Lichte Sekunde Die Zeit steht still.


Die Zeit steht still.
Zu Augenblicken schrumpfen die Äonen.
Zehntausend Menschenleben bröckeln von den Wänden,
Und durch das offne Fenster flattern Jahrmillionen.

Im Barfach tanzt
Voll roten Weins ein trunkner Keltenkrieger;
Ein Vormensch räkelt sich in Mutters Lieblingssessel.
Vom Schreibtisch springt Machairodus, der Säbeltiger.

Ein Urpferd wälzt
Sich wiehernd auf der weichen Teppicherde,
Und Affenmenschenkinder schaukeln an der Lampe!
Im Garten weidet eine Mastodontenherde.

Ein Saurus glotzt
Erstaunt mit runden Augen in mein Zimmer.
Aus allen Vasen sprießen Riesenschachtelhalme;
Der Spiegel glänzt im blauen Urlibellenschimmer.

Die Zeit steht still.
Zu Staub zerfallen alle Ewigkeiten.
Dort in der Ecke nisten hunderttausend Jahre.
Ein Rabe wartet auf das Ende aller Zeiten.

 

Klaus Eckhard Kunze 1966

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

© Klaus Kunze 2015 Flügelt ein kleiner, blauer Falter ...