Die
Lage des Weserberglandes im Grenzbereich der Bundesländer Hessen,
Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen ist Ergebnis der mittelalterlichen
und neuzeitlichen Geschichte. Sie stellt bisher eher ein Hindernis
bei der Erforschung und Nutzung der Potentiale dieser schönen
und hochinteressanten Kulturlandschaft im Herzen Deutschlands und
Europas dar.
Im Mittelalter
gehörte die Region zeitweise zu den Kernlandschaften des fränkisch-deutschen
Reiches. Im 13. Jh. geriet sie in eine hart umkämpfte Randlage.
Die Bedeutung Corveys für die Integration Norddeutschlands
in das fränkische Reich und die abendländische Kultur
ist kaum zu überschätzen. Helmarshausen entwickelte sich
zu einem Zentrum des romanischen Kunsthandwerks. Vom 12.-19. Jh.
gehörte das Werra-Weserbergland zu den wichtigsten Herstellungsgebieten
von Glas in Europa. Infolge der relativ schwachen Industrialisierung
haben sich vielfältige Kulturlandschaftselemente in großer
Fülle erhalten, die bislang wenig genutzt und bekannt sind.
Im Gegensatz zu den Baudenkmälern sind die Geländedenkmäler
bisher eher vernachlässigt worden. Ihre vielfältigen Möglichkeiten
in der Veranschaulichung von Geschichte sollen im Rahmen dieser
langfristigen Initiative als nachhaltige Resourcen gehoben und gepflegt
werden. Als optimale Voraussetzung dafür sehen wir die bereits
erfolgte, aber zu intensivierende Lokalisierung, Kartierung und
erste Auswertung zahlreicher typischer Kulturlandschaftsrelikte
durch engagierte Laien und Fachinstitutionen an. Insbesondere von
der Universität Göttingen aus wurde und wird seit Jahrzehnten
Grundlagenforschung betrieben. Grundsätzlich muß die
gründliche Erforschung Basis für alle weiteren Schritte
sein. Neben der weiteren flächenhaften Erschließung müssen
Fallbeispiele intensiv fächerübergreifend bearbeitet und
schließlich der breiten Öffentlichkeit didaktisch aufbereitet
und konservatorisch gesichert zugänglich gemacht werden.
Aufgabe des Bundes soll es sein, engagierte Fachwissenschaftler
verschiedenster Disziplinen mit Bewohnern der Region, mit Verwaltungen,
Wirtschaft, Presse und Politikern in dem gemeinsamen Bestreben zusammenzuführen,
die Nutzung der kulturellen und natürlichen Schätze der
Region aktiv voranzutreiben. Kulturlandschaftsrelikte sind besonders
geeignet, Geschichte zu veranschaulichen, die Auseinandersetzung
des Menschen mit der Natur und die Entstehung der heutigen Landschaft
zu verstehen. Die Archäologie nimmt eine Schlüsselrolle
in der Verzahnung derartiger Ansätze ein. Bisherige Schwerpunkte
stellen z. B. die Erforschung der Siedlungs- und Alltagsgeschichte
im Umfeld von Höxter und Corvey, in Stadtwüstung und Schloß
Nienover bei Bodenfelde und in den Glashütten der Region dar.
Der
Kampf um die Landesherrschaft und die wirtschaftlichen Resourcen
der Region seit dem 12. Jh. hat besonders eindrucksvolle Spuren
in der Landschaft hinterlassen. Genannt sei an dieser Stelle die
in Mitteleuropa einzigartige Häufung verödeter mittelalterlicher
Städte, besonders Blankenrode, Corvey, Everstein, Neustadt
Helmarshausen, Landsberg bei Wolfhagen, Nienover und Stoppelberg.
Auch die vielen hundert ehemaligen Glashüttenplätze und
die weit über 1000 verödeten mittelalterlichen Dörfer
sind hier hervorzuheben. Hinzu kommen bedeutende verlassene Burgen
wie der Schöneberg bei Hofgeismar, die Brunsburg bei Höxter,
Homburg und Everstein (Lkr. Holzminden) und viele zugehörige
Kulturlandschaftselemente wie fossile Wege und Äcker, Steinbrüche,
Meiler und anderes mehr.
Aufgegebene mittelalterliche Städte sind in Europa selten und
fast durchweg neuzeitlich überbaut. Durch intensiven jahrhundertelangen
Ackerbau bedingte Bodenerosion hat zahlreiche archäologische
Fundstellen nachhaltig geschädigt. Für die Stadtwüstung
Nienover ist es in der Kooperation mit Bodenwissenschaftlern in
einem ungeahnten und zugleich erschütternden Zustand deutlich
geworden, in welch starken Maße die archäologische Quellensubstanz
flächenhaft zerstört ist. Dies gilt für zahllose
andere Oberflächenfundstellen auch und manifestiert, wie falsch
es ist, anzunehmen, derartige Fundstellen seien für die Zukunft
im Boden am besten geschützt. Es ist im Gegenteil festzuhalten,
daß die Zerstörungen durch Ackerbau weit umfassender
und gefährlicher sind als punktuelle Bodeneingriffe. Durch
moderne intensivierte forstliche Bewirtschaftungsmethoden mit Großmaschinen
sind auch die Bodendenkmale im Wald zunehmend gefährdet. Saure
Böden, saurer Regen, wechselfeuchtes Klima und intensive Düngung
führen zudem zu einer weitgehenden Zerstörung der organischen,
der Metall- und Glasfunde. Ohne Unterschutzstellung mit konsequenter
Nutzungsänderung oder ohne Ausgrabungen wird diese Substanz
immer stärker zerstört.
Fallbeispiele
Klosterbezirk und Stadtwüstung Corvey stellen in mancher Hinsicht
ein einzigartiges archäologisches Denkmal von europäischem
Rang dar. Dies wird dem Besucher bisher nicht einmal ansatzweise
vermittelt. Größere gezielte Ausgrabungen und Erkundungen
sind ein dringendes Desiderat.
Kleinere planmäßig angelegte Städte wie Nienover
wurden von der Archäologie bisher wenig beachtet, obwohl sie
die Masse der Städte in Europa stellen. Schriftliche Quellen
fehlen oder sind zumeist wenig ergiebig. Somit muß die Archäologie
die Überlieferungslücke füllen. Stadtwüstungen
bilden einen vorzüglichen Forschungsgegenstand, da sie frühe
Stadien der Stadtentwicklung konserviert haben, die in der Regel
nur vielfach überprägt und partiell zerstört erhalten
sind und unter großem Aufwand und Zeitdruck in heutigen Stadtkernen
untersucht werden können.
Dies gilt insbesondere dann, wenn die Orte nur über eine oder
wenige Generationen hinweg besiedelt waren und planmäßig
angelegte städtische Strukturen aus der Frühzeit des voll
entwickelten abendländischen Städtewesens in statu nascendi
erhalten sind wie in Nienover. Der Forschungsstand in fast ganz
Europa steht in krassem Gegensatz zur Bedeutung der Stadtwüstungen
für die Klärung von Fragen zur frühen Stadtentwicklung.
Wir gewinnen durch die seit 2000 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
und der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Grabungen
seit 1996 vielfältige Erkenntnisse zum Siedlungsablauf im Gebiet
der Stadtwüstung Nienover sowie zu Intensität und Art
der Bebauung und Parzellierung. Ausgehend von unseren bisherigen
Forschungen sollen 2005-2007 Grundstrukturen des Straßenplanes
und der Ablauf der Verödung der Stadt nach den beiden großen
Zerstörungen um 1210/20 und 1270 geklärt werden. Nachweisbar
sind ein Ost-West ausgerichtetes Dreistraßenschema und Quergassen.
Die Bebauung in der ca. 500 mal 300 m großen Fläche ist
mindestens an der Hauptstraße sowie wahrscheinlich an der
südlichen Nebenstraße vor allem in der Frühphase
um 1200 dicht. Im Ergebnis sollen in dieser Art und Weise ziemlich
einzigartige Einblicke in die Planung und Strukturierung sowie das
Leben in einer typischen kleineren dynastischen Stadtgründung
des Mittelalters im Herzen Europas und in die Entwicklung der Kulturlandschaft
vom Ende der letzten Eiszeit bis zur Neuzeit gewonnen werden.
In Hinblick auf die Gesamtfläche sind die Untersuchungen in
Nienover, die bis 2006 schätzungsweise 20 % der ehemals vorhandenen
Hausgrundstücke zumindest in den wichtigsten noch im Boden
erhaltenen Grundstrukturen erfaßt haben werden in Deutschland
und Mitteleuropa einzigartig. Anhand von naturwissenschaftlichen
Prospektionen konnte etwa zwei Drittel der Stadtfläche erkundet
werden. Mit den für 2005-2006 vorgesehenen Untersuchungen wollen
wir einen sinnvollen Abschluß der Erforschung der Topographie,
der inneren Entwicklung der Stadt und der materiellen Kultur ihrer
Bewohner erreichen. Neben den Arbeiten im Stadtzentrum sollen in
den letzten Kampagnen bisher kaum erforschte Bereiche in weniger
zentraler Lage, vor allem im Süden mit offenbar der besten
Befunderhaltung, erschlossen werden. Nur so ist ein einigermaßen
ausgewogenes Bild der Gesamtentwicklung zu erarbeiten. Letztendlich
erhoffen wir uns von der Fortführung der Untersuchungen in
Nienover vielschichtige, teilweise völlig neuartige Einblicke
in die Struktur und die Genese wie auch in die Sachkultur einer
kleinen mittelalterlichen Stadt im deutschen Altsiedelland. Wir
erwarten von daher Stimulierungen für die archäologische,
historische und naturwissenschaftliche Stadt- und Umweltforschung
auf bisher vernachlässigten Teilgebieten.
Ein Desiderat bilden noch Forschungen zum Schloß Nienover.
Ein Anfang wurde gemacht mit der Erfassung der vorhandenen sichtbaren
Reste und Fundnachrichten, der Höhenschichtenvermessung und
nicht zuletzt mit den Grabungen im Brunnen. Die Untersuchungen im
Burgbrunnen mit zahlreichen freiwilligen studentischen und anderweitigen
Helfern (bes. AG Karstforschung Harz e. V.) erbringen vielfältige
Einblicke in die materielle Kultur der Bewohner des Amtshauses Nienover
und die Erzeugnisse der regionalen Töpfereien und Glashütten
in der Zeit um 1800 kurz vor der Industrialisierung.
Im Rahmen der Förderung im LEADER + Projekt der EU „Erlebnis
Kulturgeschichte“ in der Region Weserbergland - Solling (Flecken
Bodenfelde, Stadt Uslar) wurden Forschungsergebnisse für die
breitere Öffentlichkeit aufbereitet und sollen wichtige archäologische
Kulturdenkmale zukünftig auch touristisch präsentiert
werden. Den Schwerpunkt könnte Schloß und Stadtwüstung
Nienover gemeinsam mit dem biologisch-forstlichen Hutewald - Projekt
der Fachhochschule Lippe bilden.
Das ländliche Umland und die dramatischen Veränderungen
der Kulturlandschaft im 12.-16. Jh. sollen in weiteren von uns durchgeführten
Projekten am Beispiel der nahegelegenen Dorfwüstungen Winnefeld
und Schmeessen erforscht und später der Öffentlichkeit
vermittelt werden. Besonders eindrucksvoll sind die Fundamente der
ungewöhnlich großen romanischen Kirche in W., zu der
die mutmaßliche kleine Kapelle in S. einen ummittelbaren Kontrast
bilden kann, falls die Untersuchungen 2005 realisiert werden können.
In einen wichtigen Bereich der regionalen Wirtschaft und der europäischen
Landschafts-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte der frühen
Neuzeit führen die Untersuchungen an der Glashütte am
Lakenteich (1655-1681) zwischen Uslar und Dassel. Wünschenswert
ist die Erforschung weiterer Glashütten im Solling, oder angrenzenden
Gebieten insbesondere aus der Renaissance und dem Mittelalter, um
diese Lücken aufzufüllen.
Alle erforschten Plätze sollen, falls eine Finanzierung möglich
ist, dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Angestrebt wird eine konservatorisch und optisch optimale Präsentation
der im Gelände sichtbaren Relikte. Wünschenswert ist z.
B. eine partielle Aufmauerung der Fundamente von Häusern (Kellern)
und Kirchen mit didaktisch aufbereiteter Beschilderung. Darüber
hinaus könnten einzelne Häuser und ein Abschnitt der Stadtbefestigung
von Nienover (Wall mit Palisade, Graben, ev. Tor) rekonstruiert
werden. Eine museale Präsentation der wichtigsten Funde und
Forschungsergebnisse vor Ort ist ebenso denkbar, wie ein archäologischer
Freiluftpark mit mehreren Teilstandorten. Konstruktive Gespräche
darüber wurden mit den Kommunen Bodenfelde und Uslar sowie
dem Landkreis Northeim und der Kreishandwerkerschaft Northeim geführt,
die Interesse an einer Realisierung dieser Vorhaben bekundet haben.
Die Rekonstruktion eines funktionsfähigen Glasofens des 17.
Jh. ist in Kooperation mit der Kreisarchäologie Holzminden
angedacht. Sie könnte im Solling oder auch neben dem Glasmuseum
in Grünenplan erfolgen.
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