Die globale Aggressivität des Finanzliberalismus

Philosophisch schmeichelt sich der Liberalismus selbst, eine friedfertige Weltanschauung zu sein. Er möchte die Zeiten kriegerischer Konflikte hinter sich lassen. Eine Epoche friedlichen Handels soll Kriege überflüssig machen, die sowieso “sinnlos” sind, nur Geld kosten und “keine Lösung” seien.

Freier Handel hingegen soll zu Wohlstand und Frieden führen. Alle Menschen werden Brüder, wo sein sanfter Flügel weilt. Damit sie aber allesamt Brüder werden können, müssen vorher leider die nicht liberalen Störenfriede dieser Welt besiegt und muß eine den Handelsfrieden sichernde globale Herrschaftsordnung errichtet werden.

… “Der Bruderkrieg enthält noch mehr Beunruhigendes. Er ist kein lokales Phänomen. Er kündigt sich global an – in diesem Fall nicht gegen den Westen, sondern durch ihn. Dessen erklärtes Ziel ist nämlich die Verbrüderung der Menschheit, das im Doppelursprung von Industrieller Revolution in England und politischer Revolution in Frankreich im späten 18. Jahrhundert entstanden ist. Seither wälzt sich die Produzenten- und Abstimmungsgemeinschaft als liberales Staatsmodell mit universellem Anspruch durch die Geschichte, erfaßt Land um Land, erlaubt sich Verschnaufpausen und Rückfälle, läßt sich von ihrem Weg jedoch nicht abbringen und wird erst dann Ruhe geben, wenn sie die Welt zu einer Brudergemeinschaft zusammengeschlossen hat, die der Globalisierung einen politischen Rahmen gibt – abgesichert durch militärische Bündnisse in Atlantik (die norderweiterte NATO) und Pazifik (die „Quad“-Allianz aus Japan, Australien, Indien und den USA).

Moritz Rudolph, Der Bruder als trojanisches Pferd? Philosophie-Magazin 18.5.2022.

Die notwendige Herrschaftsordnung bildet tatsächlich den häßlichen Pferdefuß des strahlenden Friedensengels. Jede Herrschaftsordnung ist eine Herrschaft. Wer aber wird über wen herrschen, wenn der globale Handelsfrieden ausgerufen worden sein wird? Wer wird die Ordnung mit welchen Mitteln sichern? Wie ließe sich eine globale Herrschaft mit dem Anspruch auf demokratische Selbstbestimmung derjenigen Menschen, Völker und Staaten vereinbaren, die sich unter rein merkantilen Gesetzmäßigkeiten zu kurz gekommen fühlen und rebellieren?

Solche Fragen zu stellen, heißt schon, sie beantwortet zu haben. In einer rein merkantil organisierten Welt müßten alle Staaten auf ihr Militär und ihr Recht zum Krieg verzichten. Es würde sich nicht mehr der Stärkste oder Tüchtigste durchsetzen, sondern wer am meisten Finanzkapital hat und am besten damit umgehen kann. Die globale Herrschaft der Superreichen und des Finanzkapitals müßte ihrerseits bewaffnet genug sein, durch polizeiartige Einsätze etwaige Aufstände, Remilitarisierungen und Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterdrücken.

Überdies stünden ihr die erprobten Mittel des Handelsboykotts und des Warenembargos zur Verfügung. Sie sind die klassischen Waffen in Handelskriegen. Nicht immer wurden sie so “human” geführt wie heute das Embargo gegen Rußland, Putin zum Beispiel keine höhere Technologie mehr zu liefern. Die englische Hungerblockade auf See gegen Deutschland zwischen 1914 und 1920 kostete rund 800 000 Tote und wird heute als Kriegsverbrechen eingestuft. Handelsmacht erfordert zwangsläufig nicht nur die “Freiheit der Meere” für die Händler, sondern auch die Macht, der unbegrenzten Freiheit der Händler mit Kanonenbootpolitik Nachdruck zu verleihen.

Feind unserer Selbstbestimmung

Es wird Zeit, den Feind unserer Freiheit und Selbstbestimmung in konkreter Deutlichkeit zu erkennen und ihm ins Auge zu sehen. Feind ist, dessen Seinsweise sich mit unserer eigenen nicht vereinbaren läßt. Aktuell ist dies nicht nur der russische Imperialismus mit seinen mörderischen Methoden, es ist auch der Amerikanismus. Er bedient sich subtilerer Mittel, führt aber langfristig dazu, daß unser Volk in einem multiethnischen Verbraucherdasein verendet. Die US-Oligarchen sind für uns nicht weniger gefährlich als die russischen.

Der Kampf der deutschen Flotte gegen die Seeblockade war erfolglos (hier am Skagerrak 1916, Gemälde von Willy Stöwer)

Im August 2020 schrieb der katholische Publizist Rod Dreher im American Conservative:

‚Viele Konservative arbeiten immer noch in einem stark veralteten Denkmuster, das Big Business für grundsätzlich konservativ hält. Die Idee, eine randianische, ist, daß die Wirtschaft der Antagonist der Regierung ist. Und so haben sich die Konservativen lange Zeit natürlicherweise auf die Seite der Wirtschaft gestellt. Aber wissen Sie was? Das Big Business steht jetzt auf der anderen Seite. Es ist vermutlich eine größere Bedrohung für konservative Werte als der Staat.‘

Rod Dreher 2020, zitiert nach David Engels, Junge Freiheit 6.12.2020.

Es hat sich die passenden ideologischen Elemente seiner linken Gegner angeeignet, zu seinen Gunsten umgepolt und sie in seinen ureigenen Globalismus eingebaut. Der Finanzglobalismus knüpft an kosmopolitische und humanitaristische Ideologien nahtlos an, worauf schon Arnold Gehlen nachdrücklich hingewiesen hatte. Kosmopolitismus des radikalliberalen Kapitalismus hat aber nicht etwa Herrschaftslosigkeit zur Folge, sondern die bedingungslose Herrschaft der Menschen und Gruppen, die über Kapital verfügen. Die französische Ökonomin Chantall Mouffe analysiert richtig:

Sie verschleiern diese Herrschaft, indem sie ihre Interessen mit denen der Menschheit identifizieren.

Chantall Mouffe, Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, 2005, 3.deutsche Aufl. 2020, ISBN 978-3-518-12483-3, S.13.

Als Wirtschaftswissenschaftler ist Klaus Schwab Gründer und Leiter des Weltwirtschaftsforums. Er unterscheidet die faktische Verflechtung von Volkswirtschaften und ihre Globalisierung von der Ideologie des Globalismus:

„Ich glaube […], man muß zwischen Globalisierung und Globalismus unterscheiden. Globalisierung ist ein Faktum, wir sind weltweit miteinander verknüpft, nicht nur durch Produktionsketten und den Güterhandel. Das wird sich vertiefen, weil sich in einer digitalen Welt die Grenzen auflösen. Globalismus hingegen ist die Auffassung, eine Ideologie fast, daß alles, was geschieht, dem Gesetz des freien Marktes unterworfen sein muß. Ohne abpuffernde Maßnahmen führt das dazu, daß die Globalisierung Abwehrreaktionen auslöst.“

Renovatio 13.5.2021, Klaus Schwab: Über das Problem des Globalismus,

In diesen nüchternen Feststellungen erweist sich der Globalismus als Ideologie, die sich tendenziell alles zu unterwerfen sucht. Ihre totale Machtergreifung soll lediglich „abgepuffert“ werden durch menschenfreundliche „Maßnahmen“. Schon in der Spätantike hatte sich der Kosmopolitismus eng verbunden mit egalitaristischen und protokommunistischen Vorstellungen, wie sie dem frühen Christentum eigen waren. Die Kirche ließ sie erst fallen, als sie reich geworden war.

„Wie man im Mittelalter im Namen Gottes Interessen- und Eroberungspolitik betrieb, betreibt man sie heute im Namen des Internationalismus, Kosmopolitismus und Humanitarismus. Sie sind “die hei­lige Dreifaltigkeit unserer Zeit.“

Klaus Kunze , Der Weg hinter Gitter ist kürzer geworden, am 17.4.1999 in Oberorke und 2000 in Bonn gehaltener Vortrag, abgedruckt in der Zeitschrift für Jäger und Korporierte 3/2000.

Kosmopolitische Händlerstaaten und die universalistische Moral

Schon mehrfach in der Geschichte gab es diesen Wechsel: vom Nebeneinander heterogener Völker und Kulturen zu einem imperialen Großreich, das diese Unterschiedlichkeit nivellieren mußte, um stabil zu bleiben. Wer einem unterworfenen Volk nicht erfolgreich erklärt, daß sein Stammesgott ein Teufel ist, wird es nicht dauernd beherrschen. Hat sich eine Macht viele Stämme und Völker untertan gemacht wie das Alexanders oder das der Cäsaren, kann die Gemeinschaft nicht durch einer stammes- oder volksbezogenene Weltanschauung gestiftet werden.

Je stärker der Strom von Menschen, Waren und Informationen in­nerhalb eines Großreiches ist, de­sto mehr Menschen werden ihrer engeren Heimat entfremdet und entwurzelt. Großreiche wie das Alexanders und das Römische brachten Men­schenmas­sen ver­schiedener Her­kunft und unterschiedlichen Glaubens unter ihre Kontrolle und ver­wan­delten sie in lenk­bare Massenmenschen. Je umfas­sender eine Herrschaft sich geo­graphisch aus­dehnt, desto dringlicher ist ihr Be­dürfnis nach einer univer­salen Herr­schafts­ideo­logie. Das Be­dürfnis nach einer uni­versa­li­sti­schen Moral ist ein wechselseitiges: Wer als Ent­wur­zelter fern der Heimat un­ter frem­den Anschauungen lebt, muß sich trösten und eine Moral der Heimat­losen annehmen, eine überall brauch­bare Ethik der Bindungslosen, der Zer­streuten, der Entor­teten, heilfroh, wenigstens noch „Verbraucher“ sein zu dürfen.

Gern bietet man uns die Vorherrschaft dieser globalistischen Ideologie als Wert und die ihr angehörenden Staaten als westliche Wertegemeinschaft an. Während es in unserem Innern, liberaler Ideologie folgend, keine Gemeinschaft mehr geben soll, sondern nur noch Gesellschaft, sollen die der Vorherrschaft des US-Finanzkapitals unterliegenden Staaten doch wieder eine “Staatengemeinschaft” sein. Die Sprachregelungen in unseren Staatsmedien sind da bezeichnend und strikt.

Die “westliche Wertegemeinschaft” unter Führung des angloamerikanischen Finanzkapitals sucht immer neue Märkte.

Auch globale Konzerne wie Google, Twitter und Facebook pflegen heute – wie Indi­vi­duen und Staaten – ihre Interessen im Vokabular uni­versaler Ziel­setzungen und weltum­spannender So­zialentwürfe zu formulie­ren. Sie nennen sie zum Beispiel „Gemeinschaftsstandards“. Dabei predigen sie nicht ganz zufällig, aber subjektiv guten Wil­­lens den Glau­ben an eine Mensch­­heitsmo­ral, die uns entmündigt und zum funktionierenden Elementarteilchen einer globalen Finanzwirtschaft herabstuft. Jede Ideologie mit globalem Anspruch ist eine ob­jektive Be­dro­hung für jedes Volk, das geistig eigenständig bleiben will. Im le­bens­wich­tigen Punkt sei­nes Glau­bens, seiner Moral, seiner Werte gleich­ge­schal­tet und fremd­­be­stimmt,

treibt das Volk „der Auflösung ent­ge­gen: zur Gegen­wehr nicht nur unfähig, sondern auch unwillig.”

Hans Dietrich Sander, Die Auflösung aller Dinge, 1988, S.109.

Wir aber wissen: 

Da drüben, jenseits des Ozeans, steht der Schuldige.

Joachim Fernau, Halleluja, Die Geschichte der USA, 1977, XXI, S.318.

Lesen Sie gern weiter in der Neuerscheinung “Staatsfeind Liberalismus”: