(Publikation: Junge Freiheit
3/1996)
Bebrillte
Greise beugen sich über Terrarien mit wimmelnden Käferlarven.
Ein siebzehnjähriger Schüler verhandelt mit einem Regierungsrat
über den Preis eines tropischen Falters. Insektenbörse! Dort
folgt der Kameramann eines Senders Ernst Jünger, dem stolzen Besitzer
einer der größten privaten Käfersammlungen. Dicht an dicht drängen
sich die Besucher um Stände mit präparierten Insekten. Der Saal
summt von Stimmen wie ein Bienenstock. Basarstimmung kommt auf.
Ein
Jahr später: 18.November 1995 - Insektenbörse in München. Stämmige
Zollbeamte schieben sich durch die Menge. Ein Tscheche wird in
Handschellen vom Zoll abgeführt. Seine angebotenen Schmetterlingspuppen
werden beschlagnahmt. Der Zoll ist auch für Artenschutz zuständig.
Einheimische Falter hat der Tscheche in rauhen Mengen nachgezüchtet
und hält sie für wenig Geld feil. Weibchen legen bis zu ein paar
hundert Eiern. In der Natur kommen nur wenige durch. Bei guter
Zucht lassen sich aus Eiern bedrohter Insektenarten in wenigen
Generationen tausende Tiere züchten und auswildern - oder verkaufen.
Keine Okö-Medaille bekommt aber unser Tscheche, sondern ihm
widerfährt ein "Artenschutz"-Recht, das an Kurzsichtigkeit
seinesgleichen sucht.
Seit
1989 stehen die meisten einheimischen Schmetterlinge unter
fast totalem Fang-, Zucht- und Sammelverbot. Doch nicht der kleine
Junge mit dem Schmetterlingsnetz bedroht ihre Bestände. Die
Insekten mögliche exorbitante Vermehrungsrate läßt sie in
kürzester Frist alle ihnen zugänglichen Lebensräume bevölkern.
Falter gehen nur zurück, wo ihnen menschliche Eingriffe ihre
Nahrungsgrundlagen zerstören. Artenschutz ist Heuchelei
oder Dummenfang, solange die indonesische Regierung auf Borneo
1 Million Quadratmeter Urwald für Reisfelder roden will, während
der Zoll einzelne gefangene Urwaldschmetterlinge beschlagnahmt.
Jeder
Bauer darf ganz legal Gift spritzen was das Zeug hält und dabei
Hunderte von Tagfalterraupen am Wegrand vergiften. Wenn aber
ein Schüler mit einer Büchse kommt, die Raupen vor der Spritze
wegsammelt, zuhause züchtet und die Falter fliegen läßt, erlaubt
das Gesetz Haussuchungen, Beschlagnahme und seine Bestrafung.
Insekten sind aber keine Pandas! Das Fangen einzelner Tiere
kann keinen Bestand gefährden. Nur durch Fangen, Sammeln, Weiterzucht
und exaktes Beobachten lassen sich die Entwicklungsstadien
eines Schmetterlings mit ihren spezifischen Umweltansprüchen
erforschen. Für die meisten unserer gefährdeten Arten stecken
solche Forschungen noch in den Kinderschuhen.
Da
gibt es etwa im Fränkischen Jura die letzten Apollofalter. Ihre
Raupen schlüpfen zeitig im Frühjahr, wenn noch der letzte Schnee
auf ihren Futterpflanzen hinschmilzt: der weißen Fetthenne. Andere
Pflanzen mögen sie nicht, lieber verhungern sie. Die Fetthenne
kennt jeder als nur fingerlange Steingartenstaude. Auf den
felsigen Jurahöhen wuchs sie massenhaft wild, solange Schafe
die Hügel beweideten. Die dummen Schafe gingen, und schlaue
Naturschützer kamen. Sie überließen die Hügel "der Natur",
und Büsche schossen empor. Unter deren Schatten kamen magere
Zeiten für die Fetthenne, und mit ihr verschwanden die Apollofalter.
Wo exakte Kenntnisse der Gründe des Artenschwundes sich mit konsequenter
Biotoppflege verbinden, werden die Falter so schnell wiederkommen,
wie sie verschwunden sind. In Norddeutschland wurden auf Bio-Höfen
Hunderte von Raupen des Schwalbenschwanzes auf Schirmblütlern
beobachtet. Es ist noch nicht zu spät. Insektenforschung wird
heute kaum noch museal betrieben. Wenige Profis und Hunderte
von Hobbysammlern züchten und beobachten eifrig. Sie sind aber
zu wenige. Während uns manche Arten unter den Händen weg aussterben,
verbietet das Gesetz den wenigen begeisterten Liebhabern, sich
praktisch mit einheimischen Faltern zu befassen. Über die Schmetterlingswelt
Kleinasiens gibt es darum schon mehr Literatur als über unsere
eigene.
10.Dezember
1995 - Insektenbörse in Berlin. Gerüchte schwirren durch den
Saal. Die obere Naturschutzbehörde soll sich angesagt haben.
Nervös versteckt ein Herr aus Braunschweig einen Sammelkasten
mit Labkrautschwärmern unter dem Tisch. Er hatte vor 10 Jahren
Dutzende aus einem Gelege gezüchtet. Der neunjährige Robert
ist mit seinem Vater aus Südniedersachsen angereist. Die wissenschaftlichen
Falternamen gehen ihm schon fließend über die Lippen. Einen
präparierten Windenschwärmer will er vertauschen. Mit 11 Geschwistern
kam der im Herbst als winziges grünes Eikügelchen im Brief,
fraß sich als Raupe fett und wechselt als Doublette den Besitzer
gegen einen nachgezüchteten Atlasspinner aus Asien. Nach den
Worten des Leiters der Entomologischen Abteilung eines großen
deutschen Zoos - wir wollen ihn hier Dr.Wald nennen - stehen
"wir alle" mit einem Bein im Gefängnis.
Robert
kümmert das noch nicht. Doch bevor seine kindliche Freude wissenschaftlichen
Wert gewinnen wird, wird ihm die Liebe zu den zartesten und schönsten
Tieren vergällt und verleidet werden. Auf den Flügeln der Tagpfauenaugen
in ihren Glassärgen glänzen die der Sage nach auf Pfauenfedern
gehefteten Augen des getöteten Argus, der vergeblich die Io
vor dem lüsternen Zeus bewachte. Die Argusaugen der Behörden
blieben heute geschlossen.