(Publikation: Junge Freiheit
6/2002)
„Vom
Vater hab ich die Statur,“ reimte einst Goethe, „vom Mütterchen
die Frohnatur.“ Die äußere Statur der West-Altpartei NPD wird
heute von jugendlichen Demonstranten im Osten bestimmt, doch ihre geistige Elternschaft
ist höchst zweifelhaft. Ist sie ein illegitimes Kind des Verfassungsschutzes?
Bei bloß einem Seitensprung ihrer Anführer zum VS blieb es nicht.
Sitzen Ziehväter und Einflüsterer der Parteiparolen - oder muß
man geistige Brandstifter sagen - in Amtsstuben? So mag ihr Parteivolk
frei nach Goethe rätseln: „Was ist denn an dem ganzen Wicht original
zu nennen?“
Daß
nicht nur deutsche Behörden Informanten in der NPD haben, ist
banal und seit Jahrzehnten bekannt. Es wirft auch weder Rechts-
noch politische Probleme auf, wenn sich der VS aus verdeckten
Quellen informiert. Die geheimdienstlichen Aktionen haben aber
offenbar eine andere Qualität angenommen. Solange nur der eine
oder andere kleine Parteiindianer spitzelte, veränderte er weder
die Statur noch die ideologische Natur der NPD. Was aber, wenn
sich ein Häuptling nach dem anderen als Agent des VS entpuppt?
Die Legitimität des Verbotsverfahrens erhielte einen irreparablen
Schlag, sollten Behörden nur umwerfen, was sie zuvor selbst maßgeblich
aufgebaut oder mitgesteuert haben. Wenn der Staat reihenweise
Leute in die Führungsspitze einer Opposition schleust, arbeiten
sie im Zweifel nicht nur als Spitzel, sondern auch als Saboteure.
Das wäre ungesetzlich, und so war „wehrhafte Demokratie“ nicht
gedacht.
Selbst
die formale Legalität des Verbots ist zweifelhaft, wenn die Reihen
der Parteivertreter von V-Leuten durchsetzt sind. Wie in jedem
Gerichtsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht ein faires
Verfahren zu gewährleisten, in dem beide Seiten zu Wort kommen.
Falls auf der staatlichen, quasi der Klägerseite, Verfassungsschützer
darlegen, was die NPD für staatsfeindliche Thesen vertritt, und
wenn auf der Beklagtenseite „Parteivertreter“, in Wahrheit aber
V-Leute, eifrig nicken und noch eins draufsetzen, ist das Verfahren
eine Farce. Genau dieser Eindruck drängt sich umso stärker auf,
je mehr scheinbare NPD-Vertreter sich als Zuarbeiter des VS entpuppen:
7 von 14 vom BVerfG Geladenen sollen es nun schon sein, meldete
eine Kölner Zeitung mit gutem Zugang zu undichten Stellen in der
Kölner VS-Behörde. Unter ihnen soll sich der NRW-Landesvorsitzende
der NPD befinden. Wurde die Partei von ihren eigenen „Häuptlingen“
in einen Hinterhalt gelockt und absichtlich ins verfassungswidrige
Abseits gelenkt?
Wer
repräsentiert eigentlich die NPD vor dem BVerfG, wenn sich rechts
und links von den Schranken des Gerichts Mit- und Zuarbeiter des
VS die Bälle zuspielen? Was ist noch echt an ihr, oder führt sie
eine virtuelle Scheinexistenz, genährt aus Filmkonserven finster
blickender, glatziger, stiernackiger Demonstranten? Will man dieses
Gaukelbild packen und eines echten Verantwortlichen habhaft werden,
dann löst sich die telegene Fratze des Neonazismus leicht in Rauch
auf, der aus den Schloten verschiedener Geheimdienste quillt.
Am besten informiert man sich direkt beim VS über die finsteren
Machenschaften, denn der muß es ja am besten wissen.
Was
da gelegentlich dumpf brüllend und demonstrierend über unsere
Straßen trottet, ist juristisch unschwer verbietbar. Ein guter
Teil der Straßenaktivisten ist gar nicht Mitglied der NPD, sondern
setzt sich zusammen aus Skinheads, Altmitgliedern schon verbotener
Gruppen wie der FAP und freien Kameradschaften, die sich nicht
verbieten lassen, weil sie absichtlich jede Rechtsförmigkeit scheuen.
Das Verhalten der Anhänger genügt für ein Parteiverbot. Fröhlich
die ihnen - von wem? - in den Mund gelegten Parolen schmetternd
sind sie eine Augenweide für staatliche Verfolger: Keine verfassungsfeindliche
Phrase, kein historisches Fettnäpfchen, kein verdächtiges Symbol
wird da ausgelassen. So, ja so möchte man sie haben: So radikal
und so böse und so offen system- und verfassungsfeindlich, daß
es eine Lust sein muß, sie verbieten zu lassen.
Wie
verführt man eine Partei zu so unsäglichen Dummheiten? Daß es
„von oben“ am leichtesten geht, ist aktenkundig spätestens, seit
in ministeriellem Auftrag der Karlsruher Polizeibeamte „Axel Reichert“
1994 und 1995 in der Hooliganszene Halbstarke um sich scharte,
um eine schlagkräftige Neonazitruppe aufzubauen, mit denen er
auftragsgemäß die Republikaner hatte infiltrieren sollen. Er beglückte
halbtrunkene Kameraden in Waldhütten mit markigen Reden, in denen
er die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung anprangerte,
und organisierte Aufmärsche in Fulda und Luxemburg. Die Reden
hatte er im Landeskriminalamt geschrieben. Wo die schlimmen Sprüche
ersonnen wurden, die Minister Schily heute der NPD vorwirft, ist
noch nicht aufgeflogen.
Im
Bundesverfassungsgericht sitzen zwar parteipolitisch handverlesene
Richter, denen nichts ferner liegt als Sympathie für Rechtsextremisten.
Doch jeder von ihnen hat einen Ruf zu verlieren und wird sich
zu schade sein für ein Possenspiel, in dem beide Rollen, die des
Räubers und die des Gendarmen, von Schauspielern derselben VS-Truppe
gespielt werden. Das Gericht wird alles daransetzen, keine „Beweismittel“
zu verwerten, die von bezahlten VS-Spitzeln selbst produziert
wurden, und es muß unbedingt sicherstellen, der NPD nicht ausgerechnet
durch den Mund von VS-Zuarbeitern rechtliches „Gehör“ zu geben.
Doch
wer garantiert überzeugend, daß vor Gericht ein „echter“ NPD-Funktionär
zu Wort kommt? Wer wird noch irgend einem NPD-Oberen glauben,
ausgerechnet er sei kein Spitzel? Selbst wenn das BVerfG formal
legal die NPD verbietet: Die Legitimität des staatlichen Verbotsaktes
ist unwiderbringlich verloren. Sie hing von der Glaubwürdigkeit
der wehrhaften Demokratie ab, sich vor ihren Feinden zu verteidigen
und sich nicht selbst legal abwählen oder sonst abschaffen zu
lassen. Wer aber nur den Wolf totschlägt, den er selbst gezüchtet
hatte, macht sich selbst ebenso lächerlich wie die Ideen, für
die er angetreten war.
Dem
Verbot wird die Legendenbildung auf dem Fuße folgen: die Verschwörungstheorie
von den geheimen Drahtziehern, an deren Strippen unsere Politiker
mit all ihren Schlapphüten gezogen werden, von der angeblichen
Scheindemokratie und ihren Nutznießern und der unversehrte Glaube
an die eigene, die gute rechte Sache. Denn alles Wirrköpfige -
das wird als sicher gelten - hatte von VS-Agenten gestammt. Wenn
mit dem Verbot irgend eine volkspädagogische Wirkung hätte erzielt
werden sollen: Schon jetzt ging dieser Schuß gründlich nach hinten
los.