Haben Sie es sich einmal angetan, die Physiognomien linker Politiker oder gar Intellektueller genau zu betrachten? Sie können ja einmal Steinmeiers herabgezogene Mundwinkel mit denen vieler seiner Genossen vergleichen. Warum mag ihnen die schlechte Laune so ins Gesicht geschrieben sein?

Die Ärmsten leiden an einem unüberbrückbaren Zwiespalt zwischen der realen Welt und ihren Idealen. Wenn der Haß auf das Bestehende übermächtig wird, verwandeln solche Leute sich in Fanatiker. Das ist ein altes, sozialistisches Erbübel. Linkssozialisten von heute teilen es mit historischen Rechtssozialisten, die genauso fanatisch waren. Sie alle sähen uns am liebsten zu einem großen, vorgeblich glücklichen Kollektiv vereint – mit sich selbst als Anführern, versteht sich.

Wer seinen Realitätssinn auf dem Altar einer utopischen Ideologie geopfert hat, kommt ohne einen Feind nicht aus. Er ist es, der sich ärgerlicherweise der Erfüllung der utopischen Verheißungen in den Weg stellt. Schuld ist er, wenn zwischen Realität und Utopie weite Klüfte gähnen. Haß und Vernichtungswillen sind die Markenzeichen fanatischer Utopisten.

Ganz anders empfindet der Konservative. Er leidet nicht an der Realität, denn er hält sie ja für bewahrenswert. Er hat sein stilles Vergnügen an der Wirklichkeit, wie sie ist. Zerstört aber jemand die Grundlagen alles dessen, was er liebt, dann hat der Konservative bald nichts mehr zum Liebhaben und zum Konservieren. Er hält die große Transformation, die Zerstörung seiner Lebenswelt, für einen großen Verlust. Um sie wiederherzustellen, wandelt sich der unpolitische Konservative zu einem politisch handelnden Rechten.

Das realistische Weltbild

Haß ist dem Rechten fremd. Den Klassen- oder Rassenhaß überläßt gern gern kollektivistischen Proleten in ihren sozialistischen Träumen.

Er liebt die Welt und genießt sie. Er lebt aus dem, was immer gilt. Darum weiß er sehr genau, daß es kein absolutes Gutes und Böses gibt. Alle halten für gut, was ihnen nützt und darum in ihr Weltbild paßt, und für böse, was ihm widerstreitet. Ein und dieselbe Handlung kann als gut gelten oder als böse, je nach historischem und ideologischem Kontext: Spartanische Väter setzten schwächliche Neugeborene im Gebirge aus, was nach übereinstimmender Anschauung ihrer Zeit gut war, nach späterer christlicher aber böse. Wenn Grenzsoldaten der DDR Flüchtlinge erschossen und ihnen dafür Orden verliehen wurden, fühlten sie sich gut, lernten aber nach der Wende, daß das böse war. Aus sich selbst heraus ordnet niemand sich und sein Verhalten als böse ein. Selbst wenn ich vor Gericht Mörderinnen verteidigt hatte, fanden sie ihr Verhalten – unter uns Pastorentöchtern – völlig richtig, jedenfalls nicht für böse.

Aus realistischer Einsicht in die sich gleichbleibende menschliche Natur hassen Rechte nicht. Dafür begreifen sie zu viel und verstehen ihre Widersacher viel zu gut. Nach seiner Abkehr vom Marxismus bekannte der geniale Philosoph Panajotis Kondylis:

Eine der entscheidenden Entdeckungen  in meinem geistigen Leben, die ich glücklicherweise nicht zu spät machte,  als ich mich  selbst noch engagiert fühlte, ist, daß dein Gegenüber, die Person, die du für einen Gegner oder Feind hältst, der sogar dein Verfolger ist, ein gleichermaßen reines Gewissen und ebenfalls reine Motive haben kann wie du. Er kann von derselben unerschütterlichen Überzeugung an sein Recht inspiriert sein.

Panajotis Kondylis, Der Irrtum ist der natürliche Zustand, in: Zweiundzwanzigste Etappe, Bonn 2013-15, S.44, griechisches Original

Die Überlegenheit der Realität

Nun ist in der Welt des Geistes überlegen, wer die Realität durchschaut und nicht mit einer gefärbten Brille vor den Augen herumläuft. Als noch Menschen wähnten, es gäbe außer unserem Diesseits ein transzendentes Jenseits, hat sie das rückblickend zu vielen närrischen Fehltritten veranlaßt:

Mit Fasten und sich Kasteien wollten sie in dieses Jenseits gelangen, das sie Himmel nannten. Und in die von ihnen eingebildete Hölle schickten sie haßerfüllt diejenigen Bösewichter, die sie der Hexerei, der Teufelsbuhlschaft und ähnlicher Ferkeleien für schuldig hielten. Die modernen Wahnwelten, Himmel und Höllen sehen ein wenig anders aus, das Prinzip blieb sich aber gleich. Himmlisch wird es zugehen, wenn dereinst die Ökologie über die finsteren Heerscharen der Industrie hergefallen sein wird, doch die Hölle droht immer, und ihre Vorboten sind eine Klimakatastrophe, Seuchen und Nazi-Szenarien. Ebenso wie die Pfaffen früherer Zeiten wissen die Guten nämlich immer: Das Böse lebt, und es weilt unerkannt unter uns!

Man kann arme Irre nicht hassen, die an all so etwas glauben. Mitleid wäre angebrachter. Unser Volk wirft sich von einer kollektiven Neurose in die nächste. Sie halten alle ihre Schreckgespenster für real. Wie arme Bäuerinnen einst wirklich daran glaubten, die schielende Nachbarin habe ihren Kohl verhext, gerade so banden sie sich lächerliche Mundtüchlein gegen den vermeintlichen Seuchentod um, sehen sie überall gefährliche Nazis mit Fackeln kurz vor der Machtübernahme durchs Brandenburger Tor marschieren, und zittern sie in der Augustsonne voller Angst vor dem Klimatod.

Was für den Journalismus gilt, gilt mittlerweile für ganze Lebensbereiche. Das Gefühl, die Realität gegen eine Matrix-gleiche Version eingetauscht zu haben, steckt zumindest unterbewusst in einem größer werdenden Teil der Bevölkerung. Einen Rückzugsort gibt es nicht mehr: nicht die Kirche, nicht die Partei, nicht der Fußball, nicht der Verein, nicht einmal mehr die Kneipe. Regenbogenfahnen fordern unterschwelliges Bekenntnis. Das Politische ist im Privaten fest verankert. Bereits Nichterwähnen und Schweigen ist eine Stellungnahme.

Marco Gallina, Die Deutschen verlieren das Vertrauen in ihre Demokratie, in: Tichy’s Einblick 20.8.2023,

Nur was sich in der Realität auf vielen Straßen deutscher Städte abspielt, das sehen die Erzeuger und die Opfer dieser Matrix seltsamerweise nicht. Sie vermögen nur das zu sehen, von dem ihr Minister ihnen im Fernsehen eingeredet hat, daß es existiert. In grotesker Wahrnehmungsverweigerung sehen sie in Millionen illegaler Einwanderer eine Bereicherung, um sich dann erstaunt zu wundern, wenn es urplötzlich hundertausende Wohnungen zuwenig gibt, tausende Lehrer und Therapeuten fehlen, und daß arme Leute arme Kinder mitbringen. Verblüfft wundern sie sich, wenn Regierungsstatistiker ihnen etwas von Kinderarmut armer Kinder zuflüstern. Nur wie arm an Kindern unser Volk seit Jahrzehnten ist, das erkennen sie nicht als Grund für den Arbeitskräftemangel.

Rechte hassen nicht

In den Köpfen der linken Intellektuellen sind die Lichter seit Jahren ausgegangen. Heute dominieren jene, die nicht einmal imstande sind, die gewaltigen Waf­fen auch nur vom Bo­den zu heben, mit denen noch vor Jahrzehnten ihre Vorgänger mit Leichtigkeit fochten. Nach ihrem Marsch durch die Institutionen suhlen Linke sich in den gepolsteren Sesseln staatlicher Teilhabe. Dicke Bäuche demotivieren selbst den wildesten Revoluzzer.

Der Soziologe Robert Michels hatte schon vor über hundert Jahren das eherne Gesetz der Oligarchie aufgestellt: Kommt eine revolutionäre Gruppe nach einem Umsturz zur Macht, dann dauert es nicht lange, und sie ist in ihrem Gehabe von den gestürzten Vorgängern nicht mehr zu unterscheiden.

Im Besitze der Macht geht in dem Re­vo­lutionär eine Umwand­lung vor, an deren End­punkt er, wenn nicht der welt­an­schau­lichen Legitimation, so doch der Sub­stanz nach, den Ent­thronten so ähn­lich wird wie ein Haar dem an­de­ren.

Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demo­kratie, 1911, 4.Aufl.Stuttgart 1989, S.196.

Sollen wir dafür also jene Glücksritter hassen, die auf ihrem Grünen-Ticket an die Macht gekommen sind? Sie verhalten sich wie alle ihre rebellischen Vorgänger nach den Umstürzen von 1933, 1945 und 1989. Das ist kein Grund zur Aufregung und nichts Neues.

Dafür geben sie uns doch so viel Anlaß, herzlich zu lachen. Ich will hier keine Witze über eine Biotonne kolportieren, denn unsere neue Obrigkeit versteht nun überhaupt keinen Spaß. Bei vielen Bürgern hat es in den letzten Monaten um sechs Uhr früh geklingelt, und es war nicht der Milchmann. Aber Witze lassen sich nicht aufhalten. Humor ist immer ein Zeichen der gefühlten Überlegenheit.

Das Einzige, was für mich persönlich unerträglich ist, ist der Mangel an Humor – und Humor ist nicht so gemeint als Fähigkeit, auf Kosten anderer zu lachen, sondern die Fähigkeit, mit mir zu lachen, auf Kosten von sich selbst, die Fähigkeit, sich selbst zu relativieren. Allerdings erscheint auch der völlige Mangel an Humor verständlich und verzeihbar, wenn wir bedenken, wie tief das Bedürfnis nach Identität und wie unerbittlich die Logik zur Sicherung solcher Identität  ist. Unter diesen Umständen ist der ideologische Irrtum der natürliche Zustand, und es ist oft auch zufällig, ob der Irrtum „rechte“ oder „linke“ Vorzeichen hat. Alle haben gleiche Recht in der Illusion, da nicht alle dieselbe Fähigkeit oder denselben gleichen Mut zur Erkenntnis haben.

Panajotis Kondylis, Der Irrtum ist der natürliche Zustand, in: Zweiundzwanzigste Etappe, Bonn 2013-15, S.44, griechisches Original

Es ist sinnlos, die armen, verhetzten Psychopathen zu hassen, wenn sie im nächtlichen  Berlin Autos anzünden, wenn andere ihre Nachbarn bespitzeln und denunzieren und wieder andere sich durch das Einschleppen potenzieller Rechtsbrecher eine goldene Nase verdienen.

Jede Epoche hat ihre eigenen Plagegeister. Sie sind immer lästig wie unerwünschte Kräuter im Blumenbeet, aber wer die Ursachen ihrer Entstehung durchschaut, haßt sie nicht.

Das war zwar kein Trost für den französischen König, als sein Kopf unter dem Fallbeil linker Fanatiker lag. Aber Achtung wird er in seinen letzten Momenten vor ihnen wohl kaum gehabt haben – allenfalls einen Rest königlicher Verachtung.