Eine heile Traumwelt liegt in Scherben

Ach was muß man oft von bösen
Buben hören oder lesen! Als einen der bösesten Buben des vergangenen Jahrhunderts beschimpfte der linksdrallige Moralistenchor jahrzehntelang den scharfsinnigsten Juristen seiner Zeit, Professor Carl Schmitt.

Was immer er geschrieben hatte: linksliberale Geisteszwerge behaupteten jetzt das genaue Gegenteil und hängten sich dafür gegenseitig alberne Orden und Ehrenpreise um. Wie viele andere Hirngespinste scheitert in unseren Tagen auch ihre Lieblingsutopie einer heilen Welt ohne Feindschaft. Generationen junger Deutscher wurden auf eine Kindergartenwelt voller hübscher bunter Luftballons, ewigen Frieden und freundlicher Menschengleichheit vorbereitet. Jetzt stehen sie fassungslos und orientierungslos dumm da, die Generation der Baerbocks, Habecks und Co.

Für die kleine intellektuelle Minderheit, die noch Carl Schmitt gelesen hat, gibt es dagegen nichts politisch Unerklärliches, weder in der Ukraine noch in Palästina. Alles Land, das heute vom Staat Israel beansprucht wird, hieß 1900 noch Palästina. Dort lebten zu 70% Araber und zu 17% Juden (Der Große Herder, 4.Aufl., Freiburg 1934).

Ernst Debes Neuer Handatlas Leipzig 1900.

Die Geschichte der weiteren Ansiedlung von Juden in Palästina ist die Geschichte fortlaufender militärischer und später struktureller Gewalt. Arabische Palästinenser wurden enteignet und vertrieben. Unter welchen Lebensbedingungen zwei Millionen ihrer Nachkommen im Gaza-Streifen gehalten werden, ist allgemein bekannt. Ihr jüngster und bisher größter Aufstand unter Hamas-Flaggen wurde vorige Woche von einem israelischen Minister mit den Worten kommentiert, die Hölle habe sich geöffnet. Das stimmt. Von Palästinensern in jüdischen Siedlungen begangene Greueltaten sind so abscheulich, daß allenfalls das Adjektiv teuflisch noch der Grausamkeit an persönlich Unschuldigen gerecht wird.

Warum sind die Teufel so teuflisch?

Die früheren Entscheidungen des Staates Israel, mit den arabischen Palästinensern umzugehen, und die heutige Entscheidung, die Hamas zu vernichten, sind politische Entscheidungen. Eine politische Entscheidung der Hamas war es auch, militärisch Israel anzugreifen und möglichst viele Juden zu ermorden.

Haß und Vernichtung gebären Haß und Vernichtung (Foto: Al Jazeera)

Die Kriterien des Politischen hatte Carl Schmitt schon 1932 in seiner weltberühmten Schrift „Der Begriff des Politischen“ herausgearbeitet. Jedes Sachgebiet hat seine spezifischen Kriterien: Das moralische die von gut und böse, die Ästhetik schön und häßlich, die Ökonomie nützlich und schädlich und so weiter. Das entsprechende Unterscheidungskriterium des Politischen aber lautet: Freund oder Feind. Das ist eine rein beschreibende, abstrakte Feststellung. Sie enthält keine Sollensforderung, also keine normative Komponente, und sie ist schon gar kein „primitives Freund-Feind-Denken“, wie weniger scharfe Denker jahrzehntelang gelästert hatten.

Nicht weil das Fremde vielleicht als häßlich, ökonomisch schädlich oder moralisch böse betrachtet werden kann, wird es zum Feind im politischen Sinne. Das wird er nur dadurch, daß seine Seinsweise im existenziellen Sinne unsere eigene negiert:

Er ist eben der andere, der Fremde, und es genügt zu seinem Wesen, daß er in einem besonders intensiven Sinne existenziell etwas anderes und Fremdes ist, so daß im extremen Fall Konflikte mit ihm möglich sind, die weder durch eine im voraus getroffene Normierung, noch durch den Spruch eines „unbeteiligten“ und daher „unparteiischen“ Dritten entschieden werden können. Die Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens und damit auch die Befugnis mitzusprechen und zu urteilen ist hier nämlich nur durch das existenzielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben. Den extremen Konfliktsfall können nur die Beteiligten selbst unter sich ausmachen; namentlich kann jeder von ihnen nur selbst entscheiden, ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktsfalle die Negation der eigenen Art Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.27.

Der existenzielle Feind

Somit können nur die Ukrainer selbst entscheiden, ob Rußland ihr Feind ist, weil es die selbstgewählte Lebensweise der Ukrainer ethnisch, kulturell und gesellschaftspolitisch negiert, ihre Städte zertrümmert und sie russifizieren will. Und allein Sache der Palästinenser wie umgekehrt der Juden ist, zu entscheiden, ob sie einander Feinde sind.

Die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren ist für beide Seiten die Schlüsselfrage. Die Antwort hängt von der kollektiven Identität ab, die beide Seiten sich selbst wählen. Wenn die selbstgewählte kollektive Existenz des einen Volkes die entsprechende des anderen ausschließt, sind sie Feinde. Sie können dann auch keinen Frieden schließen, wenn die Existenz der einen Seite die der anderen negiert.

Aus liberaler Sicht ist das unbegreiflich. Wenn man aber daran glaubt, das eigene Volk sei ein von Gott auserwähltes und habe darum ein biblisch verbürgtes, gottgegebenes und alleiniges Anrecht auf sein gelobtes Land, dann schließt das die gleichzeitige Existenz eines anderen, fremdartigen und ungläubigen souveränen Volkes in demselben Land aus. Aus umgekehrter Sicht definieren sich die Palästinenser selbst als „indigene“ Heimatvertriebene des Landes ihrer Väter, in dem auch ihre islamischen Heiligtümer stehen. Weder Juden noch Araber sind mehrheitlich bereit, Hauptbestandteile ihrer Identität aufzugeben und sich als liberale Weltbürger zu fühlen. Sie haben auch gar keinen Anlaß dazu, weil der Sieg über den Feind beiderseits auch über die eigene ökonomische Existenz oder Nichtexistenz mitentscheidet.

Friedenspolitik fängt im Inland an

Staatsräson jedes der deutschen Staaten müßte es sein, Leben und Wohlergehen seiner Bürger nach innen und außen zu schützen. Nichts anderes ist nämlich der Zweck aller Staatlichkeit, die mehr sein muß als eine organisierte Räuberbande, die uns das Geld aus der Tasche zieht und dafür auch noch das Gewaltmonopol für sich beansprucht.

Leben und Unversehrtheit fremder Staatlichkeit zu gewährleisten kann darum niemals unser Staatszweck sein. Das schließt nicht aus, andere Staaten zu unterstützen, wenn es dem eigenen, dem eigentlichen Staatszweck dient.

Dagegen verfehlt ein Staat sein Existenzrecht, wenn er den inneren Frieden und die Sicherheit seiner Bürger vor inneren Gefahren nicht schützt, sondern diese Gefahren geradezu selbst erzeugt. Es gibt einen ewigen, unlösbaren Zusammenhang von Schutz und Gehorsam. Die Bürger bleiben friedlich und rechtstreu, wenn sie sich auf den Schutz ihres Staates verlassen können.

Friedenspolitik fängt im Inland an. Sie verbietet es, Menschen millionenfach ins Land zu lassen, tausende sogar aktiv zu holen, die in existenzieller Feindschaft miteinander leben. Auch wir Deutsche haben alles Recht, selbstbestimmt unsere Identität zu definieren. Wer sie negiert, hat in unserem Land nichts zu suchen. Es genügt oft ein irgendwo, „drunten weit in der Türkei“ gezündeter Funke, um hier ein „multikulturelles“ Pulverfaß zu zünden.

Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich also theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlich­keit als Feind erblickt wird.

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.67.

Auch wir haben das Recht auf eine kollektive Existenz in unserer selbstgewählten Daseinsform. Diese müssen wir bewahren dürfen. Ohne eine gewisse Abgrenzung nach innen und außen kann es für kein Volk eine Selbstbehauptung des kulturell Eigenen geben. Es würde im Wind der Geschichte verwehen und vergehen. Das „moderne Verständnis von Nation“ trägt

„in sich die Idee kultureller Selbstbehauptung einer sich abgrenzenden Gruppe. Rings um Sprache und erlebtes, historisch erinnertes Schicksal, rings um gemeinsame Werte und Sitten, rings um einen Kanon der Weltinterpretation, von Würde, Anstand und Alltagsvernunft wächst die Idee der Nation. Jede Nation ist auch eine bloß geistige Konstruktion, eine paradoxe Erfindung von sich selbst, in Bildern, Fahnen, Hymnen und großen Erzählungen zum Gegenstand gemacht und sich in dieser Spiegelung selbst erst erschaffend.“

Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005, S.187.

Zu diesen gemeinsamen Werten, dieser Weltinterpretation, gehört im heutigen Deutschland der Kernbestand an Normen, der sich in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung manifestiert. Der aufklärerische Ideenbestand von der Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen, seiner selbstgewählten Bindung an seine Solidargemeinschaft, von Meinungsfreiheit und so fort hat sich seit Jahrhunderten auch in Deutschland herausgebildet und gehört heute zum Kern unserer kulturellen Identität.  Eine

„offene Gesellschaft kann aber nur Gemeinschaft bleiben, wenn sie ganz entschieden ihre Identität pflegt und Mechanismen entwickelt, ihre Identität zu bekräftigen.“

Udo Di Fabio, in: Die Kultur der Freiheit, 2005, S.183.

Wenn die Mitglieder einer Solidargemeinschaft sich von ihr entfremden, weil sie sich mit Neubürgern nicht mehr identifizieren können, treibt sie der Auflösung entgegen. Das gilt erst recht, wenn jene Neubürger sich ihrerseits erkennbar nicht mit dem inländischen kulturellen Code identifizieren wollen. Sie stehen in unserem Land wie eine 5. Kolonne eines Feindes, der unserer seinsmäßigen Lebensart jedes Existenzrecht abspricht. Wenn wir daraus und aus den Ereignissen auf unseren Straßen nicht die erforderlichen Konsequenzen ziehen, dürfen wir uns wiederum an Carl Schmitt erinnern:

Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.53.