Lesen als subversiver Akt
Konservativ zu sein, heißt heute wohl auch: Leser zu sein und nicht Fern-Seher. Die ö.-r. Medien vermitteln gern die Illusion, über das Wichtige zu informieren. Tatsächlich vermitteln sie nur, was wir zur Kenntnis nehmen sollen. Wie in Ray Bradburys “Fahrenheit 451” kann das Lesen heute ein subversiver Akt sein. Er ist immer Minderheiten vorbehalten. Die Masse guckt, die Elite liest. Diese Minderheit trifft dann allerdings eine gewisse Pflicht, das Gelesene nach dem Schneeballsystem weiterzugeben und bloßen Gelegenheitslesern verdaulich zu machen.
Ein mir von einem Antiquar in Gießen berichteter Rückgang und Preisverfall antiquarischer Bücher resultiert im wesentlichen auch aus demographischen Gründen. Die alte, gebildete Generation hinterläßt mehr gute Bücher, als die junge, nur halb so zahlreiche und höchstens halb so gebildete, Generation aufzunehmen und zu kaufen mag.
Was du ererbt ….
Friedrich Schiller dichtete: Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen!“ Damit meinte er nicht Haus und Hof. Wer sich unser geistiges Erbe nicht erwirbt, wirkt auf Gebildete wie ein Mensch mit Gedächtnisverlust. Das beginnt schon im völlig Banalen. Wenn ich ein lästiges Insekt entfernt habe und kommentiere: „Gott sei Dank, jetzt ist’s vorbei mit der Käferkrabbelei!“ und mein Nebenmann nicht grinst, weil er noch nie von Wilhelm Busch gehört hat, erlebe ich einen Kulturschock im Kleinen: der arme Kerl hat anscheinend keine.
Jede Zeit und jedes Regime möchte sich seinen Nachwuchs nach seinem Bilde heranerziehen. Flugs verbannt man heute Bücher aus Kindergärten, in denen das Wort Neger vorkommt oder die sonst nicht genderlinientreu sind. Für uns Große übernehmen Rundfunk und Fernsehen diese Rolle.
Ray Bradbury (1920-2012) schildert in seinem Roman “Fahrenheit 451” ein totalitäres Zukunftsregime, das die Menschen umfassend indoktriniert. Sie sollen nur denken können, was es kontrollieren kann. Bücher sind darum verboten und werden von der „Feuerwehr“ verbrannt.
Ray Bradburys weltberühmter Roman “Fahrenheit 451”
Da wird es bestraft, Bücher zu besitzen, und ist ein subversiver Akt, welche zu kennen. Heimliche Waldgänger leben als Außenseiter der Gesellschaft der Verdummten. Jeder von ihnen kennt ein bestimmtes Werk auswendig und gibt es im Laufe seines Lebens durch stetiges Aufsagen an einen Nachfolger weiter. So bleibt ein Gedächtnisrest der alten Buchkultur erhalten.
Ein Mann muß bei seinem Tod etwas dalassen, sagte mein Großvater. Ein Kind oder ein Buch oder ein Bild, ein Haus oder wenigstens eine Mauer, die er gebaut oder ein Paar Schuhe, das er geschustert. Oder einen Garten, den er angelegt hat. Irgend etwas, das deine Hand anrührte, so daß deine Seele eine Bleibe hat, wenn du stirbst, und wenn die Leute den Baum oder die Blume, die du gepflanzt hast, anschauen, dann bist du da. Ganz gleich, was man tut, meinte er, solange man etwas von seinem eigenen Wesen in irgend etwas hineinsteckt.
Ray Bradbury, Fahrenheit 451, München 1969, S.151.
Manipulation und Gedankenkontrolle
Manipulaton und Kontrolle der Menschen fällt umso leichter, je rigoroser ein Regime sie vom Gedruckten fernhalten kann. Bei Bradbury werden die Menschen ausschließlich durch Bilder wie im Fernsehen gelenkt. Je voller die Köpfe mit Bildern aus Perspektive der Machthaber sind, desto weniger alternative Sichtweisen passen hinein. Je mehr Zeit jemand vor staatsnahen Unterhaltsprogrammen verbringt, desto weniger bleibt ihm zum eigenen Denken oder verpöntem Lesen. Am Ende kann er nur noch mit den Worten und ihren Bedeutungen denken, die man ihm täglich vorkaut.
Man kann Menschen auch vom Lesen böser Bücher abhalten, indem man sie vor die Flimmerkiste lockt. Fernsehen macht bequem und abhängig. Damit für sich als Individuum Schluß zu machen, ist für manchen ein Kraftakt. Gesellschaftlich stellt es eine protorevolutionäre Tat dar. Sie kündigt den Herrschenden die geistige Gefolgschaft auf. Wer liest, kann eigene Wege gehen. Die schablonierten Bilderautobahnen läßt er links liegen und schlägt sich abseits ins Gebüsch. Dort gehen ihm dann vielleicht die Augen über.
Alte, große Bibliotheken können in kreativen Köpfen geistige Parallelwelten entstehen lassen, gerade so wie es unserer Phantasie in kleinen, vollgestopften Antiquariaten ergehen kann. Dichterisch begabte Autoren lassen solche Bücher sich zuweilen Geheimnisvolles zuflüstern und zuraunen. Beim Fantasy-Autor Terry Pratchett (1948-2015) gibt es gefährliche Bücher, die angekettet werden müssen, weil sie nach dem unvorsichtigen Besucher schnappen könnten, und erotische Werke, die in eisgekühltem Wasser aufbewahrt werden müssen.
Gefährliche Bücher
Es gibt auch staatsgefährdende Bücher. In der langen Karriere eines alten Buches ist es das vielleicht ein paar Jahrzehnte lang, bis der politische Wind sich mal wieder gedreht hat und sich die Giftschränke wieder öffnen dürfen. Solche Bücher sind wie Waffenarsenale mit hoher Sprengkraft. Kommende Revolutionäre lesen sie heimlich und geben sie unter der Hand weiter, um sie dereinst einmal als Schulbuch anzubefehlen. Manchmal hängen da die schlagenden Argumente jahrzehnte- und jahrhundertelang unbenutzt an der Wand. Einst wurden sie als Waffen geführt von den Großen der Geistesgeschichte: Klingen scharf wie Rasiermesser gegen die Scholastik, Bannstrahlen-Werfer gegen den gottlosen Liberalismus, mit Moralin vergiftete Dolche gegen allzu kecke Aufklärer, aber auch die Waffen des Feindes: verfassungsmäßige Halseisen für Staats- und Verfassungsfeinde, öffentlich-rechtliche Enthirnungs-Skalpelle und scharfe Löffel zur Entfernung unkorrekter Zungen.
Wir können sie auch umfunktionieren. Jedermann kann ihre Gebrauchsanweisungen nachlesen. Die bewährten Waffen gegen theologische Machtgelüste unserer Kirchen finden wir in den Schriften der Aufklärung. Deichbauanleitungen gegen den Sozialismus lesen wir auch bei dem Katholiken Juan Donoso Cortés, Abrißbirnen gegen religiöse Versklavung schenkt uns Friedrich Nietzsche, Sezierbesteck zum Zerlegen des Liberalismus Carl Schmitt. Widerstand gegen den Westen predigt Ernst Niekisch. Eine Impfung gegen Hypermoral verpaßt uns Arnold Gehlen oder Gegengifte gegen nationale Schuldkomplexe Joachim Fernau und Ernst von Salomon. Sie alle überblicken wir wie von einem geistigen Feldherrenhügel aus der Warte des Sozialontologen Panajotis Kondylis und vermögen sie dann einzuordnen. Sie alle möchten zu uns sprechen, haben uns viel zu sagen.
Darum müssen wir niemandem der großen Alten den Ballast seines ganzen Glaubens abnehmen. Aber im Unglauben, im Widerstand gegen geistige Knechtschaft, sind sie unverzichtbar. Die Nasenringe zu lösen, an denen man uns wie Tanzbären in der Manege herumführt, haben sie die passenden Kneifzangen. Sie haben für uns geschrieben. Wir sollen ihre Werkzeuge aufnehmen und für unsere Befreiung benutzen.
Sie sind unter uns
Im Lesen trete ich in Kontakt mit einem alten Autor. Mag dieser auch lange tot sein: Wer schreibt, der bleibt. Er teilt sich meinem Empfinden unmittelbar mit, vertraut sich mir an. Er zieht, lockt und schmeichelt mich in die Welt seiner Gedanken
Niemand, der ein gutes Buch geschrieben hat, ist wirklich tot.
Walter Moers, Die Stadt der träumenden Bücher, München 2006, S.388.
Freilich vermag er das nur, wenn ich mich ihm hingebe, indem ich lese. Der ungelesene Dichter schweigt. Manche schweigen für immer: Ihre Werke wurden ein Opfer der Flammen. Der Verlust eines Buchs bereitet Phantomschmerzen. Als die Bibliothek des antiken Alexandria verbrannte, starb ein Teil des Gedächtnisses der antiken Menschheit. Noch exstierende Bücher kann man aber wieder zum Leben erwecken:
Und da waren sie, die träumenden Bücher. So nannte man in dieser Stadt die antiquarischen Bestände, weil sie aus der Sicht der Händler nicht mehr richtig lebendig und noch nicht richtig tot waren, sondern sich in einem Zwischenzustand befanden, der dem Schlafen ähnelte. Ihre eigentliche Existenz hatten sie hinter sich, den Zerfall vor sich, und so dämmerten sie vor sich hin, zu Millionen und Abermillionen in all den Regalen und Kisten, in den Kellern und Katakomben von Buchhaim. Nur wenn ein Buch von suchender Hand ergriffen und aufgeschlagen, wenn es erworben und davongetragen wurde, dann konnte es zu neuem Leben erwachen. Und das war es, wovon all diese Bücher träumten.
Walter Moers, Die Stadt der träumenden Bücher, S. 32
Wir leben in einer Zeit des Kulturkampfes. Unsere Lektüren gehören zu den besten Waffen einer konservativen Gegenrevolution gegen die Kulturrevolution der 1968er Linksextremisten, deren Ungeist sich metastasenartig ausgebreitet hat. Wir sind ihnen auch sprachlich haushoch überlegen. Versuchen Sie mal, einen gegenderten, politisch korrekten Text zu lesen. Während man sprachlichen Abfall über kurz oder lang wieder vergessen wird, leben die großen Rhetoriker in uns und mit uns fort.
Gebt den Toten Heimrecht! Sie sind ein Teil unserer historischen Identität. Wer sie in sich trägt, in dem leben sie fort.
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