Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

Korruption hat System

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 40 / 1996 )

 

Handsalbe nannte man ein Bestechungs­geld im Barock. 1914 gab es den Kölner Poli­zei-Skandal: Der Kommissar Land­schulz nahm von Gastrono­men Geschenke an und wurde verurteilt. Auch Gö­ring war für jedes Geschenk dankbar. Das Schmie­ren von Amtsträgern schritt ständig fort. Am fort­schritt­lich­sten sind wir heute. Grund ge­nug für die Creme der deutschen Ju­ri­­sten­­­schaft, sich auf dem 61. Juristentag ex­em­­plarisch damit auseinan­derzusetzen.


Korruption ist ein rotes Tuch für jeden Juri­sten. Er lebt vom unver­brüchlichen Gelten der Ge­setze. Die Beste­chung lebt von ihrem Bruch. Der Frankfur­ter General­staats­­anwalt Schäfer wi­derlegte die Schwar­ze-Schafe-Theorie und erklär­te die Korruption für ein flächendeckendes Phä­nomen im öf­fentlichen Dienst. Damit be­stätigte er amtlich die von Günter Maschke schon vor drei Jahren im JF-Interview ge­äußerte Beobachtung: Oben wie unten herrsche dieselbe korrupte Schweinchen-Schlau-Men­­talität. Korrupten Poli­tikern grolle man allenfalls, weil diese im Großen viel erfolg­reicher prakti­zierten, was der kleine Mann bloß mit sei­ner Versicherung versuche.


Der Staatsanwalt Schäfer hat darum Recht, wenn er strafrechtliche Verschär­fungen allein für un­zureichend hält. Viel­mehr müsse eine "gesellschaftliche Werte­dis­kussion" geführt wer­den. "Wir müssen uns darüber klar werden, in welcher gesell­schaftlichen Struktur wir leben wollen." Damit faßt er freilich ein heißes Eisen an. Unsere Gesellschafts­struktur ist die extrem li­berale. Schon Donoso Cortès fiel es 1848 auf: Die Liberalen hätten wohl überall in­sti­tutionelle Si­cherungen gegen jede Form des Machtmißbrauchs eingerichtet. Mit all ihren Prinzipien und Gegen­prin­zipien, "checks and balan­ces" ver­folgen sie einen einzigen Zweck: "ein Gleichgewicht zu er­reichen, das niemals zu erreichen ist, weil es der Natur der Gesell­schaft und der Natur des Men­schen wider­spricht. Nur für eine Macht hat die li­berale Schule das dieser ent­spre­chende Gegen­gewicht nicht ge­sucht: für die Macht der Kor­rup­tion." So stehen wir heute mit vielen schönen Phrasen unter dem Arm da, aber oh­ne etwas Sub­stanzielles gegen die Kor­ruption in der Hand zu haben.


Eine Wertediskussion, wie Schäfer sie vor­schlägt, würde zu einem Modell führen, in dem das Gemeinwohl ebenso hohe Wert­­schät­zung ge­nießt wie der Egoismus. Es wäre zugleich ein Ab­schied von liberalen Prin­zipien. So weit geht die Toleranz des Liberalen aber nicht. Für ihn darf es keine Dis­kussion geben, die das wertfreie, ergeb­nisoffene Diskutieren selbst in­frage stellt. Er ver­weigert sich aus­drück­lich jeder übe­rindi­vi­duellen Sinn­stif­tung. Blind ge­macht für die Be­lan­ge des ganzen Volkes, hat er uns in ei­ner Je­der-ge­gen-je­den-Ge­sellschaft auf uns selbst zu­rück­geworfen. Das hat den Weg in die Kor­rup­tion un­entrinn­bar vor­ge­zeich­net.


Werte jenseits des Egoismus wie die Unbe­stech­lichkeit der Amtsführung, die Unei­gen­nüt­zigkeit der Obrigkeit und die Treue zum gegebe­nen Amtseid haben kei­nen Platz im liberalen Wertehimmel - Se­kun­där­­tu­genden schimpft man sie. Wir müssen uns an die Korruption eben ge­wöhnen. Willkom­men in der westlichen Wertege­meinschaft!