Am Vorabend der Wahl

Der „Wahlkampf“ ist langweilig. Ein gut eingespieltes Parteiensystem wird die Plätze an den staatlichen Futterkrippen wieder einmal unter sich aufteilen. Es bietet dem Publikum alle paar Jahre das Schauspiel der ewigen Wiederkehr des Gleichen.

1994 habe ich geschrieben:

Vor diesem Hin­­ter­grund er­­scheinen al­le klas­si­schen Ge­wal­ten zu­züg­lich moder­ner Me­dien­ge­walt als in den Hän­den eines Par­teienkar­tells, dessen Teilsy­ste­me nach au­ßen hin Schau­kämpfe austragen, in­haltlich aber nicht für Al­ter­nati­ven ste­hen. Ihr Wahl­kampf ist Schwin­del, weil er pro­gram­ma­ti­sche Ver­schie­den­heit vortäuscht. “Es ist das glei­che wie die Kämp­fe zwi­schen ge­wis­sen Wiederkäuern, deren Hör­ner in einem sol­chen Winkel ge­­wach­sen sind, daß sie einander nicht verletzen kön­nen. Wenn er aber auch nur ein Schein­gefecht ist, so ist der doch nicht zwecklos, son­­dern hilft, die be­sondere gei­sti­ge Atmosphäre auf­recht” und ihre “Ge­­­sell­schafts­struktur intakt zu halten.”[1]

Klaus Kunze, Der totale Parteienstaat, 1994

Jahrezehntelang beschwor man die Wähler, bei dieser jeweiligen „Richtungswahl“ gehe es um alles oder nichts. Tatsächlich ging es immer nur nach links. Olaf Scholz ist einer der letzten sozialdemokratischen Realpolitiker inmitten einer sich immer weiter radikalisierenden SPD. 1946 hatte sie sich in Mitteldeutschland mit der Kommunistischen Partei Deutschlands zur SED zusammengeschlossen, die sich heute Die Linke nennt. Was SPD und Linke heute noch trennt, ist die Position  zur NATO.

Frühere sozialdemokratische Positionen nimmt heute die CDU ein. Die Parteien der sogenannten Mitte geben sich durchweg linksliberal und in den wesentlichen Fragen einig. Welche Fragen wesentlich sind, machen sie im wesentlichen unter sich aus. Pausenlos beschallen sie uns über ihre Staatssender mit ihren Themen: „Gerechtigkeit“ oder was sie dafür halten, Klimafurcht, Coronahysterie und Naziangst. Der Teufel darf bei keiner Predigt fehlen, wenn die gläubigen Schäfchen verängstigt zum Seelenhirten getrieben werden.

Was für große Teile des Volkes besonders wesentlich oder wahlentscheidend wäre, wird von den etablierten Parteien weitgehend ausgeklammert: die äußere und die innere Sicherheit auch vor dem Hintergrund ständiger Zuwanderung und mangelnde Ausgewogenheit von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Es mag barmherzig sein, wenn Millionen Wohlstandssuchender aus aller Herren Länder an die Futterkrippen unseres Sozialsystems gelassen werden. Aber ist es auch gerecht, wenn die einen jahrzehntelang arbeiten, hart sparen und manchen Kinderwunsch dem beruflichen Aufstieg opfern, während eingewanderte Großfamilien Sozialleistungen abgreifen?

Zu den Spielregeln des Machterhalts gehört es in unserem System, durch Wahlkampfstrategen und parteinahe Massenmedien „Themen zu setzen“ und andere zu umgehen. Wenn sich dann eine alternative Partei nicht sonderlich für die medial gesetzten Themen interessiert, weil sie der Schuh woanders stärker drückt, kann man dann hämisch über sie herziehen, zu den „wichtigen Zukunftsfragen“ nicht viel zu sagen.

Wenn man aber diese weltbewegenden Zukunftsfragen gar nicht für besonders relevant hält und in den Medien von nichts anderem die Rede ist, wird fernsehen und radiohören langweilig. Nachdem man 2015 rund eine Million Syrer ins Land geholt hat, auch Kinder, reibt man sich jetzt erstaunt die Augen, daß der statistische Wert der „Kinderarmut“ und die Wohnungsnot gestiegen sind. Sogleich plustern sich die üblichen Verdächtigen auf und salbadern von fehlender „Verteilungsgerechtigkeit“.

Im Westen nichts Neues

Das selbstreferentielle Parteiensystem funktioniert hervorragend. Es gehorcht nur seinen eigenen, inneren Gesetzmäßigkeiten. Diese haben seine Akteure selbst gesetzt und erhalten sie aufrecht. Die Macht hat, wer die Regeln regelt. Im Wirkungsbereich der Spielregeln dieses Systems kann eine Partei nur an den Ämtern und Pfründen teilhaben, wenn sie zuvor so wird, wie die anderen schon sind. Die Grünen sind diesen Weg gegangen. Jeder, der ihn geht, stabilisiert das System. Wer abweicht, wird mit den üblichen Methoden ausgegrenzt.

Unser Volk hat nur wenig wirklich fähige Staatsmänner hervorgebracht, unter ihnen Otto von Bismarck (Karikatur von 1879). Hier drei zu nennen, soll sie nur aus der Masse der übrigen Dilettanten hervorheben und bewertet nicht ihre inhaltlichen politischen Präferenzen.

Die Demoskopen haben vorausgesagt, daß morgen am Wahltag die große Mehrheit eine der sozialdemokratisierten Parteien wählen wird. Man hat ihnen täglich erklärt, warum diese die Guten sind und alle anderen keine Lösung für die wichtigen Fragen anzubieten haben.

Interessiert mich noch, wer demnächst Darsteller der Rollen sein wird, die vor Zeiten in Deutschland fähige Staatsmänner wie Bismarck, Stresemann oder Adenauer einnahmen? Wären ihre Epigonen auch nur mittelmäßig, könnten wir schon froh sein. Hat jedes Volk die Regierung, die es verdient?


[1] George Orwell, 1984, S.182.