Abenddämmerung unserer Demokratie

Ohne Demokraten ist Demokratie eine schwierige Sache. Sie wird dann dysfunktional. Sogar tyrannisch und mörderisch kann der Mehrheitswille werden, wenn genug Einzelbürger verkappte kleine Tyrannen sind und bereit, über Leichen zu gehen. Daß die Athener ihren großen Philosophen durch demokratische Abstimmung zum Giftbecher verurteilten ist ebenso unvergessen wie der Terreur der demokratischen Jakobiner.

Gegen den Willen der Mehrheit läßt sich keine dauerhaft stabile Herrschaft ausüben. Jedes System muß dysfunktional werden, wenn die Bürger seine Grundideen mehrheitlich ablehnen. Ein Königtum verliert seine Evidenz, wenn den Menschen die Ideenwelten von Ehre und Hierarchie fremd werden, und die Demokratie ist in Gefahr, wenn andere Ideologien wichtiger erscheinen als die manchmal schnöde Mehrheitsarithmetik. Wenn die weltanschaulichen Voraussetzungen einer Herrschaft zerfallen, bröselt seine Legitimität und kann allenfalls mit Repression aufrechterhalten werden.

In unserem Lande gibt es noch ein Drittel demokratischer Verteidiger unserer Herrschaftsordnung, die meisten von ihnen alte, weiße Männer im Rentenalter. Ein weiteres Drittel ist unpolitisch und kümmert sich nur um seine individuellen Interessen. Es schimpft über die da oben, würde aber niemals auch nur einen Finger krumm machen, etwas zu ändern. Das dritte Drittel begründet unser Demokratieproblem.

Unsere Demokratieproblemkinder

Andere als die eigene Meinung auszuhalten, ist für Fanatiker unerträglich. Einem fundamentalistischen Christen oder Moslem kann man nicht damit kommen, sich einmal vorurteilsfrei anzuhören, was er für einen durchweg satanischen Vers hält. Nicht weniger fanatisch sind die Jünger der Klimareligion, die selbsternannten Inquisitoren und und oft staatlich mitfinanzierten Schergen des Antifaschismus und jene Gutmenschen, die außerhalb ihrer Gemeinden nur das Böse am Werke sehen.

Hier gilt es für solche Leute: “Keine Freiheit den Feinden der Freiheit!” – der Freiheiten nämlich, die sie sich herausnehmen und für sich allein reklamieren. Es hatte in den 1970er Jahren begonnen mit kommunistischen Vorlesungssprengungen durch den MSB Spartakus, Maoisten und andere, setzte sich über die Jahrzehnte hin munter fort, wenn konservative oder rechte Gruppen Versammlungen oder Parteitage abhielten und breitet sich heute wie ein Leichentuch über die Diskurse aus: Fanatische Linksextremisten bestimmen darüber, wer wann und wo etwas öffentlich aussprechen darf und wer nicht.

Unter Parolen wie “Keine Bühne geben …” werden Gastwirte bedroht, Verleger bedrängt, Abweichler universitär gemobbt eine strikte Sprachherrschaft “politischer Correctness” an Unis, in Schulen und in den Medien errichtet.

Der linksextreme Totalitarismus sucht alle gesellschaftlichen Bereiche bis zu den Armbinden bei Sportmannschaften zu kontrollieren. Das sind mir schöne Demokraten, möchte man spotten. Es sind nämlich gar keine. Sie lehnen die Grundwerte unserer Verfassung und unseres einst freiheitlichen Staates ab: die Freiheit der Meinungen und die demokratische Willensbildung des Volkes. Denn ist nicht das Klima wichtiger, als die Demokratie? Die Gerechtigkeit? Der Antifaschismus? Muß man nicht seinem Gott mehr gehorchen als der Mehrheit der Menschen – selbst wenn es ein Abgott ist?

Mit Recht diagnostiziert Heino Bosselmann;

In der Weise totalitärer Herrschaft werden die immer gleichen Begriffe mit dem erwünschten Effekt der Verphrasung wiederholt und auf Dauerpräsenz gestellt. Wenn solche Worthülsen wie „Toleranz“, „Respekt“, und „Vielfalt“ permanent und dabei manipulativ gebraucht werden, indem das Gegenteil dessen intendiert ist, was ursprünglich ihre Semantik ausmachte, zeigt das eben genau die politische Absicht der maßgebenden Kräfte: Statt Toleranz ist Kriminalisierung und dann Liquidierung der Opposition gemeint, statt Respekt deren Verunglimpfung, meist pauschal als Nazis und Rechtsextremisten, statt Vielfalt vielmehr die Gleichschaltung im Sinne verordneter Auffassungen.

Heino Bosselmann, “Demokratie” als Herrschaft, Sezession 31.3.2023,

Keine Rückkehr zur Konsensgesellschaft

Solche Leute sind demokratieunfähig. Ein Konsens ist mit ihnen nicht möglich. Sie halten alle Mitbürger, die nicht ihres Glaubens sind, für Ungläubige, für “Leugner”, für Verworfene und – ihr Sammelname für alle diese diabolischen Scharen – für Nazis.

Unterdessen befinden sie sich in Regierungsverantwortung und weisen ihnen unterstehende Behörden wie den Verfassungsschutz an, die Wertungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung umzuinterpretieren und ihnen die Sprachregelungen ihrer extremen Ideologie unterzuschieben. Das bildet dann den Auftakt für exekutive Einzelmaßnahmen wie Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte, die sich der Uminterpretation nicht beugen oder sich kritisch äußern. Da die Linksextremisten sich jetzt mit dem von ihnen bekämpften Staat identifizieren, betrachten sie jeden argumentativen Angriff auf sie als staats- und verfassungsfeindlich.

Alexander Clemens kommentierte den Artikel von Bosselmann auf Facebook:

Die allmähliche Transformation zum semi-totalitären Parteienstaat wird ihr Übriges tun und hat bereits viel Vertrauen unwiederbringlich zerstört. Wie soll es angesichts der inquisitorischen Exzesse der Links-Mitte noch eine Versöhnung und eine Rückkehr zur Konsensgesellschaft geben? An die Stelle eines respektvollen Wettstreits der Meinungen ist längst ein Existenzkampf getreten, die Furcht vor Repression ist ein regulärer Bestandteil des politischen Wettbewerbs geworden, genauso wie die unterdrückte, hier und da aufblitzende Wut der Stigmatisierten und der hochmütig zur Schau gestellte Hypermoralismus dekadenter Eliten.

Alexander Clemens, Facebook-Kommentar zum Artikel von Heino Bosselmann, 2.4.2023.

So ist heute die scheinbare Paradoxie zur Realität geworden, daß die früheren Antiautoritären eine eigene, streng autoritäre Herrschaft errichten, während die früher für Autorität, Recht und Ordnung Eintretenden zu Verteidigern liberaler Freiheiten mutieren. Jahrzehntelang hatte das schlimmste Verdikt linker Publizisten gegen rechte in dem Vorwurf bestanden, diese erstrebten eine “autoritäre Ordnung”. Daß sie heute selbst eine strenge Gesinnungsherrschaft errichten, entspricht dem ehernen Gesetz der Oligarchie, nach dem in jedem Herr­schaftssy­stem nur we­nige wirkli­che Macht aus­üben.[1] Was vor unseren Augen abläuft, ist ein Elitenwechsel: Die altbundesrepublikanische Funktionselite aus Wirtschaft und Gesellschaft wird ersetzt durch eine neue. Sie orientiert sich nicht mehr an ökonomischen, sondern an ideologischen Prämissen. Nach jedem Elitenwechsel geht in den früheren Rebellen aber jene Umwand­lung vor, an de­ren Endpunkt sie den ent­thronten Funk­­tio­nä­ren so ähnlich werden wie ein Haar dem anderen. Es werden nur aus schwarzen Bonzen jetzt rote Bonzen.

Das wird gutgehen, sofern die murrende Mittelschicht sich ihre Verarmung und faktische Enteignung gefallen läßt. würde der Einbau einer Heizung nach Gusto unserer linken Gutsherren den Verkehrswert manchen Altbaues übersteigen, was vor allem im ländlichen Raum mit alten Fachwerkhäusern quasi zur Enteignung ganzer Dorfgemeinschaften führen kann. Allein die Dämmungskosten können den Verkehrswert übersteigen.

Unregierbar

So stehen sich die Interessen des bürgerlichen Teils der Gesellschaft und die ideologisch beflügelter Studienabbrecher und städtischer Habenichts oft unversöhnlich gegenüber. Die Konfliktlinie heißen Stadt gegen Land, jung gegen alt, besitzende Erfolgreiche gegen Versager, die nichts haben und darum nichts zu verlieren haben, zufriedene Familienmenschen gegen diverse Minderheiten von Aussteigern, Psychopathen, Perversen und woken Traumtänzern.

Ohne die allgemeine Akzeptanz demokratischer Willensbildungsprozesse wird uns dieser Kessel in die Luft fliegen. Wenn ein Teil der Gesellschaft nicht bereit ist, sich dem Mehrheitswillen zu beugen, ist das System als Ganzes am Ende. Wer sich in einem repräsentativen System nicht mehr repräsentiert fühlt, wird es nicht lieben. Dann fragt sich nur noch, zu welchen Mitteln und Methoden der unterlegene Teil greift. Das wird davon abhängen, bis zu welchem Punkt er an den Rand seiner Existenz gedrängt wird und welche Kräfte er mobilisieren kann, um die Gefahr seiner Vernichtung abzuwenden.

Egal wohin die Reise auch gehen wird: die BRD hat die letzte Lebensphase jeder Republik erreicht und wird meines Erachtens das zähe Ringen der sich immer stärker polarisierenden Kräfte nicht überleben; es drohen wie so oft ideologische Utopie auf der einen und reaktionärer Cäsarismus auf der anderen Seite; letzterer hat sich in Deutschland noch nicht organisiert, aber angesichts der Maßlosigkeit der linken Forderungen und Pläne wird das nur eine Frage der Zeit bleiben.

Alexander Clemens, Facebook, 2.4.2023.

Nicht nur Ernst Jünger hat in seinem Buch “Eumeswil” die Zukunftsvision einer autoritären Herrschaft entworfen, in die das Chaos eines Bürgerkrieges münden kann. Ein Blick auf die Weltkarte der Gegenwart zeigt uns keine Weltgemeinschaft”, sondern eine heterogene Weltgesellschaft von Staaten, die häufig autoritär geführt werden und in denen keine demokratischen Willensbildungsprozesse stattfinden. Daß sich aus wirren Verhältnissen nur zu leicht autoritäre Herrschaften herausbilden, zeigt auch ein Blick in die Geschichte der letzten rund hundert Jahre. Die Menschen sind nur zu gern bereit, ihre individuelle Freiheit an der Garderobe eines Erretters abzugeben, wenn er sie nur aus Not und Chaos herauszuführen verspricht.

Man muß die Menschen nur hinreichend erst in Angst, schließlich in Panik versetzen, zum Beispiel vor einer angeblichen Pandemie oder einer angeblichen Klimakatastrophe, vielleicht aber auch vor den Roten, die der alten Oma ihr klein’ Häuschen klimaneutralisieren und quasi enteignen wollen. Freilich genügt in manchem früher deutschen Stadtviertel ein Blick aus dem Fenster, um Angst vor dem Chaos zu bekommen.

Meine Lust auf einen sich cäsarisch aufführenden “Retter” ist allerdings begrenzt. Man wird die Kerle so leicht nicht wieder los. Eine absolute, auf einen “Retter” zugeschnittene Staatsmacht kann zwar äußerlichen “Frieden” stiften, der aber zuweilen eher eine Grabesruhe darstellt. Wer wollte prophezeien, ob er am Ende selbst mit in der Grube liegt?

Gesellschaftliche Freiheitsrechte wären so stark eingeschränkt, daß ein solcher Staat nur zur Abwendung sonst drohenden Chaos mehrheitsfähig wäre.

Dieses Chaos könnte zum Beispiel ein Klima-Chaos oder “Klimanotstand” sein, der, aus Sicht einer radikal klimaphoben Regierung, Anlaß zu einem kalten Staatsstreich geben und in eine Öko-Diktatur münden könnte. Das wäre eine Verwirklichungsform einer absoluten Republik, der Öko-Republik.

Die Idee der absoluten Republik habe ich darum schon 1994 abgelehnt:

„Es bleibt mit der Idee der preußi­schen, der abso­luten Republik das Mo­dell ei­nes streng dis­zi­pli­nie­ren­den Machtstaates, das nur zur Zeit nicht aktuell ist, ei­nes Staates, den man nicht liebt und nach dem sich si­cher­lich auch nur we­nige seh­nen, der aber dereinst einmal die Ultima ratio sein könn­te, wenn die Alter­native zu ihm nur noch das Chaos ist.“

Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1. Auf. 1994, S.148, desgleichen in: Wann fliegt uns unser Staat um die Ohren? Blogartikel vom 10.11.2019.

Absolut ist eine Republik, wenn der Staat die Gesellschaft vollständig beherrscht und lenkt. Das kann in einer absoluten Monarchie der Fall sein, in einer Führerdiktatur eines Einzelnen, aber auch in der Diktatur eines “Direktoriums”, eines Politbüros oder einer Ökoparteienkoalition. Manchmal verschwimmen die Grenzen auch wie heute in China.

Da ein maßgeblicher Teil unserer jungen Generation auf Freiheit weniger Lust zu haben scheint als auf Gleichheit und vor dem Klima mehr Angst als vor Armut, gehen wir spannenden Zeiten entgegen.


[1] Robert Michels, Soziologie, S.13, 351 f., 354 beruft sich seinerseits auf Vorläufer wie Vilfredo Pareto und seine Théorie de la circulation des élites. Vgl. Freund, Eli­ten und Elite-Begriffe, S.28 (35).

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  1. Uwe Lay

    Eine kleine Anfrage:
    Wenn 2 Wölfe und 1 Schaf demokratisch entscheiden, was es als Sonntagessen geben wird, hat das Schaf keine Überlebenschance. Es hätte doch nur eine, wenn das Lebensrecht der demokratischen Entscheidungskompetenz entzogen wäre, das verlangte eine Eingrenzung der Demokratie. So könnte Robespierres Parole: “Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit” demokratisch legitimiert werden, wenn die Mehrheit den Andersdenkenden zu Feinden der Freiheit diffamiert die Freiheitsrechte aberkennt. Kann also die Demokrtie nur human sein, wenn sie sich selbst limitiert, und Wesentliches dem demokratischen Entscheiden entzieht?

    • Die Idee des Rechtsstaats wurzelt nicht im Demokratieprinzip. Eine Demokratie kann durchaus totalitär werden, ohne ihren demokratischen Charakter zu verlieren. Die Idee des Rechtsstaats wiederum war ursprünglich eine Forderung aus liberalen Gedankengut des 19. Jahrhunderts, das an Montesquieu anknüpfte. Rechtsstaatlich können viele Staatsformen sich organisieren, z.B. auch die Monarchie, nicht aber die Tyrannis.

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