldpost­num­mer. Oder doch nicht von der fal­schen? Die "interviewten Nazi-Frauen" werden es Franziska danken: Auf Kosten des Aufbau-Verla­ges hat sie ihnen gratis ein agitatori­sches Forum geschaffen, wie die es sich in ihren kleinen Zirkeln nie hätten träumen lassen können. Daß zwi­schen die NS-Auf­sätze jeweils ein paar Seiten eingestreut sind, auf denen Fran­ziska lau­nig erzählt, mit welch unwahr­scheinlichen Tricks sie die "Nazi-Frau­en" hat übertölpeln können, trübt nicht den Eindruck, daß hier je­mand ganz an­deres übertölpelt worden ist.

"Was passiert", sorgt sich Fran­ziska, "wenn die beteiligten Nazi­frauen nach der Veröffentli­chung die­ses Buches schwarz auf weiß sehen und erkennen können, wer ihnen wirk­lich gegenüber­ge­sessen hat"? Ih­re Adresse ist geheim, die Ruf­nummer hat sie schnell geändert. Ihre "Befürchtungen" hält sie für "nicht un­re­al". Gut getarnt! Doch was passiert, wenn ihre antifa­schisti­schen Freun­dIn­nen und der Aufbau-Verlag mer­ken, was da unter der roten Verpac­kung braun durch­schimmert? Viel­leicht doch nicht gut ge­nug getarnt?

Franziska Tenner, Ehre, Blut und Mutter­schaft, Aufbau-Verlag, Berlin, 1994, IS­BN 3-351-02427-4, 25 DM.