(Publikation: Junge Freiheit
4/1994)
"Lediglich
Präsidialsysteme wie die der USA und die diesem nachgebildeten,
in denen das Parlament die vom Präsidenten berufene Regierung
von Rechts wegen weder zu bestätigen hat noch zu stürzen befugt
ist, entsprechen einigermaßen dem Bild einer gewaltenteilenden
Demokratie, so wie es sich bei unvoreingenommener und historisch
unbelasteter Kombination von Demokratie und Gewaltenteilung
empfiehlt."
Diese Worte Roman Herzogs konnte eine ganze
Generation von Jurastudenten im bedeutendsten Grundgesetzkommentar,
dem Maunz-Dürig-Herzog, nachlesen. Überall dort kann, Herzog zufolge, von einer wirklich
reinen Durchführung gewaltenteilender Demokratie keine Rede
sein, wo die auf dem Boden des konstitutionellen Verfassungssystems
erwachsene Idee des parlamentarischen Regierungssystems in
die demokratische Epoche hinübergeschleppt wurde. Mit diesen Worten von 1980 erweist Herzog sich 1994 voll
am Puls der Zeit. Welche Ironie der Geschichte, sich ausgerechnet
einen der Hauptbefürworter der präsidialen Regierungsform
als Bundespräsidenten Deutschlands vorzustellen!
Eine von
ihm eingesetzte Verfassungskommission zur Renovierung des Grundgesetzes hätte vielleicht keine Stärkung
des Parteienstaats erbracht wie die derzeitige unter Rupert
Scholz als eingefleischtem Anhänger des strengen Repräsentativprinzips.
Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Sollte Herzog das Rennen
machen, werden wir gespannt sein dürfen.
Sollte
er sein Amt in der von ihm selbst aufgezeigten Richtung nutzen,
stünden ihm jedenfalls namhafte Mitstreiter zur Seite: Wo immer
weitsichtige Kritiker nicht ihre persönliche oder die Macht
ihrer Partei gerade auf das Fortbestehen des Parteienstaates
gründen, sehen sie als Ausweg aus dem allgemeinen Sumpf von Korruption
und Cliquenwirtschaft vornehmlich die direkte Volkswahl eines
Repräsentanten des Gemeinwohls. Von Weizsäcker orakelte erst
nur vorsichtig, das überparteiliche Element, der Staat, müsse
nachhaltig gestärkt werden (Gesprächsbuch S.142). Auf direkte
Nachfrage, ob der Präsident volksgewählt werden solle, wich er
als derzeitiger Amtsinhaber zwar verschämt aus, fand aber nur
ein Sätzlein contra und gleich seitenweise pro (S.160-163). Populäre Schützenhilfe
könnte Herzog auch von den derzeit bekanntesten Parteienkritikern
Hans Herbert von Arnim und Erwin Scheuch erhalten: Wenn Scheuch
auch für das "äußerst reformbedürftige Parteiensystem"
erst Volkswahl der Oberbürgermeister der Städte und Arnim weitergehend
Volkswahl der Ministerpräsidenten fordert, liegt die Volkswahl
des Bundespräsidenten doch in der logischen Konsequenz. Als
in einer zweiten Amtszeit volksgewählter Bundespräsident brauchte
sich Herzog auch nicht nachsagen zu lassen, "Kohl und Waigel"
hätten sich auf ihn "geeinigt", was Spöttern Anlaß
zu der hämischen Frage gab, wer eigentlich Souverän sei und damit
das Staatsoberhaupt zu bestimmen habe: das Volk oder auserwählte
Parteioligarchen.
Als
Bundespräsident hätte Herzog nach eigenem Amtsverständnis herauszuarbeiten,
was den politischen und sozialen Gruppierungen in unserem
Lande gemeinsam ist. Exotische Randgruppen waren noch nie
sein Fall: Bevor er 1983 im Kollektiv des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts
untertauchte, fiel der gebürtige Bayer 1980 als Innenminister
von Baden-Württemberg durch sein Streben nach klaren Linien
in der Sicherheits- und Rechtspolitik auf. Rechtsstaatliche
Grundsätze müßten "mit der nötigen Härte und Zweifellosigkeit"
durchgesetzt werden. Teilnehmern an ungenehmigten Demonstrationen
erlegte er Demonstrationsstrafgebühren auf.
"Die
Menschen erwarten Autorität", erklärte Herzog unlängst
dem FOCUS. Herzogs Name steht damit nicht nur für die Hoffnung
auf eine dem Recht verpflichtete Amtsführung, sondern darüber
hinaus auf geistige Führung des Ganzen in einer Zeit zunehmender
Desintegration seiner Teile. Sollte der Vertrauensschwund des
Volkes in seine Parteipolitiker italienische Ausmaße annehmen,
würde zweifellos eine Mehrheit dem Bundespräsidenten folgen,
wenn dieser "an den Parteien und Parlamenten vorbei"
(Arnim) zu einer notwendigen Reform der Verfassung an Haupt
und Gliedern aufriefe. |