1970 hat der 28., aber erste
Science-Fiction Weltkongreß
(Welt-Con) in Deutschland stattgefunden. Der nachstehende Con-Bericht
erschien in der September-Ausgabe der Fan-Zeitschrift "Sixth
Dimension Times" (Links zum Faksimile:
SDT 5, Seite 26. ff.).
Weltcon
Zusammenfassender Bericht von Klaus (D.) Kunze
Da
inzwischen - Ghu-sei-Dank -
praktisch allen Lesern der Sixth Dimension Times bekannt sein dürfte, daß
alljährlich ein Science-Fiction-Weltconvent stattfindet, brauche ich diese
grundlegende Tatsache ja nicht besonders zu erwähnen. Gleichermaßen sattsam
bekannt dürfte sein, daß erst zum dritten Male ein Weltcon außerhalb der
Vereinigten Staaten und zum ersten Mal in Mitteleuropa stattfindet. Zwei
Cons wurden bisher in London veranstaltet.
Der
„World Science Fiction Convent 70“ in Heidelberg begann am 21.8. morgens mit
der Eröffnung in der dortigen Stadthalle, einem Gebäude, das zwar eher
altmodisch als zukunftsweisend anmutet, sich aber reibungslos in das
malerisch-romantische Stadtpanorama von Heidelberg einfügt. Es war
zweifellos eine kluge Entscheidung, gerade diese alte Stadt am Neckar als
Con-Ort zu wählen, weil dadurch den vielen ausländischen Fans genau das
geboten wurden, was sie von „Old Germany“ erwarteten und erhofften. Und eine
der Hauptaufgaben des deutschen Fandoms auf diesem 28. Weltcon war es
sicher, die Chance nicht zu verspielen, einmal einen zweiten Con nach
Deutschland zu bekommen.
Ich traf
mit meinem Vater gegen zwölf Uhr mittags in der Stadthalle ein. Die
Eröffnung war gerade vorüber, und angesichts einer langen Schlange vor der
Registratur konnten wir uns schon auf unser weiteres Schicksal gefaßt
machen.
Das erste
bekannte Gesicht, das mir über den Weg lief, war das von Walter Ernsting.
Wir wechselten kurz ein paar Worte, dann ging die Suche nach Bekannten
weiter. Es ist nicht so einfach, wenn man die meisten Fans nur aus Briefen
kennt. Erst nach einer Viertelstunde vermochte ich einen weiteren Fan zu
identifizieren: den SFCD-Exkassierer Dieter Beyer aus Monheim bei
Düsseldorf. Er konnte mir auch sagen, wo mir in meiner Not geholfen werden
konnte. Eine Etage höher besaß der SFCD einen eigenen Stand. Eingeklemmt
zwischen den Verlagsgiganten Moewig, Heyne und Lichtenberg, der seine neue
SF-Paperbackreihe vorstellte, prangten auf einem Spruchband die Worte
Science Fiction Club Deutschland.
Verführerisch lockten die Cover der zum Verkauf ausgelegten
Andromedas und Anabis, Munich Round Up, Lunatique und andere.
Zielsicher steuerte ich auf ein Gesicht zu, das mir aus einem der letzten
MrU’s noch als das Dieter Steinseifers in Erinnerung war. Dieter konnte mich
dann gleich Kees van Toorn vorstellen, er hatte auch schon nach mir gefragt,
weil wir uns bis dahin nur von Briefen kannten.
Treu und
brav ihre „Pflicht“ taten Kurt Dittmeier aus Hildesheim, sie verkauften am
SFCD-Tisch so manches Fanzine, eine Beschäftigung, die in den nächsten Tagen
auch ich zur Genüge kennenlernen sollte. Einzeln oder in Gruppen kamen die
Fans und musterten kritisch die ausgelegten Zines. Sie kamen aus Frankeich
und Belgien, aus Holland und Italien, aus Spanien, Österreich und der
Schweiz, von Norden, Süden, Osten und Westen.
Das
stärkste Kontingent stellten die USA. Demgemäß war die Umgangssprache auf
dem Con Englisch, und auch die Vorträge wurden auf Englisch gehalten.
Den
zweiten Tag kursierten bereits von Con-Gegnern gestreute Gerüchte in der
Stadt. Ein Scherz zum Beispiel wurde bewußt ernst genommen und gelangte bis
in die Presse. Von einem GT-Saalschutz war da die Rede, von Demonstrationen
und erwartetem Krawall. Nichts derartiges ereignete aber. Wie das so ist:
Wer am weitesten das Maul aufreißt, wird von der Masse gehört, ob er nun
tatsächlich etwas zu sagen hat oder nicht.
Die
Gerüchte saßen bei der Bevölkerung bereits derartig fest, daß es meines
Wissens sogar Schwierigkeiten bei der Beschaffung eines Versammlungsraumes
gab. Nachdem die Angelegenheit dann doch zu aller Zufriedenheit geregelt
war, begann sich das Hinterzimmer der „Backmulde“ allmählich zu füllen. Dann
begann die SFCD-Mitgliederversammlung 1970.
Nie zuvor
sind mir die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die Vor- und Nachteile der
Rechten und Linken im SFCD so deutlich geworden wie hier.
Follow-Lord „Möllbarth“ (Axel
Melhardt) contra AST-Sprecher und Gerüchtemacher Albrecht Stuby, Wasser
und Feuer, ein Versuch der
AST, die Versammlung durch Polemik und widersinnige Anträge "zur
Geschäftsordnung" platzen zu lassen, scheiterten letztlich kläglich.
Frustriert, um einmal einen ihrer Lieblingsausdrücke zu gebrauchen, zogen
die ASTlinge ab.
Danach
klappte alles wie am Schnürchen. Ein Programmpunkt nach dem anderen wude
vorgebracht, kurz diskutiert und abgestimmt. Da kein Clown wie Köpsell mehr
gleichzeitig als Antragsteller und Gegenspieler auftrat, konnte die
Mitgliederversammlung um halb zehn beendet werden. Da über die Ergebnisse
wohl in Andromeda 78 berichtet werden wird, möchte ich dem nicht vorgreifen.
Der
Sonntag sollte Stubys Meisterstück sehen - so war es geplant - aber es wurde
nichts daraus, denn ein erneutes gerücht Stubys, die amerikanischen Fans
hätten den AST-Raum gestürmt, wurde sehr bald als solches entlarvt.
Tags
zuvor hatte die AST versucht, mit Flugblättern die St.-Fantony-Zeremonie zu
stören, bei der unter anderem Molly Auler, Marie Bosnyak und Axel Melhardt
zu Rittern der SF-Fantony wurden, in einer an Follw-Riten erinnernden
Zeremonie. Gut, daß das entstehende europäische Fandom mit solchen „Faulen“
Zaubereien noch unbelastet ist.
Weit
dümmer noch wirkte ein weiterer Störversuch der AST: Marx- und
Engels-Plakate hatten sie aufgehängt, und mit kindlicher Genugtuung erzählte
mir einer, wie „frustriert“ die „Amis“ bei dem Anblick seien. Wenn Marx die
Ansichten so mancher ASTlinge hören könnte, würde er sich im Grabe umdrehen.
Sonntag
Nachmittag folgte das allgemeine Abräumen der Stände. Montag war der letzte
offizielle Con-Tag. Man traf sich auf einem Neckardampfer mit dem
beziehungsreichen Namen „Europa“. Beziehungsreich deshalb, weil während
dieser Dampferfahrt viele innereuropäische Kontakte begründet wurden.
von
links: die italienische Autorin
Carla Parsi-Bastogi (1904-1986),
Kees
van Toorn aus Rotterdam, Klaus D. Kunze, Marjorie Brunner und der
SF-Autor
John
Brunner (1934-1995). Foto: Klaus E. Kunze 24.8.1970
von
links:
Heinz Jürgen Ehrig (1942-2003), halb verdeckt vom weißen Hut
Hans Langsteiner, Fred Patton (Los Angeles),
Gerd Hallenberger, NN, Kurt Dittmeier (Hildesheim), Rolf Heuter (Foto: Klaus E. Kunze
24.8.1970)
Der
unter dem Pseudonym Clark Darlton schreibende SF-Autor
Walter Ernsting
(1920-2005, Erfinder des berühmten Mausbibers
Gucky) 1970
auf dem Heicon (Foto: Klaus E. Kunze)
Axel Melhardt (Wien) während seines Vortrags, links am Tisch Klaus D.
Kunze und Kees van Toorn, im Vordergrund betrachtet Elmar Servais aus
Aachen interessiert ein Blatt. (Foto: Klaus E. Kunze 22.8.1970)
Auf
dem Neckar mit im Boot: SF-Autoren
Herbert W. Franke (rechts) und
Robert Silverberg links (Foto Klaus E. Kunze 24.8.1970)
Weltprominenz an Deck: SF-Autor
Poul
Anderson (links) Maler und Illustrator
Karel
Thole (rechts), Foto Klaus E. Kunze 24.8.1970
SF-Autor
Larry Niven gibt an Deck ein Interview. Foto: Klaus E. Kunze 24.8.1970
Science Fiction-Literatur - mehr als nur Seifenblasen Amerikanische Fans
an Bord der Europa, Heidelberg 24.8.1970 (Foto: Klaus E. Kunze)
von
links und Hans Peter Böhm, mit verdecktem Gesicht Wolfgang Frisch (beide
Herausgeber des Fanzines Procyon, Landstuhl), Klaus D. Kunze, Dieter
Steinseifer (1941-2020),
Mario
Bosnyak Foto Klaus E. Kunze 24.8.1970
SF-Fans im "Dienst" am Stand des
SFCD (Science Fiction Club Deutschland):
Klaus D. Kunze (hinten) und Kurt Dittmeier (vorn rechts)
Geistige und körperliche Wegzehrung für den Verfasser des Con-Berichts (Foto K.E.Kunze
24.8.1970)
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