Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Instrumente des Rufmords

(Publikation: Junge Freiheit 33/1994)

 

 

Nach Beobachtung des Pu­blizisten Caspar von Schrenck-Notzing er­setzt das Medi­um Fernsehen für den sich in der er­sten Reihe wäh­nenden Zu­schau­er die Reali­tät: Dieje­nigen Po­li­ti­ker, die all­abend­lich in ihren Staats­ka­ros­sen zu Sit­zun­gen auf­fah­ren, hält der Fernseh­zu­schauer für real. Wer nicht auf­fährt und ein­trifft, ist ir­real - es gibt ihn ein­fach nicht. Die Ver­fü­gungsmacht über die Medien ist eine der tragenden Säulen ei­nes politi­schen Sy­stems, das so für seinen dauernden Selbst­er­halt sorgt. Wie in Mo­ni­tor und Pan­orama definieren Jour­nali­sten das Maß dessen, was poli­tisch als korrekt gelten darf, nach ihrer Moral und er­zeu­gen die Fiktion einer in sich ge­schlosse­nen an­de­ren Republik, in der sie selbst die beru­fe­nen Interpreten und In­quisito­ren dieser Moral sind. Wehe dem, der in ihr Faden­kreuz ge­rät!

 

Die Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­gerichts hat den Ehren­schutz ge­gen Rufschädi­gun­gen nach Beobach­tung des ehemaligen Präsi­den­ten des Bundes­ver­wal­tungsge­richts, Prof. Horst Sendler, abge­schafft. Unter Berufung auf die freie Mei­nungsäußerung siegen heute mei­stens die be­klagten Beleidiger in Ge­richtspro­zessen der beleidigten Opfer. In der Neuen Juristi­schen Wo­chen­schrift (NJW) vom 27.Juli bringt Sendler das ganze Di­lemma Belei­dig­ter auf den Nen­ner: "Die Rechtspre­chung des BVerfG bietet ... hilfrei­che Hinweise, Invektiven mit ei­nem Rest von Zwei­deu­tigkeit so zu for­mu­lie­ren, daß sie für jeden Kenner ein­deutig diffamieren, aber liebevollen In­terpreten - so auch dem BVerfG - die Chance lassen, dem Schmäh dank seiner zweideutigen Ei­ndeutigkit eine eindeu­tige Zweideutig­keit zu un­ter­schie­ben." Wenn es noch ir­gendeine noch so abwe­gige Möglich­keit gibt, eine Beleidi­gung als politische Mei­nungsäußerung aus­zu­legen, läßt sie das BVerfG durch­gehen. So macht sich we­gen Beleidigung straf­bar, wer seinen Thekennachbarn mit "Nazi" an­brüllt, weil der ihm ein Bier über die Hose geschüttet hat. Klug bera­ten wä­re der Be­gossene freilich, vor Ge­richt zu erklären, der Gie­ßer hätte ihm ge­rade erzählt gehabt, die Bundes­wehr fände er dufte. Wenn das "Nazi" näm­lich möglicherweise ein Pro­dukt mei­nenden Nachden­kens war, ist es er­laubt. Von ei­nem Ehrenschutz­prozeß können Anwälte bei so unsicheren Er­folgs­aussich­ten nur noch abra­ten.

 

In derselben Ausgabe der NJW geht auch Martin Kriele, Profes­sor für öffent­liches Recht in Köln und Mit­herausgeber der Zeitschrift für Rechtspolitik, hart mit der Macht der Medien und der hilflo­sen Recht­spre­chung ins Gericht: "Die Med­ien rufen 'Pressefreiheit!', auch wo diese gar nicht in Frage gestellt ist, sondern le­dig­lich dem Ehrenschutz abgewogen werden soll. Sie rufen 'Demokratie!', auch wo diese gar nicht auf dem Spiel steht und meinen ihre Privilegien. ... Je hem­mungsloser die An­griffe auf die per­sönli­che Ehre geführt werden dür­fen, desto mächtiger wer­den diejeni­gen, die über die Instrumente des Ruf­mords ver­fügen. Je mächtiger sie wer­den, desto mehr Angst flößen sie ein und desto mehr Lohn ver­spricht es zugleich, ihnen zu Diensten zu sein und ihren Wün­schen entgegenzu­kom­men. Was sie in er­ster Linie wün­s­chen, ist: Macht und noch mehr Macht. Sie haben z.B. die Macht, ei­nen Kandida­ten für das Amt des Bun­des­präsidenten scheitern oder pas­sie­ren zu las­sen."

 

Wer immer nur im Sessel der er­sten Reihe sitzt, merkt das nicht. Die Ikone Bildschirm er­setzt ihm die Realität. Doch wer selbst die Bühne betritt wie der SPD-nahe Kriele, be­kommt schnell zu spüren, daß auch ge­gen eindeutige Lügen manchmal kein Kraut gewachsen ist. Nachdem der Stern trotz Hinweisen Krieles ein Falschzitat des Staats­­rechtlers zur Asylantenfrage nicht be­rich­tigte, seufte er jetzt in der NJW: "Mit Ap­pel­len an Fairneß und Ehre ... stößt man bei Pres­seorganen ... auf taube Ohren." Un­ter den Jour­nalisten gebe es "Schufte, die ihre Be­richte ge­schickt so manipulie­ren, daß sie einen möglichst ehrvernich­tenden Effekt ha­ben." So wür­den manchmal Strafan­zeigen nur der Pres­se­wirkung we­gen erstattet. Daß Ermittlun­gen gegen XYZ eingeleitet wurden, steht in der Schlag­zeile. Nach Einstellung des Ver­fahrens wegen erwiesener Un­schuld sei es an sich "selbst­verständ­lich, daß nun für die Presse die Pflicht bestehen sollte, die Re­habilitation des Bürgers in gleicher Aufma­chung zu veröffentli­chen. Sie denkt aber gar nicht daran, sondern läßt den Bürger im öffentlichen Verdacht hän­gen.

 

Als weiteres Beispiel nennt Kriele "die Fern­sehsen­dungen, die Sekten, Or­den und andere reli­giöse oder kon­serva­ti­ve Kleingruppen eine nach der anderen nie­dermachen." Im Fernsehen gebe es nur die Anklage. Ihr Nega­tivbild präge sich oh­ne Korrektur dem Zuschauer ein. Der Rechts­schutz komme immer zu spät. Wir möchten ergänzen: Diese Beobach­tungen gel­ten nicht nur für kleine kon­servative Gruppen. Gegenüber großen Grup­pen und Parteien kom­men Leute wie Bed­narz, Wagner, Karl-Edu­ard von Schnitzler oder Lea Rosh erst richtig in Form. Welche Fakten sie transpor­tie­ren, ent­springt ebenso ihrem uner­forschlichen Rat­schluß, wie sie ihr Monopol mit Zäh­nen und Klau­en ver­teidigen, moralische Dog­men auf­zu­stel­len und über ihre Ver­letzung durch Ket­zer zu richten.

 

Kriele zufolge gibt es auch im Med­i­enbe­reich eine "normative Kraft der Macht". Über diese re­flektiert auch der Vorsit­zende Richter am Land­gericht Hamburg Günter Bertram in der NJW vom 3. Au­gust in einem Aufsatz über "Ent­rü­stungs­stürme im Medienzeitalter - der BGH und die 'Auschwitzlüge'". Schon Her­mann Lübbe habe erkannt, man wisse ja, "wel­ches die maßgebenden morali­schen und po­li­ti­schen Grundsätze sind, de­nen man öffentlich nicht wider­spre­chen kann, oh­ne sich moralisch und politisch zu isolieren." Bertram sieht heute eine "ausgeprägte Sensibili­tät, das Heraus­keh­ren normativer Wohlanstän­dig­keit und die permanente Sorge um Legi­timität." Die Kehr­seite seien eine "extreme Emp­findlichkeit ge­genüber je­der Verletzung traditionel­ler Tabus. Diese Ner­vosität wirkt in Bereiche hin­ein, die weit vor jeder Strafrechts­grenze liegen." So sei der er­zwungene Rücktritt Jenning­ers 1988 durch "Hypersensibilisierung" zu erklä­ren. Oh­ne sich weitere Gedanken über die Macht der "Hypersensibilisierer" zu ma­chen, die handeln­den Subjekte die­ser Hypersen­sibi­lisierung, rät Ber­tram zu "asketischer Zurückhaltung". Em­pö­rung sei ein zwei­felhafter Ratgeber im Straf­recht. Die Bestrafung der "Auschwitzlüge" könne nach den all­ge­mein anerkannten Grund­setzen der Kri­minal­politik nicht über die Be­leidi­gungs­tatbestände hinaus ver­schärft wer­den. Was an Geset­zesvor­schlägen darüber hin­aus gehe, lasse überzeu­gende Argumente ver­missen und be­schränke sich im Kern auf "Zeichen setzen" und "Signale ge­ben". Mit lau­terer Gesinnung allein könne der Ge­setz­ge­ber das Land nicht regieren. "Irgendwo wer­den immer die Grenzen der Strafbarkeit liegen, es sei denn, man schafft sich das Problem vom Halse und rottet die Ex­tremisten wie ein "Krebsgeschwür" aus, was Herrn Gerster (CDU) für die Repu­blikaner eingefallen zu sein scheint - vgl. FAZ v.11.4.1994."