Nonkonform sein - wer wollte das nicht? Die Leipziger
Jungsozialisten im Hofgeismarer Kreis möchten das auch.
"Die Bonner Republik", führt der Schriftleiter des
Leipziger SPD-Nachwuchses in seinem "Aufruf zum Nonkonformismus"
aus, "erlebt bei näherer Betrachtung seit 1989 die erste richtige
Systemkrise". Nonkonform sein kann da nur heißen, "nach dem Zusammenbruch
des sowjetischen Blocks wird erkennbarer, daß die liberalistische
Ideologie auch nicht der Weisheit letzter Schluß und die
Lösung für die Menschheitsprobleme ist. Der Untergang
des Kommunismus kann und darf nicht zum Endsieg des Kapitalismus werden."
- So allgemein das Bewußtsein geworden ist, daß unser
politisches System mit seiner Parteienherrschaft in einer
Krise steckt, so selten traut sich jemand, eine Lösung aufzuzeigen.
Die Auswege sind mit Tabus und Denkverboten gepflastert.
"Mir klingt es wieder in den Ohren", klagt Sascha Jung eingedenk
seiner DDR-Jugend, "der wohlmeinende Rat meiner Staatsbürgerkundelehrerin,
den sie mir 1988 gab, ich solle nicht an Tabuthemen rühren." Heute
sind sie wieder da, die Tabus. Zu ihnen gehört die Frage
nach dem wirklichen Inhalt eines Herrschaftssystems,
das sich selbst stolz als Demokratie bezeichnet, neuerdings
aber selbst von maßgeblichen Verfassungsrechtlern als
"Pseudodemokratie" bezeichnen lassen muß.
Das heutige Parteiensystem stellt sich konkret als
Wirkeinheit einer Fülle sich gegenseitig stabilisierender
und bedingender rechtlicher und soziologischer
Regeln sowie faktischer Machtverhältnisse
dar und ist gewissermaßen überwölbt von einer
abstrakten Herrschaftsideologie. Die vornehmlich über ein
fast völliges Medienmonopol errungenen faktischen
Machtbastionen der etablierten Parteien und ihres abhängigen
Umfeldes erlauben es ihnen, die Spielregeln des politischen Machterhalts
zu bestimmen. Diese Spielregeln reichen von der Dominanz einer ihnen
auf den Leib geschneiderten Ethik des Partikularen über das Gesetzgebungsrecht
bis zur richterlichen Interpretation der selbstgesetzten Normen
in einem parteiproportionierten Verfassungsgericht.
Die Regeln des Machterhalts sind in allen Systemen
schlicht. Ihr kleines Einmaleins lautet: "Regele die Regeln so,
daß sie dich begünstigen, dann bleibst du oben, und die
anderen bleiben unten." Wenn zwei Jungen auf dem Schulhof raufen,
hat kein Interesse an weiteren Auseinandersetzungen mehr,
wer oben liegt. Er wird dem unten Liegenden "Frieden" aufgrund
des Status quo seiner Spielregeln anbieten. Auch die Partei, die den Staat
erobert hat, möchte ihre Macht friedlich genießen. Ihr
oberstes erlassenes Gesetz wird jeden weiteren Kampf um die Macht verbieten.
Sie muß ja nicht mehr kämpfen. Der überlegenen Partei
innerstaatliches Kampfverbot begründet ihren Rechtsstaat:
einen Staat, in dem nur ihr Recht gilt, das sie im Wettbewerb begünstigt
und den Konkurrenten zwingt, nach ihren Regeln anzutreten. So wird
der Unterlegene kraft der von ihr erlassenen Grundgesetze
"friedlich" unten und sie oben bleiben. Nimmt er den Kampf aber
wieder auf und sucht die ihn benachteiligenden Regeln grundsätzlich
zu verändern, kann er leicht als Feind der bestehenden Verfassungsordnung
und "des Friedens" medienmäßig exorziert und behördlich
exekutiert werden. -
"System" ist zunächst einmal ein umfassender,
vornehmlich soziologisch zu verstehender Begriff. Er bezeichnet eine
Wirkeinheit, also das stabile Ineinandergreifen von
Regelmechanismen und sich Abstützen von Machtverhätnissen
unterschiedlicher Art. Wenn Scheuch davon spricht, das System
müsse auf Bundesebene beseitigt werden, meint er damit die
Vorherrschaft von Cliquen in Parteien auf der Ebene der Kreise, der
Unterbezirke und Bezirke. Wenn dagegen Hans Herbert von Arnim argumentiert: Weil die
Mängel ganz überwiegend struktur- und systembedingt
sind, gelte es, diese Strukturen und damit das System selbst zu
ändern, stehen verfassungsrechtliche Fehlregelungen im Vordergrund.
Aber auch diese Verwendung des Begriffs "System" ist zu eng. Das
Gesamtsystem besitzt nämlich verschiedene Subsysteme mit eigenen
Regelhaftigkeiten. Vor der Frage: 'Wer regiert?' liegt nämlich die
Frage: 'Wer bestimmt, wer regiert?', "und das macht, daß
die allerwichtigste Frage lauten muß: 'Wer beherrscht
den, der bestimmt, wer regiert?' Mit anderen Worten:
Wer beherrscht den Volkssouverän, der ein 'Klima' erschafft oder
erleidet, das sich in Willensbildung umsetzt, die vage Vorstellungen,
Gefühle, Stimmungen zu Handlungen und Haltungen werden
läßt? Wer beherrscht den Herrscher 'Volk' - und wie wird solche
Herrschaft bewerkstelligt?"
Sieht man das System nur im engeren Sinne der
verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, muß man
es als gewaltenteilungslose Parlamentsregierung klassifizieren und käme zum Ergebnis, daß der Bundestag
das zentrale Machtzentrum ist: Er macht die wesentlichen Gesetze, bestimmt
zusammen mit dem Bundesrat die Verfassungsrichter, die
über die Auslegung seiner Gesetze wachen sollen, und er
bildet mit der Wahl eines von ihm jederzeit abhängigen Kanzlers
eine Regierung, die wie ein Ausschuß funktioniert und seiner
völligen Kontrolle unterliegt. Im Zweifelsfall hat der Bundestag
die Kompetenz-Kompetenz, also das Recht, die Verfassung zu
ändern und die Grenzen seiner verfassungsmäßigen
Macht selbst zu bestimmen. So kommt es denn gelegentlich zur direkten
Entscheidung von Einzelfällen durch ihn, die in einem gewaltenteilenden
System Regierungssache wären, wie über humanitäre
Bundeswehreinsätze. Solange das Staatsvolk als handelnde
politische Entscheidungseinheit ausgeschaltet ist - Volksabstimmungen
sind im Grundgesetz zwar als möglich vorgesehen, aber nicht in Einzelgesetzen
geregelt - bleibt die Souveränität des Volkes eine metaphysische
Fiktion. Das konkrete handelnde Gremium, das über die letztliche Geltung
der Verfassung und ihrer einzelnen Regelungen entscheidet,
das also "über den Ausnahmezustand entscheidet", ist
der Bundestag. Er allein übt die Souveränität
aus und ist damit verfassungsrechtlich ihr wirklicher Träger,
weil er anstelle des nur metaphysisch souveränen Volks, das faktisch
nicht gefragt wird, die Grundentscheidungen des politischen Lebens
trifft. Der Bundestag ist das Zentrum und der Machtträger des durch
die Grundgesetzkonstruktion gebildeten und verfassungsrechtlichen
Normen gehorchenden Systems der parlamentarischen Demokratie.
Dieses ist indessen nur das Untersystem eines übergeordneten
Ganzen, der Herrschaft der Parteiapparate:
Wie jeder weiß, besitzen die real existierenden
Abgeordneten, jeder für sich und gemeinsam, die ihnen
verfassungsrechtlich gebührende Entscheidungsmacht
und -freiheit nur auf dem Papier. Tatsächlich sind sie in ein Geflecht
von persönlichen Abhängigkeiten mannigfacher Art eingebunden
und unterliegen strenger Fraktionsdisziplin. Wer ausschert, wird
nicht wieder auf die Wahlliste gesetzt. Über das System der
Listenwahl beherrschen die Parteien ihre entsandten Abgeordneten.
So sind die Entscheidungen des Parlamentsplenums heute nicht
mehr das Ergebnis freier Meinungsbildung. "Die Parteien
treten heute nicht mehr als diskutierende Meinungen,
sondern als soziale oder wirtschaftliche Machtgruppen einander
gegenüber, berechnen die beiderseitigen Interessen
und Machtmöglichkeiten und schließen auf
dieser faktischen Grundlage Kompromisse und Koalitionen. Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte Diskussion
charakteristisch ist, verschwindet." Von seltenen Ausnahmefällen abgesehen,
fallen die wesentlichen Entscheidungen nicht mehr im Parlament.
Wirklich entschieden wird auf Parteitagen, informellen
Treffen von Spitzenpolitikern, in schriftlichen "Verträgen" einzelner Seilschaften
zur Aufteilung der Beutemasse, bestenfalls noch in der Koalitionsrunde, aber nicht in den
verfassungsmäßig vorgesehenen Staatsorganen.
"Fraktionsdisziplin und -zwang bestehen fort.
Koalitionsvereinbarungen legen fest, wann das Abstimmungsverhalten
im Parlament den Abgeordneten - horribile dictu -
freigestellt werden soll." Die nachfolgenden Kabinetts- und Parlamentsbeschlüsse
erscheinen nur noch als Vollzugsakt vorausgegangener
Parteivereinbarungen. Die Regierung wird zum
bloßen Durchführungsorgan oder zum geschäftsführenden
Management der sie stützenden Parteien. Während
die Abgeordneten wechseln, bleibt der Parteiapparat.
"Jede Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten
über ihre Wähler, der Beauftragten über ihgre Auftraggeber,
der Delegierten über die Delegierenden." Das streng durchgeführte Repräsentationsprinzip gibt
den Mandatsträgern, Funktionären und Parteibürokraten
ein natürliches Übergewicht über die einfachen
Mitglieder. Die Führer des großen Parteien machen
in der Koalitionsrunde unter sich aus, was morgen erst im Bundestag
beschlossen werden soll. Der Vorsitzende der Mehrheitspartei
pflegt sich im Bundestag von seinen Gefolgsleuten als Bundeskanzler
wählen zu lassen. Während die Parteien im Grundgesetz nur nebenbei
erwähnt werden und "an der Willensbildung des Volkes
mitwirken" sollen, beherrschen sie tatsächlich
den Bundestag vollständig und benutzen ihn lediglich
als Ausführungsorgan ihrer Parteitagsbeschlüsse.
Sie führen den Sinn des gewaltenteilenden Verfassungssystems
ad absurdum, weil sie alle Gewalten beherrschen.
Wenn wir uns das System der staatlichen Verfassungsorgane
mit seinem Ineinandergreifen verschiedener
Gewalten als große Maschine vorstellen, sind die Parteien
ihre Bediener. Einschließlich ihrer hierarchischen Binnenstruktur
bilden sie neben dem Staat ein organisiertes Subsystem.
Nach außen von staatlicher Dauerfinanzierung abhängig
haben sie den Staat von innen durchdrungen und usurpiert,
um diese Abhängigkeit umzukehren. Bildlich gesprochen
gründen sie mit ihren Wurzeln in der Gesellschaft,
üben aber mit ihren Wipfeln schon die Funktion von Verfassungsorganen
aus. Durch hohe Ämterkombination zwischen Partei-
und Parlamentsamt und Regierungs- und Verwaltungsamt haben sie gewissermaßen neben das innere Gerüst
staatlicher Strukturen wie eine Schlingpflanze
ein personell identisches zweites Gerüst gesetzt
und sich auf diese Weise direkten Zugriff auf alle staatlichen
Funktionen gesichert. So sind staatliche Amtsträger zugleich
Parteifunktionäre und machen durch diese Personalunion
die Verbindung zwischen den Subsystemen "Staat" und "Parteien"
sichtbar. Den Parteienstaat dürfen wir daher als übergeordnetes
System begreifen, in dessen Innenleben mehrere aufeinander bezogene
Subsysteme existieren, von denen das eine dominiert und das
andere funktioniert: Die Parteien sind die handelnde Seele
der Staatsmaschine; diese die Handpuppe - jene der Puppenspieler!
Das Gesamtphänomen Parteienstaat besitzt mit der
Medienwelt und dem eigentlichen Parteiensystem
gesellschaftliche Untersysteme, die zueinander verhalten
wie zwei sich schneidende Kreise mit wechselnden Abhängigkeiten.
Das entscheidende ist die Medienlandschaft, ohne deren Kontrolle
eine stabile Herrschaft nur möglich war, solange die Politik
noch dem Gesetz des Kartätschenprinzen und nachmaligen Kaisers
Wilhelm I. gehorchte: "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten."
Jeder Herrscher regelt die Regeln so, daß er weiterhin herrscht. Die
selbstgesetzten Regeln des Parlamentarismus schließen Kartätschen
als Mittel der Herrschaft grundsätzlich aus und führen im
Zeitalter der Massenkommunikation dahin, daß Legitimation
und Wiederwahl nur in einem permanenten Rückkopplungsprozeß
mit einem als "öffentliche Meinung" verstandenen
Medienwesen gewährleistet sind. Das Subsystem des Parteiensystems
ist in ein gesellschaftliches Obersystem eingebettet, in
dem mutmaßlich die politische Macht gewinnt, wer sich den
Wählern publikumswirksam verkaufen kann. Die Abhängigkeit
zwischen Parteien und Medien ist insoweit eine wechselseitige, als Parteien
sich ohne Medienkontrolle nicht darstellen können und daher medienabhängig
sind. Andererseits sind deren Intendantensessel
heißbegehrte Beutestücke der Parteien. 40-50% der
ARD- und ZDF-Mitarbeiter sind Parteimitglieder. Sie werden fest an die Kandare genommen: "Als der Bonner Studioleiter
des ZDF, Wolfgang Herles, vor dem Bremer Parteitag der CDU
Helmut Kohl kritisierte, wurde ihm vom 'Freundeskreis der Union'
beim ZDF 'Undankbarkeit' (sic!) angekreidet. Herles, der sich selbst
als 'strikten Gegner jeder Hofberichterstattung' bezeichnet,
mußte auf Druck Kohls am 1.11.1991 seinen Sessel als Studioleiter
räumen." Ähnliche Fälle sind aus dem Bereich der "unabhängigen"
überregionalen Presse bekanntgeworden, wo z.B.
ein Anruf des Bundeskanzlers bei einem Zeitungsherausgeber
genügt haben soll, einem kritischen Redakteur einen schon zugesagten Aufstieg zu verbauen. Auch
in "unabhängigen" Medien wagen wenige Journalisten
kritische Worte über bedeutende Politiker, weil sie sonst keine
Interviews mehr bekommen.
Der Parteienstaat
Das Perpetuum mobile eines Parteienstaates
scheint perfekt, in dem dem Etablierten ihre Claims abgesteckt
haben und gemeinsam den wesentlichen Teil der Staatlichkeit
besetzt halten. Parteienstaatlichkeit bedeutet aber nicht zwangsläufig
den Einparteienstaat. Ein solcher war selbst die DDR nominell nicht. Im
funktionalen Sinne kann die Macht durchaus auf mehrere unselbständige
(Modell DDR) oder selbständige (Modell BRD) Organisationen
verteilt sein. Letzteres hat Agnoli die plurale Form einer Einheitspartei genannt. "Je mehr sich die Parteien den Staat zur Beute machen
und damit zu Staatsparteien degenerieren, desto
mehr hebt sich der Parteienstaat nur noch durch das Mehr-Parteiensystem von
der Parteidiktatur ab. Nach Parallelen zwischen den Blockwahlen in der DDR und Blockwahlen
innerhalb der Bonner Parteien befragt, antwortete der
Soziologe Erwin Scheuch anhand persönlicher Erfahrungen:
"Wie in der DDR! Wir haben noch mehrere Parallelen
zur DDR."
Vor diesem Hintergrund erscheinen
alle klassischen Gewalten zuzüglich moderner
Mediengewalt als in den Händen eines Parteienkartells,
dessen Teilsysteme nach außen hin Schaukämpfe
austragen, inhaltlich aber nicht für inhaltliche
Alternativen stehen. Ihr Wahlkampf ist Schwindel, weil er programmatische Verschiedenheit
vortäuscht. "Es ist das gleiche wie die Kämpfe zwischen
gewissen Wiederkäuern, deren Hörner in einem solchen
Winkel gewachsen sind, daß sie einander nicht verletzen
können. Wenn er aber auch nur ein Scheingefecht ist, so ist der doch
nicht zwecklos,
sondern
hilft, die besondere geistige
Atmosphäre aufrecht" und ihre "Gesellschaftsstruktur
intakt zu halten." So besteht der Zweck der Großparteien heute hauptsächlich
darin, Wahlverein für den einen oder den anderen
Kanzler zu sein - Postenverteilungskartelle
auf Dauer. In ihrer wechselseitig sich stabilisierenden
gegenseitigen Bezogenheit gleichen sie den drei globalen
"Superstaaten" in George Orwells 1984, die "einander nicht überwinden
können, sondern auch keinen Vorteil davon hätten.
Im Gegenteil, solange sie in gespanntem Verhältnis
zueinander stehen, stützen sie sich gegenseitig
wie drei aneinandergelehnte Getreidegarben." In Wahlkampfzeiten reduzieren sie und ihre Medienstrategen
die Wahlentscheidung der Bürger gern auf polarisierende
Parolen wie "Freiheit oder
Sozialismus" erzeugen operativ den Eindruck
eines Kopf-an-Kopf-Rennens der Kandidaten der
Großparteien, um den Wähler in eine Scheinalternative
zu zwingen und die ohnehin kleine Konkurrenz aus dem
Wählerbewußtsein zu tilgen. Im Endeffekt
entwickelt Deutschland sich vom partiellen zum tendenziell
totalen Parteienstaat,
in dessen Rahmen die Parteien eine schallschluckende
Styroporschicht bilden, in der die Rufe der Wähler
verhallen,
und die sich immer dichter, drückender über ein Gemeinwesen
legt, in dem die angebliche Gewaltenteilung längst zur
Lebenslüge geworden ist.
Medienstaat und Massendemokratie
Parteienstaatlichkeit als anhand allgemeiner Merkmale
festzustellender Übelstand muß von historisch konkret
greifbaren Parteienstaaten unterschieden werden.
Abstrakt bedeutet sie zunächst die Eroberung der innerstaatlichen
Macht durch eine organisierte Teilgruppe und die Besetzung aller
Herrschaftsinstrumente durch diese Partei. Welche das im
einzelnen sind, hängt vom geschichtlichen Einzelfall
und seinen Gegebenheiten ab. Unter den ökonomischen, sozialen
und ideologischen Rahmenbedingungen des etablierten
Kommunismus in der DDR waren die konkret erforderlichen Herrschaftsinstrumente
andere als unter den Rahmenbedingungen der Parteiherrschaft
des Nationalsozialismus in Deutschland und wieder andere als heute.
Entscheidend für die Absicherung einer Parteiherrschaft
ist es, nicht nur die Rechtsordnung in ihrem Sinne zu gestalten.
Weil Rechtsordnungen veränderbar sind, muß ihr weltanschauliches
Vorfeld um so umfassender und allgemeiner kontrolliert werden, je
breiter der Kreis derjenigen ist, die auf die Rechtsordnung
Einfluß nehmen könnten. In einem System, dessen
Bürger aufgrund einer offenen und umfassender Diktatur sowieso
unter keinem Gesichtspunkt Einfluß auf die Gesetzgebung
nehmen können, dürfen sie im Stillen denken,
was sie wollen. Wo die weltanschaulichen Systemgrundsätze
aber Wahlen verschiedener Alternativen zulassen, kann keine etablierte
Parteienmacht ihres Machterhalts sicher sein, die dem Zufall
überläßt, ob sie von den Bürgern wieder
gewählt wird. Die Massenbeeinflussung muß hier also als
Mittel der Herrschaftssicherung ungleich stärker und
umfassender sein, damit die Beherrschten auch geheim in ihren
Wahlkabinen nicht vergessen, wer ihre Wohltäter und
wer die Bösewichter sind, vor denen sie sich fürchten
sollen. So erklärt sich, daß der Alltag im 3. Reich - man lasse sich
nicht durch die für den Alltag untypische Kulisse von Großveranstaltungen
täuschen - übereinstimmender Erinnerung der
damaligen Generation zufolge weitaus "unpolitischer"
war als der heutige Alltag.
Keine Herrschaft hält sich dauernd, die ihren Untertanen
nicht die Frage beantworten kann, welchen Sinn ihr Gehorsam
eigentlich hat. Diese Sinnstiftung ist Aufgabe von Herrschaftsideologien.
Derartige Ideengebäude gründen auf konkreten erwünschten
Einzeltugenden, zum Beispiel der Treue zum Königshaus in
der Monarchie, der virtú
in der Republik oder der Gottesfurcht im klerikalen Staat. Die funktionale
Auffassung derartiger metaphysischer Gebote erkennt es als Mittel
der Herrschaftstechnik, den Beherrschten eine Ethik zu verordnen, unter
deren Geltung nicht nur die Herrschenden weiter herrschen und die Beherrschten
weiter beherrscht bleiben, sondern sich darüber hinaus des
Beherrschtwerdens erfreuen und es als ethisch anstößig empfinden,
überhaupt die Frage nach der Legitimation der Herrschaft
aufzuwerfen oder gar gegen sie anzukämpfen. Dem juristischen
Verbot des weiteren Kampfes um die Macht folgt das moralische: Der Unterlegene
soll eine Wiederaufnahme des Kampfes noch nicht einmal mehr
denken dürfen. Der endgültigen Durchsetzung der
etablierten Macht folgt die Moralisierung des Politischen. Dem
Unterlegenen wird eingeredet, daß es moralisch böse
und ethisch anstößig sei, um Macht zu kämpfen, ja
daß es überhaupt keine existentielle Feindschaft
gibt, die das Kämpfen lohnen würde. Das Friedlichkeitsgebot
ist die Waffe des Siegers, und die Wiederaufnahme des Kampfes zum Gedankenverbrechen;
schließlich zum Tabu. Dieses kann unter den Bedingungen
des Medienstaates errichtet, durchgesetzt und instrumentalisiert
werden.
In einem politischen System mit freier Auswahl zwischen
den nicht verbotenen politischen Parteien ist die Verfügungsmacht
über die Instrumente der öffentlichen Meinungslenkung
und -kontrolle der neuralgische Punkt des Machterhalts. "Die Massen
werden durch einen Propaganda-Apparat gewonnen,
dessen größte Wirkungen auf einem Appell an nächstliegende
Interessen und Leidenschaften beruhen. Das Argument
im eigentlichen Sinne, das für die echte Diskussion charakteristisch
ist, verschwindet." Einen "gewaltigen Hebel zur Eroberung,
Wahrung und Kräftigung der Herrschaft über die Massen"
nannte Robert Michels bereits 1911 die Presse, als das noch suggestivere Fernsehen und die Kunst ideologischer
Agitation noch nicht einmal erfunden waren. "Die Verfassung
und der Gesetzgeber haben" die Medien "im Interesse
der Durchschaubarkeit staatlicher Machtausübung
mit nahezu unbegrenzten Rechten ausgestattet." Unter den sozialen Bedingungen der Massengesellschaft
ist es immer weniger Menschen möglich, sich ein persönliches
Bild von den handelnden Politikern und Parteien zu machen, die
Wahrheit oder Tendenz einer Berichterstattung zu überprüfen
oder gar im Dickicht unterschiedlicher weltanschaulicher Positionen
und Programme zurechtzufinden. Nach Untersuchungen leiten
30% der Wahlberechtigten ihre politische Meinung
direkt aus dem Fernsehen ab. "Eine kontinuierliche Beeinflussung
der politischen Meinungsbildung über Jahre hinweg kann
die Wahlchancen der Regierungsmehrheit gegenüber
den Oppositionsparteien durchaus merklich verbessern"
Die Chancen einer Opposition können bei konsequenter
Medienblockade auf "Null" sinken. Nach informellen Absprachen
zwischen den Intendanten darf kein Republikaner seine
Meinung im Fernsehen vertreten und Programmpunkte
vortragen, weil man dann nicht mehr behaupten könnte,
die Partei hätte außer dummen Sprüchen kein Programm.
Die Noelle-Neumannsche Schweigespirale
wird operativ eingesetzt und gegen die als gefährlich
eingeschätzte Konkurrenzpartei gewandt: Die Politiker,
die allabendlich in ihren Staatskarossen zu Sitzungen
auffahren, hält der Fernsehzuschauer für real. Wer
nicht auffährt und eintrifft, ist irreal - es gibt ihn einfach
nicht. Die Ikone Bildschirm ersetzt für den sich "in der ersten
Reihe" wähnenden Zuschauer die Realität; und in dieser Realität dürfen Störenfriede nicht
vorkommen. Unter den kombinierten Bedingungen der Massengesellschaft,
des Medienstaats und des Wahlsystems kann eine totgeschwiegene
und verfemte Partei nicht in die Parlamente kommen, sie kann noch
nicht einmal nach ihren Vorstellungen existieren und politisch arbeiten.
Jede Partei ist auf Zulauf und Mitglieder angewiesen. So waren die Republikaner mit dem Vorsatz
angetreten, im Rahmen des Systems demokratische, konservative
Positionen in die Parlamente zu tragen und langfristig als Koalitionspartner
der CDU das erforderliche strategische Gegengewicht zu den Bündnispartnern
der SPD zu bilden, den Grünen nämlich und demnächst der PDS. Dazu waren sie auf Mitgliederzulauf
aus bürgerlichen demokratischen Schichten angewiesen, ohne die
bürgerliche und demokratische Politik nicht gemacht werden
kann. Ohne ansprechende öffentliche Selbstdarstellung
können nicht nur keine Wähler, sondern bereits keine Mitglieder
gewonnen werden. Nur ein kleinster Bruchteil dieser Selbstdarstellung
kann von den Parteien selbst geleistet werden. Er bedarf vielmehr
der Multiplikation durch die Medien. So viele Flugblätter
kann eine kleine Partei gar nicht drucken und verteilen, um quantitativ
auch nur eine Minute eines Fernsehberichtes zu ersetzen.
So machten die Republikaner sich seit 1989 also munter daran, ausgefeilte Presseerklärungen
zu Gott und der Welt täglich auf Bundes- und Länderebene zu
formulieren und an alle Zeitungs- und Fernsehredaktionen zu faxen.
Alle landeten im Papierkorb. Wenn Republikaner 1990 in Presseerklärungen 500 DM Kindergeld forderten,
erfuhr das niemand. Als 1994 SPD-Politiker Forderungen in derselben Tendenz erhoben,
berichteten die Medien ausführlich. Seit 1989 haben das Fernsehen
und das Gros der Presse nicht nur sämtliche programmatischen Positionen
der Republikaner konsequent
verschwiegen, um hämisch behaupten zu können, diese
hätten gar kein Programm. Sie haben auch noch systematisch
über angebliche Forderungen dieser Partei berichtet,
die sie gar nicht hat, insbesondere zur Frage der Masseneinwanderung.
So gehört es in der Bereich der Medienlegenden, die Republikaner würden Forderungen
wie "Ausländer raus" erheben. Tatsächlich entsprachen
ihre Forderungen weitgehend denen, die von der Regierungskoalition
seit zwei Jahren zum Gesetz gemacht worden sind. Was über Republikaner seit Jahren im Fernsehen
gesendet wird, ist eine schlechte Karikatur der Wirklichkeit. So
fahren vor einer Veranstaltungshalle Kameras auf, in der
ein Parteitag stattfindet. Gefilmt und gesendet werden aber
nicht Reden, sondern es werden die Stiefel von auf Bestellung aufmarschierten
Skinheads gefilmt, und zu diesen Bildern sagt dann der Moderator sein
gehässiges Sprüchlein auf. Statt Berichterstattung
gibt es nur übelste Agitation. Obwohl alle einschlägigen
Rundfunkgesetze ausgewogene Berichterstattung
verlangen, kamen z.B. Republikaner bis zum Frühjahr
1992 nicht selbst zu Wort und auch danach nur höchst selten und
kurz. Man redet in den Medien nicht mit Republikanern, sondern nur
über sie. Nur so kann das Zerrbild neonazistischer
Übeltäter gezeichnet und aufrechterhalten werden, das
sofort zusammenbräche, wenn wirklich maßgebliche
Funktionsträger der Partei inhaltlich zu Wort kämen.
Nachdem Journalisten das gewünschte Schreckensbild
neonazistischer Teufel mit dicken Strichen an die Wand gemalt
haben, folgt der rituelle Exorzismus auf dem Fuße. Mit Sorgenfalten
auf der Stirn zeigt dann der Moderator auf sein Schreckensbild
und fragt scheinheilig-rhetorisch: "Ist er nicht scheußlich?",
und vermittelt so das für die Millionen gültige Bild, die
keinen leibhaftigen Republikaner selbst kennen.
Dieser Vorgang setzt gezielt die Wirkung der sich selbst
erfüllenden Prophezeiung in Gang: Die ordentlichen
Bürger, die von der Partei als Mitglieder gewünscht
werden, wenden sich mit Gruseln ab, während klammheimliche
Anhänger eines gewissen historischen Modells ein
eher angenehmes Schaudern verspüren und angeflogen kommen
wie die Motten zum Licht. So muß die Partei sich pausenlos eines
nicht politikfähigen Narrensaumes erwehren und
kann seriöse Strukturen nicht aufbauen. Einer Partei, die quer
zu den Sympathien der maßgeblichen Massenmedien liegt, ist
es heute operativ unmöglich, selbst über ihr Erscheinungsbild
in der Öffentlichkeit zu bestimmen, darüber zu
entscheiden, für welche inhaltlichen Positionen sie in
den Augen der Öffentlichkeit steht und damit letztlich darüber,
auf welche Bürger sie Anziehungskraft ausübt. Diese
sind es, die morgen ihr tatsächliches Erscheinungsbild bestimmen
werden und die sie in eine Spirale hineinzuziehen drohen, an
deren Ende sie so werden könnte, wie es zu Anfang nur dem an die
Wand gemalten Schreckbild entsprochen hatte.
Die öffentliche Meinung über ein staatliches
Propagandaministerium zu lenken ist aus der Mode gekommen.
Die Medien sind heute ein Teilsystem des Gesellschaftlichen und
mit den Parteien verzahnt, ihnen aber nur bei den öffentlich-rechtlichen
Medien indirekt unterworfen. Die personelle und machtmäßige
Verzahnung erlaubt den Parteien ausreichenden Einfluß auf
die Programme. Gesellschaftliche Zensur in modernen
Medien ist strenger als die staatliche und arbeitet mit Tabus. "Die Probe auf die Pressefreiheit ist, ob geistige Traditionen
und von nennenswerten Teilen der Bevölkerung getragene
Positionen an der Öffentlichkeit teilhaben
können oder nicht. Ist das nicht der Fall, kann man sicher sein,
daß Zensur nicht nur
ausgeübt wird, sondern sich bereits erfolgreich
durchgesetzt hat." Ein Indikator dafür ist es beispielsweise, wenn alle
maßgeblichen Tages- und Wochenzeitungen vom Spiegel und Focus bis zu WELT
und FAZ es meinem Verleger
ablehnten, eine bezahlte Anzeige für mein Buch
"Der totale Parteienstaat" abzudrucken. Die Mechanismen
der gesellschaftlichen Selbstzensur sind zwar nicht
plump und direkt wie es die staatlichen in der DDR waren, funktionieren
aber ebenso sicher. So seufzte Steffen Heitmann: "Wir aus der DDR waren besonders auch wegen der garantierten
Meinungsfreiheit mit einer großen Hoffnung und - wie sich
jetzt zeigt - Illusion in die freiheitliche, demokratische
Grundordnung eingetreten. Ich mußte erleben,
daß es bei drei Vierteln der Medien eine Art von gut funktionierender
Zensur gibt, die mit der in der DDR in gewisser Weise vergleichbar
ist. Nur geschieht sie heute in aller Öffentlichkeit,
durch Abstimmungen untereinander, durch indirekten
Druck gegen Leute, die aus dem Schema ausbrechen. Ich habe das selbst
erlebt, als ein Sender mich endlich einmal selbst zu Wort kommen
ließ, anstatt immer nur aus dem Zusammenhang gerissene
Sätze zu zitieren. Die Empörung der anderen
Sender in den folgenden Programmkonferenzen
war immens."
Eine Strategie der Systemüberwindung
kann nur je nach Lage der Dinge, also jetzt und hier anhand der oben dargestellten
Machtverhältnisse und Spielregeln entworfen werden. Da die
Machtverhältnisse, also zum Beispiel der Besitz der Medien,
keinen direkten Zugriff möglich machen, muß ein archimedischer
Punkt gefunden werden, von dem aus das System aus den Angeln gehoben werden
kann. Es muß ein geistiges Samenkorn gelegt werden, das keimt, die
verfilzten Machtstrukturen durchdringt und schließlich den
Deckel des selbstreferentiellen Systems sprengt. Weil dieses nur noch
seinen eigenen Gesetzen gehorcht, eignet sich nur ein Korn, das unter
Geltung dieser Gesetze gedeiht. Wir müssen uns eines
integralen Wertes des parlamentarischen Systems
bemächtigen und zum Angriffsinstrument umfunktionieren.
Nur dann werden greifen seine systemimmanenten Abwehrmechanismen
nicht greifen. Ein solches Korn gibt es. Wir müssen das demokratische Prinzip
gegen das liberale ausspielen. Die ganze Eigenlegitimation
des Bonner Staates beruht dermaßen auf dem Demokratieprinzip,
dieses ist so sehr weltanschaulich überhöht
und quasireligiös funktionalisiert worden,
daß es bei Strafe gesellschaftlicher Acht und
Banns nicht in Frage gestellt werden darf. Der Forderung
nach mehr Volksabstimmungen und -entscheiden kann
ohne Verstoß gegen das demokratische Dogma
nichts entgegengehalten werden. Sie sind der einzige
Ausweg aus dem geschlossenen Machtkreislauf eines auf dem strengen
Repräsentationsprinzip beruhenden Parteienstaates. Das Einfordern plebiszitärer Mitbestimmungsrechte
dient aber nicht nur dem langfristigen Ziel, das vom strengen
Repräsentationsprinzip abhängige oligarchische
Parteiensystem zu unterminieren, es ist auch Teil einer Strategie
der Delegitimierung. Da das System vorderhand nicht nachgeben
wird - wer sägt schon den Ast ab, auf dem er sitzt - kann einstweilen
mit Recht auf den offenkundigen Widerspruch zwischen der nominellen
Demokratie, in Wahrheit aber oligarchischen Parteienstaat sui generis
hingewiesen werden.
Jede Strategie der Überwindung eines Herrschaftssystems
muß mit seiner Delegitimierung beginnen. Hauptwaffe ist
der Tabubruch. Er ist der erste Schritt zur nötigen Umwertung
der Werte. Diese beginnt mit dem gezielten Lächerlichmachen
der gegnerischen Ideologeme, soweit diese nicht angeeignet und umgepolt
werden können wie z.B. das Demokratieprinzip. Ideen, Gedankengebäude,
Ideologien und Weltanschauungen sind Waffen im zwischenmenschlichen
Machtkampf. Begünstigt ist, wer dem anderen seine Spielregeln
diktiert, zu denen seine Ethik und Moral gehören. Politische
Kämpfe sind nur vom Standpunkt weltanschaulicher Überlegenheit
aus zu gewinnen. Jede Weltanschauung ist in ihrem funktionalen
Kern Herrschaftsideologie und kann daher nur verstanden werden,
wenn sie in ihrer konkreten historischen Lage, und jede einzelne politische Begrifflichkeit,
wenn sie in ihrer situationsbedingten polemischen
Funktion erfaßt wird. "Da keine zeitgenössische Partei ohne
ein System von philosophischen oder spekulativen
Grundsätzen, die sie an ihre politischen und
praktischen anschließt, auskommt, so finden wir, daß jede
dieser Parteien, in die die Nation gespalten ist, ein solches
Lehrgebäude errichtet hat, um ihre Absichten
und Handlungen abzuschirmen." "Jedes politische System braucht seine Systemideologie,
um damit die bestehende Form der Herrschaft und der
Machtausübung zu legitimieren."
Wer herrschen will, muß zu dienen vorgeben,
und zwar einer absoluten Geltung beanspruchenden ethischen
Norm, weil seine Herrschaft nur dann akzeptiert wird. So herrschen unter Berufung auf göttliches oder
Naturrecht diejenigen, die jeweils die Definitionsmacht
besitzen, welche konkreten Forderungen der angebetete
Gott an die Beherrschten richtet oder welchen konkreten Inhalt
das Naturrecht angeblich hat. Normativistische Fiktionen lassen ihren Interpreten
getarnt im Hintergrund und sollen seine Macht über diejenigen
rechtfertigen, die an seine Normen glauben. So beruht der Herrschaftsanspruch
der Nutznießer des Parteienstaates auf allerlei Fiktionen, an die
man glauben oder es sein lassen kann: etwa auf der Fiktion von Souveränität
des Volkes, der Vertretbarkeit von Interessen, der weitergehenden Fiktion, alle Interessen aller Bürger
könnten in einem einzigen Parlament zugleich
repräsentiert sein,
dem Dogma der Wahrheitsfindung in parlamentarischer Debatte,
dem Glauben, glücklich könne man nur unter Geltung eines
egalitär-egozentrischen Menschenrechtsverständnisses werden und unter der Dunstglocke einer pseudo-humanitaristischen
Zivilreligion.
Der theologische Kern der Menschenrechts- und Demokratietheorie hat
alle Säkularisierungen überstanden.
Der Betrug besteht darin, daß die selbsternannten
Hohepriester universalistischer Menschheitsansprüche
Unterwerfung unter ihre Moralforderungen
mit dem hinterlistigen Nebeneffekt beanspruchen, zugleich
ihr Interpretationsmonopol dieser
Menschheitsmoral und damit ihre weitere Priesterherrschaft
zu akzeptieren. Ihrer Behauptung nach sind Freiheit, Wohlstand
und Glück nur unter Herrschaft ihrer Moral zu erhalten.
Für uns Ungläubige stellt sich dagegen die elementare
Frage, warum wir ausgerechnet an eine universelle Moral
glauben sollen, die offenkundig mit unseren Gegnern
oder Konkurrenten im Bunde ist.
Wer sich beherrscht fühlt und befreien möchte,
muß das Wechselspiel zwischen faktischer Herrschaftsmacht
und überwölbender Herrschaftsideologie
ebenso durchschauen wie jeder, der selbst gern herrschen
möchte. Herrschen bedeutet, die Spielregeln des Zusammenlebens
so zu setzen, daß die anderen
zu tun haben, was die einen wollen.
Herrschaftsideologien sind abstrakte Ideengebäude
und vermitteln Akzeptanz von Herrschaft: Solange die einen tatsächlich an sie glauben,
gehorchen sie "freiwillig" den anderen. So gehorchen Monarchisten im Glauben
an das Königtum dem Monarchen,
Marxisten im Glauben an den Diamat oder den Fortschritt ihrem
Parteisekretär, Muslime im Glauben an Allahs Willen dem Imam und Demokraten
im Glauben an die Demokratie
den Bundestagsabgeordneten, ihren Gesetzen
und den politischen Entscheidungen ihres Kanzlers.
Es gehört zu den erfolgreichen Herrschaftstechniken,
den Beherrschten das glückliche Gefühl zu schenken, ihr
Gehorsam diene Gott oder
stehe wenigsten mit einem universalen
Gesetz in Einklang, zum Beispiel der Humanität, dem Weltfrieden,
dem historischen Sieg des
Sozialismus oder der Demokratie.
Darum pflegte man früher von
Gottes Gnaden und heute im Namen des
Volkes zu herrschen. "Je paradiesischer das
vorgegaukelte Trugbild, um so schmerzloser die
seelische Versklavung." Es waren und sind die glücklichen Sklaven der Freiheit
größter Feind.
Tabubruch bedeutet demnach die gezielte Zerstörung
oder Umdeutung der tragenden Werte der Parteienherrschaft. Diese
statuieren im Kern eine Ethik, die denjenigen nützt, die mit
egozentrisch halbierter Vernunft nicht erkennen, daß ihre
persönliche Freiheit des Schutzes durch einen Staat bedarf,
und die diesen Staat konsequent erobert und lahmgelegt haben. Die
Ethik des Parteienstaates dient letztlich der Aufrechterhaltung
eines bestimmten Status quo, in dem sich die faktische
Machtposition derjenigen normativ ausprägt und stabilisiert, die ihren ökonomischen Vorteil
aus einer Wirtschaftsverfassung ziehen, in der ein freies Spiel der Kräfte weitestmöglich
ist.
Ein zentrales Ideologem des Parteienstaates ist
die unzutreffende Fiktion, das Gemeinwohl sei lediglich die
Resultante der widerstreitenden, vornehmlich ökonomisch
verstandenen Interessen. Die utilitaristische Reduktion auf egoistische Interessen kann
zur Angriffswaffe umfunktioniert werden mit der Frage, ob die zentralen
Anliegen der real existierenden Parteien in dieser oder jener Weise
tatsächlich den Interessen der Deutschen entspricht,
z.B. zu den Fragen der Einwanderung, der EG, der Steuererhöhungen,
Staatsverschuldung, Parteienfinanzierung u.w.m. Daß
ein jenseits parteitaktischen Kalküls stehender handlungsfähiger
Staat mit einem durch das Volk gewählten und vom Parlament
unabhängigen regierenden Präsidenten die
Interessen des Ganzen und damit die aller Einzelnen nachhaltiger vertreten
würde, ist jedem unschwer zu vermitteln. Die Durchsetzung dieser Forderung würde den Parteienstaat irreparabel
treffen und das System sprengen. Das selbe Ziel würde mit der
praktischen Einforderung und Durchsetzung des Demokratieprinzips
durch Volksabstimmungen über alles und jedes erreicht. Ganz
gleich, was dabei herauskommt: Das Nebeneinander zweier Gesetzgeber
und der fortwährende Legitimitätsentzug für die Parteien
und die Repräsentanten führt zu selbstzerstörenden
inneren Widersprüchen.
Vor allem aber muß jener moralisierende Begründungszusammenhang
nachhaltig gestört werden, der unter Berufung auf das Gute eine schwärmerische
Fremdentümelei mit einer Schuldneurose verbindet
und die Unterwerfung unter die Spielregeln des Parteienstaates
mit der hinterlistigen Behauptung verlangt, diese seien die
Inkarnation der Westliche-Werte-GmbH
& Co KG, und hier fänden wir unsere historische
Bestimmung. Auf dem behaupteten Zusammenhang von Schuld und
Buße gründet die Forderung nach nationaler
Selbstentsagung, die vornehmlich unter Herrschaft der Etablierten gewährleistet
sei. Weil nur die Herrschaftsinstrumente und Spielregeln
des Parteienstaates die Wiederholung von Unsäglichem sicherstellen, sollen wir sie
lieben. So sei der Verfassungspatriotismus eine
"Chiffre für neue Identität der Bundesdeutschen...
...
...Von Erdenballast
entlastet, kann der Verfassungspatriotismus alle
irdischen Unterscheidungen zwischen Völkern und
Staaten hinter sich lassen, aufsteigen zur Höhe der reinen
Normen und weiter zu den Ideen von diesen Normen.
...
Mit dem Erfolg des Grundgesetzes
wächst die Neigung aller Gruppen, ihre Belange von der Verfassung
her zu legitimieren und ihre Konflikte mit verfassungsrechtlichen Mitteln
zu lösen. Tendenziell wachsen, aus dem Grundgesetz,
seiner Selbstbescheidung zum Trotz, ganzheitliche Programme
für Kultur, Wirtschaft, Erziehung, Moral abzuleiten,
seine demokratischen, sozialen und grundrechtlichen Normen
religiös zu überhöhen und die Verfassung als
säkulares Glaubensbekenntnis zu deuten." Weil sich hier die neuralgische Stelle des Systems befindet,
nämlich ihre ideologische Wurzel, umgibt es sich mit immer
neuen Tabus und Sprachregelungen. Diese zu zerstören
ist vordringlichste Aufgabe einer geistigen Partisanentätigkeit.
"Der Betroffenheits-Besoffenheit kann man nur mit
Subversion begegnen.
...
Der Anarch, Partisan
oder Dandy ist das einzig effektive Gegenbild zum Bürokraten,
Apparatschik, Funktionär und Despoten." Auswege aus der Systemkrise werden wir nur finden können,
wenn wir sie nach Brechung der uns verordneten Tabus wieder denken
und aussprechen dürfen.