KONSENS UND KONFLIKT
(Publikation: Junge Freiheit 52/1998)
Die
offen politische Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen
Interessen hat keine gute Tradition in Deutschland. Lieber verschanzt
man sich hinter seinem vermeintlichen guten Recht und versucht,
seinen Konkurrenten auf die Anklagebank des Strafrichters zu setzen.
In Kerker wanderten im Vormärz des 19.Jahrhunderts als "Demagogen"
die demokratischen Gegner landesfürstlicher Kleinstaaterei. Dorthin
folgten ihnen im 3. Reich der "Klassenhetze" (§ 130 StGB alte Fassung)
überführte Kommunisten. Und dorthin können inzwischen wandern, die
politisch an der Idee des deutschen Volkes als Abstammungsgemeinschaft
mit einem ius sanguinis festhalten möchten. Doch wie das - haben
wir keine Meinungsfreiheit? Nicht mehr unbedingt: Nach § 130 StGB
neue Fassung macht sich heute wegen Volksverhetzung strafbar, wer
etwa zum Haß gegen Bevölkerungsteile aufstachelt oder sie böswillig
verächtlich macht. Das ist aber Auslegungssache: Mit dem Generationenwechsel
von rechtsstaatlich den-kenden Richtern zu Alt-68ern werden Vorschriften
zunehmend als Gummiparagraphen für eine Gesinnungsjustiz mißbraucht,
die sich noch nicht einmal mehr den äußeren Anschein der Subsumtion
einer Tat unter einen gesetzlichen Tatbestand gibt. Am 23.11.1998
verhandelte das Amtsgericht Meschede gegen einen jungen Mann, dessen
Wohnung der Staatsschutz durchsuchte, "weil man rechtsextremistisches
Material" vermutete. Man fand Aufkleber mit der Parole: "Ras-sismus
ist Notwehr eines Volkes". - Nun ist über die Einfalt solcher Losungen
kein Wort zu verlieren, doch stachelt diese nicht zum Haß gegen
irgend einen be-stimmten Bevölkerungsteil auf. Jeder darf etwa Apartheid
für richtig oder für "Notwehr" erklären. Niemand sage nun: Was
kümmerts mich, wenn ins Gefängnis geht, wer solchen Unsinn redet.
Für eine Hausdurchsuchung reicht es heute nämlich schon, daß "rechtsextremistisches
Material" (diese Zeitung?) vermutet wird, dies ist das eine Problem.
Und unter dem Vorwand des "strafbaren Rassismus" lassen sich auch
ernsthaftere Diskussionsbeiträge zur Einwanderungsproblematik staatlich
unterbinden, als dies ein dümmlicher Aufkleber ist.
Als "Rassismus"
bezeichnen manche Autoren wie Christoph Butterwegge schon das "staatliche
Macht- und Gewaltverhältnis mit Ausländergesetzen und Abschieberegelungen."
Wie lange dürfen wir das geltende Verfassungsrecht mit seinem Abstammungsprinzip
noch verteidigen, ohne uns dabei als "Rassisten" strafbar zu machen?
Die strafrechtliche Verfolgung einer nach dem Wortlaut des Gesetzes
nicht strafbaren Meinung ist aber kein Einzelfall, son-dern hat
zunehmend System. Ein Teil der deutschen Öffentlichkeit und der
Wortlaut des Grundgesetzes halten daran fest, daß das Staatsvolk
der Deutschen Träger von Staat und Verfassung ist. Das deutsche
Volk ist der "Demos" im Sinne unserer Demokratie als Staatsform.
Seit der letzten Bundestagswahl sind die parteipolitischen Vertreter
der entgegengesetzten Meinung zur Regierung gekommen: Manche wollen
das als Abstammungsgemeinschaft begriffene deutsche Volk aus ideologischen
Gründen in eine multikulturelle Bevölkerung transformieren. Andere
geben sich pragmatisch und meinen, der faktischen Einwanderung müsse
durch eine Änderung des Verfassungsverständnisses Rechnung getragen
werden. So will man bei der Staatsangehörigkeit das ius sanguinis
aufgeben und die Staatsangehörigkeit kraft Geburtsort Deutschland
verleihen (ius soli). Um den Staat der Deutschen, festgeschrieben
im Grundgesetz, vollends in eine mul-tikulturelle Gesellschaft zu
überführen, müßten alle Anknüpfungspunkte an das deutsche Volk und
die von ihm ausgehende Staatsgewalt aus der Verfassung gestrichen
werden.
Dahin geht die Tendenz. In einem ersten, noch bloß weltanschaulichen
Schritt soll die Vaterlandsliebe durch Verfassungspatriotismus ersetzt
werden. In einem zweiten Schritt muß die Verfassung erst uminterpretiert
und schließlich geändert werden: Politikwissenschaftler wie Dieter
Oberndörfer vertreten bereits die Meinung, wo das Grundgesetz an
die deutsche Volkszuge-hörigkeit anknüpfe, handele es sich um "verfassungswidrige
Verfassungsnormen" im Grundgesetz - verfassungswidrig näm-lich im
Lichte eines multikulturellen ideologischen Vorverständnisses.
Solche Verfassungsnormen müßten abgeschafft wer-den, "um eine zivilisierte
Einwanderungsgesellschaft zu ermöglichen". Nun mag das meinen und
im demokratischen Meinungsbildungsprozeß durch Abstimmung durchzusetzen
versuchen, wer mag. Ein schleichender Verfassungsputsch droht aber,
wo der ideologisch erwünschte Abschied vom deutschen Volk nicht
durch den Verfassungsgeber, sondern durch juri-stische Künste der
Uminterpretation voll-zogen werden soll. In Christiane Hubos von
H.H. Knütter in der JF rezensierten Dissertation bei Prof. Helmut
Quaritsch in Speyer wird vor der begriffstechnischen Veränderung
der freiheitlichen demokrati-schen Grundordnung gewarnt: Über Be-wußtseinsformung
und strafbewehrte Verhaltenssteuerung mit staatlichen Mitteln werde
ein neues Herrschaftssystem vorbereitet. Vertreter des Status quo
der Verfassung und nachgeordneter Gesetze zur Staatsangehörigkeit
und zur Stellung von Ausländern würden als Feinde der Verfassung
deklariert. Dagegen bedürfe die Umwandlung in eine multikulturelle
Gesellschaft eines gesellschaftlichen Konsenses und der demokratischen
Legitimierung durch das Staatsvolk. Doch eine offen politische Auseinandersetzung
findet nicht statt. Statt ihrer wer-den die Vertreter des verfassungsrechtlichen
Status quo erst ideologisch als rechtsextrem verdächtigt und - aus
der Deckung juristischer Uminterpretation des geltenden Rechts -
als Verfassungsfeinde oder bereits schon als Straftäter verfolgt.
Wer dagegen mit gleicher Münze - formal juristisch - kontern wollte,
dürfte mit Christiane Hubo auf die Verfassungsfeindlichkeit solcher Bestrebungen
hinweisen: "Wenn man das Zerfließen von Staat und Gesellschaft im
Parteienstaat berücksichtigt und bedenkt, daß der Personenverband
der Deutschen der Träger demokratischer Staatsgewalt ist, sich das
staatliche Gemeinwesen im Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft
jeden Tag neu konstituiert, und das deutsche Volk nach dem körperschaftlichen
Staatsbegriff mit dem Staat identisch ist, bedeutet dies, daß durch
die geförderte Heterogenisierung des Staatsvolkes zum einen die
Identität des Volkes als Träger des Staates und daraus folgend auch
der Staat in seiner geschützten Identität als bestehender Staat
zerstört wird. An seine Stelle träte dann ein neuer Staat mit einem
neuen Volk als Träger der Staatsgewalt. Dies alles ohne die Zustimmung
durch die verfassunggebende Gewalt des (bestehenden) Volkes dürfte
letztlich auf eine Zerstörung der jetzt verfassungsmäßigen Ordnung
hin sich entwickeln."
Nicht bekannt war der im Juni 1998 promovierten
Akademikerin Hubo, daß die von ihr bloß abstrakt gesehene Gefahr
der "sanktionsbewehrten Verhaltenssteuerung mit staatlichen Mitteln
in ein neues Herrschaftssystem" bereits Gegenstand konkreter Prozesse
im juristischen Alltag ist. So vertritt das Land Rheinland-Pfalz
bereits offen die Position, es sei ein Verfassungsfeind, wer gegen
die multikulturelle Gesellschaft argumentiert. Vom VG Mainz war
das Land verurteilt worden, die Republikaner nicht mehr mit nachrichtendienstlichen
Mitteln zu beobachten. In seiner Berufung vom 4.9.98 rechtfertigt
es, was Christiane Hubo als "Transformation des Staates durch Verfassungsschutz"
bezeichnete. Anders als es der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
entspricht, erklärte das Land, müsse man in den Text des Grundgesetzes
heute schon mehr hineininterpretieren: Freiheitliche demokratische
Grundordnung bedeute heutzutage eine Verfassungsordnung, in der
Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenleben. Wer die Tendenz
zur multikulturellen Gesellschaft ablehne, sei nach diesem neuen
Verfassungsverständnis ein Verfassungsfeind. Auch nach jahrzehntelanger
Meinungsfreiheit und scheinbarer Aufklärung genügt es heute in
Deutschland ebensowenig wie früher, Interessen offen einzufordern.
Die Heimatvertriebenen verschanzten sich hinter Rechtsargumenten,
bis sie alt und grau darüber wurden. Daß das Deutsche Reich in den
Grenzen von 1937 juristisch fortexistierte, fehlte damals in keiner
Dis-kussionsrunde. Daß sich die Realität aber nicht nach dem Recht
richtet, sondern das Recht der Realität nachfolgt, verstanden sie
ebensowenig wie heutige Kontrahenten in der Ausländerdebatte. 7
Millionen Ausländer in Deutschland sind heute eine solche Realität.
Dieser offene Interessenkonflikt muß politisch diskutiert und entschieden
werden. Statt dessen verschanzt jede Seite sich hinter ihrem jeweiligen
"Recht" und sucht den Gegner als ideologischen Bösewicht zu verketzern.
Rassenkonflikte gibt es etwa auch in den USA. Jenseits unserer neurotischen
Verklemmtheiten werden sie dort als Interessenkonflikte mit den
Mitteln des demokratischen Rechtsstaats offen ausgetragen und gelöst.
Auch wir sollten ohne staatliche Meinungslenkung und strafrichterliche
Kontrolle auskommen. |