Während
das benachbarte Ausland Demokratie gelassen praktiziert, zelebrieren wir sie
feiertags, unterwerfen sie aber alltags einem Deutschland eigentümlichen, bürokratischen
Kontrollapparat namens "Verfassungsschutz (VS). Dieser deutsche Sonderweg
hatte in den 1950er Jahren den Zweck, kommunistische Subversanten aus der DDR
oder fossile Altnazis zu erkennen und an einer Machtergreifung zu hindern. Die
Demokratie darf sich nicht selbst abschaffen, so die Lehre von 1933. Um sie
verteidigen zu können, war der Parlamentarische Rat einem Rat Carl Schmitts
gefolgt und hat sie wehrhaft ausgestaltet: "Wenn eine Verfassung die Möglichkeit
von Verfassungsrevisionen vorsieht, so will sie damit nicht etwa eine
legale Methode zur Beseitigung ihrer eigenen Legalität, noch viel weniger das
legitime Mittel zur Zerstörung ihrer Legitimität liefern,"[1]
schrieb Schmitt 1932 gegen die NSdAP, die in den Reichstag schon mit der
offenen Absicht drängte, das Weimarer System abzuschaffen. Mit Hinweis auf
"grundlegende Prinzipien" eines "unveränderlichen Verfassungssystems"
befürwortete Schmitt Auflösung und Verbot von Gruppierungen wie der SA durch
den Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung. Die damaligen Machtverhältnisse
erlaubten keinen wirksamen Verfassungsschutz.
Die
heutigen machen ihn überflüssig: Die freiheitliche Demokratie ist in ihren
Grundprinzipien allgemein anerkannt. Strukturelle Veränderungen erlebt
Deutschland heute taktgleich mit seinen Nachbarländern als unvermeidliche
Anpassungsprozesse an die Rahmenbedingungen einer teils schon postindustriellen
Massengesellschaft in globaler Konkurrenz. Wer ein grundsätzlich anderes
System erfolgreich installieren wollte, müßte mit der Demokratie zugleich diese
Grund- und Rahmenbedingungen verändern, auf denen sie beruht. Sie optimiert
die funktionalen Erfordernisse der Massengesellschaft, kann während ihres
Bestehens keine nachhaltig erfolgreiche Konkurrenz haben und bedarf darum
nicht mehr des behördlichen Schutzes.
Tatsächlich
drohen der Verfassung heute Gefahren ausgerechnet von ihrem parteipolitisch
mißbrauchten Beschützer. Am 15.11.1993 hieß es im SPIEGEL:
"Spinnennetzartig hat sich der Verfassungsschutz ausgebreitet, seit die
alliierten Militärgouverneure die Bundesrepublik 1949 ermächtigten, einen
Inlandsgeheimdienst aufzubauen.... Kaum ein Abgeordneter der Bonner
Altparteien wagt es, den Dienst in Frage zu stellen." Gleich zweifach
wäre diese Presseansicht als extremistisch zu bewerten, wenn man die etwa
gegen die REPUBLIKANER verwandte verfassungsschützerischen Logik anwendet:
Wer "Altparteien" sagt, möchte ihr zufolge ebenso "die
Legitimitität der Wiederbegründung der Demokratie auf deutschem Boden nach
1945 angreifen", wie wer rückblickend auf alliierte Einflüsse verweist.[2]
Weil aber der SPIEGEL nicht als "extremistisch" gilt, mag er das
schreiben, wohingegen solche Formulierungen den REP in VS-Berichten als Beweis
angekreidet werden: Sie können dasselbe nur verfassungsfeindlich meinen,
weil sie Verfassungsfeinde sind; und daß sie es sind, erweisen wieder ihre -
im Lichte des Vorverdachts - nur verfassungsfeindlich verstehbaren Meinungen.
- Daß REP heimliche verfassungsfeindliche Ziele haben, zeigt nach Meinung
des VS schon ihr Programm. In ihm steht zwar nichts Verfassungsfeindliches,[3]
womit aber nur bewiesen sein kann, wie heimtückisch sie ihre "wahren
Absichten" verbergen. -
Derartige
argumentative Winkelzüge unserer Verfassungsschützer bewegen sich entlang
einer Grenzlinie, jenseits deren der wissenschaftliche Ernst endet und die
Groteske beginnt: Man glaubt sie nur, wenn man sie selbst gelesen hat.
Reizworte wie Altparteien, Umerziehung oder Vaterland lösen beim VS Pawlow'sche
Reflexe aus: Wer solche Unwörter benutzt, macht sich verdächtig. - Jede wissenschaftliche
Analyse erfordert eine empirische Tatsachenbasis, die ernsthaft analysiert
werden kann - oder aber glossiert werden muß. Beides, Analyse des VS oder
Glosse, müssen unglaubhaft jedem bleiben, der noch nie schwarz auf weiß las,
was der VS für verfassungsfeindlich hält. In einem Augenblick spontaner
Offenherzigkeit gab Prof. Michael Sachs - 1998 NRW-Vertreter in der
Verhandlung vor dem BVerwG - zu: "VS-Berichte haben auf Personen, die
auf so etwas ansprechbar sind, noch eine gewisse Wirkung." Dezenter kann
man seine Distanz vor den Erzeugnissen des eigenen Auftraggebers kaum ausdrücken.
Das VS-Sammelsurium an Scheinargumenten ist hier in Kürze nur anhand
typischer Beispiele darstellbar.[4]
Der
Mißbrauch des VS behindert die Willensbildung des Volkes von unten nach oben
massiv und widerspricht damit dem Demokratieprinzip. Der politische Willensbildungsprozeß
müßte sich vom Volk hin zu den Staatsorganen vollziehen und nicht umgekehrt.[5]
Den Staatsorganen ist jede Einflußnahme auf den Volkswillen verwehrt.
Demokratie wird als offener, dynamischer und pluralistischer Prozeß
betrachtet. Er verträgt sich nicht mit der bürokratischen Ambition, ihn
staatlich zu lenken. Amtliche Autorität wird mißbraucht, wenn etwa
"Sektenbeauftragte" oder Verfassungsschützer scheinbar objektiv
"warnen". "Sekten seien, heißt es, fundamentalistisch, doch macht der Vorgang eine neue Tendenz zu
staatlicher Weltanschauungskontrolle deutlich. - Der Eifer unserer
Gesinnungs-, Weltanschauungs- und und Sektenbeauftragten, unserer Groß-
und Kleininquisitoren und Wächter über 'political correctness' ist zu
einer ernsten Bedrohung unserer Freiheit geworden."[6]
Unmittelbar
politisch wird der VS eingesetzt, wenn er gegen Parteien eingesetzt wird. Wenn
etwa in Mainzer Amtsstuben ein Heftlein des VS über "Rechtsextremistische
Parteien" ausliegt[7]
und doppelseitig über die REP berichtet, erweckt es den Anschein amtlicher
Objektivität und Neutralität. In einem allgemeinen Vorwort setzt es
Extremisten mit Verfassungsfeinden gleich und und zählt angebliche Merkmale
von Rechtsextremisten auf. Daß die REP solche Merkmale aufweisen, wird nicht
ausdrücklich behauptet, und trotzdem werden sie dazugezählt. Ähnlich ergiebig
wäre ein spiegelbildliches Heftchen über "Linksextremisten" mit einer
allgemeinen Schilderung des Marxismus und Unterkapiteln über die KPD, die
SED, Maoisten und: die SPD. Indem letztere aber in Mainz regiert, während die
REP Opposition betreiben, ist der VS einem SPD- und nicht einem REP-Minister
nachgeordnet - und der mißbraucht den VS für seine Parteizwecke in amtlichem
Gewand, indem er die REP willkürlich in dieselbe Schublade steckt wie
Neonazis.
Der
Mißbrauch beginnt bereits mit der ostentativen Verkündung der
"nachrichtendienstliche Beobachtung": Auf die öffentliche
Einschätzung einer Partei wirkt sie wie ein Zeitungsbericht über die
Hausdurchsuchung bei einem Nachbarn auf Kinderpornos: Die später erwiesene
Unschuld rettet den Ruf nicht mehr. Diese Wirkung ist beabsichtigt. Nicht auf
ausgespähte Geheimnisse kommt es an, denn deren wurde seit Beobachtungsbeginn
nicht eines zutagegefördert. Geheime Ziele kann eine Partei unter den
Spielregeln der Massenmedien-Demokratie ohnehin nicht erfolgreich verfolgen:
Ohne öffentliche Selbstdarstellung kann keine Partei zur Mehrheit werden. Dabei
wird sie für das gehalten und gewählt, das sie darstellt, und nicht für das,
was sie ist. Mitglieder und Wähler strömen dem in den Medien dominanten Bild
einer Partei zu (oder nicht), während papierene Programme oder Hinterzimmerabsichten
nichts bewegen. Darum ist die Beobachtung angeblicher geheimer Hintergedanken
der Führungszirkel einer Partei sinnlos: Selbst wenn ihre Oberen Hintergedanken
hätten: Indem diese heimlich bleiben, sind sie wirkungslos. Relevant ist nur,
was öffentlich ist.
Darum
ist eine Opposition seitens der Regierungspartei am einfachsten zu bekämpfen,
indem ihr das Stigma des Extremismus aufgedrückt wird. Nachdem die Etablierten
und ihre Freunde in den Medien das Zerrbild neonazistischer REP vermittelten[8],
blieben Anhänger aus, die dem demokratischen Selbstbild der Partei entsprachen,
und mußte sie sich gegen Trittbrettfahrer abgrenzen, die ihrem Zerrbild
zuströmten. Den Kampf um Selbstbestimmung ihrer Identität konnten die REP bislang
nicht gewinnen. Aus dem demokratischen Mitglieder- und Wählerpotential
schöpfen sie nur tröpfchenweise, weil sie ihrer eigenen Klientel als extrem
gelten. Das Bestimmungsrecht des eigenen politischen Standort und des mit
ihm verbundenen sozialen Geltungsanspruch steht auch einer Partei zu,[9]
wird aber etwa den REP "amtlich" genommen.
Den qualifizierten Funktionärsstamm und die Selbstbestimmung ihres
politischen Standorts können Konkurrenzparteien einer Partei entwinden, wenn
sie über den VS verfügen und ihn mißbrauchen. Beamte stellen in Parteien, etwa
die Lehrer in der SPD, das personelle Rückgrat. In den vergangenen zehn Jahren
verließen hunderte Beamte die Republikaner wieder, nachdem sie von ihrem
Dienstherrn Briefe mit der offenen Drohung eines Disziplinarverfahrens für den
Fall erhalten hatten, daß sie nicht austreten: Der Dienstherr "stufe die
Republikaner als rechtsextremistisch ein". Weil Beamte jederzeit aktiv
für die freiheitliche demokratische Grundordnung (FdGO) eintreten müssen,
setze sich dem Verdacht eines Dienstvergehens aus, wer ihre Ziele fördere. Es
ist aber kein Fall bekannt, in dem allein die Parteizugehörigkeit bei den Republikanern
zu einer Entfernung aus dem Dienst geführt hätte. Wo Beamte in seltenen Fällen
so viel Mut bewiesen, die Partei nicht zu verlassen, scheiterte ihre
dienstrechtliche Verfolgung vor den Verwaltungsgerichten.[10]
Andererseits
erleiden etwa Offiziere durchaus Nachteile, wenn ihnen etwa wegen ihrer
REP-Mitgliedschaft die Sicherheitsstufe aberkannt wird,[11]
ihnen ein Charaktermangel vorgeworfen[12]
oder sie als dienstlich ungeeignet angesehen und nicht befördert werden.[13]
So ist die Strategie der SPD- und CDU-Innenminister aufgegangen: Der Mitgliederstamm
an Beamten brach den Republikanern weg mit der Folge eines personellen
Qualitätsverlustes. Aber nicht nur Beamte werden durch die Qualifizierung
als "extremistisch" im VS-Bericht
"belastet, läßt sich doch im demokratischen Verfassungsstaat -
abgesehen von schweren Straftaten - kaum ein Vorwurf denken, der schwerer wöge
als derjenige , daß jemand darauf ausgehe, die Fundamente der freiheitlichen
Verfassung zu beseitigen."[14]
Je stärker Vaterlandsliebe abgelehnt und Verfassungspatriotismus gefordert
wird, desto mehr verschiebt sich das Ansehen des angeblichen Abweichlers vom
noch harmlosen "Radikalen" der späten 60er über den
"Extremisten" bzw. Verfassungsfeind zum Staatsfeind oder ideologischen
Hochverräter.
Seinem
gesetzlichen Auftrag zufolge sichert der VS die wehrhafte Demokratie als
"Auge der Politik" ab: Ausgewogen beobachtet er ringsum, spürt die
Verfassungsfeinde in ihren verborgenen Winkeln auf, durchschaut ihre
hintergründigen, geheimen Pläne und meldet sie den demokratisch gewählten
Politikern. Diese entscheiden, ob sie sich noch partei-politisch damit auseinandersetzen,
oder ob die Gefahr für die Demokratie nur durch staatliches Verbot abgewendet
werden kann. Dieses spricht bei Parteien das BVerfG, bei sonstigen Gruppierungen
der Innenminister aus. So wurden Anfang der 50er Jahre KPD[15]
und SRP[16]
als Parteien und in den letzten Jahren eine Reihe neo-nationalsozialistischer
Gruppen als sonstige Vereinigungen verboten.[17]
Tatsächliche Feinde der Demokratie pflegen ihr Verbot gelassen zu nehmen. Auf
wechselseitiger Feindschaft beruht schließlich ihre Ideologie, und ein Verbot
bestätigt scheinbar eindrucksvoll diese Feindschaft: Man fühlt sich wenigstens
ernst genommen. Ebenso sehen es von ihrer Warte die Demokraten: Auch ihr
Konzept beruht auf der schon von Verfassungs wegen anerkannten Antagonie von
Freund und Feind: hier die wehrhafte Demokratie - dort ihre Feinde. Niemand
stellt in Frage, daß auf der einen Seite der geistigen Barrikade die Demokraten
kämpfen und auf der anderen ihre verschiedenen Feinde. Dieses wohlgeordnete
Schema stören nur, die keinen unangefochtenen Platz auf der gewünschten Seite
fanden. Von der Ideologiekontrolle der einen wie der anderen Seite verworfen,
schwanken sie zwischen enttäuschter Zuneigung zur einen und der extremen
Übersteigerung ihrer Werte auf der anderen Seite hin und her. In dieser Lage
befanden sich die Grünen, bevor sie zur etablierten Parlamentspartei wurden,
und in ihr befinden sich seit zehn Jahren die Republikaner.
Ihrem
Selbstverständnis nach wollen sie nicht das System verändern, sondern
innerhalb des Verfassungsbogens den von der CDU geräumten rechten Flügel
besetzen. Doch damit verstießen sie gegen die oberste Räson der Union zu ihrer
Machterhaltung: Es darf rechts von ihr keine demokratische Partei geben! Die
REP mußten daher zu Extremisten gestempelt werden. In einer Studie aus dem Konrad-Adenauer-Haus
von April 1989 taucht bereits der Satz auf: "Daher scheinen mir die nachstehenden
Methoden der Stigmatisierung der REP erfolgreicher zu sein."[18]
Um das Stigma quasi amtlich zu machen, wiesen die Landesinnenminister ihre
VS-Ämter im Dezember 1992 an, die Partei künftig mit nachrichtendienstlichen
Mitteln auf Verfassungsfeindliches zu beobachten.
Dagegen
half den REP keine öffentliche demokratische Kontroverse, weil die Mikrophone
der ARD für sie ausgeschaltet blieben. Man sprach über sie, aber nicht mit
ihnen. So blieb der Weg zu den Verwaltungsgerichten als Notbehelf, doch gibt es
keine "positive Feststellungsklage", mit der eine Partei auf Anerkennung
ihrer Verfassungstreue klagen könnte. Die politische Auseinandersetzung wird
seither auf Nebenschauplätzen mit justizförmigen Mitteln der Verfassungsinterpretation
ausgetragen. - Im Kampf um die richtige Interpretation rechtspolitischer
Begriffe siegt aber, wer die Entscheidungskompetenz über verschiedene Auslegungsmöglichkeiten
besitzt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die letzte Interpretation so
allgemeiner Begriffe wie Gerechtigkeit oder Freiheit Glaubenssache und die
Entscheidungsmacht über sie zur Frage des Parteienproporzes im BVerfG
geworden ist. Vor einfachen Verwaltungsgerichten sind die Prozeßergebnisse
hingegen so vorhersehbar wie Lottozahlen.
So
sind die Waffen ungleich verteilt, wenn eine große Bundestagspartei um ihre
Macht fürchtet: Sie regiert Länder oder gar den Bund und verfügt damit über
die Schaltstellen des Staatsapparates: Innenministerien, VS und - darauf
kommt es auf dem Felde der Rechtsauseinandersetzung an: die Richterstellen.
"Es wird von keinem Sachkenner bezweifelt, daß in Deutschland weit mehr
als in anderen westlichen Demokratien Beamtenschaft, aber auch Gerichte, mit
Personen, die aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit ernannt oder befördert
wurden, durchsetzt sind." Daß in zunehmendem Umfang in wichtige Stellen
nur Parteiangehörige berufen werden, gilt nach verbreiteter Auffassung auch
bei hervorgehobenen Richterpositionen.[19]
Und wem die "Deutung der Orakel der Gerechtigkeit anvertraut
ist", durchschaute schon Pufendorf 1667, wird erfahrungsgemäß
"diese Göttin bewegen können, nichts zu antworten, was wider den eigenen
Vorteil ist."[20]
Der "eigene" Vorteil: Das ist nicht immer ein direkter persönlicher
Vorteil eines Richters. Teilt aber generationsbedingt ein wesentlicher Teil
der Richterschaft die ideologische Grundposition seiner Regierungspartei, urteilen
also etwa Alt-68er Richter darüber, ob ein SPD-Verfassungsschutz ideologisch
korrekt handelt oder eine kleine, rechte Partei, sind die Weichen gestellt.
Hinzu kommt ein guter Instinkt der meisten Richter für karrierefördernde
Urteile. Ein Mainzer Verwaltungsrichter erklärte mir telefonisch unumwunden,
ich könne mir doch vorstellen, was ein Urteil gegen den VS für politische und
öffentliche Folgen hätte, und glaubte wohl nicht ernsthaft daran. "Seien
Sie nicht unpolitisch," erteilte "aus eigener Erfahrung"
ein Richter am BGH "einen freundlich-wohlwollenden Ratschlag", sondern
passen Sie sich dem Zeitgeist, das heißt dem Geist der Herren unserer Zeit,
an;
...
Nehmen Sie sich ein Beispiel
an
...erg.: Roman Herzog
.
Er hat nicht nur ein feines
Empfinden, woher der politische Wind weht, sondern weiß auch, wer ihn macht.
Der Gleichheitssatz gebietet keine Gleichbehandlung aller gesellschaftlichen
Gruppen. Eine geläuterte Rechtsauffassung erkennt klare Unterschiede, aus
denen sachliche Differenzierungsgründe für eine Ungleichbehandlung
herzuleiten sind. Ist es etwa kein relevanter Differenzierungsgrund, wenn
man das Wählerpotential im Auge hat?
...
Im übrigen: Sie rücken in die
Nähe eines Verfassungsfeindes, wenn Sie Zweifel an den Differenzierungen
unserer obersten Rechtsverwalter vom Schloßplatz bei der Anwendung des
Gleichheitssatzes äußern. Alle Bürger sind gleich, aber einige sind gleicher
als die anderen. Wissen Sie nicht, daß Not kein Gebot kennt und wo gehobelt
wird, Späne fallen?"
[21]
So
öffnet die verwaltungsrichterliche Rechtsprechung der politischen
Opportunität Tür und Tor. Obwohl sie parteipolitischen Mißbrauch des VS
verhindern sollte, bewegt sie sich zuweilen hart am Rande der Rechtsbeugung.
Paradigmatisch für das Zusammenspiel von VS-Behörden und Gerichten sind die
zahlreichen Prozesse der Republikaner gegen ihre Beobachtung seit 1989.[22]
Die VS-Gesetze der Länder erlauben den Einsatz von V-Leuten und Anwendung
anderer nachrichtendienstlicher Mittel, wenn Anhaltspunkte den Verdacht
einer Bestrebung begründen, der sich gegen die FdGO richtet. Während über die
Verfassungsmäßigkeit einer Partei gem. Art. 21 II GG nur das BVerfG entscheiden
kann, standen Verwaltungsrichter vor der heiklen Aufgabe zu entscheiden, ob
einzelne Anhaltspunkte einen "Verdacht" solcher Bestrebungen
begründeten. Richter, deren Aufgaben gewöhnlich in der Überprüfung von Asylanträgen
oder Baugenehmigungen liegt, sollten etwa entscheiden: Begründet der Rat in
einem Parteirundschreiben, man solle einmal Bücher des Prof. Carl Schmitt
lesen, den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen?[23]
Dieser
Vorwurf des VS gegen die Republikaner wurde stillschweigend fallengelassen
nach dem Hinweis, daß Schmitt als geistiger Urheber der
"Ewigkeitsklausel" in Art.79 III GG gilt. Seither hat sich in den
VS-Berichten und in der Begründung der Beobachtungspraxis ein fester Kanon an
Vorwürfen gebildet: Republikaner verunglimpfen Institutionen des
demokratischen Rechtsstaats und diffamieren demokratisch gewählte Politiker,
indem sie die hinter ihnen stehenden Parteien "Altparteien" nennen.
- Republikaner trachten die Demokratie zu delegitimieren, indem sie
angeblich einen Zusammenhang zwischen der Umerziehung durch die Alliierten
nach 1945 und der Legitimität der Demokratie herstellen. - Republikaner zweifeln
Grundnormen der Verfassung an, denn sie "leugnen die deutsche Geschichte",
indem sich gegen "monokausale Deutungen der Kriegsschuld" und
"Geschichtsfälschungen" wenden. - Sie sind
nationalistisch-kollektivistisch, was man daran erkennt, daß sie das Volk als
"Schicksals- und Sprachgemeinschaft" bezeichnen. - Vor allem aber
beanstanden Verfassungsschützer und Gerichte gelegentlich drastische kritische
bis zu geschmacklosen Äußerungen über Ausländer wie etwa, es müsse sich
"bis in den letzten Negerkral herumsprechen, daß wir die hier nicht
haben wollen."
Die
Vorwürfe der "Geschichtsleugnung" oder etwa der es Kollektivismus
gegen jemanden, bloß weil er "Vaterland" sagt, wurden in zunehmendem
Maße von Verwaltungsgerichten als nicht stichhaltig verworfen. Auch als
Verfassungsfeind den anzusehen, der "Altparteien" sagt, erschien
1998 den Verwaltungsgerichten Mainz[24]
und Berlin[25] zu simpel.
Sie erklärten die nachrichtendienstliche Beobachtung für rechtswidrig. Als
"ausländerfeindlich" angesehene Äußerungen hingegen
kristallisierten sich als Hauptargument gegen die Partei heraus. Wenn Republikaner
Einwände gegen Minarette neben Kirchen und in Wohngebieten erheben oder wenn
sie "schnelle Abschiebung von Scheinasylanten" fordern, dann knüpfen
Verfassungsschützer daran inquisitorische Konstruktionen: Wer solches verlange,
lautet die auch von manchen Gerichten gebilligte Folgerung, wende sich
"gegen das friedliche Zusammenleben" mit Ausländern und damit gegen
deren Menschenwürde. Weil aber das Gebot der Menschenwürde oberster
Verfassungsgrundsatz sei, liege die Verfassungsfeindlichkeit der Partei klar
vor Augen.
Im
vor dem OVG Koblenz laufenden Prozeß des Landes Rheinland-Pfalz gegen die in
erster Instanz siegreichen Republikaner gegen die Beobachtung verstieg das
Land sich sogar zu einem seinerseits verfassungsfeindlichen Gipfel: Es stehe
zwar nur im Grundgesetz, daß die Achtung der Menschenwürde eine Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt sei. Es komme aber heute darauf an, "normative
Begriffe wie freiheitliche demokratische Grundordnung und Menschenwürde nicht statisch zu interpretieren."
Anders als vor dreißig Jahren müsse man in diese Begriffe heute hineinlesen,
"was dem friedlichen Zusammenleben von 7 Mio. Ausländern mit uns diene
und was dafür erforderlich sei."
Das
Land behauptet, Art.20 GG garantiere "die Republik als eine
Verfassungsordnung der friedlichen Koestistenz von Rassen und Kulturen."[26]
Tatsächlich lautet die Vorschrift: "Die
Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen
und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
Rechtsprechung ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige
Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Recht und Gesetz
gebunden." - So wird die Verfassung wie eine Wundertüte benutzt,
aus der man jeden beliebigen ideologischen Inhalt herauslesen kann. Darin
liegt ein Abschied von der unverbrüchlichen Herrschaft des Gesetzes und
ein Bruch des Rechtsstaatsprinzip aus dem soeben zitierten Art.20. Wer das
Gesetz durch einen Vorbehalt wechselnder ideologischer Auslegungen relativiert,
verändert die Natur des politischen Konflikts: Er wird nicht mehr mit
rechtlichen, sondern mit ideologischen Waffen ausgetragen. Er geht den Weg
vom Rechtsstaat zum Weltanschauungsstaat. Überdies verbietet sich diese ausdehnende
Neuinterpretation durch Art.79 I 1 GG, weil das GG nur durch ausdrückliche
Wortlautänderung geändert werden darf, auch wenn sich Verhältnisse geändert
haben sollten.
Eine
nachhaltige Gefahr für die FdGO geht von einem Verfassungsverständnis aus, das
die öffentliche Meinung zu bestimmten Sachthemen obrigkeitlich lenkt: durch
auf Steuerzahlerkosten gedruckte Wahlzeitungen mit Annoncen "Mein Freund
ist Ausländer" etwa, durch scheinbar behördlich-objektive VS-Berichte und
eine Beobachtungspraxis, die eine konservative Partei durch den Ruch der Illegalität
stigmatisiert. Die Öffentlichkeitsarbeit darf aber nicht durch Einsatz
öffentlicher Mittel den Mehrheitsparteien zu Hilfe kommen und die Oppositionsparteien
bekämpfen. Das ist mit den Grundsätzen eines freien und offenen Prozesses
der Meinungs- und Willensbildung des Volkes und der Gleichberechtigung
der politischen Parteien nicht vereinbar.[27]
Es gilt das Gebot des grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und
Willensbildungsprozesses vom Volk zu den Staatsorganen[28]
und nicht umgekehrt. Der VS-Bericht ist hingegen eine ideologische Kampfansage
an die betreffende Partei, ein Ausgrenzen aus dem Kreis derer, die sich legitimerweise
am demokratischen Willensbildungsprozeß beteiligen dürfen, und zuletzt eine
massive Form der politischen Willensbildung von oben nach unten. So gesehen
ist der VS in Händen der regierenden Parteien ein zum Bock gemachter Gärtner.
Mehr
noch: Indem ein Land einen Verfassungsgrundsatz des friedlichen Zusammenlebens
eines Plurals von Rassen und Kulturen erfindet, trachtet es den Souverän unserer
Demokratie, das deutsche Volk nämlich, durch eine multikulturelle Bevölkerung
zu ersetzen. Dieses Ziel verfolgen manche Rot-Grünen auch mit ihren Plänen zur
Masseneinbürgerung. Christiane Hubo hat das als eine Transformation des
Staates durch den VS oder auch als kalten Verfassungsputsch bezeichnet.[29]
Auch der Bonner Verfassungsrechtler Isensee bezeichnete es als Staatsstreich
des Parlaments:[30] "Die Problematik besteht darin, daß geplant
wird, durch einfachen Gesetzesbeschluß des Parlaments das deutsche Volk umzudefinieren
und auf einen Schlag drei Millionen Personen als Deutsche zu bestimmen, obwohl
diese sich nicht zur Gemeinschaft des deutschen Volkes, sondern zu der eines
anderen, im wesentlichen des türkischen bekennen. Eine solche obrigkeitliche
Umdefinition durch das Parlament liegt außerhalb seiner verfassungsrechtlichen
Befugnisse."
Umdefinitionen
jeder Art übersteigen nicht nur die Kompetenz des VS. Verfassungsschutzberichte
sollten sich auf Tatsachen beschränken und nicht fragwürdige politologische
Interpretationen als amtlich erhärtete Fakten ausgeben.