Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
   

Propheten der Spaßgesellschaft

(Publikation: Junge Freiheit 14/2001)

 

Daß dat Hätz vun der Welt in Kölle schlät, weiß in Köln jedes Kind. Mir sin mir, und wer jet will, der kann jo kumme. - Deutscher Selbsthaß geht die Kölner nichts an: Mer sin Kölsche, un dat es jet, wo mer stolz drop sin. Probleme mit der Leitkultur? Kein Problem: als „deut­sche Leidkultur“ wurde sie beim Ro­sen­mon­tags­zug 2001 veralbert. Nationalstolz? Keines Nachdenkens wert: römisch, fränkisch, kaiserlich, fran­zö­sisch, deutsch - al­les Epi­soden. Köln fühlt kölsch, nichts sonst.

Soll­­ten Heimatliebe und -stolz „rechts“ sein, sind alle Kölschen schlimme Rechts­ra­di­ka­le. Sie ahnen es bloß nicht. Jeder dritte ak­tu­elle Hit enthält eine Liebes­­er­klärung an die Heimat. Üv­verall wo mir sin es Kölle - wenn Kon­zerte lo­­kaler Musikgruppen wie Höhner oder Bläck Fööss emo­tio­nale Höhepunkte erreichen, fallen Zigtausende mit Feuerzeuglichtern  in kollektiven Taumel. Hymnische Beschwörungen der Vaterstadt steigen gen Himmel. - Hey Kölle, Du ming Stadt am Rhing. Keine andere Stadt wird von ihren Kindern so heiß geliebt wie Mutter Colonia. -

Fremde halten die Kölner Musikszene für bloß karnevalistisch. Tatsächlich gibt es hier eine moderne, krea­tive Musikkultur. Der Rest der Welt mag englischsprachig rocken: Köln rockt kölsch. Spitzenbands wie BAP und Brings stehen englisch­spra­chigen Musikern in nichts nach. Ihre Lieder sind in Köln zu Gas­senhauern geworden. Superjeile Zick (Brings) oder Die Karavane zieht weiter (Höhner) pfeifen die Spatzen ganz­jährig von den Dächern. Hoch­deutsch singende Kölner wie Wolfgang Petry gelten in ih­rer Heimatstadt eher als zweite Wahl.

De Luff is rein, dä Tank is voll,

Et läuf „It’s only Rock’n Roll“,

Charlie prüjelt uns vüraan mit jedem Schlaach,

Die Middelstriefe schlängele sich

Bes Ultimo für Dich un mich,

Un dohinger litt nur noch dä jüngste Daach.

 

Noch sin mer jung, noch künne mir,

Noch trommelt unser Hätz,

Die eine Chance, mie jiddet nit,

Dat es für uns Jesetz.

Wer weiß, wie lang mer levve,

Wann dä Sensemann uns kritt,

Un wer vun uns schon morje

Mem Asch im Kühlfach litt.

Zum jolde Vlies, zum blaue Meer, zum jröne Jras

Wenn ich mööd weed, lääch ne Stein op et Jaas.

Nix zo verliere als et Jugendbild em Paß,

Und wenn dat alles wor,

dann hatte mer noch eimol richtich Spaß!

Höhner

Sub­­kutan verabreichen die Lied­texte handfeste Ideologie. He hilft dä Schmitz dem Ali flück ens widder op de Bein, und der Himmel soll auch für einen alten Landstreicher wid­der opgehen (Höh­ner). So wie heutige Aus­länder sind wir angeblich alle als Römer, Fran­zo­sen oder Flüchtlinge he hin jekumme. Mer spre­che hück all dieselbe Sproch. Mer han dadurch su vill jewunne. Mer sin wie mer sin, mer Jecke am Rhing, dat es jet, wo mer stolz drop sin! (Bläck Fööss). Allen ge­liebten Fremden der Welt rufen die Höhner zu: Kumm eren, Du bes immer jän gesinn! Gegen „Rechts­ra­di­kalismus und Frem­­den­haß“ be­schwö­ren die Kult­­bands der Stadt offiziell Mul­ti­kulti. Faktisch läuft es auf die seit 2000 Jahren erprobte Verschmelzung und Einkölschung alles Fremden hinaus. Ein bißchen Pizza- oder Dönerfolklore stört darum nicht. Auf die kölsche Lebensart kommt es an, denn die Levvensaat hat jeder Kölsche üvverall met im Jepäck. - „Levve un levve losse“ -  wer so denkt, jehört dozo (Höh­­ner). Wer nicht, gehört offenbar nicht dazu.

Der Pfer­defuß der frohen Botschaft an Allewelt, die sich in Köln versammeln und met klüngele, bütze, fiere soll: Akzeptiert wird letztlich nur, wer kölsch zu werden bereit ist. Für Europäer jeder Herkunft ist der Assimilierungssog unwiderstehlich. Kölsch sein macht Spaß. Nur die über 100000 Türken in Köln pfeifen auf Multikulti wie auf „Leben und leben lassen“. Sie igeln sich ab und wurden bisher weder kölsch noch deutsch. Jungtürken werden Jahrgang für Jahrgang von bei den Schull- un Veedelszög mit durch die Stadt geschleppt, ohne jeck fürs Leben zu werden.

Die kölschen Jecken für irrational oder im hochdeutschen Sinne für Narren zu halten, verstünde sie miß. Die kecke kölsche Aat ist theoretisch analysierbar: auf ungefähr 100 engbedruckten Seiten. Sie beruht auf einer handfesten Lebensphilosophie und einem kohärenten Weltbild. Teilt man seine Prämissen, sind die Folgerungen vernünftig. Was zählt ist das konkrete Einzelne, nicht das eingebildete Reich nebliger Ideen. Das Ding an sich ist dem Kölschen fremd, weil man es nicht anfassen kann. Mißt man die Welt nicht ständig an selbstgestrickten Idealen, spricht nichts gegen ungebremste Lebensfreude. Bands wie die Höhner sind Propheten der Spaßgesellschaft, und sie haben viele Jünger. Liegen wir erst met dem Asch im Köhlfach (Höhner), ist es zu spät.

Daß nach dem Tod nichts mehr kommt, wird vorausgesetzt. Transzendenz oder ein Jenseits hat in diesem Denken keinen realen Platz. Der „Himmel“ ist bloß noch Metapher, da sitzt dä Petrus bestemmp met enem Kölsch om Balkon. Wie der liebe Gott darf er noch eine Nebenrolle als Metapher spielen, wo dies die wunderbare Größe Kölns erhöht. Daß er nur den Kölschen zuliebe den schönsten Fleck der Erde geschaffen hat, gilt als sicher: „Doch maat mer kei Deil dovun kapott, söns nemm ich et üch widder fott!“ (Bläck Fööss). -

Seit der Schlacht bei Worringen 1288 war die Stadt kein Fürstensitz mehr. Untertänige Demut ist nicht ihre Sache. Erhebt sich einer noch so hoch: Flüch et noch so huh - et kütt alles widder op de Ääd zoröck (Brings). Jede Autorität, vor allem aber die angemaßte, hoh­le Geste, reizt den Kölner unwiderstehlich zum Spott. Dann kriegt er Lust, mein Maul nicht zu halten, wenn ich soll. Aber das wichtigste: Üvver sich selbst laache künne, dat es de Kunst (Höhner). Ironische Di­stanz, auch zu sich selbst, erfordert und beweist innere Kraft und pralles Selbstbewußtsein, an dem es anderen Deutschen oft fehlt. Kein Schuldgefühl knickt die kölsche Seele:

Schon 1945 fühlte sich die grausam zerbombte Stadt zurecht doppelt als Opfer: Die NS-Ideo­logen kamen wider Willen über sie, doch bei der Haftung fragte danach keiner - vor 1945 nicht und nach 1945 nicht. Als Amerikaner wild mit MPs fuchtelten, soll ein Passant gerufen haben: „Sit ehr dann nit, dat he Lück ston?“ 1949 lachten und sangen die Kölschen über sich als Eingeborene von Trizonesien. Wer - auch über den Fremden - lacht, hat keine Furcht, und wer ihn nicht fürchtet, braucht ihn nicht zu hassen.

Die Kunst der ironischen Brechung aller An­maßung, aller Zumutung und allen Leides ist der Kraftquell für stolze Gelassen­heit. Eine Lage mag noch so hoffnungs­los sein, darum aber noch lange nicht ernst. Die Tränen, die wir lachen, brau­chen wir nicht zu weinen (Höhner). Nähmen die Deutschen ein Stück kölsche Lebensart an, hätten sie eine ganze Menge eingebildeter, bloß feuilletonistischer Sorgen nicht.