Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

 

Das Kreuz mit der Presse

oder

Der beleidigte Nazi

 

Erstpublikation: Junge Freiheit 51/2001 [1]

 

Darf man einen anderen als “Nazi” be­zeich­nen? Die ein­fache Frage führt über juri­stische Hochsei­lakte tief in das Gestrüpp von Sinn und Unsinn dessen, was jeder vernünf­ti­ge Laie uns Juristen als Wortverdreherei ank­reidet. Für die richtige Antwort kommt es darauf an: Sollte “Nazi” nur ein belie­biges Schimpfwort ersetzen, oder war es als Mei­nung gedacht? Das erste wäre eine strafbare Belei­digung, das zweite erlaubt. So macht sich straf­bar, wer seinen The­kennachbarn mit "Nazi" an­brüllt, weil der ihm ein Bier über die Hose geschüttet hat. [2] Klug beraten wäre der Gie­ßer frei­lich, vor Gericht zu er­klä­ren, der Begos­sene hätte ihm gerade erzählt ge­habt, die Bundes­wehr fände er dufte. Wenn das "Nazi" näm­lich mögli­cherweise ein Pro­dukt meinenden Nachden­kens war, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bun­des­ver­fas­sungs­gerichts (BVerfG) erlaubt. [3]

Vor allem in öffentlich interessieren­den Fragen spricht das BVerfG sich in Zwei­fels­fäl­len immer für die Zulässigkeit der frei­en Rede aus. Wenn es noch ir­gend­eine noch so abwegige Möglichkeit gibt, eine Beleidi­gung als politische Mei­nungs­äu­ße­rung aus­zu­legen, läßt es sie durchgehen. [4] In politi­schem Zu­sammen­hang darf darum praktisch jeder jeden als Nazi beschimpfen, wenn dem Richter nur ernsthaft erklärt, er halte den Be­schimpf­ten wirklich für einen Nazi.

Wenn vorgeblich “Rechte” be­schimpft werden, halten sich die Gerich­te meist genau an den groß­zügigen Spielraum, den das BVerfG der Mei­nungsfreiheit einräumt. Kri­tisieren aber “Rechte” ihre politische Kon­kur­renz, ge­hen die Uhren in Gerichtssälen oft nach. So soll die Bezeichnung anderer als "braune Ratten" nach dem LG Pader­born [5] ei­ne er­­laubte Meinungsäußerung sein. "Rot­lackier­ter Nazi" hält dagegen für eine Belei­di­gung das LG Wies­baden (1994) [6] . Die Uni­tarier darf man nach Meinung des OLG Ham­­burg (1992) als "Nazi-Sekte" bezeich­nen. [7] Aber "Altkom­mu­nisten im Geiste des Mas­sen­mör­ders Stalin" darf man einen ande­ren nicht straflos nen­nen, urteilte das LG Mann­heim (1996 [8] ).

Als Faustregel gilt: Es beleidigt, wer den ande­ren bloß krän­ken und in seiner Per­sön­lichkeit tref­fen will. Wie viele Richter zu wis­sen glauben, darf man bei “rechten” Äu­ße­rungen grundsätzlich da­von ausgehen, daß sie nur beleidigen wollen, wohingegen “linke” wohldurch­dacht sind: Dem Verteidi­gungsmi­nister dürfen Linke darum nach­sa­gen, er be­ge­he durch Entsendung von Solda­ten ins Aus­land eine Beihilfe zum Völker­mord (OLG Naumburg 1994) [9] . Auch dürfen sie Solda­ten im all­gemei­nen als Mör­der be­zeichnen. [10]

Eine Strafe wegen Beleidigung wegen Be­leidi­gung verhängte hingegen das AG Mann­heim we­gen eines Briefes eines “Rechten”, ein Staatsan­walt habe “Gestapo-Methoden” an­ge­wandt. [11] Das LG Aa­chen hielt es 1995 für verbo­ten, den Düs­seldorfer In­nenmi­nister unter Be­ru­fung auf die Wortherkunft und den Brock­haus als “Ter­ro­ri­sten" zu be­zeich­nen, weil er Angst und Schrecken ver­breite. [12] Ein CDU-Minister durfte (OLG Düs­seldorf 1986) nicht als Oberfaschist bezeichnet werden. [13] Ge­nerell nei­gen Ge­richte zu engherzi­ger Ausle­gung, wenn Be­hör­den­vertreter kri­tisiert wer­den: Ein Oberstaats­an­walt gebe ei­ne na­tional­so­ziali­sti­sche Weltanschauung in erschüt­tern­der Deut­lich­keit zu erken­nen, durfte auch ein me­dien­be­kannter Münchener Rechtsanwalt nicht sa­gen; [14] über einen rechten Politiker hätte er es vermutlich straflos äu­ßern dürfen. [15]

Das LG Göttingen verbot, die Musi­kanten Böhse Onkelz eine "Neonazi-Band" zu nen­nen, das sei eine Formalbe­leidigung, weil es ersichtlich nur um Stimmungsmache und un­sachliche Her­abwürdi­gung jenseits jeden sachlichen Inhalts ge­he. [16] Nach Ansicht des BVerfG soll jeder Zweifels­fall zugun­sten der Meinungsfreiheit gelöst wer­den. [17] "Im Zu­sam­menhang mit Wahlkämpfen ver­stärkt sich diese Regel zur" so ge­nannten "Super­vermu­tungs­formel", wonach ge­gen "das Äu­ßern ei­ner Meinung nur in äußersten Fällen einge­schrit­ten werden darf." Dabei wird das Ge­richt häufig der persön­lichen Ehre nicht ge­recht, die als Ausfluß der Menschen­würde glei­chen Ver­fas­sungsrang besitzt. Man darf sogar Polizeibeamte als “ab­kassierende Bul­len” bezeichnen, wenn nicht auszuschließen ist, daß dies nicht den ein­schreitenden Beam­ten persönlich galt, sondern der Polizei im allgemeinen. [18]

 

Lüge oder erlaubte Meinung?

  Zentrale Bedeutung in der politischen Ausein­andersetzung mit journalistischen und juristischen Mitteln hat die Frage, ob Gegner mit Lügen be­kämpft werden dürfen. Juri­stisch kann jede ehren­rüh­ri­ge, falsche Tatsa­chenbe­hauptung mit vieler­lei Mitteln unter­bunden werden. So verboten Ge­richte Zei­tungen Lü­gen wie: ein Republikaner-Schatzmeister sei mit der Kasse durchge­brannt, Schönhuber habe die Juden Stinker genannt, ge­gen die man schärfer rangehen müsse, [19] Re­publika­ner hät­ten zu Brandanschlä­gen geschwiegen [20] und viele andere mehr. Ein Mitglied der Potsdamer SPD durfte nicht be­haupten, in einer Zeitung würden "immer wieder Stimmen laut, die die Rückeroberung von Ost­preußen und Oberschle­sien fordern." [21]

Hingegen können Meinungen nicht verbo­ten werden: Norbert Blüms Repu­blikaner seien "Schreibtisch­täter der Ge­walt" ist, [22] ebenso eine Meinung oh­ne nachprüfbaren Tat­sa­chengehalt wie: sie seien rechtsextremi­sti­sch, sie seien neonazi­sti­sch und so fort; ja sogar für kommunistisch dürfte man sie öffentlich hal­ten. Nach dem BVerfG ist jede Meinung durch Art.5 Grund­gesetz geschützt, mag sie noch so falsch oder dumm sein. [23]

Falsche Pressebehauptungen unter­scheidet man von erlaubten Meinungen dadurch, daß man Be­weis über sie erhe­ben könnte: Ob je­mand we­gen Verstoßes gegen das Waffenge­setz vorbe­straft ist, läßt sich im Gerichtssaal überprüfen; ob er ein “stadtbekannter Neo­nazi” ist, hin­gegen nicht. Das er­ste wurde durch Ge­richtsbeschluß untersagt, das andere darf weiterhin gemeint wer­den. -

Neuerdings schützt der BGH auch gegen ver­deckte Behauptungen: Wenn die Presse zutreffend behauptet, ein Bi­schof habe die Abtreibung sei­tens einer kirchlichen Mitarbei­terin nicht verhin­dert, steckt darin eine ver­deckte Falsch­behaup­tung, wenn der Bischof gar nichts von der Schwanger­schaft wußte. Unsere Presse ist stets trickreich darin, einen fal­schen Eindruck zu er­wecken, ohne sich auf der Formulierung festna­geln zu la­ssen. Als Meinung ließ der BGH durch­gehen, ein Ma­nager wisse, wie man ge­konnt pleite macht (was er aber tatsäch­lich noch nie gemacht hatte) [24] , und das OLG Hamburg (2000) erlaub­te, je­mand sei "Multifunktionär mit einschlä­giger brauner Sektenerfahrung". [25] Nach Horst Send­ler, dem ehemaligen Präsidenten des Bundes­ver­wal­tungsgerichts, bietet die Recht­spre­chung des BVerfG "hilfreiche Hinweise, In­vektiven mit ei­nem Rest von Zwei­deutig­keit so zu formulieren, daß sie für jeden Ken­ner eindeutig diffamieren, aber liebe­vollen Inter­preten - so auch dem BVerfG - die Chance lassen, dem Schmäh dank seiner zweideutigen Ein­deutigkeit eine eindeu­tige Zweideutigkeit zu unterschieben." [26]

So hatte ein Strafgefangener das OLG Nürn­berg in einem Brief als "Reichs­par­tei­tags-OLG" be­zeichnet. Als die Justiz den (kontrollierten) Brief anhielt, sah das BVerfG darin eine unzuläs­sige Be­schränkung der Meinungsfreiheit: Schmähabsicht sei keines­wegs zwingend: "Die beanstandete Äuße­rung kann ob­jektiv auch dahin verstanden werden, daß die vom Gefangenen als unerfreulich emp­fundene, von ihm auf die Recht­spre­chung des OLG Nürnberg zurück­geführ­te ei­gene Situation ge­wis­ser­maßen in Parallele gesetzt ist zu der Be­deutung, die der Sitzort des Ge­richts in der uner­freuli­chen Geschichte des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus hatte."

Die Abgrenzung zwischen noch er­laubter Meinungsäußerung und verbote­ner Schmä­hung gerät zum fragwürdigen Glücks­spiel, zumal wenn ein Geschädig­ter beim Gericht keinen Sympathie­bonus hat. Warum darf man über den Leiter ei­ner Kommunalverwaltung (zurecht) nicht sagen, er sei die "allergrößte Pfeife" [27] wohingegen unter dem Schutz der Mei­nungsfreiheit zulässig sein soll, ein Fuß­balltrainer sei eine "linke Bazille"? [28] Manchmal hilft in diesem Glücksspiel der Genius loci: So half er 1998 dem Adenauer-Sohn und -Er­ben: Das OLG Köln verbot den Republika­nern die Wahlkampf­werbung, wenn Konrad Ade­nauer noch lebte, würde er Republikaner wählen. [29] Aus­wärtige Gerichte, z.B. in Mainz und München, hatten das anders gesehen. In der Heimatstadt des lokalen Säulenheili­gen aber waren die die Ge­rich­te nicht davon zu überzeugen, daß hier eine Mei­nungsäußerung par excel­lence vor­lag.

 

Ohne Anwalt chancenlos

Wer ge­richtliche Hilfe in Anspruch nehmen will, ist bei unserem hochge­züchteten Presse- und Prozeßrecht ohne spezialisierten Anwalt chancen­los. Für Landgerichtsprozesse herrscht ohnehin Anwaltspflicht. Als Faust­re­gel gilt: Nachfrage beim Anwalt lohnt sich, wenn die beanstan­dete Pres­semeldung so un­erträglich ist, daß es auf ein vierstelliges Pro­zeßrisiko nicht ent­scheidend an­kommt und wenn sie entwe­der eine be­leidigende Schmä­hung oder eine Falsch­behauptung enthalten könnte. Die mei­sten Zeitungen arbeiten so pro­fessionell, daß viele gerichtliche Fälle Grenzfälle ohne sicher voraussagbaren Aus­gang sind.

Wenn die Presse Falschbehauptungen oder Beleidigungen veröffentlicht, kann sie ge­richtlich durch einstweilige Verfü­gung auf Un­terlassung verklagt werden. Die Kosten trägt immer der Verlierer des Prozesses. Wenn eine untersagte Presse­behauptung in der Öffentlichkeit fort­wirkt und den Ruf schädigt, kann ge­richtlich ein Wider­ruf oder Veröffentli­chung der einstweiligen Ver­fü­gung durchge­setzt werden. Einstweilige Verfü­gungs­verfahren dauern nur Wochen und sind damit sehr schnell. Mit ihnen kann vorläufig Un­terlassung der Pressebehaup­tung oder Veröffent­lichung einer Gegen­darstel­lung durch­gesetzt wer­den.

Prozesse über alle anderen Ansprüche dauern Monate. Wer sich langfristig in der politischen Arena behaupten will, muß der Presse von An­fang an die Zähne zeigen und jede Verletzung sei­ner Rechte durch­prozes­sieren, sonst wird er zum Freiwild. Erst wenn die Platzhirsche der jeweili­gen Lo­kalpresse ihren ersten Dämpfer bekommen haben, be­ginnen sie auch bei Artikeln über "Rech­te" sau­ber zu recherchieren. Gegen­darstellungen allein schmerzen sie eben­sowenig wie bloße Un­ter­las­sungsansprüche. Müssen sie aber ei­nem Ge­schädigten Schmer­zensgeld be­zahlen oder gar in ihrem ei­genen Blättchen ein gegen sie gerichtetes Un­ter­lassungsurteil veröffent­li­chen, tut ihnen das ebenso weh wie es einem Ge­schädigten, der sich in der Presse dau­ernd wehrlos be­schimpfen lassen mußte.

10000 DM Schmerzensgeld mußte 1997 eine Zeitung einem als Neonazi be­schimpf­ten, harmlo­sen Junge-Union-Jüngling zahlen; [30] 5000 DM ko­stete es, jemand sei Stasi­mit­ar­beiter gewesen [31] und 50000 DM die falsche Fernseh-Verdäch­tigung, an Drogengeschäften beteiligt zu sein [32] - alles beweis­bare Falschbe­hauptun­gen mit bleibenden Per­sön­lich­­keits­rechtsverletzungen. Nicht jede Ver­let­zung zieht aber ein Schmerzensgeld nach sich. Da wurde einem oft vorbestraften (tat­sächli­chen) Neonazi eine politische Straf­tat nachge­sagt, die er nicht nach­weisbar begangen hatte. Der Focus muß dies bleiben lassen und das Unter­las­sungsur­teil ver­öffentlichen [33] - aber Schmer­zensgeld? Das ist hier ebenso frag­lich wie bei der ehemaligen Pro­stitu­ierten am Steuer ihres Sportwagens, leicht über­fordert im Stra­ßen­verkehr, der ein wildfrem­der, er­zürnter Bus­fah­rer aus dem Fenster zurief: "Kannst du nicht auf­passen, du alte Nutte!" - Ich riet ihr von einer Schmerzensgeldklage ab, und auch die für eine Unter­lassungsklage er­forderliche Wiederholungsgefahr bestand nicht nach die­ser eher einmaligen Ver­kehrs­si­tuation.

Nur bei schwerwiegenden Persön­lichkeits­rechtsverletzungen gibt es Schmerzensgeld. Vor Gericht hat eine von Papparazzi heimlich nackt fotogra­fierte und abgebildete Prinzessin Chan­cen auf sechs­stelliges Schmerzensgeld. [34] Im politischen Raum hingegen gilt: Wer selbst in Reden austeilt, muß mehr ein­stecken. Zu weit ging 1993 das Ma­gazin PRINZ, als es Portraits u.a. eines unbe­scholtenen Publi­zi­sten mit dem Text veröffent­lichte: "Die Au­gen des Bösen - Rostock, Mölln, rechter Ter­ror... Man kanns schon nicht mehr hö­ren, aber was kann man tun? [...] Prinz übergibt die vorliegende Liste der Staatsanwaltschaft. Mit der dringenden Bitte um Haftbefehle. Höchststra­fe für Volksverhetzung: 5 Jahre". [35]

 

Prozessuale Stolpersteine

Nicht jeder rechtswidrige Eingriff in das Per­sönlichkeitsrecht zieht nämlich Ansprüche nach sich, und wenn, dann muß man diese zü­gig ver­folgen. Wer in der Tagespresse ge­schmäht wurde und eine einstweilige Verfü­gung beantragt, muß dies auch binnen Tagen tun, sonst hat auch der Richter keine Eile: Dann weist er den Antrag auf einstweilige Verfügung kostenpflichtig ab und läßt dem Geschä­digten nur die gewöhnliche Klage. Entsprechendes gilt bei wöchent­lichen und monatlichen Zeitungen. Weil im politischen Ge­schäft nach Monaten vieles vergessen ist, muß ein Geschädig­ter praktisch immer sofort reagieren, wenn er überhaupt etwas er­reichen will.

Solche Probleme vermeidet, wer spä­te­stens nach zwei oder drei Tagen die kom­plette Zei­tungs­seite und das Impres­sum sei­nem Anwalt schickt und diesen zugleich dar­über informiert, durch wel­che falsche Be­haup­tung oder welche Be­leidigung er seine Rechte verletzt glaubt. Ver­letzter ist jeder, auf den sich die Pres­se nament­lich oder klar identifizierbar bezieht. Nicht ver­letzt ist dage­gen Lie­schen Müller, wenn die Bild­zeitung ti­telt, Nazis hätten Joseph ertränkt, und sie ist selbst dann nicht persönlich in ihren Rech­ten betroffen, wenn sie sich selbst für einen Nazi hält.

Alle verschiedenen Ansprüche, auf Un­ter­las­sung, Widerruf, Gegendarstel­lung und Schmer­zens­geld, darf der Ge­schädigte ge­ge­benenfalls ne­beneinander erheben. Ihre Vor­aussetzungen und Rechtsfolgen sind verschie­den: Der Un­terlas­sungsanspruch stoppt schnell mit einstweiliger Verfü­gung die weite­re Verbreitung. Im späteren Haupt­sachever­fahren kann verlangt werden, daß die Pres­se den Tenor der gerichtlichen Un­terlas­sungs­verfügung - auf ihre eigenen Kosten und gleichsam zu ihrer Schande - auf derselben re­daktionellen Seite veröf­fentlicht wie ihre Falsch­meldung. Dieser An­spruch setzt, ebenso wie der Anspruch auf Widerruf, den Beweis voraus, daß die Presse etwas Fal­sches behauptet oder durch Schmähung beleidigt hat.

Nicht nötig ist dieser Beweis für den An­spruch auf bloße Gegendarstellung, einem im Grunde zahnlosen, formal hoch­kom­plizierten Anspruch. Zahnlos ist er, denn die Presse vergibt sich nichts, wenn sie mit hämischen Bemerkungen druckt, was ein Betroffener wider sie be­hauptet. Wer die Wahrheit sagt, bleibt für den Leser offen, und er mag über den Gegendarstellenden ver­muten: Wer sich verteidigt, klagt sich an. - Das Gegen­darstel­lungs­recht ist für Betroffene mit einer Über­fülle for­meller Schwie­rigkei­ten befrachtet. Je­des Bun­desland hat sein eigenen Landes­pres­segesetz mit zum Teil un­ter­schiedlichen Fri­stenregelungen. Das Hauptproblem für Laien ist es, daß nur fal­schen Tat­sachen gegendar­gestellt wer­den können, und kein Wort mehr. Ich schätze, daß 95% laien­hafter Ge­gendar­stellungen unter schon formellen Män­geln lei­den und von der Presse ohne Ri­siko in den Pa­pierkorb gesteckt werden können. Aber wer sich schon für die Formulierung der Ge­gendarstel­lung ei­nen Anwalt nimmt, muß seine Kosten dafür selbst bezahlen, wenn der Anwalt erfolgreich au­ßerge­richtlich eine Ge­gen­darstellung plaziert. An­ders als Unterlas­sungsansprüche setzt die Gegen­darstel­lung nämlich keine Rechtsverletzung durch die Presse voraus.

 


[1] Die Druckausgabe mußte aus Platzgründen ohne Nachweise auskommen. Diese werden hier in Fußnoten dargestellt und nach dem Stand von 2008 aktualisiert.

[2] Das Wort „alter Nazi“ sei in der Regel eine Beschimpfung urteilte OLG Düsseldorf U.v. 5.3.1970 1 Ss 24/70, NJW 1970, 905 und als Formalbeleidigung nicht widerrufsfähig OLG Düsseldorf U.v. 29.7.1947 -4 U 131/47- NJW 1947/48, 386. Beleidigung des Arbeitgebers als Nazi als Kündigungsgrund: BAG U.v. 24.6.2004, 2 AZR 63/03, NJW 2005, 619. Verbotene Schmähung als Nazi: OLG Frankfurt, Urteil vom 20. 12. 1995, 17 U 202/94, NJW-RR 96, 1050.

[3] BVerfG B.v.19.11.91, NJW 92, 2013.

[4] So schon OLG Düsseldorf, 30. 4. 1981, 5 Ss 142/81 I  JMBlNRW 81, 223: Bei erkennbar von ein­seitiger politischer/-weltanschaulicher Sicht geprägten Erklärungen überwiegt in der Regel das Werturteil

[5] AG Lippstadt U.v.6.8.93 -3 C 308/93-, bestätigt durch LG Paderborn B.v.22.11.93 -1 S 180/93-.

[6] AG Wiesbaden U.v. 11.10.1993 -78 Cs 6 Js 2710.4/93-, LG Wiesbaden 4.kl.Strafkammer U.v. 16.8.1994.

[7] OLG Hamburg, 31. 10. 1991, 3 U 22/91 NJW 92, 2035.

[8] 1. Instanz: AG Weinheim NJW 94,1543, 2. Instanz LG Mannheim U.v. 17. 4. 1996, (10) 5 Ns 16/94,  NStZ-RR 96, 360. Erlaubt dagegen: die Bezeichnung der Partei PDS als “SED von gestern, Verbrecherbande und Mör­der­bande” Kammergericht, Beschluß vom 10.06.1992, 9 W 3119/92, zu finden in Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift 1992, 286.

[9] Nicht wegen Beleidigung strafbar, OLG Naumburg, nach vom FAZ 2.12.94.

[10] BVerfG, Beschluß vom 25.08.1994, Az. 1 BvR 1423/92, zu finden in NJW 1994, 2943 f. und BVerfG, Beschluß vom 10.10.1995, Az. 1 BvR 1476/91, 1980/91, 102/92 und 221/92, zu finden in NJW 1995, 3303 f. [11] AG Mannheim v.26.4.94 -29 Cs 207/94-.

[12] LG Aachen U.v. 8.5.95 -71 Ns 42 Js 104/94-.

[13] OLG Düsseldorf, 5. 2. 1986, 154, NJW 86, 1262., desgleichen BGH NJW 86,1262.

[14] Nach Hannoversche Allgemeine Zeitung 2.6.1994.

[15] Die Grenze zur Schmähkritik überschritt derselbe Rechtsanwalt mit den Worten: "Nazi, dem es gebühre, als Krimineller bezeich­net zu werden", dies untersagte LG München I mit Beschluß vom 30.6.93 -28 O 12054/93- Schönhuber ./. Bossi.

[16] LG Göttingen Beschluß vom 2.6.95 -8 O 182/95-.

[17] BVerfG B.v.24.9.93, NJW 94,2413, ständige Rechtsprechung.

[18] BverfG Entscheidung vom 23.9.1993, 1 BvR 584/93, NZV 1994, 486.

[19] VG Köln, B.v. 6.7.1995 19 L 1 1356/95.

[20] LG Stuttgart U.v. 22.12.1992 -17 O 600/92-.

[21] AG Potsdam Urteil vom 18.11.1994 -21 C 9/94-.

[22] LG Göttingen U.v. 1.7.1993, 2 O 201/93

[23] BVerfG E 30, 336 (347).

[24] BGH U.v. 28.6.1994, NJW 1994, 2614.

[25] OLG Hamburg B.v.3.3.2000 NJW-RR 2000, 1292

[26] Horst Sendler, Rez.Heinrich Senfft Schmäher vor Gericht, NJW 1994,1938

[27] LG Oldenburg U.v. 27.10.1994 -5 O 932/94-, NJW-RR 1995, 1427.

[28] Linke Bazille: Zitiert nach Soehring NJW 1997, 368.

[29] OLG Köln, Urteil vom 24.9.1998, 15 U 122/98, NJW 1999, 1969.

[30] LG Berlin U.v.9.10.97 NJW-RR 98,316.

[31] LG Mannheim U.v. 16.3.1995, 7 O 259/94.

[32] OLG Hamburg U.v. 1.6.1995, NJW-RR 96, 91.

[33] LG Göttingen 2 O 411/99

[34] BGH U.v. 5.12.1995 VI ZR 332/94, NJW 1996, 984.

[35] OLG Celle, B.v. 11.3.1993, 13 W29/93.