Der Hinweis auf unsere eingeschränkte Souveränität hatte jahrzehntelang zu den beliebtesten Methoden gehört, die Legitimität unseres staatlichen Handelns anzuzweifeln. Wären wir nur erst voll souverän, hieß es unterschwellig, dann hätten wir freie Hand, unsere Existenzprobleme zu lösen.

Als das Bundesverfassungsgericht die Sozialistische Reichspartei SRP verboten hatte, zitierte es deren Funktionär, den früheren Generalmajor  Otto Ernst Remer:

„Dieselben Männer und dieselben Parteien, die damals bis 1933 nicht in der Lage waren, die siebeneinhalb Mill. Arbeitslosen von der Straße zu bringen, und die somit schuld waren, daß es überhaupt zu einem 1933 kommen konnte, sind heute wieder dabei, das politische Leben allein zu gestalten … Wir brauchen keinen Klub der 75-Jährigen, keine alten Tattergreise … Wir brauchen keine Emigranten, die auf dem Gepäcktroß der Alliierten, nicht auf der Panzerspitze, als Nutznießer der Niederlage gekommen sind.“

(BVerfG, Urteil vom 23. Oktober 1952 – 1 BvB 1/51 –, BVerfGE 2, 1-79, Rn. 220).

Dabei war nie strittig, daß Deutschland bis zu den Pariser Verträgen von 1955 unter Besatzungshoheit stand. Mit dem Deutschlandvertrag von 1955 wurde der Bundesrepublik „die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten, vorbehaltlich einiger Vertragsbestimmungen“ eingeräumt. Für Deutschland als Ganzes bestätigte der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990:

Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst. Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.

Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12.9.1990.

Auf dem Papier ist also seit Jahrzehnten alles klar und geregelt. Aus juristischer Sicht ist kaum nachvollziehbar, wie an Deutschlands formaler Souveränität gezweifelt werden kann. Souveränität ist die höchste, von nicht anderem abgeleitete Herrschaftsmacht über ein bestimmtes Volk auf einem bestimmten Gebiet. Sie setzt also die Existenz eines Staates zwingend voraus. Gäbe es irgendwelche geheimen Abkommen, würden sie uns als Staat nicht binden. Völkerrechtliche Verträge werden ratifiziert, vom Bundestag beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet. Für alles andere gälte der alte Grundsatz des Reichskammergerichts des alten (Heiligen Römischen) Reiches: Quod non est in actis, non est in mundo (Was nicht in den Akten steht, ist nicht in der Welt): Es wäre null und nichtig.

Seit dem 2. Weltkrieg gilt die äußere Souveränität aber völkerrechtlich nicht mehr als absolut. Nur wenige Politikbereiche werden nicht wenigstens teilweise vom Völkerrecht geregelt. Das im klassischen Völkerrecht anerkannte Recht jedes souveränen Staates, Krieg zu führen, wird jetzt nicht mehr anerkannt.  Das  Gewaltverbot hat  der staatlichen Souveränität  die Spitze gebrochen, und die Menschenrechte begrenzen die staatliche Macht sozusagen von unten her.

Pacta sunt servanda[1]

Im Radio hörte ich neulich ein Interview, in dem jemand befürchtete, wenn Deutschland der Ukraine Waffen liefert, die auch in Rußland eingesetzt werden, dürfte Rußland den 2+4-Vertrag kündigen und kraft früheren Besatzungsrechts einfach mal eben so in seine früheren Besatzungszonen einmarschieren. Völkerrechtlich liegen dem Fehlvorstellungen zugrunde.

Diese auf Facebook verbreitete Ansicht ist typisch für laienhafte Propaganda politischer Kreise, die von Völkerrecht nichts verstehen.

Verträge muß man einhalten, auch völkerrechtliche. Wie im bürgerlichen Recht auch erfordern sie zwei Rechtssubjekte: Personen im bürgerlichen Recht, souveräne Staaten im Völkerrecht. Einen Verstoß Deutschlands gegen den 2+4-Vertrag könnten andere Vertragsstaaten zwar sanktionieren, mehr aber auch nicht. Der 2+4-Vertrag enthält keine Kündigungsklausel. Gemäß Art.56 des Wiener Übereinkommens vom 23.5.1969[2] ist er darum unkündbar. Nach Art.60 Abs.2b) kann ein Staat den Vertrag suspendieren, wenn Deutschland den Vertrag erheblich verletzt. Doch legte sich Rußland den 2+4-Vertrag wegen deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine so zurecht, würde das keineswegs die zentrale Regelung des Vertrags beeinträchtigen: Deutschlands Souveränität. Diese würde eine russische Strafexpedition völkerrechtlich verbieten.

Völkerrechtlich ist die Bundesrepublik nach der Rechtsprechung des BVerfG und übereinstimmender internationaler Ansicht rechtsidentisch mit dem Deutschen Reich. Seine souveräne Staatlichkeit wurde nicht erst durch den 2+4-Vertrag begründet. Sie war nur nach seiner Eroberung durch die Feindmächte lange überlagert durch deren Besatzungsrecht. Diese Rechte haben sie durch den 2+4-Vertrag aufgegeben, und darum kann die „Besatzungshoheit“ auch bei einer Vertragsverletzung nicht wieder aufleben.

Souveränität ist nicht alles

Nachdem wir uns vergewissert haben, ein souveräner Staat zu sein, wird die Sache leider erst richtig spannend. Mit der völkerechtlchen Souveränität fangen nämlich die tatsächlichen Probleme erst richtig an.

Eine Rechtsanalogie hilft uns, das Problem zu verstehen: Im Römischen Reich wurden Sklaven gehalten. Sie galten rechtlich als Sache, nicht als Person. Sie waren keine „Rechtssubjekte“, konnten also keine Verträge schließen und keine rechtsgültigen Entscheidungen treffen. Damit ähnelten sie den Kolonien, Schutzgebieten oder Provinzen des 19. Jahrhunderts, die von einem Gouverneur verwaltet wurden.

Die Römer kannten aber die Freilassung eines Sklaven. Mit seiner Freilassung wurde er als römischer Bürger zum Rechtssubjekt. Ganz ähnlich gewannen Kolonien und Schutzgebiete ihren völkerrechtlichen Subjektstatus, wenn sie in die Unabhängigkeit entlassen und damit souverän wurden.

Den Freigelassenen ging es aber nicht automatisch besser als zuvor als Sklaven. Sklaven wurden von ihren Herren als wertvolle Wirtschaftsgüter beschützt und versorgt. Als Freigelassene standen viele vor dem wirtschaftlichen Nichts und verdingten ihre Arbeitskraft zuweilen unter elenderen Umständen als vorher als Sklaven. Ganz ähnlich verwandelten viele überseeische souveräne Staaten sich nach ihrer Unabhängigkeit schnell in verelendete Bananenrepubliken. Sie tauschten die rechtliche Abhängigkeit von der früheren Kolonialmacht ein gegen eine wirtschaftliche und damit zugleich eine politische Abhängigkeit.

Es genügt keineswegs, stolz auf den Rechtsstatus „souverän“ zu pochen, wenn man wirtschaftlich und politisch abhängig ist von der früheren Kolonialmacht als „Patron“. Diese hatte zumeist die „Elite“ der früheren Kolonie geistig ausgebildet in der Hauptstadt des Kolonialreichs, zum Beispiel in London oder Paris, legte ihr die Macht in ihrer Heimat in die Hände und band sie in ein Wirtschaftsgeflecht ein, das die Eigeninteressen der neuen Machthaber mit den Interessen der alten Kolonialmacht verflocht. Briten erzählten in überseeischen Ländern, wie dringend die Eingeborenen und Bewohner doch eine Infrastruktur benötigten. Das war listig, denn diese war vor allem eine unbedingte Voraussetzung für den Warentransport. „Britisches Kapital baute die Eisenbahnen, die Hafenanlagen und entwickelte die Schiffahrt. London diktierte aber die Kreditbedingungen so, daß sie die Kleinstaaten finanziell strangulierten und zu wirtschaftspolitischen Gefangenen britischer Handelshäuser und Banken machten. Indem sich die Nationen auf diese Handels- und Finanzbedingungen einließen, traten sie die Kontrolle über ihre Volkswirtschaft an die Handelshäuser und Banken ab. Die Länder wurden damit viel wirksamer und nachhaltiger unterworfen, als wenn britische Soldaten die Hauptstadt erobert und für das Britische Empire Tribute und Steuern eingetrieben hätten.“[3]

So ist es nicht in jedem Fall zugegangen, aber in vielen. Trotz formaler Souveränität blieben die neuen Staaten abhängig im Rahmen eines globalen „Commonwealth“.

Ein Schelm, wer jetzt wieder an die böse Formulierung Otto Ernst Remers dächte, die Politiker der jungen Bundesregierung seien als frühere Emigranten im Gepäcktroß der Alliierten remigriert. Wir wollen ja hier nicht, wie Remer, unseren Staat delegitimieren. Nehmen wir als Beispiel doch lieber die Gruppe Ulbricht, die als kommunistische Emigranten nach 1945 aus Moskau zurückkehrte und das SED-Regime installierte – stets offen und dienstbeflissen für Moskauer Wünsche, schließlich war Sibirien keine verlockende Option. Ihre Macht gründete sich bis zu ihrem Zusammenbruch 1989 nur auf die Spitzen der sowjetischen Bajonette. Gar nicht vergleichbar damit war hingegen die Präsenz der Amerikaner in Westdeutschland, denn diese waren schließlich unsere lieben Befreier, Freunde und Beschützer, sicherten den Frieden und förderten die Einheit unseres Landes.

Vasallenstaat – auf einer Lüge gebaut („Kongreß der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, Berlin 1.-4. Juli 1949“, aus: Unser sozialistisches Vaterland, Berlin 1974).

Machtlose Souveränität ist wertlos

Mit seiner formalen Souveränität kann ein Staat nichts anfangen, wenn er ökonomisch, militärisch und politisch von einem übermächtigen anderen beherrscht wird. Nehmen wir doch zur Vermeidung von Mißverständnissen wieder die DDR. Ihre strebsame junge Intelligenz wurde jahrzehntelang ausgebildet und auf stramm roten Kurs gebracht auf Schulen und Parteihochschulen. „Freundschaft mit der Sowjetunion ist so wichtig wie der Pulsschlag unseres Herzens!“ An diese Losung auf einem 20 Meter langen roten Banner in einer Stadt kann ich mich noch gut erinnern.

Vasallen müssen ihre Patrone lieben

Die Söhne und Enkel früherer Häuptlinge englischer Kolonien hatten oft in London studiert und saßen nach der Unabhängigkeit in Luxusvillen ihrer Hauptstädte, regierten ihre Länder und verstanden es, die Geldströme aus dem internationalen Handel in ihre Taschen zu leiten. Ähnlich privilegiert saßen in ihren Datschen und Villen die Herren Genossen der SED. Sie spürten die Freundschaft mit der Sowjetunion als Herzschlag ihres Lebens. Solche hündischen Charaktere handeln höchst rational, wenn sie ein lebhaftes Interesse daran haben, einen bestimmten machtpolitischen Status quo aufrechtzuerhalten. Nachdem die Sowjets aus Deutschland abgezogen waren, nahm es mit ihnen auch ökonomisch ein schnelles und trauriges Ende.

Solche Zustände hat es in Westdeutschland natürlich niemals gegeben. Unsere politischen „Atlantiker“ haben ganz uneigennützig  und von selbst erkannt, daß unserem Land nichts besseres widerfahren konnte als eine tiefgreifende Amerikanisierung. Freundschaft mit den USA ist für sie so wichtig wie der Pulsschlag ihrer liberalen  Herzen. Es sollte ihr Schaden nicht sein. Mit bis unter die Zähne bewaffneten Amerikanern vor der Haustür ersparten sie sich lange Zeit gern die eigenen Vertedigungsanstrengungen. Unsere geliebten Befreier beschützten uns schließlich. Die junge Bundeswehr hatte jahrzehntelang nur für zwei oder drei Tage Treibstoff. Der Witz ging um, im Fall der Fälle brauchten sie die Russen nur solange aufzuhalten, bis richtiges Militär käme.

Für einen Staat aber, der inmitten einer von Waffen starrenden Welt existieren muß, ist die formale Souveränität keinen Fetzen Papier wert, wenn er im Zweifelsfall nicht die Fähigkeit hat, diese Souveränität auch zu verteidigen.

Die Erzliberalen

Winston Churchill wird zugeschrieben, seine Wunschdeutschen seien „satt, aber impotent“. Die Bundesdeutschen in seiner Besatzungszone wurden das mehrheitlich gern. Souverän zu handeln und selbständig dem Weltgeschehen zu trotzen, war ihnen zu anstrengend geworden. Wer das anders sah, war gefallen oder in Lagerhaft halb verhungert und gebrochen. Es schlug die Stunde der Liberalen.

Es hatte sie in Deutschland schon lange gegeben. Sie bildeten nur eine von vielen politischen Richtungen des Vorkriegsdeutschland, aber bis Kriegsende nicht die Mehrheit. Die von ihnen inspirierte Generation der „Betroffenen“ klammerte sich gern an die USA und flüchtete sich dann nach „Eu­­ropa“. Sie brach alle historischen Brücken hinter sich ab­. Hier sieht sie die letzte Zu­­flucht vor ihrem ungeliebten Schicksal, als Deut­sche auch deutsche Politik machen zu müssen. Es irrt aber, wer meint, durch ei­ne Freund­­schaftserklä­rung an alle Welt oder durch Auf­gabe der eige­nen Selbst­­bestimmung das Politische aus der Welt schaf­fen zu kön­nen. „Wenn ein Volk die Mühen und Risiken der po­litischen Exi­stenz fürch­tet,“ bemerkte kühl Carl Schmitt, „so wird sich eben ein anderes Volk fin­den, das ihm diese Mühen ab­nimmt, in­dem es seinen ‚Schutz ge­gen äußere Feinde‘ und damit die politische Herr­schaft übernimmt; der Schutz­herr be­stimmt dann den Feind, kraft des ewi­gen Zu­sam­men­hanges von Schutz und Ge­horsam.“ So mar­schierten die po­li­tischen Groß­väter Helmut Kohls 1812 unter der Tri­kolore zum Ruh­me Frank­­reichs gegen Ruß­land, und so werden deut­sche Söh­ne dereinst unter „euro­päi­schem“ Kom­­mando sterben, in So­malia, im Irak, in Li­by­en oder anderswo. „Da­­durch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, ver­schwin­det das Politi­sche nicht aus der Welt. Es ver­schwin­det nur ein schwaches Volk.“[4]

Ein guter Vasall weiß seinem Souverän immer mit der nötigen Hochtung zu begegnen (Thomas Nast, Nast’s Illustrated Almanac for 1873, New York 1873, S.46.

Es entspricht liberaler Ideologie, das Politische zu leugnen oder doch zu überwinden. Der Liberale möchte die Feindschaft in ewigem Gespräch überwinden und den Feind in einen Handelspartner verwandeln. Treiben wir mit der ganzen Welt regen Handel, haben wir nach der liberalen Doktrin keine Feinde mehr, für die sich ein Krieg mit uns lohnte. „Wandel durch Handel“ lautete gerade auch unter sozialliberalen Regierungen lange Zeit die Devise. So hoffte man, vielleicht auch die Sowjets fett und impotent zu machen. Das gelang aber nicht dauerhaft, weil ein mentaler Wandel nur durch generationenlange Umerziehung gelingen kann.

Uns Deutschen ist er hervorragend gelungen dank der überzeugenden Volkspädagogik unserer westlichen Befreier und ehemaligen Mitbürger der Frankfurter Schule, die aus Liebe zu Deutschland nach dem Krieg remigrierten und uns moralisch leicht zurückgebliebenen Landsleuten erklärten,  der autoritäre deutsche Mann sei eine der giftigen Wurzeln der deutschen Erbübel.

Sie wollen gar keine Souveränität

Die fett gewordenen Deutschen wollten gar keine Souveränität mehr. Betroffenheitsbesoffene Gutmenschen flüchteten sich in einen umfassenden Moralinrausch und vergaßen die Welt: „Wir sind doch die Guten, also wird uns ja niemand etwas tun!“ Sie wähnten Deutschland als nur noch von Freunden umzingelt. Gähnend erwachten sie erst wieder 2022 beim russischen Angriff auf die Ukraine, einer Zeitenwende für ihre ideologieverkleisterten Gehirne. Tatsächlich hatten sie jahrzehntelang nichts besseres zu tun gehabt, als sich von der Besatzungsherrschaft so schnell wie möglich in ein supranationales Europa zu retten, das ihnen die Last unserer souveränen Existenz abnehmen sollte.

Ihrer Doktrin zufolge werde die Welt umso friedlicher, je stärker alle Staaten durch Handel und Verträge miteinander vernetzt und ökonomisch voneinander abhängig seien, bis Krieg sich für keinen Staat mehr lohne: Man zerstört schließlich nicht seinen besten Kunden.

So untergruben sie systematisch alle Faktoren, die unser Land halbwegs autark gemacht hatten: Ganze Industrien waren im Freihandel dem Konkurrenzdruck nicht mehr gewachsen, weil man in Übersee wenig Lohnkosten hatte. Kernbereiche unserer Großindustrie gehören ausländischen Investoren. Die Bundeswehr wurde heruntergewirtschaftet, fast abgewickelt und ihre Reste mit anderen Armeen so verzahnt, daß sie nicht mehr eigenständig operieren kann. Die Gesetzgebung wurde in großen Bereichen nach Brüssel abgegeben und wird im Bundestag nur noch formal abgesegnet. Selbst die Energieerzeugung ist mittlerweile zeitweise vom Ausland abhängig. Die Kontrolle unserer Grenzen wurde aufgegeben und ihre Regelungen der EU überlassen.

In welchem Bereich sind wir eigentlich noch autark, können also unsere Lebensgrundlagen aus Kräften unseres eigenen Landes erwirtschaften und aufrechterhalten? Ohne weitgehende Autarkie ist Souveränität nämlich ein Papier ohne Wert.

Das ist von den herrschenden linksliberalen Eliten unseres Landes so gewollt und wird seit vielen Jahren aktiv betrieben. Wer als Jungspund hinter einem Transparent „Nie wieder Deutschland“ herrennt oder in die Welt posaunt, Vaterlandsliebe sei für ihn eine schreckliche Vorstellung, der wird sich erst in einer rundum globalisierten Welt wie im Elysium fühlen. Er vergißt dabei aber, daß auch eine globale „One World“ nicht die herrschaftsfreie Gesellschaft sein kann, von der die marxistisch fanatisierten 1968er immer faselten. Eine One World kann nämlich nur einen Machtnukleus haben, eine beherrschende Person, Personengruppe oder Macht, und nicht mehr wie bisher deren viele. Unermeßliche Macht aber wird unermeßlich korrumpieren.

Mit unserer staatlichen deutschen Freiheit wird es dann vorbei sein. Darum hatte einst Carl Schmitt als letzten Wunsch publiziert, die Welt möge immer größer bleiben als die Vereinigten Staaten von Amerika, und sie ist auch heute noch groß genug für mehrere Großräume, in denen freiheitsliebende Menschen ihre geschichtliche, wirtschaftliche und geistige Substanz und Eigenart zu wahren und zu verteidigen wissen.“[5]

Ausblick

Eine relative Souveränität wäre ein Widerspruch in sich. Wir haben die Herrschaftsmacht über ein Gebiet als Wesensmerkmal der Souveränität angesprochen. Eine bloß formale Herrschaftsmacht de jure erfüllt diese Voraussetzung nicht, wenn sie eben nicht mit der nötigen Macht  verbunden ist, den eigenen Willen auch effektiv durchzusetzen. Darum stellt die Autarkie eine notwendige Voraussetzung jeder Souveränität dar, ohne die Deutschland an souveränes Handeln, also ohne einen dominanten Patron, gar nicht erst zu denken braucht.

Ein europäisches Geflecht von Handelsverträgen und Abkommen hindert unsere Souveränität dagegen nicht, solange wir diese rechtlich noch kündigen dürfen, falls wir das wollen, und solange wir nicht in die Lage einer nominell souveränen Pazifikinsel kommen, der zwar beim Bananenpflücken niemand hineinredet, die aber auf wöchentliche Wasserversorgung auf dem Seeweg angewiesen ist. Der 2.Weltkrieg wurde in Europa wie im Pazifik ganz wesentlich um die strategisch entscheidende Frage geführt, wer die Rohstoffquellen kontrolliert. Eine national denkende Bundesregierung sollte über die Perspektiven unserer Souveränität kein verdächtig lautes Geräusch machen, solange sie unser Land nicht durch weitgehende Autarkie wieder befähigt hat, für sich selbst zu sorgen und darum von keiner Seite erpreßbar zu sein.

Unsere Souveränität war schon zu oft in der deutschen Geschichte unsere Schicksalsfrage. Das Kurfürstentum Hannover wurde im 18.Jahrhunderts in Personalunion durch den König von England regiert mit der Folge, daß hannoversche Regimenter in Übersee für englische Hegemonialinteressen bluteten und starben, zum Beispiel auf Gibraltar ab 1755[6] bis 1784, und ab 1781 in Ostindien.[7] Die Rheinbundstaaten waren eine Generation später nicht souverän, sondern französische Vasallen. Ihre Soldaten mußten mit ihrem Patron Napoleons Armee nach Moskau marschieren, fielen, erfroren und verhungerten erbärmlich.

Bei der Belagerung von Gibraltar fochten und starben Niedersachsen für England.
(George Carter: Die Belagerung von Gibraltar 1782)

Heute zeichnen erleben wir die amerikanisch-russische Konfrontation, hinter der schon die amerikanisch-chinesische droht. Wir benötigen an ausreichendes Maß an Souveränität, unsere Söhne und Töchter da rauszuhalten. Dazu benötigen wir eine hinreichend abschreckende Armee, gern verbündet mit unseren europäischen Nachbarn, aber keinen Patron, sei es in Washington oder Moskau. Wie auch Friedrich der Große sein kleines Preußen inmitten mächtigerer Nachbarn unabhängig gehalten hatte, kann uns das wieder gelingen, irgendwann. Dazu brauchen wir unbedingte Souveränität – um unseres lieben Friedens willen.

Vasallen müssen mit in die Kriege ihres Patrons ziehen oder diese doch mit bezahlen, sei es mit ihrem Geld oder mit dem Blut ihrer Kinder. Unsere „Freundschaft“ mit den USA öffnet uns da keine Ausnahme, und auch unsere Souveränität schützt uns davor nicht. Wer Amerika zum Freund hat, braucht keine Feinde mehr. Die souveräne Ukraine merkt jetzt, was wir Deutschen schon lange wissen oder wissen müßten. In Wirklichkeit haben Völker nämlich keine Freunde, sondern nur Interessen.


[1] So Artikel 26 des Wiener Übereinkommens vom 23.5.1969 über das Recht der Verträge (WÜRV): Verträge müssen gehalten werden. Teils wird das abkommen auch zitiert als „Wiener  Vertragsrechtskonvention  von  1969  (VRK)“

[2] Bundesgesetzblatt Teil II vom 3.8.1985

[3] F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Welt­macht, Wiesbaden 1992, S.18 f., eingehend Klaus Kunze, Staatsfeind Liberalismus, 2022, S.66.

[4] Zitate: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.53, 54.

[5] Carl Schmitt, Die letzte globale Linie, in: Staat, Großraum, Nomos, Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, Hrg. Günter Maschke, Berlin 1995, S.448.

[6] 5. Hannoversches Infanterieregiment, 1. oder Gibraltarsches Bataillon (Rgt.5A), Klaus Kunze, Soldatenlexikon Südniedersachsen, 2022, ISBN 978-3-933334-31-2, Band 1, S.622-625.

[7] 14. Hannoversches Infanterieregiment, aufgestellt in Hameln, 1781-1789 in Ostindien, siehe a.a.O., Band 2, S.1043, 16. Hannoversches Infanterieregiment unter der Führung von Christoph August von Wangenheim, 1783 in Madras, siehe a.a.O., Band 2, S.1043.