(Publikation: Junge Freiheit
28/1994)
Das
Schlimmste ist fürs erste abgeblockt und das Grundgesetz in seiner
Struktur unbeschädigt. Noch gibt es im Bundestag keine 2/3-Mehrheit
für die andere Republik
der Linksliberalen und politisch
Korrekten. Ihr Marschgepäck darf wieder ausgepackt werden;
der Aufbruch ins rotgrüne Nirwana findet noch nicht statt. Auch
"Seid nett zueinander!" wird entgegen dem Antrag eines
CDU-Abgeordneten nicht zum Verfassungsgebot erhoben. Schlimm
genug gleichwohl, was 622 gegen 3 Abgeordnete in Art.3 Abs.2
Grundgesetz angerichtet haben. Zwischen "Männer und Frauen
sind gleichberechtigt" und "Niemand darf wegen seines
Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden" wird künftig
anbefohlen: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung
der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die
Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Wohin
diese Reise letztlich gehen soll und gehen wird, sobald ein neugewählter
Bundestag mit struktureller Mehrheit der Linken und Linksextremen
die Abstimmungskarten neu mischt, hatte der im vergangenen Jahr
vorgelegte Entwurf der niedersächsischen rotgrünen Landesregierung
gezeigt. Danach sind alle staatlichen Stellen "verpflichtet,
die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen
Bereichen herzustellen und zu sichern. Der Gleichberechtigungsgrundsatz
läßt zur Förderung von Frauen und zum Ausgleich tatsächlich
bestehender Ungleichheit vorübergehende rechtliche Bevorzugung
von Frauen zu". Keinen anderen Sinn als diese Version in Klartext
kann die im GG ergänzte Kurzversion haben. Auf Beseitigung geschlechtsspezifischer
Nachteile im gesellschaftlichen Wettbewerb "hinwirken"
kann der Staat nämlich nur, wenn er mit hoheitlicher Gewalt den
tatsächlich Unterlegenen bevorzugt
und den Überlegenen rechtlich oder faktisch benachteiligt. Genau das
ist aber im fortbestehenden Verfassungstext ausdrücklich
verboten.
Nimmt
man die neue Bevorzugungsklausel nicht mit der Mehrheit der Unionsabgeordneten
für unschädliches rhetorisches Geklingel, bildet die Neufassung
des Art.3 einen Widerspruch in sich und ist die Ergänzung schlicht
verfassungswidrig. Ihr logischer Kurzschluß ist umfassend:
Überall da, wo eine(r) bevorzugt wird, wird nämlich ein anderer
benachteiligt, denn zum Bevorzugen gehören immer zwei: der
Vorgezogene und der Zurückgesetzte. So wird das Bevorzugungsmodell
zum Zurücksetzungsmodell für alle die, die nicht das Privileg
tatsächlich bestehender Nachteile besitzen.
Wie
der Verfassungsrechtler Günter Dürig im bekannten Grundgesetzkommentar
unverändert gültig schrieb, lehrt "die Erfahrung einer unseligen
Vergangenheit": Nur das ausdrückliche Verbot einer staatlichen
Bevorzugung oder Benachteiligung kann vor der "jakobinischen
Logik" schützen, die im Zeichen eines "Bedeutungswandels
der Grundrechte" gestern den Rassen-, heute den Klassen- und
morgen vielleicht den Geschlechterkampf propagiert, je nach
dem, in welchem Unterscheidungsmerkmal gerade die Substanz
einer vom Staat herzustellenden Gleichheit
gesehen wird. Das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes verlange
dagegen in allen Lebensbereichen Chancengleichheit beim Start
zum Wettbewerb. Es ist Gleichheit zur Freiheit,
nämlich Freiheit von staatlicher
Benachteiligung durch 'Vorgaben', die auf sozialer Abstammung
beruhen. Wenn der Staat sich also mit hoheitlicher Gewalt in
diesen Wettbewerb einmischt und "Benachteiligte" bevorzugt, beseitigt
er eine Voraussetzung für die Freiheit, die er doch gerade schützen
soll.
Verfassungsziel
des Gleichheitssatzes ist es, jedem die rechtliche
Voraussetzung zu schaffen, trotz "biologischer Vorprogrammierung"
frei über die eingenommene gesellschaftliche Rolle zu entscheiden,
z.B. als Frau nicht Mutter und Hausfrau, sondern Bundespräsident
zu werden. Es kann dagegen nicht
Staatsaufgabe sein, den innergesellschaftlichen Wettbewerb
durch gezielte faktische Einflußnahme auszuschalten. Vor
dem Staat sind Mann und Frau sowieso gleichberechtigt
- da gibt es von Verfassungs wegen keine "tatsächliche Gleichberechtigung"
mehr "durchzusetzen". Und in die gesellschaftliche Sphäre hat sich der Staat - entgegen dem linksliberalen
Wunschziel - nicht einzumischen: Wir brauchen keine "gleichberechtigte"
Teilhabe der Geschlechter, keine von der zuständigen Kreisverwaltung
ausschwärmenden rotgrünen BlockwartInnen, die "in allen
gesellschaftlichen Bereichen" für Ordnung und gleiche
Teilhabe sorgen.
Das
neue Verfassungsgebot, der Staat solle die vor ihm bestehende Rechtsgleichheit
auch tatsächlich durchsetzen,
zielt auf Übergriffe des Staats aus seiner Rechtssphäre in den gesellschaftlichen
Freiheitsbereich des Tatsächlichen. Es markiert einen weiteren
Meilenstein auf dem Weg vom klassisch liberalen Staatsverständnis
zum latent totalitären Gesinnungsstaat, der das aus Sicht der
political correctnes
Wünschenswerte mit Methoden staatlichen Gesellschaftsumbaues
erzwingen möchte.
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