Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Nichts Neues von der Partei­en­diktatur

von Klaus Kunze

(Rezension des Buchs 'Parteiendiktatur' von Helmut Stubbe-da Luz, Publikation: Junge Freiheit 2/1995)

 

Was die "demokratischen" Parteien in ihrem Innern eigentlich zusammen­hält, hat mit Demo­kratie und Partizipation ih­rer Mit­glieder wenig zu tun, um­so mehr mit Ohn­macht der Basis gegen­über ihren Funk­tio­nären. Wer nur bei ARD und ZDF in der er­sten Reihe sitzt, merkt da­von zwar nichts, wohl aber jeder, der die Bühne be­tritt und ein Parteibuch erwirbt. Die einfa­chen Par­teimit­glieder stellen für die Partei­führer die selbe Ma­növriermas­se im Klei­nen dar wie das Wahlvolk im Großen. Wer diese Erfahrungen in einer Partei einmal selbst gemacht und darüber verzweifelt nach strukturellen Erklä­run­gen gesucht hat­te, durfte auf eine 100jährige Tradition so­zio­logi­scher Lite­ra­tur von Pareto und Mi­chels bis Scheuch und von Arnim zu­rück­grei­fen, denn so­lange das Phänomen de­mo­kra­tische Mas­senpartei existiert, gibt es die "Lü­ge von der innerparteili­chen De­mo­kra­tie". Von diesem Schlagwort als Un­tertitel neu­gie­rig gemacht auf weiteren Er­kennt­nis­zu­wachs greift der Leser zum Ullstein-Re­port-Paperback Parteien­diktatur des vor­maligen Ham­burger CDU-Rebellen Hel­­mut Stub­be-da Luz. Der Autor war be­kannt ge­worden als einer der erfolgrei­chen Klä­ger gegen die vom Staats­ge­richtshof für un­gültig erklärte Hambur­ger Bür­ger­schafts­wahl und als Gründer des Vereins "Demo­kra­tische Offenheit".

Das Buch bekräftigt erneut, was Er­win Scheuch 1992 in "Cliquen, Klün­gel und Karrie­ren" darge­stellt hat: die Herr­schaft von Seilschaf­ten in Parteien, den Po­sten­scha­cher, die Pfrün­denwirt­schaft und die gan­ze Arroganz der Par­tei­po­li­ti­ker nicht nur gegenüber dem Wähler, son­­dern be­reits gegen­über ihren nach­ge­ord­ne­ten "Par­tei­freun­den". Bereits Scheuchs Be­ob­ach­tun­gen des köl­schen Klün­gels von 1992 hatten nichts wesent­lich neues ge­bracht ge­gen­über Robert Mi­chels "So­zio­logie des Par­tei­­wesens in der moder­nen De­mokratie" von 1911 oder Edgar J. Jungs Dar­stel­lung der Par­teien und des Par­teienstaa­tes in sei­ner dick­leibigen "Herr­schaft der Min­der­wer­ti­gen" von 1930. So legt sich die vom Buchtitel Par­­tei­endiktatur geweckte Neu­­gierde schnell und weicht der Er­nüch­te­rung, daß 4/5 des Buchs nur für Hamburg be­stätigen, was wir von anderswo schon wis­sen.

Wußte Stubbe-da Luz all das noch nicht? Seine Ge­danken führen in eigen­arti­gem Zir­kel von nor­mativ-demokrati­schen Wünsch­barkeiten über die tat­säc­h­lich un­de­mokratische Par­teien­herr­schaft zu den frommen Wünschen nach demo­kra­tischer Offenheit zurück. Obwohl er oligarchi­sche Ge­setzmä­ßig­keiten theore­tisch ein­sieht, gibt es seiner Mei­nung nach of­fen­bar jen­seits der real exi­stieren­den noch eine wirk­li­­che, ideale De­mo­kra­tie. Er reibt sich an der Macht der Ap­pa­rate über die einzel­nen Par­­tei­mitglie­der und der Funk­tionäre über die Apparate und fragt erstaunt: "Was ist das für ein Sy­stem, in dem sich mit Er­folg nur solche Menschen zeitweise zu wi­der­set­­zen ver­mö­gen, die aus dem­selben Holz ge­­­schnitzt sind wie die Funk­tionäre?" Tat­säch­lich hat der Autor in 20 Jahren Mit­glied­schaft in mehreren Parteien überall die­­­selben de­sil­lusio­nierenden Er­fahrun­gen ge­­­­macht: Wer an der Macht der Par­tei­en und ih­rer Po­sten- und Pfründen­beute Anteil ha­­ben will, muß zu­nächst wer­den wie sie. Idea­listen wie Stub­be stehen sich da mit ih­ren Grund­sätzen eben­so selbst im Weg wie jene, die mit An­stän­­dig­keit einen Par­tei­po­sten nicht be­kommen können und ihn ohne An­ständig­keit nicht wollen.

Wir müßten uns die Parteien in einem lang­wierigen Prozeß an­eignen, meint Stub­be, als hätte er nicht eben auf 320 Druck­seiten bewiesen, daß ge­rade das nicht geht, denn Rückgrate und Ide­ale müssen auf dem Weg in die Partei­vor­­stände an der Garde­robe abgegeben wer­­­­den. Stubbe selbst schildert Erfahrun­gen, wie vormals demo­kratische Rebellen al­­len Reformeifer ableg­ten und mit den Wöl­­fen heulten, sobald sie an der Macht ge­­­schnuppert hat­ten. Mit großen, erstaun­ten Augen hatte der Autor am Anfang sei­ner Partei­tätigkei­ten vor dem gesch­lossenen Cli­quensystem innerer Füh­rungszirkel ge­stan­den, und mit genauso gro­ßen, er­staun­ten Augen klappt Leser sei­nes Bu­ches nach Lektüre den Deckel ohne tie­fere Einsichten in die Gesetzmä­ßigkei­ten des Parteienwe­sens wie­der zu.

Dieselben desillusionie­ren­den Erfahrun­gen hatte Ro­bert Mi­chels bereits in jahr­zehn­telan­ger Tätigkeit in der SPD ge­macht und sie auf immer­hin 500 Seiten 1911 ver­öf­fent­licht. Legt man Mi­chels empiri­sche Be­ob­achtun­gen der SPD der Jahrhun­dert­wen­de neben die Be­obach­tungen Scheuchs in der Kölner oder Stubbes in der Ham­burger CDU unse­rer Zeit, springen die Überein­stim­mungen sofort ins Auge. Mi­chels hatte daraus mit klarem Blick bis heute all­ge­mein­gültige sozio­logische Gesetzmä­ßig­kei­ten abgelei­tet: das eherne Gesetz der Oli­gar­chie, nach dem die Organi­sati­on die Mut­ter der Herr­schaft der Gewähl­ten über ih­re Wähler ist, der Be­auf­tragten über ihre Auf­traggeber, der Dele­gierten über die De­le­gie­renden. Jede einmal in Besitz der Macht­­mittel einer Partei ge­langte Gruppe wird diese festzu­halten trachten. Sind frühe­re demo­kratische Parteirebellen an ihr Ziel ge­langt, d.h. ist es ihnen ge­lun­gen, im Namen der verletz­ten Rechte der "Ba­sis" die selbstherrli­chen Vor­gänger zu stür­zen, so geht in ih­nen jene Umwand­lung vor, an de­ren Endpunkt sie den ent­thronten Funk­­tio­nä­ren so ähnlich werden wie ein Haar dem anderen.

Eben darum funktionieren Stubbes gut­ge­mein­te Vorschläge nicht, wir sollten uns die Parteien in einer Art demokrati­scher Un­terwanderungsstrate­gie aneig­nen. Wer hoch­­kommt, den eignet sich al­lenfalls die Partei an. Es kommt aufgrund oli­gar­chi­scher Gesetzmä­ßigkeiten nur hoch, wer wird, wie jene schon sind. Wie kann man, über 80 Jahre nach dem Klas­si­ker von Ro­bert Mi­chels, immer noch in er­staunt-des­il­lusionier­ter Pose verharren und naiv Demo­kratisierung der Parteien von innen for­dern? "Nichts deutet darauf hin, daß die Staats­­­parteien des Par­tei­en­staa­tes sich selbst de­mokratisie­ren könn­ten," gibt Stub­be offen zu, empfiehlt aber gleich­zeitig dem Leser den Weg in die Par­teien zwecks de­mo­kratischer Öffnung: ge­nau den Weg, an dessen En­de Stubbe selbst ge­schei­tert ist. Die Par­­teien sind die al­leinigen Trä­ger der Macht ihres Par­tei­enstaates. Sie werden nicht seine Grund­prin­zi­pien ändern und damit den Ast ab­sägen, auf dem sie sitzen.

Warum der Autor trotz besserer Ein­sicht noch die Illusion sy­stemimma­nenter Re­for­men hegt, blitzt in manchen Text­stell­en ver­­­rä­te­risch durch: Der Mann ist of­fenbar ra­­di­kaldemokrati­scher Fun­da­men­talist! Er belegt selbst empirisch, daß sein Ideal von Demokratie nicht mit der realen Par­teien­herr­schaft zur Deckung zu brin­gen ist. Aber schon der Versuch ist im gedankli­chen An­satz ver­fehlt: Oft man­gelnde be­griff­liche Klar­heit rächt sich und ver­wirrt den Autor so wie sei­nen Le­ser: Daß un­ser Re­­gierungssystem ein re­prä­sen­tativer Par­­la­mentarismus ist, weiß er, versteht es aber nicht in seinen Kon­sequenzen. Indem er zwi­schen dem Sy­­stem in diesem funk­tio­na­­len Sinn und sei­ner me­ta­physi­schen Le­gi­­timation als De­­mo­kratie nicht unterschei­det, verdun­kelt er den Un­ter­­schied der Aspekte: Der Par­la­men­ta­ris­mus als Regie­rungsform fußt eben nur idea­liter im de­mo­­kratischen Ge­danken. Er führt die De­mo­kra­tie in der Fahne, hatte aber nie den Ehr­geiz, Demo­kratie etwa als Regierungs­form zu ver­wirklichen. Das wä­re bekannter­ma­ßen utopisch. Da­­her ist es so müßig, dem Par­tei­enstaat vor­­zu­wer­­fen, daß er keine De­mo­kratie ist und daß es in sei­nen Partei­en kei­ne innere De­mo­kratie gibt - wie könn­te es auch?

Auch andere Rechtsbegriffe benutzt Stub­be, Dr. phil., journa­li­sti­sch, ohne ih­ren Sinn­gehalt zu er­fas­sen. So mißlingt die ana­­ly­tische Durch­drin­gung der Phä­no­me­ne, und am Ende erdrückt die Fülle seines eigenen Stoffs den Autor ohne we­sentlich neue Ein­sich­ten. Das Buch ist langweilig. Ein an­ek­­dotisches Sammel­surium kaum ge­ord­­ne­ten Stoffs er­schwert das Verste­hen, was denn ge­rade mit der einen oder an­de­ren Ge­­schich­te be­wiesen werden soll. Letzt­­­lich nähren die Vor­schläge Stubbes, wie ein plötzlicher Zu­strom de­mokrati­scher Rebel­len die Par­teien von unten durch­drin­gen und demo­kra­tisieren könn­te, die Il­lu­si­on ihrer De­mokratisierbar­keit. Von wo­her sollte ein solcher ideali­stischer Zustrom plötzlich in ei­nem Sy­stem kommen, das schon die Schul­kin­dern lehrt, daß jeder nur sich selbst der Näch­ste ist?

Helmut Stubbe-da Luz, Parteiendikta­tur - Die Lüge von der innerparteili­chen De­mokratie, Ullstein-Re­port, 29,90 DM, IS­BN 3 548 36637 9.