von
Klaus Kunze
(Publikation: „Student“ Mai
1979)
Welchen
Stellenwert besitzt die Vielfalt der Völker und Kulturen der Menschheit,
und welche multinationaten Strukturen bedrohen sie? Welche geistigen
und politischen Strömungen bejahen und fördern die kulturelle
Selbstverwirklichung der Völker, und welche tendieren zu Uniformierung
und Vermassung? Brennend aktuelle Fragen, die nicht nur für die
um den Bestand ihrer Eigenart ringenden Völker der "Dritten
Weit" von lebenswichtigem Interesse sind. Henning Eichberg,
Dozent an der Universität Stuttgart, ist ihnen in seinem Buch
"Nationale Identität" (Langen-Müller-Paperback 1978)
nachgegangen.
Grundsätzlich
- wer wollte das bestreiten - sind alle Kulturen und Nationen
gleichberechtigt. Die Möglichkeiten, Mensch zu sein, sind vielfältig
und die Unterschiede zwischen den Völkern schwerwiegender, als
bei oberflächlicher Betrachtung oft angenommen. Das ist die
Grundeinsicht des Ethnopluralismus.
Im
Gegensatz zu dieser allgemein akzeptierten Überzeugung sieht
der Autor den europäischen Menschen auf dem besten Wege, eben
diese Kulturenvielfalt zu zerstören und gleichzuschalten. Es begann
mit dem ,Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker",
führte zu den Konquistadoren bis hin zu Amerikas "To make
the world safe for democracy" und dem russischen Ziel der
Weltrevolution, Welcher Teufel ist es, der uns Abendländer zu
der Überheblichkeit verleitet, fremde Kulturen als Barbaren,
Heiden, Wilde zu denunzieren und zu glauben, diese wären glücklicher,
wenn sie die "Segnungen" unserer Zivilisation und Ideologie
genössen?
Überheblicher Universalismus
Henning
Eichberg weiß es: Der Teufel heißt Universalismus; er versteckt
sich in den abendländischen Weltanschauungen wie dem Christentum,
dem kapitalistischen Liberalismius oder dem Marxismus. Allen
diesen Doktrinen gemeinsam ist der Drang, keine Götter neben sich
zu dulden, vor allem nicht die angestammten Überzeugungen der
zu Bekehrenden. Mit derselben selbstsicheren Überheblichkeit,
wie weiland die christlichen Missionare den Heiden ihren Gott
brachten, meinten die Deutschen gelegentlich, an ihrem Wesen
müsse die Welt genesen (in ihrer sächsisch-marxistischen Spielart
heute noch), meinen die Amerikaner, ihr "Way of life"
eigne sich hervorragend als Exportartikel, sei es für unterworfene
Länder wie Deutschland, sei es für sogenannte Entwicklungsländer.
Und damit sind schon beim Kern des Problems, denn ohne weiteres
einsichtig ist, daß die kapitalistischen Industrieländer ein
vitales Interesse daran haben, auch der letzte Indio oder Buschmann
möge ein glücklicherer Mensch sein, wenn er alle Produkte westlichen
Know-hows kauft: von Coca-Cola bis zum Schützenpanzer. Damit er
dies kann, muß ihm notfalls .,Entwicklungshilfe" gewährt
werden.
Daß
dabei zwangsläufig sämtliche kulturellen, religiösen, stammesmäßigen
und sozialen Grundlagen der fremden Völker vernichtet werden,
stört dabei wenig. Was da schon mehr ärgert, sind diese unverständlicheen
Versuche der Wilden, "wild", ,primitiv" und "unterentwickelt"
zu bleiben. Da wollen doch tatsächlich Millionen von Persern
geradewegs zurück ins Mittelalter!
Die
Völker wollen bei sich selbst zu Hause sein. Lassen wir uns, befangen
im Nationalmasochismus des bestraften Deutschland der Nachkriegszeit,
nicht täuschen: Für die überwältigende Mehrheit der Menschen
bildet ihre Zugehörigkeit zur engeren ethnischen Gemeinschaft,
gerade ihren - und keinen anderen - Überlieferungen, ihrer Kultur
und Tradition, die Bewahrung ihrer nationalen Identität die politische
Kardinalfrage. Sie ist entscheidend für ihr Überleben, ihr Überleben
als Kambodschaner gegenüber Vietnam, als Indio gegen die Einwanderer,
als Litauer gegen die brutale Russifizierung, als Südtiroler
gegen die Italienisierung. Der westliche Hyper-Industrialismus,
der mittlerweile ein Eigenleben auf Kosten seiner Völker führt,
wie auch der marxistische Messianismus des Ostens, der in der
Form des Sowjetimperialismus ebenfalls wie ein Moloch über seinen
Völkern schwebt, sie sind die wahren Feinde der Völker, weil sie
keine Völker kennen. Sie kennen nur Konsumenten oder "Klassenbrüder".
Wer
aber von den Völkern schweigt, soll nicht von den Menschen sprechen.
In erster Linie gebührt jedem das Recht, sich gemäß seiner Eigenart
selbst zu verwirklichen, als Massai, als Indianer, als Baske,
Kirgise, Elsässer. Solange ihm dieses fundamentale Menschenrecht
genommen ist und ihm fremde Lebens- und Denkweise aufgezwungen
wird, ist jeder "Klassenstandpunkt" für ihn zweitrangig,
möglicherweise aber auch das, was uns als westliche "Lebensqualität"
oder demokratisches Recht unverzichtbar erscheinen mag. Wenn
Millionen Araber es wollen, daß Verbrecher nach den Gesetzen
des Korans Strafen erleiden, die uns "unmenschlich"
erscheinen - sollen sie doch! In Wahrheit denken sie lediglich
uneuropäisch, und das ist ihr gutes Recht. Zeit und Raum, Ordnungsdenken
und Sprachstruktur sind kulturrelativ, wie Henning Eichberg nachweist.
Wir dürfen uns nicht länger anmaßen, uns selbst als Maß aller
Menschen zu setzen. Andernfalls wird es tatsächlich eines Tages
eine "One world" geben, eine einheitliche Welt dieser
oder jener Couleur - vielleicht schon 1984.
Setzt
sich hingegen der Ethnopluralisnius als politisches Prinzip im
Leben der Völker durch, dann gibt das gerade auch uns Deutschen
neue Hoffnung: Wie wir einmal selbst den europäischen Osten "germanisieren"
wollten, so sind wir heute mehr oder weniger amerikanisiert bzw.
russifiziert, aufgeteilt in verschiedene Staaten und Gebiete
und der nationalen Selbstbestimmung beraubt. Eine Welt, in der
jedes Volk seinen selbstverständlichen Platz hat, wird auch
dem deutschen Volk seinen Platz und seine Freiheit wiedergeben.