Gesetzesverschärfung nebst Risiken und Nebenwirkungen

Manche Schüsse gehen in viele Richtungen los, die der Schütze zuvor nicht bedacht hatte. Die ärgerliche Tittenschau mit dem “Dank an Bomber-Harris” (Beitragsbild), wäre nach künftigem Recht strafbar. Es muß nur noch verkündet werden.

Von der öffentlichen wie auch der veröffentlichten Meinung unbemerkt, hat der Bundestag das Strafrecht wieder einmal verschärft. Der berüchtigte Volksverhetzungsparagraf wurde um einen 5.Absatz ergänzt. Wiederum dürfen wir noch weniger meinen als bisher. Das ist des einen Freud, des anderen Leid.

Ausgerechnet der linksextremen taz ist als erster aufgefallen:

Online-Auftritt der taz

Schöpfer des Volksverhetzungsparagrafen 130 waren die Nationalsozialisten, die ihn damals “Klassenhetze” nannten. In der DDR wurde er in “Staatsfeindliche Hetze” und in der BRD in “Volksverhetzung” umbenannt.

Als sein rechtliches Schutzobjekt gilt der innere Frieden. Die Änderung lautet:

Wie bereits bei den bisherigen Absätzen der Bestimmung wird ihre praktische Anwendung vor Gericht immer ein juristischer Hochseilakt werden.

Nicht “gebilligt, geleugnet oder gröblich verharmlost” werden dürfen Handlungen, die §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuchs unter Strafe stellen. Wenn Sie die Liste der Abscheulichkeiten dort nicht nachlesen oder wenigstens hineinschauen, werden Sie die Gesetzesänderung nicht verstehen.

Nehmen wir mal einen einfachen Anwendungsfall: § 9 befielt: “(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne daß dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.” Nun haben wir alle Fernsehbilder und Berichte gesehen, denen zufolge Russen eine solche Liebe zu ukrainischen Waschmaschinen entwickelt haben, daß sie einfach nicht der Versuchung widerstehen können, sie sich anzueignen.

Bekanntlich gibt es viele Menschen, die grundsätzlich alles der Propagandalüge verdächtigen, was aus diesem Krieg berichtet wird. Frei nach dem alten Motto “Die Soldaten meines Führers tun so was nicht”, wird es hier viele rußlandfreundliche Menschen geben, die leugnen, daß Russen so etwas anstellen. Vielleicht “verharmlosen” sie es auch als “Einzelfälle”.

Auf solche Vögel hat unsere Justiz gerade gewartet! Das kennt sie schon seit Jahrzehnten. Mit dem Leugnen und Verharmlosen, dem Herunterrechnen oder Bagatellisieren historischer Zahlen kennt sie sich aus.

Da bleibt nur noch das Problem der gummiartigen Formulierung, der freche Angeklagte habe “in einer Weise gebilligt, geleugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Haß oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.” Wer mit markigen Worten gegen die Ukraine vom Leder zieht und meint, solchen “Lügnern” und ihrer Propaganda sei nicht zu trauen, Putin versuche zu Recht, das Land zu “entnazifizieren”, würde sich schon hart am Rande der Klippe aufhalten.

Das Problem mit dem öffentlichen Frieden

Bis 2018 machten Gerichte nicht viel Federlesens: Wer verharmlose, störe immer den öffentlichen Frieden. Seit der von mir erwirkten Entscheidung des BVerfG

Eine Verurteilung nach § 130 Abs 3 StGB kommt in allen Varianten nur dann in Betracht, wenn hiervon allein solche Äußerungen erfaßt werden, die geeignet sind, den öffentlichen Frieden iS der Anforderungen des Art 5 Abs 1 GG zu gefährden. Soweit sich dies aus den übrigen Tatbestandsmerkmalen selbst nicht eindeutig ergibt, ist die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen. Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung (§ 130 Abs 3 Alt 1 und 2 StGB), in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, erscheint dies für den Fall der Verharmlosung (§ 130 Abs 3 Alt 3 StGB) geboten.
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 –

Die Verfassungsrichter erklärten, den öffentlichen Frieden könne eine Äußerung nur stören, wenn sie auf reale Außenwirkung angelegt sei:

Ein legitimes Schutzgut ist der öffentliche Frieden hingegen in einem Verständnis als Gewährleistung von Friedlichkeit. Ziel ist hier der Schutz vor Äußerungen, die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich insoweit auf die Außenwirkungen von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern (vgl. BVerfGE 124, 300 <335>). Eine Verurteilung kann dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfGE 124, 300 <333>).
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 22. Juni 2018 – 1 BvR 2083/15 –, Rn. 27

Wann ein Äußerung zu einer “aggressiven Emotionalisierung” führen kann, bleibt weiterhin amtsrichterlichem Gusto überlassen. Die Änderung der Vorschrift ordnet sich ein in den regierungsamtlichen sogenannten “Kampf gegen Haßkriminalität” und würde auch als Arbeitsbeschaffungsprogramm für unterbeschäftigte Staatsanwälte wirken, wenn es die gäbe. Die taz würdigt auch einen anderen Aspekt kritisch: “Es genügt für die Strafverfolgung von gröblich verharmlosenden Meinungsäußerungen, daß eine Staatsanwaltschaft bestimmte Handlungen als Kriegsverbrechen einstuft.”

Für die historisch feststehenden Tatsachen sorgen die Sieger

Wir dürfen uns auf amtsrichterliche Prozesse freuen, in denen die Staatsanwaltschaft die Existenz und die Täterschaft von Kriegsverbrechen behauptet und ihre Leugnung anklagt, während sich auf dem Schlachtfeld beide Parteien das Verbrechen in die Schuhe schieben, möglichst schon vor seiner Ausführung. Macht sich demnächst strafbar, wer leugnet, die Russen hätten die Staumauer bei Cherson gesprengt, woraushin Tausende ums Leben gekommen seien? Oder wird angeklagt, wer leugnet, die Ukrainer seien es gewesen? Da stehen uns Rechtspraktikern historisch inspirierende Beweisaufnahmen ins Haus, denn der Straftatbestand erfordert für ein strafbares Leugnen von Tat und Täter natürlich, daß die Täterschaft feststeht.

Bisher hatte unsere Justiz in solchen Fällen eingeübte Formulierungen, denn die bisherigen Leugnungsfälle beruhten allesamt auf der Leugnung “historisch feststehender Tatsachen”. Welche Tatsachen im Ukraine-Krieg aber einst historisch feststehen werden, könnte auch davon abhängen, wer siegt und die Gèschichtsbücher schreibt.

Ganz neue Möglichkeiten

Eine weitere inspirierende Anwendungsmöglichkeit des neuen Gesetzes bietet sich auf für die gesetzgebenden Fraktionen ganz unerwartetem Gebiet: Historisch unbestritten hatte es sich bei der Flächenbombardierung deutscher Städte am Ende des 2. Weltkriegs um Kriegsverbrechen gehandelt. Wer diese künftig leugnet und verharmlost, könnte sich ebenso angeklagt finden wie jemand, der selbst heute noch bestreitet, daß die russische Arme ukrainische Wohnviertel in Schutt und Asche legt. Freudenauftritte zur Ehre des Bomber-Harris wie in Dresden wurden vielfach kritisiert, weil sie den öffentlichen Frieden und das Gedenken störten:

Kritischer Blog-Kommentar mit Beweisfoto vom 21.2.2014 (Verfasser mir leider unbekannt)

Nach der jünsten Verschärfung des § 130 StGB wäre ein solcher Auftritt nicht nur “dumm wie Brot”, sondern auch strafbar, falls auch wir einfache Deutsche es noch schaffen, als “ethnische Gruppe” (§ 130 I Ziff.1 StGB) anerkannt zu werden.

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Freiheit, die ich meine