Nach
Beobachtung des Publizisten Caspar von Schrenck-Notzing ersetzt
das Medium Fernsehen für den sich in der ersten Reihe wähnenden
Zuschauer die Realität: Diejenigen Politiker, die allabendlich
in ihren Staatskarossen zu Sitzungen auffahren, hält der
Fernsehzuschauer für real. Wer nicht auffährt und eintrifft,
ist irreal - es gibt ihn einfach nicht. Die Verfügungsmacht
über die Medien ist eine der tragenden Säulen eines politischen
Systems, das so für seinen dauernden Selbsterhalt sorgt. Wie
in Monitor und Panorama
definieren Journalisten das Maß dessen, was politisch als korrekt
gelten darf, nach ihrer Moral und erzeugen die Fiktion einer
in sich geschlossenen anderen Republik, in der sie selbst
die berufenen Interpreten und Inquisitoren dieser Moral sind.
Wehe dem, der in ihr Fadenkreuz gerät!
Die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat den Ehrenschutz
gegen Rufschädigungen nach Beobachtung des ehemaligen Präsidenten
des Bundesverwaltungsgerichts, Prof. Horst Sendler, abgeschafft.
Unter Berufung auf die freie Meinungsäußerung siegen heute meistens
die beklagten Beleidiger in Gerichtsprozessen der beleidigten
Opfer. In der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) vom 27.Juli
bringt Sendler das ganze Dilemma Beleidigter auf den Nenner:
"Die Rechtsprechung des BVerfG bietet
...
hilfreiche Hinweise, Invektiven mit einem Rest von Zweideutigkeit
so zu formulieren, daß sie für jeden Kenner eindeutig diffamieren,
aber liebevollen Interpreten - so auch dem BVerfG - die Chance
lassen, dem Schmäh dank seiner zweideutigen Eindeutigkit eine
eindeutige Zweideutigkeit zu unterschieben." Wenn es
noch irgendeine noch so abwegige Möglichkeit gibt, eine Beleidigung
als politische Meinungsäußerung auszulegen, läßt sie das BVerfG
durchgehen. So macht sich wegen Beleidigung strafbar, wer seinen
Thekennachbarn mit "Nazi" anbrüllt, weil der ihm ein
Bier über die Hose geschüttet hat. Klug beraten wäre der Begossene
freilich, vor Gericht zu erklären, der Gießer hätte ihm gerade
erzählt gehabt, die Bundeswehr fände er dufte. Wenn das "Nazi"
nämlich möglicherweise ein Produkt meinenden Nachdenkens war, ist es erlaubt.
Von einem Ehrenschutzprozeß können Anwälte bei so unsicheren
Erfolgsaussichten nur noch abraten.
In
derselben Ausgabe der NJW geht auch Martin Kriele, Professor
für öffentliches Recht in Köln und Mitherausgeber der Zeitschrift
für Rechtspolitik, hart mit der Macht der Medien und der hilflosen
Rechtsprechung ins Gericht: "Die Medien rufen 'Pressefreiheit!',
auch wo diese gar nicht in Frage gestellt ist, sondern lediglich
dem Ehrenschutz abgewogen werden soll. Sie rufen 'Demokratie!',
auch wo diese gar nicht auf dem Spiel steht und meinen ihre Privilegien.
...
Je hemmungsloser die Angriffe auf die persönliche Ehre geführt
werden dürfen, desto mächtiger werden diejenigen, die über
die Instrumente des Rufmords verfügen. Je mächtiger sie werden,
desto mehr Angst flößen sie ein und desto mehr Lohn verspricht
es zugleich, ihnen zu Diensten zu sein und ihren Wünschen entgegenzukommen.
Was sie in erster Linie wünschen, ist: Macht und noch mehr
Macht. Sie haben z.B. die Macht, einen Kandidaten für das Amt
des Bundespräsidenten scheitern oder passieren zu lassen."
Wer
immer nur im Sessel der ersten Reihe sitzt, merkt das nicht.
Die Ikone Bildschirm ersetzt ihm die Realität. Doch wer selbst
die Bühne betritt wie der SPD-nahe Kriele, bekommt schnell zu
spüren, daß auch gegen eindeutige Lügen manchmal kein Kraut gewachsen
ist. Nachdem der Stern
trotz Hinweisen Krieles ein Falschzitat des Staatsrechtlers
zur Asylantenfrage nicht berichtigte, seufte er jetzt in der
NJW: "Mit Appellen an Fairneß und Ehre
...
stößt man bei Presseorganen
...
auf taube Ohren." Unter den Journalisten gebe es "Schufte,
die ihre Berichte geschickt so manipulieren, daß sie einen
möglichst ehrvernichtenden Effekt haben." So würden manchmal
Strafanzeigen nur der Pressewirkung wegen erstattet. Daß Ermittlungen
gegen XYZ eingeleitet wurden, steht in der Schlagzeile. Nach
Einstellung des Verfahrens wegen erwiesener Unschuld sei es
an sich "selbstverständlich, daß nun für die Presse die
Pflicht bestehen sollte, die Rehabilitation des Bürgers in gleicher
Aufmachung zu veröffentlichen. Sie denkt
aber
gar nicht daran, sondern läßt den Bürger im öffentlichen Verdacht
hängen.
Als
weiteres Beispiel nennt Kriele "die Fernsehsendungen, die
Sekten, Orden und andere religiöse oder konservative Kleingruppen
eine nach der anderen niedermachen." Im Fernsehen gebe es
nur die Anklage. Ihr Negativbild präge sich ohne Korrektur dem
Zuschauer ein. Der Rechtsschutz komme immer zu spät. Wir möchten
ergänzen: Diese Beobachtungen gelten nicht nur für kleine konservative
Gruppen. Gegenüber großen Gruppen und Parteien kommen Leute
wie Bednarz, Wagner, Karl-Eduard von Schnitzler oder Lea Rosh
erst richtig in Form. Welche Fakten sie transportieren, entspringt
ebenso ihrem unerforschlichen Ratschluß, wie sie ihr Monopol
mit Zähnen und Klauen verteidigen, moralische Dogmen aufzustellen
und über ihre Verletzung durch Ketzer zu richten.
Kriele
zufolge gibt es auch im Medienbereich eine "normative
Kraft der Macht". Über diese reflektiert auch der Vorsitzende
Richter am Landgericht Hamburg Günter Bertram in der NJW vom
3. August in einem Aufsatz über "Entrüstungsstürme im
Medienzeitalter - der BGH und die 'Auschwitzlüge'". Schon
Hermann Lübbe habe erkannt, man wisse ja, "welches die
maßgebenden moralischen und politischen Grundsätze sind, denen
man öffentlich nicht widersprechen kann, ohne sich moralisch
und politisch zu isolieren." Bertram sieht heute eine "ausgeprägte
Sensibilität, das Herauskehren normativer Wohlanständigkeit
und die permanente Sorge um Legitimität." Die Kehrseite
seien eine "extreme Empfindlichkeit gegenüber jeder Verletzung
traditioneller Tabus. Diese Nervosität wirkt in Bereiche hinein,
die weit vor jeder Strafrechtsgrenze liegen." So sei der
erzwungene Rücktritt Jenningers 1988 durch "Hypersensibilisierung"
zu erklären. Ohne sich weitere Gedanken über die Macht der "Hypersensibilisierer"
zu machen, die handelnden Subjekte dieser Hypersensibilisierung,
rät Bertram zu "asketischer Zurückhaltung". Empörung
sei ein zweifelhafter Ratgeber im Strafrecht. Die Bestrafung
der "Auschwitzlüge" könne nach den allgemein anerkannten
Grundsetzen der Kriminalpolitik nicht über die Beleidigungstatbestände
hinaus verschärft werden. Was an Gesetzesvorschlägen darüber
hinaus gehe, lasse überzeugende Argumente vermissen und beschränke
sich im Kern auf "Zeichen setzen" und "Signale
geben". Mit lauterer Gesinnung allein könne der Gesetzgeber
das Land nicht regieren. "Irgendwo werden immer die Grenzen
der Strafbarkeit liegen, es sei denn, man schafft sich das Problem
vom Halse und rottet die Extremisten wie ein "Krebsgeschwür"
aus, was Herrn Gerster (CDU) für die Republikaner eingefallen
zu sein scheint - vgl. FAZ v.11.4.1994."