Perry
Rhodan von den Fans gejagt
Die galaktischen
Helden sind müde
(Publikation: Junge Freiheit
5/93 vom 1.5.1993)
„Sie
kamen aus den Tiefen der Galaxis - nie hatte man mit ihnen gerechnet",
begann 1961 Heft
1 der ältesten Science-Fiction-Serie der Welt. In damals ferner
Zukunft -1971!- hatte ein auf dem Mond gelandeter irdischer Astronaut
namens Perry
Rhodan einen notgelandeten außerirdischen Sternenkreuzer gefunden
und dessen Herren um ihre interstellare Technik beerbt. Von nun
an ging es im All ebenso steil aufwärts wie mit den Verkaufszahlen,
und inzwischen sind 1650 der wöchentlichen Fortsetzungsromane
erschienen und schildern eine fiktive Zukunft bis zuletzt ins
Jahr 4788, deren nähere Betrachtung allerdings mehr Aufschlüsse
über die Gegenwart als über nebelhaft ferne Galaxien bietet.
Zu
keinem Zeipunkt nämlich konnte die in 32 Erdenjahren entwickelte
Sternenzukunft ihre erdgebundene Herkunft verleugnen: Deutschland.
Und mit ihren wechselnden Autoren und Lesern machte sie manche
zeitgebundene Modeerscheinung mit, so daß der Blick in die Zukunft
eher zum Spiegelbild wird, zu einer Selbsterkenntnis, zu der unfähig
ist, wer dem Zeitgeist unterliegt, auch wenn er sich in ferner
Zukunft wähnt.
Das
Konzept der Erfinder der Serie Karl Herbert Scheer und Walter
Ernsting (alias Clark Darlton, was sich Anfang der 60er so schön
amerikanisch anhörte, † 2005) hatte ein reines Unterhaltungs-
und Abenteuerepos im Weltraum vorgesehen. Die Autoren gehörten
der Weltkriegs-Generation an und wußten noch, daß man feste die
Hacken zusammenknallen muß, wenn der Raumschiffs-Kommandant die
Zentrale betritt, und daß man in Deckung gehen und den Kopf einziehen
muß, wenn scharf geschossen wird.
Jahrelang
durften die Helden tapfer sein, die Schufte schuftig, die Monster
monströs und die Roboter gefühllos-kalt. Sehr bald schälten sich
aber aus dem galaktischen Pulverdampf gleichbleibende Handlungsmuster
heraus, ein Weltbild nahm Konturen an: Nicht nur "wild verwegen
und niemals aufgebend" ist ein echter "Terraner",
er ist auch "klug, zurückhaltend und kühl berechnend".
In dem harten Kämpfer" und "zielbewußten Politiker"
lebt der "immer humorvolle, jungenhafte Lausbub".
Ihn
zeichnen "hohe Intelligenz aus, Mutterwitz und Schlagfertigkeit".
Zur Waffe greift er nur, wenn er angegriffen wird, dann raucht's
aber gleich ziemlich heftig. Selbst quallige Außerirdische mit
grünen Stielaugen beurteilt er auf keinen Fall nach ihrem Äußeren,
sondern nur nach ihren geistigen Werten.
Die
Autoren und - wie der schnelle Erfolg bewies - auch die Leser
der sechziger Jahre verbanden die Faszination der technischen
Utopie, nervenkitzelnden Draufgängertums, jugendlicher, bedenkenloser
Abenteuerlust und hemmungslosen Fortschrittsglaubens mit der Sehnsucht,
sich persönlich mit einem übergeordneten sinnstiftenden Ganzen
zu identifizieren.
An
solchen Identifikationsmöglichkeiten mangelte es im Deutschland
des Jahres 1961, als die Serie startete und die Mauer gebaut wurde.
Während das reale Reich der Deutschen untergegangen war, baute
die Phantasie zehntausender Leser ein utopisches Sternenreich
und flüchtete sich allwöchentlich in seine transzendente Ortlosigkeit.
Was die Autoren da schufen und ihre Leser bald süchtig verschlangen,
war nicht ein Reich, es war das Reich überhaupt im Sinne der urtümlichen
deutschen Reichsromantik, wenngleich die meist jungen Rhodan-Fans
das mangels historischer Detailkenntnis entschieden bestritten
hätten. Das Sacrum Romanum Imperium der Zukunft hieß Solares Imperium
und hatte mit dem mittelalterlichen Reich der Deutschen mehr
als nur den Namen "Imperium" gemeinsam. Wie ständig
Dialoge und breit dargestellte Gedankengänge der Romanhelden beweisen,
erfüllte das Zukunftsreich alle Funktionen seines historischen
Vorgängers in so reiner Form, wie es ein Reichsromantiker des
19. Jahrhunderts sich nicht schöner hätte träumen können. Perry
Rhodan, der Barbarossa des Sternenzeitalters, und die Tafelrunde
seiner Getreuen befriedete die am Rande des Atomkrieges stehende
Menschheit in wenigen Monaten und brachte ihr die staatliche Einheit,
die gegenüber dräuenden interstellaren Feindmächten auch höchst
nötig war; schirmte das Gute vor dem Bösen und herrschte gerecht
über seine Untertanen, gleich welcher Hautfarbe oder Rasse sie
waren. Um die Perfektion des modernen Artus auf die Spitze zu
treiben, wurde er sogar (jahrtausendelang!) immer wieder demokratisch
gewählt.
Das
reichische Modell wirkte jahrelang stark, und so durfte das Solare
Imperium bald das Sonnensystem umfassen, dann wuchs es zu einem
richtigen kleinen Sternenreich mit 1000 besiedelten Kolonialplaneten,
schließlich wurde gar die ganze Galaxis "befriedet",
und unzählige nichtmenschliche Arten durften sich unter den Schutz
des Reichs begeben.
Zwischendurch
hatte es freilich mancher Raumschlacht mit außerirdischen Feindmächten
bedurft, die aber zur Überraschung des Lesers nicht unbedingt
schleimige Tentakelmonster sein müssen, nicht wirtschaftliche
Konkurrenten und schon gar nicht moralisch böse: Sie repräsentieren
aber stets das existentiell Andersartige, das Fremde an sich,
so daß im extremen Fall Konflikte mit ihnen möglich sind, die
durch Schiedsrichtersprüche oder vernünftiges Handeln nicht auszuräumen
sind. So erfand man die Druuf, eigentlich gutmütige Burschen mit
Kulleraugen, deren Universum sich mit unserem "überlappt"
und einer langsameren Zeitebene angehört, wodurch es zu schicksalhaft-tragischen
Konflikten kommt. Oder den "Robotregenten von Arkon",
einen gewaltigen Computer auf dem Heimatplaneten der "Arkoniden",
Erbauer des 1971 auf dem Mond erbeuteten Raumschiffs, die schläfrig-dekadent
vor ihren Fiktiv-Bildschirmen und Videospielen hocken, so daß
der Computer einem Notprogramm gehorchend, die Macht an sich reißen
und sie vor ihrer eigenen Dummheit schützen mußte; vornehmlich,
seiner Roboterlogik folgend, durch brutale Eroberung anderer Völker
durch robotergesteuerte Raumschiffsflotten.
Terraner
fügen sich aber nicht gern, wenn ihnen die Freiheit genommen werden
soll, ihrer Art gemäß zu leben, und die "Pax robotica"
war nicht ihr Fall. Feind ist nach der "Erfahrung von Jahrtausenden"
der Perry-Rhodan-Zukunft, wer meine eigene, seinsmäßige Art zu
leben negiert, so daß mir nur noch der Kampf um meine Art Existenz
oder meine völlige Selbstaufgabe bleibt. Der Krieg gegen einen
solchen Feind hat keinen normativen, sondern nur einen existenziellen
Sinn. Es gibt keine im ganzen Universum gültigen moralischen oder
sonstigen Normen. Der Extraterrestrier muß, so fremdartig und
unverstehbar er in seinem Innersten bleiben mag - als solcher
repektiert bleiben, und
es wäre ein törichtes und eitles Unterfangen, ihn mit unseren
erdgebundenen Maßstäben Mores lehren zu wollen. Bringt seine
seinsmäßige Art zu leben aber mit sich, daß ich meine aufgeben
müßte, darf ich mich mit allen Kräften wehren. Schlimmstensfalls
vernichte ich ihn dabei - böse sein muß ich ihm deshalb noch lange
nicht.
Kein
Wunder, daß das linksintellektuelle Deutschland bald die Nase
rümpfte und die Serie in Bausch und Bogen als faschistoid verdammte.
Die Zeiten änderten sich aber, und die Zukunft paßte sich einer
veränderten Gegenwart an. Das solare Imperium überstand die "1968er
und den Bonner Wechsel zur sozial-liberalen Koalition nur um wenige
Kalenderjahre, und wer ein Heft von 1975 aufschlägt, findet eine
in alle Teile des Kosmos versprengte Menschheit ums Überleben
in den Abgründen von Zeit und Raum kämpfen. Unmerklich änderte
sich das vermittelte Menschenbild: Die Helden legten die "lindgrünen
Uniformen der Solaren Raumflotte" ab und trugen Zivil, die
militärischen Ränge verschwanden, man duzte sich föhlich. Die
"Ultraschlachtschiffe" wurden abgewrackt, die Schlachtflotten
eingemottet. Zeitweilig müde quälte sich die Handlung dahin, und
ein wohl biologisch unsterblicher, aber vergreist und beamtenhaft
wirkender Titelheld kämpfte eher gegen seine Gewissensbisse als
gegen den "Feind", wenn er einmal schießen mußte. Da
die Serie erfolgreich blieb, darf man sich die jungen Leser als
geistige Ebenbilder ihrer gewendeten Idole vorstellen. Während
ihre Vorgänger der 60er Jahre ihren ungetrübten Spaß daran hatten,
wenn Gucky, ein telekinetisch begabtes Pelz-Knuddeltier, Bösewichter
mit Geisteskräften Luftsaltos drehen ließ, und erleichtert aufatmeten,
wenn garstige Bestien im Anflug auf Terra zu atomarem Staub zerblasen
wurden, schließlich stand alles nur auf dem Papier, muß das für
ihre Nachfolger der 80er Jahre eine nervtötende Vorstellung gewesen
sein. Die Autoren kannten den Geschmack ihrer Fans aus "Fandom"-Treffen
und "SF-Cons", und machten die Ängste der Leser zu den
Sorgen ihrer Helden.
Da brachten wohl greisenhafte 16jährige schlaflose
Nächte darüber zu, daß im "Galaktischen Rat" Terraner
überrepräsentiert sind, führten vielleicht Strichlisten über
den Anteil weiblicher RaumschiffkommandantInnen und schrieben
empörte Leserbriefe, wenn Perry einen Konflikt nicht am Verhandlungstisch
löste. Statt strammer Disziplin bei den Soldaten der Solaren Flotte
waren jetzt "Vironauten" angesagt, eine Art individualistischer
Weltall-Hippies, die lieber einen Abflug machten, wenn es brenzlig
wurde. Als besonders abscheulich wurden "Kampf, Ehre und
Gehorsam" als Antiwerte finsteren Bösewichtern in den Mund
gelegt.
Auf
solches pazifistiodes Delirium reagierten allerdings so viele
Leser sauer, daß der Verlag und die Autoren das Ruder erneut herumrissen:
Heute bemüht man sich um eine actionreiche Handlung, in der Gewalt
kein Tabu ist, die Raumschlachten aber nicht wieder aufflammen.
Vielmehr wendet man sich kosmologischen Fragen zu und sucht sein
Heil in der Mitte zwischen dem Teil des Publikums, der Action
und Unterhaltung sucht, und einem eher links engagierten Leseranteil,
der keine Sünde wider den Geist der Gewaltlosigkeit verzeiht.
So
fliegt Rhodan weiter, durchs Universum, gejagt von aufgebrachten
Fans und anderen Monstern aus Zeit und Raum, ad astra.