Konzeption
und Realität der Gewaltenteilung
(Publikation: Staatsbriefe
11/1993)
Mit
den Klagen zum Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von
Maastricht ist auch das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung
wieder in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Im Mai 1993
fragte das ARD-Fernsehen den Außenminister Kinkel (FDP), es
lasse sich doch mit der Gewaltenteilung nicht vereinbaren, wenn
Euro-Gesetze von Regierungsbeamten in Brüssel gemacht würden?
Die in der Frage steckende Behauptung blieb unwidersprochen.
Weniger
offenkundig als in Brüssel ist die Zusammenballung von Regierungs-
und Gesetzgebungszuständigkeit in denselben Händen in Deutschland.
Zwar war die Idee einer Gewaltenteilung weder von ihren Erfindern
noch von der späteren Staatsrechtslehre je als lupenrein durchzuhaltendes
Ideal gedacht gewesen, sondern nur als eines von mehreren Prinzipien
für einen sinnvollen Staatsaufbau, die sich teils gegenseitig
widersprechen und daher immer nur gegeneinander abgewogen,
nie aber einschränkungslos verwirklicht werden können. Aber
heute ist die Ursprungsidee der Gewaltenteilung in Deutschland
so verfälscht, verfremdet und durch die Wirkkräfte des Parteienstaats
außer Kraft gesetzt, daß der Begriff ehrlicherweise keine Anwendung
auf das Bonner System finden sollte.
I . Idee und Grundkonzeption
Gewöhnlich
wird zur Begründung der Gewaltenteilungslehre ein ziemlich banaler
Satz angeführt, für den man meistens den englischen Staatsphilosophen
John Locke zitiert: Es wäre gefährlich, wenn die Behörde, welche
die Gesetze erläßt, sie auch selbst ausführt. Das wäre eine zu
große Versuchung für die menschliche Machtgier. Deshalb darf
weder der Fürst als Haupt der Exekutive noch das Parlament als
Gesetzgebungsorgan alle staatliche Macht in sich vereinigen.
Vielmehr müssen die staatlichen Befugnisse durch ein gesetzliches
Verfassungswerk auf unterschiedliche Organe verteilt werden.
Wo dagegen die Machtbefugnisse nicht durch Verfassungsgesetz
aufgeteilt, sondern in einer Hand vereint sind, liegt eine Diktatur
vor.
Gegen
eine Diktatur sind gewöhnlich am entschiedensten jeweils diejenigen,
die von der Machtausübung ausgeschlossen sind. Sobald sie selbst
an ihr teilhaben, finden sie weniger daran auszusetzen. Da die
mögliche Teilhabe an der Macht aber ein wesentliches Moment der
menschlichen Grundbedürfnisse nach Freiheit und Dominanz ist,
wird ein Volk, das es sich in einer historischen Situation leisten
kann, immer ein System wählen, in dem es nicht einer einzigen,
unumschränkten Macht unterworfen ist.
Daher
bevorzugte schon die römische Republik in Friedenszeiten statt
eines Diktators lieber zwei sich gegenseitig mäßigende Konsuln
als Regierung sowie Volksversammlung und Senat für die Gesetzgebung.
Ein Diktator wurde nur in Zeiten schwerer Not und höchstens
für sechs Monate ernannt. Mit dem Ende des Mittelalters nahm
man im Europa der Renaissance dieses Grundkonzept gedanklich
wieder auf, nachdem das mittelalterliche Lehnswesen durch den
zur Absolutheit neigenden Fürstenstaat abgelöst worden war.
John Locke lebte 1632-17o4 und berücksichtigte vor allem historische
Erfahrungen aus der Zeit des Langen Parlaments und ihres Gegensatzes
zwischen Krone und Parlament. Er unterschied die gesetzgebende
Gewalt, also die mit der Aufstellung allgemeiner Regeln betraute,
von der exekutiven und der föderativen Gewalt. Letztere befaßt
sich mit den auswärtigen Angelegenheiten und der Sicherheit
des Landes. Die Gesetzgebung wollte Locke zwischen dem Parlament
und dem König im Parlament aufgeteilt wissen, wie es dem überlieferten
englischen Verfassungsrecht gemäß war. Die exekutive und die
föderative Gewalt schrieb er einzig dem König und seinem Rat
zu.
Wesentlich
für Locke ist also die Trennung zwischen der Gesetzgebung und
der ausführenden Gewalt, weil die Freiheit leide, wenn die Gesetze
von demselben Menschen geschaffen und angewandt würden. Wo
immer diese beiden Gewalten vereint seien, konnte es nach bald
übereinstimmender Meinung des 17. und 18.Jahrhunderts keine
Freiheit geben. Charles-Louis de Montesquieu (1689-1755) entwickelte
diese Lehre weiter zu der Gewaltenteilungslehre in ihrer heute
bekannten Form, indem er die Lockesche exekutive und föderative
Gewalt zu einer neue Exekutive zusammenfaßte, der Legislative
gegenüberstehen ließ und den Dreiklang durch eine unabhängige
Rechtsprechung wieder herstellte.
Heute
ist von Montesquieus Lehren vornehmlich der Grundgedanke anwendbar
geblieben: Die Idee, dem Bürger möglichst viel Sicherheit zu
geben, indem die Staatsbefugnisse auf verschiedene Häupter
verteilt werden. Sobald in ein und derselben Person oder Beamtenschaft
die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden wird,
gibt es keine Freiheit. Zum Verständnis der Funktion der Gewaltenteilung
muß zwischen diesem Grundgedanken und seiner damals zeitgemäßen
praktischen Anwendung unterschieden werden. Zum einen waren
die Aufgaben des Staates damals wesentlich andere. Von einer
so umfassend in alle Lebensbereiche hineinregierenden Verwaltung
wie heute konnte damals keine Rede sein.
Vor
allem aber gab es im 18. Jahrhundert andere gesellschaftliche
Machtfaktoren als heute. Während heute machtvoll organisierte
Interessengruppen, Parteien und Massenmedien den Ton angeben,
hatte Montesquieu als Mächtige den König, den Adel und das Bürgertum
vorgefunden. Diesen Gruppen versuchte er die einzelnen staatlichen
Machtbefugnisse zuzuordnen, die sogenannten Gewalten: Adel
und Bürgertum sollten, in Vertretungskörperschaften organisiert,
gemeinsam die Gesetze machen, gegen die der König nur ein Einspruchsrecht
hatte. Die Richter sollten jährlich aus der Menge des Volkes
ausgesucht werden.
Weil
die gesellschaftliche Realität und ihre Akteure sich grundlegend
gewandelt haben, können Montesquieus Zuordnungen der Befugnisse
zu bestimmten Gruppen nicht mehr so funktionieren. Seine Grundidee
kann daher heute nur sinngemäß auf die Machtfaktoren der heutigen
Gesellschaft angewandt werden.
Der
gedankliche Kern der Trennung von Befugnissen und der Aufteilung
der Macht drückt sich in Inkompatibilitäten aus, das heißt dem
Verbot, nach dem ein und dieselbe Person nicht gleichzeitig zwei
verschiedene Gewalten innehaben oder an ihnen teilhaben darf.
Das entspricht voll der heute gängigen Staats- und Verfassungslehre
und ist im Grundgesetz, auf einzelne Personen bezogen, verwirklicht.
So ist bekannt, daß es gesetzliche Verbote der gleichzeitigen
Zugehörigkeit zu mehreren Gewalten gibt. Montesquieu hatte das
Verbot aber ausdrücklich weiter gefaßt und auch mit der Freiheit
für unvereinbar erklärt, wenn verschiedene Einzelpersonen aus
"derselben Beamtenschaft" mehrere Gewalten inne hätten.
Mit Bedacht hatte er jede der Staatsfunktionen einer bestimmten,
in sich als weitgehend homogen vorgestellten gesellschaftlichen
Gruppe zugeordnet, beispielsweise die Gesetzgebung derjenigen
Kammer, die aus dem Bürgertum hervorgegangen war und einer anderen
aus dem Adel. Keiner dieser Gruppen gehörte der König als Haupt
der Exekutive persönlich an. Montesquieu hätte sich nicht einfallen
lassen, Personen aus ein und derselben Gruppe, etwa dem Adel,
gleichzeitig die Exekutive und die Mitwirkung an der Gesetzgebung
anzuvertrauen. Er betont mehrfach, daß nicht nur eine Einzelperson
keinesfalls Einfluß auf mehr als eine Staatsgewalt gleichzeitig
haben darf, sondern daß auch ein und dieselbe Personengruppe
("Beamtenschaft") nicht mehrere Staatsbefugnisse
besetzen dürfe: "Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe
Mann bzw. die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigen oder
der Adligen oder des Volkes alle drei Machtvorkommen ausübte".
Als
negatives Beispiel schildert Montesquieu die Situation in den
italienischen Republiken seiner Zeit: "Die gleiche Beamtenschaft
hat als Ausführer der Gesetze alle die Befugnisse, die sie
sich als Gesetzgeber selbst verliehen hat. Sie vermag den Staat
durch ihren Willen zu verheeren. Da sie auch noch die richterliche
Gewalt innehat, vermag sie jeden Bürger durch ihre Sonderbeschlüsse
zugrundezurichten. Alle Befugnisse bilden hier eine einzige.
Obwohl hier keine äußere Pracht einen despotischen Herrscher
verrät, bekommt man ihn auf Schritt und Tritt zu spüren."
Dieser
Zustand herrscht heute auch in Deutschland und ist eine der beiden
entscheidenden Einbruchstellen des Parteienstaats in die gewaltenteilende
Verfassungsordnung, die deshalb, jedenfalls im klassischen Sinne,
nicht mehr funktioniert. Dem englischen Vorbild folgend sind
die gesetzgebende Gewalt und die Spitze der Exekutive in Bund
und Ländern nämlich in doppelter Weise miteinander verschmolzen:
1.
Nach Art.63 und 67 GG wird der Kanzler vom Bundestag gewählt und
kann von ihm jederzeit durch einen anderen ersetzt werden.
Durch diesen Zustand ist die Bundesregierung (Art.62 GG) technisch
auf die Funktion eines Parlamentsausschusses beschränkt. Da
auch der Kanzler selbst - nicht zwangsläufig rechtlich, aber
praktisch - Parlamentsmitglied ist, rechtfertigt sich für
dieses Regierungssystem der Begriff Parlamentsregierung.
Sie widerspricht der Lehre von der Gewaltenteilung.
2.
Zum zweiten sind Exekutive und Legislative dadurch machtmäßig
verbunden, daß sie beide unter dem beherrschenden Einfluß
einer Partei oder Parteienkoalition stehen und keine selbständigen
Entschlüsse zu fassen pflegen. Regierung und Bundestag werden
heute faktisch aus der Parteizentrale der Mehrheitspartei
oder der Koalitionsrunde ferngelenkt, was jede Gewaltenteilung
zur bloßen Fiktion werden läßt. Durch die verbindende Klammer
der Mehrheitspartei(en) verschwindet zwischen den Gewalten
jenes Spannungsverhältnis, das für das Funktionieren der Gewaltenteilung
grundlegend und unverzichtbar ist. "Wenn sich in der politischen
Wirklichkeit eines Staates nicht mehr wie bei Montesquieu Legislative
und Exekutive als miteinander echt konkurrierende Gewalten
gegenüberstehen, sondern einerseits ein Konglomerat aus Regierung
und parlamentarischer Mehrheit und andererseits die Opposition
als parlamentarische Minderheit, die zudem durch das Mehrheitsprinzip
jederzeit überstimmt werden kann, kann von einer Gewaltenteilung
vernünftigerweise nicht mehr die Rede sein." (Roman Herzog)
Das
Grundgesetz kennt keine Vorkehrungen dagegen, daß ein und dieselbe
Partei die Gesetze macht, anwendet und noch aus ihren Reihen
Richter bestimmt, die über die Auslegung des Gesetzes zu wachen
haben. Es ist gegenüber der Existenz politischer Parteien fast
blind, und in Ausnutzung dieses blinden Flecks konnten diese
die Macht über Exekutive und Legislative vollständig und über
die Rechtsprechung im ausschlaggebenden Teilbereich der Verfassungsgerichtsbarkeit
und der oberen Gerichte usurpieren. Das GG nennt die Parteien
nur nebenbei in Art.21, nach dem sie an der politischen Willensbildung
mitwirken sollen. Die Schöpfer der Verfassung hielten es für
ausreichend, die drei Staatsgewalten institutionell für voneinander
unabhängig zu erklären. Es soll keine Gewalt der anderen Anweisungen
geben können. Die Fülle der Macht soll auf verschiedene Ämter
und Institutionen verteilt und ein System der "checks and
balances" geschaffen werden. Die Fülle verschiedener Ämter
soll die Amtsträger in ihrer Machtentfaltung hemmen und gegenseitig
ausbalancieren. Das für eine ausreichende Sicherung gegen Machtzusammenballungen
anzusehen, ist aber naiv, weil es die parteilichen, ämterübergreifenden
Machtstrukturen ignoriert und jeden Parteigänger im Amte
als bloßen Einzelkämpfer ansieht.
Schon
Montesquieu hatte dieses Konzept als unzureichend mit den Worten
verworfen:" Die Ämterfülle mindert das Ämterwesen manchmal.
Nicht immer verfolgen alle Adligen dieselben Pläne. Gegensätzliche
Tribunale, die einander einschränken, bilden sich. Auf solche
Weise hat in Venedig der große Rat die Legislation inne, der
Pregadi die Durchführung, die Vierzig die Gerichtsbefugnis.
Das Übel besteht aber darin, daß diese unterschiedlichen Tribunale
durch Beamte aus der gleichen Körperschaft gebildet werden. So
entsteht kaum etwas anderes daraus, als die eine gleiche Befugnis."
In
Deutschland besteht heute dasselbe Übel: Alle Gewalten sind von
Mitgliedern derselben Parteien besetzt. Und das in Deutschland
nach englischem Vorbild eingeführte System der Parlamentsregierung
verwirft Montesquieu mit den ebenso deutlichen Worten: "Es
gäbe keine Freiheit mehr, wenn es keinen Monarchen gäbe und die
exekutive Befugnis einer bestimmten, aus der legislativen
Körperschaft ausgesuchten Personenzahl anvertraut wäre, denn
diese beiden Befugnisse wären somit vereint. Dieselben Personen
hätten an der einen und der anderen manchmal teil - und somit
könnten sie immer daran teilhaben." Genau dieser Zustand
kennzeichnet die Verfassungssituation des Grundgesetzes. Es
gibt hier schon seit November 1918 keine institutionell unabhängige
Regierungsgewalt mehr: Die Regierung ist eben nur ein Parlamentsausschuß
und kann von Bundestag jederzeit abgewählt werden.
Die
Rechtfertigungsversuche der Dogmatiker des Grundgesetzes laufen
auf zwei Hauptargumente gegen den Befund hinaus, nachdem
es Gewaltenteilung im eigentlichen Sinn in Deutschland heute
nicht gibt: Zum einen werde die geballte Macht des relativen
Absolutismus, der durch die unumschränkte Herrschaft der Parlamentsmajorität
(auf Dauer einer Legislaturperiode) geschaffen wird, dadurch
gemildert, daß es zwei Parteien gebe, die sich in der Herrschaft
regelmäßig ablösten. Zum anderen gewährleiste der Föderalismus
eine gänzlich neue Art vertikaler Gewaltenteilung.
Das
Argument mit den einander ablösenden Parteien mag vielleicht
im England vergangener Jahrhunderte funktioniert haben; heute
durchdringen Massenparteien alle Lebensbereiche, ohne unterschiedliche
gesellschaftspolitische Konzeptionen zu haben. Sie sehen einander
zum Verwechseln ähnlich, wollen aber gemeinsam jede inhaltliche
Alternative vom Zugang zur Macht ausschließen. Überdies hat
seit Bestehen der Bundesrepublik noch nicht ein einziges Mal
das Volk in einer Bundestagswahl einen Regierungswechsel erreicht,
weil ungeachtet der Stärke der beiden Großparteien stets die
FDP als Mehrheitsbeschaffer den Ausschlag für oder gegen einen
Regierungswechsel gab. Das Argument der Machtminderung durch
zwei ausbalancierte Parteien zieht also nicht. Auch das Argument,
der Föderalismus schaffe eine Machtaufgliederung neuer Art, ersetzt
nicht die Notwendigkeit der klassischen Gewaltenteilung. Die
Übermacht der Großstrukturen politischer Massenparteien bricht
sich keineswegs an Ländergrenzen.
Das
entscheidende Versagen des Grundgesetzes liegt darin, daß es
eine reine Parteienparlaments-Herrschaft errichtet und den
Parlamentsparteien den unumschränkten Zugriff auf alle Gewalten
ermöglicht, weil es ihn nicht verbietet. So entstand das Gegenteil
von einer Gewaltenteilung: Eine Gewaltenverfilzung nämlich.
Die Gewaltenteilung ist hier und heute kein echtes politisches
Machtverteilungsprinzip mehr, sondern sie ist zu einer reinen
Zuständigkeitsaufteilung von Gremien verkommen, die allesamt
in den Händen derselben "Beamtenschaft" (Montesquieu)
bzw. Parteien liegen.
II. Die Gewaltenteilung zur Trennung von Staat und Gesellschaft
als Vorbedingung menschlicher Freiheit
Man
kann den verfassungstheoretischen Gegensatz von Exekutive und
Legislative gesellschaftstheoretisch zurückführen auf den
ihm korrespondierenden Gegensatz von Staat und Gesellschaft.
Jeder Herrschaftsordnung liegt die Unterscheidung zwischen
Herrschenden und Beherrschten zugrunde. Die Beherrschten
sind das Staatsvolk, und wenn ich es als Objekt des Regierens
zu seinem regierenden Subjekt in Beziehung setze, kann ich es
sinnvollerweise auch als "Gesellschaft" in Beziehung
auf die Staatsgewalt bezeichnen. Tatsächlich entspricht der
König als Regierender nach Montesquieus Lehre dem Staat, wohingegen
Bürgertum und Adel, heute gemeinsam "Volk", Objekt
der Regierung sind und die "Gesellschaft" bilden, die
der staatlichen Regierungsgewalt gegenübersteht, im Parlament
vertreten ist und sich dort autonom ihre Rechtsregeln setzt.
Dem
Staat die Rolle des Regierens und der Gesellschaft die der autonomen
Rechtsetzung zuzuordnen, Staat und Gesellschaft damit als funktional
gewaltenteilend zu trennen, ist die Gretchenfrage heutiger
Staatswissenschaft. Gewaltenteilung bedeutet in diesem Zusammenhang,
den exekutiven Teil der (theoretisch als umfassend vorgestellten)
Staatsgewalt dem "Staat" als solchem und den legislativen
Teil der "Gesellschaft" zuzuweisen und diese somit
vom Staat sowohl zur Wahrung ihrer Freiheit abzugrenzen als auch
funktionell zu integrieren. So gesehen liegt der Gewaltenteilungslehre
Montesquieus faktisch die Trennung von "Staat" und
"Gesellschaft" zugrunde. Wo beide ununterscheidbar
ineinander verwoben sind, gibt es auch keine Gewaltenteilung;
und umgekehrt läßt die Vereinigung der Gewalten in der Hand
eines einzelnen oder einer Partei oder eines Machtkartells zwangsläufig
Staat und Gesellschaft ineinander übergehen. Damit ist aber
eine Grundbedingung menschlicher Freiheit beseitigt: nämlich
der neutrale Staat als Schutzmacht der innergesellschaftlich
Schwachen gegen die Starken, als Hüter der Menschenrechte gegen
Pressionsversuche wohlorganisierter Machtgruppen und als
Wahrer des Rechtsfriedens gegen Faustrecht und Fehdewesen.
Das
Mittelalter hatte eine Trennung von Staat und Gesellschaft nicht
gekannt: In der eigentümlichen Form des Lehnsstaats, des sog.
Feudalismus, war alles "Gesellschaft". Zwischen König
und Vasall, Vasall und Untervasall bis hin zum frönenden Bauern
waren alle Rechtsverhältnisse rein personaler Natur und endeten
mit dem Tode ihrer Träger. Die Lehnspyramide war ein Rechtsgefüge,
das auf Verpflichtungen zwischen Personen beruhte. Ein "Staat"
war nicht vorgesehen. Nach der Krönung eines Königs in Deutschland
hatten die Reichsstädte nichts eiligeres zu tun, als diesem seine
persönliche Bestätigung ihrer Rechte und Freiheiten abzubitten.
Was gingen ihn auch die Versprechungen seines Vorgängers an?
Ein Staat als überpersönliche Rechtsfigur im heutigen, abstrakten
Sinne existierte so nicht.
Für
jeden einzelnen hatte das die praktische Konsequenz, daß er in
einen hierarchischen Gesellschaftsaufbau streng eingebunden
blieb. Im Normalfall hatte er keine Chance, seinem Geburtsstand
zu entkommen. Niemand schützte den frönenden Bauern vor der Willkür
seines Grundherrn, und wer gegen die Übermacht eines anderen
Schutz benötigte, konnte den nur in eigener Kraft finden oder
sich einer mächtigen Gruppe anschließen, die ihn schützen sollte.
So schloß man sich zu sozialen Verbänden zusammen und wurde Bürger
einer Stadt, Kaufmann in einer Gilde oder auch Räuber in einer
Bande. In diesen gesellschaftlichen Teilgruppen fand der einzelne
Schutz, aber um den Preis der Unterordnung. Freiheit im Sinne
der heutigen Grundrechte, Bürgerrechte oder die Sicherheit
einer privaten Existenz in unserem Sinne gab es nicht.
Die
Neuentdeckung des Staates im Sinne der antiken Res publica war
die Leistung der Renaissance. Dieser wurde als vom persönlichen
Herrscher unabhängig und immerwährend vorgestellt. Er bildete
eine abstrakte, weil nicht körperlich sichtbare Rechtsperson,
modern gesprochen: eine juristische Person. Als solche verkörperte
er allen einzelnen gegenüber das Recht der Gesamtheit. Er forderte
jedem Bürger die Loyalität und den Gehorsam ab, die ein jeder
der Gemeinschaft aller schuldet. Ohne diese Loyalität kann das
Gemeinwesen niemandem Schutz nach innen und außen verschaffen.
Der
neuartige Schutz nach innen war vor allem gegen die feudalen
Machtgruppen notwendig: Unter dem Schutz des Staates emanzipierte
sich der "Staatsbürger", ein neuzeitliches Phänomen,
von den alten Gilden, Zünften, Grundherren, Patriziern, Konfessionsgemeinschaften
und was es an Machtträgern noch alles gab. Er erlangte ein nie
gekanntes Maß an persönlicher "Bürgerfreiheit". In
dem Wort von den Staatsbürgerrechten wird dieser Zusammenhang
deutlich. Es galten nicht mehr die Regeln des Fehdedschungels,
das Faustrecht des gesellschaftlich Stärkeren, sondern die Gesetze
des Staates als über den Parteiungen stehender neutraler Gewalt,
die tendenziell jedem gleiches Recht zu schaffen suchte. Daher
war die Staatsmacht konzeptionell den Machtinteressen der gesellschaftlich
Etablierten entgegengesetzt. Die Geschichte der Neuzeit kann
so verstanden werden als fortwährendes Ringen gesellschaftlicher
Gruppen um die Vormacht und die Eroberung der Schalthebel des
Staates, um ihn für ihre Parteizwecke einspannen und gegen innergesellschaftliche
Konkurrenten mißbrauchen zu können. So widersprach es dem Zweck
des "Staats" und dem Konzept seiner Ausgleichsfunktion
zwischen den Parteiinteressen, wenn er zunächst noch unter einseitiger
Dominanz des Adels blieb und wenn seine Ämter später zur begehrten
Beute wechselnder anderer Gruppen und Parteien wurden.
Die
Oberhoheit des Staats gegenüber den Machtgelüsten gesellschaftlich
Mächtiger und damit die Grundbedingung menschlicher Freiheit
zu wahren, erfordert ein ständiges Ringen um die nötige Neutralität,
zu der nur fähig ist, wer keiner der Parteiungen selbst angehört.
In Sternstunden staatlicher Tätigkeit des 19.Jahrhunderts soll
dieses Ideal der Legende nach fast verwirklicht worden sein.
Es war die hohe Zeit bürgerlichen Selbstbewußtseins unter dem
Dach monarchischer Staatsauffassung. Der Staat hatte seine
sinnfällige Verkörperung im Königtum gefunden, und die Gesellschaft
die ihre im Parlament. Die Regierung des Königs war an die Gesetze
gebunden, die sich die Gesellschaft frei gegeben hatte; so die
Idee. Die gewaltenteilende Verfassung wies die regierende
Staatsbefugnis dem König und die gesetzgebende der im Parlament
repräsentierten Gesellschaft zu.
Beide,
Staat und Gesellschaft bzw. König und Parlament bzw. Exekutive
und Legislative blieben einander funktional zugeordnet und
daher zur Kooperation verurteilt. Die einseitige Dominanz
der einen oder der anderen Kraft wurde zwar nicht zielgerichtet
durch einen weisen Verfassungsgesetzgeber vermieden, konnte
sich aber faktisch nicht einstellen, weil beide Gewalten ein
Machtgleichgewicht bildeten. Freilich hätte jede Gewalt gern
die andere dominiert, wie beim preußischen Verfassungskonflikt
deutlich wurde. Erst 1918 kam der entscheidende Wendepunkt,
der Sündenfall der deutschen Verfassungsgeschichte: Am 28.Oktober
trat ein Reichsgesetz auf Druck der im Parlament versammelten
Parteienvertreter in Kraft, durch das Reichskanzler und -regierung
ihrer Verantwortung gegenüber dem Souverän enthoben und dem
Parlament unterworfen wurden. Bis heute unterliegen Kanzler
und Regierung der jederzeitigen Disposition der jeweiligen
innergesellschaftlichen Majorität bzw. sind mit deren Parteivorsitzendem
identisch.
Daß
es kurz danach zu einer Abdankung des Kaisers und damit zu einem
nominellen Systemwechsel kam, verzerrt die Optik und verdeckt
die Sicht auf den viel wesentlicheren Einschnitt in das Verfassungssystem,
durch den nunmehr die Regierung unter die Fuchtel des Parlaments
kam und damit der Staat durch die gesellschaftliche Majorität
erobert wurde. Ob das Oberhaupt der Regierungsgewalt ein Kaiser
oder ein gewählter Präsident ist, berührt nur die Frage der
demokratischen oder monarchischen metaphysischen Legitimation
seiner Herrschaft, und so wirkt sich ein Wechsel von der konstitutionellen
Monarchie zur Republik für den Bürger praktisch weniger aus
als die faktische Vereinnahmung der Regierungsgewalt durch
gesellschaftliche Partikularkräfte.
Alle
diese Parteien und Gruppen hatten mit dem Staat als neutraler
Macht nichts im Sinn und trachteten nur danach, ihn von innen
zu erobern. Einer Partei gelang das 1933, und auf dem Parteitag
"Triumph des Willens" konnte ihr Führer sagen: Nicht
der Staat macht unsere Partei, nein, wir schaffen uns unseren
Staat! - Sinnfälliger kann die Eroberung des Staats durch eine
innergesellschaftliche Gruppe nicht werden, und mit dem Schutz
jedes einzelnen vor jedweder Willkür als der eigentlichen Aufgabe
des Staates war es natürlich vorbei. Vielmehr herrschte jetzt
Parteiwillkür. Für das SED-System gilt mutatis mutandis dasselbe:
Es gab zwar noch eine funktionale Aufteilung der Staatsgewalt
auf besondere Organe der Rechtsprechung, der Gesetzgebung
und der Verwaltung. Über allen stand jedoch der Wille der Partei
bzw. ihres Führers oder Politbüros. Die Gesellschaft hatte
sich totalitär formiert, und einen ihr neutral gegenüberstehenden
Staat gab es nicht mehr.
Heute
ist es nicht, wie im 3. Reich und in der DDR, eine totalitäre
Einheitspartei, die den Staat unter ihre Fuchtel gebracht hat.
Heute ist dasselbe durch ein Kartell liberaler Parteien geschehen,
die einander zum Verwechseln ähnlich sehen und konzeptionell
übereinstimmen. Ihre Strategie war seit Beginn der Bundesrepublik
vorgezeichnet und fand ihren juristischen Niederschlag im
Bonner Grundgesetz. Sie lief auf eine vollständige Eroberung
des Staates durch die Gesellschaft hinaus, und zwar durch die
Gesellschaft in Gestalt der sich formierenden Bonner Parteien.
Den Staat bekamen sie durch die Machtlosigkeit des nominellen
Staatsoberhauptes in die Hand, des Bundespräsidenten. Diesem
wurde durch seine doppelt indirekte Wahl die demokratische
Legitimation entzogen, die der Reichspräsident noch gehabt hatte,
und verfassungsmäßige Macht hat er konsequenterweise nicht.
Der Kanzler müßte der Idee der Gewaltenteilung nach eigentlich
das Gemeinwohl vertreten, also eine Regierung für alle darstellen,
doch pflegt er Vorsitzender der Mehrheitspartei zu sein. Er
müßte als Regierender des Staates dessen Oberhaupt verantwortlich
sein, dem Bundespräsidenten, doch ist er tatsächlich nur der
Gesellschaft verpflichtet, nicht dagegen dem Staat, den er doch
regieren soll. Namentlich ist er abhängig von der Parlamentsmehrheit,
und diese ist nur eine formierte gesellschaftliche Teilgruppe,
eine Partei.
Wenn
aber eine solche Teilgruppe, eine Partei, den Staat usurpiert,
zerstört sie die Grundlage seiner Machtlegitimation: die über
alle Staatsangehörigen ausgeübte Staatsgewalt findet ihre innere
Rechtfertigung nämlich darin, daß dieser Staat tatsächlich allen
Bürgern Schutz und Rechtsfrieden nach innen und außen gewährleistet.
Identifiziert sich aber eine Teilgruppe oder Partei einseitig
mit dem Staat und erobert seine Schaltstellen, so grenzt sie damit
die anderen Gruppen oder Minderheiten aus und definiert sie als
nicht zum Staat gehörende Feinde: als Ketzer oder Staatsfeinde,
als Volksschädlinge, Klassen- oder Verfassungsfeinde. So steht
dann eine parteigelenkte Polizei mit in den Hosentaschen vergrabenen
Händen dabei, wenn randalierende Politgewalttäter den Parteitag
einer der Regierung unbequemen Oppositionspartei zusammenprügeln.
Noch einfacher ist es für die Regierungspartei, auf die bloße
Drohung gewalttätiger Banden hin die Veranstaltung der Oppositionspartei
polizeilich als Risiko für die öffentliche Sicherheit zu
verbieten.
Wo
der Staat aber von einer formierten gesellschaftlichen Gruppe
erobert ist und den anderen Gruppen den inneren Frieden verweigert,
entfällt für diese jeder rechtfertigende Grund, sich einer solchen
parteiischen Staatsräson zu beugen und ihrerseits den inneren
Frieden zu halten. Der Staat kann daher seine ordnungsstiftende
und befriedende Funktion nur ausfüllen, wenn er tatsächlich
neutral und nicht von Parteigängern von innen heraus erobert
ist.
Die
Entwicklung der vergangenen Jahre brachte den Bürgern in Deutschland
daher kein Mehr an Freiheit, als Liberale den Staat zunehmend
demontierten. "In dem Maß, wie das Individuum sich gegen
den Staat ausspielen ließ, ...geriet es unter die Herrschaft
der Verbände, die seinen Spielraum sehr viel enger zogen, und
zerfiel vor dem Druck eines neuen Verbandskollektivismus, dem
es sich fügte, weil der einzelne Mensch in der Gesellschaft nicht
ohne Schutz existieren kann." So näherte sich unsere Verfassungswirklichkeit
wieder ihrem mittelalterlichen Ausgangspunkt an und wurde von
Scheuch treffend als feudales Postenverteilungssystem bezeichnet.
III. Die Gewaltenteilung als Problem der demokratischen
Repräsentation
Ohne
institutionelle Trennung von Exekutive und Legislative funktioniert
auch jener friedliche Interessenausgleich nicht, auf den die
Bonner Theorie so stolz ist. Ihre liberalen Verfechter halten
alle Interessenkonflikte für innergesellschaftlich und sehen
im Grundgesetz ihre Vorstellungen verwirklicht, diese Konflikte
umfassend mit dem Mittel der demokratischen Repräsentation
auszutragen und so zu zähmen.
Dieses
Konfliktregulierungsmodell erreicht sein Ziel aber nur, wenn
wirklich alle relevanten Interessen repräsentiert sind. Das
ist aber nur bei einer Gewaltenteilung im oben dargestellten
Sinne möglich: Jeder einzelne und jede Gruppe hat Sonderinteressen,
die sich ihrer Natur nach gegen das Sonderinteresse anderer
oder auch aller anderen richten. So haben die Autofahrer Interessen,
die denen der Fußgänger widerstreiten. Der innergesellschaftliche
Ausgleich aller solcher Interessen soll im Parlament nach dem
Mehrheitsprinzip stattfinden.
Jeder
einzelne ist aber nicht nur Einzelner und nicht nur Teil einer
Sonderinteressengruppe, sondern auch Teil des Gesamten.
Insoweit richtet sich sein Interesse am Wohlergehen des Ganzen
dagegen, daß irgendwelche Sonderinteressen den Bestand des
Ganzen gefährden. Deshalb hat auch der Autofahrer ein gegen
sein Interesse an viel Straßenbau und billigem Fahren gerichtetes
allgemeines Interesse als Bürger des Ganzen, daß die Begleiterscheinungen
des Autofahrens nicht gemeinschädliche ökologische Ausmaße annehmen.
Dieser Fundamentalkonflikt steckt in jedem einzelnen von uns:
Was mir persönlich unmittelbar nützt, aber auf Kosten aller anderen
geht, setzt mich einem inneren Interessengegensatz aus: Die
eigennützige, aber gemeinschädliche Handlung verlockt, weil
mir ihr Nutzerfolg voll zugute kommt, während mich der Schaden
nur zu einem Bruchteil trifft. Ein politisches System tendiert
aber zur Selbstzerstörung, wenn es ausschließlich den Egoismus
der jeweiligen Mehrheitspartei zum Maßstab staatlicher Entscheidungen
macht und die Regierung des Ganzen dem mächtigsten seiner Teile
überläßt. So sind heute in Deutschland die innergesellschaftlichen
Sonderinteressen wohlorganisiert und in Parlamenten repräsentiert.
Dagegen
fehlt es völlig an der erforderlichen und leicht möglichen
Repräsentation des Interesses Aller am Bestand und der Integrität
des Ganzen. Wenn in jedem Bürger sein Eigeninteresse und sein
Interesse am Bestand des Ganzen widerstreiten, müssen auch
auf staatlicher Ebene diese fundamentalen Interessen gegensätzlich
und gewaltenteilend getrennt repräsentiert sein: In seiner Erscheinungsform
als bürgerliche Gesellschaft mit pluralen Interessen muß das
Volk in seinem Parlament durch abgeordnete Vertreter präsent
sein; als Ganzes aber in einer vom Volk direkt gewählten, parteiunabhängigen
Einzelpersönlichkeit, die als z.B. Präsident den Staat verkörpert
und die Belange des Gemeinwohls vertritt. Die ganze Misere der
jetzigen Verfassung beruht wesentlich darauf, daß eine wirkungsvolle
Vertretung des Ganzen völlig fehlt und alle Gewalten in den
Händen der jeweiligen Mehrheitspartei(en) gebündelt sind.
Der
Gegensatz zwischen Sonderinteresse und Gemeinwohl entspricht
auf systematischer Ebene ganz dem von Gesellschaft und Staat
und auf institutioneller Ebene dem von Legislative und Exekutive.
Das gegenwärtige System der Regierung des Ganzen durch einen
von der Majoritätsfraktion abhängigen Kanzler, der zugleich
Spitzenfunktionär der Mehrheitspartei ist, hebt die Gewaltenteilung
auf und führt unmittelbar zu allen dargestellten Übelständen:
der Einschmelzung des Staatlichen in die Gesellschaft und seine
Unterordnung unter eine Teilgruppe, die Gefährdung der individuellen
Freiheit durch das Ineinanderübergehen staatlicher und parteilicher
Funktionen, das die privaten, parteipolitikfernen Freiräume
zusammenschmelzen ließ, und schließlich zu einem demokratischen
Repräsentationsdefizit.
IV. Thesen und Konsequenzen
Es
ergeben sich daraus und aus gegenüber dem Gesichtspunkt der
Gewaltenteilung noch weiterführenden Überlegungen folgende
zusammengefaßte Thesen und praktische Forderungen für eine
demokratische Verfassungsreform:
Die
freiheitliche demokratische Grundordnung ist in Kernbereichen
ihrer Funktion gestört und muß durch institutionelle Reformen
wieder zur Geltung gebracht werden. Die Altparteien haben das
im Grundgesetz zur Gewaltenteilung vorgesehene, ausbalancierte
System wechselseitiger Machthemmungen und Kompetenzzuweisungen
dadurch überlagert, daß sie alle staatlichen Funktionen zunehmend
mit ihren Parteigängern besetzen. So haben sie ein Postenverteilungskartell
gebildet, in dem kleine Parteioligarchien nach den feudalistischen
Regeln gegenseitiger Treue und Vorteilnahme eine geschlossene
Gesellschaft bilden, die nur noch ihren eigenen Gesetzen gehorcht.
Es
kann keine Gewaltenteilung in einem System geben, in dem der
Bundestag formell die Gesetze beschließt, die Bundesverfassungsrichter
bestimmt und über den jederzeit von seinem Vertrauen abhängigen
Kanzler die Regierung führt, zumal die Abgeordneten in Parteihierarchien
eingebunden und faktisch von Entscheidungen ihrer Parteispitzen
abhängig sind. Die Koalitionsrunde hat sich als eigentliches
Macht- und Entscheidungszentrum herausgebildet, das in der
Verfassung überhaupt nicht vorgesehen ist.
Diese
Usurpierung des Staates und seiner Institutionen durch die Parteien
hat die erforderliche Ausgewogenheit zwischen Allgemeinwohl
und Gruppeninteressen tiefgreifend gestört. Die Gesellschaft
hat in Gestalt von Parteien und Einflußlobbies den Staat erobert
und interessengebundene Umverteilungspolitik zum alleinigen
Maßstab gemacht. Dadurch ist ein strukturelles Repräsentationsdefizit
entstanden: Jeder Bürger hat besondere innergesellschaftliche
Eigeninteressen; er hat aber auch als Teil des Ganzen spezifisch
gegen jedes Partikularinteresse gerichtetes Interessen an
der Integrität des Ganzen.
Während
die innergesellschaftlichen Sonderinteressen im pluralistisch
zusammengesetzten Bundestag vertreten sind, wird das Fundamentalinteresse
aller Bürger in ihrer Gesamtheit nirgends institutionell
vertreten, sondern in der Person des Bundespräsidenten nur
symbolisiert. Dieser muß als Staatsorgan demokratisch legitimiert
werden, das Volk als Ganzes zu vertreten und, von der Legislative
unabhängig, für die Regierung verantwortlich sein.
Eine
Grundgesetzreform erfordert daher mindestens:
1.
Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk. Er darf nur
dem Volk insgesamt und keiner Gruppe oder Partei verantwortlich
sein.
2.
Einsetzung des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten. Der
Kanzler bildet die Regierung und ist nur dem Bundespräsidenten
verantwortlich.
3.
Die Trennung von Staat und Gesellschaft ist eine Vorbedingung
individueller Freiheit. Während die innergesellschaftlichen
Interessen durch die Parteien im Gesetze gebenden Parlament
repräsentiert sind, muß die regierende Staatsgewalt parteifrei
bleiben. Die gleichzeitige Mitgliedschaft in einer Partei und
die Zugehörigkeit zur rechtsprechenden oder zur regierenden Gewalt
ist daher von Verfassungs wegen als inkompatibel verboten.
4.
Die Richter der Bundesgerichte und obersten Landesgerichte werden
gewählt von einer unter Rechtsaufsicht des Bundespräsidenten
stehenden Kommission, die aus Vertretern der Richterschaft,
des Bundesjustizministeriums der juristischen Hochschullehrerschaft
besteht und die nach fachlicher Qualifikation entscheidet.
5.
Jede Staatsfinanzierung politischer Parteien und anderer gesellschaftlicher
Gruppen und jede steuerliche Begünstigung von Parteispenden
sind von Verfassungs wegen zu verbieten.
6.
Inhaber staatlicher Ämter und Mitglieder von Vertretungskörperschaften
dürfen nicht zugleich Aufsichtsräte oder Vorstandsmitglieder
in der privaten Wirtschaft oder staatlicher oder kommunaler
Eigenbetriebe sein. Die Versorgung ausgedienter Mandatsträger
mit solchen Posten unter Verstoß gegen das Leistungsprinzip
des Art.33 GG ist als Untreue nach § 266 StGB strafrechtlich
zu verfolgen.
7.
Wenn 1O% der Abstimmungsberechtigten es verlangen, sind sowohl
über Einzelmaßnahmen der Regierung als auch über Gesetze innerhalb
von sechs Wochen Volksentscheide herbeizuführen. Diese sind
in allen Fragen außerhalb des Steuer- und Abgabenrechts zulässig
und stehen in ihrer Verbindlichkeit über parlamentarisch beschlossenen
Gesetzen. Die Souveränität des Volkes umfaßt das Recht zu Verfassungsänderungen.
8.
Soweit sich der Bund oder die Länder an Rundfunk und Fernsehen
beteiligen oder dieses betreiben, muß eine ausgewogene Berichterstattung
gewährleistet sein. Die Mitarbeiter solcher staatlicher Medien
dürfen nicht Mitglieder einer Partei sein. Annahme von Geschenken
oder geldwerten Vorteilen durch Medienmitarbeiter ist wie
bei Staatsdienern unter Strafe zu stellen. Die Intendanten
der Medienanstalten werden von einem Vertretungsgremium gewählt,
in welches zu 3O% gewählte Mitarbeiter der Medienanstalt entsandt
werden und zu 7O% gewählte Interessenvertreter der Gebührenzahler.
Das Gremium steht unter der Rechtsaufsicht des Bundespräsidenten.
9.
Demokratische Herrschaft setzt einen souveränen Demos voraus,
also ein Volk mündiger Staatsbürger. Jede Entmündigung durch
Abgabe von Souveränitätsrechten an demokratisch nicht legitimierte
Hoheitsträger außerhalb der deutschen Staatsgewalt wäre ein Verstoß
gegen das Demokratieprinzip. Bestrebungen, die darauf gerichtet
sind, die demokratische Selbstherrschaft und Selbstbestimmung
des deutschen Volkes zu beseitigen und ganz oder teilweise durch
eine Fremdherrschaft zu ersetzen, sind als verfassungsfeindlich
zu verbieten.