MORAL AUS DEN GENEN?
(Publikation: Junge Freiheit 2/1999)
Wer glaubt
noch wortwörtlich an die Schöpfungsgeschichte? Niemand außer Gläubigen
nimmt eine Religion ernst, die gesicherten naturwissenschaftlichen
Fak-ten widerspricht. Auch alle Philosophie und politische Theorie
muß schweigen, bevor die Naturwissenschaft gesprochen hat.
Freilich
wird es für Geisteswissenschaftler immer schwerer, auch nur das
sich exponentiell vergrößernde Basiswissen der Biologen zu überblicken.
Umso dankbarer nehmen wir jede "Übersetzung" genetischen Fachwissens
aus dem sonst staubtrockenen Wissenschaftsjargon auf. Mit Witz
und steten Seitenhieben auf ignorante Ideologen provoziert der
Biologe und Leiter des Konrad Lorenz Instituts für Evolutions-
und Kognitionsforschung in Altenberg, Adolf Heschl, in seiner
allgemeinverständlichen Schrift "Das intelligente Genom" (Heidelberg
1998, ISBN 3-540-64202-1). Als "Wissen" aus Sicht der evolutionären
Er-kenntnistheorie läßt Heschl nur angeborenes "Wissen" gelten
und widmet sein Buch pointiert seinen "beiden Söhnen, die mich
systematisch davon überzeugt ha-ben, daß ich ihnen nichts, aber
auch schon rein gar nichts beibringen kann." Heschl wagt, "was
bislang - so Eibl-Eibesfeldt immer noch recht hat - sich kein
Biologe je getraute, nämlich zu »... behaupten, der Mensch sei
zur Gänze vorprogrammiert.« Vorprogrammiert ist für den Laienleser
allerdings zunächst terminologisches Mißverständnis. Mit "nichts-Dazulernen-können"
meint Heschl nicht etwa ein Un-vermögen, seine Lateinvokabeln
zu lernen, und er will auch nicht behaupten, wir kämen mit deren
Wissen schon zur Welt.
Was der Einzelne aber niemals dazulernen
kann, ist Wissen im evolutionären Sinne. Wir kommen mit unserem
endgültigen Fundus an "kognitiver Information" zur Welt und besitzen
mit ihm im voraus "das gesamte Wissen darüber, was zu tun ist,
um ein bestimmtes Überlebensproblem lösen zu können. Kant hat
somit mit sei-ner scharfsichtigen Kritik der Möglichkei-ten der
Erfahrung schon in einem sehr biologischen Sinne recht gehabt,
denn oh-ne die von ihm postulierten apriorischen Vorbedingungen
des Erkennens" könnte niemand auch nur eine einzige Information
aus der Umwelt richtig verarbeiten. Nur eine genetische Mutation
kann einen "echten Erkenntnisfortschritt" mit sich bringen. Individuelles
All-tags"lernen" ist hingegen "nichts anderes als eine gerichtete
und gesetzmäßig bis in alle Details durchstrukturierte Problemlösungsstrategie.
Lernen ist somit nur der Ausdruck von bereits vorhandener biolo-gischer,
d.h. evolutionsgeprüfter Informa-tion." Die lange umstrittene
Streitfrage, welchen Anteil die Gene an der Persönlichkeit haben
und welchen die Umwelt, hält Heschl für obsolet: Alle Verhaltensstrategien
und Fähigkeiten sind vollständig erblich, doch bezieht sich diese
Erblichkeit nicht auf einen vorherbestimmten Zu-stand, sondern
auf die Art und Weise der Interaktion mit der Umwelt. Bei der
"Dro-sophila, der Lieblingsfliege aller modernen Verhaltensgenetiker,
konnte erstmals ein Gen für bestimmte Lern- und Gedächtnisfähigkeiten
identifiziert werden, somit also mit einem Schlag die Antino-mie
von Gen versus Umwelt endgültig auf den Schrotthaufen überholter
Konzepte verbannt werden."
Die gesamte Informa-tion, wie ein Organismus
in der Umwelt bestehen kann, ist genetisch in ihm verankert, und
das Milieu kann dazu "absolut nichts" beisteuern. Doch nicht nur
Lernfähigkeit - vulgo In-telligenz - ist genetisch determiniert,
Heschl besorgt es allen Idealisten knüppeldick: Unsere Moralvorstellungen,
ja selbst ideologische Positionen seien bloß sublimierter Ausdruck
genetischer Konkurrenz. Die staatlichen Gesetze hemmen zwar noch
den Wissensfortschritt bei der Entschlüsselung menschlicher Gene,
doch funktionieren diese im Prinzip nicht an-ders als tierische.
Bei Mäusen etwa sind bereits die Genkombinationen entschlüsselt,
die das Einzeltier mehr oder weniger ängstlich werden lassen.
Das menschliche Genom, prophezeit Heschl, wird über kurz oder
lang restlos entschlüsselt werden und mit ihm die umfassende Prädisposition,
wie der Einzelne mit seiner Umwelt inter-agiert. Was im Bewußtsein
als "Idee" wie "Friedfertigkeit" erscheine, beruht tatsächlich
auf nichts anderem als eben zum Beispiel auf genetisch prädisponierter
besonderer Ängstlichkeit.
So bilden Gene die Basis unserer Vorstellungen:
"Der Frieden" wäre somit primär ein genetisch programmiertes Bedürfnis
und nur sekundär ein moralisches Ideal. Die Moral beruht - Heschl
zufolge - auf unseren Ge-nen. Wer sich stärker vermehrt als seine
Mitmenschen, hat einen Selektionsvorteil - und mit ihm seine "Moral":
"Die ganze Sache beginnt im Falle der menschlichen Kultur da noch
interessanter zu werden, wo die Verteidiger einer bestimmten Idee
durch ihre gesellschaftliche Kooperation unter Umständen zu beträchtlichen
selektiven Vorteilen gegenüber anderen ideologischen Gruppierungen
gelangen." Hier treffen "handfeste miteinander in Konkurrenz stehende
soziale Interessen aufeinander, die in letzter Konsequenz immer
auch mit biologischen Interessen assoziiert sind. *...* Was allerdings
um ei-niges schwerer zu beobachten sein wird und dennoch im Laufe
der Zeit und der Generationen mit Notwendigkeit zu subti-len Veränderungen
der genetischen Land-schaft führen muß, ist nicht dieser allge-genwärtige
und permanente Wettstreit zwischen irgendwelchen ätherischen Ideen
selbst, sondern zwischen den Trä-gern dieser Ideen." - Müssen
demnach die überlebenden Genträger im Durchschnitt auch ideologisch
"friedfertiger" sein nach einem genetischen Aderlaß, in dem mil-lionen
Mutige kriegerischer Selektion zum Opfer fielen? -
Doch wo bleibt
die menschliche Entscheidungsfreiheit bei so viel genetischer
De-termination? Heschl beruhigt uns: Wenn auch "unser gesamtes
moralisches wie auch kognitives Verhalten evolutiv durch Mutation
und Selektion entstanden ist und somit in unseren Genen verankert
ist", ge-hört zu unserem Verhaltensrepertoire auch die freie Entscheidung
gegen die an-gestammte Moral. Es sind nämlich durch-aus "beide
Fähigkeiten, also sowohl das Aufstellen eines hohen ethischen
Gebots wie auch das situationsbedingte Durchbrechen eben desselben,
in verschiedensten Varianten in unseren Genen angelegt." Wir können
darum den Forschungsergebnissen der Genetik, der Soziobiologie
und der Hirnforschung zwar glauben, welche Gehirnregionen bei
welchen Ge-fühlen aktiv sind, welche zwischenmenschlichen Situationen
sie auslösen und warum ein genetischer Code für moralanaloge Handlungen
der Arterhaltung dient. Daß aus diesem empirischen Sein ein normatives
Sollen folge, sagt uns die Biologie aber ausdrücklich nicht. Es
bleibt eine "irrige Vorstellung, *...* man könnte irgend etwas
normativ Verbindliches aus der Biologie ableiten." Sie erklärt
uns nicht zu genetisch determinierten Sklaven unserer "Moralgene"
und nimmt uns we-der die Last der freien Entscheidung ab noch
die Lust auf diese Freiheit.