Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Für Idealisten hatte er nur Spott übrig


-Portraits der Konservativen Revolution: Carl Schmitt-

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 27 / 1995 )

 

Carl Schmitt braucht nicht vorgestellt zu wer­den. Er war der deutsche Staats­recht­ler des 20. Jahr­hunderts, an des­sen Werk sich auch im 21. die Geister ent­zünden werden. Je­dem ist er ein Be­griff, viele ha­ben ihn ge­lesen, aber wenige ha­ben sein innerstes Wollen be­grif­fen. Wer es sich leicht macht, stempelt ihn als Par­teige­nossen ab. Bei nä­herem Hinsehen war es aber ein gläu­bi­ger Ka­tho­lik, der die von Hitler befohlene Er­schie­ßung Röhms als unmittelbares Recht des ober­sten Ge­richts­herrn recht­fer­tigte. Es hatte derselbe noch 1932 den ver­fas­sungs­rechtli­chen Weg zum Ver­bot dieser Partei durch den Reichs­präsiden­ten aufgezeigt, der übers Jahr in die NSdAP eintrat. Da wettert ge­gen den jüdi­schen Un­geist plötz­lich und rief auf, "jü­di­sche Zitate" ei­gens zu kenn­zeichnen, der selbst im­mer auch mit jüdi­schen Kolle­gen en­gen Kon­takt pflegte und sich bei den von ihm be­treuten Dis­sertatio­nen nicht um diese Kenn­­zeich­nung küm­mer­te. Wie paßt das zu­sam­me­n?

Geistige Kämpfe haben ihre eigenen Ge­set­ze: Die Struktur jeder politischen, theo­logi­schen und philosophischen Ar­gumenta­tion wird in erster Linie durch die konkrete Lage be­stimmt. Diese kann man immer nur vor dem Hinter­grund wech­selnder ideo­lo­gi­scher Gegner ver­ste­hen. CS zu­folge lohnt es sich nicht, für Ideen zu ster­ben. Es kämpft Mensch ge­gen Mensch; beide be­die­nen sich bloß der Ideen als geistiger Waf­fen.

Hier liegt der Schlüssel zum struktu­rel­len Ver­ständnis der scheinbaren Wand­lungen CS's. "Das ge­heime Schlüs­selwort mei­ner gesam­ten gei­sti­gen und pu­bli­zistischen Exi­stenz", ver­traute CS 1948 seinem Tagebuch an, ist "das Rin­gen um die eigent­lich katho­li­sche Ver­schär­fung: gegen die Neutralisie­rer, die äs­thetischen Schlaraf­fen, ge­gen die Frucht­ab­treiber, Lei­chen­ver­bren­ner und Pa­zifi­sten." Man muß Do­noso Cortés gelesen ha­ben, um CS's Innerstes zu ver­ste­hen: Als tief gläubige, "funda­men­ta­li­sti­sche" Ka­tholi­ken sahen beide den Men­schen, ab­gefal­len von Gottes Ord­nung und in Sünde ver­strickt, dem Bösen schlechthin entge­gen­taumeln: dem Chaos, und das noch dazu mit dem ir­ren Lachen dessen auf den Lippen, der ihm verfallen ist und es selbst nicht merkt. Strukturell denkt CS von einer ge­willkür­ten Ordnung her, wie sie Gott dem Chaos ent­gegen­setzte. Analog ent­steht "aus der Kraft des inte­gren Wissens die Ordnung der menschlichen Dinge." Die­ses un­aus­ge­spro­chene integre Wissen ist CS's Arca­num: die katholische Glau­benswahr­heit. Daß er sie aus takti­schen Gründen nicht of­fen aus­sprach, ver­stellt ober­fläch­li­chen Kri­tikern bis heute die Sicht auf die in­nere Ge­schlossen­heit seines Welt­bildes. Der Wider­spruch zwi­schen dem Verteidiger der Wei­marer Ver­fas­sung 1932 und dem Parteigenos­sen von 1933 löst sich auf: Tat­sächlich war CS beides nicht, weder Demokrat noch Na­tio­nalso­zia­list.

Zu Unrecht wird er der konservativen Re­volu­tion zugerechnet. CS war nur eine von mehre­ren Wurzeln, aus denen Teile der KR sich speisten. Ihre Hauptströmun­gen be­zo­gen die Kritik am li­bera­len Par­la­menta­ris­mus nicht erst von CS, son­dern fuß­ten zum Teil auf denselben, zum Teil auch auf ande­ren Autoren des 19. Jahr­hun­derts. Ent­schei­dend verschieden je nach Her­kunft der Kri­tik waren die Fol­gerungen: CS's Ge­währs­leute waren die romani­schen, ka­tholi­schen Reaktionäre wie Dono­so und Romieu. So besitzt seine Polemik stets eine etatisti­sche Note, die das Böse dieser Welt in letz­ter Konse­quenz durch die Diktatur des Gu­ten auf­halten möchte. Allen­falls die Jung­kon­ser­vativen der KR konnten sich damit par­tiell an­freun­den. Die meisten ande­ren folgten letzt­lich dem Idealismus der deut­schen Ro­mantik. Für diese hatte CS nur Spott übrig.
Den entscheiden­den Akzent gewann die KR durch eine spezifische Ver­men­gung nietz­scheanischer Positio­nen mit dem Kriegser­lebnis und ei­ner profanen Vari­ante der christlichen Idee vom Reich: Mit einem heid­nisch-irdi­schen Vexierbild des himmli­schen Jeru­sa­lem hatte CS aber nichts im Sinn.
Wie kein zweiter beherrschte er die Kunst der Uminterpre­tation. Des­car­tes riet ein­mal: "Ich möchte auf alle Fälle, daß Du Deine neu­artigen Gedanken nicht offen vor­trägst, sondern Dich äu­ßer­lich an die al­ten Prinzi­pien hältst. Diejenigen, die Deine Ar­gu­men­te ver­ste­hen, werden von sich aus darauf schließen kön­nen, was Du ihnen klar­machen wolltest." Ein Meister dieser Kunst war Hobbes gewe­sen. Auf seinem Ver­ständnis des Staates als au­tori­ta­tivem Stifter des Friedens zwi­schen glau­benseifrigen Bürger­kriegspar­teien be­ruht CS's Staats­denken. Hobbes hatte das Kunst­stück fertig ge­bracht, sich in ei­nem Zeitalter wü­tenden Gotteseifers und bren­nender Scheiterhau­fen scheinbar zu Gott zu bekennen, ihn aber mit einem Fe­der­strich ar­gu­mentationslogisch be­deu­­tungs­los zu ma­chen. Weil er an Gott nicht zwei­feln durfte, bestritt er einfach die Wahr­heit der Offenba­rungen. Es sei sinnlos, wenn Gläu­bige sich unter Beru­fung auf Gott wechsel­seitig ab­schlachte­ten. Fa­natischer Glau­benseifer, lernte CS von Hob­bes, führt zu Haß und Krieg. Weil je­der seine eigene jen­seitige Wahr­heit hat, kann der gordi­sche Knoten nur durchschlagen werden durch ein dezi­sio­nistisches Macht­wort: Was dies­seits als wahr gilt, ent­schei­det der Staat. Damit neu­tralisiert und ent­politisiert er die ideolo­gi­schen Kämpfe, be­endet das Glau­benschaos und stiftet den Frieden.
In der Weimarer Zeit meldeten sich nor­mativer Haß und Bürger­kriegsgewalt mit elementarer Wucht zurück. Für CS, wie Hobbes persönlich eher ei­ne ängstli­che Na­tur, war klar: Der ideo­logi­sche Bür­gerkrieg konnte nur durch einen staatli­chen Macht­spruch beendet werden. Den Glauben, im­merwäh­render Diskurs führe zu einer Art Wahrheit, bezeichnete CS unter Beru­fung auf Donoso als eine Idee von grausa­mer Komik. Dis­kussion kann Donoso zufol­ge zur Wahrheit nur füh­ren, wenn sie sich in ei­nem der Dis­ku­tanten schon vorgefunden hatte. "So lange, bis der Mensch seine Natur verän­dert," be­hauptete der von CS rezi­pierte Romieu, "muß sich die Gewalt stets ge­gen die Dis­kus­sion auf­lehnen, wenn die Gewalt groß und die Rede klein ist. Noch notwen­diger muß dies ge­sche­hen, wenn die Dis­kussion das Chaos gebiert, wie dies je­derzeit ihr letztes Attribut ist." Selbst Dis­kursguru Habermas gibt zu: "Jedes Sy­stem ent­fes­sel­ter kom­mu­ni­kati­ver Freiheiten ent­hält einen an­ar­chi­schen Kern."

Mit seinem Glauben an die parlamen­tari­sche Wahrheitsfin­dung im Diskurs rückte Weimar au­to­matisch in die Rolle des welt­anschaulichen Gegners. Fast ge­nuß­voll konnte CS vorführen, wie ein plura­listisches System an seiner eigenen, ideologischen Schwäche zugrunde ging: Es wei­gerte sich, etwas offenkundig Wahres als wahr zu ver­künden, die roten und braunen Bür­ger­kriegs­parteien kur­zerhand zu verbie­ten und in Hob­bes'scher Manier durch schlichte Ent­scheidung die nötigen Entpoli­tisierungen vorzunehmen. Dem Chaos hätte 1932 nur noch ge­gen­gesteuert werden kön­nen, indem der Reichspräsident die Demo­kra­tie nach Art.48 WRV rettete. Eine de­mo­kra­tische Verfassung, er­klärte CS am Vor­abend des Er­mächtigungsgesetzes, könne selbst dann nicht le­gal abge­schafft wer­den, wenn die Majori­tät es be­schließt. Notfalls müßte die demo­kra­ti­sche Mi­norität durch den Reichs­prä­si­den­­ten eine kommis­sari­sche Diktatur ge­gen Braun und Rot er­richten. So suchte CS - 1932 noch erfolg­los - dem Plura­lis­mus ein Stück seines au­to­ri­tä­ren Ordnungs­den­kens unter­zu­schie­ben. Er spielte die Demo­kratie ge­gen den Liberalis­mus aus: Der de­mokra­tische Ge­danke be­sagt normativ, daß un­abhängig von der Re­gierungsform Volkes Wille ge­schehe. CS's Idee, die parlamen­tari­sche Re­gierungsform gegen den Ma­jori­tätswil­len um des inneren Friedens willen auf­rechtzu­erhalten und die Bürger­kriegs­par­teien zu verbieten, verfrem­dete den libe­ra­len Gedan­ken zugunsten einer konkre­ten Ord­nungs­idee. Wie in Her­zogs Grund­gesetz­kom­mentar nach­­­­­zule­sen ist, ba­siert auf die­ser Einsicht die heuti­ge "wehr­haf­ten Demo­kratie", deren Grund­­­ord­nung auch demo­kratisch nicht legal ab­ge­schafft wer­den darf.
CS folgte Hobbes, es komme nicht in er­ster Linie auf letzte Wahrheiten an. Der Staat legiti­miert sich, indem er diesen fruchtlosen Streit au­toritativ entscheidet und eine Friedensordnung durchsetzt: Je­de sieg­reiche Revolution begründet eine neue legi­time Gesetzlichkeit, sobald sie sich effektiv durchgesetzt hat und den Frieden stiftet. Diese Erwartung richtete CS an den Na­tio­nalso­zialismus und wurde Parteigenosse. Ließ sich der Ti­ger reiten? Schon bald er­wies er sich nicht Ga­rant einer neuen Frie­densordnung, son­dern als was er tatsächlich war: eine siegrei­che Bürger­kri­egsarmee, die ihre Gegner rechtlos machte.

Lie­ßen sich der Will­kür die Kor­settstangen einer rechtli­chen Ord­nung einziehen? CS versuchte es mit dem bewährten Mittel der Umin­ter­pre­tation. Er scheiterte, weil die NS-Ideologen bald den ka­tholischen Braten ro­chen.
Wie Hobbes sich den taktischen Spaß ge­macht hatte, seine gottlosen Gedanken aus­gerechnet auch mit Bibelzitaten zu rechtfer­tigen und sich den Schein der Frömmigkeit zu geben, schmückte CS sein neues konkre­tes Ord­nungs­denken fleißig mit Lippenbe­kenntnis­sen zum NS. Dessen Führer ma­nö­vrierte er mit ei­nem Trick aus, ebenso wie Hobbes Gott neu­tra­lisiert hatte: "Die recht­liche Ord­nung", be­rief CS sich auf Santi Romano, "ist ein einheitliches Wesen, die sich teilweise nach Regeln be­wegt, vor allem aber sel­ber die Regeln be­wegt, wie Fi­guren auf einem Spielbrett." Das war nicht die Sprache des NS-Zeitgei­stes. Die­ser ver­kör­perte sich in Hitler, und der wollte nichts weniger als sich in eine statische Ord­nung einbin­den lassen. Es kann hier nicht darge­stellt werden, wie abenteu­er­lich CS sich ar­gu­mentativ drehen und wen­den und gegen seine bis­herigen Posi­tio­nen verstoßen muß­te, um ein letztlich recht­liches Ord­nungs­den­ken in der Hoff­nung als natio­nal­sozia­listisch zu ver­kau­fen, die wirk­li­chen Na­tional­so­zia­li­sten würden die Kröte schlucken. Tat­säch­lich spuckten diese sie bald wieder aus.

CS's Karriere endete jäh, und er konn­te sie auch nach dem Krieg nicht fort­set­zen. Zu eng hatte er sich dem An­schein nach mit dem Zeitgeist ein­ge­lassen: Daß er ihn von in­nen hat um­in­ter­pre­tieren wollen, wurde nicht und wird bis heu­te viel­fach nicht ver­standen. Aus seiner Sicht hatte CS nichts zu be­reuen und nichts zu­rück­zunehmen. Bitter be­merkte er 1949: "Es gibt nicht nur Men­schen­­rechte, son­dern auch Esels­rechte. Ein Grund­recht jedes Esels ist zum Bei­spiel das Recht auf einen toten Löwen, dem er nach Her­­zenslust Fuß­tritte versetzen kann."