Rezension von Hellmuth Diwald (1924-1993), Geschichte der Deutschen
Publikation; "Student" - März/April 1979
Selten genug, daß ein einzeiner Historiker es auf sich
nimmt, die gesamte Geschichte der Deutschen in einem einzigen Werk
abzuhandeln; seltener noch, daß ein Geschichtsbuch überhaupt das Interesse
einer breiteren Öffentlichkeit weckt und erbitterte Debatten bis in die
Leserbriefspalten unbedeutender Provinzpostillen auslöst. Hellmut Diwald,
Jahrgang 1929 und ordentlicher Professor an der Universität Erlangen, hat
beides erreicht, und das schon wenige Wochen nach dem Erscheinen der inzwischen
vergriffenen unzensierten 1.-100. Tausend seines Werkes zur Buchmesse 1978.
Dabei ist es nicht Diwalds "gegenchronologisches Verfahren", welches
die Gemüter erhitzt: Um von der unmittelbaren Betroffenheit, der direkten
Erfahrung der Geschichte' durch den zeitgenössischen Leser auszugehen, wie der
Autor in der WELT vom 18. 12. 1978 schreibt, hält er den Bewohnern der drei
deutschen Nachkriegsrepubliken den Spiegel vor.
Wie konnte es zu dieser unserer Gegenwart eigentlich
kommen? Über Drittes Reich, Weimarer Republik und Kaiserreich spannt
er den Bogen bis hin zur Krönung Heinrichs I. zum ersten deutschen König. Auch
Diwalds klarer Erzählstil, der dem Leser selbst schwierige Zusammenhänge
anschaulich und begreiflich werden läßt, trug ihm nicht die Kritik seiner
Fachkollegcn ein, die allzuoft Geschichte auf bloßes Anhäufen trockener
Fakten reduziert hatten.
Nein, es waren die Seiten 164-165 seines Werkes, die einen
wahren Kreuzzug der Rechtgläubigen gegen ihn auslösten. Da wagt es doch ein
beamteter Hochschullehrer, aisässig ausgerechnet in Bayern, zu behaupten,
zentrale Fragen des Schicksals der Juden im NS-Staat seien noch ungeklärt
"Jeder moralisch einigermaßen berührbare Mensch wird bei dieser Thematik
von Entsetzen, Ohnmacht und grenzenloser Trauer ergriffen", schreibt Diwald
in "Criticón" (1977, S. 258). Als Historiker kommt er jedoch um die Feststellung
nicht herum: "Vor der Kulisse der abscheulichen Entrechtung der Juden im
Dritten Reich wurden seit 1945 nicht nur zahlreiche Schriften veröffentlicht,
die den Umfang des Schrecklichen abzustecken versuchen, sondern ebenso viele
Behauptungen aufgestellt, die sich nicht beweisen ließen und die das unfaßlich
Schandbare durch einen ebenso unfaßlichen Zynismus erweiterten: nämlich
eines der grauenhaftesten Geschehnisse der Moderne durch bewußte Irreführungen,
Täuschungen, Übertreibungen für den Zweck, der radikalen Entwertung eines
Volkes auszubeuten. Der ungeheure Dokumentenberg über die Vernichtung der
Juden, der für die verschiedenen Kriegsverbrecherprozesse zusammengetragen
wurde, türmt sich über der Basis einer ungeheuren Zahl unhaltbarer Berichte,
zweckhafter Bildmontagen. statistischer Phantasieprodukte." "So
nannten die Alliierten Vernichtungslager, von denen es in Deutschland kein
einziges gegeben hat. Oder es wurden jahrelang im KZ Dachau den Besuchern
Gaskammern gezeigt, in denen die SS angeblich bis zu 25 000 Juden täglich
umgebracht haben soll, obschon es sich bei diesen Räumen um Attrappen
handelte, zu deren Bau das amerikanische Militär nach der Kapitulation inhaftierte
SS Angehörige gezwungene hatte" (Geschichte der Deutschen, S. 165).
.,Für das Grundsätzliche spielt das keine Rolle, hier bleibt allein
ausschlaggebend die Feststellung, daß in der Tat schon ein einziger aus
Gründen des Rassenantisemitismus ermordeter Jude zuviel gewesen wäre"
(Criticón a.a.O.).
Wie Diwald betont, lagert sämtliches Material, das die Frage der Judenmorde
aufhellen könnte, bis heute unzugänglich in amerikanischen, französischen und
sowjetischen Geheimarchiven. Insbesondere über die heute iin Ostblock
liegenden ehemaligen Lager ist historisch verwertbares Faktenmaterial Mangelware.
Nicht zu streiten ist demgegenüber um Diwalds eindeutige Stellungnahme gegen
die Verbrechen des NS-Staates. Doch offenbar ist in Deutschland heute alles möglich,
selbst die frechste Verdrehung der Tatsachen. Spiegel-Redakteur Georg Wolff
meldete sich zu Wort und versuchte, Diwald ob seiner oben genannten Ausführungen
zum Nazi hochzustilisieren. Wolff, der höchstselbst bis 1945 als SS-Führer von
beachtlicher Ranghöhe in Norwegen als SD-Funktionär ein gesetzt war, während
Diwald noch die Schulbank drückte.
Armin Biergann gar verstieg sich in der "Kölnischen Rundschau" zu
den Anwürfen, Diwald sei "ein verblendeter Kopf" von "kaum verhülltem
Antisemitimus". Offensichtlich kannten diese Journalisten Diwalds Buch
nur vom Hörensagen.
Noch unerfreulicher fiel jedoch das Verhalten Golo Manns
auf, renommierter Historiker wie Diwald und harter Konkurrent um
Auflagenziffern und Tantiemen: Mann hat gleich Diwald eine Wallenstein-Biographie
und eine "Deutsche Geschichte" verfaßt und konnte es sich nicht verkneifen,
dem Kollegen bei dieser Gegelegenheit eins auszuwischen. Diwalds Feststellungen
zur Frage der Judenverfolgungen seien das Ungeheuerlichste, was er seit 1945
in einem deutschen Buch habe lesen müssen. Diwald leugne jeglichen Judenmord
glatt ab. Der unparteiische Zuschauer dieser Professorenpolemik wird sich der
obigen Diwald-Zitate entsinnen und Golo Mann einen Stil attestieren rnüsscn,
der weit unter seinem gewohnten Niveau liegt.
Angenehm fällt an Diwalds Gesamtwerk auf, daß er kein
innerlich gebrochenes Verhältnis zur deutschen Geschichte hat, so wie Mann und
manch anderer Historiker. Wie die in München erscheinende ,Neue Zeit"
bemerkt, war die Geschichtsschreibung der 1950er und 60er Jahre, soweit sie
das Verhältnis unseres Volkes zu sich selbst betraf und sich nicht auf
"reine" Wissenschaft zurückgezogen hatte, von zwei sich ergänzenden
Tendenzen geprägt: Zum einen sollte sie zeigen, wie in der Vergangenheit des
deutschen Volkes alles schiefgelaufen sei, nämlich in gerader Linie von den
Staufern über Friedrich den Großen und Bismarck zu Hitler. Ferner sollte sie
zeigert, wie aber doch in der Geschichte anderer Völker die Errungenschaften
von Dernokratie und Menschenrechten sich erfreulich ausprägten und durch brüderliche
Hilfe dem etwas zurückgebliebenen deutschen Volke vermittelt wurden. Im Zuge
einer "demokratischen Umerziehung" wurde den Besiegten ein Ekel
vor sich selbst angewöhnt, ihre Geschichte und Identität ausgetrieben, weggenommen,
wie Diwald in der WELT vom 18.11.1978 schreibt. Schon vor dem Deutschen
Historikertag 1976 hatte er darauf hingewiesen: "Der Deutsche nach 1945
wurde von den alliierten Siegern als eine Art krimineller Patient behandelt,
dessen politische, moralische, charakterliche Korrumpierung nur noch mit drastischen
Mitteln zu heilen war ... Das Verdikt über die deutsche Geschichte führte zunächst
zu einer Abwendung von der Geschichte überhaupt und wirkte sich dann konkret
als Verlust der Geschichte aus."
Die Geschichte der Deutschen aus dem Bereich dieses einseitigen
Verdammungsurteils herauszunehmen, ist. das Hauptanliegen des Autors: Nach
1945 "wurde sie vor den Richterstuhl der Ewigkeitsmoral gezerrt und ihr
der Prozeß gemacht, sie wurde abgeurteilt, exekutiert, und dann versuchte
man, den Kadaver an einem unbekannten Ort zu verscharren. Die Geschichte ...
nimmt solche Behandlung übel. Sie verfügt um ein beängstigend
dimensioniertes Standvermögen" (Criticon 1977, S. 256). Man kann nicht
vor sich davonlaufen; heute steht eine neue Generation der Geschichte ihrer Vorfahren
wieder freimütig gegenüber. "Sie weiß, daß zu dieser Geschichte
ungeheure Verbrechen gehören, daß sie sich jedoch darin nicht erschöpft."
Diwald führt uns die großen Perspektiven unserer Vergangenheit vor Augen und
zeigt letztlich, daß die Geschichte der Deutschen noch lange nicht an ihrem
Ende angelangt ist.