Auf totalitären Abwegen

Der Linksextremismus greift nach der totalen Macht. Wir werden mit Verboten und weiteren Verbotsplänen geradezu überschüttet. Ihnen gegenüber war jener Gott mit seinen bloß zehn Geboten geradezu ein liberaler Waisenknabe.

In der Realität zerfallen vor unseren Augen die emanzipatorischen Errungenschaften der letzten 150 Jahre, demokratische Rechte und Institutionen.

Vera Lengsfeld, 26.11.2020

Ich habe 1995 vorausgesagt: In der Vergangenheit wechselten Epochen größerer mit solchen geringer Geistesfreiheit ab. Periodisch stützten sich Machthaber auf Herrschaftsreligionen und -ideologien, und ebenso gesetzmäßig bröckelte ihre Herrschaft durch Aufklärung. Im Kapitel “Entideologisierung und Reideologisierung” habe ich dieses historische Auf und Ab beschrieben. Auf dem Höhepunkt einer aufgeklärten Epoche habe ich die kommende Re-Ideologisierung vorhergesehen, die in unseren Tagen zur Geltung kommt:

Die Machtergreifung des militanten Linksradikalismus vollzieht sich im Tarnkleid eines neuen Moralismus, der vorgibt, es gut mit uns zu meinen. Er ebnet den Weg in einen autoritären Bevormundungsstaat. In ihm wird nicht mehr die freie Entscheidung mündiger Bürger maßgeblich sein. An ihre Stelle wird nach Gutsherrenart in Hinterzimmern entschieden, wieviel Freiheit man uns noch gerade läßt. In verschwiegenen Kammern und Winkeln kungeln Funktionäre mit Interessenvertretern vorher aus, was die Parlamentsmehrheit tags drauf willig beschließen wird:

Ihre ideologischen Saubermänner werden sich leiten lassen von angeblichen Sachzwängen und von moralisch gutem Gewissen:

Unter der Fahne eines sich zunehmend radikalisierenden Huma­ni­ta­­ris­mus kehrte aber der Weltanschauungsstaat wieder. Seinen Sprach­re­ge­­lungen zufolge ist Ideologie das falsche Bewußtsein seiner welt­an­schau­­lichen Gegner, wäh­rend der ach so freie­ste Staat auf deutschem Bo­den selbst keine Ideologie habe. Doch das vielfach pro­klamierte[1] En­de der Ideo­­­lo­gien ist blo­ßer Be­standteil ihres eige­nen ideologi­schen Selbst­­ver­­­ständ­nisses.[2]

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995,

Jeder moralische Wert

“im­­pli­ziert” einen “Drang zur Ver­wirk­li­chung. … Der Wert lechzt geradezu nach Aktualisierung. Er ist nicht wirk­lich, wohl aber wirklichkeits­bezogen und lauert auf Vollzug und Voll­streckung.”[3] In seinem Namen herrschen seine Priester und Vollstrecker.

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995,

Aufmerksame Beobachter gibt es viele, die uns die Symptome dieser Priesterherrschaft vor Augen führen: Die DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld gehört zu ihnen, der Journalist Boris Reitschuster und viele andere, die noch persönliche Erfahrungen in und mit den kommunistischen Diktaturen des Ostblocks haben. Für meinen Teil möchte ich Ihnen hier nicht die bekannten Symptome schildern, sondern die Gründe erhellen.

Wir werden pausenlos mit moralischen Appellen belästigt. Es genügt nicht, zu tun und zu lassen, was staatliche Gesetze vorschreiben. Wir werden unter gesellschaftlichen Druck gesetzt, uns bei den Gutmenschen einzureihen. Diese gehorchen gern und willig der Moral derer, die ihre Herrschaft über uns moralisch begründen und sich als Interpreten, Inquisitoren und Vollstrecker ihrer Moral aufführen.

Der Philosoph Panajotis Kondylis hat es geradezu als Normalfall des Dominanzstrebens herausgearbeitet, sich eine moralische Norm auszudenken und seine Macht über den Rest der Menschheit auf die Behauptung zu stützen: “Diese Norm gilt universell, und ich bin nur ihr bescheidener oberster Diener.” Jeder menschliche Anspruch auf Macht und Herrschaft wird sozial wirksam, wenn und soweit er sich moralförmig gibt.

Darum hüllten sich schon vor Jahrhunderten abgebrühte Machtmenschen in prächtige Umhänge und erzählten den Gläubigen: Sie seien ja nur Diener Gottes, dessen moralische Gebote sie auf Erden – in aller Demut – zu verkünden hätten. Vor so viel geballter Moral hatten ihre Schäflein dann gefälligst auf den Knien herumzurutschen, bis in Luther ein geistiger Partisan auftrat und das Gewissen des Einzelnen für maßgeblich erklärte, nicht die Kathedermoral der Kirchenfürsten.

Partisanen der Geistesfreiheit leben machmal gefährlich
-Anton von Werner, Luther vor dem Reichstag in Worms (Wikimedia gemeinfreies Bild)-

Der Moralist gibt immer vor, zu dienen, obwohl er doch herrschen will. So suchen sie uns heute moralisch unter die Knute zu zwingen: Wir sollen keine angeblichen Klimaleugner sein (unmoralisch!), also sollen wir klaglos höhere Preise bezahlen. Wir sollen gegen Rechts (unmoralisch!) vorgehen, also klaglos hinnehmen, wenn das Bundeskabinett just wieder 1 Milliarde € Steuergelder für die linke Gesellschaft locker macht. Wir sollen nicht Corona leugnen (unmoralisch!) und gefälligst zuhause bleiben – und wegen der Ansteckungsgefahr am besten gleich den Mund halten. Wir dürfen nichts gegen Massenansiedlungen Fremder in Deutschland sagen (unmoralisch!) und hilflos zusehen, wie die Zukunfts-Chancen und Ressourcen unserer eigenen Kinder zweckentfremdet werden.

Je enger die uns abverlangte Moral ist, desto strenger die Herrschaft ihrer Erfinder und Nutznießer. Der psychologische Mechanismus ist immer derselbe: Man jagt und Ängste ein, flößt uns Moral als Heilmittel ein bis sie uns vom Löffel an den Mundwinkeln herabsabbert, und stilisiert sich zum moralischen Oberguru, der keinen Widerspruch duldet.

So­zio­logisch betrachtet sind Ideen, Gedankengebäude, Ideologien und Welt­an­schauungen nichts als Waffen im zwi­schenmenschlichen Macht­­kampf. Inner­halb eines Volkes gibt es verschiedene Menschen mit ver­schie­denen In­teres­sen, Bedürf­nissen und demzufolge Welt-An­schau­­ungen. Im Kampf um Macht und In­teressen führen diese Ideo­lo­gien einen Stell­vertre­terkrieg. Scheinbar tobt der Streit um philo­so­phi­sche, meta­physische oder ethische Fragen. Tatsächlich ver­birgt sich hinter der Geltung jeder Ethik oder Philo­so­phie handfeste Inter­es­­sen­politik. Die sozio­logische Methode sucht den für bestimmte Ideen und intellek­tuelle Gestal­tungen typischen Per­sonen­kreis, der aus sei­ner Interessenlage heraus zu be­stimm­ten ideologi­schen Resul­ta­ten kommt.[4] Ethi­sche Fragen begründen gera­dezu politische Macht­­­ansprü­che und ihre Legi­timi­tät. Nach Max Weber durchdringen sich in sozialen Ord­nun­gen Ideen und Interessen. Begünstigt ist, wer dem an­de­ren seine Ideolo­gie, seine Spielregeln, seine Ethik dik­tiert.

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995.

Der geistige Partisan

Darum werden wir immer und solange machtlos bleiben, wie wir eine gegnerische Ideologie nicht als solche erkennen und ihre moralischen Spinnennetze zerreißen. Diese Spinnweben umgeben uns heute wie ein Dickicht aus öffentlich-rechtlichen Einflüsterungen, Presse, Kirchenkanzeln, Universitäts-Instituten, linken Nichtregierungsorganisationen und so fort. nach Lage der Kräfteverhältnisse ist dagegen nur geistige Partisanentätigkeit möglich.

Der “Guerillakrieg” gegen “die soziale Vorherrschaft des Nor­ma­ti­vis­mus” ist uralt.[5] Auch die humanitaristische Zivilreligion kann nur durch untergründige Maul­wurfs­tä­tig­keit von innen ausgehöhlt wer­den. Diese Tä­tigkeit muß damit begin­nen, ihren ideo­lo­gischen Cha­rak­ter zu beleuchten, lust­­voll an den Tabus und Sprach­­re­gelungen zu kit­zeln und diese der Lä­cherlichkeit preis­zuge­ben. Die zen­tra­len Ideo­lo­geme der Political cor­rect­ness zu zer­stö­ren, ist vor­dring­liche Auf­gabe einer geistigen Par­tisa­nen­tätig­keit. “Der Be­trof­fen­heits-Be­sof­fenheit kann man nur mit Sub­version be­geg­nen. … Der An­­arch,[6] Par­tisan oder Dandy ist das einzig effek­tive Ge­genbild zum Bü­ro­kra­ten, Apparatschik, Funk­tio­när und Des­po­ten.”[7] Er ist der Bote, der das postideologische Zeit­alter ankündigt.

Klaus Kunze, Mut zur Freiheit, 1995

Daß ein solches Zeitalter irgendwann wieder anbrechen wird, ist eine historische Erfahrung. Ob wir es persönlich noch erleben werden, liegt auch an uns selbst.

Wenn wir uns unsere Freiheit nicht selbst erkämpfen, wird jedenfalls niemand kommen und sie uns gnädig schenken.

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[1] Ergänze: das von liberalen Autoren proklamierte Ende der Ideologien, K.K. 2020

[2] Kondylis, Ohne Wahrheitsanspruch keine Toleranz, FAZ 21.12.1994.

[3] Schmitt, Die Tyrannei der Werte, S.52.

[4] Carl Schmitt, Politische Theologie, S.57, nach Max Weber. Bei­den folgt Kondylis, Macht und Entscheidung, 1984.

[5] Kondylis, Nur Intellektuelle behaupten…, S.687.

[6] “Ernst Jünger hat in seinem Buch [Eumeswil, 1977] und in später veröffent­lich­ten Notaten, Briefen und Interviews keinen Zweifel daran gelassen, daß er den An­archen nach dem Vorbild von Stirners “Eigner” entworfen hat – und sogar, daß er sich selbst weitgehend mit dieser Gestalt identifiziert.” (Laska, Ein dauerhafter Dissident, S.92).

[7] Sohn, Dandies, Anarchen, Partisanen, Criticón 1993,128.