Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Ist Heavy Metal faschistisch?

(Publikation: Junge Freiheit 37/1994 v. 9.9.1994)

 

"Wer sich der modernen Mittelmä­ßig­keit ver­weigert, wird als Außensei­ter im­mer abseits ste­hen. Er bringt ei­nen Wech­sel, der Furcht in allen weckt, die mit dem Zeitgeist gehen. Ih­re Kraft be­ziehen sie von anderen, sie kommt nicht von in­nen. Sie betrü­gen! Verflucht seien sie für die Ver­ändern­den, die sich mit­ein­ander verbun­den haben. Ihre Zeit kommt jetzt! Wir können nicht aufgehal­ten wer­den! Wir steigen auf durch den Willen des Vol­kes. Die Schlacht tobt - Wähle deine Seite! DEATH TO FALSE ME­TAL - Forever Fighting the world" Der sol­che Töne spuckt heißt Joey De­Maio, und die Worte stehen als Motto auf der CD Fight­ing The World der USAme­ri­kanischen Heavy-Metal-Grup­pe Mano­war. In Deutschland gilt diese Musik­rich­tung als rechts­ver­dächtig, wenn nicht gar faschi­stisch. Ihre Jün­ger gehören häufig zu je­ner von Linken gern als "rechts" be­zeich­neten sprin­ger­bestie­fel­ten Glatzen­sub­kul­tur. Könnte einer von ihnen lesen oder würde er sich für die engli­schen Liedtexte interessie­ren, würde er ver­mut­lich freudig dieser Ein­ordnung zu­stim­men. Schließ­lich weiß er von sei­nem lin­ken Leh­rer, daß Spaßha­ben an Gewalt rechts ist.

Anders urteilte Hans Magnus En­zens­berger über ihn: "Die Ge­schichte inter­es­siert ihn nicht. Haken­kreuz und Hitler­gruß sind beliebige Re­quisiten. Seine Klamotten-, Mu­sik- und Video­kul­tur ist durch und durch amerika­nisch. Die Reichs­kriegsflagge wird mit Jeans und T-Shirt getragen. ... 'Deutschtum' ist ein Slogan ohne In­halt, der nur dazu dient, die Leerstel­len im Gehirn zu be­setzen. ... Da ihm die eigene Zukunft nichts gilt, kann es nicht wunderneh­men, daß ihm auch das eigene Land vollkom­men wurst ist" (Aussichten auf den Bür­gerkrieg 1993 S.26). Hat er recht? Als durch und durch amerikanisch erweist sich die "Musikkultur" bei nähe­rer Besich­tigung tat­sächlich: Musikalisch bietet Manowar nichts, was nicht seit den 70er Jahren von den Rol­ling Stones, Steppenwolf, vor al­lem aber von Uriah Heep und ande­ren Rock­grup­pen erfunden war. Auffällig sind nur die Liedtexte und die rambo­hafte Auf­machung der Gestalten auf ih­ren CD-Hül­len. Wagen wir einen Gru­seltrip in ih­re geistige Welt, de­ren Wortfet­zen sich im englischen Original­text sogar reimen: "Zivilisation zerbrö­selt schnell/ En­det die Welt im Sturm/ Angst­volle Leute gehn über die Stra­ße/ Der Abschaum hat sei­nen Tag/ Ehe sie ge­gen mich anrennen/ Bist du bereit? Le­ben in Furcht ist nichts für mich/ Ich be­waffne mich mit einem Ge­wehr und ver­teidige die Frei­heit. ... Ge­walt und Blut­ver­gie­ßen (3 x wie­der­holt). Musi­kalisch einge­rahmt wird der Titel durch akusti­schen Bomben­ha­gel, Ma­schinenge­wehr­feuer, Si­re­nen­ge­heul, Hub­schrauber­knat­tern und infernalisches Ge­schrei - die hektisch hin­ge­kreischten Satzfragmente ord­nen sich auf den stän­di­gen Re­frain "Violence and Bloods­hed" hin, die einzi­gen für deutsche Ohren ohne Text­buch sofort verstehbaren, ein­häm­mernd ge­kreisch­ten Worte - Holly­woods Horror­video in Audio­versi­on, fast spritzt das Blut aus den Mu­sikbo­xen, und es ent­steht der um­werfende Eindruck nackter Ge­walttätigkeit, Ver­herr­li­chung des Bru­ta­len, das Sichaufgeilen am Scheußli­chen. Das Heulen des Luftalarms, das Dröh­nen der Bombeneinschläge, das Knattern der MGs - wel­ches deutsche Ohr könnte das überlaut Schreckli­che hö­ren, ohne daß vor dem geistigen Auge die Such­schein­wer­fer der Flakbatte­rien von Dresden er­stehen? Die Boxen vibrieren wie beim Ein­schla­gen der Bom­ben in Flücht­ling­s­trecks und Ka­thedralen. Welch füh­len­des Herz dächte nicht an die auf Schwel­len ge­häuf­ten verbrennenden Leichenberge von Frauen und Kin­dern? Die Musik ist machtvoll ergrei­fend, hin­reißend, mitrei­ßend. Sie reißt mit in die perver­se Ge­fühlswelt horrorge­schädig­ter Vi­deoten, für die kein Kick mehr stark genug sein kann. Es ist die Welt der En­kel derer, die Dresden erlebt ha­ben - von oben! Oben in den Kanzeln der Bom­ber, die gestern Köln bombardier­ten, heute Ham­burg verbrannten und morgen Dres­den ver­nichte­ten. Jene Deutschen, waren sie nicht alle Nazi­ba­stards, Krauts, die man wie Scha­din­sekten ange­ekelt zer­tritt? Oben tri­umphdröhnende Orgeln, un­ten das In­ferno.

Doch unsere Welt ist das nicht, sie ist nicht die Welt der Enkel derer, die Dres­den unten erleben mußten. Sie ist auch nicht die Geisteswelt des deut­schen He­roismus. Hier werden das Blut­ver­gießen und das Leiden als sol­ches musika­lisch verherrlicht und mit triumpha­listischer Musik verklärt, dort hatte seit dem Front­erlebnis des 1. Weltkriegs die he­roische Selbstüber­windung des Soldaten trotz sei­nes Lei­dens im Vordergrund gestan­den. Wel­ten liegen zwischen Manowars "We are fighting a holy war, baptiza­ted in fire and steel" und Ernst Jüngers "Stahlgewittern" oder den Ge­dichten des Arbeiter­dichters Heinrich Lersch, des­sen Zeilen "Deutsch­land muß le­ben, und wenn wir sterben müssen" das be­rühm­te Hamburger Denkmal schmücken. Nach den ersten bluti­gen Materialschlachten des 1. Weltkriegs hatte sich der erste Hur­rapatriotis­mus der streit­lustig ausge­zoge­nen Ju­gend schnell ge­legt und nach­denk­lichen Tö­nen Platz gemacht. Das Front­er­lebnis hatte jenen rit­terlich-heroi­schen Geist ge­formt, der den Feind be­kämpft, ohne ihn zu has­sen, der den Kampf be­wußt be­steht und sittlich be­wältigt, ob­wohl an sei­nem En­de Leid, Unter­gang und Tod stehen. So hatte Ler­sch am Ende eines Gedich­tes, in dem ein unbe­kann­ter Toter seit Tagen ungebor­gen vor dem Drahtverhau des Schützen­gra­bens liegt, formu­lieren können: "Bis ich, trotz allen Kugeln, zur Nacht mich ihm ge­naht/ und ihn ge­holt. - Begra­ben: Ein frem­der Ka­merad./ Es irrten meine Au­gen. - Mein Herz, du irrst dich nicht:/ Es hat ein je­der Toter des Bruders Ange­sicht." Und am Ende von "Die Kin­der im Krieg" dichtete Al­fons Petzold: "Wir hören im fin­steren Zim­mer/ Auf der Gasse Soldaten­schritt,/ Da weint unsre Mutter wie immer/ Und wir, wir weinen mit." So war das bei uns!

Natürlich lassen sich die blutrünsti­gen Texte der geschäftstüch­ti­gen US-Sänger bei se­manti­scher Exegese und gutem Willen als Aufruf zum Kampf des gu­ten Ameri­ka gegen den bösen Rest der Welt deuten. Während in Deutschland seit Fried­rich Bar­barossa hei­lige Kriege aus der Mode ge­kom­men sind und die Ge­fühls­welt von Ge­neratio­nen von den Ver­hee­rungen des 30jährigen Krieges und zweier Welt­kriege geprägt wurden, zieht Gods own country in seinen Holy War. Die­ser findet, von Fall zu Fall und je nach ökonomi­schem In­teresse, mal ge­gen je­nen teuflischen Kai­ser statt ("Hang the Kai­ser!"), mal gegen je­nen teufli­schen Füh­rer, mal ge­gen jene teufli­schen Japse, ge­gen jenen teuflischen Ho Chi Minh, je­nen teuflischen Sad­dam, und morgen ge­gen die ganze teuflische Welt: "Fighting the world!" sin­gen Manowar und haben das beste Ge­wissen. "Heavy Metal" - so hatte schon 1981 ein 90-Mi­nuten-Zei­chen­trickfilm von Gerald Pot­terton ge­hei­­ßen. Den roten Fa­den der Handlung bil­dete ei­ne grüne Ku­gel, das Böse, und seine schließliche Überwin­dung in he­roi­schem Kampf durch das Gute, be­gleitet von ei­nem Pot­pourri schwer­me­tal­lischer Musik. Sie ist die hinter­gründige Pro­grammusik einer One World des Guten gegen das Böse, das man mit gutem Ge­wissen zer­quetschen kann, nicht oh­ne Aus­tritt nen­nenswer­ter Mengen verba­len Eiters.

Hier wird eine großartige Rockmusik miß­braucht, hier wird Ge­walt verherr­licht, hier wird Zerstörung gepre­digt, hier wird das Grau­enhafte verklärt, hier wird Haß gesät; hier gilt Konrad Lo­renz Wort: "Wenn die Fahne fliegt, ist der Ver­stand in der Trom­pete." Das ist nicht rechts, das ist ab­scheulich. Das ist nicht unsere Welt. Es ist auch kein fa­schisti­scher Stil - dieser suchte agonal die kämpferische Aus­ein­ander­setzung an sich, doch nicht "vio­len­ce and bloods­hed". Das ist auch nicht deutsch. Es ist das häß­li­che Ge­sicht des Ja­nuskopfes America. Es ist die en­zens­ber­ger­sche Welt ei­ner gegen­über deut­scher Tradition umerzo­ge­nen, an Hor­­rorvi­deos ge­schul­ten und abgebrühten "deutschen Ju­gend", fit ge­macht für das Eurokorps von Ame­rikas Holy War. Holy Gang­ster's - aber - rechte Hand aufs Herz und die Augen him­mel­­wärts - mit dem besten Gewis­sen!