Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Das Plebiszit als Achillesferse

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 9/ 1995 )

 

In der Monarchie herrscht bekanntlich der Mon­arch, in der Aristokratie die Ari­stokra­ten und in der Demokratie die De­mo­kraten. Sou­verän ist in der Monar­chie, wer den Monar­chen be­stimmt, in der Ari­stokratie, wer dar­über entschei­det, wer sich Aristo­krat und in der Demokratie, wer sich De­mokrat nennen darf. Darum möchte in ei­ner Monarchie jeder gerne Monarch sein, in einer Aristokratie Ari­stokrat, und in der Demokratie De­mokra­t. So entbrennt der politische Kampf um die Be­setzung die­ses viel­deutigen Begriffs. Die Macht fällt dem zu, der ver­bindlich darüber ent­schei­det, wer Demo­krat ist - und vor allem, wer nicht.


Der demokratischen Idee nach sollte mög­lichst das ganze Volk Träger der Sou­ve­rä­ni­tät sein, doch hatte schon die athe­ni­sche Ur­de­mo­kratie nicht nur Frau­en und Kin­der, son­dern auch Skla­ven und die Ab­kömm­linge von Zu­gewanderten aus­ge­schlos­­sen. Nur die athe­nischen Männer bil­de­ten den De­mos: Sie ver­sam­­melten sich und wählten unmittelbar - demokratisch - ihre Anfüh­rer.


Von Mon­tesquieu und dem ame­ri­ka­ni­schen Ver­fassungsvater Madison über Kant bis heute wer­den De­mokratie und parlamen­ta­ri­sche Re­publik als Gegen­sätze an­ge­sehen. Im Bon­­ner Par­la­men­ta­rismus ma­chen die Par­tei­en in Par­la­­men­ten die Gesetze, wählen ei­nen re­gie­ren­den Kanzler und be­stim­men die Ver­fas­sungs­richter.

Sie haben die Macht, die Gren­zen ihrer Kompetenz selbst zu zie­hen. Dieses System nennen sie Demo­kra­tie, und wer De­mo­krat ist, definieren sie rechts­ver­bind­lich un­ter Mit­hilfe ei­gens dafür be­schäftigter Bü­ro­kraten. Es ge­hört zu den Ge­fah­ren je­der Re­prä­sen­ta­tion, daß Ver­tre­ter gern auf Kosten der Souve­ränität der Ver­tre­te­­nen eine eigene be­grün­den möchten, bis die Vertre­tung nur noch dem Namen nach be­steht und die wirkli­che Macht bei den Vertretern liegt. Die baye­ri­sche CSU weiß das, weil ihre Ver­tretungsmacht darauf beruht, dem Volk zu sagen, was in seinem Inter­esse ist. Wenn je­mand daher­kommt und das Volk selbst ent­schei­den las­sen möchte, darf er natürlich kein Demokrat sein. Das Ple­bis­zit ist die Achil­­les­fer­­se der Ver­tre­ter­herr­­schaft, und das wis­sen ihre Stra­­te­gen sehr ge­nau. Nicht um­sonst sto­ßen alle For­de­rungen nach Volks­ent­scheid über­­­all dort auf erbit­ter­ten Wi­der­­stand, wo die Union das Sagen hat.


Die Bayern haben abgestimmt, und die Kam­­pa­gne der CSU hat nicht gefruchtet: Mit 13,7% der Wahlberechtigten haben ihr aus­rei­chend viele den Etiketten­schwin­del nicht ab­ge­­nommen, Volks­ab­stim­mungen seien eine Gefahr für die De­mo­kratie. So wird es in Bay­ern im Herbst einen Volksent­scheid über zwei Ge­setz­ent­würfe zur Bür­gerbe­tei­li­gung geben: Einen von CSU und einen der Bür­ger­ak­tion De­mo­­kratie in Bayern.


Die prak­ti­sche Funk­tion direktde­mo­krati­scher Rechte steht und fällt mit der Höhe des Quo­rums. Weil sich das Volk nicht insge­samt artikulieren kann, müs­sen den Etab­lierten wi­der­­setz­liche Grup­­pen em­por­stei­gen können, die nicht die Me­di­en auf ihrer Sei­te ha­ben und da­her nicht von vorn­­herein 25% der Wäh­­ler für ein Volks­begeh­ren mobilisie­ren können. Ge­nau die­ses Quorum aber for­dert die CSU. Sie will de­mokra­ti­sche Of­fen­­­heit vor­­täu­schen und sich durch ein ho­hes Qu­orum doch des un­ge­störten Macht­­ge­nus­ses si­cher bleiben.