Stundenlang flatterte das befruchtete Weibchen in der Sonne hin und her. Immer an der Böschung des kleinen Baches entlang suchte sie die Futterpflanze ihrer Raupenkinder: Faulbaum (Frangula alnus ). Im Garten nebenan hat sie auch auf Kreuzdorn (Rhamnus catharticus) abgelegt.
Sorgfältig heftet die Faltermutter ihre länglichen Eier, immer nur eines, an die Unterseite der Blätter. Auf der Seitenrippe des Blattes ist es hierneben zu erkennen. Die Raupe wird schlüpfen, sich noch im Sommer verpuppen und den neuen Falter freigeben.
Den neuen Falter? Ja, aber: einen anderen Falter? Wie man's nimmt:
Der Falter ist kein anderes Tier als die Puppe, aus der er schlüpfte und in der er schon verborgen ruhte. Die Puppe ist aber auch kein anderes Tier als zuvor die Raupe, das Räupchen kein anderes Tier als das Ei aus dem es gekrochen. Und das Ei? Mit welchem Recht wollen wir das Ei betrachten als ein anderes Tier als seine Faltermutter?
Amöben und ähnliche kleine Urtierchen leben potentiell ewig, indem sie sich immerfort in der Mitte teilen, und zweifellos ist jede der beiden Hälften jetzt nicht ein anderes Tier, sondern nur seine aufgeteilte und wieder erneuerte Gestalt. Höhere Tiere können sich nicht in der Mitte durchteilen und haben es doch in staunenswerter Weise geschafft, sich selbst immer wieder zu verdoppeln, zu vervielfachen.
Unter diesem Gesichtspunkt dürfen wir den Falter in allen seinen Erscheinungsformen, über Generationen und Generationen hinweg, als ein und dasselbe Tier ansehen, gerade so wie es immer ein und dasselbe Meer ist, das uns in immerwährendem Wechsel von Ebbe und Flut mal die Füße netzt und mal das Land wieder freigibt.
Wie der sagenhafte Phönix sich aus der Asche als immer wieder dasselbe Tier erhebt und nicht als ein anderes, nicht als sein eigenes Kind, sondern als er selbst, so umfaßt die Metamorphose des Schmetterlings vier Gestalten, und doch bleibt er immer derselbe.
So lebt der immer derselbe Schmetterling in seinen Kindern weiter.
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