Klonen: Über den dehnbaren Gebrauch des inflationären Begriffs Menschenwürde
(Publikation: Junge Freiheit 4/2001)
Was
hat eine Lilienblüte mit einem Menschen-Einzeller im Genlabor
und BSE-Prionen im Rinderhirn gemeinsam? - Nach Überzeugung
aller Metaphysiker ist es eine "Ausstrahlung". Baldur
Springmann hielt mir 1999 in dieser Zeitung entgegen, von der
"metaphysischen Ausstrahlung einer Lilienblüte" nichts
zu verstehen. Tatsächlich gibt es Liebhaber esoterischer Ausstrahlungen
wie auch solche Menschen, für die Blüten nur ästhetische Bedeutung
besitzen und Rinder allenfalls kulinarische. Wo der eine Heiligenscheine
zu sehen glaubt, wittert der andere nur heiligen Schein. Für solche
Ungläubigen ist einer der über fünf Milliarden Menschen so profan
wie ein Zellkultur unter dem Mikroskop, aus der sich einmal
ein Mensch entwickeln könnte, vielleicht aber nur ein Ersatzorgan
für einen Todkranken.
Tony
Blair und Gerhard Schröder scheinen nüchtern denkende Politiker
und keine esoterischen Träumer zu sein: Der eine brachte erstmals
eine Lizenz zum Klonen durch sein englisches Parlament - der Zukunftsmärkte
wegen -, und sein deutscher Kollege zeigte sofort denselben Pragmatismus.
Freilich hat er in Deutschland gegen den Widerstand der hier traditionell
starken Ideologen anzukämpfen. Während die westliche Wertegemeinschaft
in Holland die Euthanasie und in England das Klonen freigibt,
ist man hier von britischem Pragmatismus und holländischer Liberalität
weit entfernt, denn Deutsche müssen aus allem eine Grundsatzfrage
machen.
Nicht
westlich-weltliberal, sondern östlich-kontinental geht Deutschland
seinen Sonderweg. Als etwas zurückgebliebene Hilfsschüler der
Aufklärung glauben viele deutsche Intellektuelle noch an die Realität
platonischer Ideen, die angeblich in einer tranzendenten Sphäre
jenseits des Himmels schweben, statt mit den Engländern Ockham und Hobbes und den Holländern Erasmus
und Spinoza durchzublicken: Was unter Menschen als Recht und
Unrecht gilt, ist Ansichtssache, es beruht auf Konventionen und
letztlich auf gesetzgeberische Anordnung. Deutsche Frauen fuhren
vor der Änderung des Paragraphen 218 jahrelang nach Holland zur
Abtreibung: Werden deutsche Schwerkranke dereinst nach England
reisen müssen, um sich dort eine Ersatzniere klonen und einsetzen
zu lassen? Werden sie danach in Deutschland eingesperrt als Anstifter
oder Mittäter strafbaren "Menschenklonens"? Wenn
damals "Mein Bauch gehört mir" galt, soll künftig noch
nicht einmal eine meiner einzelnen Zellen mir gehören?
Niemals
werden gläubige Christen einverstanden sein können, werdendes
Leben im Mutterleib zu töten. "Du sollst nicht töten"
ist deutlich genug. Gemeint ist aber nur: nicht Menschen töten.
Daß der alttestamentarische Gott das Schlachten von Tieren verbieten
wollte, behauptete Moses nicht, und daß er an geklonte Nieren
dachte, wäre wohl zu viel Spekulation. Auch kein Christ kann ernsthaft
zu wissen behaupten, wie sein Gott über Gentechnik denkt.
Um
derlei theologischer oder moralischer Priesterherrschaft zu entgehen,
haben wir einen säkularen Staat, der uns kraft demokratischer
Legitimation sagt, was verboten und was erlaubt ist. Um demokratisch
legitimiert zu sein, muß eine staatliche Entscheidung auf freier,
öffentlicher Diskussion beruhen, ohne Tabus und Beschränkung auf
das politisch als korrekt Erlaubte. Das Volk herrscht souverän
über seine Gesetze, die es sich gibt. Die Macht des demokratischen
Rechtsstaates bricht sich erst bei der Gewissensfreiheit des Einzelnen:
Wie schon Hobbes wußte, muß kein Bürger an die Gesetze glauben,
wenn er sie nur beachtet. Das "im Bewußtsein seiner Verantwortung
vor Gott und den Menschen" - so lautet die gesetzliche Präambel
- gemachte Grundgesetz verpflichtet niemanden, vor dem Thron
anzubeten, auf den Priester Gott setzten und andere Ideologen
den Menschen an sich. Wo immer staatliche Gesetze auf letztlich
religiösem Glauben beruhen, muß sich jeder an den Gesetzesbefehl
halten, aber niemand seine moralischen Implikationen glauben.
So
muß auch niemand vor der metaphysischen Ausstrahlung seines Nierenklons
in Ehrfurcht erstarren oder einem menschlichen Einzeller auf einem
Objektträger Menschenwürde beimessen. Der inflationäre Gebrauch
dieses Wortes verdunkelt seinen Sinn: Der Staat darf keiner Person
ihre Würde nehmen, darum geht es. Die "unveräußerliche Menschenwürde"
hindert aber niemanden, sich nach übermäßigem Alkoholkonsum unwürdig
zu übergeben, und sie hindert nicht an der Züchtung einer Ersatzniere.
Aus
böser historischer Erfahrung wollen wir keine staatlichen Eingriffe
in die menschliche Persönlichkeit: keine Folter, keine Gehirnwäsche,
keine Umerziehungslager. Und uns als Privatleute soll der Staat
doch gerade wegen unserer Menschenwürde unseren Willen lassen:
Wenn wir uns eine Ersatzniere kleinen, weil wir sonst sterben;
wenn wir vor Schmerz und Verzweifelung sterben möchten und um
Hilfe bitten; ja sogar, wenn wir politisch unkorrekte Musik hören
oder uns nicht vorschreiben lassen wollen, wen wir lieben und
nicht hassen dürfen.
Der
staatliche Schutz von "Menschenwürde" kann nicht sinnvoll
biologisch definiert werden. Ein hirnloses Zellklümpchen ist
kein Jemand, keine schützenswerte Person, anders als ein kleines
Menschlein im Mutterleib, das vielleicht schon fühlt und denkt.
Nicht biologistisch auf die menschliche Herkunft einer Zelle
kommt es an, sondern auf das personale Bewußtsein. Während Ideologen
rätseln, ob die Klon-Niere gegen die Menschenwürde verstößt, wächst
eine Generation junger Leute heran, für die künstliche Intelligenz
oder Implantierung des menschlichen Bewußtseins in Cyberwelten
so greifbar nahe sind, wie es Jugendlichen vor vierzig Jahren
die Mondlandung war. Wissenschaftler spekulieren in der FAZ darüber,
wie viele Jahr es (nur) noch dauern wird, bis wir das gesamte
menschliche Ich-Bewußtsein wie beim Kopieren einer Datei auf einen
Datenträger überspielen können.
In
einem Science-Fiction-Roma des Amerikaners Poul Anderson (Foto
hier) von
1993 schickte man solche Bewußtseinskopien in Robotkörpern auf
die lange Reise nach Alpha Centauri. Der legendäre Isaac Asimov
erfand nicht nur die drei Robotergesetze, sondern erkannte klar:
Schützenswert ist die Intelligenz an sich, ist jedes bewußte Ich,
sei es menschlich, sei es künstlich, sei es gänzlich andersartig.
Zukunftsweisend ist Respekt vor jedem physisch wirklich vorhanden,
denkenden Anderen, während Scholastiker weiter von der metaphysischen
Ausstrahlung von Bienchen und Blümchen schwadronieren mögen. Philosophen,
Ethiker und Juristen sind aufgefordert, die Probleme des dritten
und nicht die aus den Tiefen des zweiten Jahrtausends anzudenken
und zu lösen.
Der
Rinderwahn kam vom Menschenwahn. Der Mensch in seinem Wahn ist
nach Friedrich Schiller der "schrecklichste der Schrecken",
und angesichts eines abgeheuschreckten Erdballs mit Milliarden
potentiellen Umweltschädigungen werden die Lösungen der Zukunft
pragmatische Lösungen sein. Noch kein Respekt vor Göttern, Lilienblüten
oder humanitaristischen Schimären hat jemals Menschen davon abgehalten,
ihre Existenz zu schützen. Zwischen den Imperativen knapper Ressourcen
und gierigen Großkapitals wird es Mühe genug kosten, ethische
Standards dagegen zu bewahren, was Konrad Lorenz als Verhausschweinung
das Menschen bezeichnete. Diese Standards werden an Realitäten
anzuknüpfen haben und nicht an ideologische Hirngespinste.