Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Elfmeterspe­zia­li­sten beim Handballspiel -

- Chancen und Kon­zepte der verfassungstreuen Rech­ten -

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 9 / 1993 )

 

Wie schön, daß es genug Hinter­zim­mer gibt! Unbehelligt von jenen besorgt-­be­troffenen Fern­seh­leuten im Gefolge au­to­nomer Störenfriede kann man hier fast so schön räsonnieren wie da­heim; Man kann sogar nach Her­zenslust Partei­en gründen. So ver­sammeln sich auch in diesen Ta­gen wieder ru­heständelnde Ge­nerale, in ande­ren Parteien zu kurz Ge­kommene, ewige Bes­serwisser und ande­re politi­sche Dilet­tanten, um endlich ei­n­mal ihre ureigenen Steckenpferde reiten zu kön­nen. Ist die eige­ne Politkavallerie auch klein, darf man sich doch umso fei­ner fühlen. Im Ka­vallier­sklub fern der Wirklichkeit gibt es nur lauter Vorsit­zende - das Fußvolk überläßt man ande­ren Parteien. Es gibt ja auch nichts be­friedi­gerendes, als sich selbst zu lauschen und Recht zu haben!


Während die feinen, altkonservati­ven Herren weit vom Schuß die sie­benund­fünfzigste 10-Mann-Partei ge­gründet ha­ben, sitzen die ver­sprengten Häuflein ih­rer "Mannschaften" kon­zept­los-traurig und alleingelassen am Stammtisch und buchstabieren ihr politisches kleines Einmal­eins. Die verfas­sungstreue Rechte spielt im rech­ten Gettotheater den tragi­schen Part.Ihre Anhän­ger stammen meist aus bürgerlichen Verhältnissen und wä­ren nie auf die Idee gekom­men, etwas an­de­ren als CDU oder SPD zu wählen, wenn Ade­nauer noch Kanzler oder Schu­macher noch Op­positionsführer wäre.


Sie verstehen die Welt nicht mehr. Alles könnte doch so schön sein; aber warum hat die CDU nur damals nicht ge­gen die Ostverträge gestimmt und Ost­deutschland später an Polen aufge­ge­ben? Warum gilt plötzlich alles nicht mehr, was man in den guten al­ten 50ern gelernt hatte? Wieso dürfen CDU­Strategen plötzlich ei­ne multikul­turelle Gesell­schaft fordern und Deutschland zum Einwande­rungs­land erklären? Weiß das der Bun­deskanz­ler überhaupt? Wenn man ihm nur schriebe, er würde das schon wieder ein­richten!


Es dauert sehr lange, bis diese gu­ten Leute einmal richtig böse werden. Dann gründen sie in Opas CDU "wertkonservative Arbeitskreise". Früher oder später merken sie, daß Idealisten in den Altparteien fehl am Platze sind; geht es doch nicht um In­halte, sondern nur um Machter­halt. Wer jetzt nicht resi­gniert, macht das nächste Mal sein Kreu­zchen bei ir­gendeiner bösen kleinen Partei oder wird sogar Mitglied. Das darf man doch in der freisten Demokratie auf deutschem Boden?! Das hat man ge­lernt.


Groß ist das Erstaunen nach dem er­sten Fern­sehbericht in den Reihen der jungen Partei. Da muß der frisch­ge­backe­ne Par­teigänger entsetzt er­kennen, daß er ein Radika­ler ist! Das hatte er noch nicht ge­wußt. Seine ei­gene Mutter hat ihn in der Reportage kaum wiederer­kannt. Seit­her grü­ßen auch die Nachbarn nicht. Und er ver­steht die Welt nicht mehr...


Die verfassungstreue Rechte hat kein Konzept zur Machtgewinnung; nicht in­nerhalb der Alt­par­teien und nicht au­ßer­halb. Hinterbänkler in der CDU oder der Einzug einer konserva­ti­ven Partei in den Bundestag sind zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraus­set­zun­gen politi­scher Mitgestaltung, sondern böten allenfalls Krümel und Brosamen vom Tische der Mächti­gen. Für die aus rechter Sicht existenziellen Zu­kunfts­fra­gen gibt allein die Regie­rungsver­antwor­tung die Chance einer Antwort, und auch nur, solange noch et­was zu retten vor­handen ist; dar­un­ter geht gar nichts.


Die verfassungstreue Rechte hat noch keine Konsequenzen aus der Einsicht ge­zogen, daß Deutschland, der Staatsform nach Republik, so­zio­logisch gesehen von einem Postenver­teilungs­kar­tell dominiert wird, das nur noch seinen eige­nen Geset­zen ge­horcht. Seine Parteien haben sich ihr Verfassungssystem selbst auf den Leib ge­schneidert. Wer mit ihnen kon­kur­rieren will, muß nach die­sen Gesetzen an­treten; Will er Erfolg ha­ben, muß er erst so wer­den, wie jene schon sind. Ge­lingt es ihm, stützt er dieses Sy­stem, statt es zu verän­dern. Die GRÜNEN sind auf die­sem Weg schon weit fortgeschritten.


Die REPUBLIKANER treten ihn ge­rade an. Da stehen sie nun mit ihrem Be­kenntnis zur frei­heitli­chen demo­krati­schen Grundordnung unter dem Arm; stehen staunend vor jenem un­durch­schaubaren Räderwerk des Par­teienstaa­tes. Eine Hand wäscht hier die andere; nur ihre Hand wäscht kei­ner. Da stram­peln sie sich ab und ru­fen: "Wir wollen doch nur das Beste!", doch kei­ner hört sie, denn die Mikro­fone der Kartellme­dien bleiben für die ewigen Schmuddel­kinder des Medi­enstaates abgeschal­tet. Da gibt es nur "Gemeinsamkeit der De­mokraten" hier und "Radikale" dort, und nichts dazwi­schen. Und weil diese "Gemeinsamkeit" vor allem Be­sitz­stands­wahrung bedeutet, dürfen ande­re nicht dazuge­hö­ren, und wenn sie noch so gerne möchten.


Wer das politische Parkett aus Sorge um das Gemeinwohl betritt und gesinnungs­fest seine Werthal­tungen einbringen will, dem geht es bald wie einem begnadeten Fußball­spieler, der auf ein Handballfeld rennt, sich als Elfmeterspezialist anbietet und dann wundert, wenn alle nach ihren alten Regeln weiter­spielen. Mannschafts­kapitän wird er so nie werden. Der einzi­ge Weg zur Regierungsmacht führt über eine Systemänderung. Ob die Rechten unten bleiben, weil sie nach den Spielre­geln des Parteienstaates gegen die Etab­lierten und ihre ge­ballte Medienmacht nicht ankom­men, oder ob sie aufsteigen um den Preis, so zu werden, wie die ande­ren schon sind, ändert nichts. In diesem System, seufzte Hans Her­bert von Arnim jüngst in der FAZ, muß mancher wohl­mei­nende Politi­ker halt so mitma­chen, wenn er nicht zum tragischen Helden wer­den will.


Das System der Vorherrschaft von Cli­quen und Seilschaften, jener Ne­ofeu­da­lismus der Alt­par­tei­en, muß nach den Worten Scheuchs auf Bun­desebene be­sei­tigt werden, und der Soziologe fährt fort, daß die Altpar­teien selbst zu einer Kurs­änderung nicht in der Lage sind. Am ei­genen Schopf kann sich eben nie­mand aus dem Sumpf ziehen. Nur tief­greifende, das System des Partei­enfeuda­lismus überwindende Reformen bieten die Chan­ce einer demokratischen Wach­ab­lö­sung. Diese könnte geogra­phisch mit dem Wechsel von Bonn nach Berlin zu­sam­menfallen, setzt aber minde­stens voraus:


1. Die Demokratielücke des reprä­sen­tati­ven Parlamentarismus ist durch Di­rekt­wahl des Bun­des­präsidenten durch das Volk zu schließen. Er darf nur dem Volk insgesamt und keiner Gruppe oder Partei verantwortlich sein.

2. Das Repräsentationsdefizit der bis­her aus­schließlichen Vertretung von Par­tiku­larinteres­sen ist dadurch zu fül­len, daß künftig der Bundes­präsi­dent das Ge­meinwohl repräsentiert und ver­tritt. Er setzt den Bundeskanz­ler ein, der nur ihm verantwortlich und nunmehr als Haupt der regie­ren­den Gewalt von der gesetz­ge­benden getrennt ist.

3. Die Trennung von Staat und Ge­sell­schaft ist eine Vorbedingung in­divi­dueller Freiheit. Wäh­rend die in­nerge­sell­schaftli­chen Interessen durch die Partei­en im Ge­setze gebenden Parla­ment re­prä­sen­tiert sind, muß die regierende Staats­gewalt parteifrei bleiben. Die gleichzei­tige Mit­glied­schaft in einer Partei und die Zuge­hö­rigkeit zur rechtsprechenden oder zur regierenden Gewalt ist daher von Ver­fas­sungs wegen als inkompatibel ver­boten.

4. Die Richter der Bundesgerichte und ober­sten Landesgerichte werden ge­wählt von einer unter Rechtsaufsicht des Bun­despräsidenten ste­henden Kommis­sion, die aus Vertretern der Richter­schaft, des Bundesjustizmini­steriums und der juristi­schen Hoch­schullehrerschaft besteht und die nach fachlicher Qualifi­kation ent­scheidet.

5. Jede Staatsfinanzierung politi­scher Parteien und anderer gesell­schaftlicher Gruppen und je­de steuer­liche Begünsti­gung von Parteispenden sind von Verfas­sungs wegen zu ver­bieten.

6. Inhaber staatlicher Ämter und Mitglie­der von Vertretungskörper­schaf­ten dürfen nicht zu­gleich Auf­sichtsräte oder Vor­standsmitglieder in der privaten Wirt­schaft oder staatli­cher oder kommu­naler Eigenbetriebe sein. Die Versorgung aus­gedienter Mandatsträger mit solchen Po­sten un­ter Verstoß gegen das Lei­stungs­prin­zip des Art.33 GG ist als Un­treue nach 266 StGB straf­rechtlich zu ver­fol­gen.

7. Wenn 10% der Abstimmungs­be­rech­tigten es verlangen, sind sowohl über Einzelmaßnah­men der Regierung als auch über Gesetze innerhalb von sechs Wochen Volksentscheide herbei­zufüh­ren. Diese sind in allen Fragen außerhalb des Steuer- und Abgaben­rechts zulässig und ste­hen in ihrer Verbindlichkeit über par­lamentarisch be­schlossenen Gesetzen. Die Souve­ränität des Vol­kes umfaßt das Recht zu Verfassungsänderungen.

8. Soweit sich der Bund oder die Län­der an Rundfunk und Fernsehen be­teili­gen oder dieses be­treiben, muß eine aus­gewo­gene Berichterstat­tung gewähr­leistet sein. Die Mitarbeiter solcher staatli­cher Medi­en dürfen nicht Mitglie­der einer Par­tei sein. An­nahme von Ge­schenken oder geld­wer­ten Vorteilen durch Me­dienmit­ar­beiter ist wie bei Staatsdienern unter Strafe zu stellen. Die In­tendanten der Medi­enan­stalten werden von einem Ver­tre­tungsgremium gewählt, in welches ge­wählte Mitarbeiter der Medienan­stalt und Interessenver­treter der Ge­bührenzah­ler entsandt werden. Das Gremium steht un­ter der Rechtsauf­sicht des Bun­desprä­si­denten.

9. Demokratische Herrschaft setzt ei­nen sou­veränen Demos voraus, also ein Volk mündiger Staatsbürger. Jede Ent­mündi­gung durch Abgabe von Souve­rä­nitäts­rechten an Hoheitsträger außer­halb der deutschen Staatsgewalt wäre ein Ver­stoß gegen das Demokra­tieprinzip. Be­strebun­gen, die darauf gerichtet sind, die demo­kratische Selbst­herrschaft und Selbstbe­stim­mung des deutschen Vol­kes zu besei­ti­gen und ganz oder teilweise durch eine Fremdherrschaft zu ersetzen, sind als verfas­sungsfeindlich zu verbie­ten.