Der linksliberale
Kulturkampf um die Sprache
(Publikation: Junge Freiheit
35/1994 v.26.8.1994)
Die
Herrschaft des Linksliberalismus in Deutschland hat ein geschlossenes
System gebildet. Wer ausschert und sich seinen Spielregeln nicht
beugt, hat das Nachsehen. Rechtstaatliches Handeln zählt nicht
zu diesen Spielregeln: "Ich hätte nie gedacht," empörte
sich Hamburgs CDU-Fraktionschef Kruse (CDU) am 15.9.1993 über
ein Urteil des Hanseatischen Oberverwaltungsgerichts zugunsten
der DVU, die auch einmal an einer Wahlsendung mit teilnehmen
wollte, "daß ich ein hamburgisches Gericht jemals so verachten
würde. Die Herren in ihren schwarzen Roben, diese Hüter des Rechtsstaats,
sollten sich schämen. Sie haben aus dem Versagen ihrer Kollegen
in der Weimarer Republik nichts gelernt." - Auf die Gesinnung
kommt es an! Die Verfügungsgewalt über die erlaubte Gesinnung
ist heute der verschlossene Deckel des geschlossenen Systems
"Linksliberalismus". Seine Moralvorbeter leiten
sie aus einer für den vergesellschafteten Staat einheitlichen
Humanitätsideologie ab, deren berufene Interpreten und
Inquisitoren sie selbst sind.
Gelernt
hatten auch die Richter der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts
Mannheim nichts und zogen sich Schimpf und Schande zu: berücksichtigten
sie doch, ihrer gesetzlichen Pflicht gemäß, aber nicht ideologisch
entrüstet, wie es sich korrekt gehört hätte, "die Beweggründe
und Ziele" des Verurteilten Günter Deckert, "sein Vorleben
und seine persönlichen Verhältnisse"(§ 46 StGB). Das
verbindliche neue Lernstück heißt "political correctness"
und sollte künftig von jedem verinnerlicht werden, dem seine
Karriere am Herzen liegt. "Ein Machiavelli riete ihm,"
machte der Bonner Verfassungsrechtler Josef Isensee am Beispiel
des Bundespräsidenten deutlich, im Zweifel sich nicht mit dem
linken Lager anzulegen, das unnachsichtig über die political
correctness wacht und in seinem mangelnden Sinn für Form und
Institution
...
Protest niemals unterdrücken würde, indes das bürgerliche Lager,
aus Restrespekt vor der Autorität des Amtes und vor der Würde
des Staates, eher noch Haltung bewahrte."
Zu
Respekt vor der Autorität eines Amtes oder der Würde des Staates
hat der linksliberale Mainstream ein eher utilitaristisches
Verhältnis: Als moralisch korrekt gilt ihm nach beendigtem
Marsch durch die Institutionen, was seinem Machterhalt nützt.
Seine verbissene Verteidigung der errungenen Bastionen in
Parteien und Medien trägt nach Beobachtung Eckhard Fuhrs in
der FAZ vom 29.9.1993 alle Züge eines Kulturkampfes. Einst
1968 hatte die Linke erkannt, daß die Sprache, die Verfügung
über das Sagendürfen und Sagenkönnen, ein entscheidender
Pfeiler politischer Herrschaft ist. So konsequent sie damals
die Sprache als Herrschaftsinstrument der Nach-Adenauer-Zeit
"entlarvte" und zerbröselte, sucht sie heute ihre
eigene Macht durch eine verkappte Sprachgleichschaltung abzusichern.
Bekanntlich pflegen die Revolutionäre von gestern die Reaktionäre
von heute zu sein.
Ihr
heutiges Herrschaftssystem ist überwölbt von einer abstrakten
Herrschaftsideologie und stellt sich konkret als Wirkeinheit
einer Fülle sich gegenseitig stabilisierender und bedingender
rechtlicher und soziologischer Regeln sowie faktischer
Machtverhältnisse dar. Die errungene Machtposition der
68er manifestiert sich in konkreten juristischen Gesetzen
samt Interpretationsmonopol dieser Gesetze, in ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten und in rigiden Sprachregelungen auf Grundlage
eines vereinheitlichten pseudo-humanitaristischen Moralkodex.
Nachdem sie einmal an den entscheidenden Schaltstellen saßen,
veränderten sie alle diese Spielregeln so und versteinerten
sie dann, daß sie an den Schaltstellen blieben. Wer die Macht
einmal hat, regelt die Regeln so, daß er an der Macht bleibt.
Das Perpetuum mobile des selbstreferentiellen Systems scheint
perfekt: Unter den konkreten Bedingungen dieses Parlamentarismus,
der Massendemokratie und der Mediengesellschaft hat Herrschaft
hat viele Standbeine. Alle diese Herrschaftsinstrumente sind
in Händen der Alt-68er und ihrer geistigen Mitläufer. Sie sitzen
als Parteien organisiert in den Parlamenten, machen dort ihre
Gesetze, befinden dort über die Regierung, die diese anwendet
und wählen dort schließlich ihre Richter, die über die korrekte
Auslegung ihrer Gesetze nach einer "Wertordnung" wachen.
Diese sollte allein im Grundgesetz nachzulesen sein, doch was
da konkret alles herausgelesen werden darf und muß, entscheiden
letztlich bindend 24 ausgewählte Verfassungsrichter. So spielt
man das Stück "Beste aller Welten", und seine Hofjournalisten
sitzen im Parkett und klatschen wahlweise Beifall oder buhen
aus, je nach dem, ob die Akteure ihr Sprüchlein gut gelernt
und schön gefühlig-betroffen geschauspielert haben.
Die Verfügung der Herrschenden über die Sprache der Beherrschten
ist einer der wesentlichen Machtfaktoren. Wer bestimmte Worte
nicht mehr benutzen darf, kann sich bald nicht mehr artikulieren,
das wußte schon George Orwell. 1994 ist das korrekte Neusprech
linksliberal. So verschwand Mitteldeutschland aus dem amtlichen
Sprachgebrauch des Fernsehens, und mit ihm verschwand der deutsche
Osten aus dem Sinn. Der "ausländische Mitbürger" hat
den "Ausländer" ersetzt und beansprucht auch für die
nicht eingebürgerten Ausländer Bürgerrechte. Wer die Sprachgleichschaltung
nicht mitmacht, ist schon "als Nazi entlarvt".
Das
hat Folgen. Das Konzert der Herrschaftsinstrumente ist fein
aufeinander abgestimmt. Zwar darf man noch das meiste wie
im Märchen von der Gänsemagd seinem alten Ofen erzählen, was
man auf dem Herzen hat. Wer nach den Regeln der Herrschenden
im großen Spiel um die Macht aber mithalten will, muß seine Meinung
verbreiten. Das ist eine Spielregel. Da wollte zum Beispiel
im Oktober 1993 einer um Wählerstimmen mit der Feststellung
werben, Boden sei nicht vermehrbar, Ausländerzuzug und Umweltschutz
gingen daher nicht zusammen. Die Spielregeln brachten es aber
mit sich, daß leider keine Zeitung drucken und auch keine Station
senden wollte. So ging er zur Post und wollte ein Flugblatt
als Postwurfsendung verbreiten. Da erfuhr er eine weitere Spielregel:
Auch über die Post verfügen, wie im Märchen vom Hasen und vom
Igel, seine politischen Konkurrenten, die überall schon sind,
wohin er möchte. Die Wurfsendung wurde nicht ausgeliefert.
Das Verwaltungsgericht Regensburg (NJW 1994, 2040) gab ihm zwar
im Februar 1994 Recht, doch bis heute kämpft die Post vor dem
Bayerischen Verwaltungsgerichtshof: Man dürfe so etwas nicht
sagen, das sei ganz "niederträchtig" und "perfide",
es schüre Ausländerhaß. 1992 seien mindestens 17 Ausländer
getötet worden, und "angesichts des bereits vorhandenen
erheblichen Gewaltpotentials genügt schon die geringste negativ
gefärbte Aussage über Ausländer, um tätliche Angriffe gegen
diese Bevölkerungsgruppe zu provozieren." Das Flugblatt
ist bis heute nicht ausgeliefert. Das System funktioniert.