Lange Str.28, 37170 Uslar, Inhaberin Heike Kunze
Telefax 05571-6327, Postkasten
© HeiKun-Verlag 1998

 

 

 

 

 

Klaus Kunze

Der totale Parteienstaat

 

- Abschied vom idealen Staat:

Der Weg aus der Krise des deutschen Parteiensystems -

 

 

Uslar 1998

                                       

HeiKun - Verlag

 

Titelaufnahme

 

Klaus Kunze

Der totale Parteienstaat

- Abschied vom idealen Staat - Der Weg aus der Krise des deutschen Parteiensystems

(1. Auflage 1994 ISBN 3-924329-9)

2. neu bearbeitete Auflage 1998 ISBN 3-933334-01-2

 

 

 

Gedruckt in Deutschland, Eigendruck

 

 


Inhaltsverzeichnis

Der totale Parteienstaat

Für eine gute Sace unterzugehen,

ist viel hüb<er,

al+ mit einer <lecten zu prosperieren.

Ern# Ludwig von Gerlac (1795-1877)

 

 

 

Der Bonner "Idealstaat"

Die Suche nach der idealen Staatsform ist so alt wie die Ge­schich­te abend­ländi­schen Den­kens. Platon bescherte uns nicht nur die Su­che nach dem sagenhaften At­lantis, son­dern auch die nach der ebenso sa­­gen­umwobe­nen idealen Herrschaft. Mit dem Dies­seits hat­te es der alte Philosoph nicht so sehr. Viel lieber versetzte er sich in Gedanken in ei­ne Höhle und wähn­te, das Reich seiner Gedan­ken: jenseitige "Din­­ge hinter den Din­gen", seien realer als die hand­greifli­che Wirk­lich­­keit; sie gingen den Ge­genständen voraus, so wie die Din­ge in der Höh­le ein Stück wirklicher sind als ihre Schatten­bil­der an den Wän­den. Von dieser Ide­en­gläubigkeit hat unser Den­ken sich bis heute nicht er­holt. Wie die Vi­sion ei­nes Atlantis die Phanta­sien be­flügelte, ent­zün­dete die Vorstel­lung einer ideali­sierten Ideen­welt die Herzen un­zähliger Generatio­nen. Ihr ent­stammt auch die Vi­sion ei­ner irdi­schen Welt voll­komme­ner Ge­rech­tigkeit als Ab­bild je­ner Vorstellung von ei­ner himm­li­schen Sphä­re, re­giert vom göttli­chen "Guten an sich".

Offiziell wähnte die Bonner Republik sich diesem Staatsideal so nah wie kein historisches Vorbild: der freieste Staat unserer Geschichte! Dagegen steht die Auf­fas­sung, eine idea­le Staats­­­form gebe es nicht. Jedes Sy­stem müsse sich immer neu be­wäh­ren und da­durch legi­timie­ren, was es für ein konkretes Volk in einer ge­ge­be­nen hi­stori­schen Si­tuation lei­ste. Die erste An­sicht wird ent­schie­den von dem Teil des poli­ti­schen Spek­trums und der ver­öf­fent­lich­­­ten Meinung vertre­ten, der sei­nen Vorteil aus dem Status quo zieht: Das ist vor allem das mul­ti­na­tio­nal organi­sierte Un­ter­­­neh­mer­tum mit seinem par­la­men­ta­ri­schen Arm, der FDP, es ist der ra­di­kal­li­be­rale Flügel der CDU, und es sind alle je­ne, die zwar keine Mei­nung ha­ben, aber etab­liert sind im Parteiensy­stem, der Wirt­schaft, den Ge­werkschaften oder den Medien und des­halb am Fort­beste­hen dieser Macht­strukturen ein konserva­to­risches In­ter­esse ha­ben.

Wir kritischen anderen, die wir von dieser selbsternannten Mitte als Stö­ren­friede ab­ge­stempelt wer­den, sehen das alles nicht in so ro­si­gem Licht. Wir ken­nen natür­lich aus der Schulzeit jene rüh­ren­de Ge­schich­­te, nach der wir im freie­sten Staat le­ben, den es je auf deut­schem Bo­den gab; daß un­sere Verfas­sung eine Würde habe, daß wir sie lieben und als gute Ver­fas­sungs­patrioten ­stolz auf sie sein sollen. Im Fernse­hen und bei jenen sal­bungs­vollen Weih­nachts- und Neu­jahrsan­sprachen wird diese Erinne­rung im­mer wie­der auf­gefri­scht. Es ist wie mit Kind­heitserinne­rungen an die Kon­fir­man­den­zeit: Wir kön­nen alles noch aus­wendig, nur ist uns der Glaube an die al­ten Sprüche ab­han­den ge­kom­men. Wie viele Kir­chensteuerzahler regel­mäßig ein­mal im Jahr zur Kir­che ge­hen, so ge­hen etwa 7O% der Zahler weltli­cher Steu­ern ge­wohn­heits­mäßig zu Wahlen. Doch der Glau­be ist sel­ten ge­wor­den, da­durch etwas ändern zu können, mit sei­nen Fun­da­men­tal­in­teres­sen reprä­sen­tiert zu sein oder gar an der Herrschaft kon­kret teil­zuhaben. Mit die­sem Ge­fühl der Ohn­macht nimmt die so­ge­nannte Partei­enverdros­sen­heit ge­setzmä­ßig zu.

Nachdenkliche Bürger hatten schon lange bemerkt, daß die in Bonn so genannte De­mo­kratie zwar wörtlich übersetzt Volks­herr­schaft heißt, aber keine Herrschaft des Vol­kes über sich selbst ist, son­dern die von Parteien und Inter­es­sen­verbänden über das Volk. Das Volk herrscht nur der Idee nach, aber nicht in der Wirklichkeit. Dem­gegenüber hatte sich der demo­krati­sche My­thos immer von der Er­inne­rung an gol­dene demokratische Zeit­alter ge­nährt: dem der Athener Polis, des Things, also der germani­schen Volks­ver­samm­lung, die un­ter einer mächtigen Linde zu­sammentrat und in der freie Männer ein frei­es Wort führ­ten, sich selbst Gesetze gaben und nie­man­dem un­ter­tan wa­ren. Im Gedenken an den Rüt­lischwur und in Schwei­zer For­men di­rek­ter Volks­herr­schaft ist dieses Idealbild noch le­ben­dig.

Nach der de­mo­krati­schen Grundidee sollte das Volk über sich selbst herr­schen, was ge­­danklich voraus­setzt, daß die be­feh­lenden und die ge­hor­chen­den Per­­sonen identisch sind: [1]  Das Volk würde nach dieser Vorstellung tat­säch­lich in seiner Ge­samtheit die Regierungsgewalt über sich selbst ausüben. [2]  Das kann es aber nur, indem es sich zu fest­ge­setz­ter Zeit an einem Ort ver­sammelt und über die An­ge­le­gen­heiten des Staates be­schließt; an­­ders kann sein Wille nicht ermittelt werden. [3]  In der Monar­chie hin­ge­­gen herrscht ei­ner über das Volk, in der Ari­sto­­kratie seine Besten und in der Oligar­chie we­ni­ge.

Mit der Rea­li­sierbar­keit dieser de­mo­kra­ti­schen Idee als Re­gie­rungs­form sieht es schlecht aus: Daß alle Bürger gleichzeitig und anteilig persönlich Herr­schafts­macht aus­üben und ihr zu­gleich als Regierte unter­worfen sind, ist im Mas­sen­zeital­ter praktisch und theo­retisch irreal und daher ei­ne nicht einlösbare Uto­pie. [4]  Ohne Über- und Unter­ordnung läßt sich über­haupt keine Staats­ord­nung errichten. Da nicht wirk­lich Alle al­les ent­schei­den kön­nen, läßt sich eine Regie­rungs­form nicht an­ders als durch Füh­rung oder Herr­schaft ein­zel­ner Per­so­nen oder ein­zel­ner Grup­pen denken. Auch die Bun­des­re­pu­blik ist keine "herr­schafts­freie Ge­sell­schaft", son­dern gründet sich auf die Herr­schaft der Parteien durch den Bun­des­ta­g. Ro­bert Mi­chels for­mu­lierte tref­fend, daß die Or­gani­sa­tion die Mut­ter der Herr­schaft der Ge­wähl­ten über die Wäh­ler ist. Die "Un­gläu­bi­gen an den Gott der De­mo­kra­tie" werden nicht mü­de, dar­auf hin­zu­wei­sen, daß auch unter de­mo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­­sen nur We­nige wirk­li­che Macht ausüben. [5]  "Daß das Volk in py­ra­mi­­den­för­mi­gem Aufbau sich selbst regiere", be­zeichnete Edgar Ju­lius Jung 1930 tref­fend als "ein wit­zi­ges Mär­chen." [6]  Viele west­li­che De­mo­­kra­tien sind der Re­gie­rungsform nach Par­lamen­taris­men, in denen nach ei­nem aus­ge­klü­gel­ten Aus­zähl­ver­fah­ren Re­prä­sen­tanten ge­wählt wer­­den, die über die Re­präsen­tierten herr­schen, aber kei­nes­falls Staa­ten, in de­nen das Volk per­sönlich über sich selbst herrscht oder gar herr­­schafts­­freie Gesellschaften. Die Macht geht nur vom Volk aus und damit von ihm weg. Die Herr­schen­den neh­men für sich in An­spruch, im Sinne des Vol­kes zu ent­schei­den; ge­wiß aber wird über und kei­nes­wegs durch das Volk ge­herrscht.

Mit Demokratie im ursprünglichen Sinne hat die par­la­men­ta­ri­sche Regie­rungs­form also nichts zu tun. Wer den Parlamentarismus "Demokratie" nennt, verwechselt die Staatsform mit der Regierungsform und mit der weltanschauli­che Rechtfertigung der Staatsgewalt: Staatsformen gibt es zwei, nämlich Mon­archie oder Republik. Die innere Rechtfertigung der Republik gründet auf den Glauben das Volk und seine Souveränität über sich selbst. Damit über die Regierungsform der Republik aber noch nichts gesagt: Auch ein Monarch kann sich einer Parlamentsregierung bedienen, während eine Republik ebenso von einem Einzelnen regiert werden kann wie von einer Ratsversammlung oder - in einer kleinen Stadtrepublik etwa - vom Volk selbst, das sich dann eben für alle Entscheidungen versammeln und abstimmen muß. Nur diese letzte Regierungs­form ist die eigentlich demokratische. Für eine Zukunft, in der jeder Bürger seinen Computeranschluß zum Staat besitzen könnte, können wir uns vor­stellen, vom Wohnzimmer aus mitzuent­scheiden: nicht nur alle paar Jahre über unsere Vertreter, sondern wann immer eine Mehrheit der Bürger das will. Die Utopie der Demokratie als Regierungs­form ist heute schon technisch denk­bar.

We­sent­li­che Merk­ma­le unserer heutigen, auf dem Re­prä­sen­ta­tions­prin­zip beru­henden Ver­fas­sungs­ordnung sind mit dem rein de­mo­kra­ti­schen Grund­kon­zept un­ver­ein­bar wie die Ge­wal­tentei­lung [7]  und das Selbst­ver­ständ­nis als blo­ßes Kon­flikt­re­gu­lie­rungs­system zum all­sei­ti­gen In­ter­es­sen­aus­gleich. Den Par­la­men­­ta­ris­mus als Demokra­tie zu bezeichnen hielten unsere Altvorderen für un­denkbar. Demokra­tie und Reprä­sentation schließen sich begrifflich aus. Für Rous­seau war der de­mokrati­sche Ge­mein­wille schlecht­hin un­ver­tret­bar. Das Volk kön­ne überhaupt nicht reprä­sen­tiert wer­den. [8]  Nach Ro­bert Michels ist die Idee von der Ver­tret­bar­keit der Volks­in­ter­es­sen eine durch ei­nen falschen Licht­ef­fekt her­vor­ge­rufene Wahn­idee. [9]  Mon­tes­quieu hatte die Staats­form, in der das Volk die ober­ste Ge­walt hat, kor­rekt Re­publik ge­nannt und nicht De­mo­kratie. Daß De­­mo­­kra­tie und re­prä­sen­tie­ren­de Re­pu­blik Ge­gen­sät­ze sind, wußten Kant und die amerikanischen Ver­fas­sungs­vä­ter. [10]  Auch 1968 ver­miß­ten viele in der Republik die Demokratie: Sie träum­ten den Traum von der Auf­he­bung al­ler Herr­schaft des Men­schen über den Men­schen in der an­deren Re­pu­blik, ohne das Problem zu lösen, wie im Zeit­alter der Mil­lio­nen­mas­sen je­der ein­zel­ne per­sön­lich Herr­schafts­­macht mit aus­üben soll.

Die zeitgenössischen Staatsrechtler leugnen das nicht. Heute ist un­bestritten, daß das Volk sich nur durch Repräsentation arti­ku­lie­ren kann, so daß es jeden­falls eine andere Verwirklichungsform für so etwas ähnliches wie Demo­kratie nicht gibt. Ob diese Reprä­sentati­on dann als Regierungsform oder, als "Lebensform einer plurali­sti­schen Zi­vil­ge­sell­­schaft" [11] , noch "D­emo­kratie" zu nennen ist, ist eine reine Eti­ket­ten­­fra­ge. Im phi­losophischen, histori­schen und staats­recht­li­chen Sinne ist sie es nicht. Nach Hans Herbert von Ar­nim liegt "das Grund­­übel un­se­rer De­mokratie ... darin, daß sie keine ist." Neu­er­dings spricht er sogar of­fen von einer "Pseudo­de­mo­kra­tie". [12]  Weil aber das Volk nun ein­mal an den Gott der Demokratie glaubt, ret­tet man ihn mit einem se­man­­tischen Trick: So be­zeich­net Ro­man Her­zog den Parla­men­taris­mus ein­fach als "offene De­mo­kra­tie", wo­hin­ge­gen er die ei­gent­liche De­­mokra­tie im Sin­ne ih­rer früh­neu­­zeit­li­chen Theo­reti­ker wie Pu­fen­dorf und Prot­ago­nisten wie Rous­seau mit dem Bann­­wort "totalitäre" De­mo­kra­tie in den Orkus ver­bannt. [13]  So kann man das ei­gene System wei­­ter un­ter der ge­weih­ten Fahne De­mo­kra­tie segeln las­sen, oh­ne - ein­­ge­stande­nermaßen - ei­ne sol­che zu ha­ben, und wenn je­mand keck zu fra­gen wagt, wo denn die Identität von Herr­­schern und Be­herrsch­ten und damit die er­hoffte Auf­he­bung der Herr­­schaft des Men­schen über den Men­schen blei­be, kann man ihm ein­fach ant­wor­ten: So wört­lich sei das mit der De­mo­kratie ja nicht ge­meint ge­wesen!

Die absolute De­mokratie muß sich in Herzogs Grund­gesetz­kom­men­tar über­dies den berechtigten und entlarvenden Zu­satz "to­talitär" ge­fallen lassen: Die buch­stäbli­che Herr­schaft des Volks über sich selbst, mag sie auch uto­pisch sein, würde näm­lich je­den­falls eine ge­wis­se Ho­mo­genität des Vol­kes und sei­nes Wil­lens vor­aus­setzen, was zwangs­läu­fig die­jenigen zu Feinden des "wah­ren Volks­willens" stem­pelt, die abwei­chender Mei­nung sind. Ein ein­heit­li­cher Volks­wil­le wird von de­mo­kra­ti­schen Theo­re­ti­kern wie Rous­seau seit der Auf­klä­rung über­ein­stim­mend fin­giert, weil das Ge­dan­ken­konstrukt der Herr­schaft des Volks ins­ge­samt als Re­gie­rungs­sub­jekt anders gar nicht denk­mög­lich ist. Von ihm führt ei­ne direkte ge­dank­liche Ah­nen­rei­he selbst­be­ru­fe­ner Interpreten des Volkswillens über Ro­be­spier­re, Marx und Le­nin zu Stalin und seinen To­des­la­gern. Alle forder­ten die fik­ti­ve de­mo­kra­tische Ho­mo­ge­ni­­tät praktisch ein und voll­streckten den von ih­nen erkannten, wahren Wil­len des Volks als sei­ne Avant­garde. Der Jako­bi­nis­mus des rich­tigen Be­wußt­seins und sein ein­ge­bilde­ter Ein­klang mit einem Wil­len des Vol­kes eig­nen sich vor­züg­lich zur Le­giti­ma­tion gewalt­sa­mer Ho­mo­ge­ni­sie­rung und damit Li­quidie­rung alles dem wah­ren Volks­wil­len Ent­ge­gen­ste­hen­den und Ab­wei­chen­den, wes­­­halb Herzog die abso­lute De­mo­kratie mit ehr­li­chem Ab­scheu und flinkem Eti­ket­ten­wech­sel über­haupt nicht mehr mit dem edlen Aus­druck De­mo­kratie be­zeich­nen möch­te. [14]  Wie man heute das ursprüng­liche, identi­täre Demokratiekonzept auch nennen mag: Ihm wohnt eine die Frei­heit gefährdendes Tendenz inne, und es muß notwendig in eine jakobinische Diktatur münden. [15]  

Der eigentliche demokratische Gedanke ist höchst feind­se­lig ge­gen jeden ge­rich­tet, der anderer als der Mei­nung "des Volks" ist. Aus der de­mo­­kra­tischen Grund­idee folgt, daß "das" Volk mit sich selbst als Sub­jekt politischen Han­delns iden­tisch ist, was ge­dank­­lich eine Wil­lens­über­ein­stim­mung aller vor­aus­setzt, die nur fiktiv sein kann. Oh­ne eine innere Homo­genität des Volks als Sub­jekt die­ses Willens ist sie nicht denkbar. Ihre Vor­stel­lung führt zum Dogma des ein­mü­ti­gen Volks­­wil­lens, der volonté gé­né­rale. Aus ihm leitet Rous­seau die demo­­­krati­sche Identität von Re­gie­renden und Re­gierten ab. [16]  In der De­mo­­kra­tie gibt es daher nur die Gleichheit der Glei­chen, die mit dem Volks­­wil­­len über­ein­stim­­men, und es gilt nur der Wille derer, die zu diesen Glei­chen ge­hö­ren. [17]  Be­merkt der ein­zelne nach einer Ab­stim­mung, daß er an­ders als die Mehr­heit ge­stimmt hat, so hat er sich - Rousse­au zufolge - über den wirklichen Inhalt des Ge­meinwillens eben ge­täuscht; und weil, wie Rousseau aus­drücklich fort­fährt, dieser Ge­ne­ralwillen der wahren Freiheit entspricht, war der Über­stimmte nicht frei. [18]  Die­sem demo­krati­schen Denkan­satz ist der Ge­dan­ke ge­gen den Staat ge­richteter Abwehr-, Bür­ger- oder Men­schen­rechte völ­lig fremd; Min­derheiten­schutz ist nicht vorge­sehen. Ei­nem gegen den General­wil­len ge­rich­­teten Handeln ei­ner Min­derheit würde jede innere Legi­timation feh­len. [19]  -

Auch das Bundesverfassungsgericht spricht vom Bonner par­la­men­ta­ri­schen Sy­stem be­kannt­lich nicht als von ei­ner De­mo­kra­tie, weil der in dem Wort stec­kende utopi­sche An­spruch eben nicht ein­lös­bar ist, son­dern als von ei­ner frei­heit­lichen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung, die es aus­drücklich eine "Herr­schafts­ord­nung" nennt, in der das de­mo­kratische Ele­ment nur als Ad­jektiv unter meh­reren er­scheint und durch "demokratische" Wahlen zu recht­fer­tigen ist, wo­mit all­ge­mei­ne und gleiche Wahlen gemeint sind; so­wie durch die Sou­ve­rä­ni­tät des Vol­kes. Diese allein recht­fer­tigt das Prädikat demokratisch. Schon Bodin hat­te sehr scharfsinnig un­ter­schie­den zwischen der Staatsform und der Regierungsform: Die eine fragt nur nach dem Träger der Sou­ve­rä­ni­tät, die andere nach der Regie­rungs­weise. Beides hat mit­ein­ander nicht not­wendig zu tun und ist dar­um belie­big kom­bi­nier­bar. [20]  So bleibt das Volk Träger der Staatsgewalt und bleibt die Staats­form eine Demokratie auch dann, wenn das Volk sich einen König wählt, also der monarchischen Regierungs­form bedient.

Das spe­zi­fisch De­mokratische unserer Staatsform liegt darin, daß nicht ein Kö­nig, son­dern das Volk berechtigt ist, die konstituierende Ge­­­walt auszu­üben. [21]  Des­halb liegt unserer par­la­men­ta­ri­schen Re­pu­blik die Demokratie als Staatsform zu­grunde. Ihre Verfassung recht­fer­tigt sich aus der still­schwei­­gen­den tätigen Zustim­mung des Volkes zu ihren In­sti­tu­tio­nen und Ver­fah­renswei­sen: Die Mehrheit der Bür­ger bekun­det diese Zu­­stim­­mung an Wahltagen, in­dem sie den die Ver­fassung stützenden Par­tei­en ihre Stimme gibt. Dagegen wendet das Grundgesetz nicht die demokratische Re­gierungsform an. Wie wir gesehen hat­ten, ist das gegenwärtig technisch undurchführ­bar. Deutsch­land ist heu­te der Re­gie­rungs­form nach ein de­­mo­kra­ti­scher Par­la­­­men­ta­ris­mus, nicht aber eine par­­la­men­tarische De­mo­kra­tie. Für sein Verständnis ist uner­läßlich, die demokrati­schen und die liberalen Ele­­mente ausein­anderzuhalten. De­mo­kratisch ist die Staatsform, libe­ral ist dagegen die Re­gierungs­form der par­la­mentari­schen Stell­ver­tre­ter­herrschaft, und liberal ist das rechts­staat­li­che Ele­ment.

Noch vor einigen Jahren war die Bonner Staatsdoktrin be­schei­den. Zu ihrer Recht­fertigung berief sie sich gern auf einen Churchill zu­ge­schrie­benen Satz, nach dem die parla­men­ta­ri­sche Re­gie­rungs­form zwar ei­ne denkbar schlechte sei - in­dessen sei auch ge­rade keine bes­sere zur Hand. Heute ist von solcher Be­schei­den­heit nichts mehr zu spü­ren. Je of­fen­sichtli­cher die Mängel des Sy­stems [22]  werden, je mehr Bür­ger sich von den Par­teien ab­wen­den, desto im­per­ti­nenter sti­li­sie­ren diese sich hoch zu alleinigen Ver­tre­tern der rei­nen de­mo­kra­ti­schen Lehre. Es greift ein Zungen­schlag um sich, nach dem die Wür­de der De­mokratie verteidigt werden oder be­freun­de­ten Demo­kra­ti­en ge­hol­fen wer­den muß. Die­sem Ver­fas­sungs­pa­triotismus ste­hen nicht mehr Men­schen im Vor­der­grund, die allein ei­ne Würde ha­ben kön­nen, sondern ein Sy­stem. Er ist dem­zufolge nicht primär hu­man, son­dern ideologisch. Das Nach­bar­volk, die le­bendigen Men­schen, ge­ra­ten aus dem Blick­feld. Ähn­lich­keiten der innenpoliti­schen Spiel­regeln sind Grund genug für Mil­lio­nenzah­lungen. Nicht Litau­ern oder Kroa­ten sollen wir nach dieser Meinung hel­fen, nein: Jungen De­mo­kra­tien sollen wir un­ter die Arme grei­fen, so wie früher im Ost­block welt­weit der So­zia­lismus wechsel­seitig ge­stärkt wurde.

Die Gretchenfrage ist immer die, ob ein System von Verfassungs­re­geln und Rechtsnormen dem Menschen - welchen Menschen? - die­nen soll oder der Mensch ei­nem System. "Der Maßstab des Rechts ist nicht der absolute der Wahrheit, [...] son­dern der relative des Zwecks." [23]  Re­gel­sy­steme haben keine Würde, son­dern nur ei­ne dem Men­schen die­nende Auf­gabe. Ihr Zweck ist es, den Men­schen, die sich ihrer be­dienen, größtmöglichen Vor­teil zu ermögli­chen. Da­her muß jede Staats- und Regie­rungsform sich immer wie­der neu für die­jeni­gen Men­schen be­wäh­ren, die sich ihrer in einer kon­kre­ten hi­stori­schen Lage be­dienen. Keine normative Regel kann sich an sich selbst legitimieren. [24]  Sie beruht ausschließlich auf dem existentiellen Willen des­sen, der sie zu sei­nem Nutzen erläßt.

Gesetzes- und Verfassungssysteme sind nicht ver­kör­per­te religiöse oder sittli­che Ideale, sondern je nach Bedarf wech­selnde Ein­rich­tun­gen zur Errei­chung irdischer Zwecke. [25]  Al­lein diese zweck­bezogene Be­­­trach­tung politischer Ord­nungs­vor­­stel­­lun­gen er­öff­net den nüch­ter­nen Blick auf die Dop­pel­funk­t­ion jeder Sy­stem­bil­dung: Je nach inne­rem Zustand eines Staats­we­sens vermag dieses bei äu­­ße­ren Gefähr­dun­­gen größere oder ge­rin­ge­re Ge­genkräfte zu mo­bi­lisi­eren. Man kann politische Ord­nungs­sy­ste­me aber nicht nur un­ter dem Ge­sichts­punkt be­trach­ten, daß ein Volk ins­gesamt sich ei­nes Systems von Rechts­regeln zur Si­che­rung seiner in­ne­ren Wohlfahrt und äu­ße­ren Si­cher­heit bedient. Auch inner­halb des Vol­kes gibt es In­ter­es­sen­grup­pen, die zur Ab­si­­cherung ihrer in­ner­ge­sell­schaft­li­chen Macht ein "System" er­rich­ten und ver­teidi­gen. [26]  Zum System in die­sem Sinne ge­hören ne­ben dem rein fakti­schen Herr­schafts­in­stru­men­ta­rium alle kon­kreten Ge­set­zes- und Ver­fas­sungs­be­stim­mun­gen, de­ren sich die Grup­pe zur Er­hal­tung ih­rer Macht be­dient.

Schon in ih­rem gei­sti­gen Vorfeld be­nö­ti­gen die­se mensch­li­chen Regel­werke eine tie­fere meta­physische Recht­fer­ti­gung, die sich im Fun­­dus der Gei­stesge­schichte für je­de be­liebige Herr­schaft un­schwer fin­­den läßt. Das "belebende Prinzip jeder Regie­rung", ihre "Grund­la­ge" und ihr "Widerhalt", ist der feste Glaube der Regierten an ein "Gan­zes von anerkannten Dok­trinen." [27]  Jede Welt­an­schau­ung ist in ihrem funk­­tiona­len Kern Herr­schafts­ideologie und kann daher nur ver­­stan­den wer­den, wenn sie in ih­rer konkreten hi­sto­ri­­schen Lage, [28]  und je­de ein­zelne po­li­ti­sche Be­griff­lichkeit, wenn sie in ihrer si­tua­ti­ons­­be­ding­ten po­le­mi­schen Funk­tion erfaßt wird. [29]  "Da kei­­ne zeit­ge­nös­si­sche Par­tei oh­ne ein Sy­stem von phi­lo­sophi­schen oder spe­ku­lati­ven Grund­sät­zen, die sie an ihre poli­ti­schen und prak­ti­schen an­schließt, aus­kommt, so fin­den wir, daß jede die­ser Parteien, in die die Na­tion ge­spal­ten ist, ein solches Lehr­ge­bäu­de errichtet hat, um ihre Ab­­sich­ten und Hand­lun­gen ab­zu­schir­men." [30]  "Jedes po­li­ti­sche System braucht seine Sy­stem­ideologie, um da­mit die be­ste­hen­de Form der Herr­schaft und der Macht­ausübung zu legi­ti­mie­ren." [31]  Das gilt für alle Gesell­schafts­for­mationen. Das viel­fach proklamierte Ende der Ideo­­lo­gien ist blo­ßer Bestandteil ihres ei­genen ideolo­gischen Selbst­­ver­­ständ­nisses. [32]

Die Requisitenkammern menschlicher Phantasie bersten von Glau­bens­leh­ren und hoch­tönenden Worthülsen, die sich, wenn sie nicht schon eigens zur Stabi­lisierung der Herr­schaft konkreter Menschen er­sonnen wurden, doch be­stens dazu eignen. Kluge Gesetzgeber las­sen nicht nur die guten Gründe ihres Werkes für sich spre­chen, son­dern nehmen zur Gottheit ihre Zuflucht, weil ihre Gesetze dann leich­ter an­ge­nommen werden. [33]  So herr­schen unter Be­ru­fung auf gött­li­ches oder Na­tur­recht be­quem dieje­nigen, die jeweils die De­fi­ni­tions­­macht be­sit­zen, welche kon­kre­ten Forderungen der angebe­tete Gott an die Be­herrsch­ten richtet oder welchen kon­kre­ten Inhalt das Na­­­tur­­recht angeb­lich hat. [34]  Die normativisti­sche Fiktion läßt ihren In­ter­­pre­ten getarnt im Hintergrund und soll seine Macht über die­je­ni­gen rechtfertigen, die an seine Normen glauben. Der Glau­be an ewi­ge Göt­­ter hat den Angebeteten selbst nur Psal­men­schall und Op­fer­rauch ge­bracht; den Managern ihres Kul­tes aber ge­wöhn­lich so­ziale Pri­vi­le­gien und eine sta­bi­le Herr­schaft. Selbst im Kul­tus der Gleichheit - dem So­zia­lismus - wa­ren bekanntlich die Funk­tio­nä­re "glei­cher" als die an­de­ren.

Nach dem Verfall der ge­schlosse­nen ideo­lo­gi­schen und re­ligi­ösen Welt­bil­der set­zen wir jedem Pochen auf an­geb­lich hö­he­res Recht oder auf eine me­ta­physi­sche Ge­rech­tigkeit die soziologische Frage ent­ge­gen: Wem kon­kret nützt ein Recht? Ernst von Hippel seufzte darüber re­sig­nie­rend: Nach Ver­lo­rengehen der "hö­heren Rechts­stufen" des gött­li­chen und des Na­tur­rechts sei "end­lich nur noch der Rechts­be­griff als leere Form und Tar­nung blo­ßer In­teressen wie poli­ti­scher Macht üb­rig" ge­blie­ben. [35]  In ei­ner Welt, in der keine Ordnung über dem Staat für die fried­liche Aus­tra­gung unter­schied­li­cher Vor­stel­lun­gen von Moral oder der Natur des Menschen die Ga­ran­tie über­nimmt, hat es keinen Sinn, sich auf Na­tur­recht zu beru­fen. So ist es ei­ne ty­pi­sche Leerformel, wenn Thomas von Aquin als Grundgebot des Na­tur­­rechts be­zeich­net: "Das Gute ist zu tun und ihm nach­zufolgen, und das Böse ist zu mei­­den." [36]  Nie­mand wird da wi­der­spre­chen, doch be­stimmt jeder das Gute nach sei­nen eigenen Zielen und Mög­lichkei­ten, [37]  also letztlich danach, was ihm angenehm ist, und das Böse als das, was ihm widerstrebt, [38]  so daß die allge­meine Akzeptanz eines amorphen Guten den Streit nicht ent­scheiden kann. Auch ei­ne kon­krete "hö­he­re" Ge­rech­tig­keit "an sich" kön­­nen wir nicht fin­den, ohne das for­ma­le Ge­rech­tig­keits­prin­zip - nämlich Glei­ches gleich zu be­handeln - mit unserer ganz per­sön­li­chen Welt­­an­schau­ung zu kom­bi­nieren: Kraft de­ren be­stim­men wir, wel­che konkre­ten Kri­te­rien bei­spiels­weise für ei­ne Gleich- oder Un­gleich­be­hand­lung aus­schlag­ge­bend sein sol­len. [39]  Die­se Kri­terien pflegt jeder inter­esse­ge­leitet aus­zu­wäh­len und hält ge­wöhn­lich die­je­ni­gen Ge­sichts­­punkte oder ab­strak­ten Werte für aus­schlag­ge­bend für die Fra­ge, ob zweierlei gleich sei, die gerade ihm nützen. Die Fragen nach der Natur des Menschen, den konkreten Kriterien der Ge­rech­tig­keit und den moralischen Idealen lassen sich nur durch willkürliche Ent­scheidung be­antworten, welche die ideellen Achsen der höchst­per­sönlichen Weltsicht festlegt. [40]  

Mit der Be­to­nung der Zweck­haf­tig­­keit des Rechts neh­men wir in der Neu­zeit die schon von Thrasymachos ins Feld geführ­te Beob­ach­tung auf, nach der "jeg­liche Re­gierung die Gesetze nach dem gibt, was ihr vor­teil­haft ist: die De­mokra­tie de­mokra­ti­sche, die Tyrannei ty­ran­ni­sche und die an­de­ren ebenso. Und indem sie so ge­setz­ge­ben, zeigen sie also, daß dieses ihr In­teresse (óýìöåñïí) Recht (äßêáéïí [41] ) zu sein habe für die Re­gier­ten. Und den die­ses Über­tre­ten­den stra­fen sie als außer­halb des Ge­set­zes Stehenden und un­recht Han­delnden." In allen Staa­ten werde zum Recht ge­macht, was der be­ste­henden Regie­rung nütze. [42]  "Sie sollten nicht ar­cha­ische und über­holte Rechts­vor­stel­lun­gen des Aure­lius Augu­sti­nus oder des hei­ligen Augustin aus 'De Civi­tate Dei' zitie­ren," emp­fahl da­her ein Richter am Bun­des­ge­richts­hof bitter bedau­ernd: "Recht hat mit Mo­ral nichts zu tun. Recht ist das, was durch­zu­set­zen man die politi­sche Macht hat und was dem Vol­ke nützt, wobei der Nutzen des Volkes von denen be­stimmt wird, die die Macht ha­ben." [43]  Offenherzig erklärte die Ge­meinsame Verfas­­sungskommission des 12.Bundestages in ihrem Be­richt vom 5.November 1993: "Probleme der Verfassung und der Ver­fas­­sungsreform sind letztlich politische Macht­fragen." [44]

Wer sich beherrscht fühlt und sich befreien möchte, muß das Wech­selspiel zwi­schen faktischer Herrschaftsmacht und über­wöl­ben­der Herrschaftsideologie ebenso durchschauen wie jeder, der selbst gern herrschen möchte. Herrschen bedeutet, die Spielregeln des Zu­sam­menlebens so zu setzen, daß die anderen zu tun haben, was die ei­nen wollen. Solange die "herrschaftslose" Gesellschaft ei­ne Utopie ist und wir alle diesen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind, mag sich je­der frei aussuchen, ob er lie­ber Hammer oder Am­boß sein möchte. Herr­schafts­ideologien sind abstrakte Ideen­ge­bäu­de und vermitteln Ak­zep­tanz von Herr­schaft: Solange die einen tat­sächlich an sie glau­ben, gehorchen sie "frei­willig" den anderen. So gehorchen Mon­ar­chi­sten im Glauben an das Kö­nigtum dem Mon­archen, Marxisten im Glauben an den Diamat oder den Fort­schritt ihrem Par­tei­se­kre­tär, Muslime im Glau­ben an Allahs Willen dem Imam und Demokra­ten im Glauben an die Demokratie den Bun­des­tags­ab­ge­ord­neten, ihren Ge­setzen und den politischen Ent­schei­dun­gen ih­res Kanzlers. Es ge­hört zu den erfolgrei­chen Herr­schafts­tech­niken, den Beherrschten das glückliche Gefühl zu schen­ken, ihr Gehorsam die­ne Gott oder stehe wenigsten mit einem uni­versalen Gesetz in Ein­klang, zum Bei­spiel der Humanität, dem Welt­frieden, dem hi­sto­rischen Sieg des Sozia­lismus oder der De­mo­kratie. Darum pfleg­te man früher von Got­tes Gnaden und heute im Namen des Vol­kes zu herr­schen. "Je para­diesi­scher das vor­ge­gaukelte Trug­bild, um so schmerz­loser die see­li­sche Ver­skla­vung." [45]  Es waren und sind die glück­lichen Skla­ven der Frei­heit größ­ter Feind. Die mei­sten Men­schen wollen aus in­ne­rem Be­dürfnis ein­fach glau­ben und lassen sich willig indoktrinieren, weil sie stets auf der Suche nach sinnstiftenden Angebo­ten sind und diese aus sich selbst heraus selten entwic­keln können. Wer aber selbst sitt­lich be­grün­det frei ent­schei­den will, darf an keine anbefohlenen me­ta­phy­si­schen Normen glauben. Wer an das wirkliche Walten ihm vor­ge­schriebener me­ta­phy­­sischer Normen glaubt, aufgrund deren alle Menschen in eine über­­sinnliche morali­sche Ordnung gestellt sind und diese zu ver­wirk­li­chen ha­ben, lie­fert sich denjenigen aus, die sich auf sie berufen und zu ihrem Nut­zen konkrete Verhal­tens­anweisungen auf sie stützen. 

Der Preis für das Er­ken­nen dieser Zusammenhänge ist manchem zu hoch: "Eine Zerstörung je­der übergreifenden Idee, jeder ge­schichts­­trans­zen­denten Norm," seufzt der Liberale Christian Graf von Krockow, "die Zerstörung al­ler naturrechtlichen Uni­versalismen kann fol­ge­rich­tig nur zu einer Re­duk­tion aller politischen und staats­theo­re­ti­schen Prob­leme auf die 'Macht der Tatsachen' bzw. die tatsächliche Macht füh­ren." [46]  Wie Adam und Eva vom Baume der Erkenntnis aßen und sa­hen, daß sie nackt waren, läßt das Durch­schau­en aller "na­tur­recht­li­chen Uni­ver­sa­lis­men" deren Apo­stel in ihrer Macht­aus­übung nackt da­stehen, ihrer Herr­schafts­ideo­logie entklei­det nämlich. Nicht jeder verträgt den Verlust des trü­gerischen schönen Scheins und beginnt beim Erkennen seines Nackt­seins zu frösteln. So muß un­ser nüchterner Blick auf die kon­kre­te Funktion allen Rechtes als von Menschen über Menschen ge­setz­tes Recht alle die­je­ni­gen un­be­frie­digt lassen, die nicht die Funk­tion jeder Idee als Waffe im Vor­der­grund se­hen, sondern aus dem Elfenbein­turm eso­terischer Mo­ral- oder Got­ter­kenntnis her argumentieren. Ihr Reich ist nicht von die­ser Welt, und un­se­re Überlegungen sind un­fruchtbar für sie. Wir dage­gen fra­gen bewußt nicht nach der Faktizität einer me­ta­phy­si­schen Letzt­recht­ferti­gung des Rechts, son­dern be­schränken uns prag­ma­ti­sch dar­auf, die Anmaßung der Bonner Politiker­kaste zu durch­schau­en: Sie ver­lan­gen uns mit der Herr­schaft ihres Rechts gleich auch die An­er­kennung ih­rer Moral ab und grün­den dar­auf den An­spruch, an ih­rem Recht dürfe in Ewig­keit nie­mals gerüttelt wer­den. Neugierig wa­gen wir kri­tisch zu hinterfragen: Warum eigent­lich? Mit welcher hö­he­ren Wei­he aus dem Ar­senal der Herr­schafts­ideo­lo­gien ha­ben sie sich ver­se­hen? Und vor allem: Wem nützt ihre Herr­schaft? 

Ihr um­fassendes me­ta­phy­si­sches Rechtfertigungssystem ist der Li­be­ra­lis­mus. [47]  Sein po­liti­sches Ordnungssystem ist der Par­la­men­ta­ris­mus: heute ein "wirres Ge­dankenge­bräu unserer Urgroßväter", das sich "inzwischen ver­braucht" hat. [48] Er tritt uns in Deutsch­land heute in Ge­stalt eines umfassenden Par­teien­staa­tes ge­gen­­über. Beide, die me­­ta­­­phy­sische Legi­timierung als Li­bera­lismus und ihre politi­sche Ord­nungs­­form Parla­men­ta­ris­mus, dienen letzt­lich der Auf­recht­er­hal­tung eines be­stimm­ten Status quo, in dem sich die faktische Macht­po­si­tion der­jenigen nor­ma­tiv aus­prägt [49] und sta­bilisiert, die ih­ren öko­nomi­schen Vor­teil aus einer Wirt­schafts­verfas­sung zie­hen, [50]  in der ein freies Spiel der Kräfte wei­test­möglich ist. Für diese Wirt­schaftsform hat sich die Be­zeichnung Kapitalis­mus ein­ge­bür­gert. Wir wer­den uns die Frage stellen müs­sen, ob diese Erschei­nung: die Do­mi­nanz des unmittelbar nur dem Einzelnen Nützli­chen ohne primäre Rück­­sicht auf das Ganze, diese Ge­mein­schaft schließlich zerstört und da­mit auch dem egoistischen Einzelnen die Grundlage seiner Exi­stenz ent­zieht.

Von Der Parteiendemokratie zum Parteienstaat

Während in Bonn am Rhein eine Verfassungskommission aus Par­tei­en­ver­tre­tern der Fas­sade des Grundgesetzes Verzierun­gen und Er­kerchen an­flickte, wankte bereits das ganze auf Treib­sand errich­tete Ge­bäude. Unge­achtet der immer bedroh­li­cher wer­den­den exi­stentiel­len Sor­gen und Probleme der einfa­chen Menschen des Vol­kes befas­sen die Bun­destagspar­teien sich nur noch mit ih­ren in­ternen Rivalitä­ten und der Si­che­rung ihrer Macht. Sie spie­len nach ei­nem Wort Ar­min Mohlers die "Beste aller Wel­ten", und ih­re Hof­journalisten sit­zen im Par­kett und klat­schen dazu Bei­fall. Die Zu­stim­mung der Re­gierten zu den herr­schen­den Politi­kern aber schwin­det, und mit ihr schwin­det die Zu­stim­mung zu den von ihnen installierten Spielre­geln, jenem Re­prä­sen­tati­ons­sy­stem, auf­grund dessen die einen oben und die ande­ren un­ten blei­ben. Mit dem Be­kannt­werden sy­stem­kri­ti­scher Untersu­chungen und Schluß­folge­­rungen arti­ku­liert sich das Unbeha­gen selbst in ho­hen Re­gie­rungs­krei­sen des Bonner Estab­lish­ments, und hinter vor­gehaltener Hand raunt man sich in den Amtsstu­ben der Mini­ste­ri­albürokratie zu, daß es so nicht wei­ter­ge­hen kann.

Der real existierende Parlamentarismus ist auch an der not­wen­di­gen Bil­dung ei­ner qua­li­fi­zier­ten politischen Elite ge­schei­tert. Das dem An­spru­che nach de­mokrati­sche Sy­stem ist zu einem par­tei­übergrei­fenden Kar­tell zur Posten­ver­tei­lung auf Dauer ent­ar­tet, in dem zwangsläufig die größten Op­por­tunisten nach oben ge­spült werden. Die Partei­en ha­ben ein olig­ar­chi­sches Feudalsy­stem gebil­det. Damit ver­wirklich­ten sich exempla­risch die von Ro­bert Michels schon 1911 er­kannten Ge­setz­mäßig­keiten von Par­tei­organi­sa­tio­nen und die 1923 von Carl Schmitt geübte grund­sätz­liche Kritik am Par­lamentaris­mus. Der Parteienstaat setzte die frei­heitliche demokrati­sche Grundord­nung im Sin­ne des Bun­des­ver­fassungsgerichts außer Kraft und ist nicht mehr in deren Sinne de­mokra­tisch. Er besitzt keine Lö­sungs­kompetenz für die exi­sten­tiellen Fragen des Gemein­wohls, weil er Eigensucht, Oppor­tu­nis­mus und Korruption zu Prin­zipien er­ho­ben hat.

Der soziologische Befund

Für die westlichen Bundesländer hatten Soziologen schon vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung ein zen­trales Einflußnetzwerk von nicht ganz 600 Personen fest­ge­stellt. 40% da­von sind Poli­ti­ker, 12% Mini­ste­rialbü­ro­kraten, 8% Ge­werk­schaft­ler, 8% vertreten Wirt­schaftsver­bände, und 8% sind Unterneh­mer. [51]  Es herrscht der Trend zum Be­rufs­po­li­ti­ker vor. Am wei­testen ist die Wil­lens­bil­dung in der Poli­tik miteinan­der ver­netzt. Durch viel­fache Äm­ter­häufung und Cli­quenbil­dung übt die­ser Ein­flußzir­kel eine zen­trale Wir­kung aus. [52]  "Als neue Obrig­keit wickelt der innere Kreis dieses politischen Hoch­adels al­le Staats­ge­schäfte unter sei­nes­glei­chen ab. Von den Ge­folgschaften wird be­din­gungs­lose Treue ver­langt, wofür diese dann allerlei Brosa­men er­hal­ten." [53]  "Zwi­schenparteilich entsteht" so "eine Gruppe von Ein­ge­weih­ten, die nur noch Scheinge­fechte gegeneinander liefern, um das Herz des Wäh­lers zu erfreuen. In Wahrheit sind sie sehr einig, und nur manch­mal fechten sie stille, aber erbitterte Kämpfe aus um den Anteil an der gro­ßen Futterkrippe, die Macht heißt." [54]

In der bloßen Existenz politischer Eliten liegt nicht das Pro­blem. Nach je­der Staats­um­wäl­zung und Verdrängung einer alten Elite von der Macht pflegt sich als­bald eine "neue Ari­stokra­tie" auf­zu­schwin­gen und die Rolle der alten zu be­setzen. [55]  Ro­bert Mi­chels fand das "Eherne Gesetz der Oli­garchie", nach dem in jedem Herr­schaftssy­stem nur we­nige wirkli­che Macht aus­üben. [56]  Man hat er­rechnet, daß die An­zahl der Ari­sto­kraten im za­ristischen Rußland, der aus­schlag­geben­den Lobby­isten in den USA und der No­men­kla­tura in der So­wjet­union mit 4%-6% der Bevöl­ke­rung immer annä­hernd gleich ist. [57]  Zentrales Problem ist aber, durch wel­ches Aus­le­se­prinzip welche Art von Menschen Zu­gang zur Funktionselite be­kommt und dadurch an der tatsächli­chen Aus­übung der Herr­schaft Teil hat. Daß in der heuti­gen Bundesrepublik die Art der Aus­wahl von Be­rufs­poli­ti­kern und ih­re Karriere die ent­schei­dende Schwach­stelle des poli­tischen Sy­stems ist, sieht der Kölner So­zio­loge Erwin Scheuch als nicht kon­trovers an. [58]  Die Per­so­nal­aus­wahl werde durch das Instru­ment der Wahl­li­ste bestimmt, und hier do­mi­nie­ren Ein­fluß­cliquen und Seil­schaften. Für den Be­rufs­po­litiker wird der Kampf um seine Wie­der­auf­stel­lung zur per­sön­li­chen Exi­stenzfrage, [59]  und darum wird er gna­den­los ge­führt. [60]  Nach de Jouvenels bekanntem Scherzwort braucht man, nach­dem man einmal Abgeordneter ge­worden ist, nur noch eine Sorge zu ha­ben, nämlich Abgeordneter zu bleiben. [61]  Hat der Ab­ge­ordnete ei­nen Listenplatz von seiner Partei Gnaden in der Ta­sche, ist die Wie­der­wahl meist nur noch Form­sa­che. Was das Volk von ihm hält, kann ihm gleichgültig sein. Das Ri­siko des Man­dats­ver­lusts durch eine Wahl ist mit 2%-3%, im Extrem­fall 5% der Ab­ge­ord­ne­ten au­ßeror­dent­lich gering. [62]  

Die Eigenabsicherung auf einem sicheren Listenplatz wird nach zwei Rich­tun­gen durch­ge­führt. Nach innen richtet der Berufs­po­li­tiker seine Loyali­tät auf seine Seil­schaft, al­len­falls auf seine Par­tei aus: Ganze Per­sonal­pakete werden in kleinem Kreis in­for­mell ab­ge­spro­chen und die Cli­quen­mit­glieder dar­auf fest­ge­legt, sich ge­genseitig zu wählen. Nach außen wird die Wahl je­des Dritten ver­hindert. So be­richtet Scheuch [63]  von schriftli­chen Ver­trägen ein­zelner Seil­schaf­ten in­nerhalb der Kölner CDU-Ratsfraktion mit kon­kur­rie­ren­den Seil­schaf­ten über die Auftei­lung aller erreich­baren Mandate. Kon­kur­ren­­ten wer­den aus­geboo­tet oder nach Abspra­che mit lu­krati­ven Po­sten versorgt, um sie ru­hig­zu­stel­len. [64]  Die Auf­stel­lung von Alter­nativ­kan­di­da­ten wird mög­lichst durch Sat­zungs­tricks verhindert, wie beim Ur­teil des Han­seati­schen Staatsge­richts­hofs vom 4.5.1993 für Un­recht er­kannt, als eine Ham­burger Bür­gerschafts­wahl wegen unde­mo­krati­scher Me­tho­den bei der Kan­didaten­aufstellung der CDU für ungül­tig erklärt wurde.

Auf Bundesebene und in einer Anzahl größerer Städte haben sol­che Seil­schaf­ten sich be­reits zu voll ausgebildeten Feu­dalsy­ste­men fortent­wickelt. [65]  Grund­legend für jedes Feu­dal­system ist der Tausch von Treue ge­gen Privile­gien. Wer auch nur einmal aus­schert, wird ver­sto­ßen. [66]  Wer aber mit­spielt und sich der Cli­quen­rä­son beugt, darf mit sei­ner Wiederauf­stel­lung rech­nen, denn die Clique benötigt ihn als Bau­stein ihrer Ein­fluß­zo­ne ebenso, wie er auf sie zu sei­ner per­sön­­li­chen Existenz­absiche­rung ange­wie­sen ist. Die Kleinstrukturen der Cliquen und Seilschaften [67]  setzen sich in grö­ße­rem Zu­sam­men­hang auf Bundes-, Landes- und Kom­mu­nal­ebe­ne fort. Die Parteien ha­ben Quasi-Kar­tel­le gebil­det und die Ver­sor­gungs­posten des staat­li­chen und halb­staatli­chen Be­reichs wie eine Beute­masse [68]  unter sich auf­ge­teilt. "Solche Quasi-Kartelle, die von den Betrof­fenen oft als Beleg für die »Einigkeit der Demokraten« verharm­lost werden, schalten den politischen Wettbewerb aus und entmachten den Wähler: Welche Partei auch immer er wählt, alle sind in das Kartell eingebun­den." [69]

Sie greifen direkt über so­genannte Wahl­kampf­ko­sten­er­stat­tun­gen und an­de­re unmit­tel­bare Zuwendun­gen in Hö­he von mehr als 1 Mil­liar­de DM jähr­lich in den gefüllten Steuer­topf [70]  und er­zie­len damit 60% ihrer Ein­künfte. Die Ge­setze, die ih­nen das er­lau­ben, ha­ben sie im Bundes­tag selbst beschlos­sen und repro­du­zie­ren den sie um­hül­len­den Nährspeck ständig selbst wie eine Spin­ner­raupe ih­ren Ko­kon. Die Parteien haben sich als "Absahner die Gesetze der­art hin­ge­­bo­gen, daß sie ihr Trei­ben vor aller Öffentlichkeit fortsetzen kön­nen. Wenn ein Skan­dal wie die Süßmuth­sche Dienst­wa­genaf­färe ruch­­bar wird, än­dert man ein­fach die Rechts­la­ge, nach der Frau Süß­muth ihrem Gat­ten nun­mehr ganz le­gal ihren Dienst­wa­gen über­las­sen darf. [71]  Rechnet man zu ihrer Beu­temasse noch die staat­liche Finan­zie­­­rung ihrer Par­tei­stif­tun­gen mit jährlich 500 Mio. DM, die Frak­ti­ons­­zu­schüs­se mit 100 Mio. DM und sämtli­che Dienst­bezüge der un­ter Verstoß gegen das Lei­stungsprin­zip (Art.33 GG) Pro­te­gier­ten hin­­zu, steigt sie ins Uner­meßli­che. [72]

Diese Dienstbezüge sind der wichtigste Gegenstand persönli­cher Vor­teil­nahme. Durch Zugriff auf die Besetzung lukrati­ver Posten ha­ben die Par­teien sich die Res­source "Pri­vilegien" unbe­schränkt ver­fügbar gemacht, um sich der Treue ihrer Günst­linge zu ver­si­chern. Im kom­munalen Bereich füh­ren die mei­sten Gemein­den ih­re Dienstlei­stungs­un­ter­neh­men privatrechtlich, blei­ben aber im Be­sitz der Kapi­talmehr­hei­ten und behalten damit den maß­gebli­chen Einfluß bei der Besetzung der Aufsichts­räte und an­derer Po­sten. Die Parteien versor­gen mit die­sen lukrativen Positionen ihre Stadt­ver­ordne­ten, die mit den ge­zahl­ten Spit­zenverdiensten ihr Ein­kommen ergän­zen. [73]  Noch wichti­ger sind die Auf­sichts­rats­po­sten nach Aufgabe eines politischen Amtes zur "End­la­ge­rung" [74]  ab­gehalf­terter Polit­rentner. So wech­selte der Vor­stands­po­sten bei den Kölner Ver­kehrsbetrieben, do­tiert mit 250.-350.000 DM jährlich, zwi­schen SPD- und CDU-Fraktions­vor­sitzen­den eben­so, wie die Groß­auf­träge zum An­strei­chen der Köl­ner Rhein­­brücken und die anwaltli­chen Man­date für die Rechts­ver­tre­tung der Stadt im Wechsel CDU- und SPD-Rats­her­ren zu­gute kom­men. Ein wei­te­res "Endlager" für ausgediente Partei­funk­tio­nä­re fand der SPIE­GEL [75]  in der Bun­des­zentrale für po­li­ti­sche Bil­dung.

Die Parteien haben den Zugriff auf die öffentlichen Ämter in kaum vor­stell­ba­rem Maße mono­polisiert. [76]  Sie erweitern den zu ihrer Beu­temasse ge­hören­den Kreis sy­ste­matisch [77] . Selbst Be­hör­den wer­den wie Tendenzbetriebe be­han­delt. [78]  Die Partei­en ge­ben sich neuerdings keinerlei Mühe mehr, dies zu bemänteln: Nach dem Tode des We­ser-Ems-Re­gierungspräsidenten verkündete Uwe-Karsten Heye als Spre­cher der nie­dersächsischen Landesregierung verblüf­fend offen, als Nach­folger komme der partei­lose Oldenburger Vize­präsident nicht in Fra­ge, weil es ihm an der "nötigen Farben­nähe" zur SPD-Lan­des­re­gie­rung fehle, was selbst das SPD-nahe Göttin­ger Tageblatt zu dem Ein­geständnis veranlaßte: "Jetzt ist es amtlich. In Niedersachsen gilt das Prin­zip der Parteibuchwirtschaft." [79]  Durch unver­hoh­lene Ämter­pa­­tro­nage und Partei­buchwirt­schaft [80]  fest in ihrer Hand sind der Rund­­funk, die kom­mu­nale Selbstverwal­tung, Schulen, Uni­versitäten, Bahn, Post und Sparkassen. [81]  Ferner soll auch der vor­politische Raum mit Wohl­fahrts-, Bauern- und Vertriebe­nen­ver­bänden par­tei­po­liti­scher Unterwanderung aus­ge­setzt sein. [82]  Ihr Ein­fluß hat sich quasi fett­fleckartig über alle staatlichen Insti­tu­tio­nen ausgebreitet. [83]  Selbst wohl­wollende Au­toren spre­chen von einer "Kolonialisierung" aller ge­­sell­schaft­li­chen Lebens­bereiche durch den Partei­enstaat. [84]  Den Begriff to­ta­ler Partei­enstaat [85]  formulierte Carl Schmitt ange­sichts der­selben Pro­ble­matik immerhin schon 1932 [86] ; und von Arnim nennt ihn neuerdings den "ab­so­luten Par­teienstaat". [87]  

Wie drückte es Scheuch so schön aus: "Es organisiert sich ein par­tei­übergrei­fen­des Kar­tell zur Postenverteilung auf Dauer." [88]  Es nutzt alle "Möglichkeiten, welche den Parteien zur Belohnung ihrer Ge­treuen gegeben sind. Man geht deshalb dazu über, auch die hö­he­ren Beamtenstellen zu parlamentarisieren und auf Grund stiller Han­dels­geschäfte zwischen den Parteien zu besetzen." [89]  Das Sy­stem der Macht­übernahme durch Cliquen ist nach Scheuch außer Kon­trolle. Es ist nur noch auf sich selbst bezo­gen, oder, wie es in der Soziologie heißt: selbst­re­fe­re­ntiell. [90]  In der Sy­stem­theorie nach Niklas Luh­mann be­deu­tet das, daß es nur noch auf Ver­änderun­gen im eigenen Sy­stem rea­giert. Die Po­litik in der Bundesrepu­blik ist selbst­re­fe­ren­tiell als Koa­lition von be­am­te­ten Politikern und politi­sier­ten Be­amten, um­ge­ben von Jour­na­listen des öf­fent­lich-rechtli­chen Rund­funks. Derar­tige Systeme ha­ben die Tendenz, sich zu­neh­mend zu verselb­stän­digen - hier gegen­über dem Gesamt­system "Ge­sellschaft". [91]  Damit ist aber der Eli­ten­plura­lismus und damit eine tragende Säule der Selbst­recht­fer­tigung des Sy­stems außer Kraft ge­setzt. Sie lautet, daß die "De­mo­kratie" in­sti­tutio­nell und tat­säch­lich offen und durchlässig für kon­kur­­rierende Eliten sein muß. Heute da­gegen glei­chen die Füh­rungs­gre­mien der Bun­des­tags­parteien ge­schlosse­nen Ge­sell­schaften, [92]  in die Zutritt nur dem­je­nigen gestattet wird, der den Insidern aus Grün­den der in­ter­nen Räson ge­nehm ist. [93]  Die Auswahl des ge­samten po­li­ti­schen Per­sonals ist in ihre Hände übergegan­gen. [94]  Die Führungsper­sonen spielen eine so entscheidende Rolle dabei, daß Wahlen nur ein legi­timierendes Mo­ment in einem umfassenden Pro­zeß der Koopta­tion und Selbst­re­kru­tierung der Füh­rungsgruppen darstellen. [95]  "Das wesentliche der oli­­gar­chi­schen Herrschaft ist ... der Fortbestand ei­ner gewissen Welt­­an­schau­­­ung und einer gewissen Lebens­weise. ... Eine herr­schen­­­de Grup­­pe ist so lange eine herr­schende Gruppe, wie sie ihre Nach­folger be­stimmen kann. Der Partei geht es nicht darum, ewig ihr Blut, son­dern sich selbst ewig zu behaupten." [96]

Die traditionellen Volksparteien haben durch ihre oligarchischen Bin­nen­struktu­ren nicht nur den Kontakt zur Gesellschaft in weiten Tei­len verlo­ren. [97]  Ihre Füh­rungseli­ten orientieren sich auch in­ner­par­tei­lich nicht an den Bedürf­nissen und In­teressen der schwei­gen­den Mehr­heit der Mitglieder, son­dern, z.B. in der SPD, "weit­ge­hend an den po­litischen Präferenzen der aktiven Minderhei­ten, die das Par­tei­leben bestimmen. Sie vergeben Delegierten- und Vor­stands­po­sten; ih­re Zu­stim­mung ist für die Erlan­gung von Kan­di­daturen für öffentliche Ämter unabdingbar [...] Damit aber birgt die - aus Sicht der Partei­eli­ten durchaus rationale - Orien­tie­rung der politischen Eliten der SPD an die­ser engagierten Min­der­heit der Parteiaktivisten stets die Gefahr, pro­gram­ma­tisch und ideo­lo­gisch an den Bedürfnissen und Interes­sen der schweigen­den Mehr­heit der Par­tei­mit­glie­der und erst recht der Wähler vor­bei­zu­den­ken und im politischen Ab­seits zu landen." [98]  Die­ses Fehlan­pas­sungs­syn­drom führt dazu, daß die Probleme der einfa­chen Men­schen bei den fehlangepaß­ten Parteieliten ganz unten auf der Ta­ges­ord­nung stehen. [99]

Scheuch befürchtet, daß es zu einem Kartell der großen Par­teien auf Dauer kom­men wird, [100]  und fordert daher: "Das Sy­stem selbst, die Vorherr­schaft von Cliquen auf der Ebene der Krei­se, der Un­ter­be­zirke bzw. Bezirke, ist auf Bun­des­ebene zu be­seiti­gen". [101]  Er for­dert ei­ne ra­sche Ergän­zung des jetzigen Füh­rungspersonals durch fach­lich qua­lifi­zierte Personen, [102]  sonst werde sich der Quali­tätsver­fall be­schleu­ni­gen. [103]  - Doch Systeme, deren ein­ziges for­ma­les Kri­te­rium für die Qua­lifi­kation von Kandidat­en darin be­steht, mehr­heits­fähig zu sein, haben eine eingebaute Tendenz zur Mit­tel­mä­ßig­keit. [104]  Da die haupt­sächli­chen Kriterien der politi­schen Kandida­ten­aus­wahl und Se­lektion nur die Cli­quen­loyalität und -­kon­for­mi­tät sind, kann das Sy­stem nur massenhaft Expo­nen­ten her­vor­brin­gen, die sich durch Kon­formität, Cliquen­geist und die Be­reit­schaft aus­zeich­nen, Treu­e gegen Vorteile zu ge­ben und zu neh­men. Par­teiaktivisten, denen es noch um die Sa­­che selbst geht, stö­ren [105]  und bleiben chancen­los. Amtsinhaber sperren sich gegen eine Zu­fuhr von In­telligenz, Fach­wissen und Un­abhän­gigkeit von au­ßen. Nachwuchsför­de­rung wird hin­tertrieben, weil gute Leute als Kon­kur­renten die eigene Exi­stenz ge­fähr­den könn­­ten. [106]  Jede Oli­gar­chie ist ih­rem ei­genen Nachwuchs ge­gen­über arg­wöh­nisch. Sie wit­tert in ihm Nachfolger bei Lebzei­ten. [107]

Rückgrate sind vor Betreten des politischen Parketts an der Gar­de­robe ab­zu­ge­ben. Die Zöglin­ge dieses Systems sitzen fest im Sat­tel. Sie können und wer­den die sie be­günsti­gen­den System­re­geln nicht än­dern. Darum ist das Sy­stem nach Ansicht des So­zio­lo­gen Scheuch aus sich selbst heraus re­for­munfä­hig. Es ge­horcht eben nur noch sei­nen ei­genen Ge­setzen. Scheuch sieht keine Chan­cen, daß "diese Ma­fia-Strukturen" aus den Parteien selbst heraus be­sei­tigt werden könn­ten. [108]  Wie die böse Tat, die im­mer nur Böses ge­biert, bringt das Sy­stem vorwiegend cha­rakter­losen und me­dio­kren Par­teinach­wuchs nach oben und stabili­siert sich so fort­wäh­rend selbst. "Nur wer den klassenspezifischen Polits­prech inklusive sämtlicher Ta­bus und ritueller Verbeugungen beziehungweise Abscheubezeugungen beherrscht, wird zum Klub zugelassen." [109]

Die Dogmen des liberalen Parteienstaates

Wenn die Studie Scheuchs auch bei ihren Auftraggebern in der Düs­sel­dor­fer CDU wie eine kalte Dusche gewirkt hatte - die Aus­lie­ferung wurde zunächst ge­stoppt, die Stu­die dann "zurück­ge­zo­gen" und dem Autor mit Ver­leum­dungs­anzeigen und Par­teiaus­schluß­ver­fahren ge­droht - sind ihre Er­kenntnisse doch keineswegs neu. Sie be­stätigen al­lenfalls aufs neue em­pi­risch, was an grund­sätz­licher Kri­tik am libe­ralen Par­lamen­taris­mus seit Jahr­zehnten vor­liegt. Nur weil man glaubte, in der besten aller Welten zu leben und mit dem Bonner Sy­stem den ganz großen Wurf gemacht und den Gipfel deutscher Verfas­sungs­mäßigkeit er­klommen zu ha­ben, ver­pön­te und ver­drängte man Carl Schmitt. Die­ser hatte schon 1923 erkannt: "In man­chen Staaten hat es der Parla­men­ta­rismus schon dahin gebracht, daß sich alle öf­fentli­chen Angele­gen­­hei­ten in Beute- und Kom­promißobjekte von Parteien und Ge­folg­schaf­ten ver­wandeln und die Politik, weit da­von entfernt, die An­ge­le­gen­heit einer Elite zu sein, zu dem ziemlich verachte­ten Ge­schäft einer ziem­lich verach­teten Klasse von Men­schen ge­worden ist". [110]  Über den­sel­ben Befund besteht auch heute wieder Einigkeit vom Stamm­tisch [111]  bis ins Par­lament: Statt von Po­litik- und Par­teienver­dros­sen­heit muß von einer Partei­en- und Poli­tikverach­tung ge­spro­chen werden. [112]

Liberale Verteidiger des Status quo möchten die Schuld an der 1923 wie 1994 gleichar­tigen Misere gern vom liberalen Parla­ments­sy­stem auf seine real exi­stieren­den Parteien schieben. So erklärte Hart­mut Schie­dermair unter der Über­schrift "Hände weg vom Grund­ge­setz!", die Ur­sache der "Staats­ver­dros­senheit" seien "be­kannt­­lich die po­liti­schen Parteien, deren Integrations­kraft in er­schrec­ken­der Weise nach­­gelassen habe. Kor­rektu­ren am parla­men­ta­ri­schen Sy­stem seien hier ei­ne fal­sche Therapie." [113]  Diese Aus­rede ist so falsch wie die Be­haup­tung aus der Endphase des real exi­stieren­den So­zialis­mus, ei­gentlich sei die Idee ja schön ge­we­sen - nur die SED und ihre Füh­rer seien ihr lei­der menschlich nicht gewachsen gewesen. Es gab aber kei­nen wirk­lich an­deren als den real existieren­den Sozia­lis­­mus, und ebenso hat­ten und haben an­de­re Parlamentarismen in al­len Ländern mit denselben Struk­tur­pro­ble­men zu kämpfen wie der un­serer.

Diese Schwierigkeiten hatten schon 1985 die Juristen der Staats­rechts­leh­rer­ta­gung unter die Lupe genommen und die Tagung un­ter ein Carl Schmitt ent­lehn­tes Motto ge­stellt: "Par­tei­en­staat­lich­keit - Krise des demo­kratischen Ver­fas­sungs­staa­tes?" Sie be­fan­den, daß die der­zeitige Situation des Par­tei­enstaats und seine Kri­se des Re­prä­sen­tativ­sy­stems An­laß zu größ­ter Be­sorg­nis sei­en, [114]  womit sie auf die Pro­ble­matik des Parlamen­tarismus an­spiel­ten. Von einer Krise der Demokra­tie hatten sie mit Recht nicht ge­spro­chen. Be­reits Carl Schmitt hatte die Krise der Demokratie von der des moder­nen Staa­tes und der des Parla­menta­rismus un­ter­schieden [115]  und die Krise des letzteren darin erkannt, daß seine axio­mati­schen Grund­prinzipi­en nicht funk­tionieren: Diese sind die Wil­lensbil­dung in öf­fentlicher Dis­kussion und die Gewaltentei­lung. So stellt sich die Geschichte des Parlamenta­rismus im 20. Jahrhundert als eine fortwährende Krise dar: von Carl Schmitts Kri­senanalyse schon 1923 bis hin zu v.Arnims Diktum von 1995 über die "Legitimationskrise des Parlamentarismus". [116]

Die Wahrheitsfindung in öffentlicher Diskussi­on

Ein typisch liberales Ordnungsprinzip ist das der Balance. In auf­klä­reri­scher Tradi­tion will der Liberale überall eine aus­balancierte Vielheit schaffen und er­hofft sich aus der Ausba­lancierung der Kräfte eine hö­here Harmonie. Im politi­schen Raum führt die­ses Prinzip zur Idee des Parla­ments. Seine Ra­tio liegt in der Aus­ein­an­der­setzung von Ge­­gen­sät­zen und Meinungen, aus der sich die rich­tige Entschei­dung als Resul­tat er­ge­ben soll. Aus dem frei­en Kampf der Ideen soll auf­klä­reri­sch-ra­tio­nalisti­schem Glauben nach die Wahr­heit ent­ste­hen als die aus dem Wett­be­werb sich von selbst erge­bende Har­mo­nie. [117]  Heute wird dieser Glaube als "Theorie der kommunikativen Vernunft" von Jürgen Habermas vertreten. [118]  Mit der prakti­schen Einlösung dieses Dog­­mas steht und fällt die parla­mentari­sche Idee. Zur blo­ßen Kon­flikt­re­gulierung und zum rei­nen in­ner­ge­sellschaft­li­chen In­ter­es­senaus­gleich [119]  be­dürfte es nämlich kei­ner vom ganzen Volk ge­wähl­ten Ab­ge­ordneten. Es würde ein Gre­mium genü­gen, in das die "ge­sell­schaft­lich relevan­ten Grup­pen" ihre Ver­tre­ter entsenden.

Wie sehr das Dogma von der sich aus dem freien Gedankenaus­tausch er­ge­ben­den hö­he­ren Harmonie und der sich ihm erge­ben­den "Wahrheit" noch heute Leitidee der Ver­fas­sung ist, zeigte das Bun­des­verfassungsgericht: [120]  Es geht von einem Ver­fas­sungs­ge­bot des grund­sätz­lich staats­freien und offenen Meinungs- und Wil­lensbil­dungspro­zes­ses vom Volk zu den Staatsorganen aus. Die Recht­ferti­gung staatli­chen Handelns beruht danach letztlich darauf, daß der aus einem freien Prozeß der Mei­nungsauseinan­derset­zung resul­tie­renden Ent­schei­dung eine höhere formale Le­giti­ma­tion inne­wohnen soll. Was so für das Volk insgesamt gel­ten soll, spie­gelt sich im klei­nen im Parlament wider.

Tatsächlich war demgegenüber das Dogma der Entscheidungs­fin­dung auf Grund frei­en Ge­dan­ken- und Meinungsaustauschs schon 1923 gefallen, als Carl Schmitt mit bis heute unver­änderter Aktuali­tät no­tie­ren konnte: "Die Par­teien treten heute nicht mehr als dis­kutie­ren­­de Meinungen, sondern als so­ziale oder wirtschaftli­che Macht­grup­­pen ein­an­­der ge­gen­über, berechnen die beider­seiti­gen Interessen und Macht­mög­­lichkeiten und schlie­ßen auf die­ser fakti­schen Grund­lage Kom­pro­mis­se und Koalitio­nen." [121]  "Nach liberaler Auffassung ist die Poli­tik wesentlich ein Kampf um Positio­nen, die Verfügung über administrative Macht einräumen. Der politische Meinungs- und Wil­lensbildungsprozeß in Öf­fentlichkeit und Parlament ist durch die Kon­kurrenz strategisch handelnder kol­lektiver Aktoren um den Erhalt oder den Erwerb von Machtpositionen be­stimmt." [122]

"Die Massen wer­den durch ei­nen Pro­paganda-Ap­parat gewonnen, des­sen größte Wirkungen auf einem Ap­pell an nächstliegende Interes­sen und Leiden­schaf­ten beru­hen. Das Ar­gu­ment im ei­gentlichen Sin­ne, das für die echte Diskus­sion charakte­ri­stisch ist, ver­schwin­det." [123]  "Heu­te wirkt es wie eine Satire, wenn man ei­nen Satz von Bent­ham [124]  zitiert: 'Im Parla­ment treffen sich die Ideen, die Be­rüh­rung der Ideen schlägt Funken und führt zur Evi­denz.'" [125]  Das par­lamen­tari­sche Form­prinzip der Ent­schei­­­dungsfindung aufgrund öf­fentlicher Dis­kussi­on ist längst zur in­haltslee­ren For­ma­lie de­gene­riert. Von sel­te­nen Ausnah­mefällen ab­ge­se­hen, fal­len die we­sentli­chen Ent­schei­dun­gen nicht mehr im Par­la­ment. Die wün­schenswerte demo­kratische Wil­­lensbil­dung im Volke auf­grund freier gei­sti­ger Auseinander­set­zung, die Willens­bildung "von un­ten nach oben", führt ihren Reigen allen­­falls noch über dem Sternen­zelt des Ideen­himmels, nicht aber hie­nieden im all­gegen­wärti­gen Medi­en­staat oder gar im Bundes­tag. Wirk­lich entschieden wird auf Par­tei­­ta­gen, in­for­mel­len Tref­fen von Spit­­zenpo­liti­kern, [126]  in schriftli­chen "Ver­trä­gen" ein­zelner Seil­­schaf­ten zur Aufteilung der Beute­masse, [127]  besten­falls noch in der Koali­ti­ons­­runde, aber nicht in den verfas­sungsmäßig vorgese­henen Staatsor­ga­­nen. "Frak­ti­ons­dis­zi­plin und -zwang beste­hen fort. Koali­ti­ons­ver­ein­­barun­gen legen fest, wann das Ab­stimmungs­ver­­halten im Par­la­ment den Ab­geordneten - hor­ribile dictu - frei­ge­stellt werden soll." [128]  

Koalitionen sind in der Verfassung nicht vorgesehen und beein­trächtigen ver­fas­sungsrechtliche Kompetenzen von Staatsorganen, näm­­lich die Per­so­nal­ho­heit (Art.64 I GG) und Richtlinienkom­petenz (Art.65 S.1 GG) des Kanzlers und die Ressort­kom­pe­tenz der Bun­desminister (Art.65 S.2 GG). Koalitions­ent­schei­dungen unter­liegen, da im Ge­setz nicht vorgesehen, keiner ver­fas­sungs­rechtli­chen oder sonst richterlichen Kontrolle. [129]  Wie drastisch die nach der Idee des Parla­mentaris­mus und dem Willen des Bon­ner Grundgeset­zes vorge­sehene Ent­scheidung aller Fragen des Ge­mein­wohls durch demo­kra­tisch legiti­mierte Insti­tutionen zur Farce ge­wor­den ist, schildert uns Wal­demar Schreckenberger, der von 1982 bis 1989 Staats­se­kre­tär im Bundes­kanzler­amt war und es daher wohl wissen muß. Der heu­tige Pro­fessor an der Verwal­tungs­hochschu­le in Speyer sieht die Koaliti­onsrunden als ein Sym­ptom auf dem Wege zum Parteienstaat an. [130]  

Er berichtet aus seiner Erfahrung, daß die Entscheidungs­verfah­ren in den staatli­chen Gre­mien Bundestag und -kabi­nett zuneh­mend über­lagert werden durch interne Be­schlüsse der Parteien, den wirklichen Trägern der Macht. Zwi­schen Kabinett und Koali­tions­runde habe sich eine Ar­beitsteilung ergeben, nach der die massenhaf­ten Routine­sa­chen dem Kabi­nett verbleiben, die wich­tigsten Sach- und Personal­fra­gen aber im Regel­fall von der Ko­alition vorent­schieden wer­den. Die nach­folgenden Kabi­netts- und Parla­ments­be­schlüsse er­scheinen nur noch als Voll­zugsakt vor­aus­gegange­ner Partei­ver­einba­rungen. Es entsteht zu­mindest der Schein, als sei die Regierung ein blo­ßes Durch­füh­rungsor­gan oder das ge­schäftsführende Management der sie stützen­den Par­tei­en.

Diese Beobachtung hatte Carl Schmitt schon 1923 gemacht: Die we­sentli­chen Ent­schei­dun­gen fallen in geheimen Sitzun­gen der Frak­ti­onsführer oder gar in außer­par­la­men­tari­schen Komitees, so daß eine Ver­schiebung und Auf­hebung jeder Ver­ant­wort­lichkeit eintritt und auf diese Weise das ganze par­lamentari­sche System nur noch eine schlech­te Fassade vor der Herrschaft von Partei­en und wirtschaftli­chen Interes­senten ist. [131]  Koalitionsentscheidungen sind nicht trans­pa­rent, obwohl sie im nachhinein Wahlentscheidungen ver­än­dern, wo­mit sie im Ergebnis das demokrati­sche Prinzip selbst einschrän­ken. [132]  Und Schreckenber­ger fol­gert in diesem Sinne 1992 weiter, daß diese in­stitutio­nali­sierten For­men der Ein­flußnahme und des Zu­griffs auf den Staat zwar für die Koalitions­par­teien ei­nen Machtge­winn bedeu­ten. Für eine nur dem Parla­ment ver­antwort­liche Re­gie­rung be­deu­tet es dagegen eine Her­abstufung zu einem Ausfüh­rungs­ge­­hil­fen von Par­teio­li­gar­chen. Die Regie­rungs­mit­glieder fun­gieren da­mit als Re­prä­sen­tan­ten von Gre­mien der Par­tei­enkoalition, statt von de­mokra­tisch legi­ti­mierten Staats­orga­nen, was Schrecken­ber­ger "schwer er­träglich" findet: Eine "Oligarchie der füh­ren­den Politiker bei ge­ringer Transpa­renz." [133]  Nicht weniger be­­deut­sam sei die Ein­fluß­­nahme von Koaliti­onsparteien auf den par­la­menta­ri­­schen Ent­schei­­dungsprozeß: We­sent­liche Rege­lungen eines Ge­set­zes­­ent­wurfs, die be­reits die Billi­gung der Koali­tons­runde ge­funden ha­­ben, lassen sich im Parla­ment nur noch schwer verän­dern. So wird der Staat nicht aus sei­nen ver­fas­sungsmäßigen Institutio­nen gelenkt, son­dern aus Partei­gre­mien fern­ge­steuert.

Über die Koalitionsvereinbarung zwischen den Grünen und der SDP in Nord­rhein-Westfalen schrieb Scheuch sogar: [134]  "Waren die Abgeordneten bislang schon durch die starke Stellung der Frak­tions­spitzen als Einzelpersonen weitge­hend ent­machtet, so ist dies in die­sen Koalitionsvereinbarungen noch ein Stück weiter ge­trie­ben hin zu dem Abgeordneten als Abstimmungssoldaten. Das Ko­alitionspapier ist nicht nur ein weiterer Schritt weg von einer parlamentarischen De­mo­kratie, die diesen Namen ver­dient. Es ist auch zugleich ein Schritt hin­zu einer Art Fünf-Jahres-Plan, wie man ihn aus nicht­de­mo­kra­ti­schen Regimen kennt."

Wie hatte es doch in einer Rede Hitlers auf dem Reichspar­teitag Triumph des Wil­lens ge­hei­ßen: Nicht der Staat hat der Partei zu be­fehlen, nein, die Partei schafft sich ihren Staat. Und wie war es in den kommunisti­schen Diktatu­ren des Ostblocks? "Die Partei führt, der Staat verwal­tet." [135]  Nicht die Regie­rung war al­so Trä­ger der Macht, sondern das hinter ihr ste­hende Politbüro, die Partei. Ge­nau hier ver­läuft die Scheide­li­nie zwi­schen der heute so bezeichne­ten par­la­menta­ri­schen Demokratie in Gestalt der bloßen Par­teiende­mo­kratie und ei­nem Partei­enstaat. Bei ihm ist die Macht des Vol­kes höch­stens noch Fik­tion und damit zur Fassade verkommen. Tat­sächlich herrschen ei­ne oder meh­rere Blockparteien, die sich, wozu jede zur Macht ge­langte Gruppe neigt, nach außen für das All­ge­meine ausge­ben [136]  und mit dem Staat identifizie­ren. Die Iden­ti­fi­zie­rung von Staat bzw. Re­gie­rung und Par­teien bedeutet aber schon begrifflich den reinen Par­tei­enstaat. [137]  

Keine Gewaltenteilung im Parteienstaat

Nicht besser steht es mit dem anderen parlamentarischen Grunda­xiom, der Aus­ba­lan­cie­rung der Gewalten. [138]  Die von Locke und Montesquieu ent­wic­kel­te Lehre zur Aus­balancierung der Gewalten ist eine typisch liberal-auf­klä­reri­sche Verfas­sungs­idee. Sie beruht auf der bürgerlichen Überzeugung vom Gleich­ge­wicht. Stün­den wiederstreitende Kräfte im Gleichgewicht, würden sie sich wech­selseitig ausba­lancieren und bildeten eine höhere Harmonie. Von dieser "mechanischen Gleich­gewichtsmetapher" machte auch Montesquieu ausgiebigen Gebrauch und gab ihr eine spezifische Wendung, indem er das Gleichgewicht als wünschenswerte "Mäßigung" der souveränen Staatsgewalt umschreibt. [139]

Von der Lehre Montesquieus ist heute vor­nehm­lich der Grund­gedanke an­wend­bar geblie­ben: Die Idee, dem Bürger mög­lichst viel Si­cherheit zu geben, indem die Staats­be­fugnis­se auf ver­schie­dene Häup­ter verteilt werden. Sobald in ein und der­sel­ben Per­son oder "Beamtenschaft" die legislative Befugnis mit der exe­ku­tiven verbun­den werde, gebe es keine Freiheit. [140]  

Es gab im 18. Jahrhundert andere gesellschaftliche Machtfak­to­ren. Wäh­rend heute macht­voll organisierte Inter­es­sengruppen, Parteien und Mas­sen­medien den Ton ange­ben, hatte Montesquieu als Mäch­ti­ge den König, den Adel und das Bürger­tum vor­ge­fun­den. Die­sen Gruppen versuchte er die ein­zelnen staatlichen Macht­be­fug­nisse zu­zu­ordnen, die soge­nannten Gewal­ten: Adel und Bür­ger­tum sollten, in Vertre­tungs­kör­per­schaften or­gani­siert, ge­mein­sam die Gesetze ma­chen, gegen die der König nur ein Ein­spruchs­recht hatte. Die Richter sollten jährlich aus der Menge des Vol­kes aus­ge­sucht wer­den. Weil die gesell­schaftli­che Realität und ih­re Akteure sich grundlegend ge­wan­delt haben, kön­nen Mon­tes­quieus Zuordnungen der Befug­nisse zu bestimmten Grup­pen so nicht mehr funk­tionie­ren. Seine Grund­idee kann heute nur sinn­gemäß auf die heutigen Macht­faktoren der Ge­sell­schaft ange­wandt werden.

Der gedankliche Kern der Trennung von Befugnissen und der Auf­tei­lung der Macht drückt sich in Inkompatibilitäten aus, das heißt dem Verbot, nach dem ein und diesel­be Person oder Personen­grup­pe nicht gleichzeitig zwei ver­schiedene Gewal­ten inneha­ben oder an ih­nen teil­haben darf. Das ent­spricht der Idee nach der heu­te gängi­gen Staats- und Verfas­sungs­lehre, ist im Grundgesetz aber nur in bezug auf ein­zel­ne Per­sonen verwirk­licht. So ist be­kannt, daß es gesetz­liche Ver­bote der gleichzeitigen Zu­gehörigkeit zu meh­re­ren Ge­wal­ten gibt.

Montes­quieu hatte das Verbot aber aus­drücklich weiter als heute ge­faßt und auch mit der Freiheit für un­vereinbar er­klärt, wenn ver­schie­dene Ein­zel­perso­nen aus "der­sel­ben Be­am­tenschaft" mehrere Gewal­ten inne hätten. Mit Be­dacht hatte er jede der Staats­funk­­tionen ei­ner bestimm­ten, in sich als weit­ge­hend homogen vorge­stell­ten gesell­schaftli­chen Grup­pe zugeordnet, bei­spiels­wei­se die Gesetz­gebung der­jenigen Kam­mer, die aus dem Bür­gertum her­vor­ge­gangen war und einer an­deren aus dem Adel. Keiner dieser Grup­pen ge­hörte der Kö­nig als Haupt der Exe­kutive per­sönlich an. Mon­tes­quieu hätte sich nicht einfallen las­sen, Per­sonen aus ein und derselben Grup­pe, etwa dem Adel, gleich­zeitig die Exe­ku­tive und die Mitwirkung an der Ge­setzgebung an­zu­ver­trauen. Er be­tont mehrfach, daß nicht nur eine Einzel­person keinesfalls Ein­fluß auf mehr als eine Staatsge­walt gleich­zeitig haben darf, sondern daß auch ein und dieselbe Perso­nen­gruppe nicht mehrere Staatsbefugnisse beset­zen dürfe: "Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann bzw. die gleiche Kör­perschaft ent­weder der Mächti­gen oder der Adli­gen oder des Vol­kes alle drei Machtvor­kommen aus­übte".

Als negatives Beispiel schildert Montesquieu die Situation in den ita­lie­ni­schen Re­pu­bli­ken sei­ner Zeit: "Die gleiche Beamten­schaft hat als Ausführer der Ge­setze alle die Be­fug­nisse, die sie sich als Gesetz­geber selbst verliehen hat. Sie vermag den Staat durch ih­ren Willen zu ver­heeren. Da sie auch noch die rich­terliche Ge­walt inne­hat, ver­mag sie je­den Bürger durch ihre Sonder­be­schlüs­se zu­grun­de­zurich­ten. Alle Be­fug­nisse bilden hier eine ein­zige. Ob­wohl hier keine äuße­re Pracht ei­nen despoti­schen Herr­scher verrät, be­kommt man ihn auf Schritt und Tritt zu spü­ren." [141]  "Der Des­po­tis­mus der modernen Demokratie hat einen an­de­ren Charakter, er ist viel weiterge­hender und sanfter und er­nie­d­rigt die Men­schen, ohne sie zu quälen." [142]  Der "Despotismus der Vielen" war in Montes­quieus "Augen nicht viel besser als die Despotie des Einen". [143]

Die­sen Beob­ach­tungen ent­spricht weit­ge­hend der politische All­tag der Bun­desre­publik und mar­kiert eine der bei­den ent­schei­den­den Ein­bruch­­stellen des Partei­enstaats in die ge­wal­ten­tei­lende Verfassungs­ord­nung, die deshalb, jeden­falls im klas­sischen Sinne, nicht mehr funk­tioniert. Dem englischen Vorbild fol­gend [144]  sind die ge­setzge­ben­de Ge­walt und die Spitze der Exe­ku­tive in Bund und Ländern näm­lich in dop­pel­ter Weise mit­ein­an­der ver­schmolzen:

Zum einen wird nach Art.63 und 67 GG der Kanzler vom Bun­des­tag ge­wählt und kann von ihm jeder­zeit durch einen ande­ren er­setzt werden. Durch diesen Zustand ist die Bun­desre­gierung (Art.62 GG) tech­nisch auf die Funk­tion eines Parla­ments­aus­schus­ses be­schränkt. Da auch der Kanzler selbst - nicht zwangs­läu­fig rechtlich, aber prak­tisch - Par­laments­mit­glied ist, recht­fertigt sich für die­ses Regierungs­sy­stem der Begriff Parla­ments­re­gie­rung. Dieses parlamen­tarische Re­gierungssystem ist nicht zu ver­wechseln mit der par­la­men­ta­ri­schen De­mokra­tie. [145]  Der erste Begriff ist eine ex­treme Un­ter­­­form des zweiten. Es wi­der­spricht der Lehre von der Ge­wal­ten­tei­lung und ver­­zerrt diese bis zur Unkennt­lich­keit. [146]  Hier ist das Volk nicht, wie in der monarchi­schen Re­gie­rungs­form, durch einen König re­prä­sen­tiert; es ist auch nicht als han­delnde politische Einheit - de­mo­kratisch - mit sich selbst iden­tisch; vielmehr ist die Herrschaft des Par­laments im Prinzip ein Fall von Aristokratie, oder, in der ent­ar­te­ten Gestalt, eine Oligar­chie. [147]  Wenn die Exekutive von der Legislative abhängig ist, be­steht die Gewal­tentrennung nur dem Namen nach und erfüllt ih­ren Zweck nicht. [148]

Zum anderen sind Exekutive und Legislative dadurch machtmä­ßig ver­­bun­den, daß sie beide unter dem beherrschenden Ein­fluß ei­ner Par­­tei oder Par­tei­en­koali­tion stehen und keine selb­stän­digen Ent­schlüsse zu fassen pfle­gen. Re­gie­rung und Bun­destag werden heu­te faktisch aus der Partei­zentrale der Mehr­heits­par­tei oder der Koaliti­ons­runde fern­ge­lenkt, was jede Gewal­ten­tei­lung zur blo­ßen Fik­tion werden läßt. [149]  

Nach der bürgerlichen Ideologie des Liberalismus soll eine Balance auch in­ner­halb des Parla­ments er­for­der­lich sein. [150]  Davon kann im Parteienstaat aber keine Rede sein, weil im wesentlichen dieselben, durch die 5%-Klausel unter sich blei­benden Kräfte im wesentlichen homogen sind. Durch die verbin­dende Klam­mer der Mehr­heits­par­tei(en) ver­schwindet zwischen den Ge­wal­ten je­nes Span­nungs­ver­hältnis, das für das Funk­tionieren der Ge­wal­ten­teilung grund­le­gend und un­ver­zicht­bar ist. "Die ent­schei­den­den handelnden Per­sonen sind durch­weg füh­rende Politiker der Par­tei­en. Sie nehmen gleichsam eine Inte­grati­onsfunkti­on von Re­gie­rung, Par­lament und Koali­tions­par­tei­en wahr." [151]  "Wenn sich in der politi­schen Wirk­lich­keit ei­nes Staates nicht mehr wie bei Mon­tes­quieu Le­gislative und Exe­ku­tive als mit­ein­ander echt kon­kur­rierende Gewal­ten ge­gen­über­ste­hen, sondern ei­ner­seits ein Kong­lome­rat aus Regie­rung und par­la­men­tari­scher Mehr­heit und ande­rer­seits die Oppo­sition als par­la­men­ta­rische Min­derheit, die zu­dem durch das Mehrheitsprin­zip je­der­zeit über­stimmt wer­den kann, kann von einer Gewal­tenteilung ver­nünf­ti­ger­weise nicht mehr die Re­de sein." [152]  "Wir können daher von einer Art 'Oligarchie' der Spit­zen­poli­ti­ker der Partei­en spre­chen." [153]

Das Grundgesetz kennt keine Vorkehrungen dagegen, daß ein und die­sel­be Partei die Ge­setze macht, anwendet und noch aus ihren Rei­hen Richter be­stimmt, die über die Auslegung des Ge­setzes zu wa­chen ha­ben. Es ist ge­gen­­über der Existenz politi­scher Partei­en fast blind, und in Ausnutzung dieses blinden Flecks konnten diese die Macht über Exekutive und Le­gislative voll­ständig und über die Recht­sprechung im aus­schlag­gebenden Teilbereich der Ver­fas­sungs­ge­richtsbar­keit und der oberen Ge­rich­te usurpie­ren.

Das GG nennt die Par­teien nur nebenbei in Art.21, nach dem sie an der politi­schen Wil­lens­bildung mitwirken sol­len. Die Schöp­fer der Verfas­sung hiel­ten es für ausrei­chend, die drei Staats­ge­walten institutio­nell für vonein­an­der unabhän­gig zu erklä­ren. Es soll keine Gewalt der an­deren An­wei­sun­gen geben kön­nen. Die Fülle der Macht soll auf ver­schiedene Äm­ter und Institutionen ver­teilt und ein System der "checks and ba­lan­ces" ge­schaffen werden. Die Fülle verschie­dener Äm­ter soll die Amts­träger in ihrer Macht­ent­fal­tung hemmen und ge­gen­seitig ausba­lancie­ren. Das für eine ausreichende Si­che­rung ge­gen Macht­zu­sam­men­bal­lun­gen anzusehen, ist aber na­iv, weil es die parteilichen, ämte­r­über­grei­fen­den Machtstruk­tu­ren ig­no­riert und je­den Parteigän­ger im Amte als bloßen Ein­zel­kämp­fer an­sieht. Die po­litischen Par­teien spielen sich immer mehr selbst als In­teressen­gruppen in eigener Sache auf. Weil sie die Ge­setz­ge­bung, die staat­li­chen Haus­halte und die Exekutive be­herr­schen, un­terlaufen sie die über­kom­me­nen Ele­mente ge­wal­ten­tei­len­der Checks and Balances. [154]  "Die vor­handenen checks and balances verdanken sich eher den aus­drücklichen oder still­schwei­genden Spielregeln, die das Zusammenleben von Par­teien, Ver­bänden etc. auf der unentbehrlichen Basis einer ungestörten Reproduktion der mate­riellen Vor­aussetzungen des sozialen Systems leiten, den verfassungs­recht­lichen Bestim­mungen." [155]   Wie Kondylis generalisierend ausführt, gibt es "zwei Grundformen von Nichtrealisierung der Gewalten­tei­lung", von denen er unse­re beschreibt: "Die Legislative wird zwar vom sou­veränen Volk gewählt, wie auch immer dessen Zusammensetzung ausfällt, und als Re­präsentantin des Volks­willens trifft sie souveräne Entschei­dungen. Sie wird aber ihrerseits durch die stärkste poli­ti­sche Partei beherrscht, deren aus­führendes Organ faktisch die Re­gierung ist. Die stärkste Parteiführung dominiert also im Par­lament, sie kontrolliert die Exeku­tive, und sie bestimmt direkt oder indirekt die Zusammensetzung und die Zu­stän­digkei­ten der Judikative."

Schon Montesquieu hatte dieses Konzept als unzureichend mit den Wor­ten ver­wor­fen: "Die Äm­terfülle mindert das Ämterwe­sen manch­mal. Nicht immer verfol­gen alle Ad­ligen diesel­ben Pläne. Ge­gen­sätzli­che Tribu­nale, die einander einschrän­ken, bilden sich. Auf solche Weise hat in Venedig der große Rat die Legislation inne, der Pregadi die Durch­führung, die Vier­zig die Gerichtsbe­fug­nis. Das Übel besteht aber darin, daß diese unter­schied­li­chen Tri­bu­na­le durch Beamte aus der gleichen Körper­schaft ge­bil­det wer­den. So entsteht kaum et­was ande­res dar­aus, als die eine gleiche Be­fug­nis." [156]  In Deutschland be­steht heute dasselbe Übel: Alle Ge­wal­ten sind von Mitglie­dern der­sel­ben Parteien be­setzt. Sie kon­sti­tuieren letztlich den Staat und zwin­gen allen seinen Teilen ihre Ge­setzlichkeit auf. [157]  

Ihre "fettfleckartige Ausbreitung" [158]  über alle staatlichen und halb­staat­li­chen Ein­flußbe­reiche bringt es mit sich, daß wir uns - wie im Mär­chen vom Ha­sen und vom Igel - am An­blick der Staatspar­tei­en tagtäglich er­freuen dürfen, sei es im Bun­destag, sei es in der par­tei­pro­portionier­ten Ver­wal­tung, bei den par­tei­pro­portio­nierten Ober­ge­richten oder im Medienbe­reich, dessen Chefses­sel heißbe­gehrte Beu­testücke der Parteien sind. [159]  Das Staats-Parteien­system hat die klas­si­sche Ge­walten­teilung außer Kraft ge­setzt, [160]  weil alle Ge­wal­ten glei­chermaßen von par­tei(an)ge-hörigen Seil­schaf­ten durch­setzt sind, de­nen Par­tei­räson vor Staatsräson geht. Der Par­teienstaat läßt die Ge­waltentei­lung "un­wirk­lich und fas­sa­den­haft" erschei­nen. [161]

Schon Montesquieu hatte das System der Parlamentsregierung mit den Wor­ten ver­wor­fen: "Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn es kei­nen Monarchen gäbe und die exe­ku­tive Befugnis einer bestimm­ten, aus der legislativen Kör­perschaft ausge­such­ten Per­so­nen­zahl an­ver­traut wäre, denn diese beiden Be­fugnisse wären somit ver­eint. Die­sel­ben Personen hätten an der einen und der anderen manchmal teil - und so­mit könnten sie im­mer daran teilhaben." [162]  Ge­nau die­ser Zustand kenn­zeichnet die Verfas­sungssi­tuation des Grundge­setzes. Es gibt hier schon seit No­vember 1918 keine in­sti­tutionell un­abhän­gige Re­gie­rungs­gewalt mehr: Die Regierung ist eben nur ein Parla­ments­aus­schuß und kann vom Bundestag je­derzeit ab­ge­wählt wer­den. "Zwi­schen Parlament und Regierung besteht keine Ver­schie­denheit mehr. Die stän­dige Angst der Parlamentsgewalti­gen ist, daß sich eine Re­gie­rung von ihnen unab­hängig machen könnte," [163]  was sie nach der Theo­rie der Gewaltenteilung doch müßte. "Das Par­la­ment, so­zu­sa­gen das Gehirn dieses machtgieri­gen Systems, will un­ter Be­sei­ti­gung je­der Gewaltenteilung al­lei­nige Machtquelle wer­den," warnte Ed­gar J. Jung 1930; und seit 1949 ist das dem Par­la­ment vollständig ge­lungen.

Im Vaterland von Montesquieus ist die Mit­gliedschaft in der Regierung mit ei­nem Parlamentsmandat bis heute unver­einbar. "In der Bundesrepublik Deutsch­land", klagt dagegen der Hamburger Professor von Münch, " werden im Jahre 1998 anläßlich des zwei­hundertfünfzig­jährigen Jubiläums des Erschei­nens von Montes­quieus berühmtem Werk "De l'Esprit des lois" gewiß viele kluge Reden über Sinn und Notwen­digkeit der Gewal­tenteilung gehalten wer­den. Die Verhöh­nung des Grundsatzes der Gewaltenteilung durch Minister und Abgeord­nete in einer Person wird vermutlich bleiben." [164]  Auch wenn das Grundgesetz die Unvereinbarkeit von Re­gierungsamt und Abgeordne­tenmandat im Normalfall nicht aus­drücklich vor­schreibe so bleibt dennoch die Tatsache bestehen, daß die gleichzei­tige Innehabung von Regierungsamt und Abgeordne­tenmandat eine schwerwiegen­de Durchbrechung des Grundsatzes der Gewaltenteilung darstelle, rügt v.Münch weiter und witzelt für den Fall einer Rede eines Ministers und Abgeordneten vor dem Plenum: "Der Dop­pelkopf muß vor Be­ginn seiner Re­de im Bundestag kundtun, ob er/sie als Abgeord­neter oder als Minister spricht." Zur Gewaltenteilung gehöre näm­lich auch die per­so­nelle Gewaltenteilung, die sich in Unvereinbar­keiten konkretisiert. [165]   Suche man nach Rechtfertigungsgründen für die Verein­barkeit von Regierungsamt und Abge­ordnetenmandat, so finde man nur mehr oder minder pauschale Hinweise auf "die parla­men­tari­sche Tradi­tion" oder auf 'das parlamentarische Regie­rungssystem'. Mit solchen Allgemeinplätzen lasse die Zwittergestalt eines Abge­ordnetenmini­sters oder Ministerabgeordne­ten sich aber nicht halten.

Die Rechtfertigungsversuche aus Kreisen der Nutznießer der Parteien­staat­lich­keit lau­fen auf zwei Hauptar­gumente gegen den Befund hinaus, nach dem es Gewal­ten­tei­lung im eigentli­chen Sinn in Deutschland heute nicht gibt: Zum ei­nen werde die ge­ballte Macht des rela­tiven Ab­so­lutis­mus, der durch die unum­schränkte Herr­schaft der Par­la­ments­ma­jorität (auf Dauer ei­ner Legis­latur­pe­riode) ge­schaffen wird, dadurch gemildert, daß es zwei Parteien gebe, die sich in der Herr­schaft re­gelmäßig ab­lö­sten. Zum anderen ge­währleiste der Fö­deralis­mus eine gänz­lich neue Art verti­kaler Gewalten­teilung. Das Argument mit den einan­der ablö­senden Parteien mag viel­leicht im England ver­gan­ge­ner Jahrhun­derte funktioniert ha­ben. Die heu­ti­gen Groß­par­teien aber durch­drin­gen alle Le­bens­berei­che und wol­len ge­meinsam jede Al­ternative vom Zu­­gang zu Macht und Pfrün­den aus­schließen. Ein Wettbe­werb mit ge­wal­ten­tei­lender Ne­benwirkung fällt da­her aus. [166]  Ihre poli­tischen Positio­nen äh­neln ein­ander zum Ver­wechseln. Überdies hat seit Be­stehen der Bun­des­re­publik noch nicht ein einziges Mal das Volk in einer Bun­des­tags­wahl ei­nen Regie­rungs­wechsel erreicht, weil un­ge­ach­tet der Stärke der bei­den Groß­parteien stets die FDP als Mehr­heits­be­schaffer den Aus­schlag für die eine oder die an­de­re Ko­a­li­tions­re­gierung gab. Das Ar­gument der Machtmin­de­rung durch zwei aus­­ba­lan­cierte Par­teien zieht also nicht. Auch das Ar­gu­ment, der Födera­lismus schaf­fe eine Machtauf­glie­de­rung neuer Art, ersetzt nicht die Notwendig­keit der klas­si­schen Ge­wal­tentei­lung. Die Über­macht der Groß­struk­tu­ren politi­scher Mas­sen­partei­en bricht sich kei­neswegs an Län­der­grenzen.

Das entscheidende Versagen des Grundgesetzes liegt darin, daß es eine reine Par­tei­en­par­la­ments-Herrschaft zuläßt und seinen Parla­ments­par­teien den un­um­schränk­ten Zu­griff auf alle Gewalten er­mög­licht, weil es ihn nicht verbie­tet. So entstand das Ge­gen­teil von einer Ge­wal­ten­teilung: eine Ge­wal­tenverfil­zung [167]  näm­lich. Die Gewalten­tei­lung ist hier und heute kein echtes poli­tisches Machtvertei­lungs­prinzip mehr, son­dern sie ist zu einer reinen Zu­ständigkeits­auftei­lung von Gre­mien ver­kommen, die al­lesamt in den Hän­den der­selben "Beam­ten­schaft" (Mon­tesquieu) bzw. Parteien liegen. Die Omni­po­tenz dieser Parteien [168]  tendiert zum Einpartei­en­staat. [169]  Da­bei kann "die Par­tei" im funktio­nalen Sinne durchaus auf meh­rere un­selb­stän­di­ge (Modell DDR) oder selb­stän­dige (Modell BRD) Organi­sationen ver­teilt sein, wenn diese ih­re Claims abge­steckt ha­ben, ge­mein­sam aber den we­sentlichen Teil der Staatlichkeit be­setzt halten. Agnoli hat das die plurale Form einer Ein­heits­partei [170]  ge­nannt.

Auch v.Arnim zieht ausdrücklich die Parallele zu den früheren "kommuni­sti­schen Monopolparteien": Etwa "hinsichtlich neuer Diätengesetze" sehe sich der Bürger "regelmäßig einem Kollektivmonopol der etablierten Parteien gegenüber. Diese verhalten sich also dort, wo sie durch Blockbildungen in Sachen Politikfi­nanzierung die Konkurrenz ausschalten, partiell selbst wie Einheits­parteien östli­chen Musters." Sie tendieren dabei, mit den Worten v.Arnims, zu einem neuen Absolutismus. Durch ihre Gesetzentwürfe anläßlich der Parteienfinanzierung 1995 versuchten die Parteien, "sich zum eigenen Wohl aller [demokratischen und richter­lichen] Kontrollen ein für allemal zu entledigen und sich dadurch in Sa­chen eigener finanzieller Ausstattung jetzt und in Zukunft praktisch kontrollos zu stellen. Das ist das Gegenteil dessen, was das Prinzip der Gewaltenteilung ver­langt." "Hat sich die "politische Klasse" aber erst einmal in bezug auf ihre eigene Finanzierung der Kon­trollen entledigt, wird dieses - aus ihrer Sicht - bestechende und das Regieren scheinbar so sehr erleichternde Vorgehen auch auf nichtfinan­zielle Bereiche über­greifen, in denen es um Eigeninteressen der politischen Klas­se geht." [171]

 "Je mehr sich die Partei­en den Staat zur Beute ma­chen und da­mit zu Staats­par­teien de­generie­ren, desto mehr hebt sich der Par­tei­ens­taat nur noch durch das Mehr-­Parteiensy­stem von der Par­tei­dik­ta­tur ab." [172]  Faßt man den Dikta­turbegriff nicht verfassungsrechtlich, son­dern versteht darunter jede schran­kenlose Macht­ausübung, rechtfertigt sich gar der Satz: Heute, Ende des 20. Jahrhunderts, stellt die Diktatur un­serer Par­tei­funk­tio­nä­re, Parteiapparate, Parteizentralen zweifellos eine sehr auf­geklärte, wenn auch die typi­schen Ohn­­­­­-machtsgefühle her­vorru­fende Diktatur dar." [173]

Dies ist umso be­denkli­cher, weil sich die zwei großen Par­tei­­en pro­gram­ma­tisch einander annä­hern. [174]  Nach Parallelen zwi­schen den Block­­wah­len in der DDR und Blockwahlen innerhalb der Bon­ner Par­tei­en befragt, antwortete der Soziologe Erwin Scheuch an­hand per­sönlicher Erfah­rungen: "Wie in der DDR! Wir ha­ben noch meh­­re­re Parallelen zur DDR." [175]  Vor diesem Hin­­ter­grund er­­scheinen al­le klas­si­schen Ge­wal­ten zu­züg­lich moder­ner Me­dien­ge­walt als in den Hän­den eines Par­teienkar­tells, dessen Teilsy­ste­me nach au­ßen hin Schau­kämpfe austragen, in­haltlich aber nicht für Al­ter­nati­ven ste­hen. Ihr Wahl­kampf ist Schwin­del, weil er pro­gram­ma­ti­sche Ver­schie­den­heit vortäuscht. "Es ist das glei­che wie die Kämp­fe zwi­schen ge­wis­sen Wiederkäuern, deren Hör­ner in einem sol­chen Winkel ge­­wach­sen sind, daß sie einander nicht verletzen kön­nen. Wenn er aber auch nur ein Schein­gefecht ist, so ist der doch nicht zwecklos, son­­dern hilft, die be­sondere gei­sti­ge Atmosphäre auf­recht" und ihre "Ge­­­sell­schafts­struktur intakt zu halten." [176]  

So be­steht der Zweck der Groß­­par­teien heute haupt­säch­lich da­rin, Wahl­verein für den ei­nen oder den an­de­ren Kanz­ler zu sein - eben Scheuchs Po­sten­vertei­lungs­kar­­tell auf Dau­er. In ihrer wech­sel­sei­tig sich sta­bi­li­sie­ren­den ge­gen­sei­ti­gen Be­zo­genheit glei­chen sie den drei glo­balen "Su­per­staaten" in George Or­wells 1984, die "einander nicht überwin­den kön­nen, son­dern auch kei­nen Vorteil da­von hät­ten. Im Ge­genteil, so­lan­ge sie in ge­spanntem Ver­hältnis zueinander ste­hen, stüt­zen sie sich ge­genseitig wie drei an­ein­andergelehnte Ge­trei­de­gar­ben." [177]  In Wahl­kampf­zeiten re­duzieren sie und ihre Medi­enstrategen die Wahl­ent­schei­dung der Bür­ger gern auf polarisie­ren­de Parolen wie "Frei­heit oder So­zia­lis­mus" erzeugen ope­rativ den Eindruck ei­nes Kopf-an-Kopf-Rennens der Kandidaten der Groß­parteien, um den Wähler in eine Schein­al­ter­na­tive zu zwin­gen und die ohnehin klei­ne Kon­kurrenz aus dem Wäh­ler­bewußt­sein zu til­gen. Im End­ef­fekt ent­wickelt Deutsch­land sich vom par­tiellen zum ten­den­ziell tota­len Par­tei­en­staat [178] , in des­sen Rah­men die Par­tei­en ei­ne schall­schluckende Sty­ro­por­schicht bilden, in der die Rufe der Wäh­ler verhal­len [179] , und die sich immer dich­ter, drüc­ken­der über ein Ge­meinwe­sen legt, in dem die angebliche Ge­wal­tentei­lung längst zur Lebens­lüge [180]  ge­wor­den ist.

Der systemtheoretische Ansatz

Die Gesellschaft erobert den Staat

Jeder Herr­schaftsordnung liegt die Unter­scheidung zwischen Herr­schen­den und Beherrschten zugrunde. Eine Ordnung ohne Herrschende und beherrschte ist Utopie. Auch das Grundgesetz Deutschlands geht von Herrschaft aus. Mit Recht definiert das BVerfG es ausdrücklich als Herrschaftsordnung.

Die Be­herrschten sind das Staatsvolk. Wenn wir es als Ob­jekt zu seinem re­gie­renden Subjekt in Be­ziehung setzen, kön­nen wir es sinnvol­ler­weise auch als Ge­sell­schaft in Bezie­hung auf die Staats­gewalt be­zeich­nen. Dem Dualismus von Staat und Gesell­schaft entspricht strukturell der von Exekutive und Legis­la­tive. Schon in Mon­tes­quieus Lehre vertritt der König als Re­gieren­der den Staat, wo­hin­gegen Bür­ger­tum und Adel (heute gemein­sam "Volk") das Ob­jekt der Re­gierung sind und die Gesellschaft bilden. Sie steht damit der staatlichen Re­gie­rungs­ge­walt ge­genüber. Sie organisiert sich im Parlament und setzt sich dort au­tonom ih­re Rechts­re­geln. Wer diese Trennung von Staat und Gesellschaft aufhebt, entfesselt einen absoluten Staat oder eine absolute Gesellschaft. Beide garantieren das Ende der individuellen Frei­heit. Deutschland tendiert heute zur absoluten Gesellschaft.

Staat und Gesell­schaft miteinander verschmelzen zu lassen oder dem Staat die Rolle des Regierens und der Gesellschaft die der auto­nomen Recht­setzung zuzu­ord­nen, Staat und Ge­sell­schaft damit als funktional gewaltentei­lend zu trennen, ist die Gretchen­frage heutiger Staats­wis­senschaft. [181]  Wo die Gewalten nicht geteilt sind, herrscht Diktatur. Absoluter Staat und absolute Gesellschaft sind solche Diktaturen, weil sie keine Gewaltenteilung besitzen, sondern sich alle Gewalten in Händen des Staates oder in Händen der vorherrschenden gesellschaftlichen Mächte befinden.

Zwi­schen der Skylla des absoluten Staates und der Chary­bdis des absoluten Ge­sellschaft bedeutet Ge­wal­ten­tei­lung, den exekuti­ven Teil der (theoretisch als umfas­send vor­ge­stell­ten) Staats­gewalt dem Staat als sol­chem und den le­gis­la­ti­ven Teil der Ge­sell­schaft zu­zu­wei­sen und diese somit vom Staat so­wohl zur Wah­rung ihrer Frei­heit ab­zugrenzen als auch funk­tio­nell zu in­te­grie­ren. So gese­hen liegt der Ge­walten­teilungs­leh­re Montes­quieus faktisch die Trennung von Staat und Gesell­schaft zu­grunde. [182]  Ohne diese Tren­nung gibt es keine Frei­heit: wenn die Ge­sell­schaft den Staat be­herrscht und zur absoluten Ge­sell­schaft wird ebensowenig, wie wenn um­gekehrt der Staat die Ge­sell­schaft ver­staatlicht und zum absoluten Staat wird. "Die Ge­schich­te kennt in Wahrheit nur zwei große Ge­gen­sätze in der Staats­auf­fassung: Frei­heit und Absolutismus. Fälsch­li­cher­weise wird unter Ab­so­lu­tis­mus nur die offe­ne Gewaltherrschaft" des Staa­tes "verstanden, wäh­rend de­ren ver­deckte Form meist über­se­hen wird:" [183]  die ab­so­lute Herrschaft der indirekten ge­sell­schaft­li­chen Ge­wal­ten.

Wenn der Staat die Gesellschaft an seine Macht kettet, lassen beide sich vonein­ander nicht mehr unterscheiden. Dasselbe gilt, wo gesellschaftliche Kräfte den Staat erobert haben. Überall dort, wo Staat und Gesellschaft ununterscheidbar ineinander verwoben sind, gibt es keine Ge­walten­tei­lung. Daß es im Staatsabsolutismus keine individuelle und keine gesellschaftliche Freiheit gibt, muß ich nicht eigens begrün­den. Aber auch die Ver­ei­ni­gung der Ge­wal­ten in der Hand eines einzelnen Bürgers, einer ideologischen Formation, einer Par­tei oder eines anderen Macht­kartells läßt zwangsläufig Staat und Ge­sellschaft in­ein­ander über­­ge­hen. Damit ist aber eine Grund­­be­din­gung mensch­li­cher Frei­heit besei­tigt: [184]  näm­lich der gesellschaftlich neutrale Rechts­staat.

Nur er ist Schutz­macht der in­ner­ge­sell­schaft­lich Schwa­chen gegen die Star­ken, [185]  er schützt die Armen vor Ausbeutung, die Alten vor dem Elend, die Ungebo­renen vor dem Egoismus der Lebenden. Er hütet die Frei­heit gegen Übergriffe wohl­or­ga­ni­sierter Macht­grup­pen und wahrt des Rechts­friedens ge­gen das Faustrecht und die la­tent bür­ger­kriegs­berei­ten inner­gesell­schaftli­chen Machtgrup­pen. Nach Lo­renz von Stein be­steht das innerste Prinzip des Gesell­schaft­li­chen in der Unter­­wer­fung der Einzelnen unter die vie­len an­deren Ein­zel­nen. Es führt also not­wen­dig zu Un­frei­heit. Es steht damit im di­rekten Wi­der­spruch zum Prin­zip des Staates als der sitt­lich ver­ant­wor­teten Freiheit und damit dem wah­ren Wil­len und Wohl der All­ge­mein­heit. Während da­her das Prinzip des Ge­sell­schaft­li­chen das Inter­es­se ist, ist das des Staa­tes die Frei­heit. [186]  Dazu ist er da, er ist nicht Selbstzweck. Freiheit im neu­zeitlichen Sin­ne be­deutet, den Bürger als Staatsbürger von gesellschaftlichen Zwän­gen zu befreien.

Beide Prinzipien - Staat und Gesellschaft - haben ihre Daseinsberechtigung. Da­her darf kei­nes das an­dere ver­nichten. Menschen sind von Natur aus Einzel­per­sön­lichkeiten und Ge­mein­schafts­we­sen. Als auf Individualität be­dachte Einzelne bilden sie in ihrer Summe eine Gesell­schaft; in­so­weit sie aber sozialverbunden und -be­dürftig sind, bilden sie Ge­mein­schaf­ten wie Fa­mi­lie und Staat, die mehr be­deuten als die Sum­me ihrer Teile, und sind auf diese be­zo­gen. Die Gesell­schaft ist das Innenle­ben der Gemein­schaft. Beide Aspekte menschlicher Existenz sind glei­cher­ma­ßen real und in jedem Menschen vorhanden. Sozialver­bun­den­heit und Ein­zel­per­sön­lich­keit sind zwei er­gän­zungs­be­dürf­ti­ge Aspek­te des Menschen und ver­kör­pert in Staat und Ge­sell­schaft. Kei­ner dieser As­pek­te darf ex­tre­mi­stisch verabsolutiert werden. Trotz seiner Ei­gen­ständigkeit braucht der Mensch die Gemeinschaft, ist auf sie be­zogen und bleibt da­her Mensch in der Ge­mein­schaft. [187]  Die Bindung an die im Staat ver­kör­perte Gemeinschaft verhindert, daß Frei­heit zur ego­zen­tri­schen Willkür wird. Der liberale An­spruch auf individuelle Au­to­no­mie läuft aber in letzter Denk­kon­se­quenz auf bindungslose Will­kür hinaus und wird von Niklas Luhmann mit Recht un­ter die politi­schen Utopien ein­ge­ord­net. [188]  

Vor der modernen Einsicht in die Doppelnatur jedes Menschen als Einzel- und Sozialwesen gin­gen der hi­sto­ri­sche Konservativismus der mit­tel­al­ter­li­chen societas civilis bis in die Zeit der Gegen­re­vo­lution [189]  so­wie spä­ter der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus [190]  davon aus, daß die Men­schen von Natur aus Glieder objek­tiver Ord­nun­gen sind; er ließ des­halb die in­­di­vi­duel­le Selbst­be­stimmung, das heißt die Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, nur unter Ein­fü­gung in die ge­sell­schaft­lichen und staat­li­chen In­sti­tu­tio­nen mit ih­ren Ei­gen­ge­setz­lich­kei­ten zu. Hier kommt - im Ge­gensatz zum Libera­lis­mus - der Ge­mein­schaft der Vor­rang vor dem Ein­zel­nen zu; er ist ihr teils un­ter­ge­ord­net, teils ein­ge­ord­net. [191]  Somit führt die Auf­lö­sung der Dia­lek­tik von Staat und Gesell­schaft zu­gun­sten des Staa­tes zur Ver­staat­li­chung der Ge­sell­schaft und zur Wie­der­kehr ei­nes Staats­ab­so­lu­tis­mus. Und vor der ande­ren Mög­­lich­keit der Ver­ge­sell­schaf­tung des Staates warnt Lorenz von Stein, in­dem er am End­punkt die­ses Pro­zesses den "Tod der Ge­mein­schaft" sieht: "Es gibt keine voll­en­de­ten Völ­ker, aber es gibt wohl tote Völ­ker. Das sind die­je­nigen, in de­­nen es keinen Staat mehr gibt [...], in denen die Staats­gewalt abso­lut in den Hän­den der Ge­sell­schaft ist." [192]

Das Mittelalter hatte eine Trennung von Staat und Gesell­schaft nicht ge­kannt: In der ei­gen­tümli­chen Form des Lehns­staats, des sog. Feuda­lismus, war alles "Gesellschaft". Zwi­schen König und Vasall, Va­sall und Untervasall bis hin zum fro­nenden Bauern waren alle Rechts­ver­hältnisse rein personaler Natur und en­deten mit dem Tode ihrer Träger. Die Lehnspy­ramide war ein Rechtsge­füge, das auf Ver­pflich­tungen zwischen Personen be­ruhte. Ein "Staat" war nicht vor­ge­se­hen. Nach der Krö­nung eines Königs in Deutsch­land hatten die Reichs­städte nichts Eiligeres zu tun, als diesem seine per­sön­liche Be­stäti­gung ihrer Rechte und Frei­heiten abzu­bitten. Was gingen ihn auch die Verspre­chun­gen sei­nes Vor­gängers an? Ein Staat als über­persönli­che Rechtsfi­gur im abstrakten Sinne wie heute existierte nicht. Für jeden einzelnen hatte das die praktische Konsequenz, daß er in einen hierarchi­schen Ge­sell­schaftsauf­bau streng eingebunden blieb. Im Normalfall hatte er keine Chance, sei­nem Geburts­stand zu entkommen. Niemand schützte den fro­nen­den Bau­ern vor der Will­kür sei­nes Grund­herrn, und wer ge­gen die Über­macht eines anderen Schutz benö­tigte, konnte den nur in eigener Kraft fin­den oder sich ei­ner mächti­gen Gruppe anschlie­ßen, die ihn schützen sollte. So schloß man sich zu sozialen Verbän­den zu­sam­men und wurde Bürger einer Stadt, Kaufmann in einer Gilde oder auch Räuber in einer Bande. In die­sen ge­sellschaftlichen Teilgruppen fand der ein­zelne Schutz, aber um den Preis der Un­terordnung. Frei­heit im Sinne der heutigen Grund­rechte, Bürger­rechte oder die Si­cherheit einer privaten Exi­stenz in unserem Sinne gab es nicht.

Die Neuentdeckung des Staates im Sinne der antiken Res pu­blica war die Lei­stung der frühen Neuzeit. Er wurde als vom persönlichen Herrscher un­ab­hän­gig und immer­wäh­rend vor­ge­stellt und bil­dete eine abstrakte, weil nicht kör­per­lich sichtbare Rechts­person, den Le­via­t­han Thomas Hobbes , oder mo­dern ge­spro­chen: eine juristi­sche Per­son. Als solche ver­kör­perte er allen Ein­zelnen ge­gen­über das Recht der Ge­samt­heit. Er forderte jedem Bürger die Loyalität und den Ge­hor­­sam ab, die ein jeder der Ge­meinschaft al­ler schul­det. Der Zu­sam­men­hang zwi­schen Schutz und Gehor­sam ist un­auflöslich. [193]  Der vom Deut­schen Kö­nig verkündete Ewige Land­friede von 1495 konn­te die Selbsthilfe nur mit der inne­ren Rechtfertigung seines Ver­spre­chens verbie­ten, das Recht zu ga­ran­tieren. [194]  Oh­ne Loyalität kann das Ge­­mein­we­sen den in­neren und äuße­ren Frie­­den nicht ge­währleisten und verfehlt damit sei­nen Daseinszweck.

Der neuartige Schutz nach innen war vor allem gegen die feuda­len Macht­grup­pen not­wen­dig: Unter dem Schutz des Staa­tes eman­zipier­te sich der Staats­bürger, ein neu­zeit­liches Phänomen, von den alten Gil­den, Zünften, Grundher­ren, Pa­tri­ziern, Kon­fes­si­ons­gemein­schaf­ten und was es an Macht­trä­gern noch alles gab. Er erlangte ein nie ge­kanntes Maß an persönli­cher Bür­gerfreiheit. In dem Wort von den Staats­bür­ger­rech­ten wird dieser Zu­sam­men­hang deutlich. Es galten nicht mehr die Regeln des Fehde­dschun­gels, das Faustrecht des ge­sell­schaftlich Stär­keren, sondern die Gesetze des Staa­tes als über den Parteiungen ste­hender neutra­ler Ge­walt, die tendenziell je­dem glei­ches Recht zu schaffen such­te. Daher war die Staatsmacht konzep­tio­nell den Macht­interessen der ge­sellschaftlich Etablierten ent­gegenge­setzt. Das war sie von An­beginn: Im Inter­esse der adligen Grund­her­ren hatte in der frühen Neuzeit die zähe Verteidi­gung der feu­da­len mit­telalterlichen Ordnung gelegen. Daher lehnten sie kon­servativ die Her­ausbildung des Staates mit seiner Trennung von der Sphäre des Ge­sell­schaft­lichen ab, [195]  ebenso wie heute die Par­teimächtigen als "neu­er Adel" (Scheuch) ihre Herrschaft durch Verschmelzung von Staat und Gesellschaft sta­bi­lisie­ren. Die Ge­schichte der Neu­zeit kann als fort­wäh­ren­des Rin­gen gesell­schaftlicher Grup­­pen um die Vor­macht und die Erobe­rung der Schalthe­bel des Staa­­tes verstanden wer­den, um ihn für ihre Par­tei­zwecke ein­spannen und gegen innerge­sell­­­schaftliche Konkur­renten benutzen zu können.

Historisch war die Forderung derjenigen sozialen Schichten, die keinen An­teil an der Macht hatten, auf eine Trennung von Staat und Gesellschaft und war ihre wei­tere Erwar­tung, der Staat möge sie vor der Macht der Herr­schen­den schützen, eine altlibe­rale For­de­rung. [196]  Sie wird immer aktuell sein, wo herrschende Schichten oder Eliten Staat und Gesellschaft in ihrer Hand haben und miteinan­der ver­schmel­zen lassen. Wer die Hebel von Staat und Gesell­schaft glei­cherma­ßen bewegen und steuern kann, hat an ihrer Tren­nung kein In­teresse. Die Forde­rung nach einer Tren­nung war historisch stets ei­ne Kampfansage der Machtlosen gegen die Mächti­gen und ist das noch heute.

Die Trennung von Staat und Gesellschaft ist eine genuin liberale Forderung, die aus dem typologische Merkmal des liberalen Balance­denkens zwingend folgt. Daher wird sie bis heute von der radikal-li­beralen Politiktheorie vertre­ten. [197]  Aber auch ohne die im Kern me­ta­physische Begründung liberalen Balan­cedenkens ergibt sich empi­risch aus anthropologischer Sicht, daß zwei ant­ago­ni­sti­schen menschlichen Bedürfnis­sen auch im Rahmen einer Staats­kon­struk­­tion Rechnung ge­tragen werden muß. Weil der Mensch Ge­mein­schafts­wesen und Indi­vidualist ist, kann eine an allge­mein­mensch­li­chen Grundbedürfnis­sen orien­tierte Politiktheorie nicht ohne Tren­nung von Staat und Ge­sell­schaft auskom­men: Das Staatliche hat die Auf­gabe, die individuel­le Freiheit und die gesell­schaftliche Existenz selbst nachhaltig zu schüt­zen. So begründet braucht sich die For­de­rung nach einer Tren­nung von Staat und Ge­sellschaft nicht den Vor­wurf machen zu lassen, sie sei selbst Liberalismus.

Die Oberhoheit des Staats gegenüber den Machtgelüsten ge­sell­schaftlich Mächti­ger und damit die Grundbedingung menschlicher Frei­­heit zu wahren, erfordert ein ständi­ges Rin­gen um die nö­tige Neu­trali­tät. In Sternstunden staat­li­cher Tätigkeit des 19.­Jahr­hun­derts soll die­ses Ideal der Legende nach fast ver­wirklicht worden sein. Es war die hohe Zeit bürgerli­chen Selbst­be­wußtseins unter dem Dach monar­chi­scher Staats­auffas­sung. Der Staat hatte seine sinn­fäl­lige Verkörpe­rung im Kö­nig­tum ge­fun­den, und die Gesell­schaft die ihre im Par­la­ment. Die Regierung des Königs war an die Ge­setze gebun­den, die sich die Ge­sellschaft frei ge­geben hatte; so die Idee. Die ge­wal­tentei­lende Verfas­sung hatte die regierende Staatsbe­fugnis dem König zu­gewiesen und die ge­setzgebende der im Parlament re­präsen­tierten Ge­sell­schaft.

Beide, Staat und Gesellschaft bzw. König und Parlament bzw. Exe­ku­tive und Le­gis­lative blie­ben einander funktional zuge­ord­net und da­her zur Koope­ration verur­teilt. Eine ein­sei­tige Do­mi­nanz der einen oder der anderen Kraft wurde zwar nicht zielge­richtet durch ei­nen wei­sen Verfassungs­gesetz­ge­ber vermie­den, konnte sich aber fak­tisch nicht einstel­len, weil beide Ge­wal­ten ein Macht­gleich­ge­wicht bildeten. Frei­lich hätte jede Ge­walt gern die an­dere domi­niert, wie beim preußischen Verfas­sungskon­flikt deutlich wurde. Aber erst 1918 kam der ent­schei­dende Wende­punkt, der Sünden­fall der deut­schen Verfas­sungsge­schichte: Am 28.Oktober trat ein Reichs­gesetz auf Druck der im Parla­ment ver­sammelten Parteienver­tre­ter in Kraft, durch das Reichs­kanz­ler und -regierung ihrer Ver­antwortung gegen­über dem Souve­rän entho­ben und dem Parlament unterwor­fen wur­den. Bis heute sind Kanzler und Regie­rung ihm ent­zogen und unter­stehen der jeder­zeitigen Dis­position der jeweili­gen innergesell­schaft­li­chen Majorität bzw. sind mit de­ren Par­teivorsitzendem iden­tisch.

Die absolute Gesellschaft wird totalitär

Parteien und Gruppen haben mit dem Staat als neutraler Macht der Na­tur ih­res An­lie­gens nach nichts im Sinn und trachten nur da­nach, ihn von in­nen zu er­obern. Einer Partei ge­lang das 1933, und ihr Füh­rer konnte seine Partei zur Herrin über den Staat er­klä­ren. Der ein­zelne galt nichts mehr, noch dazu, wenn er der Staats­partei nicht an­ge­hör­te, und die als Partei formierte Gesell­schaft verkörperte sich in dem von ihr ge­stal­te­ten Par­tei­staat. Für das SED-Sy­stem gilt mutatis mutan­dis dasselbe: Es gab zwar noch ei­ne funktionale Auftei­lung der Staats­gewalt auf besondere Orga­ne der Recht­sprechung, der Gesetz­ge­bung und der Verwaltung. Über allen stand jedoch der Wille der Par­tei bzw. ih­­res Führers oder Politbü­ros. Die Gesellschaft hatte sich tota­li­tär for­miert, und einen ihr neu­tral gegen­überstehenden Staat gab es nicht mehr.

Heute ist es nicht, wie im 3. Reich und in der DDR, eine tota­litäre Ein­heits­par­tei, die den Staat unter ihre Fuchtel ge­bracht hat. Heute ist dassel­be durch ein Kartell libe­ra­ler Par­teien gesche­hen, die einan­der zum Verwechseln ähn­lich sehen und konzeptio­nell über­einstim­men. Die Strategie ihrer Mento­ren war seit Beginn der Bundesrepu­blik vor­ge­zeichnet und fand ih­ren ju­risti­schen Nie­der­schlag im Bon­ner Grundge­setz. Der Staat wurde 1949 mit dem GG nicht aus al­len Par­tei­fesseln be­freit, sondern es wurden nur die einen Bande durch ande­re ersetzt. Der perfek­te Liberalismus des Bon­ner Grundge­setzes er­mög­lichte die voll­ständige Eroberung des Staates durch die Ge­sell­schaft in Ge­stalt der sich for­mierenden Bonner Par­teien. Die Plu­ra­li­sie­rung durch Parteienvielfalt war nur vordergründig und kurzlebig. Sie hat die latente Wendung zum Totalen "nicht aufgehoben, sondern nur sozusagen par­zelliert, indem jeder orga­nisierte soziale Macht­kom­plex soviel wie möglich - vom Gesangverein und Sportklub bis zum bewaffneten Selbstschutz - die Totalität in sich selbst und für sich selbst zu verwirklichen sucht." [198]

Wenn aber eine Partei den Staat usurpiert, zerstört sie die Grund­lage sei­ner Macht­­legi­ti­ma­tion: Die über alle Staatsangehö­rigen aus­ge­übte Staats­ge­walt fin­det ihre inne­re Rechtfer­tigung nämlich darin, daß dieser Staat tat­säch­lich allen Bürgern Schutz und Rechts­frieden nach innen und außen ge­währlei­stet. Identifi­ziert sich aber eine Teil­gruppe oder Partei ein­seitig mit dem Staat und erobert seine Schalt­stellen, so grenzt sie damit die anderen Grup­pen oder Min­derheiten aus und de­fi­niert sie als nicht zum Staat gehö­rende Feinde: als Ket­zer oder Staats­feinde, als Volksschäd­linge, Klassen- oder Verfassungs­feinde. So steht dann eine partei­gelenk­te Polizei mit in den Hosenta­schen ver­grabe­nen Händen dabei, wenn ran­da­lierende Po­litgewalttä­ter den Par­teitag ei­ner der Regierung unbe­quemen Op­positionspartei zu­sam­menprü­geln. Noch einfa­cher ist es für die Re­gie­rungs­­partei, auf die bloße Drohung ge­walt­tätiger Banden hin die Veranstal­tung einer Op­po­siti­onspartei poli­zeilich als "Risiko für die öffentli­che Si­cher­heit" zu verbieten.

Die von Carl Schmitt schon in der Weimarer Zeit gesehene Gefahr einer Wen­dung zum totalen Staat spitzt sich ständig zu. 1954 schrieb Martini weit­sichtig: "Diese Ge­fahr ist um so größer, je mehr sich un­ter dem Eindruck sozialer Krisen der consensus verdünnt, so daß sich die Parteien in zunehmendem Maße mit der Nation, mit der 'volonté générale' identifizieren, die Gegenparteien also damit als nationalen Feind diskriminieren." [199]  Der Staat kann seine ord­nungs­stif­­tende und be­­friedende Funk­tion nur aus­­fül­len, wenn er tatsächlich neu­tral und nicht von Par­­­­tei­gängern von in­nen her­aus erobert ist. "Wo ein Teil der Bürger in einem Teil der anderen aus welchen Grün­den auch im­mer nicht 'Rechts­­genossen', son­dern Feinde erblickt," erkennt der Rechts­philosoph Braun, "an deren loya­ler Ge­sin­­nung man zweifeln muß, dient das Recht in der Sicht der beiden Kon­­trahenten weniger dem Schutz der eigenen Per­son; es schützt und er­hält vielmehr zu­nächst den 'Feind' und verdient da­her selbst be­kämpft zu wer­den. ... Es erscheint nunmehr als Schutz­­schild und Waffe des jeweiligen Geg­ners." In Händen der Partei, die an den Schalt­hebeln des Staats sitzt, wird es dann zwar be­wußt mißbraucht, aber mora­lisch hoch er­ho­be­nen Hauptes; und die an­dere Seite wird bald einem Recht die Loya­li­tät verweigern, das zu of­fen­kundig nur als Kampfin­strument zu ih­rer Niederhaltung ein­ge­setzt wird - und sie wird ihre eigene Moral be­­haupten. Die formelle Ak­­zeptanz des Rechts setzt nämlich vor­aus, daß alle Normadressaten den unein­ge­schränk­ten Schutz der anderen auch wirklich wol­len. [200]  Ge­nau das meinte Rous­seau, wenn er schrieb: "Es ist un­mög­lich, mit Leuten, die man für verdammt hält, in Frie­­den zu leben." [201]  "Der ei­gent­liche 'Feind' ist da­her nicht der Kri­mi­­nelle, der ein­zelne Regeln bricht, das Sy­stem als solches aber ak­zep­tiert, sondern der Ketzer und Re­­vo­lu­tio­när, der unterge­ordnete Re­­geln durchaus unangetastet läßt, je­doch das so­ziale System in sei­nem Zentralpunkt angreift, indem er seine Sinn­haftigkeit an­zwei­felt." [202]

Die Entwicklung der vergangenen Jahre brachte den Bürgern in Deutsch­land da­her kein Mehr an Freiheit, als Liberale den Staat zu­nehmend demon­tier­ten. [203]  "In dem Maß, wie das In­dividuum sich ge­gen den Staat aus­spielen ließ, [...] ge­riet es unter die Herr­schaft der Ver­bände, die seinen Spiel­raum sehr viel enger zo­gen, und zerfiel vor dem Druck ei­nes neuen Ver­bandskollektivis­mus, dem es sich fügte, weil der einzelne Mensch in der Ge­sell­schaft nicht oh­ne Schutz exi­stie­ren kann." [204]  So näherte sich un­sere Ver­fas­sungs­wirk­­lichkeit wie­der ih­rem mittelalterlichen Aus­gangspunkt an und wurde von Scheuch tref­­fend als feudales Postenvertei­lungssy­stem be­zeichnet. Die al­ten Gegner des neutralisierenden Staates sind als "ge­sell­schaft­li­che" Macht­grup­pen wie Parteien und Verbände wieder auf den Plan ge­treten und haben sich auf dem We­ge über das Parla­ment aller Staats­gewalten be­mäch­tigt.

Der nur vom Staat als überpar­teilicher Kraft zu garan­tie­ren­de Schutz der Pri­vat­sphäre und der Frei­heits­rech­te wurde so dem "frei­en" Kräf­tespiel unsichtbarer ge­sell­schaftlicher Mäch­te ausge­liefert, die vom ein­zelnen wohl Gehorsam for­dern, ihn aber nur be­dingt schüt­zen kön­nen und wol­len. So wurde aus dem Dua­lismus von Staat und staats­frei­er Ge­sell­schaft ein sozia­ler Plu­ra­lis­mus, dessen jeweils best­­organisierte und stärk­ste Forma­tionen mü­he­lo­se Triumphe über die nicht Or­ga­ni­sier­ten und Schwa­chen feiern kön­nen. [205]  Ka­pi­tal­star­ke und wohlor­ganisierte Inter­essengruppen wurden zu Nutznießern des­­sen, was der Liberale un­ter Freiheit ver­steht: der Freiheit nämlich, ohne sittliche Schranken und ohne Beachtung des Woh­les Aller die Ar­­men und Schwachen durch die Macht rein ökonomischer Gesetze zu beherrschen. Alle vom Staate behüteten sittlichen Schranken su­chen sie niederzu­reißen und den Einzelnen zu "emanzipieren", los­zu­lö­sen von allen ihn schützenden Bindungen an das Ganze, damit er um­so leichter zur Beute des Partiku­laren werden kann. Deutschland leidet unter dem nachhaltigen Einfluß der Normen des Manager­tums der Privatindu­strie auf die Parteifunktionäre. Es stellt sich bereits die Frage, ob die Parteien von einem zahlen­mäßig kleinen, aber äu­ßerst finanz­starken Teil der Gesellschaft koloniali­siert werden, von Kapital­eig­nern und Mana­gern nämlich und von deren Verbän­den. [206]

Aber nicht nur ökonomische und sozialpolitische Gründe erfor­dern die Tren­nung von Staat und Gesellschaft. Diese neuzeitliche Tren­nung hatte nicht zuletzt den für un­kon­­­ven­tionelle Geister ange­nehmen Ne­beneffekt, daß zunehmend gesagt und ge­druckt wer­­den durfte, was immer man dachte. Je­der konnte nach seiner Façon selig werden. Erst bei der staatsfeindlichen Handlung wurde der säkulari­sierte Staat re­pressiv. Diese Frei­heit des Den­kens ge­riet im 20. Jahr­hundert zu­neh­mend in Gefahr. Unser Jahrhundert bie­tet rück­blickend das Schau­spiel des Aufstiegs und Zerfalls zwei­er ideologi­scher Groß­sy­­ste­me, die in ih­rem totalitären Anspruch in nichts hinter hi­sto­ri­schen Formen fa­nati­schen Chri­sten­tums und seinen Ketzerverfolgun­gen zu­rück­blie­ben. Die Jahrzehnte des gei­stigen und blutigen Welt­bürger­kriegs der Groß­ideo­logien haben auch bei ihrem po­li­ti­schen Geg­ner Spuren hinterlas­sen: dem Libe­ralismus als siegreichem Erben des lin­ken und des rech­ten so­zialistischen Totalita­rismus. Mit dem Libera­lismus des 19. Jahr­hun­derts, sei­nem bürgerlich-kapitalisti­schen sozi­alpolitischen Ursprung und seiner Be­schrän­kung auf das Einfor­dern staatsfreier Räume und bür­gerlicher Freihei­ten hat der heu­te herr­schende Links­liberalismus nur noch die histori­schen Wurzeln ge­mein.

Der historische Altliberalismus hatte gegen den historischen Kon­ser­va­tivis­mus größ­ten Wert auf die Trennung von Staat und Ge­sell­schaft gelegt, um dem bürgerli­chen In­di­vi­dualismus einen Frei­heits­raum zu öffnen. Wo hingegen Staat und Gesell­schaft eins sind, kann sich niemand der Einheit von Privatem und Öffentlichem und da­mit von Legalität und Mo­ra­lität entziehen. Unmoral wird dann straf­bar. Im mit­telal­terlichen christlich-uni­ver­sa­listischen Feu­da­lis­mus hatte das die Konsequenz, daß jeder Verstoß gegen die christ­li­chen Dog­men selbst dann auf dem Scheiterhau­fen enden konn­te, wenn der Ketzer im übri­gen gesetzestreu war. Ketzer, wuß­te 1646 Nicolas de Vernuls, darf man im Staate auch dann nicht dul­den, wenn sie fried­lich seien, denn Menschen wie Ketzer könn­ten gar nicht friedlich sein. [207]  Später setzte sich die allei­nige Staats­räson mit ihrer Tren­nung von der priva­ten Mo­ral durch und erlaub­te ein ungekanntes Maß an Gei­stesfreiheit.

In un­se­rem Jahrhundert hat die Gesellschaft den Staat zurück­er­obert. Ge­wechselt haben ge­gen­über dem Mittelalter nur die Ideo­lo­ge­me. Jetzt gab es wie­der den Ge­dan­ken­ver­bre­cher [208] , das ist zur Zeit der Aus­länderfeind, der ewige Nazi, der Erz­feind alles Li­be­ra­len. Die ge­­sell­­schaft­liche Zensur ist strenger als die staatli­che und ar­bei­tet mit Ta­­bus. "Die Probe auf die Pressefreiheit ist, ob gei­sti­ge Tra­di­tio­nen und von nen­nenswerten Teilen der Be­völ­ke­rung ge­tragene Po­si­tio­­nen an der Öffentlich­keit teil­ha­ben kön­nen oder nicht. Ist das nicht der Fall, kann man sicher sein, daß Zen­sur nicht nur ausgeübt wird, son­­dern sich bereits erfolg­reich durch­ge­setzt hat." [209]  Ein Indikator dafür ist es beispielsweise, wenn alle überregionalen Tages- und Wo­chen­zeitungen von Focus und Spiegel bis WELT und FAZ es ab­lehn­ten, eine Anzeige für die erste Auflage dieses Buches ab­zudrucken. Die Mechanismen der ge­sellschaftli­chen Selbst­zensur sind zwar nicht plump und direkt wie die staatli­chen in der DDR wa­ren, funk­tio­nie­ren aber ebenso sicher. So seufzte Steffen Heit­mann: [210]  "Wir aus der DDR wa­ren besonders auch wegen der ga­ran­tier­ten Mei­nungsfreiheit mit einer großen Hoff­nung und - wie sich jetzt zeigt - Illu­sion in die frei­heitliche, demokrati­sche Grundord­nung ein­­ge­tre­ten. Ich mußte er­le­ben, daß es bei drei Vierteln der Medi­en eine Art von gut funk­tio­nie­render Zensur gibt, die mit der in der DDR in ge­wis­ser Weise ver­gleich­bar ist. Nur geschieht sie heute in al­ler Öf­fent­lich­keit, durch Ab­stimmungen unterein­ander, durch in­di­rek­ten Druck ge­gen Leute, die aus dem Schema ausbrechen. Ich habe das selbst er­lebt, als ein Sen­der mich endlich einmal selbst zu Wort kom­men ließ, an­statt im­mer nur aus dem Zu­sam­menhang gerissene Sät­ze zu zi­tie­ren. Die Em­pörung der anderen Sender in den fol­gen­den Pro­gramm­kon­fe­ren­zen war im­mens."

Die ak­tu­el­le Er­obe­­rung des Staates durch links­li­be­rale Re­prä­sen­tan­ten der Ge­sell­­schaft bedeu­tet die höchste Alarm­stu­fe für den bür­ger­­li­chen In­di­vi­dualis­mus, sei­ne Ge­dan­ken- und schließ­lich seine Hand­­lungs­frei­heit: Im Deutschland des Jah­res 1994 kann wieder mit dem staat­li­chen Gesetz in Konflikt kom­men, wer ge­gen die Moral des ver­­ge­sell­schaf­te­ten Staates seine ei­gene Mo­ral be­haup­tet oder nur die Zu­­mu­tung ab­wehrt, die volks­pä­d­a­go­gi­sch aufgestellten Tabu- und Ge­­­nick­­schuß­zo­nen zu achten. Wie ein Altlinker die Tabuwaffe ge­zielt zu führen weiß, schildert Schren­ck-Notzing: "Un­be­fan­gen schi­l­­dert Ad­ler, wie er dann an der FU in Berlin beim SDS lernte, die Waf­fe selbst zu verwenden: 'Ich konnte es genießen, wenn ich sah, wie ganz nor­male liberale Leute in ei­ner Dis­kussion den Kür­ze­ren zo­gen, wenn je­mand das Wort fa­schi­stisch ge­brauchte, evtl. ver­stärkt durch die An­­deu­­tung der KZs mit ent­sprechendem Tabu-Ge­sichts­­aus­­druck, dro­hend ernst, Stirn in Falten, Au­gen ins Un­endliche ... Wem dies noch zu abstrakt war, dem wurden die Gas­kammern vor Au­­gen ge­führt, wo­­mit jeder se­hen konnte, wohin das führ­te, wenn man so dach­te.' Das Wort Tabu-Ge­sichts­aus­druck ist kein Zu­fall: Mein­hard Adler ist in der Tat der Ansicht, daß es beim Be­wäl­ti­gungs-Ri­tus um ein me­thodisches Auf­richten von Tabus geht. Die 'an­geb­li­che Tabu­be­freiung in unserer Gesell­schaft' ist für ihn bloße Rhetorik: 'Es hat le­diglich eine Tabu­ge­biets­ver­schie­bung stattge­funden. War es frü­her bei Ächtung verboten, die Kraft der Erektion und der Sinn­lich­keit öf­fentlich nach­zu­emp­fin­den, so ist es heute bei gleicher Ächtung ver­­bo­ten, die faszinative Kraft von Ord­nung, Autorität und Kampf zu emp­finden.' " [211]

Der zu­neh­mend zum totalitären Ge­sin­nungs­druck über­ge­hen­de Links­li­be­ra­lis­mus be­ur­teilt den Menschen nicht mehr da­nach, was er tut, son­dern da­nach, was er denkt, sagt oder schreibt. [212]  "Der Eifer un­serer Gesinnungs-, Welt­an­schau­ungs- und und Sek­ten­be­auf­trag­ten, un­serer Groß- und Klein­in­qui­si­to­ren und Wächter über 'political cor­rec­t­ness' ist zu einer ernsten Be­dro­hung unserer Frei­heit ge­wor­den." [213]  Während die Ge­set­zes­ord­nung so weit­ma­schig und li­be­ral ge­hand­habt wird, daß kein Verhal­ten mehr verboten werden kann, muß der Libera­lis­mus sich als Er­satz­lö­sung der Gesin­nung sei­ner Bür­ger ver­sichern und for­dert ihnen die Be­reit­schaft zur Iden­ti­fi­ka­ti­on ab. Das Ver­hal­ten ist nur noch der for­male An­knüp­fungs­punkt, um "ver­fas­sungs­freund­li­che oder -feind­liche" Ge­sin­nung her­aus­zu­fin­den, auf die es ihm ent­schei­dend an­kommt. [214]  Die "neue Ten­denz" geht zur "staat­li­chen Welt­an­schau­ungskontrolle ... . Die auf­ge­klär­te Welt­­an­schau­ung, ... be­an­sprucht jetzt, da sie mehr­heit­lich ak­zeptiert ist, den Al­lein­herr­schafts­an­spruch." [215]

Totalitär wird der "aufgeklärte" Liberalismus zum Beispiel, wo sich ein Leh­rer nicht dem Er­war­tungs­druck moraleifriger Kol­le­gen oder Schüler ent­zie­hen kann, an der Spit­ze einer Lichterkette mit­zu­mar­schieren, obwohl er das ei­gent­lich gar nicht möch­te, und wo die so demonstrierte höhere Moral zur Be­dingung be­ruf­li­chen Fort­kom­mens wird. Totalitär wird er, wenn die Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung der Stadt Potsdam am 3.5.1994 beschloß, ei­nen Ver­mieter auf­zu­for­dern, den Mietvertrag mit einem rechten Zei­tungs­verlag rechtswidrig auf­zu­kün­digen, dessen Tendenz den Par­la­mentariern nicht paßte. To­ta­li­tär wird er auch, wo in staat­li­chen Mas­sen­me­dien mo­ra­lisch er­le­digt wird, wer es wagt, zu be­stim­m­ten Fragen wie der Aus­län­der­fra­ge oder zu Wer­tun­gen der jün­­geren Ver­gan­genheit eine ab­wei­chen­de Mei­­nung zu äu­ßern. To­ta­li­tär wird er erst recht, wo der Staat den mit Ge­fängnis bestraft, der zu technischen Ein­zel­fra­gen oder Zah­len­an­­ga­ben der Zeitgeschichte etwas anderes sagt, als die staat­­lichen Ge­­­denk­­ta­feln be­haup­ten; oder wo der Staat unter dem Ein­­­fluß gesell­schaft­li­cher Mo­ral­vor­stel­lun­gen ei­nem Gast­­wirt die Kon­zes­sion ent­zieht, der Gä­ste bestimm­ter Na­tionalität nicht ein­las­sen will. Eine hy­ste­rische Be­trof­fen­heit­stümelei fordert je­dem ein stän­­diges mo­ra­li­sches Glau­­bens­be­kennt­nis ab, das leicht eben­so zur Heu­chelei wird wie jedes her­un­ter­ge­be­tete Glau­bens­be­kenntnis in ir­gend­ei­nem hi­sto­ri­­schen Staat, der eine be­stimm­te Moral zur Staats­rä­son er­hoben hat. So werden heute jedem jene "peinigenden Exerzitien abverlangt, ... der heute in Deutschland von Amts we­gen zu öffentlicher Rede ver­pflich­tet ist." "Schulmeisterhaft" wird dem Volk "von oben her­ab eingerie­ben ... , was es zu denken habe, wel­chen Ge­danken es sich hinge­ben dürfe und welche es hintanzuhal­ten ha­be." [216]

Es ist kein Zufall, daß gegen die Trennung von Staat und Gesell­schaft gleich­lau­tend al­le diejenigen polemisieren, die das In­di­vi­duum ih­rer Herr­schafts­ideo­logie als Staats­mo­ral unterwerfen wol­len: Die kon­­­servativen Feu­dal­grund­herren des 19. Jahr­hun­derts, die ihre mit­tel­al­ter­li­chen Rechte von Got­tes Gnaden über ihre Bauern gern wie­der ge­habt hät­ten; Karl Marx, der in sei­ner Schrift Deutsche Ideolo­gie das ein­heit­li­che, von der Spal­tung in eine ge­sellschaftliche und ei­ne staatli­che Sphäre "freie" bür­gerliche Sub­jekt for­der­te; [217]  und unse­re linkslibe­ralen Mo­ralvorbeter, die ihre Anma­ßung, Be­trof­fen­heit zu er­zeugen, aus ei­ner für den ver­ge­sellschafteten Staat einheit­li­chen Hu­ma­ni­täts­ideo­lo­gie ab­lei­ten, deren berufene Interpreten und Inquisi­to­ren sie selbst sind.

Die Staatsgewalt als Subsystem des Partei­enstaates

Nur im Lichte und im engeren Sinne der verfassungs­recht­lichen Vor­­ga­ben des Grundgesetzes betrachtet ist das derzeitige System ge­wal­ten­tei­lungslose Parla­ments­re­gie­rung: Der Bundestag ist das zen­tra­le Machtzen­trum: Er macht die we­sentlichen Gesetze, be­stimmt zu­sammen mit dem Bun­desrat die Ver­fas­sungsrichter, die über die Aus­le­gung seiner Gesetze wa­chen sol­len, und er bildet mit der Wahl eines von ihm je­derzeit abhängigen Kanz­lers eine Regierung, die wie ein Ausschuß funk­tioniert und sei­ner völligen Kon­trolle unterliegt. Im Zwei­felsfall hat der Bun­destag die Kompe­tenz-Kompe­tenz, al­so das Recht, die Ver­fassung zu än­dern und die Grenzen seiner verfas­sungs­mä­ßi­gen Macht selbst zu bestimmen. Der Bundestag ist Zentrum und Macht­träger des durch die Grundge­setzkonstruktion gebildeten und ver­fassungs­recht­lichen Normen gehorchenden Systems der par­la­men­ta­ri­schen De­mok­ratie.

Dieses ist indessen nur das Untersystem eines übergeordne­ten Gan­zen, der Herr­schaft der Parteiapparate: Wenn wir uns das System der staatlichen Verfas­sungsor­gane mit seinem In­ein­an­dergreifen ver­schiedener Gewalten als große Maschine vor­stellen, sind die Par­teien ihre Bediener. Einschließlich ihrer hierar­chischen Binnen­struk­tur sind die Parteien neben dem Staat ein eigenständiges, autonomes Subsy­stem. Sie beherrschen den Staat auf dem Wege über das Parla­ment. [218]  Sie regeln ihre inter­nen Regeln selbst, indem sie nämlich durch ihre im Bundestag sitzenden Vertreter das Parteiengesetz und in ihren Mit­gliederver­sammlungen ihr Satzungs­recht schaf­fen. Die staat­li­chen Amtsträger sind zu­gleich Partei­funk­tio­näre und ma­chen durch diese Perso­nal­union die Verbindung zwischen dem regierenden System der Parteien und dem ge­horchenden Sub­sy­ste­m Staat  sicht­bar.

Den Partei­enstaat dürfen wir da­her als Gesamtsy­stem begreifen, in des­­sen In­nen­le­ben mehrere aufeinander bezogene Subsysteme exi­stie­ren, von denen das eine domi­niert und das andere funktioniert: Die Par­tei­en sind die han­de­lnde Seele der Staatsma­schine; diese die Hand­puppe - jene der Puppen­spie­ler!

Das Gesamtphänomen Parteienstaat besitzt außerdem weitere Subsysteme, die ihm teils eingeordnet sind und ihn stützen, teils ihre Eigenständigkeit auf den Fort­bestand des liberalen Parteienstaats stüt­zen. Zu ihnen zählen die weitgehend auto­nome Wirt­schaft als öko­no­mi­scher Hauptnutznießer sowie die Medien. Die Wirt­schaft, die Staats­bürokratie, die Medienwelt und die politischen Parteien sind je­weils gesell­schaftliche Un­­tersysteme, die sich zueinander ver­hal­ten wie zwei sich schnei­den­de Krei­se mit wech­selnden Ab­hän­gig­kei­ten.

Ent­scheidender Faktor langfristiger Herrschaftssicherung ist die Me­­­dienland­schaft, ohne deren Kontrolle eine sta­bile Herr­schaft nur mög­lich war, so­lange die Politik noch dem Gesetz des Kartät­schen­prin­zen und nachmaligen Kaisers Wil­helm I. ge­horchte: "Gegen De­mo­kra­ten hel­fen nur Soldaten." Jeder Herrscher regelt die Regeln so, daß er wei­terhin herrscht. Die selbstgesetzten Regeln des Par­la­men­ta­ris­mus schließen Kartätschen als Mittel der Herrschaft grund­sätzlich aus und führen im Zeitalter der Massen­kommunikation da­hin, daß Le­­gi­timati­on und Wie­derwahl nur in einem per­ma­nen­ten Rück­kopp­lungs­prozeß mit einem als "öffentliche Mei­nung" ver­stan­denen Me­di­enwesen ge­währleistet sind. Das Subsystem des Par­tei­ensy­stems ist also in ein ge­sell­schaftliches Obersystem ein­gebettet, in dem mutmaß­lich die politi­sche Macht ge­winnt, wer sich den Wählern publi­kums­wirk­sam ver­kaufen kann. Die Abhängigkeit zwi­schen Parteien und Me­dien ist wechselseitig, weil Parteien sich ohne Me­dienkon­trolle nicht darstel­len können und daher medien­ab­hängig sind. Das liberale Medienwe­sen seiner­seits hängt von den ökonomi­schen und politi­schen Rahmenbedingungen des Parteienstaates ab.

Die verfassungsrechtliche Lage

"Das Zeitalter des demokratischen Absolutismus ist vollendet. Wird er nicht ab­ge­löst, so droht dem deutschen Volke die Zukunft der demokratischen Inquisi­tion." [219]  Als Edgar Julius Jung das 1930 zu Papier brachte, mein­te mit demokra­ti­schem Abso­lutismus, was hier deshalb als Parlamentsabsolutismus bezeichnet wird, um der heil­­losen Begriffsverwirrung um das Wort Demokratie zu ent­ge­hen. Die­ser ist die politi­sche Form des Nichtstaates, die Gestalt ge­wor­dene "ab­so­lute Ge­­sell­schaft". Diese unterminierte in nicht vor­ge­se­he­nem Umfange die Verfas­sungs­ord­nung der BRD, welche hier nur kor­rekt als frei­heitliche demokra­tische Grundord­nung be­zeich­net wird und staats­recht­lich eine par­la­men­ta­ri­schen Republik ist. Der Ver­gleich zwischen den Ansprüchen der Grund­gesetztheorie und der Ver­fas­sungs­wirk­lichkeit fällt für den Bon­ner Par­la­menta­ris­mus ver­­hee­­rend aus. Das als ausge­wo­gen kon­zi­pierte Konzept des Grund­­ge­set­zes ist von den Parteien als Groß­mäch­ten der ab­so­lu­ten Ge­sell­schaft in ei­nem Ausmaße ver­fremdet worden, welches die Ver­fas­­sungs­­­wirk­lich­keit ins­­ge­samt verfas­sungs­­widrig erscheinen läßt. Eine gan­­ze Reihe der Idee der Ver­fas­­sung nach unver­zicht­ba­rer Ver­fas­­sungs­­­prin­zi­pien ist durch ihre nicht vor­ge­sehene Übermacht wir­kungs­­los geworden.

Die FdGO wurde vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­­richt aus dem Grund­ge­setztext abge­leitet und in ih­ren Einzel­merkma­len rechts­ver­bindlich de­­finiert als eine "Ordnung, die unter Ausschluß jegli­cher Gewalt- und Will­kür­herr­schaft eine rechts­staatliche Herr­schaftsord­nung auf der Grund­lage der Selbst­bestimmung des Vol­kes nach dem Willen der jeweiligen Mehr­heit und der Freiheit und Gleichheit dar­stellt. Zu ih­ren Grund­prin­zipien sind minde­stens zu rechnen die Achtung vor den Men­schen­rechten, die Volks­souve­ränität, die Ge­wal­ten­teilung, die Ver­antwortlich­keit der Regierung, die Gesetz­mäßig­keit der Ver­wal­­tung, die Unab­hän­gigkeit der Gerichte, das Mehr­par­tei­en­prin­zip und die Chancen­gleich­heit der Par­teien mit dem Recht auf un­ge­hin­derte Ausübung der Op­posi­tion." [220]  Diese Grund­ord­nung funk­tio­niert in Kernbe­rei­chen nicht mehr. Warum es im par­lamen­ta­rischen Par­tei­en­s­taat kei­ne Ge­wal­ten­teilung im ei­gentlichen Sinn gibt, wurde oben schon dar­ge­stellt. Auch mit ande­ren Wesens­merk­malen dieser Ord­­nung sieht es heute schlecht aus:

Das Demokratieprinzip

Aus Art.20 I GG leitet das BVerfG das Demokratieprinzip her: Der politi­sche Wil­lensbil­dungs­prozeß muß sich vom Volk hin zu den Staatsorga­nen vollzie­hen und nicht umge­kehrt. Den Staats­or­ga­nen ist grundsätzlich je­de Ein­fluß­nahme auf den Prozeß des Volks­willens ver­wehrt. [221]  Die Großpar­teien miß­brauchen da­ge­gen ständig die staat­li­chen Finanzen und Res­sourcen, be­ein­flus­sen dadurch den Volks­willen von oben nach unten und verstoßen damit ge­gen das Demokra­tieprin­zip. Diesen Mißbrauch er­mög­li­chen sie sich "legal" durch auf ihre Be­dürfnisse zurecht­ge­schnei­der­te Gesetze wie die Rundfunk­ge­setze und das Partei­engesetz.

Staatliche Parteienfinanzierung hatte das Bundesverfassungsge­richt bis zum Er­laß des Urteils vom 9.4.1992 [222]  für unzulässig er­klärt, weil sie den Par­tei­en mit Staats­mit­teln die Macht zur Be­ein­flus­sung des Volkswil­lens gibt. Nur als Aus­nah­me hatte es eine reine Wahl­kampfkostenerstattung aus Steuer­gel­dern er­laubt, denn im Wahl­kampf um die Staatsorgane näh­men die Par­tei­en eine staatli­che Auf­gabe wahr. [223]  Die Erstat­tung von Ko­sten ab­surd aufwendiger Wahl­­kämp­fe [224]  im Waschmittelrekla­me-Stil hat aber mit den not­wen­di­gen Ko­sten ei­nes angemes­senen Wahlkampfs nichts mehr zu tun. Tat­säch­lich be­steht seit Jahren faktisch der durch das Urteil des BVerfG vom 9.4.1992 sanktio­nierte Zustand der überwiegenden staat­­lichen Dauer­fi­nan­zierung pro­fessionel­ler Partei­apparate durch den Staat. [225]  Diese ermög­licht den Staatsparteien im Zeitalter der Me­dien- und Stim­mungs­de­mokratie eine umfassende und be­ständige Meinungs­kontrolle und -lenkung der Wahl­bevöl­ke­rung. Die Partei­en sind Dauerkun­den bei demoskopischen In­stituten, pro­fessio­nellen Wer­bebüros und Hoch­glanz-Druc­ke­reien.

Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht sogar die direkte Fi­nan­zie­rung der Parteien auf Staatskosten für zulässig erklärt. [226]  Der Bun­destag hatte dar­aufhin nichts Ei­ligeres zu tun, als sich 1993 ein re­noviertes Par­tei­en­gesetz zuzu­legen. "Erst mal ein­sacken" beti­tel­te der SPIEGEL süffisant den jüngsten Coup der Bonner Partei­schatz­mei­ster. Von selbst hatten die Bun­destags­parteien noch nie be­son­dere Eile an den Tag ge­legt, den Um­fang ihrer Finanzierung aus Steu­er­ge­l­dern ge­setzlich zu begrenzen. Erst eine Fol­ge von Ver­fas­sungs­ge­richtsurtei­len [227]  hatte erzwun­gen, daß die von den Abge­ord­ne­ten zu­gun­sten ihrer Par­tei­en in den Haus­halt auf­ge­nom­menen Haus­halts­mit­tel über­haupt ge­setzlich ge­re­gelt werden mußten. Seit­dem han­delten die Par­tei­en nach der De­vise: "Wir neh­men, was wir krie­gen!" So gibt auch die amt­li­che Be­grün­dung der Geset­zes­vor­la­ge vom 28.9.93 treuherzig zu, die vom BVerfG nunmehr ge­setzte "absolute Ober­gren­ze" der "vor­gesehenen staatli­chen Zu­schüsse" werde "aus­ge­schöpft". Man läßt nichts an­bren­nen in Bonn.

Der gesetzgeberische Spielraum des Par­la­ments hatte sich indes­sen auf das Su­chen von Schlupflöchern beschränkt: Ei­nen Groß­teil der Neuregelun­gen mußte die Ge­set­zes­vorlage wörtlich oder der Sa­che nach vom Verfas­sungs­ge­richtsur­teil vom 9. April 1992 ab­schrei­ben. Das Ri­si­ko, von dem vom Gericht Vorge­schrie­be­nen ab­zuwei­chen und wie­der aufgehoben zu werden, er­schien den Parteien zu groß. Im­mer­hin sieht das Grund­ge­setz über­haupt keine Staatsfi­nan­zie­rung von Par­tei­en vor und gibt da­her kei­ne Vor­ga­ben. So fühlten sich die Karls­ru­her Richter be­mü­ßigt, das Schweigen der Ver­fassung als Re­ge­lungs­lücke aufzufas­sen und sich wieder einmal als "rich­ter­li­che Er­satz­ge­setz­ge­ber" in Sa­chen ihrer Ent­sen­departei­en auf­zu­spie­len.

Für die Frak­tio­nen und Partei­stif­tun­gen rieseln die Duka­ten jetzt nicht nur mun­ter wei­ter aus dem Steuersack - der Pe­gel steigt! Noch sind die Par­teien durch nichts ge­hin­dert, weitere Mil­lio­nen­be­trä­ge oh­ne förm­liches Ge­setz ein­zu­­streichen und die vom BVerfG gesetzte "ab­so­lu­te Ober­gren­ze" zu umgehen. Sie ver­stec­ken nämlich Per­so­nal­ko­sten wie die Gehälter von Ab­ge­ord­ne­ten­mitarbei­tern pau­schal in Haus­halts­plä­nen und -ge­set­zen. [228]  Da sie sich in ei­gener Sa­che meist einig sind und der Ver­wen­dungs­zweck in Haus­halts­titeln für Außen­ste­hen­de nicht leicht er­kennbar ist, ge­schieht das diskret und oh­ne öf­fent­liches Auf­­sehen - schließ­lich ist ein Mitarbei­ter kein Dienst­wagen.

Während die direkten Fraktionszuschüsse der Bonner Parlamenta­ri­er mit 98,917 Mio.DM für 1994 unverändert blieben und bei der Par­tei­enfinanzie­rung formell nicht mit­zählen - oder sind Frak­tio­nen etwa Par­tei­en? - dürfen auch die einzelnen Ab­ge­ord­ne­ten künf­tig le­gal Wer­be­broschüren auf Ko­sten der Staats­kas­se her­aus­geben. Gleich­zeitig mit der Neu­regelung des Parteien­gesetzes und dem for­malen Ein­frieren ih­rer Staats­fi­nan­zie­­rung än­der­ten die Parteien näm­lich das Frak­ti­onsge­setz. Wie beim Pe­gel­stand eines Sy­stems kom­muni­zierender Röhren legen sie hier zu, was sie sich dort an Zu­wäch­sen ver­kneifen müssen.

Wo offen von Parteien gedruckte Wahlreklame nicht mehr ver­fängt, tar­nen die Par­tei­en, wenn sie gerade an der Regie­rung sind, ih­re Wer­bung gern als "staatliche Öf­fent­lich­keitsar­beit." Wir fin­den die Reklame für ihre Positio­nen dann unter "Der Mi­nister für xyz infor­miert" oder ähn­lich neutral klin­genden Namen im Brief­ka­sten. Die in solcher quasi amtli­cher Form ver­steckte Parteiar­beit besitzt einen scheinba­ren Bo­nus an Objek­tivität und Glaubwürdigkeit. [229]  Dies hatte bis zum Urteil vom 9.4.1992 auch das Bun­desverfassungsge­richt als propa­gandi­sti­sches Mittel der jeweiligen Re­gierung zur Macht­er­hal­tung durch­schaut. Es wollte ver­hindern, daß Parteipropa­gan­da im Re­gie­rungs­ge­wand die Me­chanismen demokrati­scher Wil­lensbil­dung außer Kraft setzt und ei­nen Machtwechsel verhin­dert: "Die Öffent­lich­keitsar­beit darf nicht durch Einsatz öffent­li­cher Mittel den Mehr­heitsparteien zu Hilfe kom­men oder die Op­po­si­ti­ons­parteien be­kämp­fen. Dies wäre mit den Grund­sätzen eines freien und offe­nen Pro­zesse der Mei­nungs- und Wil­lens­bildung des Volkes und der Gleich­be­rech­­tigung der politischen Par­tei­en nicht vereinbar." [230]  Tat­sächlich ist die Staats­finanzierung heute der Hauptfaktor ihres Macht­erhalts. Da die 5%-Klau­sel ihren Dienst nur noch unge­nügend leistet, soll die kraß un­gleiche Aus­stat­tung mit Fi­nanzmitteln das er­wünschte Ergebnis bringen. [231]

Spätestens hier muß der Medienbereich ins Blickfeld rücken. Er bil­det als In­stru­ment der Herrschaftstechnik einen Eck­pfeiler der Par­tei­­en­macht. Schon quantitativ stellt er alle Möglichkeiten weit in den Schat­­ten, durch gedruckte Wurf­sendungen Parteire­klame zu ma­chen. Ei­nen "gewaltigen He­bel zur Erobe­rung, Wahrung und Kräfti­gung der Herrschaft über die Mas­sen" nannte Mi­chels bereits 1911 die Pres­se, [232]  als das noch suggesti­vere Fernsehen und die Kunst ideo­lo­gi­scher Agitation noch nicht einmal er­fun­den waren. "Die Ver­fas­sung und der Gesetzgeber haben" die Medi­en "im In­ter­es­se der Durch­schaubarkeit staatli­cher Macht­aus­übung mit nahezu un­be­grenz­ten Rechten ausgestattet." [233]  Nach Un­tersuchun­gen leiten 30% der Wahl­be­rech­tigten ihre po­liti­sche Mei­nung di­rekt aus dem Fernsehen ab. "Eine kon­tinu­ierliche Be­einflussung der politi­schen Mei­nungs­bil­dung über Jahre hinweg kann die Wahlchancen der Re­gie­rungs­mehr­heit ge­genüber den Oppositi­onsparteien durchaus merk­lich ver­bes­sern" [234]  Das über­läßt die "politische Klasse" nicht dem Zu­fall, son­dern "ver­sucht ih­rerseits in schon fast totalitärer Absicht, mit allen Tech­ni­ken der Massenkommunika­tion in alle Bereiche des ge­­­sell­schaftlichen und privaten Lebens einzudringen, um sich in um­fas­sen­der Weise un­se­rer Einstellungen und Gefühle zu be­mächtigen." [235]

Vor der Frage: 'Wer regiert?' liegt nämlich die Frage: 'Wer be­stimmt, wer re­giert?', "und das macht, daß die allerwich­tigste Frage lau­ten muß: 'Wer be­herrscht den, der be­stimmt, wer regiert?' Mit an­de­ren Worten: Wer be­herrscht den Volkssou­verän, der ein 'Klima' er­schafft oder erleidet, das sich in Wil­lens­bildung umsetzt, die vage Vor­­stel­lun­gen, Ge­fühle, Stimmungen zu Hand­lungen und Haltungen wer­­den läßt? Wer beherrscht den Herrscher 'Volk' - und wie wird sol­che Herrschaft be­werkstelligt?" [236]  Das weiß das Bon­­ner Establish­ment und befaßt sich nicht mehr hauptsäch­lich mit Sach­pro­blemen des Vol­kes, son­dern vor allem mit "Public Relati­ons": Sein Anse­hens­verlust ist ihm allen­falls ein Kom­mu­ni­ka­tionsproblem, und darum sind ihm die Medien so wich­tig wie ei­nem anti­ken Des­po­ten seine Pa­last­wache. Überall steht die Medio­kratie unter Kon­trolle links­li­be­ra­ler Seilschaften. [237]

Bis zu 50% der ARD- und ZDF-Mitarbeiter sind par­tei­ge­bun­den [238] . Sie wer­den fest an die Kandare genommen: "Als der Bonner Stu­­­dio­leiter des ZDF, Wolf­gang Herles, vor dem Bremer Par­tei­tag der CDU Helmut Kohl kriti­sierte, wurde ihm vom 'Freun­des­kreis der Uni­on' beim ZDF 'Undankbarkeit' (sic!) angekreidet. Herles, der sich selbst als 'strikten Gegner jeder Hofbericht­erstat­tung' be­zeich­net, muß­te auf Druck Kohls am 1.11.1991 seinen Sessel als Stu­dio­leiter räu­­­men." [239]  Ähn­­liche Fälle sind aus dem Be­reich der "unab­hän­gi­gen" über­­­regiona­len Presse bekannt­geworden, wo z.B. ein Anruf des Bun­des­­kanzlers bei ei­nem Zei­tungs­her­aus­ge­ber genügt haben soll, ei­nem kri­­­tischen Re­dak­teur [240]  einen schon zu­gesagten Auf­stieg zu ver­bau­en.

Direkte Zensur durch die Parteien hat der Parteienstaat ebenso­we­nig nö­tig, wie die SED ihrem bewährten Karl-Eduard von Schnitzler nicht ins Hand­werk pfuschen mußte. Durch strenge Per­so­nalauswahl und Parteipro­porz wird überall da­für ge­sorgt, daß "dank­ba­re" Partei­aktivisten in vorder­ster Linie für die Be­lange ihrer Par­tei eintre­ten. Zensur braucht man dann nicht mehr. So wird die "demokratische Willensbildung von unten nach oben" tag­täglich zur Farce, wenn hoch­bezahlte und daher "dankbare" Mode­ratoren die Nach­rich­ten­aus­wahl tref­fen, kunst­voll Betroffen­heiten ze­lebrieren und Agitation und Pro­pa­gan­da auf so versteckt-suggestivem Ni­veau treiben, daß selbst ein Goebbels fach­­liche An­er­kennung hätte zollen müssen. Vom Inten­dan­ten bis zum Redak­teur hat der Par­tei­enstaat die Medien im Griff, deren Angehörige in vor­ausei­lendem Gehorsam die Parteien und ihr System be­lob­hu­deln: Die Stimme sei­nes Herrn! Häufig schreckt das Fernsehen noch nicht einmal vor plumper und direk­ter Meinungs­ma­che wie in George Or­wells "1984" durch den Großen Bru­der zurück wie 1992 bei der staatlichen Pro-Aus­län­der-Kampa­gne. Staatliche Wurf­sen­dun­gen mit volkspädago­gisch Erwünschtem ver­voll­­ständi­gen das Bild lüc­ken­loser ideologi­scher Er­fassung aller Haushalte. "Den Staatsparteien des Parteienstaates ist daran gelegen, in uns das ihrem Interesse gemäß 'richtige' Gesell­schaftsbild zu ver­ankern, und sie ha­ben die Mittel dazu." [241]

Im Endeffekt befindet sich die Mehrheit der Bürger, von de­nen nach de­mo­­krati­scher Lehre doch die politische Willens­bildung aus­ge­hen soll­te, fest in Hän­den staat­lich fi­nan­zierter, profes­sio­nel­ler Partei­appa­rate und ist "um­ge­ben von Journali­sten im öf­fent­lich-rechtlichen Rund­funksy­stem." [242]  Sie üben ei­ne so um­fas­sen­de In­formations­aus­wahl und Meinungssteue­rung aus, daß sie jede abwei­chende inhalt­li­che Position marginalisie­ren und jede auch nur per­­so­nelle Kon­kur­renz ins Abseits drängen können, das heißt in die Schmuddelecke für "Radikale". Be­deutet schon die selektive Aus­wahl der Tatsachen und Meldun­gen nach Maß­stab der volkspäd­agogi­sch jeweils Er­wünsch­ten eine Steuerung, so nicht minder ihre Zu­bereitung, Darbie­tung nach Form, Aus­drucks­wei­se, Sprach­re­ge­lung [243]  im Auslassen, An­mer­­ken und Akzentuieren. So beru­hen gleichschal­tende Sprachregelungen in fast allen Medien nicht auf Zufall, die offen na­tional­sozialistische Kleinst­grüppchen etwa mit "rechts­ge­rich­tet" apo­stro­phie­ren, de­mo­kra­tische Rechts­parteien aber mit "rechts­ex­tre­mi­stisch". Peter Kroll be­richtet von einem "alt­ge­dien­ten Korrespondenten, der noch wäh­rend des Dritten Rei­ches für damalige bür­ger­­liche Zeitungen im Aus­land tätig war", und dazu bitter mein­te: So wie es da­mals ei­ne 'Sprach­regelung' des Pro­pa­gan­daministeriums gegeben habe, existiere heute ei­ne selt­same Sprach­re­gelung in den elektronischen Me­dien, dem Spiegel, dem Stern" usw. [244]  Die tägliche Desinfor­mation wird zum Är­ger­nis. [245]  Man kann heute das geistige, po­li­ti­sche reli­giöse und mora­li­sche Klima eines Landes vom grü­nen Tisch aus planen und da­­nach fa­brizie­ren. [246]  

"Staatliche" Öffentlichkeitsarbeit regierender Parteien be­ein­träch­tigt lang­fri­stig die Chan­cen­­gleichheit der Parteien und damit die frei­heit­­li­che de­mo­kratische Grund­ord­nung. [247]  Durch den Miß­brauch die­ser Herr­schafts­tech­niken ist heute ein Zu­stand er­reicht, der dem De­mo­­kra­tie­prin­zip im Sinne des BVerfG di­rekt zuwi­derläuft und die Le­gi­­ti­mität des Sy­stems im Kern trifft. Einst durfte man in Deutschland nicht wagen, frei zu denken. Heu­te darf man es. Ge­samt­schul­ge­schä­digt und selektiv in­for­miert kann der moderne Deutsche es aber nicht mehr. Er vermag nur noch das zu denken, was er nach Ansicht un­se­rer Medienzaren und volks­pä­dagogischen Erzieher wollen soll, und eben das hält er nach ei­nem Wort Oswald Spenglers für seine Frei­heit.

Parteiendemokratie oder Parteienstaatlichkeit?

In diesen Zusammenhang gehört die Dialektik von Parteiende­mo­kra­tie als Soll- und Partei­enstaat­lichkeit als Istzu­stand. Die von staat­li­cher Dauer­fi­nan­zie­rung ab­hän­gig ge­wordenen Parteien ha­ben den Staat von innen durch­drun­gen und usurpiert, um diese Ab­hängigkeit umzu­kehren. Bildlich gespro­chen grün­den sie mit ih­ren Wurzeln in der Ge­sell­schaft, üben aber mit ihren Wipfeln schon die Funktion von Verfas­sungsor­ga­nen aus. [248]  Durch hohe Äm­ter­kom­bi­nation zwi­schen Partei- und Parlamentsamt und Re­gie­rungs- und Ver­wal­­tungs­amt [249]  ha­ben sie gewis­sermaßen ne­ben das innere Ge­rüst staatli­cher Struk­tu­ren wie ei­ne Schling­pflan­ze ein perso­nell identisches zwei­tes Gerüst gesetzt und sich auf diese Weise di­rek­ten Zugriff auf alle staat­lichen Funktio­nen ge­si­chert. So sind staatliche Amtsträger zu­gleich Partei­funk­tio­näre und haben damit zwei Seelen, zwei wi­der­streitende Loya­li­täten in ihrer Brust. Solange die Partei re­giert, die sie auf den Po­sten pro­te­giert hat, dienen sie da­zu, "möglichst viel aus ih­rem Pro­gramm in der Verwal­tung durch­zuset­zen." [250]  Sie fungie­ren als direk­tes Instru­ment der Ein­flußnah­me von Par­tei­in­teres­sen auf den Staat, in des­sen Na­men sie doch das Ge­mein­wohl för­dern sollten, nach dem alten Spruch, recht und billig sei zu­vör­derst das, was mir und mei­nen Vet­tern nützt.

Wechselt die Regierung, bleiben sie gleichwohl als unkünd­bare Alt­lasten in der Re­gie­rungs- oder Verwaltungsbürokra­tie pla­ziert, nun­mehr als Hemm­schuhe gegen den ebenso gie­rigen Zugriff der neuen Regierungspartei. Was diese an Zielvorstel­lungen durch­set­zen will, su­chen die Rückstände der abge­wählten Partei nach Kräf­ten zu durch­kreuzen. Bei höheren Beamten wie Ge­ne­ral­staats­anwälten pfle­gen nach ei­nem Regie­rungswechsel da­her als­bald Ent­las­sung und Ein­set­zung ei­nes anderen, par­teifrommen Be­hördenleiters zu fol­gen, womit augen­fällig wird, daß der nomi­nelle Anwalt des Staats in Wahrheit als An­walt der Re­gie­rungs­par­tei miß­braucht wird.

Ebenso hat das Parlament seine Bestimmung völlig eingebüßt, das Volk zu re­prä­sen­tie­ren. Es ist zu einer Stätte gewor­den, an der sich Parteibeauf­tragte treffen und Ent­schei­dun­gen regi­strieren, die Partei­gremien längst ge­troffen ha­ben. [251]  Die ge­setzli­che Fiktion des Art.38 GG, nach dem der Ab­geordnete nur seinem Gewissen ver­ant­wort­lich sein soll, ist ein nicht einge­löstes Dogma [252]  und prak­tisch ins Ge­gen­teil ver­kehrt. Keineswegs wirft etwa der Parteipolitiker im Moment seiner Wahl sein Wolfs­fell ab und mutiert plötzlich zu einem fried­li­chen Schaf, das die Parla­ments­wiese ab­grast, auf der Suche nach der blau­en Blume des Gemeinwohls. [253]  Die tat­sächlichen Par­teien ent­sen­den die real exi­stieren­den Abgeordneten über Listen als ih­re Ver­treter in die Parla­mente, nicht als Abgeord­nete des Volkes, und dem­ent­spre­chend verlan­gen sie von ihnen Gehorsam in Form des üb­li­chen Frakti­ons­zwangs. Wer aus­schert, ris­kiert seine Wiederauf­stel­lung und damit seine Exi­stenz als par­teiab­hängiger Be­rufs­politiker. Die in Art.38 GG statuierte Fiktion von der Unab­hän­gig­keit der Ab­ge­ord­ne­ten hatte einmal Edmund Burke in einer Rede ver­tei­digt. Es straf­te aber schon da­mals das tatsächliche Verhalten der mei­sten ge­wähl­ten Volks­vertreter den "hohen Idealis­mus Edmund Bur­kes Lü­gen. Selbst man­cher Zeitge­nosse Burkes, der seine Rede hör­te, muß in­nerlich ge­lacht haben, wenn er an die völlige Un­terwürfigkeit der mei­sten Par­la­­mentsmitglieder gegenüber den großen aristokra­ti­schen Grund­be­sit­zern dachte, die nicht einmal Weisungen auszugeben brauch­ten, so eif­rig waren 'ihre' Abgeordneten beflissen." [254]  

Das Ver­hält­nis­­wahlrecht mit seinem starren, nach Meinung Hans Herbert von Ar­nims verfas­sungs­wid­rigen [255]  Listensy­stem ist das Hauptin­strument der Par­teien, ihre Abgeordneten in Ab­hän­gig­keit zu halten. So konnte Schmitt schon 1932 spot­ten, die Ab­geord­neten würden in fester Organisation und Disziplin mar­schieren, zum Teil so­gar schon uniformiert. [256]  Heute ist die textile Uni­for­mie­rung ver­pönt, die geistige Uni­formität dagegen blieb.

Die Eroberung des Staats durch die Parteien als gesell­schaftli­che Kampf­­ver­bände führte zur totalen Machtergrei­fung des Par­tei­en­sy­stems und machte den Staat selbst weit­gehend hand­lungs­un­fähig. [257]  Be­sonders augen­fällig wird sie wie eine Machter­grei­fung auf einem feind­­lichen Haupt­quar­tier, wenn man etwa beim Nieder­säch­si­schen Um­­­welt­­ministe­rium an­fragt, ob dieses eine Initiative für Um­welt­schutz in der Lan­des­verfas­sung plane: Man erhält als Ant­wort den Ent­­wurf der SPD-Land­tags­fraktion über­sandt. So ist die Eigen­i­den­ti­fi­­kation der Parteien mit dem Staat zur unre­flek­tierten Selbst­­ver­ständ­­­lich­keit ge­worden. [258]  Par­tei und Staat be­gin­nen sich zu dec­ken. [259]

Wo die ihrer Natur nach parteiischen Parteien aber den Staat er­obert und sei­ner Neu­trali­tät beraubt und damit Ge­sellschaft und Staat heillos mit­einander verwoben ha­ben, steht der Bürger statt ei­nem ge­rechten, weil äqui­distanten Staat stets einer Partei­obrig­keit ge­gen­über. Die Par­tei­po­litisierung der Staats­verwal­tung läßt ihm im­mer ge­rin­gere Mög­lichkeiten einer priva­ten, unpoliti­schen Exi­stenz, die Mäßigung der Ein­fluß­nahme des Staats aufgrund sei­ner Neu­tralität entfällt und mit ihr eine wesentliche Vor­ausset­zung bür­ger­licher Frei­heit. [260]  Freiheit vom Staate gibt es im Par­tei­en­staat nur für die­je­ni­gen, die sich selbst des Staates bemächtigt und ihren Zwecken dienst­bar gemacht haben. So führen die Durch­drin­gung und das Zu­rück­drän­gen staatli­cher und damit unpartei­ischer, gesellschaftlich neu­tra­ler Macht durch Partei- und Verbän­de­struk­turen tenden­ziell zur Auf­lö­sung des Staa­tes, ja zum to­ta­li­tä­ren Partei­enstaat. [261]  "Die Bonner Re­­pu­blik, im­mer auf der Jagd nach totalitären Phä­no­me­nen, ist in ih­rer letz­ten Pha­se selbst to­talitär geworden." [262]  

"Die andere Sei­te aber, die an und für sich staatsfreudig ein­ge­stellt ist, wird we­gen ihrer Abneigung gegen die heutige Par­tei­en­de­mo­kra­tie ver­folgt. Die we­nigen Bejaher von Staat und Republik ge­raten so ins Hin­ter­tref­fen und bilden eine miß­achtete Min­der­heit. Wer aber den heu­ti­gen Zustand von Ge­sell­schaft und Staat nicht als der Weis­heit letz­ten Schluß ansieht, wird von den ... Macht­habern erbittert be­kämpft. Nach links Libertinage, nach rechts die Peitsche: das ist die 'Au­torität' der modernen deut­schen De­mokratie. Der zu Unrecht ge­schmäh­te Metternich ... wür­de vor Neid erblas­sen, beobachtete er die verfeiner­ten Methoden, mit de­nen der Libe­ralismus in seine Spu­ren tritt." [263]  

Einen skurrilen Höhepunkt erreicht die Tendenz zum totalen Par­tei­enst­aat, wenn seine Staats­parteien mit dem Ruf "Der Staat sind wir!" jedes Kon­kur­rie­ren mit ihrem Herr­schafts­anspruch als "staats­feind­lich" zu stigmatisie­ren su­chen. Nur eine unaus­ge­spro­che­ne Selbst­­einschät­zung als Staatspar­teien er­möglicht es, jeden An­griff ei­ner Kon­kurrenz­partei auf ihr Machtmonopol juri­stisch wie pro­pa­gandistisch als Angriff auf Staat und Verfas­sung umzu­deu­ten. So pflegten par­teiangehörige "Verfassungsschützer" in je­nen verwal­tungs­ge­richtlichen Verfah­ren ei­ner Partei im Jahre 1993 ge­gen ihre nach­­rich­ten­dienst­liche Beobach­tung re­gel­mä­ßig der Opposi­tion als Beweis für ihre angeb­liche Ver­fas­sungs­feind­lichkeit an­zukreiden, daß diese "die demokrati­schen Par­tei­en" politisch hart attackiere; woraus ge­schlossen werden müsse, daß die Partei den demokratischen Ver­fassungsstaat be­kämp­fe.

Schon Proudhon hatte beobachtet, daß die Volksvertreter, sobald sie in den Be­sitz der Macht ge­langt sind, sofort ih­re Macht stärken, aus­bauen und ih­re Stellung unauf­hör­lich mit neuen Schutz­maß­re­geln zu umgeben suchen, um sich end­lich von der po­pulä­ren Bot­mä­ßig­keit gänz­lich zu befreien. [264]  Theo­phrast bemerk­te, der größ­te Ehr­geiz der die höchsten Stellen im Volks­staate ein­neh­men­den Männer bestehe nicht so sehr in der Sucht nach Ge­winn und Berei­cherung, als viel­mehr darin, auf Kosten der Sou­ve­ränität des Vol­kes all­mäh­lich eine eigene zu gründen. [265]  Jede einmal in den Besitz der Macht ge­lang­te Gruppe neigt dazu, diese festhalten zu wollen. Im Zeitalter der De­mo­kratie spre­chen und kämpfen alle Fak­toren des öf­fentlichen Le­bens im Na­men der Gesamt­heit. Alle Grup­pen, welche die Macht fest­zu­halten su­chen, be­rufen sich zu ih­rer Eigen­legi­timation auf deren an­gebliches Wohl. [266]  Je­de Par­tei sucht sich des Staates zu be­mächti­gen und sich für das Allge­mei­ne aus­zuge­ben. [267]  Vor allem, wenn sie als Abgeordnete in einer demokratischen Legislative sitzen, bilden sie sich manch­mal ein, sie selbst seien das Volk. [268]  Be­griff­lich bedeutet diese Iden­tifi­zierung von Re­gie­rung und Partei den rei­nen, nach dem BVerfG [269]  verfassungs­wid­rigen Par­teienstaat.

Im Gesetzgebungsstaat kanalisiert die Verfassung den Zugang zur Macht: Sie fällt dem­jeni­gen zu, der sie gemacht hat und die Mittel be­sitzt, verbindlich zu defi­nieren, wie sie zu verste­hen, und vor al­lem: wer ihre Fein­de sind. [270]  So ha­ben die Par­teien mit dem Grund­ge­setz, flankierenden Partei­en- und Wahlge­setzen sowie der Judikatur des po­liti­schen: des Bundesverfas­sungsgerichts, eine ih­nen auf den Leib ge­schneiderte Herr­schaftsordnung er­rich­tet. Herr­schaft des Rechts, ihres Rechts, bedeutet aber nichts ande­res als die Legitimie­rung ei­nes jewei­ligen Status quo, an dem diejeni­gen Parteien und Personen ein In­ter­esse ha­ben, welche die Rechts­nor­men gesetzt haben und deren Macht­stel­lung sich in ihnen stabi­li­siert. [271]  

Alles Recht ist politisches Recht. "Seien Sie nicht unpolitisch," er­teil­te "aus eige­ner Erfahrung" ein Richter am BGH "einen freund­lich-wohl­wollenden Rat­schlag", son­dern passen Sie sich dem Zeit­geist, das heißt dem Geist der Herren unserer Zeit, an; ... Nehmen Sie sich ein Beispiel an ...erg.: Roman Herzog . Er hat nicht nur ein fei­nes Emp­finden, woher der politische Wind weht, sondern weiß auch, wer ihn macht. Der Gleichheitssatz gebietet keine Gleich­be­hand­lung al­ler gesellschaftlichen Gruppen. Eine geläuterte Rechts­auf­fassung er­kennt klare Unterschiede, aus denen sachliche Dif­fe­ren­zie­rungs­grün­de für eine Ungleichbe­handlung herzuleiten sind. Ist es etwa kein re­le­vanter Differenzierungsgrund, wenn man das Wäh­lerpotential im Au­ge hat? ... Im übrigen: Sie rücken in die Nähe eines Ver­fas­sungs­fein­des, wenn Sie Zweifel an den Dif­fe­ren­zie­rungen unserer obersten Rechts­verwal­ter vom Schloßplatz bei der Anwen­dung des Gleich­heits­satzes äu­ßern. Alle Bürger sind gleich, aber einige sind gleicher als die ande­ren. Wissen Sie nicht, daß Not kein Gebot kennt und wo ge­hobelt wird, Späne fallen?" [272]

So gibt das Bundes­ver­fassungsgericht dem weltan­schau­lich Wün­schens­wer­ten Flankendeckung, falls einmal ein Gesetz so un­ge­nau for­muliert oder lücken­haft sein soll­te, daß die In­stanz­ge­rich­te zu un­er­wünschten Urteilen ge­lan­gen: Die "richterlichen Er­satz­ge­setz­ge­ber" [273]  in Karls­ruhe lesen not­falls auch ins Grund­ge­setz hinein, was dort gar nicht steht: Die Legiti­mationsbasis des BVerfG dürfte zwar al­lein das po­­si­tive Verfas­sungs­recht sein. Gleichwohl miß­brau­chen sie das "Grund­gesetz als 'verfassungs­rechtliche Wun­dertüte', der sich das 'Gu­te, Wahre und Schö­ne' - je nach Bedarf - ent­neh­men läßt. Jen­seits des­sen, was sich als 'immer schon im GG ent­hal­ten' auf­wei­sen läßt, be­treibt das Ge­richt Politik. Dafür hat es weder Man­dat noch Le­gi­ti­ma­ti­on. Zu­ge­ge­ben: Be­züglich seiner Macht ist das BVerfG fak­tisch sou­ve­rän. Aber diese Souve­ränität ist gebunden an eine Nor­mal­­lage; fürch­ten muß das Ge­richt den Aus­nahmefall: Die zu­neh­mende Ver­la­ge­rung po­liti­scher Macht nach Karlsruhe kann sich näm­­lich auf Dauer zu ei­ner Ak­­zep­tanz- und Ver­fas­sungs­kri­se aus­wachsen [...]. Und dann wer­den die Oli­garchen von Karls­ru­he in schlich­ten, ge­mein­ver­ständ­li­chen Wor­ten er­klären müs­sen, mit welchem Recht sie der Ver­fas­sung In­halte entloc­ken, die vor­her dort nicht zu fin­den wa­ren. Wehe dem Ge­richt, es kann die Ele­mentar­frage nicht plau­si­bel be­ant­wor­ten." [274]

Seine Antwort könnte nur eine politische sein und enthüllen, worum es eigentlich bei der Institution Bundesverfassungsgericht geht: Der verbale For­melkompromiß gehört zum Wesen par­la­men­ta­ri­scher Gesetzgebungstätigkeit. Wo politische Einmü­tigkeit nicht er­zeugt und für eine klare Lösung keine Me­hrheit gefunden werden kann, schiebt man gern die sachliche Entscheidung durch eine unklare For­mulierung hinaus und läßt so die politische Entscheidung offen. Hier ist es Aufgabe der in das "Verfassungsgericht" entsandten Par­tei­envertreter, in justizförmigem Gewand die ei­gentliche politische Ent­­scheidung zu treffen. "Hier Rechtsfragen von politischen Fra­gen zu trennen und anzuneh­men, eine staatsrechtliche Angelegenheit lasse sich ent­politisieren, ... ist eine trübe Fiktion." [275]  

Die umfassende Definitionsmacht der Bonner Parteien und ihrer im Ver­fas­sungs­ge­richt sitzenden Angehörigen über die Ver­fas­sungs­normen birgt für Au­ßenseiter die Ge­fahr, von Rechts wegen po­li­tisch entrechtet werden zu kön­nen: Nach Art.18 GG "ver­wirkt" die­ Grund­­rechte, wer sie zum Kampf ge­gen die frei­heit­li­che demo­krati­sche Grund­ord­nung (FdGO) "mißbraucht". Dem­ent­spre­chend kön­nen Vereini­gun­gen, die sich gegen die ver­fas­sungs­mä­ßige Ordnung rich­ten, nach Art.9, und Partei­en, die nach ih­ren tatsächli­chen Zielen oder auch nur nach dem Verhalten ihrer An­hänger (!) darauf ausge­hen, die FdGO zu beein­trächtigen (!), nach Art.21 verboten werden. Wäh­rend diese Sanktio­nen ge­gen­über Einzel­personen und Par­teien nur durch das BVerfG aus­ge­spro­chen werden können, genügt für ein Verbot anderer Ver­eini­gun­gen ein Verwal­tungs­akt, gegen den immer­hin noch ge­richt­li­cher Schutz angerufen werden kann.

Verfassungsschutz oder Parteienschutz?

Hauptinstrument des Parteienkartells ist aber der Verfas­sungs­schutz. Als Schild und Schwert des Parteienstaates fällt ihm die Auf­gabe zu, schon im Vor­feld von Par­teigrün­dun­gen filternd zu wirken und vorsichtige Naturen wie Be­am­te fernzuhal­ten ("Sie wissen doch, als Beamter kann ich mir das nicht er­lau­ben..."). Allein die Mög­lich­keit der nach­richten­dienstlichen Bespit­zelung er­zeugt ein Klima der Ein­schüch­te­rung. In­dem man den Bereich der ver­däch­ti­gen, "ver­fas­sungs­feind­li­chen" Äußerungen lange be­wußt un­scharf ließ, wußte niemand so recht, ob er noch die erlaubte Ge­sin­nung hatte oder als "Radikaler" zum Beispiel nicht zum Staats­dienst zugelassen wurde. Erst das Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­ge­set­zes vom 20.12.1990 schuf ein Min­destmaß an Rechts­si­cher­heit. Objekt der Be­ob­ach­tung waren da­bei im­mer nur die "an­de­ren": Ob­wohl die Bun­des­­tags­par­teien seit Jahren am lau­fen­den Band Ge­setze pro­duzieren, die das Bun­desver­fas­sungs­ge­richt we­gen ihrer Unver­ein­bar­keit mit Ver­fas­sungs­normen wieder auf­hebt, betrachten sie sich als al­lein le­gitime Hüter der Ver­fas­sung. Die GRÜNEN wurden be­spit­zelt, solange sie "draußen" wa­ren. Nach ihrem Einzug in Parla­men­te bildete man dann Koalitionen mit ih­nen.

Der Verfassungsschutz gibt den jeweiligen Regierungspartei­en ein schein­bar le­ga­les Mittel, demokratische Konkurrenz­parteien mit nach­­­rich­tendienstli­chen Mitteln auszu­spä­hen. Prakti­scher Er­fah­rung nach haben Ver­waltungsrich­ter in den selten­sten Fäl­len den Mut, eine of­fen­kundig gesetz­wid­rige Ein­schleu­sung von V-Leu­ten des Verfas­sungs­schutzes und ähnli­che Methoden zu un­ter­bin­den. [276]  Diese V-Leute ope­rieren in einer Grauzone, in der selten klar wird, ob sie nur beobachten oder ob sie die "Vorfälle" selbst provozieren, die der be­ob­achte­ten Organisation später vor­geworfen werden. Am 31.5.94 trat der der Bundesor­ganisationsleiter der Repu­blikaner Udo Bösch "nach rund zweijähriger aufmerk­samer Beobachtung", wie er selbst for­­­mu­lierte, aus seiner Partei aus und trat sofort vor die zufrieden schnur­renden Fernsehka­meras. Und im Juni 1994 gab der SPD-In­nen­­mini­ster in NRW zu, daß sein Verfas­sungsschutz-Informant Bernd Schmitt in Solingen Leiter der Kampf­sportschule war, aus der die Tä­ter des dortigen Brandanschlags auf Türken am 29.5.93 her­vorge­gan­gen waren.

Viel wichti­ger als die nachrichten­dienst­li­che Beob­ach­tung selbst ist den Re­gie­ren­den im Zeitalter der sym­bo­li­schen Politik aber, die Op­posi­tion quasi amt­lich als Staats­fein­de stig­matisieren zu kön­nen. Die Stra­tegie der Stig­matisie­rung wird in inter­nen Papieren des Kon­rad-Ade­nauer-Hau­ses im­mer wieder betont und an­emp­fohlen. [277]  Da schwingt dann rechtzei­tig vor Wahlen ein Partei­-Gene­ralsekretär wie Geiß­­ler den Takt­stock gegen die Op­position, und der Chor der par­tei­ange­hörigen Ver­fas­sungs­schutz­prä­si­den­ten und Fern­seh­mo­de­ra­­to­ren stimmt be­trof­fen und be­sorgt ein: Diese oder jene Par­tei stehe im Ver­­­dacht der Ver­fas­sungs­feindlich­keit. Das hat in un­se­rer Me­­dien­de­mo­­kra­tie etwa die Wir­kung, als ließe ein Show­ma­ster über ei­nen pro­mi­nen­ten Schauspie­ler die Bemer­kung fal­len, dieser miß­brau­­che klei­ne Mäd­­chen. Der Ruf ist hin, doch ge­richt­li­chen Schutz ge­ben die Ge­­set­ze des Par­tei­en­staa­tes ge­gen sol­che Ruf­schädigun­gen nicht. [278]

Der Verfassungsschutz wird als Verunglimpfungsinstrument durch­­­­aus be­wußt und ziel­ge­richtet eingesetzt. Gelangt eine neue Grup­­­pie­rung zu gewisser Bedeu­tung, weil die Medien ihr eine ge­wis­se Be­kanntheit ermöglicht haben, fährt der Schreck den Eta­blier­ten mäch­tig in die Glieder. Der Parteienstaat zeigt dann seine Fol­ter­werkzeuge vor, deren erstes das Gespenst des Ver­fas­sungs­schut­zes ist: Da gibt es den früheren bayerischen FDP-Vorsitzenden Brun­ner, einen jahre­lang ge­standenen Demokraten, eine Stütze des Sy­stems. Leider war ihm in Brüs­sel bei seiner segens­reichen Tä­tig­keit für Deutschland aufge­fallen, daß die Ver­anstaltung Brüssel viel­leicht in Gänze gar nicht segensreich für Deutschland werden könnte. Er klag­te in Karls­ruhe, bekanntlich formell erfolglos, gegen den EG-Ver­trag und trat aus der FDP aus. Jetzt schmückt seine kleine aber fei­ne Par­tei Bund Freier Bürger als jüngste Blume die bunte Wiese der Partei­neugrün­dungen. Nein, so Brun­ner, eine Rechtspartei sei sie nicht. Be­tont marktwirt­schaftlich, ja liberal-konservativ sei man ein­gestellt. Für die Gründungsver­sammlung am 23.1.1994 wolle er als stellvertre­ten­de Vor­sitzen­de mehrere bun­desweit bekannten Pro­fes­so­ren und ähn­lich integer-illu­stre Persönlich­keiten vor­schla­gen. Also alles klar für das junge Par­tei­schiff? Nein, der gute Brun­ner weiß nicht, wie das heut­zu­tage zugeht gegen­über Neuan­kömm­lingen und Kon­kurrenz­par­teien: Da hatte der thüringische In­nen­minister Schu­ster (CDU) nichts eilige­res zu tun, als in der Thü­rin­gischen Landes­zei­tung perfide zu behaupten, die geplante Par­tei sei "weitaus gefähr­licher als bereits veran­kerte Gruppie­rungen wie die Re­pu­bli­ka­ner und die NPD". Er werde die Gründungs­ver­samm­lung beob­achten lassen, könne die Par­teigründung aber nur ver­hin­dern, "wenn in Wei­mar konkrjet verfas­sungswidrige Ziele for­mu­liert wer­den." Ar­mer Brun­ner ! Er weiß noch nicht, daß im Par­tei­­enstaat die Macht hat, wer ver­bind­lich bestimmt, wie die Ver­fas­sung aus­zulegen ist, wo man ihre Feinde findet und wer diese me­dien­­wirksam stig­matisieren kann. Diese Feinde sind immer die an­de­ren, zu­mal, wenn sie als Konkur­renz um die Pfründen ge­fähr­lich wer­den. Der Aus­spruch des CDU-Ministers ist an un­ter­schwel­liger Bös­artig­keit und verleumderischer Un­terstellung kaum zu über­bie­ten, aber er wird seinen Zweck erfüllen. Nie­mand wird fra­gen, was Brun­ner wirk­lich will.

Wie Stefan Dietrich an einem anderen Beispiel, dem Nieder­säch­si­schen Lan­des­amt für Verfassungs­schutz, und seiner Instru­men­ta­li­sie­rung durch die rot-grüne Lan­des­regie­rung ausführte, zeigt sich der ziel­ge­rich­te­te Mißbrauch des Verfas­sungs­schut­zes darin, wie der link­sex­treme Be­reich dort bewußt bagatelli­siert und der rechts­ex­tre­me mit ei­ner ge­häs­si­gen In­vek­ti­ve ge­gen die CDU auf­ge­bauscht wird: "Eine Probe seiner neu­en Hell­sich­tig­keit für rechte Umtriebe hatte das ge­wen­dete Landesamt schon im Früh­jahr mit der Wan­der­aus­stel­lung 'Demo­kratie gegen rechts' ab­ge­lie­fert. Aus dem Fundus des Ver­fas­sungs­schutzes wer­den dort Parolen und Sym­bole, Schall­platten und Magazine prä­sen­tiert, an denen man die rechten Rat­ten­fänger er­kennt - ei­ne si­cher­lich ver­dienst­vol­le Ar­beit. Der CDU ist ent­gan­gen, daß der Ti­tel 'Demokratie gegen Rechts' auch eine Spit­ze gegen sie enthielt. Wenn Mini­sterpräsi­dent Schröder (SPD) oder Bun­des­rats­mi­ni­ster Trit­tin (Bündnis 90/Grüne) von 'den Rechten' sprechen, ist sel­ten klar, ob sie damit Rechts­radi­kale, die CDU oder beide meinen. Be­sonders Schrö­der zieht gern Verbin­dungs­linien zwi­schen den Blut­taten von Mölln und Solin­gen über rechts­radi­kale Hin­ter­män­ner zu den 'Ver­ant­wort­lichen in der CDU'. Wenn es ihm ernst da­mit ist, dann müßte der Mi­nisterpräsi­dent eigentlich den Ver­fas­sungs­schutz beauf­tragen, sich in Nie­dersach­sen auch um christ­lich-demo­kra­ti­sche Um­triebe zu küm­mern.

Eher unwahrscheinlich ist dagegen, daß etwa die Göttinger Au­to­no­men, mit de­nen Mi­ni­ster Trittin offen sympathisiert, fortan noch nach­rich­ten­dienstlich be­hel­ligt wer­den." [279]  Die Ju­stiz­wacht­mei­ster beim Amts­gericht Göttingen plaudern heute noch gern über die 80er Jahre und über den Alt­kommunisten Trit­tin (Kom­mu­ni­sti­scher Bund) und wis­sen manche dienstlich er­lebte Anek­dote zu berichten. Daß in ei­ner Koa­lition mit ihm sei­ne alten Freunde der Göt­tinger Auto­no­men­sze­ne nicht mehr beob­ach­tet wer­den, ge­gen die jahre­lang durch den General­bun­desanwalt aufgr­und § 129 a StGB we­gen Bil­dung ei­ner terroristi­schen Vereini­gung er­mit­telt wurde, wo­hin­ge­gen Trit­tin die ver­fas­sungs­treu­en Re­pu­bli­ka­ner be­spit­zeln möchte, ver­steht sich von selbst. Ob es un­ter die­sen Um­stän­den reiner Zufall ist, daß Par­tei­­tage und Tref­fen der Re­pu­blikaner in Nie­der­sachsen noch so qua­si­kon­spi­rativ vor­be­rei­tet werden kön­nen wie sie wollen, es treten re­gel­­mäßig au­to­no­me Prü­gel­kom­man­dos in Ak­tion, die das Ta­gungs­lo­kal kurz und klein schla­gen und die Teil­neh­mer ver­hau­en wollen, mag sei­­ne nach­den­­kens­wer­ten Gründe haben. Im­merhin ist das vom Ver­fas­­sungs­schutz in ei­ne Ge­fäng­nis­mauer gesprengte Celler Loch noch in all­ge­mei­ner Erinne­rung. [280]

Der Zugriff auf die Rechtsprechung

Die Realität des totalen Parteienstaates und seines direk­ten Zu­griffs auf die Ge­wal­ten machte auch die Rechtspflege zum be­gehr­ten Objekt sowohl de­rer, die sich in den Be­sitz der Recht­spre­chung set­zen wollen, um mit ihrer Hilfe die gesell­schaftli­che Ord­nung zu ver­ändern, [281]  als auch derer, die sie zur Stabi­li­sierung ihrer Herr­schaft be­nö­ti­gen. Die Justiz ist heute Teil des Sy­stems, [282]  was schon aus der An­wendung des vom Bon­ner Esta­blish­ment ge­machten Geset­zes­rechts folgt. Vor allem aber un­ter­liegt die Justiz des­sen per­sonel­lem Zugriff. Bei ihrer par­tei­po­li­ti­schen Durchdrin­gung sün­digen alle Par­teien in ei­nem Ausmaß, das selbst der so­zial­de­mo­kratische ehemalige Präsi­dent des OLG Braun­schweig, Rudolf Was­ser­mann, nicht mehr hin­nehmbar fin­det. Nicht mehr das Lei­stungs­prinzip des Art.33 GG gilt, sondern "au­ßer­dienst­liche Ak­tivi­täten". [283]  "Die Günst­lings­wirt­schaft erzeugt zwangs­läu­fig ei­nen Geist in der Justiz, der sich der Po­litik und den Parteien ver­pflich­tet fühlt." [284]  Wer sich nicht genug ver­pflichtet fühlt, versündigt sich als Rich­ter nicht ungestraft gegen die­sen Geist: Als das Landgericht Mannheim im August 1994 den NPD-Vorsitzenden Deckert zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilte und die Urteilsgründe bekannt wurden, war­fen Partei­vorsitzende, un­ter ihnen auch der Bundeskanzler, dem Ge­richt vor, es habe zu viel Ver­­ständnis für die Motive des Ver­ur­teil­ten durchblicken lassen. Das ver­anlaßte den Kammervorsitzenden Rich­ter Dr.Müller eilig zu einem von dpa verbreiteten öffentli­chen Ent­schuldigungsschrei­ben, in dem er durch seinen Rechtsanwalt be­flis­sen Selbst­kritik übte und fle­hent­lich darauf verwies, er sei doch "seit über 25 Jahren Mitglied der äl­te­sten deutschen demokratischen Par­tei" (also der SPD). Der an­bie­dern­­de Hin­weis hat dem Ärmsten in­des­sen nicht ge­nützt: Seine Par­tei­­­genossen-Richterkollegen des Ge­richts­präsidi­ums entzogen ihm vorläufig den Straf­kam­mer­vor­sitz.

Die oberen Richter die­ser Republik werden vorsichtshalber gleich von einer Hand­voll Par­tei­politi­kern hin­ter ver­schlos­senen Türen aus­ge­han­delt: [285]  Die Ent­schei­dung über die Aus­wahl hat sich fak­­tisch von dem nach § 6 BVerfGG durch den Bundestag zu wählenden Wahl­­aus­schuß ver­scho­ben "auf eine nir­gends recht­lich ver­faßte, aus den Macht­eliten der Par­teien in Frak­tionen, Re­gie­rung und Bundesrat be­­ste­henden 'Arbeits­grup­pe', die so­wohl die vom Bun­des­tag wie die vom Bun­des­rat zu wählen­den Richter auswählt, so daß der Wahl­män­­ner­aus­schuß bzw. der Bundes­rat nur noch for­mell dar­über be­schließt." [286]  Während das Volk auf die Be­setzung des Bun­des­ver­fas­sungs­­ge­­richts keinerlei Einfluß hat, sollen gemäß Art.94 GG Bun­des­tag und Bundes­rat ihre richterlichen Kontrolleu­re selber aus­wäh­len. [287]  Tat­säch­lich aber wählt das Parlament gar nicht, sondern hat ei­nen zwölf­köpfigen Wahlaus­schuß damit beauftragt. Doch selbst diese Zwölf haben nicht wirklich das Sagen: Die verbindliche Vorent­schei­dung dar­über, wer nach Karlsruhe geschickt wird, treffen sogenannte Ar­­beits­gruppen von zwei bis drei Personen hinter ge­schlos­senen Tü­ren. Dieser Zustand ist "von Hause aus ver­fas­sungs­widrig". [288]   Auf diese Weise haben die Parteien bequem ein "verfas­sungs­un­mit­tel­­ba­res Organ politischer Ju­stiz" [289]  ge­schaf­­fen und mit ih­nen geneh­men Par­­tei­po­litikern be­setzt.

Zu­grunde liegt dem ganzen Manöver die "Idee, daß sich die bei­den großen Par­tei­en die Prä­sidentschaft" und die an­de­ren Rich­ter­stel­­len "ungefähr je zur Hälfte tei­len." [290]  So haben sie sich auf einen Mo­dus harmonischen Zu­­­sam­men­wir­kens geei­nigt, "al­ler­dings auf Ko­sten der Parteilosen, die bekanntlich 97% der Be­völ­ke­rung aus­ma­chen. ... Die Politik re­kru­tiert also die höch­sten Rich­ter nicht aus dem (Ju­ri­sten-)Volke, son­dern aus einer Ka­ste, de­ren Ho­mogenität und Ex­klu­si­vität durch ein Stück Papier be­stimmt wird: das Par­tei­buch. Das sind im Hinblick auf das Dis­kri­mi­nie­rungs­verbot (Art.3 III GG) und die Be­sten­auslese (Art.33 II GG) zwei­fel­los ver­bo­tene Aus­wahl­­­kri­te­rien. Das höch­ste Ge­­richt, das Ver­fas­sungs­ge­richt, wird also un­ter no­to­ri­schem Ver­stoß gegen Ver­fas­sungs­grund­sät­ze besetzt; - oder gibt es ir­gend­wo eine Stim­me, die das be­zwei­felt?" [291]  Für 10 der 16 Verfas­sungs­richter läßt das Bun­­­des­ver­fas­sungs­ge­richts­ge­setz ge­nü­gen, daß sie ir­gend­wann ein­mal die zweite juristische Staats­prü­fung bestan­den ha­ben. [292]  Diese Praxis der Ver­fas­sungs­rich­ter­wahl stößt in der herrschenden Ver­fas­sungs­leh­re aus "begründete Ab­leh­nung", die "bis zur Verach­tung" reicht." [293]  

Was für das Bundesverfassungsgericht gilt, setzt sich bei den Lan­desverfas­sungs­gerichten und den anderen Obergerichten fort. 1996 wurde eine Studie über den Einfluß der politischen Parteien auf die Ernennungen zum Bundesgerichts­hof erstellt. [294]  Die Autoren befragten die BGH-Richter durch einen anonymen Fragebo­gen. Der Anteil der parteigebundenen Richter liegt bei rzwa 40%. "Von seiten der parteilosen Richter", führen die Autoren der Studie aus, "wird scharfe Kritik an der Wahlpraxis der Parteien geübt, die sich in Schlagworten wie "Däubler-Gmelin-Syndrom" und "Kohl-Effekt" nieder­schlägt und die auch nicht davor zurückschreckt, Kollegen - immerhin Richter am höchsten ordentlichen Gericht! - fachlich als "schwach" zu bezeichnen und diese fachliche Schwäche mit der Parteizugehörigkeit in Verbindung zu bringen."

Die Mitglieder des Hamburgi­schen Verfassungsgerichts können ohne Rest den Parteien der Bürgerschaft zuge­rechnet werden. [295]  Eine bayeri­scher Bürger­aktion mit ihrem Vorsitzenden, der zugleich Vor­sit­zen­der der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften ist, Ri­chard Sigl, kündigte am 18.11.94 an, sie werde gegen die Per­so­nal­be­set­zung des Bayeri­schen Verfas­sungsgerichtshofs klagen: Er sei zu 86% CSU-besetzt, von SPD und Grünen nur zu 14%. Nach Mei­nung der SDP-Fraktions­vorsitzenden im Münchener Landtag, Re­na­te Schmidt, ist die Unabhängigkeit dieser Richter "zum vor­aus­eilenden Gehorsam ge­gen­über der Landesregierung de­ge­ne­riert" [296]  

Nicht jede personelle Ranküne der Parteien gelang den Parteien: Man­cher Politi­ker hat, zum Verfassungsrichter gewählt und somit in den Stand der per­sönlichen Unab­hängigkeit ver­setzt, zu für seine Ent­sendepartei unlieb­samer Rechtsamkeit und Neu­tralität gefunden. Den­noch brachte auch ein je­der seine persönlichen politischen und ideo­lo­gischen Grund­wer­te in die Ent­schei­dungen ein, welche auch sonst? Nun ist das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt nicht be­ru­fen, die bloß formell richtige Auslegung des ein­fachen Gesetzes­rechts nach­zu­prü­fen. Viel­mehr soll es die Gesetzgebung gerade in­so­weit kontrollieren, als sie ei­nen politischen Akt dar­stellt, und zwar auf Überein­stim­mung mit der im Grundgesetz nie­dergelegten ma­te­riel­len Wertordnung.

Durch diese Kontrolle soll verhindert werden, daß der de­mo­kra­ti­sche Rechts­staat zur Diktatur der Parlamentsmehrheit pervertiert wird. [297] ­ Indes­sen kann eine wert­ge­bun­de­ne, mit anderen Wor­ten ideo­logische, Kontrolle der Par­lamentsent­scheidun­gen nur das Per­pe­tuum mobile einer sich immer­während selbst re­pro­du­zie­ren­den Herr­schaft auf Grund­lage einer homogenen Herr­schafts­­ideo­logie ge­währ­lei­sten und erfüllt damit eine emi­nent system­sta­bi­li­sierende Funk­tion. Ma­­teriell wird durch die an­­ge­wandte Rich­ter­wahl­pro­ze­dur sicherge­stellt, daß im­mer wie­der Juristen aus ei­ner welt­anschaulich ver­hält­nis­mä­ßig ein­heit­lichen Per­so­nen­grup­pe Ver­fas­sungsrich­ter wer­den und nur immer das Sy­stem auf Ein­hal­tung seiner eigenen Spiel­re­geln über­wachen kön­nen. So ge­se­hen, darf die "gewaltenteilende" Funkti­on des Ge­richts nicht da­hin­gehend miß­ver­stan­den werden, un­ter sei­nem Schirm könn­te et­wa eine grund­sätzlich andere welt­an­schau­li­che oder po­li­ti­sche Rich­tung richterlichen Schutz suchen, als sie von den Bun­­des­tags­par­tei­en sonst ver­tre­ten wird. Eine welt­an­schau­li­che Gleich­­schal­tung auf­grund ei­ner Parla­mentsmehrheit, Re­gierung und Recht­sprechung übergreifen­den ho­mogen li­be­ra­len Ideologie kann das Bun­desverfas­sungsgericht also nicht nur nicht verhindern; es ist so­gar de­ren Garant. Als Hüter der Ver­fassung mit ihrem ma­te­riel­len Kern­ge­halt wacht es ge­mäß Art.79 Abs.III GG auf ewig über das ge­schlos­sene Sy­stem der liberalen "of­fe­nen Gesell­schaft". Ist das eine Dikta­tur? Welch akademische Frage - darf man doch in ihr, wie in ei­ner Gummi­zelle, alles tun; nur ändern kann man nichts.

Damit teilt das liberale System das Schicksal aller Systeme, die Wert auf ih­ren Selbst­erhalt legen. Kein System kann langfristig dul­den, daß seine ge­teilten Gewal­ten ein ideo­logisches Eigenleben füh­ren, sonst zer­stört es sich infolge seiner inneren Wi­der­sprü­che selbst. So bereitete die Machtergreifung 1933 der Weimarer Republik ein schmähliches Ende. Sie veranschaulichte uns, was aus einem Sy­stem wird, dessen Recht­sprechung einen so neutralen Gesetzes­be­griff hatte, daß es seiner ei­ge­nen Aus­lieferung an seine Feinde nichts ent­gegensetz­te. [298]  Für die wehrhafte De­mokratie des Bon­ner Grund­ge­setzes und militante Demokraten [299]  gibt es hingegen, Carl Schmitt fol­gend, [300]  selbst­ver­ständ­lich nur einen auf einer ein­heit­li­chen Wert­ord­nung be­ru­hen­den Rechts- und Ge­set­zes­be­griff. Das li­be­ra­le Bür­ger­tum hat aus der Geschichte ge­lernt. Obwohl es ohne­hin den gan­zen Staat erobert hat, hat es des­sen Gewalten vor­sichtshalber noch ein­mal auf­ge­teilt. Weiter sicher­heits­hal­ber hat es sich von den Staats­funk­tionen die Ge­setz­ge­bung als Domäne reserviert. Durch die Grund­sätze des Vorranges und des Vor­behaltes der par­la­men­ta­risch be­schlos­se­nen Gesetze hat es si­chergestellt, daß die an­deren Ge­wal­ten nicht au­ßer­halb seiner Ge­setze handeln dür­fen. So ist alles Recht "bürgerliches Recht," sind die Gerichte bür­gerliche, mit an­deren Wor­ten: li­berale, Ge­rich­te. Es wird so eine Recht­spre­chung gewähr­leistet, die auf die li­be­ralen Grund­werte als oberste Wer­te aus­ge­rich­tet ist. Der Vorrang und der Vor­be­halt des par­la­men­ta­ri­schen Geset­zes si­chern so einen li­be­ralen Ge­set­zesbegriff, eine li­be­rale Hand­ha­bung der Exekutive und ei­ne libe­ra­le Recht­spre­chung.

Zur Verteidigung dieser Maßregeln muß be­tont werden, daß kein Sy­stem auf Da­uer bestehen kann, das in seinen Staats­organen etwa von­ein­an­der ab­wei­chen­de ideo­logische Auf­fas­sun­gen zuließe. Die Einheit­lich­keit der staatlichen Ver­fassung und ih­rer Wert­ord­nung gilt nicht nur nach rich­tiger An­sicht des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts [301]  hier und heute, sondern in jedem stabilen System. "Jeder Staat nimmt für sich ein Selbsterhaltungsrecht zur Ver­tei­di­gung des etablierten Macht- und Vertei­lungssy­stems in Anspruch. Auch wenn sich Un­ter­schie­de in der Art und Weise feststellen las­sen, wie dieses Selbst­er­hal­tungsrecht verwirk­licht wird, so geht es doch stets darum, po­li­ti­sche Systemgegner auszuschalten oder we­nig­stens zu schwächen. Wer­den ge­richtsförmige Verfahren dazu in Dienst genommen, dann spricht man von politischer Justiz." [302]

Deshalb kann die "Gewaltenteilung" nicht die Glorio­le eines et­wai­gen Refu­gi­ums für weltanschauliche Dis­si­den­ten für sich in An­spruch neh­men, die nicht liberal sein möchten und an­dere Grund­wer­te beto­nen als die freie Entfaltung der Indivi­dualität des Ein­zel­menschen. Auch wenn jeder Angehörige der Recht­spre­chung per­sönlich un­ab­hän­gig ist, ist er doch durch die Gesetze und die Ver­fas­sung, auf die er ge­schworen hat, dazu verpflichtet, auf der Grund­lage bestimmter vor­­gegebener Ideo­lo­ge­me zu rich­ten. Schreckenberger hat diese als Tri­vialideo­logie bezeichnet, als Basis­doktrin zur verfassungskräftigen Dog­matisierung eines Kernbestan­des gesell­schaftlicher Über­zeu­gun­gen, der für eine pluralistische Ge­sellschaftsauffas­sung unentbehrlich sei. [303]  Diese werden heute üb­li­cher­wei­se als "Wertordnung des Grund­­ge­set­zes" bezeichnet. So können Rich­ter in der par­la­men­ta­ri­schen Demokratie mit derselben Kon­se­quenz nur auf par­la­men­ta­risch-de­mokratischer Basis richten, wie et­wa Richtern im So­zia­lis­mus ein fester "Klassenstandpunkt" ab­ver­langt wurde. Das parlamen­ta­ri­sche System teilt das Schicksal aller Sy­ste­me, die Wert auf ihren Selbst­erhalt le­gen: Es ergreift alle Ge­wal­ten. In ihnen muß zwangs­läu­fig derselbe Geist walten. Eine Frei­heit für nicht Libe­rale, das Sy­stem zu verän­dern, gibt es vor li­beralen Ge­richten nicht. Das relati­viert die Sage vom freiesten Staat auf deut­schem Bo­den beträchtlich.

Keine Chancengleichheit für Parteien

Wie empirische Versuche gezeigt haben, gibt es auch die für die frei­heitli­che de­mo­krati­sche Grundordnung (FdGO) grund­le­gen­de Chan­­cen­gleichheit für alle Partei­en nicht; je­den­falls nicht für neue Par­teien, die dem Postenvertei­lungs­kartell der Etab­lier­ten noch nicht an­ge­hö­ren. Die Chance des legalen Macht­ge­winns ist nicht nur We­sens­merk­mal der FdGO, son­dern darüber hin­aus der ein­zig plausible Grund für je­de Opposition, sich fried­lich an die je­wei­li­gen Spielre­geln des je­wei­li­gen Sy­stems zu hal­ten. Schlie­ßen diese Re­geln die Chance des fried­li­chen Macht­gewinns aus, pro­vo­zie­ren sie ihre illegale Durch­­bre­chung. [304]  Eine Rechtsordnung, die allen Bürgern Rechts­frie­den verspricht, "kann nur dann mit allgemeiner Akzeptanz rech­nen, wenn  und so­weit die Normadressaten über­haupt bereit sind, ein­an­der als Rechtsgenossen, d.h. als Gleiche und Gleichheits­fähige zu ak­zep­tieren. Denn warum sonst sollte in einer De­mokratie die über­stimm­te Mehrheit bereit sein, sich dem Willen der Mehrheit freiwil­lig zu un­terwerfen, wenn nicht deshalb, weil sie im Kern eben doch damit überein­stimmt? Wo es aber an dieser prinzipiellen Über­ein­stim­mung fehlt, ist die Demokratie nichts anderes als eine Diktatur der je­wei­li­gen Mehrheit; über diesen Zusam­menhang wird sich jedenfalls die Minderheit niemals täuschen lassen." [305]

Die Chancengleichheit scheitert heute schon an den durch die Alt­par­tei­en ge­schaf­fe­nen Struk­turen der staatlichen Parteienfi­nan­zie­rung. Erst am 9.4.1992 rügte das BVerfG [306]  die Parla­ments­par­teien hät­ten "im Vergleich zu den an der Sperr­klausel ge­scheiterten Par­tei­en grö­ßere Chancen, sich im Blick auf künfti­ge Wahlen dem Wäh­ler dar­zu­stel­len und für ihre Ziele zu wer­ben." Weil sich dies auf Mit­glie­der­zu­gang und Spenden­auf­kommen auswirke, müs­se der Ge­setzge­ber den nicht im Bundestag vertre­te­nen Partei­en bei der Berech­nung der Staats­quote einen Aus­gleich schaf­fen und ihren Wahl­erfolg stär­ker ge­wich­ten als die bishe­rige Parteienfi­nan­zierung.

Zur Chancengleichheit für neue Parteien fehlt aber nicht nur die Gleich­be­hand­lung bei der oh­nehin fragwürdigen Staatsfinan­zie­rung der Parteien und ih­rer Wahl­kämpfe. Di­rekt und gravie­rend verfas­sungs­widrig wird gegen die Chan­cengleichheit versto­ßen, wo die Par­teien alle ver­fügbaren staatlichen und halbstaatlichen Mittel zur Nie­derhal­tung auf­kommender Konkur­renz mißbrau­chen. Das Beispiel verschie­dener rechter Parteien, wie auch immer man zu ih­nen sonst stehen mag, hat gezeigt, wie neue Par­teien ge­gen gelten­des Recht in Hun­derten von Fällen flächendeckend von CDU- und SPD-par­tei­from­men Stadtver­waltun­gen bewußt rechtswidrig [307]  an der Nut­zung öf­fent­licher Hallen und Ver­sammlungs­stät­ten gehin­dert und wie sie von Parteibuchbü­rokraten, teil­weise wi­der besse­res Wis­sen, als ver­fas­sungsfeindlich oder extremistisch ver­un­glimpft und auf das übelste beschimpft werden. Einen Höhe­punkt erreichten diese An­griffe am 23.9.93 im Land­tag von Baden-Württem­berg, als der Abge­ordnete Weimer (SPD) über den Abgeordneten Wilhelm (Re­publikaner) in ei­nem Zwi­schen­ruf rief: "Wieso Kol­lege? Das ist doch kein Mensch!" [308]  

Die widerrechtliche Verweige­rung städtischer Hallen und Lokale, die allen ande­ren Parteien so­fort zur Verfügung stehen, bricht sich zwar ständig an der festen Recht­spre­chung der Verwal­tungsge­rich­te, die das Ge­bot der Chancen­gleichheit noch hüten. Daß aber im­mer erst ein einst­weili­ges Anordnungs­verfah­ren ange­strengt wer­den muß, wenn ei­ne Partei sich ihrer Pflicht aus dem Partei­en­ge­setz entspre­chend ver­sam­meln und einen Parteitag abhalten will, ist kein Zufall. Es be­weist die syste­matische Dis­krimi­nie­rung durch die Etablier­ten und ihre Statt­hal­ter in den Kom­munen. Sie ist den höchsten Vertre­tern der Recht­spre­chung bestens be­kannt: Der ehemalige Präsident des Bun­des­ver­fas­sungs­gerichts, Ernst Benda, gab den ständigen offe­nen Rechts­bruch mit den kritischen Wor­ten zu, entweder müßten sol­che Par­teien verfas­sungsrichter­lich überprüft (und gege­benenfalls ver­boten) wer­den, "oder sie sind wie jede andere Partei zu behandeln. Alle Ver­suche, sich um diese klare Alternative zu drücken, sind zu Recht ge­scheitert, wie vor al­lem die wiederholten Bemühungen, sol­che Grup­pierun­gen vom Zu­gang zu öffentlichen Einrichtungen für die Abhaltung von Parteitagen oder Wahl­versammlungen auszu­schließen. Es gibt keine rechtliche Grund­lage dafür, Parteien, die man aus nur zu ver­ständlichen Grün­den nicht mag, anders als jede andere politi­sche Gruppierung zu behan­deln." [309]  "Im Kampf gegen rechts" aber "gel­ten grund­sätz­liche Er­wä­gungen der Rechtskul­tur offen­bar nichts." [310]  Im­mer häufiger be­kommt unser Rechts­staat Ausset­zer, wo es gegen "Rechte" geht. In sei­ner An­sprache zum Presse­ge­spräch des Bundes­ver­waltungsge­richts am 17.2.94 meinte des­sen Präsi­dent Ever­hardt Fran­ßen, die Flut ver­wal­tungs­rich­ter­li­cher Ent­schei­dungen zu­gun­sten rechter Par­teien recht­fer­ti­gen zu müssen: So­lange eine Par­tei nicht vom BVerfG ver­boten sei, dürfe sie nicht be­nachtei­ligt werden. "Daß dies die zuständigen Ver­wal­tun­gen oder Ent­­schei­dungs­gremien in der Regel wissen, darf", so Franßen, "ebenso als be­kannt vor­ausge­setzt werden, wie der Um­stand, daß sie sich manch­mal scheuen, die­sem Wissen ent­spre­chend zu han­deln."

Nicht mit richterlicher Hilfe korrigierbar ist die Diskri­minie­rung im Staats­fern­se­hen ARD und ZDF. In den par­teihörigen Medien set­zen sich Beschimp­fung und Verleum­dung der Parteien fort, deren Ver­tre­ter nicht in den Aufsichts­räten der Medien sitzen. Die tat­säch­lichen poli­tischen Forderungen dieser Partei­en werden ver­schwie­gen und ih­nen andere, gar nicht vertrete­ne Positionen unter­ge­schoben, oh­ne daß sie zu Wort kommt und damit eine Chance hät­te, die Falsch­behaup­tungen richtigzustellen. Darin liegt ein Ele­ment der Dis­kriminie­rung und macht die Bericht­erstattung zur Agi­ta­tion. Obwohl alle ein­schlä­gigen Rundfunk­gesetze ausge­wo­gene Be­richt­er­stat­tung ver­lan­gen, kamen z.B. Repu­blikaner bis zum Früh­jahr 1992 nicht selbst zu Wort und auch da­nach nur höchst sel­ten und kurz. Wäh­rend neo­-na­tio­nal­so­zialistische Halb­starke - volks­päd­agogi­sch ab­schrec­kend we­gen des baren Un­sinns ihrer Re­de - in politi­schen Ma­gazin­sen­dun­gen ge­nüß­lich vorge­führt wer­den und ihre Sprüche klopfen dürfen, sind zum Beispiel Re­pu­bli­ka­ner offenbar zu ge­fähr­lich, als daß man sie auszu­strahlen ris­kie­ren könn­te. Nach in­formellen Ab­spra­chen zwi­schen den In­tendanten darf kein Repu­blikaner seine Mei­nung im Fernsehen ver­tre­ten und Pro­gramm­punk­te vor­tra­gen, weil man dann nicht mehr be­haup­ten könnte, die Partei hätte au­ßer dummen Sprü­chen kein Pro­gramm. Die Noelle-Neu­mann­sche Schwei­­­­ge­spi­ra­le wird ope­rativ ein­gesetzt und gegen die als ge­fähr­lich ein­geschätzte Kon­kurrenz­partei ge­wandt: Die Po­li­ti­ker, die allabend­lich in ihren Staats­ka­rossen zu Sit­zun­gen auf­fahren, hält der Fernseh­zu­schauer für real. Wer nicht auf­fährt und ein­trifft, ist irreal - es gibt ihn ein­fach nicht. Die Ikone Bild­schirm ersetzt für den sich "in der ersten Reihe" wäh­nenden Zu­schau­er die Reali­tät; [311]  und in dieser Reali­tät dür­fen Stö­renfriede nicht vor­kommen.

Die Verfügungsmacht über die Medien ist eine der tragenden Spiel­regeln des Sy­stems, durch die es für seinen dauernden Selbst­er­halt sorgt. Wenn Parteipoliti­ker und ihre Journaille sich gegensei­tig Vor­lagen geben, steht jede Konkurrenz sofort im Ab­seits, die nicht über die Mikrophone verfügt. Ihre grundgesetzlich garantierte Frei­heit, bei diesem Spiel mitzumischen, ist so hilfreich wie die Frei­heit der Me­nü­wahl bei Ti­sche, wo der Fuchs und die Gans mitein­ander ta­feln. Mit dem Zugriff auf das Fernse­hen und mit seinem par­tei­po­liti­schen Miß­brauch haben die Kartell­partei­en das aus­schlag­gebende Macht­in­stru­ment der moder­nen Medien­ge­sell­schaft in der Hand. Sein Ein­satz be­sei­tigt die Chan­cen­gleichheit voll­stän­dig und trifft damit den Nerv der Fd­GO. Diese Grund­ord­nung, so juri­stisch ver­schroben sich ihre De­fini­tion durch das BVerfG auch anhören mag, bildet in sich ein aus­ge­wo­­genes und durch­dach­tes Gan­zes. Man kann nicht ein­zelne ihrer Ele­­mente be­lie­big besei­ti­gen, ohne das Funk­tio­nieren des Ganzen zu stö­ren. Die fehlen­de Chan­cengleich­heit für An­ders­den­ken­de, die dem Po­stenver­tei­lungs­kartell mit Wertüberzeugungen ent­ge­gen­tre­ten und sich im Fern­se­hen ständig als Extremi­sten oder Schlim­me­res ab­qua­li­fi­ziert finden, führt bei ei­ner wachsenden Zahl nach­denklicher Bür­ger zu einem fort­schrei­ten­den Legi­timi­täts­ver­lust des Par­teiensystems und för­dert die Radika­lisie­rung.

Die anthropologischen Aspekte

Die Schlußfolgerungen jeder Wissenschaft werden von nicht mehr hin­ter­frag­ba­ren Axio­men geprägt. Bei den Staats- und Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten sind das Annah­men über die Na­tur des Me­nschen. Die Haupt­rich­tun­gen des politi­schen Den­kens un­ter­schei­den sich schon im An­satz durch ihr op­timi­sti­sches, skepti­sches oder pessimisti­sches Men­schenbild. Wer an die na­türliche Güte des Menschen glaubt, meint, kei­nen Staat als Tu­gendwächter nötig zu haben. Der staats­feindliche Ra­dikalismus wächst in dem glei­chen Grade wie der Glau­be an das ra­dikal Gute im Men­schen. [312]  Je mehr Schlech­tigkeit man sei­nen Mitmen­schen hingegen zu­traut, de­sto eher rechtfertigt man Ge­setze und einen star­ken Staat über ihnen; denn "Tugend", sagte schon Wilhelm Busch so nett, "will ermuntert sein; Bosheit kann man schon allein!"

Nach der Doktrin des Liberalismus soll angeblich die Summe al­ler pri­va­ten Ego­is­men zum Gemeinwohl führen, wenn man ih­nen frei­en Lauf läßt. [313]  Im Parlament wür­den die Sonderinteressen durch Mei­nungs­austausch und Diskus­sion koordiniert und zu einem Aus­gleich ge­bracht, bis sie sich mit dem Interesse des Gemeinwesens als Gan­zem identisch wären. Diese pluralistische Har­monie­lehre, welche die Re­­­sul­tante des Interessen­drucks mit dem Gemeinwohl gleich­setzt, wird von Libe­ralen wie ein Dogma aufrechterhalten. [314]  Es vermag im Ge­­meinwohl nichts anderes zu sehen als ein "Kräfteparallelogramm der Sonderin­teressen." [315]  Ihre Grund­über­zeu­gung vom Men­schen fußt auf einem schönfärbe­rischen Men­schen­bild, dessen sich in po­le­mi­­scher Absicht vornehmlich die­je­ni­gen be­die­nen, die von staatlichen Schutz­gesetzen für öko­no­misch und so­zial Schwa­che nur persönliche Nach­teile befürch­ten: die Ei­gen­tü­mer von Ka­pital. "Der Staat ist den Ei­­gentümern ein notwendiges Übel, und man muß je­des Übel so klein ma­chen als möglich." [316]  Also dul­det der Liberale den Staat allen­falls als in Diensten der Ge­sell­schaft ste­hen­des, miß­trauisch kontrol­lier­tes Übel. Tatsäch­lich hingegen ist das Gemeinwohl nicht die Summe der addier­ten Einzelwohle und bleibt ein aliud und ein Eigenwert im Ver­hältnis zum Einzelin­teresse. [317]

Nun ge­hören die bewuß­ten Böse­wichte unter uns ebenso zu den Sel­tenheiten wie die selbstlo­sen Tu­gend­bolde. We­der eine Dik­ta­tur zur Niederhaltung des prinzipiell Bö­sen im Menschen, noch ein of­fen staats­feindlicher An­ar­chismus zur besseren Ent­fal­tung des Gu­ten ließe sich durch empiri­sche anthropo­logi­sche Be­ob­ach­tung stützen. Die Erfahrung macht vielmehr skeptisch und lehrt viel­mehr, daß wir "zu al­lem fähig" und inso­weit mit frei­em Wil­len zum ei­nen und zum an­deren aus­ge­stattet sind. Unsere stam­mes­ge­schicht­lich ererbten An­la­gen lassen uns al­ler­dings in be­stimm­ten Situa­tio­nen zu bestimm­ten Hand­lungen nei­gen, die sich teilweise in der modernen Welt als pro­ble­matisch er­weisen kön­nen. [318]  Insoweit hat Ar­nold Gehlen den Mensch zu Recht als Män­gelwesen bezeich­net. [319]  Zu den "Mängeln" ge­hören neben der Ag­gres­sion das Do­mi­nanz­stre­ben und eine Nei­gung, das ei­ge­ne Wohler­gehen und die kurz­fristige Ver­grö­ße­rung des per­sön­li­chen Er­folgs für wich­ti­ger zu nehmen als das Gemein­wohl und da­mit die Grund­­lage der ei­ge­nen Existenz. "Der Mensch ist nicht bö­se von Ju­gend auf, er ist gut genug für die Elf-Mann-Sozietät, aber nicht 'gut genug', um sich für ein anony­mes, per­sönlich nicht be­kann­tes Mit­glied der Mas­senso­zietät so ein­zu­set­zen, wie für das per­sön­lich be­kann­te und eng be­freundete Indivi­duum" [320]  Sein Ver­stand predigt erst einmal Selbst­sucht, und darum sind die mei­sten Men­schen dann am scharfsin­nigsten, wenn es dar­um geht, sich von ethi­schen Ver­pflich­tungen frei­zuspre­chen. [321]  

Das auf ein ab­straktes Ge­mein­wohl ge­richtete altru­isti­sche Han­deln kommt also nicht als ange­bo­rene Verhaltens­weise von allein, son­dern bedarf der "so­zia­len Ab­stüt­zung" durch Institutionen [322]  die das Wohl des Ganzen wahren und Ein­zele­gois­men, wo nötig, in ih­re Schran­­ken wei­sen. Die Sum­me dieser Insti­tutionen nen­nen wir Staat. Des­sen Funktionieren hängt davon ab, daß seine Amts­träger tat­säch­lich ge­mein­woh­lori­en­tiert handeln, denn von der För­de­rung die­ses Wohls und dem In-Schach-Halten der Ego­is­men hängt seine Exi­stenz­berechtigung ab. Wenn Ver­tre­ter von Einzel- und Teil­in­teressen den Staat und seine Amtsträ­ger da­zu ver­anlassen, nicht mehr das Ge­mein­wohl als Maßstab zu neh­men, son­dern Par­tei­interessen, muß man das im weite­sten Sin­ne als Korrup­tion be­zeich­nen. Der Libe­ra­lis­mus ist im­mer in Ge­fahr, dieser ei­gennüt­zigen Ten­denz zu erlie­gen. In Deutsch­land ist sie zum Sy­stem er­ho­ben wor­den. Die maßgeb­li­chen Ver­treter des Ge­meinwohls sind nämlich in einer Per­son re­gel­mä­ßig auch Funk­tio­näre orga­ni­sierter Grup­peninter­essen und sol­len zwei Her­ren gleich­zei­tig die­nen, was sie na­türlich nicht kön­nen.

Das Ge­mein­wohl nimmt aber Scha­den, wenn der Staat mit sei­nen In­sti­tu­tio­nen nur miß­trauisch kontrollier­ter Un­ter­ge­be­ner ge­sell­schaft­­­­licher Par­tei­un­gen ist. Seine Die­ner tragen Par­tei­buch und Par­tei­­ge­sinnung. Der Li­be­ra­lis­mus erhebt den Staat nicht zum fürch­ter­li­chen Leviathan, sondern er­niedrigt ihn im Ge­gen­teil zum ge­fes­sel­ten Gul­­li­ver. Sechs kon­ser­va­ti­ve Jahr­hun­derte mögen es ge­ra­de zwei Ge­ne­ra­tionen erlau­ben, libe­ral zu sein. [323]  Ist der für den Zu­sam­menhalt des Gan­zen not­wen­dige Grund­be­stand an Ge­mein­woh­l­ori­en­tie­rung durch Ge­ne­ra­­tio­nen­wech­sel auf­ge­zehrt, kom­men Füh­rungs­eli­ten zur Macht, die den Staat nur noch als Selbst­bedie­nungs­la­den an­se­hen. Diese Tos­kana-Frak­tion drängt seit einigen Jahren mas­siv an die Schalt­stel­len der Macht und ver­drängt die Rest­bestände äl­te­rer Poli­ti­ker, die in ih­rer Ju­gendzeit noch ge­lernt hat­ten, daß Ge­mein­­­nutz vor Eigen­­nutz geht.

Heute wird die fehlende Gemeinwohlorientierung allgemein be­klagt. [324]  Der Bür­ger kann Ent­scheidungen von Amtsträgern nur ak­zep­tie­ren, wenn er darauf ver­trauen darf, daß diese auf dem Ge­mein­wohl und nicht auf privaten Inter­es­sen beru­hen. Das Ver­trau­en des Volkes in seine Repräsentanten ist die ent­schei­dende Le­gi­ti­mations­grundlage und -vor­­aus­setzung einer reprä­sentati­ven Demokratie. [325]  Ohne dieses Ver­trauen denaturiert sie zu einem in­halts­lo­sen, techno­kratischen Sy­stem. [326]  Diese In­haltsleere und die aus­drückliche Wei­ge­rung des "plu­ra­listi­schen" Li­be­ra­lis­mus zu übe­rindi­vidueller Sinn­stif­tung haben den Weg in die Kor­rup­tion un­entrinn­bar vor­gezeich­net: Blind ge­macht für die Be­lan­ge des gan­zen Volkes, wurde der Bür­ger in ei­ner Je­der-ge­gen-je­den-Ge­sellschaft auf sich selbst zu­rück­geworfen. "In einem als 'liberal' mißverstandenen Individualismus kap­seln sich Individuen und Kleingruppen vonein­ander ab, um ohne Rück­sicht auf die Interessen der größeren Gemeinschaft ihre Ei­gen­in­ter­essen durchzuset­zen." [327]  Massenhaft pro­duzierte das System den Men­schen­typ, den es zu sei­nem Funk­tio­nie­ren braucht: den Steu­er­zah­ler, den Kun­den, den Wäh­ler, den Ver­brau­cher - den Untertan. In ei­­ner an­onymen Massengesell­schaft an­ony­mer Mächte, de­ren Walten er immer weni­ger be­greift, fehlt ihm das Ethos, sich kon­struk­tiv als be­­wuß­ter Teil ei­nes größeren Gan­zen zu ver­stehen - und umso leich­ter wird er ma­ni­pu­lierbar.

Die Parteien haben ihre Beute so gesichert, daß werden muß wie sie, wer an ihr Anteil ha­ben will. [328]  "Was ist das für ein System," fragt der Radikaldemokrat Stub­be-da Luz verzweifelt, "in dem sich mit Erfolg nur solche Menschen zeit­weise zu wider­setzen vermö­gen, die aus demselben Holz geschnitzt sind wie die Funktio­näre?" [329]  Das Sozialschma­rotzer­tum, [330]  die Vorteil­nahme auf Ko­sten anderer, wur­de zur Exi­stenz­frage für Mil­lio­nen. Der Feh­ler liegt im Sy­stem: Die heu­tige libe­rale Zerr­form der "Demo­kratie" steht am Kul­mi­na­ti­ons­punkt einer Schwin­gung, [331]  der sich auf die For­mel "Du bis al­les, dein Volk ist nichts" brin­gen läßt und dem das frü­here "Du bis nichts, dein Volk ist al­les" dia­lektisch gegen­über­steht. Diese libera­le Ei­gen­süch­­tig­keit kann erst über­wun­den wer­den, wenn der im Egoismus als al­­leinigem Prinzip lie­gen­de Ex­tremis­mus als solcher allgemein durch­schaut wird. Das wird die Stunde der sy­stem­über­winden­den Refor­men im Sinne Scheuchs sein, in der das Feu­dal­sy­stem "auf Bun­des­ebe­ne be­sei­tigt" [332]  und durch ei­ne frei­heit­li­che, dem Ge­mein­­wohl und den Ein­zel­inter­essen glei­cher­ma­ßen ver­pflichtete Volks­herrschaft er­setzt wird, die zwi­schen den Extre­men des Un­ter­ta­nen­staates und der tota­len Feu­dalge­sell­schaft ein ausgewo­ge­nes Mittel­maß fin­det.

Die ökonomische Parallele

Der extreme Liberalismus möchte den Staat gegen Null ten­dieren sehen, weil er auf die sich ausbalancierende Kraft des Wettbe­werbs or­­ganisierter Grup­­pen­interes­sen baut. Sie sollen sich nach seiner "plu­­ra­li­sti­sche Harmonie­lehre" ge­genseitig in Schach halten und aus­pen­deln. [333]  Die­ses Inter­es­sen­ver­tre­tungs­mo­dell behauptet schein­hei­lig, was den Son­derinter­essen der jeweili­gen Ma­jo­ri­tät förderlich sei, könne dem Ge­meinwohl nicht scha­den: "Was für Ge­neral Mo­tors gut ist, ist auch gut für Ame­rika." [334]  Der Staat tritt hier nur noch als Agen­tur beim Aus­gleich der wider­streitenden In­ter­essen in Er­schei­nung und muß sich von Fall zu Fall besonders recht­ferti­gen, wenn er über­­ge­ord­ne­te Ge­sichts­punkte zur Gel­tung bringen will. [335]  Ja, man geht sogar so ­weit, so et­was wie ein Ge­mein­wohl über­haupt zu leug­nen und mit dem so­phi­sti­schen Ge­dan­kenkurz­schluß zu be­strei­ten, was das Ge­mein­wohl sei, hin­ge ja doch nur davon ab, wer die Macht habe, es zu de­fi­nie­ren. Letzt­lich sei das Gemein­wohl eine reine Fik­tion. Die Auf­gabe einer staat­lichen Ver­fas­sung reduziert sich nach die­ser Sicht auf ein blo­ßes Kon­fliktregulie­rungssystem zum wech­sel­sei­tigen Inter­es­sen­aus­gleich. Dem­ge­genüber läßt sich sehr wohl und sehr leicht fest­stellen, welche po­li­tische Maßnahme, z.B. auf ökono­mischen Gebiet, wem nützt. Un­ter demo­kra­ti­schen Prämissen kann Gemeinwohl nur be­deuten, als Be­zugs­grö­ße mög­lichst alle An­gehö­ri­gen des Volkes zu wählen, nicht hinge­gen nur eine Teil­gruppe oder gar Fremde.

Durch Ausschaltung dieses Gemeinwohlbegriffs ist die BRD heute die institu­tio­na­li­sierte Arena aller de­rer, die sich machtvoll or­gani­sie­ren und die Un­organi­sierba­ren als ih­re Schäfchen in den troc­ke­nen Pfrün­­den­pferch trei­ben kön­nen. Es herrscht das Gesetz des ökono­misch Stärkeren und Listige­ren. Wie sagte schon Carl Schmitt: Heute - 1923 also - erscheine das Parlament selbst als rie­si­ge An­tichambre vor den Büros oder Aus­schüssen unsichtbarer Macht­ha­ber. Die Selbst­­rechtfertigung dieses Sy­stems läßt sich ver­einfacht auf die vul­gär­­liberale Be­hauptung redu­zie­ren, die Re­sul­tante des Interessen­drucks sei identisch mit dem Gemein­wohl. Der inne­ren Logik des Li­be­­ralis­mus folgend soll das zual­lererst auf ökonomi­schem Ge­biet gel­ten. Ei­ner Nachprüfung hält diese These aller­dings nicht stand [336]  und er­weist sich als ideologi­sches Vor­urteil: Es führt bereits das Mit- und Ge­geneinander der Parteien und Ver­bände kei­nes­wegs zu einer hö­he­ren Harmonie und Ausgewo­gen­heit. "Mit Theodor Eschen­burg gilt: 'Was nicht or­ganisiert ist, ist un­ge­­schützt.' Der Druck der or­ga­ni­sier­ten Kräfte ist deshalb auch in der Summe alles andere als aus­ge­wo­gen. Dieses Un­gleich­gewicht infi­ziert die gesamte politische Wil­len­s­bil­dung. Die or­gani­sationsstarken Ver­bände haben nicht nur im Wege der Tarif­au­to­no­mie di­rekte Rechtset­zungsmacht, sondern mittels Geld, Sach­ver­stand und Wäh­­ler­stim­men auch Einfluß auf die Po­li­tik. " [337]

Wir haben gesehen, daß es in der Natur jedes einzelnen Men­schen einen of­fenbar art­er­hal­tenden und deshalb angeborenen Antrieb gibt, zu­nächst sein ei­genes Wohl zu för­dern und das der Allge­meinheit als für die Existenz des Indi­viduum se­kundär wich­tig hint­an­zustel­len. Wir haben uns auch mit letzt­lich dar­auf zu­rückführ­baren in­neren Ge­setz­mäßig­keiten jeder politischen Or­ga­ni­sa­ti­ons­bildung befaßt; sie neigt zu oligar­chi­schen Herr­schaftsstruktu­ren und un­ter­­liegt der Ten­denz zur Verselbständi­gung und Ver­festigung. Das Zusam­men­wir­­ken bei­der Faktoren, des natürlichen menschlichen Egois­mus und des u.a. aus dem Domin­anztrieb fol­genden eher­nen Ge­setzes der Oli­gar­chi­sie­rung, führt zwangs­läufig nach einiger Zeit zu feudalen Herr­schafts­struktu­ren. An­statt das Wohl der Allge­meinheit durchzusetzen, bilden die Herr­schen­den kleine Macht­grup­pen zur Förde­rung des Wohles ih­rer Mit­glie­der. Von ur­sprünglich politi­schem Wollen de­na­tu­rieren sie mit der Zeit zu ökonomisch motivier­ten Kartel­len zur Verteilung von Po­sten und Pfrün­den und werden zu ei­genwirt­schaft­li­chen Inter­es­sen­grup­pen; ein dem schon in der Antike be­kannten Verfall der Ari­sto­kratie zur Oligar­chie ver­gleichbarer Vor­gang. Auf den öko­nomi­schen Sek­­tor herabge­sunken, treffen sich die oligar­chischen Grüpp­­chen mit den dort ohne­hin schon vorhan­denen Sonder­inter­es­sengrup­pen, mit de­nen sie perso­nell von Anfang an teiliden­tisch sein kön­nen. [338]  So erzeugen die Al­lein­gel­tung des Öko­no­mischen und das blinde Walten seiner Ge­setze in einer vom Li­beralismus be­herrsch­ten Ge­sell­schaft einen "modernen Feudalis­mus" [339] , der die Ar­men schlim­mer unter­drücken kann als sein we­nigstens noch von christlichen Sitt­lich­­keits­ide­en beglei­teter mit­telalterlicher Vorgänger.

Der im politischen Raum festzustellenden Gegensatz zwischen dem All­ge­mein­wohl und den Einzelinteressen findet seine verblüf­fen­de sy­stemati­sche Ent­­spre­chung in volks­wirt­­schaft­li­chen Untersu­chun­gen, die sich die Frage nach der Ge­mein­verträg­lichkeit ei­gen­­nütziger In­te­rers­sen­organisation ge­stellt ha­ben. Die Me­cha­nismen der För­de­rung des ei­­ge­nen Wohls und die Or­gani­sa­tionen­bildung zur Durch­set­zung von Gruppeninteressen ge­gen das Allge­mein­wohl wir­ken sich volks­wirt­schaftlich in der­selben Weise aus wie im po­li­ti­schen Be­reich. Während diese Wir­kungs­zusammen­hän­ge im Poli­tischen den Hand­­lungs­­spiel­raum einen­gen und zu man­gelnder Vertret­ung des Ge­mein­wohls zu­gun­­sten von Son­derin­teressen füh­ren, [340]  haben sie im Öko­no­mi­schen eine ent­schei­dende Min­derung von Wachstum und Effi­zi­enz der Volks­­wirt­schaft zu­gun­sten kleinerer Vorteile von Ein­zel­­in­ter­essen zur Folge.

Amerikanische Ökonomen, namentlich Mancur Olson, kamen die­sen Ge­setz­mä­ßig­kei­­ten durch die Erforschung der Gründe für soge­nannte Wirt­schafts­wun­der auf die Spur. Wie es häufig ist, fan­den sie hinter ei­nem schein­baren Wunder ein allge­mein wir­ken­­des Ge­setz. Das Wunder hatte darin be­standen, daß die Volkswirt­schaften ver­schie­de­­ner Staa­ten seit Beginn der In­du­strialisie­rung auf­fällig unter­schied­liche Wachs­tumsra­ten aufwie­sen. Wäh­rend England im 19. Jahr­hundert noch einen extrem hohen Zu­wachs er­wirt­schaf­tete, ließ die­­ser bis in unsere Ta­ge immer weiter nach. Deutsch­land dagegen war in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts arm, holte aber nach der Grün­­dung des Zollvereins und 1871 des Deut­schen Rei­ches so schnell auf, daß es um 1914 Eng­land über­holte. [341]  Nach dem 2.Welt­krieg lag die jährliche Wachtstumsrate bis 1960 bei 6,6% (dagegen Eng­land 2,3%, Ja­pan 6,8%), bis 1970 nur noch bei 3,5% (E. 2,3%, J. 9,4%) und sank bis 1978 auf 2,4% (E. 2,0%, J. 3,8%). Man­cur Ol­sons ein­ge­hende und hier nicht im De­tail darstell­ba­re Un­tersu­chungen ha­ben einen direkten Zusam­menhang zwi­schen der Bil­dung und Ver­fe­sti­gung ökonomischer Son­derinteres­sen­grup­­pen und sin­ken­dem Wirt­­schafts­wachs­tum ergeben. Dieser Ursa­chen­zu­sam­­men­hang war mu­ta­tis mutandis in al­len ent­wickelten Ländern nachzuwei­sen:

Stabile Gesellschaften mit unveränderten Grenzen neigen da­zu, im Laufe der Zeit eine stei­gende Zahl vom "Kollusionen", d.h. Or­ganisa­tionen für kol­lek­tives Handeln, zu ak­kumulie­ren, [342]  also wirtschaftli­che Sonderinteressen­grup­pen und Verteilungs­koali­tio­nen. Diese sind auf innerge­sell­schaftliche Kämpfe um die Vertei­lung von Ein­kom­men und Vermögen aus­gerichtet. Für Deutsch­land wären dies nament­lich Wirt­schafts­verbän­de, Gewerk­schaften oder be­rufsstän­di­sche Kam­mern. Sie werden bei unverän­derten äu­ßeren Be­din­gungen mit der Zeit gesetz­mäßig mächti­ger. Schwach waren sie hingegen noch in der An­fangs­phase der Indu­stria­lisie­rung, die im 19.Jahrhundert für Eng­land früher liegt als für Deutschland. Wäh­rend die In­teres­sen­gruppen in England, unge­stört von gesell­schaftlichen Umbrü­chen, an Macht gewan­nen, wurden sie in Deutschland 1933 zerschla­gen oder gleich­geschal­tet, und was an ihre Stelle trat, wurde 1945 er­neut aufgelöst und bildete sich erst nach und nach neu.

Der Zweck von Interessenverbänden besteht darin, das Wohl ihrer Grup­pen­mit­glie­der zu för­dern. Dafür bieten sich theo­retisch zwei denkbare Wege an: nämlich eine Ver­größe­rung der gesamten volks­wirtschaftlichen Ver­tei­lungs­­mas­se oder die Erlan­gung ei­nes grö­ßeren Anteiles an ihr. So könnten zum Beispiel 1 Mio. Angehö­rige ei­ner Gruppe in das Ge­samt­wohl des z.B. 1oo Millionen zäh­lenden Volkes inve­stieren. Je­der Hand­schlag, der das Vermö­gen der 1oo Mio. ver­mehrt, zahlt sich für jeden Grup­pen­an­ge­hö­ri­gen zu 1/1oo aus; ihm kommt also nur diese Quote persön­lich zugu­te.

Der zweite Weg ist der Kampf um eine höhere Quote an der volks­wirt­schaft­li­chen Ge­samt­verfügungsmasse, ohne diese selbst zu er­hö­hen, oder gar unter Inkauf­nahme ih­rer di­rek­ten Verringe­rung. Sol­che Anstren­gun­gen zahlen sich für die Grup­penmit­glie­der di­rekt und voll aus. So vermehrt ein er­folgrei­cher Lohn­streik das Vermögen eines ÖTV-Müllwer­kers selbst dann, wenn er als Haus­haltsvorstand später selbst hö­here Müll­ge­büh­ren zahlen muß. Den Vorteil durch reines Vertei­lungsinteresse gelenk­ten Handelns ha­ben die Grup­­pen­mitglieder voll, wohingegen sie et­waigen Nachteil für das Ganze nur an­tei­lig als Ange­hö­rige der weit größeren Allge­meinheit tragen müs­sen. "Kurz ge­sagt, die typi­sche Organi­sation für kollekti­ves Handeln in einer Gesell­schaft hat wenig oder gar keinen Anreiz, ir­gendein be­deutendes Opfer im Interesse der Allge­meinheit zu brin­gen [...] Sie kann den Mit­glieder­in­teres­sen am besten die­nen, wenn sie nach einem grö­ßeren An­teil am Sozi­al­pro­dukt für sie strebt [...] In prak­ti­scher Hinsicht bestehen keine Schran­ken für die Höhe der so­zialen Ko­sten, die eine solche Organisa­tion im Zuge des Strebens nach ei­nem größe­ren An­teil am Sozialpro­dukt der Gesellschaft auf­zu­erlegen für zweck­­mäßig er­ach­tet." [343]  

Ob der dabei gewonnene soziale Nutzen für die Gemeinschaft als ganze die so­zia­len Kosten rechtfertigt, darauf nimmt die Inter­es­sen­grup­­pe also keine Rück­sicht. [344]  Um ihren Mitgliedern den schnell­sten Vorteil zu verschaffen, wird sie ihre Anstren­gungen und Geld­mit­tel nicht daran set­zen, die Volkswirtschaft als Gan­zes effizi­en­ter und den Ver­tei­lungs­ku­chen damit grö­ßer zu machen, obwohl ihre Mit­glie­der letzt­lich auch davon profitieren wür­den. Der antei­lige Nutzen am Vermö­gens­zuwachs des Ganzen läge aber für jedes Grup­penmitglied weit unter dem antei­ligen Auf­wand, den es in­vestie­ren müßte. [345]

Da die Konzentration auf Umverteilungsfragen die Bedeutung von ge­mein­sa­men In­teres­sen im Bewußtsein der Menschen ver­rin­gert, ma­chen sie das Le­ben zwie­träch­ti­ger; es kann nie­mand ge­winnen, oh­ne daß ein anderer min­de­stens ebensoviel ver­liert. [346]  Der bloße Zeit­­ab­lauf führt bei stabilen Gesellschaften nach Olsons Er­kennt­nis­sen zu ei­ner in­stitutionellen Skle­rose, al­so gewisserma­ßen einer Ver­kal­­kung der Ge­samt­ge­sell­schaft, die immer unbewegli­cher und in­ef­fi­zien­ter wird. Die An­pas­sung an sich ver­än­dernde Um­stände und neue Tech­nologi­en ver­zö­gert sich. Die un­kri­tische Über­­zeugung, Koa­li­ti­ons­­freiheit, Selbst­or­ganisation gesell­schaft­li­cher Grup­­pen und die In­sti­tutionalisierung von Interes­sen­grup­pen seien auch nach lan­ger Le­bensdauer per se nur nützlich für das Ganze, ist dem­­nach falsch. [347]

Es ist daher wenigstens so viel Staat erforderlich, daß die in­stitu­tio­­nelle Skle­rose in ge­meinver­träglichen Grenzen ge­halten und ein Gleich­­ge­wicht zwi­schen berech­tig­ten Son­der­in­teressen und dem All­ge­­mein­wohl erzielt wer­den kann. Die ihrer Natur nach dem Ge­mein­wohl ab­träg­lichen ökonomischen Son­derin­teressen dür­fen sich nicht voll­­ständig durch­set­zen. Es ist die Grund­über­zeu­gung der libe­ralen "Lais­sez-faire"-Ideo­­logie, daß jene Re­gie­rung am besten ist, die am we­nig­sten regiert; die Märkte würden das Pro­blem lösen, wenn die Re­­gierung sie nur in Ruhe ließe. In den volks­tümlichsten Darstel­lun­gen dieser Ideologie gibt es einen Mo­no­dia­bolis­mus, und der Teufel ist im­mer der Staat. Wenn die­ser Teu­fel in Ketten gehalten würde, gä­be es ei­nen fast utopi­schen Man­gel an Sorgen um andere Proble­me. In Wahrheit findet aber oft auch dann kein freier Wettbe­werb statt, wenn die Regierung nicht in­terveniert. Der Staat ist kei­nes­wegs die einzige Ursache von Zwang oder so­zia­lem Druck in der Ge­sell­schaft. [348]

Aus der Welt zu schaffen sind Gruppenegoismen allerdings prin­zi­piell nicht, weil in­teres­senori­entiertes Handeln der Natur des Men­schen ent­spricht. Kon­servati­ve Kon­zepte müssen das als ge­ge­ben hin­neh­men, halten sie sich doch selbst ih­ren anthropo­logi­schen Rea­lis­mus zugute. Es gilt daher Wege aufzu­zei­gen, die Ver­bän­de­egois­men zu zähmen und gemein­wohl­kon­form in das Ver­fas­­sungssystem zu in­te­­grieren. Da die er­kannten Mängel ganz über­wie­gend struk­tur- und sy­­stembedingt sind, gilt es, des­halb, die Struktu­ren zu än­dern. [349]  Da­ge­­gen wäre der Ver­such einer Un­ter­drückung bür­ger­li­cher und wirt­schaft­li­cher Interes­sen­vertre­tung mit dem na­tür­li­chen Be­dürfnis des Men­­schen nach Grup­pen­bildung und sei­ner zu ach­tenden Frei­heit, sich mit Men­schen glei­chen In­ter­es­ses zu ver­binden, unverein­bar.

Die Zivilreligion

Der Liberalismus wird weltanschaulich totalitär. Die besondere Gefährlich­keit des Parteienstaates beruht auf der ideologischen Ho­mo­­genität seiner Staats­parteien und dem von ihnen ausgeübten Ge­sin­­nungs­­druck. Nach Kelsen möch­te die li­berale De­mo­kratie gern "der Aus­­druck eines politi­schen Rela­tivismus und ei­ner wunder- und dog­­men­befreiten, auf den mensch­lichen Verstand und den Zweifel der Kritik gegründeten Wis­sen­schaft­lichkeit" [350]  sein. In einem säku­la­ri­­sier­­ten, weltan­schau­lich neu­tralen Staat dürfte es libe­raler Ansicht nach keine frei­heit­liche de­mo­krati­sche Staats­re­ligion ge­ben. [351]  Es gibt sie den­noch. "Aus dem 'Verfassungspatriotismus' wird eine gera­de­zu religiös verklärte 'Verfassungsmystik'." [352]

Das Di­lemma des Li­beralismus besteht darin, daß er wohl sei­ner Selbstein­schät­­zung nach plura­listisch sein möch­te, so daß mo­ra­lische oder re­ligiöse Dog­men quer zu seiner kri­tisch-rationa­li­sti­schen Ei­gen­recht­ferti­gung zu liegen schei­nen, daß die Einlö­sung sei­nes Plura­lis­mus­ver­sprechens aber zu sei­ner fak­tische Selbst­auf­ga­be füh­ren würde. Die liberale De­mo­kratie sieht sich mit ihrer Ei­gen­recht­ferti­gung im ent­­­schie­de­nen Ge­gen­satz zur "totalitären Dik­ta­tur", welche "die Recht­­­fer­tigung der richtigen Politik durch Rück­griff auf erste, wahre Prin­­zi­pien" will. Sie möchte die "Dog­matisie­rung des politi­schen Irr­tums" ver­hin­dern [353]  und lehnt offiziell "eine positive, in­halt­li­che Nor­­­­mie­rung und Fest­schrei­bung des sozia­len Le­bens nach vor­ge­faß­ten ... Postu­la­ten" ab.

Der Liberalismus stünde gegenüber konkurrierenden Ideo­lo­gien wehrlos da, wenn er ihnen, getreu seiner Selbstrecht­fer­ti­gung, nur "li­be­ral" und pluralistisch ge­gen­übertreten und sich selbst kritisch-ra­tio­na­listisch be­trachten würde. Tat­sächlich sieht er alle an­­­deren Phä­no­me­ne mit kritisch-rationalistischen, aufge­klärten Au­gen, nur sich selbst nicht. Wie je­des Herr­schafts­sy­stem würde er un­ter­­ge­hen, wenn er die geistigen Grundlagen sei­ner Macht nicht mit Ge­­sin­nungs­druck ver­teidi­gen, würde, wo sie angegriffen wird. Die weltli­che Macht über die Men­schen behält er nur durch die spiri­tuelle Kontrolle über ihren Glau­ben. Trotz liberal-auf­klä­re­ri­scher Attitüde muß auch der Liberalismus an sich selbst glau­ben, weil sich die libe­ra­le Ratio nicht mit sich selbst begründen kann. Darum muß er mit sei­nen eigenen Prä­missen in Konflikt kom­men und diese mit quasi-reli­giö­ser In­brunst ver­teidigen, sobald sie grund­sätzlich in Frage ge­stellt werden.

Keine Herrschaft hält sich dauernd, die ihren Untertanen nicht die Frage be­ant­worten kann, welchen Sinn ihr Gehorsam eigentlich hat. Diese Sinnstif­tung ist Auf­gabe von Herrschafts­ideologien. Derartige Ideengebäude grün­den auf kon­kre­ten er­wünschten Einzeltugenden, zum Beispiel der Treue zum Königs­haus in der Monar­chie, der virtù in der Republik oder der Got­tes­furcht im klerikalen Staat. So­zio­lo­gisch betrachtet fungieren derartige meta­physischer Gebote als Mittel der Herr­schaftstech­nik. Sie verordnen den Be­herrschten eine Ethik, unter deren Gel­tung nicht nur die Herr­schenden weiter herr­schen und die Be­herrschten weiter beherrscht bleiben, son­dern sich dar­über hin­aus des Beherrscht­werdens erfreuen und es als ethisch anstößig emp­fin­den, überhaupt die Frage nach der Legiti­mation der Herr­schaft auf­zuwer­fen oder gar gegen sie anzukämpfen. Dem ju­ri­stischen Ver­bot des weiteren Kampfes um die Macht folgt das mo­rali­sche: Der Un­terle­gene soll eine Wie­der­aufnahme des Kampfes noch nicht ein­mal mehr denken dürfen. Der end­gültigen Durchset­zung der etablier­ten Macht folgt die Mo­ralisie­rung des Politi­schen. Dem Un­terlegenen wird eingeredet, daß es mora­lisch  böse und ethisch anstößig sei, um Macht zu kämpfen, ja daß es über­haupt keine exi­stentielle Feind­schaft gibt, die das Kämpfen lohnen würde. Das Fried­lich­keitsge­bot ist die Waffe des Siegers, und die Wieder­aufnahme des Kampfes zum Ge­dankenverbre­chen; schließlich zum Tabu. Dieses kann unter den Be­din­gungen des Medienstaates er­rich­tet, durchgesetzt und instru­mentalisiert werden.

Wäh­rend die Obrig­keit der mittelal­terlichen Feudal­ge­sell­schaft ihre Un­ter­­ta­nen glau­ben machte, ihre Herrschaft be­ru­he auf Gottes Wil­len, steht die intellek­tuel­le Raf­finesse mo­derner li­beraler Herr­schafts­recht­fertigung den alt­vorderen Vorbildern in nichts nach. Es geht heute um die Wahrung der ge­sell­schaft­li­chen Macht der öko­no­misch je­weils Stärksten. Diese bedarf zu ih­rer Legi­ti­mie­rung des Glaubens der vielen Schwächeren, das mög­­lichst un­kontrol­lierte Walten rein ökonomi­scher Fak­toren führe über eine Art Kräf­te­ba­lance zur Har­monie und auch ihrem, der Schwä­cheren, Gedeihen. Durch kritisch-ra­tionalisti­sches In­fra­ge­stel­len aller nicht ökono­misch begründeten mensch­lichen Gemein­schaf­ten sollen diese entle­giti­miert und schließ­lich zer­stört werden. So ge­rät der von den Bindun­gen an Volk und Fa­milie "be­frei­te" Deutsche um­so sicherer unter die Herrschaft des internationalen Gel­des und findet sich als Ver­braucher wieder.

Wie sich der real exi­stie­rende Liberalismus aus dem ihm eigentlich verhaßten Arse­nal seiner ideolgischen Gegner bewaffnet, zeigt sich bereits in seinen äuße­ren Alltags­formen. Politische Reden werden "wie ein mo­ra­lisch-rhetorisches Hochamt began­gen", in dem "die Li­tur­­­gie vom gu­ten Menschen zelebriert wird" [354]  Nicht zufällig ent­fernt sich der deut­sche All­tag seit einigen Jahren wie­der von jener nüch­ter­nen Nach­kriegs­zeit, in der die vom NS-System noch wirk­lich Be­trof­fe­­nen von Pa­thos und Auf­mär­schen, Fahnen, Schwüren, Hymnen und Fac­kel­zü­gen die Nase voll hatten. Die nachgebore­nen Be­trof­fe­nen ahmen in stei­gendem Ma­ße wieder die äußeren Formen reli­giöser Kult­hand­lungen nach, wie sich auch bereits die Aufmär­sche und Fei­er­stun­den der Na­tio­­nal­so­zia­li­sten und der Kom­munisten bewußt der äuße­ren Formen reli­­giö­ser Kult­hand­lungen be­dient hatten. So ist es kein Zufall, wenn wir evan­ge­li­sche Pastoren an der Spit­ze von Lich­terketten mar­schie­ren sehen. Die­se gehö­ren zur Fami­lie der Fackel­züge und Buß­pro­zes­sio­­nen und ge­hen letztlich auf vor­christ­lich-ar­cha­i­sche Kult­hand­lun­gen zu­rück. Es ist auch kein Zu­fall, wenn CDU-Stra­te­gen die Stig­ma­­ti­sie­rung politischer Geg­ner anstreben. In die­sen Zusam­menhang ge­­hören die ge­bets­müh­lenartig wie­der­hol­ten Be­­trof­fenheitslita­neien eben­so wie der gesell­schaftliche Bann für Un­gläu­bige. Jede Herr­schafts­rechtferti­gung ist eben in ih­rem Kern Re­li­gion. "Al­le präg­nanten Begrif­fe der mo­dernen Staatslehre sind sä­ku­la­ri­sier­te theo­logische Begrif­fe." [355]  Da­her ist je­des System nur im Kern sei­ner meta­physi­schen Letzt­recht­fer­tigung erfolgreich an­greif­bar. Diese wird es diese mit quasi­re­ligiö­ser Inbrunst ver­tei­di­gen und dabei mit den Waf­fen der Ket­zer­verfol­gung zu­rück­schla­gen müssen, oder es wird un­ter­ge­hen. Es genügt nicht, die Hand­lun­gen des Ab­weichlers zu ver­bieten. Auf Dau­er läßt sich ein System nur verteidigen, wenn es alle Taten und die Gesin­nung des­je­nigen verflucht, der es abschaffen will.

Im diesem Lichte betrachtet entpuppt sich der angeblich auf­ge­klär­te, säkula­ri­sier­te Deutsche des ausgehenden 20. Jahrhun­derts als ebenso anfällig für das Pathos der heute dominanten huma­ni­ta­ri­sti­schen Zi­vil­reli­gion wie sein mittelal­terli­cher Vorfahre für die christ­li­che Religion. Je­des Zeital­ter hat seine eige­nen My­then. Heute er­füllt der Glau­be, daß alle Gewalt vom Volk kom­me, eine ähnli­che Funk­ti­on wie frü­her der Glaube, daß alle obrig­keit­li­che Ge­walt von Gott kom­­me. [356]  Robert Michels sprach 1911 tref­fend vom Gott der De­mo­­kra­tie. [357]  Zu den Dogmen der humanita­ristischen Zivilreligion ge­hö­ren neben der Souveräni­tät des Vol­kes ein ega­li­taristi­sches Ver­ständnis der Menschenrechte, und ähnli­che Ge­dankenkonstruk­te. Sie wer­den von ih­ren Gläu­bigen mit dersel­ben Wut ver­teidigt, über die Voltaire im März 1737 an Fried­rich schrieb: "Alle Theolo­gen al­ler Länder (sind) Leute, die von heiligen Schimären trunken sind, (und) ähneln jenen Kardinä­len, die Gali­lei ver­dammten..." So zeigt sich heute der theologi­sche Kern der humanitaristischen Men­schen­rechts- und De­mo­kra­tie­theo­rie, der alle Säkularisierungen über­stan­den hat. [358]  Über die christ­li­chen engen Verwandten unserer De­mo­kra­tie­gläu­bi­gen schrieb Fried­rich der Große an Voltaire am 4.11.1736: "Was die Theo­logen an­geht, so scheint es, als ähnelten sie sich alle im all­ge­mei­nen, gleich welcher Religion oder Na­tion sie an­gehö­ren; stets ist es ihr Be­stre­ben, sich über die Gewissen eine des­potische Auto­ri­tät an­zuma­ßen." 

Die Gläubigen unserer Zeit ver­teidigen ihre Moral mit dem­­sel­ben quasire­li­giösen Fa­na­tismus wie die Gläu­bigen aller Zei­ten ihre je­wei­ligen Götter. Fried­rich hatte sie in ei­nem Brief an Vol­taire am 6.7.1737 so charakterisiert: "In Deutschland fehlt es nicht an aber­gläu­­bi­schen Leu­ten, auch nicht an von Vorur­teilen be­herrschten und bös­­artigen Fanati­kern, die umso un­verbes­ser­li­cher sind, als ih­nen ih­re tumbe Unwis­senheit den Gebrauch der Ver­nunft ver­bie­tet. Es steht fest, daß man im Dunstkreis solcher Untertanen vor­sichtig sein muß. Selbst der ehrenhafteste Mensch ist ver­schrien, wenn er als Mann oh­ne Re­ligion gilt. Reli­gion ist der Fe­tisch der Völ­ker. Wer auch immer mit profaner Hand an sie rührt, er zieht Haß und Ab­scheu auf sich." [359]  Ebenso verfah­ren die modernen De­mo­kra­tie­gläubigen, die Be­­troffe­nen, bei wirk­li­chen oder ein­ge­bil­deten An­grif­fen auf ihren Gott. Wer mit pro­faner Hand an die ver­götterte De­mo­kratie rührt oder sie gar an­zweifelt, stößt sich selbst aus der Ge­mein­­schaft der Gu­­ten so sicher aus wie jeder Ketzer in irgend ei­nem Zeitalter. Wer das nicht glaubt, kann ja einmal öffentlich be­kennen, kein Demo­krat oder nicht betrof­fen zu sein, und warten, was dann pas­siert: Er zieht un­­weigerlich die soziale Reaktion des Mob­bing [360]  auf sich: die Grup­pen­hatz. Er wird er­fahren, was das Wort Sündenbock eigent­lich be­deu­tet und was es heute heißt, einer zu sein: Wie in allen Zei­ten der Sün­denbock rituell ge­schlachtet wurde, um sym­bolisch die Sün­den der Gemeinschaft der Recht­gläubigen auf sich zu zie­hen und jene zu er­lösen, fühlt sich der mo­derne Betrof­fene gleich besser, wenn in ei­ner Talkschau, der Mit­ter­nachts­mette der liberalen Dis­kurs­gesell­schaft, mit gehörig betrof­fe­ner Miene der Neonazi be­schwo­ren, ver­dammt und ausgetrieben wurde. Oh Herr, ich danke dir, daß ich nicht so scheußlich bin wie jener! In Sodom und Go­morrha soll es leider kei­nen Ge­rech­ten mehr gegeben haben. Im Li­be­ralismus gibt es nur Ge­­rechte: Pharisäer - Selbstgerechte - sagte man früher.

Wie die Hohepriester aller Religionen Sündenböcke brau­chen, be­nö­tigt der libe­ra­le Staat den seinen: Es ist der soge­nannte Neo­nazi. Ob jemand Neonazi ist, be­stimmt er freilich eben­sowenig selbst wie ir­gendein anderer historischer Sün­den­bock. Heute bestimmen die Mas­­senmedien nach ihren Bedürfnissen, wer Neo­nazi ist. Vor den Richter­stüh­len der mo­dernen Dreifaltigkeit aus Fernsehmo­de­ra­toren, Staats­­par­tei­en und Verfas­sungsschutz gilt wieder das Wort Friedrichs des Gro­ßen: "Wir haben hier eine Sekte Seeliger, die den Pres­by­te­ria­nern in Eng­land ausge­spro­chen ähnelt und so­gar noch un­er­träg­licher ist, weil sie in stren­ger Recht­gläubigkeit ohne Ein­spruchs­recht alle je­ne der Ver­dam­­mung überantwor­tet, die nicht ihre An­sichten tei­len." [361]  Damit hatte er auf Voltairs Satz ge­antwor­tet: "Es wird eines Ih­rer größten Ge­­schenke an die Menschheit sein, wenn Sie Aber­­glau­ben und Fana­tis­­mus unter Ihren Sohlen zertreten, nicht zu­las­sen, daß ein Mensch in Robe andere Men­schen verfolgt, die nicht so den­ken wie er." [362]  

Der Liberalismus mußte zwangsläufig totalitär werden, so­bald ei­ne wach­sende und nicht mehr ohne weiteres beherrsch­bare Zahl sei­ner Untertanen mit ihren Inter­essen in Konflikt zu den Interessen der­je­ni­gen kam, welche durch den liberalen Status quo be­vorzugt wer­den. Die liberale Auffassung vom Staat als großem Be­trieb führt zur Öff­nung der Grenzen und zur Privatisierung wichtiger Lebensberei­che wie demje­nigen der öffentlichen Sicherheit, widerspricht aber den Bedürfnissen vieler Bür­ger. Die Beispiele ließen sich be­liebig ver­meh­ren. Dem Pochen von immer mehr Bür­gern auf gegen den Libera­lis­mus gerichteten persönlichen und nationa­len Inter­es­sen kann die­ser nur noch damit begegnen, daß er es als ketzerisch brand­markt, seine Ab­weichler stigmatisiert oder als Neo­nazis dämonisiert. Der Kultus der Staatsreligi­on Libe­ralis­mus mit seinen von Pastoren an­geführten Lichterket­ten und Betroffen­heitsri­ten, seinen Ta­bu­zo­nen und Exor­zismen wird sich aller­dings nur halten können, wenn es dem Li­bera­lismus gelingt, die Anzahl seiner Gegner recht­zei­tig durch Mas­senein­wanderung in die Minorität zu drängen und wei­terhin sozial und po­li­tisch auszuschal­ten.

Auf der Suche nach der idealen Staatsform

Parlamentarismus und Menschenrechte

Gegen die unbestreitbaren und seit Jahrzehnten bekannten Mängel des par­la­men­ta­ri­schen Systems wenden die Anhänger des Parla­men­ta­rismus ein, grö­ße­re Frei­heit ha­be der Bürger nirgends. Diese Meinung beruht auf einer Verwechs­lung von De­mo­kratie und Rechts­staat­lich­keit. Diese ist eine altliberale Schöp­fung. Pure De­mokra­t­ie, lehrt ge­schichtliche Erfahrung, könnte dagegen zur ja­kobinischen Willkür der Mehr­heit führen. David Hu­me hatte behauptet, daß es im Frank­reich des ancien régime mehr Frei­heit der Rede und des Handelns ge­ge­ben habe, als im re­pu­blikani­schen Hol­land: Ei­ne Mon­archie ha­be es näm­lich nicht nötig, zu so willkürlichen Maß­­nah­men zu greifen, wie die hol­län­di­schen Be­hörden es notge­drun­gen täten. [363]  

Heute verbreiten Liberale das Vorurteil, es möge zwar gegen das Funk­tio­nie­ren der Leit­ideen des Parlamentarismus be­grün­de­te Ein­wände ge­ben - ja, man gibt mit ent­waff­nendem Lächeln zu, daß er "die schlech­­te­ste Staatsform über­haupt" sei - in­des­sen gebe es eine bes­sere auch nicht. Vor allem hätten alle Al­ternati­ven noch schlim­me­re Nach­teile. So habe es Mas­sen­tötun­gen und -vertrei­bun­gen in voll aus­ge­bil­deten parla­men­tari­schen Sy­ste­men nie gegeben. [364]  Aber fand das demokra­tisch-parla­mentarische Ame­rika etwas da­bei, die In­di­a­ner fast auszurotten und bis zum Se­zessi­onskrieg Skla­ven zu halten? Hat­ten nicht die ur­par­lamentari­sch re­gier­ten Briten im Bu­ren­krieg 1902 die er­sten Kon­zentrati­onslager der Ge­schichte ge­baut und seit 1932 den totalen Bomben­krieg auf die Zivilbevölkerung ei­nes po­ten­tiel­len Kriegsgeg­ners ge­plant? Wurde nicht Lud­wig XVI. von Par­la­men­ta­ri­ern der franzö­si­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung zur Guillo­tine ge­schickt? Die Achtung vor den Men­­schenrechten hängt nicht von der Re­gie­rungs­form ab. Darum sind auch Demokratie oder Parlamentarismus keine Vorbedingung für die Geltung von Menschenrech­ten. [365]  Leicht ließe sich ein Register kleiner und gro­ßer Sün­­den par­la­men­ta­risch regierter Staaten aufstellen. Ein an­schau­li­ches Bild davon, was auch in der angebli­chen westlichen Wer­te­ge­mein­schaft unter  einer parlamentari­schen Re­gierung 1945-1949 in Bel­gien möglich war, vermittelt Reiß­mül­ler: "Zur Re­pres­sion der Nach­kriegs­jahre gehör­te un­ter vielem an­de­ren fol­gendes: Frauen und Kinder von Be­schuldigten wur­den im Voll­zug von Sip­penhaf­tung ein­ge­sperrt. In den Ge­fäng­nis­sen und La­gern - so­gar ein von den Deut­schen errichte­tes und be­trie­be­nes Kon­zen­tra­ti­ons­lager führte man mit neu­en Häft­lingen weiter - wur­de ge­fol­tert, ge­tö­tet. Unzäh­lige Straf­ver­fahren sprachen jeder Rechts­staat­lich­keit Hohn; sie wurden im Blitz­tempo geführt, der An­ge­klagte wur­de nicht ge­hört, die Ver­tei­di­gung be­hin­dert, Ent­la­stungs­zeugen wur­den be­droht ... . Zehntau­sende Per­sonen ka­­men ohne straf­recht­li­chen Vor­wurf in Haft. ... . Ein an­de­res Ka­pi­tel da­­ma­­ligen Staats­un­rechts war das Gesche­henlassen von Ter­­ror, den nach der Befreiung wirk­liche oder falsche Wi­der­ständ­ler üb­ten. In je­nen Monaten haben ent­fesselte ein­zelne und Grup­pen ge­mor­det, ge­fol­­tert, verschleppt, ver­ge­wal­tigt, ge­­raubt; Po­lizei und Straf­justiz schau­­ten weg oder zu." [366]  

Die kühne Be­haup­­­tung der Liberalen, ihr Par­lamentaris­mus sei die einzige Staats­form, die Menschenrechte und bür­­­gerliche Frei­heiten ga­­rantie­ren könne, ist also durch vielfache hi­sto­­rische Erfah­rung wi­der­legt. Da diese Men­schen­rechte als "Natur­rech­te" zur Summe aller vor­­po­si­ti­ven Rechts­nor­men gehören, werden sie aus­­­drück­lich für ge­gen das staatliche Recht ver­­bindlich erklärt und kön­­­n­en weder be­griff­­li­­che Merkma­le der De­mo­kratie noch des Par­la­men­­­ta­ris­mus oder ir­­gend­­­ei­­ner anderen be­stimmten Staatsform sein. Keine bestimmte Re­gierungs­form al­­lein garan­tiert also Humanität oder Men­schen­rech­te. Daher "bekennt sich" das Grundgesetz zu den vor­staatlichen Grund­rechten und begründet sie nicht erst. Für den Par­­la­men­ta­ris­­mus sind Freiheits­rechte der Bür­ger gegen den Staat zwar auch grund­le­gend; jedoch nicht als Ausdruck der all­ge­mei­nen oder unverän­der­li­chen Natur des Men­schen, [367]  sondern rein funk­­­tio­nal auf das parla­men­tarische System be­zo­gen. Der pri­märe Sinn des gan­­zen Sy­stems von Pres­se-, Meinungs- und Ver­samm­lungs­frei­heit hatte darin be­stan­­den, den für das Funk­tionieren des Par­la­menta­rismus nach der libe­ra­len Idee kon­sti­tu­ti­ven Pro­zeß der öf­­fent­li­chen Meinungs­bil­dung zu ge­­währlei­sten, [368]  in dem durch den frei­en Kampf der Mei­nun­gen die "Wahr­heit" ent­stehen soll als die sich aus dem Wett­be­werb von selbst er­ge­ben­de Harmonie. Diese ur­­sprüngli­che Funk­ti­on ha­ben sie aller­dings im real exi­stierenden Par­la­­­men­ta­rismus vollstän­dig eingebüßt. Nur der bür­ger­liche Rechts­staat mit seinen Freiheiten ver­hin­dert, daß Demo­kratie jako­binisch wird. Seine konsequente Durch­füh­rung durch den Vor­rang der In­­di­vidualrechte verhindert die kon­sequente Durch­­­füh­­rung des demo­kratischen politischen Form­prin­zips [369]  und ver­­­leiht so dem an sich totalitären De­mokratie­konzept ein "mensch­­li­ches Ant­litz." [370]  Im heutigen Par­la­men­ta­ris­mus ge­win­nen die Grund­rech­te zu­neh­­mend Be­deu­tung als Ab­wehr­rech­te ge­gen als staatli­che Macht ko­stü­mierte Par­tei­will­kür. Nur ein neutraler Rechts­staat mit garan­tierten Bür­gerrech­ten kann uns heute noch vor dem Ja­kobi­nis­mus der rich­ti­gen Bewußt­seins und den Herrschafts­tech­niken der an die Macht ge­kommenen früheren Apolo­geten des herr­schaftsfreien Dis­kur­ses schüt­zen.

Wenn also die Menschenrechte weder Begriffsmerkmal der De­mo­kratie noch des Parla­men­taris­mus, sondern diesen nur auf­ge­pfropft sind: Warum sollen sie nicht auch an­dere Staatsformen und darüber hinaus jede organi­sierte Macht erst veredeln und er­träg­lich ma­chen können? So bereitet we­der be­griff­lich noch tatsächlich die Vorstel­lung einer konstitutionellen Monarchie, einer Ari­sto­kratie oder einer nicht absolut parlamentsbeherrschten Republik mit Bür­ger- und Frei­heits­­rech­ten ge­dank­li­che Schwie­rig­keiten. Die Not­wen­dig­keit die­ser Rech­te folgt nämlich aus vor­staat­li­chen Wertent­schei­dun­gen, de­ren Rich­­­tig­keit in vielen Sy­stem gültig bleibt: Sie sind daher auch ob­jek­ti­ve Ord­­nungsprinzipien für die von ih­nen ge­schützten li­be­ralen Wert­ge­gen­stände wie Ehe, Fami­lien, Presse und Eigentum [371]  und als sol­che ein not­wendiges Ele­ment und Mittel zur Integration des Staa­tes. In die­sem Sinne ist Frei­heit nicht als schran­ken­lose Libertinage zu ver­­ste­hen, son­dern als "Freiheit zur Realisie­rung der durch die Grund­­­rechte ausgedrückten Wert­vorstel­lun­gen." [372]  Diese Wert­ent­schei­dun­gen sind auch an­deren Wertordnun­gen eigen und unabhängig von der Staats- und Regierungs­form. "Mit Hilfe der bürgerlichen Frei­heit kann also jeder Staat, oh­ne Rücksicht auf seine Staats- oder Re­­gie­rungs­form, in der Aus­übung der staatlichen Macht beschränkt wer­den. Ei­ne Durch­füh­rung dieser Prinzipien verwan­delt jede Mon­archie in eine ver­fas­sungs­ge­setz­lich beschränkte, sog. kon­sti­tu­tio­nelle Mon­ar­chie ... Eben­so wird das politische Prinzip der De­mo­kratie ver­än­dert und aus einem rein de­mokratischen Staat eine kon­stitutio­nelle De­mokra­tie. Die Prin­zipien der bürgerli­chen Freiheit kön­nen sich des­halb auch mit je­der Staats­form verbinden, sofern nur die rechts­staat­lichen Schran­ken der staatlichen Macht aner­kannt sind und der Staat nicht 'absolut' ist." [373]

Lernen aus der Geschichte

In einem absolut monarchischen Duodezfürstentum des 18. Jahr­hun­­derts konnte man als Bürger ebenso frei von staatli­cher Re­pres­sion le­ben, wie in ei­ner zeitgenös­si­schen Stadt­re­pu­blik wie Köln oder Ham­­burg; und unter preu­ßisch-­monarchischer Herr­schaft hatte ein Ehe­paar vor hundert Jah­ren in Frankfurt am Main eine objektiv grö­ßere Chan­ce, eine Schar fröhlicher Kin­der groß­zu­ziehen, als heute im "de­­mo­kra­ti­schen" Frankfurt, in dem Ju­gend­banden schon in Schulen mit Waffen han­tieren und die Ge­fah­ren durch Rausch­gift weitaus grö­­ßer sind, als eine mögliche Be­drän­gung durch staatli­che Gewalt im Kaiserreich. "Freiheit läßt sich wirksam nur als einheitli­che ge­währ­lei­sten, und aus ei­ner unfreien Ge­sell­schaft kann kein frei­heit­li­cher Staat her­vor­ge­hen. Sofern Frei­heit nicht nur die Freiheit der Mäch­tigen, gleich wel­cher Rich­tung, sein soll, bedarf sie viel­mehr des Schut­­zes so­wohl ge­gen staatli­che als auch ge­gen ge­­sellschaftliche Be­ein­trächti­gungen; ihre Wahrung erfor­dert also eine Siche­rung im Rah­men der Ge­samt­gesell­schaft [...]. In­sofern ge­winnt ge­sell­schaft­li­che Frei­heit [...] Wirk­­lich­keit erst durch staatliches Tätig­werden." [374]

Zugegeben: Wer damals "staatsfeindliches" sozialdemo­kra­tisches Pro­­­­pa­gan­da­ma­te­rial her­ausgegeben hätte, der hätte früh um sechs von der Polizei aus dem Bett geholt werden können. Aber kann das 1994 nicht ebenso pas­sie­ren? Es ist schon zu oft pas­siert. Nur sind jetzt die Po­lizisten sozialdemo­kra­tisch und tragen keine Pickelhauben mehr; als "staats­feindlich" gelten jetzt an­dere Bestre­bungen, aber das gut einge­übte Beschlagnah­men von Propa­gan­da­ma­terial, Fahnen oder Kenn­zei­chen oppositioneller Gruppen hat in Deutsch­­land bisher unter kei­ner Re­gierung aufge­hört. Und wer in St.Petersburg 1905 "auf die Stra­ße ging", wurde leicht von ei­nem za­risti­schen Kaval­leriesä­bel ge­troffen; doch wer heute in Ham­burg zu spä­ter Stun­de in der fal­schen Stra­ße spazie­rengeht, dem kann mit stati­stisch noch größe­rer Wahr­schein­­lich­keit das­selbe durch die Klinge eines Krimi­nellen pas­sie­ren.

Freiheit bedeutet eben nicht nur Freiheit von staatlichem Über­griff, son­­­dern auch von Ge­fahren unserer banalen, all­täglich ge­wordenen Kri­­minalität. Die Summe aller "privaten" kriminellen Übergriffe auf Leib, Leben und Ei­gentum der Bürger war und ist aber notwen­dig in libe­ralen Parlamenta­rismen höher als in ande­ren Staaten, weil der Staat bewußt ohn­mächtig gehalten wird. Mit libe­ralistisch halbierter Ver­­nunft wird dann ent­setzt ver­merkt, daß die Polizei bei ei­ner Ring­fahn­­dung "unsere Daten" benutzt, als ob da­von ei­ne Gefahr ausginge; lieber läßt man die Verbrecher laufen. Der Staat soll nach Meinung des Libe­ra­len alles können, aber nichts dürfen. Die sich dabei un­ver­meid­lich ein­stel­len­den mafiosen Strukturen nimmt der Liberale in sei­ner einäugi­gen Fixierung auf die von der Staatsgewalt potenti­ell aus­ge­henden Ge­fahren hin und gelangt dabei vom Regen in die Traufe. So kann der erzli­berale Nachtwäch­terstaat den in­neren Frieden und die Freiheit der Bürger nicht wah­ren, wenn er ihnen nur hoch und hei­lig ver­spricht, ih­nen auch gewiß nichts zu tun, und das Verspre­chen dadurch einlöst, daß er gar nichts mehr tut und zum impotenten Pa­pierti­ger wird. "Die indivi­dualistischen Apostel haben noch nicht er­kannt, daß auch die Republik ein Staat ist, der bejaht werden muß." [375]  Das eigentliche Problem besteht also darin, daß der not­wen­dige Schutz vor staat­li­cher Will­kür in einem aus­gewogenen Ver­hält­nis ste­hen muß zu ei­nem aus­rei­chen­den Maß an staat­li­cher Macht, um die Bürger voreinander zu schüt­zen [376] . Die­ses Ver­hält­nis ist heu­te tief­grei­fend ge­stört.

Wo nicht ein neu­tra­­ler Rechts­staat herrscht, herr­­schen be­­sten­falls Verbände, Cli­quen und Interes­sen­­grup­­­pen; schlimm­­sten­­­falls herrscht die Mafia. Die li­be­ra­le Ge­sell­schaft ist der ideale Nähr­bo­den für Ma­fias aller Art, [377]  und zu­weilen drängt sich die Frage auf, ob Staat überhaupt noch existiere oder ob er zum Ei­gen­­tum ma­fio­ser Po­litik­gruppen ge­wor­den sei." [378]  Ein System muß aber not­wen­dig schei­tern, das den Ei­gen­nutz zum al­lei­­ni­gen Prinzip er­hebt und daher keine Sicherun­gen ge­gen Kor­rup­tion hat. Mit aller Kunstfertigkeit und mit allem Fleiß sucht der Li­be­ra­le ein Gleichgewicht zu errei­chen. "Nur für eine Macht hat die li­berale Schule das dieser entspre­chende Ge­gengewicht nicht gesucht: für die Macht der Korrup­tion." [379]

Panta rhei

Fehlt äußerer Zwang, hat jedes Volk die Staatsform, die es ver­dient. Gegen den ent­schiedenen und anhal­tenden Wi­derstand einer großen Mehr­heit hat sich noch kein Sy­stem auf Dauer halten kön­nen. Die Si­tu­a­­tions­bezogen­heit und Ver­ände­rungs­be­dürf­tig­keit der Staats­form wird na­ment­lich an Bei­spielen aus der Antike deut­lich, z.B. an den bei­den sich in ih­rer Macht ausba­lan­cieren­den Kon­suln [380]  der rö­mi­schen Re­pu­blik, [381]  die in Not­zeiten ei­nem ernann­ten Dikta­tor auf Zeit wi­chen, [382]  oder am Heer­­kö­nigtum der Germa­nen: Nur so­lange krie­geri­sche Ver­wick­lungen es erfor­derten, wählte die Landsge­mein­de einen Her­zog als mili­täri­schen Leiter, [383]  dessen Amt im Frieden wie­­der ende­te. Die germanische Urverfassung ließ für eine Herr­scher­ge­walt einzelner keinen Spielraum. Das Staats­­oberhaupt war die Lands­­ge­meinde. Schilderhe­bung und vor­hergetragene Heerfahne sym­­­bo­li­sierten den kriegeri­schen Charakter des Amts. [384]  Das Her­zog­tum bedeu­tete, verfas­sungs­po­li­tisch gese­hen, den Aus­nahme­zu­stand. [385]  Es läßt sich all­gemein der Satz aufstel­len, daß ein Ge­mein­we­­sen um­so straf­fer organi­siert sein muß, je exi­stenzieller eine in­nere oder äu­ßere Bedro­hung ist. Die Ein­buße an indivi­dueller Freiheit wird nur hin­­genommen, solange die Ge­meinschaft stark sein muß, um Le­ben und Freiheit aller einzelnen zu schüt­zen. So ist Staat­lichkeit stets zweck­­bezogen, und Zweck kann nur die per­sönli­che Wohlfahrt der ein­­zel­nen Men­sc­hen sein. Nie darf hin­gegen ein Sy­stem zum Selbst­zweck wer­den, weil es sich sonst um die Grundlage sei­ner Legi­timi­tät bringt.

Der Gegensatz von zentraler Gewalt des Staats und partiku­laren Ge­wal­ten durch­zieht die deut­sche Geschichte wie ein roter Fa­den. Als das Heilige Römi­sche Reich unter den Stau­fern zu ei­ner von au­ßen kaum angreifbaren Macht gekommen war, schwand im In­nern das Be­wußtsein, zusammenhalten zu müs­sen. Der Fürsten­par­ti­ku­la­ris­­mus war die Antwort auf die­se neue Lage in einer Zeit, die den christ­lich-univer­sali­sti­schen Herr­schaftsanspruch schwinden und den "No­mina­lis­mus" derer wachsen sah, die trotzig auf dem Eigenen, Be­son­­de­ren beharrten. Alleror­ten in Deutsch­land nahm man sich zuneh­mend die Frei­heit, so­viel man eben be­kommen konnte, bis die apoka­lyp­ti­schen Szenarien den 30jährigen Krieges wieder zum abso­luten Zu­­sam­men­fassen al­ler Kräfte zwan­gen und der Fürstenabsolutis­mus sich durch­setzte.

Die Geschichte bietet das ständig sich wiederholende Bild der un­ter dem An­sturm des Frei­heitsdurstes bröckelnden Staatsmacht und dem Gesetz, daß man unter äuße­rem Druck wie­der en­ger zusam­men­rücken muß. Lorenz von Stein hat das auf die Formel vom ständigen Stoß und Gegenstoß von Staat und Gesell­schaft gebracht und als In­be­­griff des politisch-geschichtlichen Le­bens erkannt. [386]  Wo sich eine Ge­sell­schaft un­ter äu­ßerem Druck nicht recht­zeitig in staatliche Façon zu bringen ver­mochte, er­lag das Ge­mein­wesen äu­ße­rem An­sturm, und das jewei­lige Volk sank vom geschichtli­chen Sub­jekt zum Ob­jekt des Willens und Handelns anderer herab. [387]  So hatte das alte Reich den fran­zösi­schen Revo­lutions­armeen mit ihrer to­talitär-demo­kra­­ti­schen, alle Kraft ihres Staa­tes zusam­men­fassenden Wucht nichts ent­­gegenzu­set­zen und lö­ste sich auf. Nach dem Be­frei­ungskrieg sieht das 19.Jahrhundert ei­ne fort­wäh­rende Folge von inneren Libera­lisie­run­­­gen, zuneh­mende Bür­gerfreiheit und ab­neh­mende Staatsmacht. Die­­­se Ten­denz wurde erst unter­bro­chen, als mit der Weimarer Re­pu­blik ein nie dage­wesener Tief­punkt staat­li­cher Macht er­reicht wur­de und breitere Schich­ten unter bür­ger­kriegsähnli­chen Zustän­den und der offenen Schwäche des Staates nach innen und außen persön­lich lit­ten.

Letztlich war es die Angst vor dem geographisch benachbar­ten Sow­­jet­mo­dell und sei­nen Mas­senmorden an Klassenfeinden und sei­nem sy­stemati­schen Terror als Mittel der Poli­tik, die eine re­la­tive Mehr­heit in die Arme dessen trieb, der alle staat­lichen Kräfte an­zu­spannen ver­sprach, Terror mit Gegenterror zu bre­chen. [388]  In der heu­ti­gen russi­schen Presse werden die Opfer des Bol­sche­wismus in der UdSSR von der Ok­to­berrevolution bis 1989 auf zwi­schen 40 Mio. und 100 Mio. Men­schen beziffert, [389]  ei­ne hi­storisch sin­gu­­läre Anzahl. Viele fan­den es 1933 in Deutschland aus Kommu­ni­sten­furcht als we­ni­ger be­drohlich, den Staat mit dik­ta­­to­ri­schen Macht­­­­mit­teln aus­zu­stat­ten, um die als po­ten­tiel­le Täter be­trach­teten Kom­­­­­mu­ni­­sten in La­ger zu sper­ren; und selbst ihre offene Er­mordung dul­­­dete ei­ne schwei­gende Mehr­heit noch. Nicht aus Lust auf Dikta­tur for­­­mier­te Deutsch­land sich zu Ko­lonnen, sondern aus Angst. [390]  Man gab an per­sönli­cher Freiheit dem Staat, um an Sicher­heit vor emp­fun­de­­ner Be­­­dro­hung zu gewin­nen. Wie sehr die Angst vor dem Sowjetterror ein Motiv eines füh­renden Nationalsozialisten war, wird am Beispiel des 'Chefideologen' des 3. Reiches deutlich, dem Bal­­ten­deut­schen Ro­sen­berg: "Berichte aus Emi­gran­tenkreisen schilder­ten die schlimm­sten Greu­el der Bol­schewisten. Ein­schließ­­lich der Hungertoten habe die Re­volution 35 Millionen Tote ge­fordert. Schlimm­ste und bru­talste Fol­te­rungsme­thoden wur­den an die Öffentlichkeit ge­­bracht."

Das Kaisertum bis 1918, die Weimarer Republik, das Dritte Reich, auch die Bun­des­re­pu­blik und sogar die DDR waren je­weils in ih­rer Wei­se mögli­che und ihren Zeit­ge­nos­sen völ­lig plau­sible Antworten auf Existenzfragen ihrer Zeit. Im Re­gelfall be­jahte eine Mehr­heit ihr je­­wei­liges System. Der Grundfehler unhi­stori­scher Sicht von Ver­gan­ge­nem ist es, die Lösungen von heute als Maß­stab für Probleme von ge­stern legen zu wollen. Wer der Ro­dungs­periode des Land­aus­baus vom 12. und 13.Jahrhundert nach­träglich aus ökologi­schen Grün­­den grollt, hat von den Men­schen, der Ge­schichte und menschlichen Pro­b­lem­­­­­lö­sungs­stra­tegien eben­sowenig verstan­den wie der demo­kra­ti­sche Fun­da­men­ta­­list, der nicht begrei­fen kann, warum es für eine Mehr­­­heit der Bürger 1914 "nur noch Deut­sche" und keine Parteien mehr gab und warum der Reichs­tag 1933 das Ermächti­gungsgesetz ver­­ab­schiedete. Wenn der Ma­­gen unserer eiszeitli­chen Ahnen knurr­te, wurde eben Mam­mut ge­jagt und ausgerot­tet, und hätten die Eis­zeit­jäger dar­auf verzich­tet, gäbe es uns womöglich nicht. Es gibt kei­ne ewig gültigen Prob­lem­lö­sungs­stra­tegien, also auch keine ewig gül­ti­­gen Regie­rungs­systeme. Mit Heraklit stellen wir nüchtern fest: ÐÜíôá ñåé! Al­les ist im Fluß und wird auch im­mer im Flusse blei­ben.

Die Geschichte lehrt die immerwährend erforderliche Anpas­sung an kli­ma­ti­sche, de­mo­gra­phische, kriegerische, geisti­ge, ökolo­gische, öko­­nomische und andere Pro­bleme und Über­lebensfragen. In­dem un­se­re gleichgeschaltete Me­dien­gesell­schaft auf dem Vul­kan tanzt und "Beste aller Welten" spielt und sich der Ge­schichtsunter­richt für viele Schü­ler auf zwölf Historienjahrgänge be­schränkt, sind diese Grund­tat­­sa­chen hi­storischer Abläufe aus dem allge­mei­nen Bewußt­sein her­aus­gefiltert worden. Darob stöhnte ein Ge­schichts­profes­sor: "In vie­len jungen Köp­fen haftet, sehr zäh-kleb­rig, ein grauer, amor­pher, eben bildloser Pla­­ti­tü­denmatsch, der gar nichts mit 'Ab­strak­tions­nei­gung' oder 'Theo­rie­­be­dürfnis' des mo­dernen Men­schen zu tun hat (ja, das Gegen­teil da­von ist!), son­dern in dem die Fertigteile der veröf­fent­lichten Mei­nung mit ei­genen, Mißgunst her­vor­bringen­den Unlust- und Versa­gens­kom­ple­xen ver­backen sind. Oft und oft habe ich schon mit Kum­mer fest­ge­stellt, daß es tat­sächlich unmög­lich ist, mit Leuten über den Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg oder über die Bauern­be­freiung in Preu­ßen zu re­den, von 'diskutieren' ganz zu schweigen, die nicht wis­sen, ob Wallen­stein einen Brustpanzer oder eine karier­te Weste trug." [391]  

Die permanente Evolution

Der Bonner libe­rale Staat mit seiner parlamentarischen Re­gie­rung ist eine von vie­len möglichen Regierungsformen. Solche un­ter­schied­li­chen For­men und Sy­steme sind in Pa­ra­graphen gegos­sene Pro­blem­lö­sungs­stra­te­gien. Sie regeln das Zusam­men­le­ben ver­bindlich und wol­len mit ihrem Re­gelwerk zum Nutzen aller die zwi­schen­menschli­chen Beziehungen op­ti­mie­ren und all­gemeine Pro­bleme lö­sen. Wel­che Narr­heit, zu behaupten, irgend­ein sol­ches Re­gelwerk könne für alle Ewig­keit gelten. Ge­nau das befiehlt aber das Bonner Grund­ge­setz, wenn es seinen Kernbe­reich durch die "Ewig­keits­klau­seln" in Art.79 und 20 als für alle Zeiten unabänder­bar er­klärt. Wel­che Hy­bris! Nach einer am 29.4.1992 veröf­fentlichten UNO-Studie wird die Welt­be­völ­ke­rung sich bis 2050 auf 10 Milliar­den verdoppeln. Die glo­bale Öko­kata­stro­phe, die un­ge­hemmte Vermeh­rung der Mensch­heit und der absehbare Totalzu­sammen­bruch der Po­pu­la­tion der Er­de, der rasant stei­gende Ein­wanderungs­druck nach Deutsch­land und die in al­len mo­dernen Wirt­schafts­gesellschaften zu be­ob­ach­tende Unter­schrei­tung der für den Bev­ölke­rungserhalt nöti­gen Ge­burten­ra­te, und zwar in Deutsch­land um ein Drit­tel, das alles stellt uns vor Schwierigkei­ten exi­sten­tieller Art. Dem Geburten­rück­gang "widmeten der Chef des Bonner 'Instituts für Wirt­schaft und Gesell­schaft' (IWG), Meinhard Miegel, und seine Co-Autorin Ste­fa­nie Wahl eine 1990 von Bun­des­for­schungs­mini­­ster Riesenhuber (CDU) in Auf­­trag gegebene Studie. Was die beid­en Wissenschaftler ... dabei her­aus­fan­­den, ist laut einem Bericht der 'Stuttgarter Nachrichten' derart alar­mie­rend, daß das Bun­des­innenmini­steri­um die Veröffentli­chung zunächst un­­terband. Auf den Punkt gebracht kommen die beiden zu dem Er­gebnis, daß un­ser [...] Volk mit der Nachkommen­schaft derart ins Hin­ter­treffen gera­ten wird, daß unsere Kultur zunächst von der fremd­ländischer Zuwande­rer über­la­gert werden dürfte, um schließlich ganz zu erlö­schen." [392]  Unter dem Druck die­ser Pro­ble­me wird in ab­sehba­ren Jah­ren kein Mensch mehr nach dem Klein­ge­druck­ten fragen. Wie der Eiszeitjä­ger keine Gewis­sens­­bisse hatte, als er das letzte Mammut erlegte und - nicht ver­hun­gerte, wird im 21.Jahrhundert so man­ches ohne Gewis­sensbisse ge­sche­­hen, was nicht in die "un­ab­än­der­liche" Grundgesetz­theorie paßt. [393]  Die vere­lende­ten Milli­arden und Aber­milli­ar­den in den ver­seuch­ten Slums der Zu­kunft in Übersee wer­den nicht zim­per­li­cher mit­einander und mit uns um­ge­hen, als es ih­re eis­zeit­lichen Vor­fahren einmal mit den Mammuten taten. Wäh­rend Bonn noch im­mer die Probleme von 1933 bis 1945 "bewältigt", wer­den uns un­sere En­kel ein­mal ver­flu­­chen, wenn wir ih­nen nicht auf diesem klei­nen Glo­bus ein Fleck­chen hinter­las­sen, auf dem sie als Deut­sche men­schen­­wür­dig werden leben können. Flexi­bili­tät ist also ange­zeigt.

Zur Zeit ist die genetische, kulturelle und politische Vielfalt noch die Stärke der Mensch­heit. Alles Leben ist ein informati­onsgewin­nen­der Prozeß und damit ei­ne An­pas­sungslei­stung an wechselnde Um­welt­ver­hältnisse. [394]  Einen Verzicht auf diese An­passung dürfen wir uns um den Preis unserer Existenz nicht lei­sten. Wir lieben unse­re Art zu le­ben; doch ob sie in kom­menden Jahrhunderten rück­blickend ein­mal die opti­male in einer ausge­plün­derten und übervöl­kerten Welt sein wird, wis­sen wir nicht. Nach dem abseh­ba­ren Be­völkerungs- und mög­licherwei­se auch teil­weisen Zivi­lisati­onszu­sammenbruch könnten es auch die Aus­tral­neger sein, die alles überle­ben und Ahnherren ei­ner Mensch­heit der fer­nen Zukunft wer­den. Heute können wir nur die star­ke Ver­schie­denheit der Men­schen als Chance begreifen. Es gäbe nicht Gefährli­che­res für die Mensch­heit, als zu einer Ein­heitsrasse mit Ein­­heitszi­vilisati­on zu ver­schmel­zen, [395]  weil im Falle glo­baler Ka­ta­stro­­phen alle ge­meinsam den Weg der Sau­rier und Mam­mute gehen könn­ten. Wir dür­fen uns nicht al­le in ein Boot set­zen, denn das Risi­ko des ge­meinsamen Un­ter­ganges wä­re zu groß. [396]

Während die genetische Verschiedenheit der Menschenrassen noch ver­gleichs­weise ge­ring ist, unterscheiden wir uns reli­giös, zi­vili­sa­tori­sch, mental und kulturell gewal­tig. Die ver­schiedenen Kulturen glei­­chen auf einer ande­ren Ebene den ver­schiedenen Ras­sen der Mensch­­heit und ver­schiedenen Ar­ten des Tierreichs. Man spricht hier von Pseudo-Art­bil­dung [397] . Wie die Tierarten und die Men­schen­ras­sen be­stimmte klimati­sche, geogra­phi­sche und tem­poräre Ni­schen be­set­­zen und sich anpassen, ist auch die Aus­bil­dung menschlicher Kul­tu­­ren ei­ne Anpassungslei­stung, ein in­for­ma­tions­ge­win­­nen­der Vor­gang. Die In­formation über die Außen­welt wirkt auf die Kultur zu­rück und ver­än­dert sie. Die­ser Pro­zeß ist die eigentli­che Über­lebens­lei­stung und führte bisher zu steti­ger Höhe­rent­wicklung des Lebens und der Kul­tu­ren. Er darf nicht enden - um den Preis des Überlebens selbst darf er das nie­mals. Unveränderliche äußere Kon­stan­ten gibt es in der menschli­chen Ent­wick­lungsgeschichte nicht. Je­der Ver­zicht auf An­­pas­sung kann nur im Untergang enden, sei dieser das Ausster­ben ei­nes Volkes, die Aus­lö­schung einer Kultur oder gar der gan­zen Mensch­­heit. Eine bestimmte Problem­lösungsstrategie dür­fen wir un­seren Kin­dern nie als unver­än­der­lich in die Wiege legen; unwan­delbar sind nur die In­schriften von Grabstei­nen. "Staaten mit Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alten Regierungstraditionen gehören in die Grab­kammern der Pyra­miden." [398]  Der Ver­such, über das Grab hinaus zu regieren und auch die Kinder den eigenen Gesetzen zu unterwer­fen, ist die unverschämteste und lächerlichste Art der Tyrannei. [399]

Das Bonner System will seiner Selbstrechtfertigung nach system­t­heo­reti­sch ein of­fenes System sein, und auf diese Offenheit ist es be­son­ders stolz. Welch entsetzli­cher Irrtum! [400]  Wirk­lich offen ist es we­der verfassungs­rechtlich noch soziolo­gisch. Nach dem Urteil des So­zio­­logen Erwin Scheuch hat sich der Bon­ner Staat zu einem selbst­re­­fe­­­ren­tiel­len Feudal­system ver­festigt, dessen "politische Klasse" ein Ei­gen­­le­ben führt, nur noch ihren eigenen Ge­set­zen ge­horcht und nur dem­­je­ni­gen Zutritt zur Macht ge­währt, der so wird wie sie. Be­son­ders hart­näckig vertei­digt sie ihr fak­tisches Mono­pol der Ver­fas­sungs­­ge­setz­ge­bung und -auslegung; in ihr stabili­siert sich der Kern­be­reich ih­rer Macht, den sie wie ein Per­petuum mobile in alle Zukunft un­­­ver­än­der­­bar wissen wol­len, unver­än­derbar selbst durch das an­geb­lich sou­veräne Volk.

Die liberale Demokratie á la Bonn hat sich in ihrer eigenen lo­gi­schen Falle ge­fan­gen: Mit Recht erkennt sie das Erfor­dernis der im­merwäh­ren­den Änder­barkeit politi­scher Lö­sungs­strategien. Die Mög­lich­keit der Veränderung müsse garan­tiert sein; das Sy­stem müsse recht­lich und insti­tutionell immer für bessere Lö­sungen offen sein. [401]  Das sei in der "pluralistischen Demokra­tie", und nur in ihr, der Fall. Da­­her dürfe alles verändert werden, nur das parla­men­tari­sche Sy­stem nicht. Die lo­gische Fehlleistung besteht darin, die Ver­än­der­bar­keit da­­durch er­rei­chen zu wollen, nur ein System für anpas­sungs­fä­hig zu er­­klären, aber die Verände­rung zu jedem ande­ren Sy­stem auszu­schlie­ßen. Fle­xi­bi­lität und Än­der­bar­keit werden dadurch aber nicht er­reicht, son­dern ge­rade verhindert. Möglich sind hier nur kleine Kor­rekturen. Der denk­ba­re Fall einer tief­greifenden Ände­rung, ein wirkli­cher Sy­stem­wandel, soll verhindert wer­den. In der Wirk­lich­keit än­dert sich aber sowieso im­­mer alles ir­gendwann, ob ein Gesetz es für un­abän­derlich erklärt oder nicht. Auf Dauer hält die Realität sich nicht an pa­pie­rene Ver­fas­sun­­gen. Ge­rade die­sen norma­len Pro­zeß sucht das Grundgesetz mit sei­­nen Ewig­keitsklau­seln zu stoppen. Da der Fort­gang der Ge­schichte sich aber durch Ewig­keits­klauseln noch nie hat auf­halten lassen, wird die Zeit auch weiterhin über alle an­ge­maß­ten menschlichen Eitelkeiten und Ewig­keits­ansprü­che hin­­weg­­­schreiten.

Das Rad der Geschichte dreht sich unaufhaltsam weiter. Völ­ker kom­­men und ge­hen - Sy­steme kommen und gehen. Nur eine Zeit­lang kann sich menschli­cher Wille dieser Ge­setz­mäßig­keit entge­genstem­men: Jede einmal in den Besitz der staat­lichen Machtmit­tel gelangte Grup­­pe wird diese festzuhal­ten trachten. [402]  Schon Theo­phrast be­merk­­te, der größte Ehrgeiz der die höchsten Stellen im Volks­staat ein­neh­men­den Männer bestehe darin, auf Kosten der Souve­ränität des Volkes all­­mählich eine eigene zu gründen. [403]  So sticht auch bei un­se­ren heuti­gen Politikern vor allem der Wille her­vor, inner­halb ih­rer Par­tei an der Macht zu blei­ben; [404]  und diese Par­teien werden nur noch durch den Wil­len zur Macht zusammen­gehal­ten. [405]  Die Bonner "politische Klasse" ver­­steht sich als neue Obrigkeit [406]  und benimmt sich ent­­spre­chend. Jede Organisation, jede Bürokratie, neigt nach Mur­phys Ge­setz zu ih­­rer ei­ge­nen stän­di­gen Er­weiterung. Die Or­ga­ni­sa­­ti­on ist die Mutter der Herr­schaft der Ge­wähl­ten über die Wäh­ler, der Be­auftragten über die Auftragge­ber, der Dele­gierten über die De­le­­gieren­den. [407]  Ei­ne dau­­ern­de Vertretung wird unter allen Um­ständen zu einer dauern­den Herr­­schaft der Vertreter führen. [408]  Diese Dauer wird erreicht durch die blei­ben­de Partei­or­ganisati­on mit ihrer Macht über die ein­zelnen Ab­ge­ord­neten.

Ein Postenverteilungskartell auf Dauer hat jenen ständig not­wen­di­­gen In­no­vati­ons­pro­zeß zum Stillstand gebracht, weil die Par­teien als ge­sellschaft­li­che Subsy­steme nicht ster­ben, wie ein grau­haariger alter Mon­arch, sondern wie ein Krebsge­schwür immer weiter wu­chern und Me­­tastasen bilden. Sie durchdrin­gen in ihrem Machthun­ger im­­mer wei­te­re Berei­che von Staat und Ge­sell­schaft und gehorchen nur noch ihren ei­ge­nen Ge­setzen. Ihre Re­präsen­tan­ten gehören zum sel­ben Men­schen­ty­pus, der als Par­teibonze der NSDAP oder der SED oder als kai­ser­li­che Hof­schranze (usw. usf.) in trauriger Erin­ne­rung ist. Weil es sie im­mer geben wird, und weil sie immer ihre und nicht un­sere Pro­bleme lö­sen wer­den, muß entwe­der ein System er­fun­den werden, in dem das Wohl der Regie­ren­den mit dem der Re­gier­ten denknot­wendig iden­tisch ist - oder, da es ein solches System mut­­­maßlich nicht gibt - braucht das Land ge­legentlich ei­nen tiefgrei­fen­den Tape­ten­wech­sel. Dieser muß die alte, abgelebte Macht­elite zu­­rück­drän­gen und unver­brauchten Kräften den Aufstieg ermögli­chen.

In der Monarchie hatte für die notwendige Entrümpelung aus­ge­dien­ten Per­so­nals alle paar Jahrzehnte die natürliche Le­bens­panne des Mon­archen ge­sorgt. Nach dem Tode Friedrich Wil­helm I., des Solda­ten­königs, Fried­richs d.Gr. oder im Dreikaiser­jahr 1888 wurde erst ein­mal "alles anders": Der Thronfolger setzte den unge­liebten Ratge­bern und Ministern ei­nes ungelieb­ten Va­ters den Stuhl vor die Tür. So konn­ten und mußten ver­knöcherte, über­lebte Strukturen verän­dert und durch zeitgemäße er­setzt werden. Eine monarchische Herr­schafts­ord­nung konnte, wie im Heiligen Rö­mi­schen Reich deut­scher Na­tion, Jahr­hun­derte über­dauern und doch in ihrem Innern lau­fend mutieren.

Der Liberalismus meint von sich selbst, ein offenes System zu sein und sich ständig ver­än­dern und Zeitproblemen anpas­sen zu kön­nen. In diesem Kern seines Anspruchs ist er durch die Wirk­lichkeit wider­legt. Anpassungs­fähig ist er nur in den Methoden zur Er­hal­tung und Stabili­sierung seiner eige­nen Macht. Ein Ge­meinwe­sen kann sich aber immer nur eine be­stimmte Zeitlang ein Sy­stem lei­sten, dessen Füh­rungsoli­gar­chie eine geschlos­sene Ge­sell­schaft bil­det, nur noch ih­ren Gesetzen ge­horcht und als Min­derheit auf Kosten des Gan­zen schma­rotzt. Soll das Ganze nicht schweren Scha­den nehmen, er­zwin­gen die Verhältnisse ei­nen Systemwandel zur Ablösung der alten Machtelite und Durchset­zung eines Poli­tik­wech­sels. Der Eliten­wechsel pflegt nicht ei­ne völ­lige Aus­wechs­lung der ge­samten Führungselite zu sein, sondern ein Prozeß der Verschmelzung stets neuer An­wär­ter mit vor­hande­nen Eliten. Die Re­volutio­näre von heute werden dann die Re­ak­­tio­näre von mor­gen. [409]  Die Bun­desre­publik hat sich schon zu lange vor grundsätz­lich neuem Den­­ken und non­kon­formisti­schen Gei­stern ab­ge­schottet. Irgendwann muß un­weigerlich der Zeit­punkt kom­­men, an dem die Verhält­nisse neue Lösungen erzwingen und andere Me­n­sc­hen sie durchsetzen wer­den, oder das Gemein­wesen zu­sam­­men­bre­chen wird.

Systeme sind nicht für Ewigkeiten da. Sie müssen die stän­dig er­for­der­­li­che Inno­va­tion an Ge­danken und Problemlö­sungsstrate­gien ge­­währ­­leisten, die per­manente Evo­lu­tion. Ver­fas­sungen als juristisch fi­xier­­te Pro­blem­lö­sungs­kon­zepte müssen sich zwangs­läufig wan­deln kön­­nen und mit den Pro­ble­men kommen und gehen. Da offen­bar je­des Sy­­­stem zum Geg­en­teil neigt, näm­lich zum Beharren auf sich selbst und auf vergangenen Per­spektiven, muß notfalls im Ab­stän­den ein ganzes Sy­stem über Bord geworfen und er­setzt wer­den, um den unabdingba­ren Wan­del zu erzwin­gen. Das gilt ge­gebe­nenfalls für je­des System. Wo es verhin­dert wird, befindet das Ge­meinwe­sen sich in höch­ster Ge­­fahr. Manchmal kommt so­gar "der Untergang von Staa­­ten da­her, daß sich ihre Verfas­sun­gen nicht mit den Zeitnot­wen­dig­­keiten än­­dern." [410]  Der Wech­sel der Staats­formen ist aufgrund der sich än­dern­­den Zweckmä­ßig­keiten "nötig, da es bisher noch nicht ge­lun­­gen ist, dem Ge­mein­wesen eine Ord­nungsform zu geben - zu­mal nicht von Be­ginn an -, die allen Heraus­for­de­rungen im Poli­ti­schen be­geg­­nen kann; und der Wechsel der Staatsfor­men auf­grund der unver­än­­der­lichen mensch­­lichen Grundkon­stanten ist leider un­vermeid­bar, da sich weder der Mensch ändern noch ein Gemein­wesen errich­ten läßt, das alle zu­frie­­den­­stellt." [411]  Die Über­zeugung Struk­tur­kon­ser­va­ti­­ver, soziale In­sti­tu­­­tio­nen, die lange Zeit überlebt haben, müß­ten not­wen­­di­ger­­wei­se nütz­lich für die Ge­sellschaft sein, ist falsch. [412]  "Der Baum der Frei­heit", sagte schon Thomas Jef­fer­son, "muß von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Pa­trioten und Ty­rannen auf­ge­frischt wer­den." [413]

Im Labyrinth der Möglichkeiten

Lösungsstrategien des Liberalismus

Am Ende der Geschichte?

Wie weiße Mäuse im Labor den Ausweg aus einem künstlichen La­by­rinth su­chen und im­mer wieder in Sackgassen scheitern, su­chen die Mensc­hen mit all ihrem Scharfsinn den Weg aus dem La­byrinth der politischen Mög­lich­kei­ten. Die Haupt­stra­ßen heißen Monar­chie, Ari­sto­kratie und De­mokratie, und von ih­nen zweigen unzäh­lige Ne­ben­wege und kleine Pfade nach "rechts" und "links" ab, aber auch nach oben oder unten. Jeder Ab­zweig des Labyrinths steht für ein Denkmo­dell, eine rational aus­geklügelte Strate­gie, die Probleme des mensch­li­chen Zusammenlebens in den Griff zu be­kom­men. Die mei­sten Va­ri­an­ten sind nach dem Prinzip von "Versuch und Irrtum" schon aus­pro­biert und in ir­gendei­ner hi­stori­schen Situation einmal ver­worfen worden. So er­starb nach 1918 das In­teresse am monarchi­schen Gedanken, 1945 emp­fand man den Na­tionalso­zia­lis­mus als wi­derlegt, und in den 1980er Jahren erlosch die Faszina­tion des mar­xi­stischen Denkge­bäudes.

Weil der liberale Parlamentarismus das Glück hatte, weder 1945 militä­risch be­siegt noch 1989 wirtschaftlich bankrott gegangen zu sein, feiern seine Ver­­fechter ihn als ge­schichtli­chen Kulmi­nati­ons­punkt und als vermutliches Ende der Ge­schichte überhaupt. Der der­zeit be­kann­teste Vertre­ter dieser These, Francis Fukuya­ma, sieht die mensch­liche Ent­­wick­lung als lineare Ent­wick­lung mit ei­nem Anfangs- und Endzu­stand an, und diese Li­nie soll na­türlich aufwärts füh­ren. Ähnlich Hegel und Marx sieht Fu­ku­ya­ma Ge­schich­te als zwangsläu­fi­gen Ge­schehens­ablauf von den steinzeit­lichen Bauern­kulturen über die Mon­­archien bis zu einem glückli­chen "Endzustand" vor sei­nem geistigen Au­ge ab­rol­len, [414]  und da­mit sei der Ausgang aus dem La­byrinth endlich er­reicht.

Das hört sich logisch an, vor allem, wenn man zu­fäl­lig in ei­nem li­be­ralen Staat, ei­ner liberalen Weltgegend und einer Zeit lebt, die ge­ra­de den Zusam­men­­bruch des kon­kurrieren­den Sowjetsy­stems erlebt hat. Sol­che "goldenen Zeit­alter" hat es schon öfter ge­ge­ben: Die An­tike erinnerte sich des ihren; Wilhelm II. hat uns "herrlichen Zeiten" ent­ge­gen­geführt; 1933 brach ein "tau­send­jähriges Reich" an; 1949 nahm in der SBZ die Ar­beiter­klasse "für alle Zei­ten" das Heft in die Hand und rot­tete den Kapitalismus "un­wi­der­ruflich" aus. Fukuyamas "Ende der Ge­schichte" be­ginnt es vor unse­ren Au­gen ähnlich zu er­gehen. Kaum war die bipolare Er­starrung der Welt in feindliche Blöc­ke über­wun­den, setzte die "beendete" Geschichte sich mit atem­be­rau­bender Ge­schwin­dig­keit wieder in Gang. Ihre Stationen hie­ßen "Freiheit des Balti­kums", Irak­krieg und Zer­fall Ju­go­sla­wiens, und auch das ist nur der Anfang. Vor un­se­ren Au­gen be­schleunigt der Lauf der Ge­schichte sich in ei­nem Ma­ße, wie es die nach dem 2. Weltkrieg ge­bo­renen Ge­ne­ra­tio­nen noch nicht erlebt ha­ben.

Der Lauf wird sich weiter beschleunigen. Zwischen den Völ­kern war schon im­mer Krach vor­programmiert, wenn in armen, übervöl­ker­ten Ländern die Res­sourcen knapp und durch Klima­än­derun­gen der Bodenertrag geringer wurde, während in er­reichbarer Ent­fer­nung an­­de­re Völ­ker im Überfluß leb­ten. Das blu­tige Aufein­ander­pral­len der Ver­zwei­felten nennen wir heute ver­harmlo­send "Geschichte". Da­mals hatte es für die Menschen unbeschreibli­ches Elend be­deu­tet. So hat­ten sich 2000 v.Chr. aus der Ge­gend nörd­lich des Schwarzen Mee­res nach ei­ner langen Dürreperi­ode [415]  die In­doeuro­päer er­obernd in alle Himmels­rich­tungen in Bewegung gesetzt und einen der nach­hal­­tigsten Schübe von "Geschichte" aus­gelöst. Ähnli­ches hatte sich ab 300 n.Chr. mit der Völker­wan­de­rung er­eignet, der das Imperium Ro­ma­num erlag; und es wie­der­holte sich um 13. Jahrhundert, als die Mon­golen weite Teile der eurasi­schen Land­masse er­oberten und un­zählige Völker und Kul­turen unter den Hufen ihrer Pferde zer­stampf­ten.

Alle Voraussetzungen für ein so stürmisches Zeitalter lie­gen heute wie­der vor: Die Menschheit verdoppelt sich in im­mer kür­ze­ren Ab­ständen. Die heute schon hungern­den über­seeischen Völ­ker vermeh­ren sich auf Kosten der Natur in sol­chem Ausmaße, daß das Ende dieser Natur in wenigen Jahr­zehnten vor­auszu­sagen ist. Unmittelbar nach dem Kahl­schlag und der Ver­nichtung der na­tür­l­i­chen Lebens­grundlagen wird es zu einem Be­völkeru­ngs­zusam­men­bruch dra­mati­schen Ausma­ßes kommen. Elend, Desorganisa­tion, Be­völkeru­ngs­wachs­tum und mensch­­liche Unfä­higkeit, die Probleme aus ei­gener Kraft zu lö­sen, bil­den heute schon einen Teufels­kreis, und es deutet selbst für Optimisten wenig darauf hin, je­mand könnte plötzlich ei­nen Stein der Weisen fin­d­en und diese Tendenzen umkehren. Die Bevöl­ke­rungs­vermehrung in Ländern, deren Bewohner sich heute schon nicht selbst er­nähren kön­nen, wird die Wirkung eines alt­ägyp­ti­schen Heu­­schrecken­schwar­mes entfalten und die Le­bensgrund­la­gen dort rest­los ver­nichten. Dann werden die Hun­gernden und Frie­ren­den zu uns in die nördli­chen Länder kommen wol­len, und zwar alle, weil sie keine an­dere Wahl ha­ben. Ende der Geschichte? Nein, es geht erst rich­tig los! Die Lunte brennt, und aller ge­schicht­lichen Er­fah­rung nach wird sich die Ladung krie­gerisch entladen.

Fukuyamas Thesen leiden unter einem entscheidenden Fehler: Sie setzen vor­aus, daß die na­türlichen Ressourcen auf unab­sehbare Zeit Wirt­­schafts­wachs­tum und Auf­recht­erhal­tung der westlich-­in­dustriel­len Wirtschaftsform er­mögli­chen. Er gibt selbst zu, der libera­le Par­la­mentsstaat, den er Demokra­tie nennt, sei (nur) für die marktwirt­schaft­lich ent­wickelten Industrieländer ange­messe­ner als jede andere Re­gie­rungs­form. [416]  Tat­säch­lich sind Markt­wirtschaft und Parla­men­ta­ris­mus nur ver­schiedene, aus dem Libe­ra­lismus fol­gende Aspekte sei­nes um­fassen­den metaphy­si­schen Systems. Ge­rade darum ist ab­zu­se­hen, daß die Krise des auf Wachstum beruhenden markt­wirt­schaft­li­chen Kapita­lismus nicht ohne Auswir­kung auf die politische Organi­sations­form blei­ben kann.

Die Grenzen des Wachstums sind absehbar, weil die natürli­chen Res­­­sour­cen be­grenzt sind. Welche Form des Wirtschaf­tens in ei­ner künf­tigen Welt an­ge­messen und ef­fizi­ent sein wird, in der die primä­ren Roh­stoffe er­schöpft sind und in der ein globaler Be­völ­ke­rungs­zu­sam­men­bruch einen Neubeginn er­zwungen hat, können wir nur ah­nen. Ei­nes aber ist sicher: Es kann keine Re­de davon sein, daß es zwangsläu­fig beim li­be­ralen, auf Wachstum und freiem Kapital- und Warenverkehr beruhen­den Wirtschafts­system bleiben muß. Eher ist zu ver­mu­ten, daß der in einigen Jahr­zehnten kom­mende Kollaps die­ses Systems eine Hö­her­bewertung un­ver­brauchbarer Güter wie Grund und Bo­den und da­mit eine grund­le­gend andere Wirt­schafts­ordnung erzwingen wird. Für die­se muß der li­berale Parlamentsstaat dann aber nicht mehr die "an­ge­mes­senste" (Fukuyama) politi­sche Form sein.

Die Problemblindheit des Liberalismus

Die existentiellen Bedrohungen der Menschheit sind dem Li­bera­len be­wußt. Für die Si­tua­tion des europäischen Kultur­raumes ge­gen­über der soge­nannten zweiten und drit­ten Welt hat er weniger Ge­spür. Vollends blind ist der deutsche Li­berale gegen­über dem Willen von Deut­schen, auch künftig in deut­scher Weise - was auch im­mer sich der ein­­zelne darunter vor­stellen mag - zu le­ben. Dasselbe gilt für fran­zösi­sche, belgische oder italieni­sche Libe­rale ent­spre­chend. Der Li­be­rale will zual­lererst Kos­mopolit sein, und wenn er deutsch ist, lei­det er be­sonders darun­ter, viel­leicht nicht ge­nug Welt­bürger zu sein, und macht das durch überbetonten Internatio­na­lismus wett.

Jedes politische und gesellschaftliche System gibt Antwor­ten nur auf ganz be­stimmte, als drüc­kend empfundene Fragen. Wo das eine Kon­zept seine Stärken hat, weist das ande­re Lücken auf. Eine Herr­schafts­ordnung, die alle denkbaren Probleme in gleich be­friedi­gen­de­rer Weise zu lösen vermöchte, hat es noch nicht ge­geben. So gibt auch der Libe­ra­lis­mus nur Ant­worten für Men­schen mit ganz spezifi­schen Inter­essen und nur auf ganz be­stimmte Fra­gen; andere Proble­me nimmt er als sol­che über­haupt nicht wahr. Funktionell ist der ty­pisch liberale ökonomische Reduktio­nismus nichts weiter als die Herr­­schaftsideologie der ökonomisch Starken gegen­über den öko­no­misch Schwachen. Sie redet ihnen ein, das freie Walten rein öko­no­mi­scher Ge­setze führe auch zu ihrem Vorteil, und diesen Vorteil sieht er aus­schließlich im Geld­verdienen: So bezeichnet Fukuya­ma ihn ganz richtig als dasje­nige "Regelsystem, in dem das materielle Ei­gen­in­ter­esse und die Anhäufung von Reich­tum als legitim gel­ten." [417]

Überdies verharrt er als hi­sto­­risch bedingte Ant­wort des Bürger­tums des 19. Jahr­hunderts in ei­ner naiven Ani­mosität gegen alles Staat­liche, was als si­tuati­ons­be­zo­­gene Reak­tion auf die vergan­ge­ne Zeit des Für­stenab­solutismus auch ein­mal sinn­voll gewe­sen war. Al­les liberale Pa­thos richtet sich rein de­struktiv gegen das, was der Li­b­erale als Einen­gung sei­nes per­sön­­li­chen Freiraumes emp­fin­det, [418]  aber nie konstruktiv auf eine Sa­che. Der Li­be­rale ist ein Wesen der Negati­on: Er will die Ab­we­sen­­heit von staatli­cher Zensur, die Aufhe­bung straf­rechtli­cher Ver­bote wie dem der Majestätsbe­leidi­gung, der Kuppe­lei, der Ho­mose­xua­li­tät, der Unzucht mit Kin­dern, der Ab­trei­bung, des Ehe­bruchs.

Dagegen ist es noch keinem Liberalen gelungen, einmal posi­tiv zu be­­stim­men, wo­für er ei­gent­lich eintritt außer für seinen An­spruch, un­ge­hemmt seinen Eigen­interessen nach­zu­ge­hen. Der Libera­lismus und sei­ne Inkarnatio­nen, die Markt­wirt­schaft und der Parla­men­ta­ris­mus, sind Antworten auf Fra­gen von vor­ge­stern, näm­lich als über­mäch­tig emp­­fun­dene staatliche Macht­ent­faltung. Sein Rezept er­schöpft sich in der Stereo­type, den Staat mög­lichst machtlos und ge­ring zu halten. Weil aber ohne Schutz ei­nes neutralen Staates der Starke im­mer stär­ker, der Reiche immer reicher und der Mächti­ge immer mächtiger wer­den wird, führt der reine Libe­ralis­mus zwangs­läufig in eine wöl­fische Ge­sell­schaft. Völlige gesellschaftliche Freiheit und Gleichbe­rechtigung füh­ren im­mer dazu, daß sich der Stärkere durch­setzt. Damit wird die Freiheit aller ande­ren zur grauen Theo­rie.

Die liberale Theorie befaßt sich eingehend mit dem Problem der Herr­schaft: "Wer soll re­gie­ren?" Sie will innergesell­schaftli­che Kon­flik­te regulie­ren und die Gesell­schaft trotz aller Ge­gen­sätze zusam­men­hal­ten, weil sie das ganz einfach für "vernünftig" hält. [419]  Das war's dann auch schon. Der Li­bera­lismus stellt eine Theo­rie zur Mi­nimie­rung staat­licher Funktionen dar, und in manchen hi­stori­schen Si­tuationen schadet das auch nicht so bald. Dagegen ist das Werte­ge­rüst des Libe­ra­len denkbar mager: "Laß doch jeden ma­chen, was er will!", lau­tet sein Credo. Eine Ge­sellschaft der Wölfe schreckt ihn nicht; und "Jeder ge­gen je­den" ist sein Leben­selixier. Für überindivi­duelle Sinnfra­gen ist er voll­stän­dig blind, und zwar ganz be­wußt. [420]  Jeder soll nach seiner Façon se­lig werden. Ge­gen ei­ne multikulturelle Ge­sell­schaft aus Mu­selma­nen, Chris­ten, Atheisten und Satan­san­be­tern hätte der Libe­rale keine prin­zi­piel­len Ein­wände, solange ihm niemand aus religiös-rituel­len Grün­den das Geldver­die­nen verbie­ten würde. Wichtig ist ihm nur das autonome Indi­vi­duum.

Wenn Deutschland durch den Geburtenrückgang Einbrüche in seine In­fra­struktur er­lei­det, füllt er die demographischen Lücken eben mit "Beute­deut­schen" auf, mit Ein­wande­rern aus aller Her­ren Länder. So benötigt er Ein­wan­dererkinder aus Über­see, weil er keine bessere Idee hat, eine Kin­der­gärt­ne­­rin vor Arbeitslo­sigkeit zu bewahren. Als Deut­sche kommen wir im li­beralen Vo­ka­bular gar nicht vor: Wir sind für ihn auf unsere Rolle als Ver­braucher re­duziert, als Ren­tenbei­tragszahler oder Pendler, Er­werbstätige oder Pfle­ge­be­dürf­­tige, als Wähler oder Anlieger. Deut­sche? Nicht nötig: Al­les das kann ein Aus­länder ja eben­so­gut. Deutschland? Nur noch mit dem vor­ge­setz­ten Hauptwort "Wirt­schafts­stand­ort"! Als hö­here Idee oder als Land un­se­rer Vä­ter, dem un­se­re Liebe und unsere Sehnsucht gelten, kann er Deutsch­land selbst in sei­nen schlimm­sten Alp­träumen noch nicht ein­­mal denken. Der Libe­rale ist der poli­ti­sche Spieß­­bürger, wie ihn Max Weber ge­nannt und be­schrieben hat: ein Men­schen­schlag, dem die großen Machtinstinkte fehlen, der charakterisiert ist durch die Be­schrän­kung des politi­schen Strebens auf materielle Ziele oder doch auf das In­ter­esse der ei­ge­nen Generation und durch das fehlende Be­wußt­­­sein für die Verant­wor­tung gegenüber un­serer Nachkom­men­schaft. [421]

Der Liberale hat kein Lösungskonzept für Fragen der Identi­tät, des Wun­sches der mei­sten Deutschen, für sich und ihre Nachkom­men ein Leben im Ein­klang mit ihren überlie­ferten Vor­stellungen und Tradi­tio­nen führen zu wol­len; ein Le­ben, in dem nicht die Hei­mat zur Fremde wird. Das alles inter­es­siert den Libe­ralen über­haupt nicht. Ebenso schwerhörig ist er, wenn es um die Er­haltung der natürlichen Lebens­grundla­gen unserer Umwelt geht. Staat­liche Einschrän­kungen unter­nehmerischer Freiheit? So we­nig wie mög­lich! Die ei­gen­nüt­zige Ver­meh­rung seines Geldes gilt ihm mehr. Daß mit jedem Zu­wande­rer nach Deutschland weite­rer Straßenbedarf ent­steht, Wohnraum und Infra­struk­tur ge­schaf­fen wer­den müssen, ist ihm will­kom­men und er­freulich, weil es das Brut­to­so­zi­alprodukt fördert. So dürfen wir von ihm Ant­wor­ten immer nur im Rahmen seines ge­danklichen Koordina­ten­systems erwar­ten. Dessen Eck­punkte sind die Abwehr alles des­sen, was er als staatli­che Bevor­mun­dung fürchtet, und die einzige für ihn interessante Zu­kunfts­frage lautet, wer der­einst einmal seine Rente zahlen wird.

Alle diese Feststellungen sind nicht nur aus der Theorie des Libe­ra­lismus ab­ge­lei­tet, sie ent­sprechen auch genau den Beob­achtun­gen, die wir als Bür­ger dieses Staates in den vergange­nen Jahrzehn­ten ma­chen durften; denn so lange schon sitzen liberale Fundamen­talisten in Gestalt der FDP in je­der Bun­desregie­rung, flankiert von mehr oder weniger li­be­ralen Poli­tikern der bei­den Großpar­teien mit ein wenig so­zialer oder christlicher Tün­che. Das innere We­sen der Bun­desre­publik ist ebenso wie ihr äußeres Erschei­nungsbild tief durch den Li­be­ralismus geprägt. So er­klärt sich ein jahrelanger, scheinbar un­er­klärli­cher Drang zur "Mitte". Diese ist das ty­pisch liberale Werteva­kuum: Während die Ge­danken der Linken haupt­sächlich um das Pro­blem der Gleich­heit krei­sen, die mit univer­sa­listischen Gedanken­ent­wür­fen angestrebt wird, und wäh­rend sich die Sorgen der Rechten um die Bewahrung der Un­terschiedlichkeit und um Konzepte zu ihrer Er­haltung bewegen, kreist und be­wegt sich beim Li­be­­ralen gar nichts. Lö­sungsstrategien für Fra­gen, die er gar nicht ver­steht, kann er auch nicht entwic­keln. Sein Schlachtruf lautet nur: Weiter so, Deutsch­land!

Im Parlamentarismus sieht er die politische Form, die uni­versa­listi­sche Gleich­heit und die parti­kulare Besonderheit miteinan­der in ei­nem austarierten Gleich­ge­wicht zu hal­ten. Kei­nes die­ser Prinzipien soll das andere völlig vernich­ten, [422]  al­les weitere läßt ihn kalt. Als Hüter alles Be­son­deren, Ei­gentümli­chen, Wert­vol­len oder Einzigar­ti­gen ist der Li­be­ra­le völlig ungeeig­net, weil er zu des­sen Vertei­di­gung kei­nerlei ethi­sches Rüst­zeug besitzt und den Wer­ten an­derer ver­ständnislos-­gleich­gül­tig gegen­über­steht. Im Gegenteil ten­diert das freie Spiel der Kräfte, je­­ner Wettbe­werbs­ge­danke als Kern des li­bera­len Welt­bildes, zu uni­ver­saler Ver­flachung und Einebnung der Unter­schiede durch die Do­mi­n­anz des je­weils Stärkeren und die Verdrän­gung des Kleinen und Schwa­­chen. Der Libe­ralis­mus ist nicht der Hü­ter des Gleich­gewichts zwi­schen All­ge­meinem und Be­son­deren, son­dern Motor der welt­weiten Ge­­fährdung der Ein­zelvöl­ker und -kul­tu­ren durch eine um­fassende Welt­zivilisa­tion nach Vorbild der erzlibe­ralen Ge­sell­schaft an sich, den USA.

Liberale Reformvorschläge

Es mangelt nicht an Vorschlägen, die bekannten und von Li­bera­len durch­­aus zu­ge­ge­be­nen Mängel des Parlamentarismus durch sy­stem­kon­forme Ver­bes­se­rungen zu be­he­ben. Mangels ge­danklicher Durch­dringung der struk­turel­len und systemati­schen Gründe der Mise­re sind diese Vorschläge reali­täts­fern. Schon ein Vergleich des deut­schen mit ausländischen Parlamenta­rismen zeigt aber, daß dieselben Struk­tur­probleme in den mei­sten Ländern zur selben Krise geführt ha­ben. [423]

Am meisten haben Korruption und mangelnde Gemeinwohlorien­tie­rung wohl Ita­lien her­un­ter­gewirtschaftet. Schwarzrote Vet­terln­wirt­schaft und voll­ständiges Auf­saugen al­ler öf­fent­lichen Ämter durch die großen Parteien ha­ben in Öster­reich zu massiven Stim­men­gewin­nen der FPÖ und damit der Partei ge­führt, die aus­drück­lich ge­gen den schwar­z­ro­ten Filz und die Verein­nahmung des Staates durch die Par­teien an­tritt. In Belgien hat sich der Li­be­ralis­mus als unfä­hig er­wie­sen, einen für alle Volks­gruppen an­nehmbaren Mo­dus vi­vendi zu fin­den, Flamen und Wallonen dauer­haft zu integrie­ren und zu einer hö­heren, "bel­gi­schen" Ein­heit zu ver­schmelzen. Kein Wun­der: ist er doch zu über­in­di­vi­­dueller Sinnstiftung seinem Wesen nach unfähig und nimmt nur Ge­sell­­schaften und Be­völkerun­gen wahr, aber keine Völker.

Die Kritik am Zustand des Parteiensystems in Deutschland und Vor­schläge zu sei­ner Ver­ände­rung werden aus Kreisen seiner grund­sätzli­chen Befürworter, der "Parlamentaristen", auf zwei Ebenen vorge­tra­gen: Den macht­politisch nicht unmit­tel­bar inter­essier­ten Ver­fassungs­rechtlern, Soziolo­gen und Poli­tologen ste­hen die am System nutznie­ßenden Praktiker aus den Rei­hen der Par­teien gegen­über. Die li­berale politische Theorie erkennt die zunehmende In­kompe­tenz der prak­­ti­schen Parlaments­politik zur Problemlö­sung und sucht nach Re­form­stra­te­gi­en. Je geeigne­ter dieser zur Problem­lö­sung sind, desto wei­­ter führen sie aber von liberalen Glau­bens­sätzen weg. Diese ver­kör­­pern sich im ver­fas­sungs­rechtlichen Parlamen­tarismus im en­ge­ren Sin­­ne. Eine Anwendung ge­eig­neter Refor­men würde aber die be­währ­­­ten Notbremsen gegen den be­fürch­te­ten Machtver­lust loc­kern, und so werden sie von den Parlamen­tari­sten in den tonange­benden Par­teien wohl­­weis­lich nicht an­ge­rührt, für deren Auf­stieg ein si­che­rer Macht­instinkt not­wendi­ges Auslese­kriterium war.

Alle systemkonformen Verbesserungsvorschläge drehen sich um die The­­men­kreise Par­tei­enfinan­zierung, "Entflechtung von Staat und Par­tei­en" und "struk­turelle Erneue­rung der poli­tischen Füh­rung". Der un­mit­telbare Zugriff auf Haus­halts­mittel und vor al­lem auf die Äm­ter­ver­ga­be des Staates bil­det die dop­pelte Basis der Partei­en­macht. Hier set­zen li­be­rale Re­formvor­schläge an:

Reduzierung der staatlichen Parteienfinanzie­rung

Ein ganzer Chor von Kritikern [424]  appelliert an die Partei­führer, sich in einer Art freiwilli­ger Selbstbescheidung auf ihre von der Ver­fassung zuge­wiesene Rolle zu­rück­zu­zie­hen. Dies würde nach Art.21 GG be­deuten, an der Willensbil­dung des Volkes nur mit­zuwir­ken und diese nicht zu monopo­lisie­ren. Sogar Bieden­kopf und Engholm for­dern ei­ne Selbst­be­schränkung der Par­teien zur Stärkung ihrer Ak­zeptanz. [425]

Vierhaus stellt sich tatsächlich vor, die Par­teien könn­ten frei­­willig eine dra­sti­­sche Re­duzierung ihrer Staatsfi­nanzie­rung zulassen und eine effek­tive Kon­trol­le darüber in­stallieren. Die Staats­finanzie­rung soll auf ein ver­fas­sungs­kon­for­mes Maß re­duziert wer­den, in­dem au­­ßer den direkten Zu­wen­dun­gen (Wahl­kampf­­ko­sten­er­stat­tung, Sockel­­­­­be­träge, Chancen­ausgleich usw.) auch die indi­rekten Zahlungen in die Be­rechnung der Staatsquote ein­bezogen werden. Diese ist der staat­liche An­teil an der Par­teienfinan­zie­rung und darf nach ständi­ger Recht­­­spre­chung [426]  nicht über dem Ei­gen­fi­nan­zie­rungsan­teil lie­gen.

Bereits heute wird aber das verfassungsrechtliche Verbot für die Par­tei­en, sich über­­wie­gend aus Staatsmitteln zu fi­nanzie­ren, nur durch or­ganisato­rische Tricks ein­gehal­ten: Die Partei­en haben näm­lich einen gro­ßen Teil ihrer Organi­sation, bei­spiels­weise ihre "Denk­fa­briken", in Form recht­lich selb­ständi­ger Par­teistiftungen aus­ge­glie­dert, die staat­lich finanziert wer­den, bei der Berech­nung der Staats­quote aber formell nicht mitzählen. Das gilt auch für die Milli­ar­den­sum­men, die jährlich in Form von Diäten unzähli­ger Ab­ge­ord­neten auf Bundes-, Landes- und Kommunal­ebene an Par­teivertre­ter nebst Frak­ti­onszu­schüssen, Dienst­wa­gen, wis­sen­schaftli­chen Mitar­beitern und an­deren Extras ge­zahlt wer­­den und deren rechnerische Ein­be­zie­hung in die Staats­quote Vier­haus zu Recht fordert.

Mit jedem dieser Ausgabenposten ist aber ein menschliches Schick­sal ver­bun­den, nämlich die persönliche Versorgung ei­nes Par­lamentari­ers oder von ihm ab­hängigen An­gestellten. Schon die ange­sichts der Haushaltslage von Bun­des­kanzler Kohl im April 1992 an­ge­kündig­te Kür­zung der Minister­gehäl­ter war nicht durch­setzbar, und eine freiwil­lige Selbstbe­schränkung der Partei­en­macht wird im­mer wieder an de­ren ge­genge­richtetem Eigenin­teres­se scheitern. So rea­­li­stisch sieht das auch das BVerfG, wenn es ausführt, "ähnlich wie bei der Fest­legung der Be­züge von Abge­ordneten und sonsti­gen In­habern politi­scher Ämter erman­gelt das Gesetzge­bungs­verfahren" im Be­­reich der Par­tei­en­finan­zierung "regelmäßig des korrigieren­den Ele­ments ge­genläufiger politi­scher In­teres­sen." [427]  Kurz: Bei der Diä­ten­er­hö­hung ist man sich ebenso einig wie beim Zu­griff der Par­tei­ver­tre­ter auf Haus­haltsmittel.

Vor allem aber darf der liberale Parteienstaat seinen Zu­griff auf Ämter und Ver­sor­gungs­posten um den Preis seines Machter­halts nicht aufgeben: Jede Par­tei ist bestrebt, ih­rer Or­ganisa­tion eine mög­lichst breite Machtbasis zu ge­ben. Die Partei­herr­schaft ist ei­ne Herr­schaft weniger; wenn diese Weni­gen aber zu we­nige wer­den, gerät sie in Ge­fahr, von der Mehrheit nicht Pri­vi­legier­ter aus den Angeln geho­ben zu werden. Sie muß daher be­strebt sein, mög­lichst viele Ele­mente auch fi­nanziell an sich zu fesseln [428]  und die Speer­spitze des Wider­stan­des ge­gen ihre Macht personell und durch Geldzu­wen­dun­gen ins Parteiensy­stem einzubinden und damit ruhig­zustel­len. [429]  Dazu sind die Parteien auf den un­geschmä­lerten Zugriff auf den Staats­haushalt auf Ge­deih und Ver­derb an­ge­wiesen. So wurden die GRÜ­NEN seit ihrem Ein­zug in Län­der­parlamente und Bundestag Jahr für Jahr ruhi­ger, und als sie 1989 an­läßlich der Partei­enfinan­zie­rung zum Bundes­verfas­sungsge­richt klagten, wollten sie diese nicht etwa besei­tigen. Sie forderten nur ei­nen "gerechteren", also einen grö­ßeren, Happen für sich selbst. [430]

Der Zugriff auf den Staatshaushalt ist eine der Säulen der Par­tei­en­macht, und das wis­sen ihre Vertreter so genau, daß sie einschnei­den­de Ände­rungen auf keinen Fall zulas­sen wer­den. Wür­den sie an­ders han­deln, wäre ihre Macht bald gebro­chen, und ein Ab­schneiden der Par­tei­en von den staatli­chen Geld­hähnen würde in einen Zu­sam­men­bruch des Partei­enstaates in seiner jetzigen Form einmünden. Da die Par­teien das wissen, wer­den sie es nie zulassen. So resigniert Vier­haus letztlich: "Da es sich bei der Krise des Partei­enstaa­tes um ein staats­rechtli­ches und politi­sches Pro­blem han­delt, rei­chen rechtli­che Ansätze kei­nes­falls aus, zumal jedenfalls die Ge­setzesände­rungen de facto von der Zustim­m­ung der Parteien ab­hängig sind." [431]  Von Ar­nim emp­fiehlt als au­ßer­rechtlichen Aus­weg den Druck der öffent­lichen Mei­nung. Doch noch immer ha­ben die Parteien schnell durch neue, ver­steckte Haus­halts­titel wieder hereinge­holt, was ih­nen der eine oder an­de­re aufge­deckte Skandal an Geldzuflüs­sen ver­schüt­tete.

Auch ihre nach Parteiproporz handverlesenen Vertreter im Karls­ru­her BVerfG wis­sen, was sie den Parteien schuldig sind, die sie zu Ver­fassungs­rich­tern ge­macht haben: Weil die Parteien in Art.21 GG als Mitwirker an der politi­schen Willensbil­dung des Vol­kes ne­benbei er­wähnt sind, hält das BVerfG [432]  ih­re "herausgehobene Stellung im Wahl­­recht" für nötig und ihre Funk­tion als "Wahlvorbe­rei­tungs­or­ga­ni­sa­tionen" für die demo­krati­sche Ord­nung für unver­zichtbar. Sie seien be­rufen, die Bürger freiwillig zu politi­schen Hand­lungsein­hei­ten mit dem Ziele der Betei­ligung an der Willensbil­dung zu den Staatsor­ga­nen or­gani­sato­risch zu­sammenzuschließen und ihnen so einen wirk­samen Ein­­­fluß auf das staatliche Ge­schehen zu er­mögli­chen. Abwei­chend von sei­­ner bisherigen Rechtsprechung er­klärte das Ge­richt 1992 erst­mals eine Basisfi­nanzie­rung der Parteien bis zu einer Staats­quote von 50% für verfassungs­ge­mäß. Neuerdings dür­fen die Partei­en also ganz offen ihre allgemeine Par­teior­ganisation staatlich bezah­len lassen und werden damit von staatli­ch aus­ge­hal­te­nen Kanz­ler­wahlver­einen fak­tisch zu ei­nem Teil der Ob­rig­keit - und führen sich gegenüber dem Bürger und kon­­kurrie­ren­den Partei­en ent­spre­chend auf.

Die Theorie, das li­be­rale Repräsenta­tiv­system könne sich durch finan­zielle Selbst­be­schränkung der Partei­en selbst stabilisie­ren, verkennt die grundle­gende Be­deu­tung des Zugriffs der Parteien und ihrer Vertreter auf die Staatsfi­nanzen. Die naiv-optimi­stische Idee, die Nutznießer ei­nes Systems könnten freiwillig den Ast absägen, auf dem sie be­quem sit­zen, widerspricht al­ler Erfah­rung. Schon Proud­hon hatte beobachtet, daß die Volks­vertreter, so­bald sie in Besitz der Macht gelangt sind, so­fort ihre Macht zu stär­ken und auszubauen be­gin­nen, ihre Stel­lung unauf­hörlich mit neuen Schutz­maßregeln um­ge­ben und sich von der Bot­mäßigkeit gegenü­ber den Vertretenen endgül­tig zu befrei­en su­chen. [433]  Diese Befrei­ung ist ih­nen im selbstre­ferentiel­len Bonner System voll­ständig ge­lungen, weil dieses nur noch seinen eigenen Ge­setzen - ihren Ge­set­zen! - ge­horcht. Eine Chance, dieses System zu re­formieren, besteht daher nur an den Par­teien und Parla­menten vorbei, [434]  die seine Nutznießer sind.

Strukturelle Erneuerung der politischen Füh­rung

Es mangelt auch nicht an wohlmeinenden Ratschlägen, daß die Par­tei­en die Symp­tome der Ämter- und Mandatshäufung reduzie­ren und den Eliten­aus­­tausch vorantrei­ben soll­ten. An klaren und konkre­ten Kon­zepten, wie die Par­­teien die­ses Traumziel denn aus sich selbst her­aus erreichen könnten, fehlt es indes­sen. "Auffallend ist außer­dem, daß die Parteiforschung die schon län­ger ge­führ­te Re­formdebatte kaum ana­ly­tisch beglei­tet." [435]  Hilf­los werden an die Poli­tiker ge­rich­tete For­de­rungskataloge mit den schön­sten Wünsch­bar­kei­ten vor­ge­legt: Die Par­teien dürften nicht mehr alle Le­bens­be­rei­che kolo­ni­sie­ren, müßten sich der Gesellschaft öffnen, und die Ori­en­tie­rung der Politik an "Ge­mein­­wohl­in­ter­essen" müsse wie­der zur Richtschnur des Handelns wer­den. [436]  Nir­­­gends war zu le­sen, wie wir es denn anstellen sol­len, die Da­men und Herren Par­­teio­ligar­chen zu ge­mein­wohl­orien­tier­tem Han­deln zu veran­las­sen. Über la­men­­tieren­des Weh­klagen und eine Zu­stands­be­schrei­bung des real existierenden Par­la­mentarismus ist die Politik­for­schung der Nachkriegs­zeit selten hinaus­gekom­men. Dagegen kann nur die ana­lytische Einsicht in das vorhandene Kri­sen­­ge­flecht die Mög­lich­­keit zu einem sinnvollen, intensiv reflek­tierten Neu­an­fang bie­ten. [437]

Bei der Aufstellung der Kandidaten auf Wahllisten haben die Par­tei­en ein No­minie­rungs­mono­pol. Die Auswahl des gesamten po­liti­schen Personals ist in ih­re Hände über­gegan­gen. [438]  Wäh­rend sich das BVerfG in rührender Weise um die Parteien sorgt, diese dürften nicht "in ver­fas­sungsrechtlich nicht hin­nehm­ba­rer Weise vom Staat abhän­gig" wer­den, [439]  verliert es kein Wort über den tat­sächli­chen Zustand der Erbeu­tung des Staats durch die Par­teien. Die übliche Ver­knüp­fung und Häu­fung von Staats- und Par­tei­ämtern hat zu einer massi­ven Unter­wande­rung aller staatli­chen Ebe­nen durch Partei­funk­tionäre ge­führt, die im Zweifels­fall ihrer Partei zum Dank für den innege­hal­te­nen Po­sten ver­pflich­tet sind und die­sen Dank durch Parteiloyalität und vor­auseilenden Gehor­sam in Sachfragen wieder abstat­ten. Damit bil­den sie einen Staat im Staate, und bei der ihnen zugemuteten zwie­fachen Loyali­tät bleibt die Treue zum Gemeinwohl zwangsläu­fig zu­rück, wenn die Wie­der­wahl oder der Verbleib in einem Amt von der Parteigunst abhän­gen und nicht von staat­li­chen Lei­stungs­maßstäben.

Über die Amtsfunktionen üben die Parteien nach außen Macht aus, und nach in­nen dient ihr Vergabemonopol dazu, die Amtsträ­ger an die Par­tei zu bin­den. Diese Übel­stände zu be­klagen, ist bereits Allge­mein­gut geworden. Bei häufig feh­lender Fach­kompe­tenz ver­dan­ken viele Amts­träger ihre Macht nur ih­rer Par­tei. Damit ist ihr Wohl und We­he un­­trennbar mit dem Status quo des Par­tei­enstaats verbunden. Hier set­zen Reformvor­schlä­ge an und fordern die Be­set­zung von Äm­tern nach Qua­lifika­tion und die Er­gän­zung der Füh­rungs­schicht durch Fach­leu­te [440] , als ob das nicht durch Art.33 GG ohnehin gel­ten­des Recht wä­re. Nach Leistung aber werden die maß­gebli­chen Macht­po­sitio­nen in Deutsch­­land schon lange nicht mehr besetzt, und das be­ginnt schon beim Stu­di­endi­rek­tor.

Als unabdingbar zur Befreiung des Staats aus der Parteien­knebe­lung wird auch die Tren­nung von Staats- und Parteiäm­tern er­kannt. So for­dert Scheuch die Tren­nung von Partei- und Frak­ti­onsamt; Be­amte und Journali­sten sollen keine Par­tei- und Wahl­äm­ter mehr be­kleiden und Mandatsträger und Po­litfunk­tionäre nicht mehr in Auf­sichts­gremien von Betrie­ben der öf­fentli­chen Hand gewählt werden dürfen. [441]  In der­selben Tendenz ver­langt Vier­haus die Aufbre­chung des Blocks von Re­gie­rung und Frakti­on durch In­kom­patibilität von Re­gie­rungsamt (ein­schließ­lich Mini­sterial­bü­ro­kratie) und Abge­ord­ne­ten­mandat. [442]  Voll­ends an die Herrschaftsinstrumenta­rien der Partei­füh­run­gen geht Scheuch, wenn er in­nerpartei­li­che Block­wahlen ver­bie­ten will, was in der Tendenz des Hamburgi­schen Verfassungsge­richtsurteils 1992 ge­gen die CDU liegt; wenn Scheuch Kandi­daten nach öffent­licher Vor­stel­lung ihres beruflichen Werdegan­ges durch alle Par­teimit­glieder ihres Wahlkreises und wenn er Oberbür­ger­mei­ster un­mit­telbar von der Be­völke­rung wählen lassen sowie die Zahl der Ab­ge­ord­neten dra­stisch senken will.

Doch wo der Hydra des Par­teienstaa­tes unter öffentli­chem Recht­ferti­gungs­druck ein Haupt ab­ge­schlagen wird, pfle­gen sieben neue nach­zu­wach­sen. Ein be­liebtes Mittel der Verniedli­chung ist es, den Ein­druck rein mensch­lichen Fehl­ver­haltens ein­zelner we­ni­ger Par­tei­funktio­näre zu erwec­ken, diese ab­zu­halftern und den "Skandal" damit als er­le­digt ab­zutun. Auch die par­la­mentarische Op­position sitzt in sol­chen Fällen ge­wöhn­lich mit im sel­ben Boot und hat daher kein gro­ßes In­ter­esse, Sy­stem­­än­de­run­gen an­zumah­nen, die sie selbst mit benachteiligen wür­den.

Nach Möglichkeit versuchen die Parteien ohnehin, Reform­vor­schlä­­ge zu bloc­kie­ren und totzu­schweigen. So berichtete Scheuch über die Reaktio­nen der Spitzen­politiker auf die Erstveröffent­li­chung sei­ner Studie: Diese reichten von Um­armen ("...wertvolle Anre­gun­gen ... ganz nett ... Wir be­schäftigen uns seit langem mit Re­for­men...") über Wegtau­chen bis zu Be­schimpfungen und offe­nen Dro­hungen. [443]  Trotz enormen Medi­enechos auf die Studie und kopf­nicken­der Zu­stim­mung bei politi­schen Al­tenteilern ist weder bei den Bonner Parteien noch bei der derzeitigen Bun­des­tagskommis­sion zur Reform des Grund­ge­setzes et­was von Ab­sichten ruch­bar ge­wor­den, am bestehenden massi­ven Zu­griff der Parteien auf alle Bereiche der Staat­lichkeit etwas zu än­dern.

Es gibt keinen systemimmanenten Ausweg aus dem Teufelskreis der Macht­aus­übung und Selbst­be­günsti­gung der Parteien, die die­ses Sy­s­tem geschaf­fen haben und durch ih­re Vertreter im Bun­destag im­mer wieder allein über seinen Fortbe­stand ent­scheiden. Mit anderen Ab­ge­ord­neten, die nicht ihrer Partei bot­mä­ßig, son­dern tat­sächlich dem gan­zen Volk in­nerlich verpflichtet und nur ih­rem Gewis­sen ver­antwort­lich wären, ließe sich die Übermacht der Parteien brechen und lie­ßen sich system­kon­forme Vorschläge eines Scheuch oder ei­nes Vier­haus leicht zum Gesetz machen.

Nur ihrem Gewissen verantwortliche Abgeordnete gibt es nur in der Ver­fas­sungs­theorie. Soziologisch und mensch­lich er­klär­bare Zwänge hin­­dern auch gut­mei­nende Poli­tiker prak­tisch daran, nur nach ihrem Gewissen zu han­deln. Weil diese Zwänge ganz über­wie­gend struktur- und systembe­dingt sind, kann ein Poli­tiker in­ner­halb die­ser Struktu­ren oft gar nicht anders han­deln, wenn er nicht zum tragi­schen Helden werden will. [444]  Aber "nicht nur, daß es an Hel­den fehlt, die Ta­bus brechen und ungewohnte Freiheit schaffen könnten. Man sieht nicht so recht, was ei­ne Person überhaupt ändern kann und wie ein Durch­griff durch das dichte Gespinst der In­sti­tu­tio­nen, Rechte und Gewohnheiten erfolgen könnte." [445]  Fak­tisch muß der von sei­ner Partei über das Instrument der Li­stenwahl ent­sandte Ab­geord­nete immer in erster Li­nie seiner Parteiräson un­terwor­fen blei­­ben, weil diese seine Wieder­auf­stellung in der Hand hat. So ist das wirt­schaft­li­che Schicksal der Politiker mit dem ih­rer Partei ver­knüpft. [446]

Der Teufelskreis ist perfekt und entspricht der These Scheuchs, nach der das Sys­tem nur noch seinen eigenen Gesetzen gehorcht. Das Hauptgesetz ist das der Macht­aus­deh­nung auf immer weitere Berei­che des staatlichen und ge­sell­schaftli­chen Le­bens, und nicht etwa das wün­schenswer­te Ge­genteil weiser Selbst­be­schrän­kung. Vielmehr lebt das Sy­stem geradezu da­von, daß immer weite­re Krei­se korrumpiert wer­den. [447]  Es ge­währt nur noch denjeni­gen Zu­gang zur Macht­elite, die dieser Elite opportun er­schei­nen. [448]  Sie koop­tiert immer wieder [449]   nur systemange­paßte Mit­läu­fer und stabi­li­siert sich so fortwäh­rend selbst. Die Bon­ner "politische Klasse" kann nicht einfach zu­rück, wie Richard von Weizsäcker vorschlug. Sie muß immer weitere Le­bens­bereiche po­li­ti­sieren [450]  und ihren öko­nomischen Einfluß auf die Äm­ter­vergabe und an­dere Pfründen­wei­den syste­ma­tisch vergrößern, um ihre Ge­folgs­leu­te an sich zu binden.

Wie sich ein Mensch nicht an den eigenen Haaren aus einem Sumpf zie­hen kann, so kann sich das auf Vorteilnahme gegen Partei­treue be­ruhende Feu­dal­sy­stem des Partei­en­staats nicht aus sich selbst heraus regenerieren. Der Trend fettfleckar­tiger Ausbrei­tung geht un­gebremst in die falsche Rich­tung. Die Partei­po­litiker als maß­geb­liche Gesetz­geber wer­den keine Ver­fas­sungs­­ände­run­gen vornehmen, die ins Fleisch der Parteien­macht wir­kungsvoll ein­schneiden wür­den. Alle Forderungen z.B. Scheuchs nach weiser Selbst­beschrän­kung der Par­teien ste­hen folg­lich in Widerspruch zu seiner eigenen These, daß das Sy­stem selbstre­fe­rentiell ist und nur noch sei­nen eigenen Ge­set­zen gehorcht. Es folgt daraus und aus diesen Geset­zen zwingend, daß es aus sich selbst heraus re­form­unfähig ist. Das System ist das System der Parteien, und "nichts deutet darauf hin, daß die Staatspar­teien des Parteienstaates sich selbst demokratisieren können." [451]   Sei­nen Mängeln durch blo­ße Appelle an die Politiker ab­zuhelfen, er­scheint ziemlich hoff­nungs­­los, denn die Mängel sind systembe­dingt. [452]  Es muß der li­be­ralen Theo­rie als Mangel vor­ge­hal­ten wer­den, daß sie diesem offe­nen Dilem­ma nicht zu ent­rinnen ver­mag. Während Scheuch auf der ei­nen Seite Re­­formvorschläge macht, die als Geset­ze­sän­de­rungen nur von Par­tei­po­li­tikern ver­wirklicht werden können, und for­dert, daß System auf Bun­­des­ebe­ne zu be­sei­ti­gen, gibt er an anderer Stelle zu, er sehe kei­ne Chance zur Beseitigung "die­ser Ma­fia-Struktu­ren" aus den Par­teien selbst her­aus. [453]  Wer denn aber als Deus ex machina den Teu­felskreis durch­brechen soll, bleibt offen.

Wenn das System tatsächlich selbstreferentiell ist, kann es nur von Kräften auf­ge­bro­­chen wer­den, die seinen Gesetzlich­keiten nicht un­ter­liegen. Solange seine Spielre­geln alle derar­tigen Kräfte er­folg­reich von jedem Wirk­samwer­den fern­halten können, kann es sich mögli­cherweise noch Jahrzehnte so wei­ter­mo­geln, trotz des schon vor über 30 Jahren ausgerufenen "Endes des Partei­enstaates" [454] . Er muß aber das Schick­sal al­ler Systeme teilen, die aus einer "Institution evidenter Wahrheit" zu einem bloß tech­nisch-prak­ti­schen Mittel ge­worden sind: [455]  ei­ner Staats­form, die man nicht liebt, son­dern nur benutzt, weil keine bes­sere zur Hand ist. Das Bonner Sy­stem, weltanschauli­cher Substanz weitgehend entkleidet, hatte sich selbst durch seine Funktionstüch­tigkeit legitimiert; und diese ist ange­schla­gen. [456]  Bie­tet sich ei­ne Al­terna­tive mit Lö­sungs­kompetenz für die drän­­genden exi­stenz­iel­len Pro­bleme, die das abge­nutzte System nicht löst - zeigt also jemand, daß es auch anders geht - ist das alte System erle­digt. [457]

Die Systemveränderung der Linken

Während der Liberalismus in der Theorie noch ganz bescheiden von sich selbst denkt, war das ra­tionalistische Selbstverständ­nis unse­rer lin­ken Freunde jahrzehnte­lang von kei­nerlei Zweifel angekränkelt. Seit 1989 ist man auch links bescheidener geworden. In ei­nem Wett­bewerb aber liegt man Kopf an Kopf: Dem Ehrgeiz, das po­litische Mo­dell der Mo­delle ab­zugeben und mit ihm die Tür zur "One World" aufzu­stoßen. Die nächste Tür soll dann gleich zum Paradies führen. Was dem über­zeugten Liberalen Fukuyamas Ende der Ge­schichte im weltweiten Sieg des Libera­lismus ist, erhoffte man links von Karl Marxens klas­senloser Ge­sellschaft und dem weltweiten Sieg des So­zia­lismus - auch eine Art "Ende der Geschichte".

Der marxistisch-leninistische Sozialismus hat soeben hinter sich ge­bracht, was dem Libe­ra­lismus noch bevorsteht: das Schei­tern an der Rea­lität. Nach dem totalen Zu­sam­men­bruch des Ost­blocks ist dem dog­­matischen So­zialismus noch nicht ein­mal mehr die Hoff­nung ge­blie­ben. Sein Gedan­kenge­bäude ist in sich zu­sam­menge­sackt wie die öst­li­chen Volkswirt­schaften, die ihm zu lange ausge­setzt waren. Es bie­tet das demüti­gende Schau­­spiel eines allum­fas­sen­den ge­dankli­chen Ent­wurfs, einer in sich ge­schlos­se­nen Ideologie, die ihren ei­ge­nen An­hän­gern wie Sand un­ter den Händen zer­rann, als sie prak­tisch ange­wendet wer­den sollte. Die fortschreitende Verelendung der Pro­le­ta­rier­­massen, die Re­vo­lution zuerst im ent­wickeltsten Indu­strie­land, der Über­gang von der Revolu­tion über den Sozia­lismus in den klas­senlo­sen und staatlo­sen Kommunis­mus, die Überle­gen­heit über den Kapita­lis­mus, die Auf­he­bung der "Entfremdung" - auf all das hat man hun­­dert Jahre lang ver­geb­lich gewartet. Nie­mand kann tiefer fal­len, als der um­ju­­belte Pro­phet, dessen Prophezei­ung nicht eintrifft.

Wie immer, wenn ein großes Gebäude zusammenbricht, geht das nicht oh­ne viel auf­gewir­belten Staub ab. Die ideologischen Ver­satz­stüc­ke der ex­tremen Linken ver­we­hen heute wie eine große Dreck­wol­ke. Sie haben in sich keinen Halt mehr, aber ideolo­gisch heimat­los ge­wor­dene linke Nostalgiker klammern sich an sie. Da wäre z.B. die Mär von den "humanistischen Idea­len" je­ner Dikta­tur des Proleta­riats, die in den 70 Jahren ih­rer Exi­stenz zwi­schen 40 und 100 Mio. Gegner um­ge­bracht hat. Auch das seit der fran­zösi­schen Revo­lution um­ge­hende Ge­spenst der "egalité" ist noch nicht ge­bannt, obwohl in jedem real exi­stie­renden Sozialismus immer einige wenige noch "gleicher als die anderen" wa­ren und die Gleich­heit aller übrigen sich ge­wöhnlich als Gleich­heit in Un­ter­drüc­kung, Not, Ver­zwei­felung und im Schlan­ge­stehen ent­puppt hat. So­lange noch irgendwo auf der Welt ein Buschmann oder In­dio nicht "gleich" ist, solange noch ir­gend­wer "privilegiert" ist, wird ein ein­ge­fleisch­ter Linker von jener merk­­wür­digen Unru­he umge­trieben wer­den, die im Neid ihren tief­sten Grund hat.

So gibt es nach der Implosion der marxistisch-leninistischen Dog­ma­tik kein in sich ge­schlossenes linkes Konzept mehr, son­dern nur noch um­herwa­bernde, tiefsit­zende Res­senti­ments, die mal hier über linken Stamm­tischen ausbrechen, mal da bei einer au­tono­men Demo hand­fe­sten Aus­druck finden, immer aber in den ge­schlosse­nen Gesell­schaften und in sich abgekapselten Zirkeln zu finden sind, die sich um mar­xi­sti­sche Lehr­stuhlinhaber an den Uni­versitäten gebildet haben, in den ver­hasch­­ten Szeneknei­pen des grünen Mi­lieus, an den Hebeln und Mikro­fo­nen der Macht des Medienstaates und hin­ter den Ka­the­dern unse­rer Schu­­len. Kurz: überall da, wo man von den Sor­gen und Äng­sten der ar­­bei­ten­den Normal­bürger nichts weiß.

Alles das sei den Linken verziehen, ja selbst ihr rabiater An­ti­fa­schis­mus, den sie als inte­gratives Moment ihrer zerfallen­den Struk­tu­ren eben­so brau­chen, wie die Rechte ihre Feindbilder pflegt. Un­ver­zeihlich ist aber jene geistige Einöde, die der gefallene linke Dog­ma­tismus hin­ter­­lassen hat. Die Kinder der Alt-68er sind so hu­morlos wie ih­re schmal­­brüstige Ideo­lo­gie witzlos. Wo jene 1968 auf Gym­nasium oder Uni mit dem geistigen Florett auf Muff von tausend Jahren los­gingen, schwin­gen ihre ge­samtschul­geschädigten Erben nur noch die Faschis­mus-Keule. [458]  Die Restbestän­de linker Publi­zistik sind lang­wei­lig ge­wor­­den. Kei­ne Spur blieb von jenem Ein­fallsreichtum und Esprit der 68er Revo­luz­­zer. Blättert man heute in linken Postillen, stößt man vor­nehm­­lich auf eine Mischung von Drit­te­welt­schmerz, Anti­faromantik und gefühli­ger Minderhei­tenduse­lei. Der Mensch in Rous­seaus "gu­­tem" Na­­tur­­zu­stand schläft in je­dem ge­sellschaftlich aus­ge­grenzten Schwu­len, steckt in "der" unterdrück­ten Frau wie dem recht­­losen Asy­lanten und er­wacht schließ­lich im poli­tischen Linken. Wer die Welt so sieht, darf von linker Sy­­stem­verände­rung die alles gleich­­machende Lösung der In­fe­­rio­ri­täts­prob­leme irgendwelcher Min­­­­der­­heiten er­hoffen, mehr nicht.

Die rotgrüne heile Welt

Wie die rotgrüne heile Welt aussehen soll, hat die Landtags­frakti­on der SPD und der GRÜ­NEN in einem gemeinsamen Entwurf einer neuen Verfas­sung für Nieder­sachsen einmal ex­em­plarisch Punkt für Punkt aufgeschrieben: An die Spitze der Prä­ambel, ja - gleich da, wo im Grundgesetz noch der liebe Gott an­gerufen wird - tritt das "Be­wußt­sein der sich aus der deut­schen Ge­schichte er­gebenden be­son­de­ren Ver­ant­wortung", beson­ders wegen der "in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus began­genen bei­spiello­sen Gewaltta­ten."

Nach dieser Demonstration moralischer Erhabenheit und innerer Ka­­thar­sis geht es dann gleich auf in die schöne neue Welt: "Das Land, die Ge­meinden und die übrigen Träger der öffentli­chen Ver­waltung sind verpflich­tet, die gleichbe­rechtigte Teilhabe der Ge­schlechter in al­len ge­sellschaft­lichen Bereichen herzu­stellen und zu sichern. Der Gleich­­­berechtigungs­grundsatz läßt zur Förde­rung von Frau­en und zum Aus­­gleich tat­sächlich beste­hender Un­gleichheit vor­überge­hende recht­li­che Bevorzu­gung von Frau­en zu" (Art.2/3). [459]  In allen ge­sell­schaftli­chen Be­reichen? Wir lesen richtig: in al­len! Und der Staat ist zur Herstellung der "gleichberechtigten" Teilhabe verpflich­tet. Freu­en wir uns also auf die von der zuständigen Kreisverwaltung aus­­schwärmen­den rot­grünen Block­­­wartInnen, die "in allen gesell­schaft­li­chen Berei­chen" für Ord­nung sor­gen. Mit der Män­nerwirt­schaft in Junggesellen­vereinen, Bur­schen­schaften und Män­nerchören wird dann einmal richtig auf­geräumt. End­lich werde ich Mitglied im Land­­frauenverband werden dürfen. Zum Ge­­richtspräsiden­ten, Gene­ral­­­staatsanwalt oder Schuldirek­tor wird es aber in ab­sehbarer Zeit nicht mehr lan­gen: Bevor da wie­der ir­gend­ein Mann zum Zuge kommt, sind erst einmal viele, viele Frauen dran.

Wer keiner "Minderheit" angehört, wird im rotgrünen Nirwana nichts zu la­chen ha­ben; le­sen wir doch weiter in Art.2/3 des Ver­fas­sungs­entwurfs: "Kein Mensch darf we­gen sei­nes Ge­schlech­tes, seiner Ab­stammung, seiner Zugehö­rigkeit zu einer sprachli­chen oder ethni­schen Minderheit oder Natio­nalität, sei­ner Hei­mat und Her­kunft, sei­nes Glau­­bens, seiner religiösen, welt­an­schaulichen oder poli­tischen Über­­zeu­gungen, seiner sexuel­len Identität, seines körperli­chen oder seeli­schen Zustandes oder seines Alters benachtei­ligt werden. Recht­liche Be­vorzu­gungen zum Ausgleich tat­sächlich bestehen­der Un­gleich­hei­ten sind zu­lässig." Der logische Kurzschluß ist um­fassend. Überall da, wo einer bevor­zugt wird, wird nämlich ein anderer be­nach­tei­ligt, denn zum Bevorzu­gen gehö­ren immer zwei: der Vorge­zogene und der Zu­rück­ge­setz­te. So wird das rotgrü­ne Bevorzu­gungs­modell zum Zurück­set­zungs­mo­dell für alle die, die nicht das Pri­vi­leg einer der so schön auf­ge­zähl­ten "tatsächlich bestehenden Un­gleich­hei­ten" besitzen. Es sind eben doch immer manche "noch glei­cher" als die an­de­ren.

Ge­radezu paradiesischen Zeiten gehen kulturelle und ethnische Min­­der­­hei­ten in Nie­der­sach­sen entgegen: Art.2/5 will sie unter den be­son­de­ren Schutz und die För­de­rung des Landes stellen. Da es ein­geborene ethni­sche Minderhei­ten in Nieder­sachsen nicht gibt, kommt die­ses Ver­spre­­chen vor­neh­mlich den 102396 Türken zugute, der nach der Volks­zählung 1989 mit we­item Abstand stärksten "eth­ni­schen oder kultu­rel­len Minder­heit im Lande." [460]  Das deutsche Volk kommt in der Wunsch­verfassung der Re­gie­rungs­­koalition da­gegen nicht mehr vor; auch wird bei Wahlen und Ab­stim­mun­gen die Be­schrän­kung auf deut­sche Staats­bürger wegfal­len. Dagegen soll ein neuer Abschnitt der Ver­fas­­sung ein umfas­sen­des Recht der "Ein­woh­ne­­rinnen und Einwoh­ner" auf Volks­­be­geh­ren und Volks­ent­scheid be­gründen. Damit diese aber nicht auf die Idee kom­men, das Be­vorzu­gungs­modell und die Min­der­hei­­tenförde­rung wie­­der abzu­schaffen, regelt Art.32/2 vor­sichts­hal­ber: "Ver­fas­sungs­än­de­run­gen, die den in Art.2 dieser Ver­fassung nie­­derge­leg­ten Grundsätzen wi­der­spre­chen, sind unzu­lässig."

Der Staat als Instrument der Gesellschaftsver­än­derung

Die nötige Zurückdrängung des Gesellschaftlich-Parteilichen aus dem Staatswe­sen kann ein Verfassungskonzept nicht leisten, das ein ideo­logisches Modell der Gesell­schaftslen­kung zur Pflicht des Staa­tes und "aller Träger der öffentlichen Ver­waltung" macht. Der Staat kann als Instrument welt­an­schau­li­cher Gesell­schafts­ver­än­derung nur be­nutzt wer­den, wenn er von der lenken­den Partei um­fassend kon­trol­liert wird und mit ihr eine sym­bio­tische Ver­bin­dung ein­geht. Schon für Karl Marx war der Staat stets und aus­schließlich das Werk­zeug der herr­schen­den Klasse. Diese Verbindung kann auf der per­­so­­na­len Ebene nur eine solche Personalunion von Parteifunk­tionä­ren und Staats­die­­nern sein, wie sie auch im li­bera­len Posten­vertei­lungskartell der CDUSPD­FDP ge­gen­wär­­tig ist. Das hat die Linke schon seit über 20 Jahren er­­kannt. Sie hat konsequen­ter­wei­se die Strategie entwic­kelt, das System der wech­selseiti­gen Durch­drin­gung von Parteien und Staat nicht ab­zu­schaf­­fen, son­dern in einem langen Marsch durch die Institutionen von in­­nen zu er­obern. Die einzige von linker Seite ak­tuelle "Lösung" un­se­rer Proble­me soll also darin beste­hen, daß das Bonner Poli­te­stab­lish­ment, beschäftigt vor allem mit seinem eigenen Macht­er­halt, zu­rück­ge­drängt oder abgelöst werden soll durch hoch­i­deo­logisierte rot­grüne Ka­der. Daß deren "Vertretung des Gemein­wohls" be­son­­­ders in der Be­vorzugung von Min­derheiten be­stehen, al­so gerade nicht dem Wohle aller die­nen würde, macht der nie­­der­sächsische Verfassungs­entwurf recht­zeitig deut­lich. Ihnen sind Min­der­heiten vor allem dann will­kom­men, wenn sie in deren Namen eine Moral zur Gel­tung bringen können, deren Vollstrecker allein sie sind. 

Der radikal egalitäre Ansatz zum Umbau der Gesellschaft soll auch in Staats­ziel­be­stim­mun­gen zum Ausdruck kommen, deren Ein­fügung in die Ver­fas­sungen von linker Seite seit Jahren ge­for­dert wird. Daß der Staat für eine ge­sunde Um­welt und die Er­hal­tung na­türli­cher Le­bens­grund­la­gen ein­tre­ten soll, hält sich noch im Rah­men des gegen­wärti­gen Ver­fas­sungs­ver­ständnisses. Wenn darüber hinaus aber ge­fordert wird, der Staat solle von Rechts wegen auf Ge­währ­leistung von Wohn­raum, Ar­beit oder ei­nen Kinder­gar­ten­platz ver­pflich­tet werden, müßte er da­für zunächst einmal über die Woh­nun­gen, die Ar­beits- und die Kinder­gar­ten­plätze verfügen. Den Weg in ein staat­li­ches Ar­beits- und Woh­nungs­wesen wird aber in Deutsch­land nach den Erfah­rungen in er DDR sicher­lich keine Mehrheit wie­der zurück­gehen wollen.

Die Bonner Republik leidet bereits heute an einem strukturellen Man­gel ihrer Füh­rungs­schicht an Gemeinwohlorientierung; diese Elite ist selbst­re­fe­ren­tiell auf ihre Macht­erhal­tung fixiert, und darum ist das ganze System nicht fle­xi­bel genug für die heute schon sicht­ba­ren Prob­lem­felder der nächsten Jahr­zehn­te. Der von der Linken an­ge­strebte Sy­stem­wan­del würde diese Mängel ver­­schlim­mern statt be­he­ben: Minder­heiten­bevorzu­gung statt Ge­mein­wohl­orien­­tierung schafft eine ten­den­ziell instabile politi­sche Lage und kann die Pro­ble­me des Gan­zen schon vom ge­dankli­chen Ansatz her nicht lösen. Die Linke ist nach ih­rem ei­genen Selbstver­ständnis immer Partei, nie Walterin des Ge­mein­­wohls, und zwar Partei der jeweils Unterlege­nen, Schwäche­ren, Unter­pri­vi­legierten oder "Aus­ge­beu­te­ten". Der Eman­zipation die­ser Menschen gilt ih­re Haupt­sorge so­wie dem, was sie unter Gleich­­berechtigung ver­steht. Im Besitz des Staates wird sie seine Macht­mittel immer für ihre Kli­en­tel gegen die aus ihrer Sicht Privi­le­gierten wenden. Darin er­schöpft sich ihr Wol­len; hier liegen die Gren­zen ihrer Kompe­tenz.

Aber gibt es dieses hier oft bemühte Ganze überhaupt? Über den Rea­­li­täts­ge­halt von Gat­tungsbe­zeichnungen und Oberbegriffen läßt sich treff­lich strei­­­ten: Ist "das deutsche Volk" eine reale, personal und zah­len­mäßig ab­grenz­bare, tat­säch­lich exi­stente Größe? Oder ist "Volk" nur ein stimmlicher Hauch, nichts als ein leeres Wort, eine Schablone des Verstan­des; und sind nur alle konkreten, faßba­ren Ein­zelmitglie­der die­ses Volkes wirk­lich real?

Für wie real man solche Kollektivbezeichnungen hält, ist nicht nur eine all­ge­mein er­kennt­ni­stheoretische, sondern auch eine Frage der subjektiven Wahr­­neh­mung und damit des per­sönli­chen Standortes. Oh­ne vorherige ab­stra­hie­ren­de Ent­scheidung, was als kon­kret zu gel­ten habe, ist eine Aussage nicht mög­­­lich, etwas Bestimmtes sei kon­kret. Letzt­lich entscheiden Macht­be­dürf­nis­se die Frage, was in poli­ticis als abstrakt und was als konkret jeweils zu gelten hat. [461]  Dem Fami­lien­va­ter ist seine Familie eine höchst reale Sache, und ana­log zu ihr mag er sei­ne Sippe, seinen Stamm und das ganze Volk für reale Grö­ßen hal­ten. Mit seiner Frau verbin­det ihn unendlich mehr, als er sich an Ge­mein­sam­keiten zwi­schen ihr und allen an­deren Frau­en vor­stellen kann. "Frau­en­fragen", womög­lich ge­mein­same Interes­sen "aller Frau­en", über­steigen sein Vor­stellungsvermö­gen. Sein Ord­­nungsden­ken be­wegt sich ge­wisserma­ßen in ver­ti­ka­len Bahnen. Die erlebten so­zialen Struk­tu­­ren be­ginnen bei seiner Fa­mi­lie und gipfeln in sei­nem Volk. Ihm ist die­se Sicht­wei­se evi­dent, und "Familie" ent­springt seinem rea­len, täg­li­chen Erleben. Sie ist für ihn ei­ne wirklich vorhan­de­ne höhere Ein­heit. So wie der "Mensch mehr ist als die Summe sei­ner Ato­me, der Glie­der, Or­­gane und Säfte, aus denen er besteht, ist eine Ehe mehr als Mann und Frau, eine Familie mehr als Mann, Frau und Kind. Eine Freund­schaft ist mehr als zwei Männer und ein Volk mehr, als durch das Er­geb­nis einer Volks­­zählung oder durch eine Summe von poli­ti­schen Ab­stim­mungen zum Aus­druck ge­bracht wer­den kann." [462]  Das Ganze ist mehr ist als die Summe sei­ner Teile, weil das aufeinan­der bezogene Zu­sam­menwirken an sich selb­stän­­di­ger Systeme zu einem Ge­samt­sy­stem neuer, und zwar höherer Art mit gänzlich neue Sy­stem­ei­gen­schaf­ten führt. [463]  

Aus diesen zwischenmenschlichen Bindungen sucht das linkse­man­zi­pa­to­ri­sche Den­­­ken sich los­zu­lö­sen und sieht die entscheidenden Ge­mein­samkeiten eher hori­­zon­­tal: näm­lich zwi­schen zum Bei­spiel der Frau - der Frau von nebenan - allen Frau­en oder dem Ar­bei­ter - dem Kol­­legen - der Arbei­terklasse. Ge­gen­über der "rech­ten" Wahrneh­mung von Mann, Frau und Kin­dern als konkrete Fa­­milie sieht die "linke" Welt­sicht über eheliche Liebe und Blutsverwandtschaft hin­weg und ver­­­knüpft, rein ra­tio­­nali­stisch, Abstrakta zu Ober­­begriffen. Meine Frau, die Kas­­sie­re­rin von ne­be­n­­an, die In­diofrau aus dem Fern­seh­be­richt von ge­stern abend und Alice Schwarzer werden so we­gen ge­wisser ana­to­mi­scher Über­ein­stim­mun­gen zu ei­nem hö­he­ren Ganzen ver­eint: "die Frau­en" - Welch scheußli­che Vor­stellung! - Ähnli­ches müssen Mil­lio­nen von Menschen aller Her­ren Län­der über sich er­ge­hen lassen, die sich überhaupt nicht ken­nen, aber für die Ar­bei­ter­klas­se oder ähnliche Trug­bilder ver­ein­nahmt werden, und wei­tere "hori­zon­ta­le" Per­so­nen­­ge­samt­hei­ten von Men­schen, die sich überhaupt nicht ken­nen und nicht einmal entfernt verwandt sind. Ei­nem Men­schen schlechthin, spot­tete schon de Maistre , sei er noch nie im Le­ben be­geg­net. Er habe nur Fran­zosen, Ita­liener, Russen usw. gese­hen. [464]  Auch Bo­nald hatte der auf­­klä­re­ri­schen Lin­ken vor­ge­worfen, Menschen nur individuell wahr­zu­nehmen und ihnen mit der "Menschheit" ei­nen rein abstrakten Be­zugs­punkt zu geben, nur um ih­re tra­­ditio­nel­len und für sie grundlegenden Bin­dun­gen an Fami­lie, Stand und Nation zu zer­stö­ren. [465]  Die Linke hat keine Erklärung für die Paradoxie, die Solidarität der Menschheit zu behaupten und zu­gleich die des Volkes und der Familie zu leug­nen, "was behaupten heißt, daß die Feinde Brüder sind und die Brü­der keine sein dür­fen." [466]

Unser Volk und sein Wohl, das "Ge­meinwohl" des Staatsvolks al­so, ist für die Lin­ke keine maß­geb­li­che Größe. Ihr gedanklicher Weg führt vom auto­no­men In­di­vi­duum über die Klas­sen- oder Ge­schlechts­zu­ge­hörigkeit gleich zur "Mensch­heit". Dieser uni­ver­sa­li­sti­sche Anspruch bringt den politischen Ver­tre­tern der Linken ei­nen ent­schei­denden tak­ti­schen Vorteil: Der abstrakte Ge­dan­ke einer ein­heit­lichen und in ihrer Ein­heit und Uni­ver­salität an universelle Nor­men gebundenen Mensch­heit dient dazu, den konkreten deutschen Staat einer ethi­schen Idee wie der "Gleichheit" zu unterwerfen und somit die Position jener zu stär­ken, die sich als be­rufene Interpreten dieser uni­versellen ethischen Idee emp­fehlen. Unter die­sem Aspekt argwöh­nen wir mit Carl Schmitt: "Wer Mensch­heit sagt, will be­trü­gen." [467]  Der Betrug besteht darin, daß die selbst­er­nann­ten Hohe­prie­ster uni­ver­salistischer Menschheitsansprü­che Unterwerfung un­ter ihre Mo­ral­for­de­run­gen mit dem hinter­listigen Nebeneffekt beanspruchen, zu­­gleich ihr In­ter­pre­ta­tions­monopol die­ser Menschheitsmoral und damit ihre wei­tere Prie­ste­r­herrschaft zu akzep­tieren.

Für uns Un­gläubige stellt sich da­ge­gen die ele­men­tare Frage, warum wir aus­ge­rechnet an ei­ne universelle Moral glau­ben sol­len, die offenkundig mit unseren Geg­nern oder Kon­kur­ren­ten im Bun­de ist. Die Be­rufung auf universelle Gleich­heits­phrasen führt nämlich ne­ben der Un­­ter­wer­fung unter ihre berufenen Inter­preten zu un­se­rer ideo­lo­gi­schen Selbst­ent­waff­­nung gegenüber allen jenen millio­nen Er­den­be­woh­nern, die täg­lich in ihren Hei­­mat­län­dern verhungern, erfrieren oder Krie­­gen aus­ge­setzt sind und die un­ter Pochen auf ab­strak­te Menschen­rechte gern in Deutsch­land ernährt, ge­wärmt, behaust und beschützt wer­­den möchten. Wer also die Frau­en, die Arbei­ter­klas­se oder die Mensch­­heit für real und nicht nur für Wor­te hält, bloß stimmlichen Hauch, mag ge­trost ver­su­chen, die Pro­b­le­­me der Fra­uen oder der Mensch­heit zu lö­sen. Wer da­gegen seine Familie und sein Volk als Realitäten wahr­nimmt, wird in lin­ken Kon­zepten keine Lö­sungs­­ansätze für de­ren Gefährdung fin­den.

Schwerer noch als der Mangel an Gemeinwohlorientierung in be­zug auf das deut­sche Volk und den deutschen Staat wiegt der Wille der Linken zu ra­di­kaler Gesell­schafts­ver­änderung. Er führt zu einem ent­scheidenden Minus an Freiheit und Flexibili­tät. Der be­absichtigte Ge­sellschafts­umbau zugunsten der Unterle­genen und zulasten der Privile­gier­ten läßt sich nur mit staatlichen Len­kungs­me­chanismen durchfüh­ren. Die Partei der Un­terprivilegierten muß perso­nell und strukturell in den Rock des Staates wie in eine Hand­puppe schlüp­fen und sich seiner bedienen. Die notwen­dige Trennung von Staat und Ge­sell­schaft als Vor­bedingung menschlicher Freiheit wird da­durch nicht er­leichtert, son­dern un­mög­lich gemacht. Die Be­nutzung des Staates durch das li­berale Postenver­tei­lungs­kar­tell wird ersetzt durch seinen Mißbrauch durch "so­zia­li­sti­sche" Ge­sell­schaftsum­bau­er. Wäh­rend dort liberale Pöstchen­haie vor lauter In­tri­gieren um ih­re Kar­riere und Pfründen nicht zum Nach­denken über das Ge­mein­wohl kom­men und ein statisches Sy­stem zirku­lierender Macht­cli­quen ge­bil­det ha­ben, wol­len sich hier eif­rige Gesellschafts­in­ge­nieure als An­wälte von Min­der­heitenin­teres­sen in den Sattel setzen. Auch sie werden nicht um­hin kön­nen, ein ge­schlos­senes System zu bil­den und sich vor Macht­kon­kur­renz ab­zu­si­­chern, denn erfahrungs­gemäß hat es die Mehr­heit nicht gern, wenn die Herr­schen­den zula­sten der Mehrheit eine Minder­heit bevorzugen.

Der Glaube an die Weisheit des Plebiszits

Es ist das unbestrittene Verdienst der radikalen Linken, das Ple­biszit als In­stru­ment der Dele­gitimierung des Repräsentativ­systems wiede­rentdeckt zu ha­ben. Er­funden ha­ben sie es nicht. Sie brauchten nur Carl Schmitt aufzu­schla­gen, der 1932 formu­liert hatte: "Jede Kon­kurrenz von Gesetzgebern ver­schie­dener Art und einan­der rela­tivie­renden Ge­setzes­begriffen zerstört [...] den Ge­setz­ge­bungs­staat selbst." In die­sem he­rrschen Vor­rang und Vorbehalt des Ge­set­zes; er ist letzter Hü­ter allen Rechts, letzter Garant der bestehenden Ord­nung, letz­te Quelle aller Le­gali­tät. Letzte Sicherheit und letzter Schutz ge­gen Un­recht sind der Ge­setzgeber und das von ihm ge­hand­habte Ver­fahren der Ge­setz­ge­bung. Der Staat könne nur einen Ge­set­zes­begriff ha­ben, nur einen Ge­setz­ge­ber, an­sonsten werde er durch innere Wi­dersprü­che zer­stört. [468]  So ge­sehen stellt die Konkur­renz der Volks­gesetzgebung mit der parla­mentari­schen den Ver­such ei­ner Fort­ent­wick­lung auf das uto­pische Ziel einer Demo­kratie dar und da­mit ei­nen gezielten An­griff auf die Legitimationsgrundlagen des rein par­la­men­tari­schen Gesetz­ge­bungs­staa­tes schlecht­hin.

Die radikale Linke hält das Volk für immer gut, den Magistrat aber für kor­rupti­bel. Sie will das Repräsentationsprinzip zu­gunsten eines ba­sis­­­demo­krati­schen Herr­schafts­sy­s­tems, z.B. nach dem Räte­modell, völ­lig abschaffen. Ihre Strategie der Demokrati­sierung ist ei­ne Stra­te­gie der System­über­win­dung. Daß Demokratie und Parla­menta­rismus ein­an­­der ausschlie­ßen, hat die ra­dikale Linke erkannt und nützt die Achil­les­­ferse der Bonner Repu­blik gna­den­­los aus: die Le­benslüge, hin­ter dem schönen Etikett "Demokratie" ver­­ber­ge sich wirkli­che De­mo­kra­tie. Ohne den demo­kratischen Gedan­ken kon­­se­quent ver­wirk­lichen zu kön­nen, tragen die Parlamentari­sten das Wort von der Demokratie stän­dig wie eine Monstranz vor sich her und verbuchen sie in ih­rem Gut­­ha­ben unter den tra­gen­den Wer­ten. Die linke Strategie der Sy­stem­über­­windung hatte sich dieses Wertes des par­­la­men­tarischen Systems be­­mächtigt und zum Angriff auf es selbst umfunktioniert. Da­her grei­fen sei­ne sy­ste­mimma­nenten Ab­wehr­me­cha­­nismen nicht. [469]  Die ganze Ei­gen­le­gi­ti­ma­tion des Bonner Staates be­ruht der­maßen auf dem Demo­kra­­tieprinzip, die­ses ist so sehr welt­an­schau­lich über­höht und quasi­re­ligiös funktionalisiert wor­den, daß es bei Stra­fe ge­sell­schaft­li­cher Acht und Banns nicht in Frage ge­stellt werden darf. Der hinter­li­sti­gen For­de­rung nach mehr Volksabstim­mun­­gen und ­-entschei­den kann ohne Ver­stoß ge­gen das de­mo­krati­sche Dogma nichts ent­ge­genge­halten werden. Wir wollen uns das gut mer­­­ken; viel­leicht er­weist sich diese Strategie noch an ganz un­er­war­te­ter Stelle als taug­lich.

Die Modelle der Rechten

Wer heute von "Demokratie" spricht, muß dazu sagen, was er ei­gentlich meint. Auch So­zialismus und Mitte, fortschrittlich, liberal oder faschistisch, alle diese vor­mals termi­nolo­gisch abgrenzba­ren Termini technici sind zu lange miß­braucht und ab­genutzt wor­den: als Schlachtruf der eigenen Reihen im Kampf um Positionen und Be­grif­fe oder auch als Schmähwort für den jeweili­gen Geg­ner. Auch zu dem Wort rechts, das zunächst eine Rich­tung anzeigte, mag dem ei­nen oder anderen ganz Unter­schiedliches einfallen, zum Teil sich be­griff­lich Aus­schließendes, wie konser­va­tiv oder reaktionär, natio­na­li­stisch oder fa­schi­stisch. Da ver­schiedene aller dieser sogenann­ten Rech­ten meist ei­nig sind über das, was sie für die von ihnen vertrete­nen Wert­hal­tungen als be­droh­lich emp­finden, aber durch­aus uneins darin, was dagegen zu unter­neh­men sei, müs­sen wir die rare Spezies etwas ge­nauer betrach­ten.

Für unsere Überlegungen fruchtbar können nicht die mannigfachen An­sich­­ten zu ir­gend­wel­chen einzelnen Werthaltungen oder Ta­ges­pro­blemen sein, sondern nur die zum "System" bezo­gene Po­si­tion. Diese reicht von vor­be­­halt­loser Beja­hung bei natio­nal­li­be­ra­len Rechten bis zur heftigen Ableh­nung bei National­so­zia­li­sten. Im wesentli­chen las­sen sich drei Haupt­mei­nun­gen ausma­chen: Die große Mehrheit möch­te das parlamen­tarische System bei­­be­halten, in ihm zur Mehr­heit werden und ihre Wert­vor­stel­lungen zur Re­gie­rungspolitik ma­chen. Ei­ne Minderheit sieht ihre völ­ki­schen Vor­stel­lun­gen nur in ei­nem eben­solchen Staats­we­sen ver­wirklicht, und eine noch klei­nere Min­­derheit will das System verändern, aber nicht aus Sehn­sucht nach ei­nem to­tali­tä­ren Führerstaat, son­dern, weil sie das parlamen­ta­ri­schen Sy­stem für prin­zipiell unfähig hält, dem Ge­meinwohl Rechnung zu tragen.

Die verfassungstreue Rechte

Sie spielt im rechten Gettotheater den tragischen Part. Ihre An­hän­ger stam­­men meist aus bür­gerlichen Verhältnissen und wären nie auf die Idee ge­kom­­men, etwas ande­ren als CDU oder SPD zu wäh­len, wenn Adenauer noch Kanz­­ler oder Schuma­cher noch Op­positi­onsfüh­rer wäre. Sie verstehen die Welt nicht mehr. Alles könnte doch so schön sein; aber warum hat die CDU nur damals nicht gegen die Ost­ver­träge ge­stimmt und Ostdeutschland später an Polen auf­gege­ben? Warum gilt plötz­lich alles nicht mehr, was man früher ge­lernt hatte, in jener guten alten Zeit der fünfziger Jahre? Wieso dürfen CDU-Strate­gen plötz­lich eine multikul­turelle Gesell­schaft fordern und Deutsch­l­and zum Ein­­wande­rungsland erklären? Weiß das der Bundeskanzler über­­haupt? Wenn man ihm nur einmal schriebe, er würde das schon wieder einrichten!

Es dauert sehr lange, bis diese guten Leute einmal richtig böse wer­den. Dann grün­den sie in Opas CDU Deutschlandforen oder "wert­kon­servative Ar­beits­kreise". Früher oder später merken sie, daß Idea­li­sten in den Altparteien fehl am Platze sind; geht es doch nicht um In­hal­te, sondern nur um Macht­er­halt. Wer jetzt nicht resi­gniert, macht das nächste Mal sein Kreuz­­chen bei ir­gend­ei­ner bösen kleinen Partei oder wird sogar Mit­glied. Das darf man doch in der freisten Demokra­tie auf deut­schem Boden, in "diesem unserem Lande". Das ha­ben sie ge­lernt. Die Nachbarn, Freunde und Kollegen denken ja ge­nauso, und da wäre es doch gelacht, wenn man nicht ge­meinsam in den Bundestag ein­zie­hen könnte.

Groß ist das Erstaunen nach dem ersten Fernsehbericht über die junge Partei. Da muß der fri­schgebackene Parteigänger entsetzt er­ken­nen, daß er ein Radikaler ist! Das hatte er noch nicht gewußt. Seine ei­gene Mutter hat ihn in der Reportage kaum wie­der­er­kannt. Früher war er einmal in der CDU gewe­sen. Seit diese vieles nicht mehr ver­tritt, was sie noch vor 20 Jahren verkündet hatte, war es ausgetreten. Seine Mei­nung hatte er nie ge­wechselt und hält sich für ei­nen mün­digen Bür­ger und guten De­mokra­ten. Jetzt das! Seit der Fern­sehsen­dung grüßen auch die Nachbarn nicht mehr: Ein ganz ver­kapp­ter Nazi muß er doch wohl sein! Und er versteht die Welt nicht mehr...

Die verfassungstreue Rechte hat kein Konzept zur Machtgewin­nung; nicht in­ner­halb der Alt­par­teien und nicht außerhalb. Sie be­rück­sich­tigt nicht ope­ra­­tiv, daß in un­serer Re­pu­blik Demo­kra­tie nur ein Etikett ist. Tatsächlich glaubt sie, in fairem de­mo­krati­schen Wett­be­werb um die Wähler­gunst an die Regie­rung kom­men zu kön­nen. Hin­ter­bänkler in der CDU oder der Ein­zug einer konser­vativen Partei in den Bundes­tag sind aber zwar not­wendige, aber kei­nes­wegs hinrei­chende Voraussetzun­gen poli­ti­scher Mitgestaltung, son­dern böten al­len­falls Krü­mel und Bro­sa­men vom Tische der Mächtigen. Für die aus rechter Sicht exi­sten­tiel­len Zu­kunftsfragen gibt allein die Re­gie­rungs­ver­ant­wor­tung die Chan­ce einer Antwort, und auch nur, so­lange noch et­was zu ret­ten vor­handen ist; darun­ter geht gar nichts. Die verfas­sungs­treue Rech­te hat noch keine Kon­sequenzen aus der Ein­­sicht ge­zo­gen, daß Deutsch­land, der Staatsform nach Re­publik, soziolo­gisch gese­hen von einem Po­stenvertei­lungs­kartell domi­niert wird, das nur noch sei­nen ei­genen Ge­set­zen gehorcht. Seine Par­tei­en ha­ben sich ihr Verfassungs­system selbst auf den Leib ge­schnei­dert. Wer mit ihnen konkur­rie­ren will, muß nach diesen Ge­set­zen an­tre­ten; Will er Er­folg haben, muß er erst so wer­den, wie je­ne schon sind. Ge­lingt es ihm, stützt er dieses Sy­stem, statt es zu ver­än­dern. Wert­über­zeu­gun­gen sind an der Garderobe ab­zu­ge­ben. Die GRÜ­NEN sind auf diesem Weg schon weit fort­ge­schrit­ten.

Die Republikaner treten ihn gerade an. Da stehen sie nun mit ih­rem Be­kennt­nis zur frei­­heitlichen demokratischen Grundordnung un­ter dem Arm; ste­­hen staunend vor je­nem un­durch­schaubaren Rä­der­werk des Parteienstaa­tes. Ei­ne Hand wäscht hier die andere; nur ihre Hand wäscht kei­ner. Da stram­peln sie sich ab und rufen: "Wir wol­len doch nur das Beste!", doch kei­ner hört sie, denn die Mikro­fone der Kar­tell­medien bleiben für sie ab­ge­schal­tet. Da stehen sie nun mit ihrer gan­zen Eh­ren­haftigkeit und ih­rer aufrechten Ge­sin­nung und blei­ben doch die Schmuddelkin­der im Medienstaat, in dem es nur "Ge­mein­sam­keit der De­mokraten" hier gibt und "Radikale" dort und nichts da­­zwi­schen. Und weil diese "Gemeinsamkeit" vor allem Be­sitz­stands­wah­rung be­deu­tet, dürfen ande­re nicht dazugehö­ren, und wenn sie noch so ger­ne möch­ten. Wer Neuerungen einführen will, hat alle zu Fein­den, die aus der alten Ordnung Nutzen zie­hen.

Wer das politische Parkett aus Sorge um das Gemeinwohl betritt und ge­­sin­nungs­fest sei­ne Werthaltungen einbringen will, dem geht es bald wie einem be­gna­deten Hand­ball­spieler, der auf ein Fußballfeld rennt und ruft: "Alles hört auf mein Kom­man­do!", und der sich dann wun­­dert, wenn alle nach ihren alten Spiel­regeln weiter­spie­len. Mann­schafts­kapitän wird er so nie werden, ebensowenig wie ein rechter demokra­ti­scher Parteivor­sitzender etwa Bun­deskanzler werden könn­te. Der ein­zi­ge Weg zur Regie­rungsmacht führt über eine Sy­stem­än­de­rung. Ob die Rech­ten unten bleiben, weil sie nach den Spiel­re­geln des Partei­en­staa­tes gegen die Etablier­ten und ihre geballte Medi­en­macht nicht an­kom­­men, oder ob sie aufstei­gen um den Preis, so zu wer­den, wie die anderen schon sind, ändert nichts. Die Eigen­gesetz­lichkeiten des Par­teiensy­stems spülen bei jeder Par­tei­bil­dung früher oder später jene op­portunisti­schen Glücksritter nach oben, die Tag und Nacht vor allem von der Sorge umgetrie­ben wer­den, einen siche­ren und ein­träg­li­chen par­lamentarischen Listenplatz zu ergattern, weil daheim der Ge­richts­vollzieher mit dem Kuckuck winkt. Solche Glücksritter gibt es aus densel­ben Gründen auch bei den Großpartei­en, nur sammeln sich dort die erfolg­rei­chen Glücks­ritter, die das richtige Parteibuch für ihre Karriere nutzen. Dagegen ver­hin­dert der von den Bonner Parteien aus­geübte Mediendruck, daß rechte sy­stem­treue Parteien in notwendigem Um­fang seriöses Personal rekrutie­ren kön­nen. Beamte und andere qua­li­fizierte bürgerliche Exi­sten­zen möch­ten aus nahe­­liegen­den Gründen nicht mit dem zwar fal­schen, von den Me­dien aber allgemein vermittel­ten Zerr­bild des Extremisten identifiziert werden. Die Stig­matisie­rungs­waf­fe greift voll durch: Im be­ruf­li­chen oder privaten Umfeld als Mit­glied einer rechten Partei er­kannt zu werden, kann im Ein­zelfall Exi­stenz­ver­nichtung bedeu­ten. So sammeln sich denn dort neben wirk­li­chen Idealisten vermehrt oh­ne­hin schon ge­schei­terte Existenzen, für die es nur noch aufwärts ge­hen kann.

Die Republikaner sind keine Gefahr für den Parlamentarismus; viel­mehr ist seine Er­gän­zung durch einen demokratischen rechten Flügel seine letzte Chan­ce. Wenn der hohe Pro­zentsatz von Bürgern mit na­tionalen und konser­vativen Wert­haltungen dau­er­haft in das par­lamen­tari­sche System integriert werden soll, kön­nen das nicht zwei große "Volks­­par­teien" mit gleichermaßen sozialdemo­krati­schen Positionen lei­sten. Daß die Nicht­wäh­ler mit über 30% bereits stärkste "Partei" ge­wor­den sind, ist ein alarmierendes Zeichen für nachlassen­de Ak­zeptanz des Parteien­wesens beim Bürger. Millionen dieser Menschen wol­len ihr Land für sich behalten und ihr Geld für sich be­halten - Asy­lanten und Es­pe­ran­to­geld wollen sie nicht. Sie sind "ordentliche, ruhige Bürger", und sie denken das, was CDU und SPD ihnen früher immer er­zählt ha­ben. Sie sind beileibe keine Radi­ka­len und hät­ten selbst das Posten­ver­tei­lungskar­tell als von Gott gewollte Obrigkeit noch Jahr­zehn­te er­tra­gen. Aber was zuviel ist, ist zuviel. Vom Verhal­ten dieser staatstra­gen­­den Schich­ten wird in den näch­sten Jahren alles ab­hängen. Wenn sie durch eine Partei wieder in den Schoß des parla­mentarischen Sy­stems zu­rückgeholt werden können, die ihre Spra­che spricht, wird das Schiff "Bundesrepublik" zwar poli­tische Kursän­derungen vollfüh­ren, aber es wird nicht sin­ken. Andern­falls werden seine Bür­ger das sinkende Schiff verlassen und ein ande­res besteigen. Dieses steht schon bereit:

Die totalitäre Parteiherrschaft

Die herrschende Sprachregelung hat uns angewöhnt, die Diktatur vor al­lem im Ge­gen­satz zum Begriff der Demokratie zu sehen. Genau betrachtet ist die Diktatur aber die Staats­form, in der es keine Gewal­tenteilung gibt, na­ment­­lich keine Tren­nung von Exeku­tive und Legis­la­tive. [470]  Ob beide dieser zen­tra­len Ge­walten von der Person ei­nes Dikta­tors be­herrscht werden, ob eine Ein­heits­par­tei [471]  Gesetzgebung und Re­­­gie­rung kon­trol­liert, oder ob ein Po­­sten­ver­tei­lungs­kartell im Parla­ment sitzt und aus ihm her­aus sowohl die Ge­setze macht als auch über einen Parlamentsaus­schuß mit dem schö­nen Na­men "Bun­des­regierung" al­les im Griff hat, bleibt sich für die Frage nach Ge­wal­­ten­tei­­lung oder Diktatur gleich. Das Staatssystem des Grund­gesetzes wirkt wie ei­ne Parlamentsdiktatur auf Dauer einer Legislaturperiode. Wer über die Mehr­heit im Bundestag ver­fügt, herrscht weit­ge­hend frei über die bei­­den wichtig­sten Staatsgewal­ten und un­terschei­det sich nur noch durch die organisatori­sche Aufteilung auf meh­rere Parteien in Form des Posten­ver­tei­lungskartells von der Parteidikta­tur. [472]  

Dieser Umstand für sich ge­nommen ist indessen weder to­talitär noch un­de­mokra­ti­sch. Ver­steht man "Demokratie" bescheiden als ein blo­ßes System von Spielregeln für die Regie­rungs­bil­­dung, bei dem ein numeri­sches Aus­zäh­lungs­ver­fahren auf der Grundlage des allge­mei­nen Wahlrechts mit min­de­stens zwei Wahl­mög­lichkeiten das Haupt­­­merkmal ist, mag man eine Par­­teidikta­tur auf Zeit für de­mokra­tisch hal­ten. [473]  Für den radikalen De­mo­kraten hat dieses Aus­zähl­ver­fah­ren ei­nen eigen­ständigen Wert. Be­steht die Gefahr, daß diese de­mo­kra­ti­schen Spielregeln zur Ab­schaf­fung der De­mo­kratie benutzt wer­den, muß er sich ent­schließen, auch gegen die Mehrheit Demo­krat zu blei­­ben oder aber sich selbst auf­zu­ge­ben. "Es scheint also das Schick­sal der De­mokratie zu ein, sich im Pro­blem der Wil­lens­bildung selbst auf­zuhe­ben." [474]  Ob man das demo­kratische Prinzip der Par­tei­en­­ver­bo­te und Grund­­rechts­ver­wir­­kung ver­teidigt und das dann "wehr­hafte De­mokra­tie" nennt oder ob man offen die algerische Lö­sung an­wendet und 10000 Aktivisten der un­­de­mo­krati­schen, in der Wahl aber sieg­rei­chen Partei in Lager sperrt: [475]  Jeden­falls ist die de­mo­kra­ti­­sche Dik­tatur kein Wi­der­spruch in sich, es gibt sie wirk­lich. [476]

Totalitär wird die Diktatur, sobald die herrschende Partei An­spruch auf Gewis­senssteuerung des Bürgers erhebt, seinen All­tag in immer mehr Lebensbe­rei­chen er­faßt, in­dem sie ihn z.B. in Mas­senor­ganisatio­nen zwingt, die Grund­rechte sus­pen­diert und Staat und Ge­sell­schaft in al­len Be­rei­chen mitein­ander vermengt. [477]  So konnte Radbruch 1937 formulieren, eine "neue Form des totalen Staates" tren­ne das Recht nicht mehr von der Moral und fordere auch "die Be­herr­schung der Gewis­sen." [478] Wäh­­rend das Bon­ner System eine bür­ger­lich-rechtsstaatliche Form der Par­tei­en­dik­ta­­tur auf Zeit der Wahl­periode ist, ver­stand sich die DDR als Dik­ta­tur des Proleta­riats auf Dau­er und weist, wie ihr rechtes Pen­dant, die NSDAP, ideal­ty­pisch alle Struk­­­tur­merk­ma­le einer totali­tä­ren Dikta­tur auf. So lehnte der Na­tional­so­zia­lismus aus­drück­lich jede Ge­­wal­ten­tei­lung und somit jede Tren­nung von Staat und Gesellschaft ab. [479]  Er hob diese Schei­dung im Gegenteil geradezu be­­wußt auf, in­dem er bei­de, Staat und Gesell­schaft, glei­chermaßen der Füh­rung der Be­we­­gung, das heißt der Partei, un­ter­warf. [480]

Wenn heute wieder na­tional­so­zialistische Kleinstgruppen solche Po­sitionen ver­tre­ten, muß der Vor­­wurf gegen sie nicht lau­ten, sie woll­ten etwa diese Demo­kratie durch eine Dik­tatur er­­setzen. Viel­­mehr wollen sie die Herr­schaft ei­nes liberalen Block­par­tei­en­kar­tells, also einer ge­sell­schaft­lichen Teil­gruppe, durch die ei­ner an­­deren Teil­grup­pe ersetzen. Nicht nur, weil das erst zu ei­­ner Dik­ta­tur füh­ren würde, muß es ent­­schieden abgelehnt werden, sondern weil es auf die to­­tali­täre Beherr­schung des Ganzen durch einen seiner Tei­le hinaus­­­­liefe. Alle Lö­sun­gen, die sich mehr oder weniger offen an das Dritte Reich anlehnen, wür­­den die ge­schil­derten Strukturpro­ble­me des Par­la­menta­rismus noch er­heb­lich ver­schlim­mern, statt sie zu über­winden. In diesem Sinne hatte bereits der Kreisauer Kreis der 20er-Jahre im Ge­gensatz zur NS-Bewegung keinen gang­baren Weg zur Überwin­dung des da­maligen Wei­marer Partei­en­staats darin ge­se­hen, daß eine Partei das poli­tisch-ideo­logische Mo­no­pol zur Aus­schaltung aller üb­ri­gen bean­spruchte. [481]

Wer sich erinnert, weiß, daß im Dritten Reich - wie auch in der struktu­rell ähnli­chen DDR - alles das in Reinkultur vor­han­den war, was wir auch am Parla­mentaris­mus nicht mö­gen: eine Art Feudalsy­stem mit Cli­quen und persönlicher Be­rei­che­rung der Mäch­ti­gen, ein in sich ge­schlossenes Sy­stem ohne Chan­cen für fähige Köpfe mit ab­weichleri­schen Ansichten, kurz: die Herr­schaft eines Teils über das Ganze. Wir er­innern uns noch ein­mal an Hit­lers Rede auf dem Reichs­par­teitag "Triumph des Wil­lens": Nicht der Staat be­­fiehlt uns - nein, wir, die Partei, schaffen uns unseren Staat. Wir befehlen dem Staat, und nicht umge­kehrt. - Treffender kann man nicht ausdrüc­ken, wie man es nicht machen sollte. [482]  Ebenso verfuhr der Mar­xismus im Sow­jet­sy­stem: "Die Partei führt - Der Staat verwaltet!" [483]  Die Natio­nal­soziali­sten wollten nicht die Herr­schaft des Staates, sondern die Herr­­schaft ihrer Bewe­gung. Entgegen dem Teilcharakter ihrer Bewe­gung beanspruchten sie die Totalität des Staates für sich. [484]  Wenn aber Teile, absolut über die an­deren Teile und das Gan­ze be­stim­men wol­­len, ist es gleich­­gültig, ob es sich um ein Ein-Par­tei-Sy­stem oder um ei­nen plu­ra­­listi­­schen Partei­enstaat handelt. Die Un­­ter­schie­de sind un­­ter den hier be­handelten Aspekten nur graduell. Je­de Partei drängt nach dem Mo­no­pol und be­trachtet die Teile des Ganzen, die sich ihm wi­der­set­zen, als gegne­risch. [485]  Ihren Weg zur Macht bah­nen sie sich mit Bür­ger­kriegsgesinnung, und unter den Ge­setzen des Bürger­kriegs stehen ihre Regie­rungsmaßnahmen.

Wer die Wiederaufrichtung eines wie auch immer gearteteten völ­ki­­schen Staats­we­sens unter Ausschaltung der per definitionem nicht da­zu gehörenden Be­völ­ke­rungs­teile anstrebt, muß sich dar­über klar sein, wor­auf das nur hinaus­laufen kann: Der Weg kann nur über die Macht­ergrei­fung einer Partei oder Be­wegung und die absolute Durch­­­drin­gung von Staat und Gesell­schaft zur Auf­he­bung der per­sön­lichen Frei­heit führen. Wer sich ganz einer Partei ergibt, kann das Ganze nicht verste­hen. [486]  Wer sich also dem ganzen Volk ver­pflichtet fühlt, darf es nicht einem seiner Teile überlassen; alle Teile müssen viel­mehr vom Ganzen "genährt, aus­ge­gli­chen und in Ein­klang ge­bracht werden, sollen sie ihre Aufgabe er­fül­len. ... Wer" daher "glaubt, das deutsche Volk, die deut­sche Kul­tur, den deut­schen Staat durch die Dikta­tur Na­tio­nal­den­ken­der retten zu kön­nen, sieht nur das Mor­gen, nicht das Übermorgen, ge­schweige denn die ferne Zu­kunft." [487]  Der das 1930 schrieb, Edgar Julius Jung, wurde 1934 als "einer der schlimmsten Feinde der Bewegung" [488]  - eine welt­anschau­lich richtige Einord­nung - von der Gestapo er­schos­sen. Er hatte er­kannt, daß sich in ihr nicht die Gegenrevolution gegen 1789 ver­bor­gen hatte, sondern die logische Konsequenz der fran­zösischen Re­vo­lu­tion. [489]

Die absolute Republik

Die Einsicht in die Unabdingbarkeit einer Trennung von Staat und Ge­sell­schaft als Vor­be­dingung individueller Frei­heit hat zu einer Re­nais­sance etati­sti­schen Den­kens ge­führt. Die­ses will den Staat von sei­ner Knebe­lung durch gesell­schaftli­che Par­teiun­gen und Grup­pen be­freien und sieht einen ge­sellschaftlicher Ein­flüsse ledi­gen Staat als not­wen­dige Vor­aus­setzung für die Entfaltung der Ein­zelper­sönlich­keit und die Wah­rung des Ge­meinwohls an. Die­ses Denken un­bese­hen als "rechts" zu be­zeichnen, grif­fe zu kurz. Ge­gen­über völ­kisch-kol­lektivi­stischem Gedan­kengut be­ste­hen mehr Un­ter­schie­de als Ge­meinsam­kei­ten. Wäh­rend dort ein Teil der Gesell­schaft den Staat er­obern und des­sen Macht­mittel ge­gen die anderen Teile richten will, die seiner Idee von ei­nem ho­mo­ge­nen Volks­kör­per wi­der­spre­chen, soll der von ge­sell­schaftlichen Einflüs­sen ent­schlackte Staat hier ge­rade das verhindern und zum Wohle aller die Freiheit jedes einzel­nen schützen.

Daß das gewohnte Rechts-Links-Schema hier nicht richtig paßt, zeigt sich auch in der Pe­rson der zur Zeit wohl kon­sequentesten Ver­fechter eta­tistischer Posi­tionen in der ak­tuellen Diskus­sion: Hans Diet­rich Sander, ge­boren in Meck­lenburg, 1948-52 wäh­rend des Studiums in Berlin un­ter dem Einfluß Brechts; Günter Ma­sch­ke, gebür­tiger Erfurter, wirkte 1968-70 in Kuba; und Reinhold Oberlercher, ge­boren in Dres­den und in Hamburg neben Rudi Dut­sch­ke alt-68er SDS-Funk­tionär. Ihre Bio­gra­phie begann ganz links; Oberlercher versteht sich heute noch als Marxist. Die Notwendig­keit des starken, gesell­schaft­li­chen Parti­kularin­teressen entho­be­nen Staa­tes, wie sie Carl Schmitt in seiner dezisio­nisti­schen Politik- und Sou­ve­­räni­täts­theo­rie um­­­rissen hat, betonen sie heute eben­so wie Armin Mohler, der sich Carl Schmitt nicht von links kom­mend, sondern aus origi­när rechter Sicht an­geeig­net hat. [490]  Diese Denker for­dern die Emanzipation des Levia­than von seinen gesellschaftlichen Fesseln.

Die Trennung von Staat und Gesellschaft oder ihre Identität bildet die Gret­­­chen­frage der heu­tigen deutschen Staats- und Verfassungs­leh­re. Eine Tren­­nung ist zwar keine hinrei­chen­de, je­doch die not­wendige Vor­bedingung in­di­vi­du­eller Frei­heit. [491]  Der mo­derne Staat ent­stand in dem Moment, in dem es ge­lang, die Herrschaft der mit­telal­ter­li­chen Stände und die auf perso­nen­be­zo­­ge­­ner Treue beruhende Rechtsord­nung des Feuda­lismus aufzu­brechen und ih­re Kräf­te zum Wohle des Gan­­zen zu­sammenzufas­sen. Alle antistaat­lichen Kräf­te ent­sprangen dem Widerstand der Stän­de und Par­tiku­lar­in­teressen, sich staat­lich in­kor­­porieren zu las­sen. [492]  Im nach­hinein betrachtet las­sen diese Kräfte sich so­zialhistorisch in der Schicht der adligen Grundherren als Inha­ber von Re­ga­lien und Privilegien fassen und ideologiege­schichtlich unter dem Be­griff des hi­sto­ri­schen Kon­­ser­va­tivismus verorten. Ihre Träger waren die ein­geschworenen Geg­ner ei­ner Tren­­nung von Staat und Ge­sell­schaft, weil diese ihre Machtstel­lung be­sei­tig­te, deren letz­te me­ta­phy­si­sche Legiti­mation auf einer gott­gewollten so­zialen Hier­ar­chie be­ruh­te. Dabei nah­men die feu­da­len Stan­desherren für sich in An­spruch, die beru­fenen Interpreten von Got­tes Wil­­len zu sein. [493]  Diese ge­sell­schaftli­chen Kräfte hatte der Staat auf dem Hö­he­punkt des hi­storischen Etatis­mus vor­überge­hend ge­bän­digt und sich als ad­äquate politi­sche Ein­heit der Neu­zeit etab­liert. Das bedeutete konkret, den Adel zu Staats­die­nern zu er­hö­hen und seine Treue auf das Gemeinwohl in Ge­stalt des Staates zu be­zie­hen, nicht: Ad­li­ge zu Höf­lin­gen zu er­niedri­gen. Als­bald setzte unter dem Einfluß sozio­logischer Ge­setz­mä­ßig­kei­ten, die mit dem ehernen Gesetz der Oligarchisierung treffend be­schrieben worden sind, die Gegenbewe­gung ein, in deren End­phase wir uns heute be­finden. Der Staat ist von seinem Anbeginn an von den par­tiku­laren Kräften in Frage ge­stellt wor­den, die ihn schließ­lich zur Strecke brachten. So resi­gnierte Carl Schmitt: "Die Epoche der Staat­lich­keit geht jetzt zu Ende. Dar­über ist kein Wort mehr zu verlie­ren." [494]

Angesichts der gegenwärtigen Verschmelzung von Staat und Ge­sell­schaft und dem Un­­ter­worfen­sein des einzelnen unter ein Amalgam ge­sell­schaft­lich-partei­ischer Gewal­ten, die sich mit staatli­chen Macht­mit­teln be­waff­net haben, stellt sich immer dringli­cher die Fra­ge, von wo­her die zur Tota­li­tät driftende Staats­ge­sellschaft, jenes selbstre­fe­ren­tiel­le Feu­dalsystem, auf­­gebrochen wer­den kann. Es bedarf dazu ei­nes ar­­chi­medi­schen Punk­tes, [495]  und wer den Staat als neutra­le Ge­walt über den gesell­schaftlichen Kräften verwirft oder für histo­risch über­holt an­sieht, soll erst einmal ei­nen an­deren Ansatzpunkt für den He­­bel ei­ner Ge­gen­ge­walt suchen und finden. Aus dem Parteien­we­sen selbst her­aus sind die Kräfte für eine Re­medur nicht zu gewin­nen. [496]

Hier will der moderne Etatismus direkt an das historische Modell des Ab­so­lutis­mus als Gegenmodell zur Vergesellschaftung des Staats anknüpfen. Wäh­rend die etatisti­schen Denker der Gegenwart sich ei­nig in ihrer Ableh­nung sind, ist es nicht immer leicht, ein konkre­tes Bild von dem zu gewin­nen, was ih­nen statt des gegen­wärtigen Zu­standes vor­schwebt. Sicher ist aber: Das Ge­mein­we­sen soll in Rich­tung auf mehr Gemein­wohl­orien­tie­rung hin be­wegt wer­den. Diese er­hofft man sich von einem star­ken Staat als Sach­wal­ter des Allge­mei­nen gegen die Par­tikularinteressen; daher wer­den star­ke In­sti­tu­tio­nen für un­verzicht­bar gehalten, Trennung von Staat und Gesell­schaft so­wie ein staatsbür­gerli­ches Ethos, in dem "Disziplin, Dienen und Ein­ord­nen mit Tole­ranz, Be­schei­denheit und Sitt­lich­­keit ver­schmel­zen." [497]

Daher wird "starker Staat", ganz anders als in der libera­len Zerr­vor­stel­lung vom star­ken Staat, gerade als Vorbedin­gung individueller Frei­heit ver­stan­den. Was uns heute von li­bera­ler Seite mit warnend er­ho­be­nem Zeige­fin­ger als ab­schreckendes Bei­spiel für einen "starken Staat" vor­­gehalten wird, näm­lich die Herrschaft eines "starken Man­nes" von 1933 bis 19­45, war aus Sicht der Etati­sten das genaue Ge­gen­teil: ein schwa­­cher, ohn­mächtiger Staat un­ter der Kuratel einer to­tali­tären Par­tei. So bringt Sander die von der Mehr­par­­teiengesell­schaft er­ober­te BRD und das von einer Ein­heits­­partei eroberte Drit­te Reich auf den ge­­mein­samen Nenner der Un­staat­lichkeit: "Jedenfalls er­wiesen sich alle Ver­­suche, die Bundesrepublik, die nie ein Staat gewesen ist, zur Staat­lich­keit zu überre­den, nicht minder fruchtlos, als die Experimente von 1933/34, das Dritte Reich, das eine über­kommene Staatlichkeit in sich ver­­schlang, zum Staat zu be­kehren." [498]

Und wenn von liberaler Seite weiter ent­setzt abgewehrt wird, ein starker Staat müsse zum Verlust individueller Freiheit führen, kon­tern Etatisten mit dem Hin­weis auf den jetzigen Zustand bun­desdeut­scher Geistes­freiheit: Tat­säch­lich lastet heute die öffent­li­che Meinung über unserem Ge­mein­wesen wie ein ge­schlossener Alp­traum. Die Herr­­­schaft des be­kannten Meinungsmono­pols ist so un­angefoch­ten, daß es aus­sche­­rende Or­gane immer wieder unter jenen Alibi­zwang setzt, aus dem sie nicht die volle Wahr­heit wagen oder sich unbe­que­mer Mitar­beiter ent­ledi­gen." [499]  "Dabei ist die Spann­weite des­sen, was ohne Sanktio­nen ge­sagt und gedacht werden kann, seit den fünf­zi­ger Jah­ren per­manent re­­duziert worden. 1955 etwa erschien das Buch von Win­fried Martini, 'Das Ende aller Sicherheit', eine der schärfsten Kri­tiken der par­la­men­ta­ri­schen Demokratie, in der Deutschen Ver­lagsan­stalt, ei­nem der größ­ten Verlage. Die­ses Buch könnte heute al­len­falls in einem versnobten oder in ei­nem winzigen rechts­ra­dika­len Verlag erscheinen. Der Raum der geistigen Freiheit ist gera­de­zu ver­dampft." [500]

Hat man erst einmal alle heiligen Kühe des Grundgesetz-­Ka­techis­mus als ma­gere Zie­gen ent­larvt, kann es unter dem Schutz des star­ken Staates eigent­lich nur noch auf­wärts ge­hen. Der Blick hebt sich dann von den Nie­de­run­gen der BRD-­Gewalten­tei­lung, die gar keine ist, son­dern Parteiendik­ta­tur mit Pöst­chen­vertei­lung; von der Mei­nungs­­frei­heit, die man nicht nutzen kann, weil die Me­dienfo­ren fest in Hän­den des Parteienkartells sind, vom Cliquen­feudalismus auf zu den lich­ten Höhen der absoluten Republik, in der das Ge­meinwohl mit Po­te­stas und Autoritas in der Hand ei­nes Prin­ceps legibus solu­tus liegt. [501]  Las­sen wir den Haupt­vertreter der "absoluten Republik" selbst zu Wort kommen:

"Wir erhalten eine Vorstellung von den Konturen der politi­schen Neu­­ord­­nung, wenn wir das Muster der absoluten Monar­chie, das in Preußen zur Voll­endung ge­langte, re­publi­kani­sieren. An die Stelle des Monarchen tritt in dieser absolu­ten Re­publik der Präsi­dent mit ei­ner ähnlich langen Amts­dauer, die nötig ist, um wieder eine Kontinui­tät zu be­grün­den. Der Präsident re­giert wie ein Mon­arch mit einem Kabi­nett von Fachministern, die er ernennt und entläßt. Diese Regie­rung ist so­wohl Exekutive wie Legislative, deren Tren­nung zu den Mythen der neueren Staatsrechts­lehre gehört. Sie ist Exekutive und Legis­la­tive im Dienst eines Ganzen, und nicht im Dienst eines Oli­go­pols oder eines Mo­no­pols. Die Fachminister stützen sich, nach dem ca­meralisti­schen System der abso­luten Monar­chie, auf freie Kam­mern, die von neu zu grün­den­den Berufs­verbän­den durch eine aus Er­nennung und Wahl gemischte Be­ru­fungs­pro­ze­dur be­schickt wer­den, die durchläs­sig sein muß für den Aufstieg von Be­ga­bun­gen, die nun einmal mei­stens sperri­ger Natur sind. Das allgemeine Wahl­recht wird auf die kommunale Ebene beschränkt, die der Wähler übersehen und beurtei­len kann, als den traditionel­len Bereich der Selbstver­wal­tung..." [502]

Auf den Einwand, wie denn der Parteienfeudalismus in die absolu­te Re­pu­­blik trans­for­miert werden könne - die Parteien könnten ja viel­leicht etwas da­ge­­gen haben - verweisen Staatsabsolutisten auf den "von der Rechts­wis­sen­schaft ent­wickelten Be­griff der kom­missari­schen Dikta­tur". Diese "ist von der Ge­schichte von ver­schie­de­nen po­li­tischen Organisati­ons­for­men mit Er­folg ange­wendet wor­den; zu­letzt sehr kurz­fristig, weil sehr wir­kungsvoll, auf dem Höhepunkt der fran­zö­­sischen Krise von 1959, als General de Gaulle die vierte durch die fünf­te Re­publik ersetzte." [503]  "Der erste Schritt der Remedur be­steht in einem Eliten­wech­sel, der einen Ori­en­tie­rungs­rutsch voraus­setzt, wie er die SED plötzlich heimsuchte. Der zweite Schritt be­steht in ei­nem Ab­bau der Europäisierung Deutschlands, der sich auf dem Weg von Bonn nach Ber­lin zu vollziehen hat. Der dritte Schritt be­steht in ei­nem Sy­stemwechsel durch Preu­ßifi­zie­rung. Gelingt die Re­­medur nicht im fah­renden Zug, er­zwingt sie der Crash." [504]  Damit meint San­­der den Zu­sammen­bruch der von in­nen verfaulten Bundes­republik und pro­phezeit: "Sie kann von nichts mehr ge­halten werden und ver­dient es auch nicht." [505]  -

Dieses Denkmodell geht also über die bloße Trennung von Staat und Ge­sell­schaft weit hin­aus. Es ist eine Kampfansage des Staates an die Gesell­schaft, ein Programm zu ihrer Do­mestikation und Beherr­schung und eig­net sich als ex­treme Gegenposition zum Partei­enstaat besonders zur exem­pla­ri­schen Er­klärung rein etatistischer Denk­weise. Als solche hat sie auch im ei­genen La­ger ihre Kri­tiker. Lorenz von Stein fol­gend [506] , sieht Oberlercher in der "Verstaatlichung der Ge­sell­schaft keine verlockende Alterna­tive zur ge­gen­­wär­tigen Un­terwer­fung des Staates unter die Gesellschaft mittels ihres Par­teiensy­stems." Der Extre­mismus des Libe­ralis­mus sei die Natur- und Volks­zer­­set­zung, weil alle aus allem Kapital schlagen wollen; der Ex­tre­mis­mus des Eta­tis­mus sei aber der Abso­lu­tismus. Er fordert da­her ein po­li­ti­sches Konzept, in dem die Ge­sellschaft als staatstragend und der Staat als so­zial­ver­träglich vor­gestellt werden kann. [507]  Ganz ähnlich be­zeichnet Dahrendorf die absolute Durchsetzung des einen Prin­zips gegen das andere als "Versuchung": "Die der Wett­be­werbs­fä­higkeit ist der grenzenlose Individualismus, der die Schwa­chen bei­seite läßt. Die Versuchung des sozialen Zu­sam­menhalts ist die Volks­na­tion, der Nationalismus oder Fun­da­mentalis­mus." [508]

Tat­sächlich ist die völlige Trennung des Staates von der Gesell­schaft eben­­so­wenig frei von Gefahren wie ihre völlige Verschmel­zung. Sie bestehen in der Ent­wicklung des Staates zu einer über der Gesell­schaft stehenden, sich ihr im­mer mehr entfremdenden Macht. "Daß das in sei­ner Natur der kon­stitutio­nel­len Mon­archie entspre­chende Mo­dell einer sich auf 'Sachzwänge' grün­­den­den, in ei­nem tech­nokra­tischen Re­gime und seiner Bürokratie ver­kör­perten, von der Notwen­dig­keit ge­sell­schaftlicher Legitimation entbun­den­en Staa­tes von gerin­ger [...] Ak­tualität [...] wäre, wird angesichts der be­kann­­­ten Schwie­rigkei­ten mo­derner De­mokratie kaum ange­nom­men wer­den kön­nen." [509]  Die ab­so­lu­te Re­publik ist nicht der ge­mütliche Wohl­­fahrts­staat, nicht die spieß­bürger­liche Ku­sche­lecke und auch nicht die gute alte Zeit, in der man sich noch das Herz am ange­­stamm­­ten Dy­na­sten­haus erwärmte. Es ist die hart das Gemeinwohl ein­­fordernde, Dis­zi­plin und Pflicht­erfül­lung heischende, die "ab­so­lute" Repu­blik, in der jeder zual­lererst Staats­bür­ger und damit auf das Staats­ethos ver­pflichtet ist. Die "feigen, fetten Frit­zen" der Wohl­­stands­­ge­sell­schaft wer­den al­lerdings mehrheit­lich im "unver­söhn­li­chen Gegen­satz" [510]  zu einer solchen preu­ßi­­schen Staats­auf­fas­sung ste­hen. Die Tra­di­ti­ons­­li­ni­en die­ses heute fast ausge­storbe­nen Staats­ethos ziehen sich von Fried­rich dem Großen ("Ich bin der erste Die­ner mei­nes Staa­tes.") und dem preußischen Be­amtentum aus dem Geist des Dienstes an der All­gemeinheit, dem Staat, bis in un­ser Jahr­hun­­dert.

Sie verkörpern sich beispielhaft in Persönlichkeiten der konservati­ven Re­vo­lu­tion wie Ernst von Salomon. 1902 geboren und in einer preußischen Kadet­ten­anstalt erzo­gen [511] , hatte Sa­lo­mon sein politisch bewußtes Leben in der Zeit des Zusammen­bru­ches 1918 be­gonnen und stand mit seiner etatisti­schen Grundhal­tung [512] , seiner Ver­pflich­tung auf das Ganze, ver­ständnislos vor den staats­auflö­senden Ten­denzen des li­bera­len Parla­mentaris­mus, der Ne­ga­tion der Staatsräson und dem ideo­lo­gisier­ten Welt­bürgerkrieg. Diesen fochten die Rechts-Links-Par­teien auf Deutsch­lands Straßen blutig aus­, während franzö­sische Be­sat­zungs­soldaten durch die Straßen marschierten. 1933 er­wies die Grund­hal­­tung dieses auf ein Staatsethos bezoge­nen Stran­ges "rechten" deut­schen Den­kens sich end­gültig als resistent ge­genüber der to­talitären Ver­su­chung und der Er­obe­rung des Ganzen durch eine Partei, und nur aus diesem Geist sind die Worte des 20. Juli 1944 vor dem Erschie­ßungs­kommando ver­steh­bar: "Es lebe das ewige Deutsch­­land!", näm­lich die geistig ungeteilte Na­tion, das Reich, der Staat, nicht hingegen die "Bewegung" einer einzelnen Par­tei.

Schon in den 20er und 30er Jahren hat sich das staatsbezo­gene Den­ken ei­nes Teils der rechten Intelligenz in der Zeit der konservati­ven Re­vo­lution in Deutsch­land nicht als mehr­heitsfähig erwiesen. Zu über­mäch­tig war der Druck der hochi­deologisierten Mas­senparteien KPD und NSDAP [513] , zu groß die Ver­suchung, Partei zu sein und auf der anderen Seite der Barrikade den abso­lu­ten Feind zu vermuten. Sollte das Zeitalter des Weltbürgerkriegs, 1917-1989, aber jetzt tat­sächlich zuende gegangen sein, was Ernst Nolte überzeugend auf­ge­wie­sen hat, und sollten mit dem 20. Jahrhundert auch die öko­lo­gisch fetten Jahre enden, dann könnte sich die Frage nach dem geeig­ne­ten politi­schen System zur Krisenbe­wältigung ganz anders stellen.

Während die absolute Republik fraglos kein ausgewogenes Ver­hält­nis zwi­schen der durch den Staat verkörperten Ge­mein­wohl­orien­tierung und dem Frei­heitsan­spruch des durch jahr­zehntelan­gen Libe­ra­lismus verwöhnten Indivi­duums dar­stellt, könnte eine glo­bale Öko­krise die Parameter umkeh­ren. Wolf­gang Ve­nohr pro­phezeit, daß die Öko-Diktatur be­stimmt komme. Mit ihr werde die Wohlfahrt des Ganzen die Rechte des einzelnen über­lagern. Schon ein Jahr nach Ve­nohrs Prophe­zeiung wurde in Hessen eine Debatte um von der Regie­rung geplante rigide büro­kratische Vorschriften von der CDU-Op­po­sition unter dem polemischen Begriff der Öko-Diktatur geführt. Wenn im kommenden Jahrhun­dert ganze Völker von Über­schwem­mungen bedroht sind, sagt Venohr weiter voraus, das weltweite Ozonloch nur noch einen 15minütigen Auf­enthalt im Frei­en er­laubt, die Wälder gestorben und die Böden aus­gedörrt sind, wenn täg­lich in der Welt nicht mehr nur Tausende, sondern Mil­lionen ver­hun­gern und die Heer­scharen der Halbver­hungerten in die land­wirt­schaftlich noch produzie­ren­den Länder ein­strömen, dann kön­ne man nicht mehr nach dem In­ter­esse des einzel­nen fragen und habe auch keine Zeit mehr, parteipoli­tische Bera­tungsgremien dis­ku­tieren zu lassen. Der Frei­heitsraum des einzel­nen kann nicht mehr das höch­ste aller Güter sein, wenn die Existenz ganzer Völ­ker auf dem Spiel steht. Im Innern des Staates werden dann schnell dra­ko­ni­sche Maß­nah­men getroffen wer­den müssen, die den ein­zel­nen emp­find­lich tref­fen, um die Ge­mein­schaft zu retten. "Eine neue Zeit kün­digt sich an. Um in ihr zu beste­hen, werden sich ins­be­sondere die Deut­schen an ein großes Vorbild erin­nern müssen, an eine öf­fentli­che Haltung, in der Diszi­plin, Die­nen und Ein­ord­nung mit Tole­ranz, Sitt­lichkeit und Be­schei­denheit ver­schmolzen wa­ren, kurz: Die Deut­schen, wenn sie überle­ben wollen, wer­den sich in eine preußi­sche Façon versetzen müs­sen." [514]

Man empfindet die Genugtuung in den Worten des Preußen Ve­nohr, für den pro­phe­zei­ten Fall ei­ner schrecklichen Zukunft gera­de diejenigen Tugen­den als lebens­not­wendig heraus­stel­len zu kön­nen, die ihm so­wieso Herzens­sache sind. Hier trifft sich seine Zu­kunftsvi­sion in der Sache, wenn auch nicht der In­tention, mit Ernst Nolte, der als Li­bera­ler seufzend zu­geben muß: "Ent­schlos­se­ne Hand­lungsbe­reit­schaft oder ein Ethos der Tapferkeit und des Ver­zichts sind ihm (erg.: dem Libera­lis­mus) nicht eigen­tümlich, und es mag eine Zeit kommen, wo eine Notsi­tuation nach eben die­sen Eigen­schaften ver­langt, so daß das System erneut in Gefahr ge­ra­ten könn­te." [515]  Ob man diese Ent­­wicklungen nun als Mor­gen­rot begrüßt wie Venohr oder sie als Gewit­ter dräuen sieht wie Nolte: Es bleibt mit der Idee der preußi­schen, der abso­luten Republik das Mo­dell ei­nes streng dis­zi­pli­nie­ren­den Machtstaates, das nur zur Zeit nicht aktuell ist, ei­nes Staates, den man nicht liebt und nach dem sich si­cher­lich auch nur we­nige seh­nen, der aber dereinst einmal die Ultima ratio sein könn­te, wenn die Alter­native zu ihm nur noch das Chaos ist. [516]

Die Strategie der Systemüberwindung

Das strategische Ziel

Die geschichtliche Erfahrung und der Ausblick auf die sich ab­zeich­nen­den Probleme des 21.Jahrhunderts lehren, daß ein Volk in seiner Geschichte, je nach Lage, ver­schiede­ne Ver­fas­sungen brau­chen kann, um seine Identität zu bewah­ren. [517]  Wir befin­den uns in ei­ner Zeiten­wende, die einen System­wechsel erfor­dert, wenn wir uns nicht als deutsches Volk selbst aufgeben und durch ei­ne von Brüs­sel und der Macht multi­nationaler Konzer­ne und Einfluß­lob­bies leicht mani­pu­lier­bare, multi­kulturelle, amor­phe Ver­brau­cher­masse er­set­zen las­sen wol­len. Daß der deutsche Staat der archi­medi­sche Punkt ist, der allein un­sere Ge­gen­kräfte bündeln kann, ha­ben alle die schon lange be­griffen, die aus unter­schiedli­chen Gründen am Fortbe­stand des deutschen Vol­kes uninteres­siert sind oder es substantiell zer­stören wollen.

Wie Hitler mit den Juden als Volk die von Juden maßgeblich ge­tra­gene Mo­derne und den Intellektualismus physisch vernichten woll­te, [518]  möchten heu­te radikale Multikulturalisten mit den Deut­schen als Volk geistige Tra­di­tions­­linien aus­mer­zen. Das erinnert "an Bert Brechts eigentlich satirisch gemeinten Rat, wenn der Regie­rung das ei­ge­ne Volk nicht mehr passe, solle sie doch ein anderes wählen. Tat­säch­lich braucht die Lin­ke in der Mitte Europas etwas anderes als das bisherige deutsche Staats­volk, will sie sich auf unserem Gebiet über das Jahr­hundert hin­weg behaup­ten." [519]  "'Deutsche Anti­fa­schi­sten' ver­tre­ten [...] eine The­se der anti-deutschen Pro­pa­gan­da des Zwei­ten Welt­krieges: Der Na­tio­­nal­sozia­lis­mus sei das zwangs­läufige Er­geb­nis au­to­ri­tärer, krie­ge­rischer, obrig­keits­staat­licher, anti­liberaler Ten­den­zen der deut­schen Ge­schichte. Für die 'pro­gres­siv'-he­do­ni­sti­schen In­tellek­tuel­len stellt der ord­nungs­lie­bende, au­to­ritäts­hö­rige, aggres­­sive, 'aus­län­der­feind­li­che' Deut­sche den Gegentypus des pro­gres­­siven Ide­als dar. Der 'Anti­fa­­schist' wird damit automatisch zum Geg­­ner deut­­schen We­sens, deut­scher Tradition und nationalen Selbst­­be­wußt­seins." [520]  Er hofft, "daß in einer nicht allzu fernen Zu­kunft die Mitte Eu­ro­pas nicht mehr von einer deutschen Nation be­wohnt werden würde, die ihr Ge­schichts­­­be­wußtsein, nach der Kor­rektur von allzu einseitigen Ankla­gen, auf neue Weise be­grün­det hätte, sondern von einer multiethni­schen Be­völ­ke­rung, die, wie man meint, den Frieden der Welt sichern sowie einen höchst er­wünsch­ten Beitrag zum Aus­gleich der Le­bens­verhältnisse auf der Erde lei­sten würde. [...] So wie einst an die Stelle der ge­schicht­li­chen Nation die na­tur­hafte 'Rasse' treten sollte, so soll heute die Na­tion oder das Staats­volk durch eine nicht mehr geschichtli­che Be­völkerung der Su­per­markt­zi­vi­li­sa­tion ab­gelöst werden." [521]  In diesem Sinne fordert ein "Fried­rich auf der Hut" [522]  unter dem Ti­tel 'Gleich und gleich macht krank und bleich' aggressiv anti­deutsch und "umgekehrt"-rassistisch die Schaf­fung einer "hö­he­ren" Mensch­heits­mi­schrasse, weil das deut­sche Volk ohne­hin in­züch­tig-dekadent sei: "Die Ge­setzgeber al­ler Län­der sind nun ge­fordert. Ehen unter Gleich­häuti­gen, Gleich­­haa­ri­gen und Gleichäugi­gen müs­sen strikt untersagt wer­den. Ziel: Hebung des glo­ba­len Intel­li­genz­quotienten. [...] Helfen Sie [...] mit, den Ho­mo futurus [...] zu schaf­fen."

In ihrem pathologischen Selbsthaß zerstören sie bewußt die kultu­rel­le, dann die politische und schließlich die physische Existenz des deut­schen Vol­­­kes. Auf ein derartiges, im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 1990 abgedrucktes Grund­­­­lagenpa­pier der aus dem Kom­mu­ni­stischen Bund hervorgegangenen Radi­ka­len Linken verweist Knüt­ter: "Die Lin­ke müsse den Haß auf das eigene Va­ter­land schü­ren und die­ses be­kämp­fen. Das erklärte Ziel sei die Zer­stö­rung des deutschen Staa­tes und die Auf­lö­sung des deutschen Vol­kes in eine mul­ti­kulturelle Ge­sell­schaft." [523]  Diesen Absich­ten zu wi­dersprechen, ist mehr als ei­ne Frage anderen Ge­schmacks oder welt­an­schaulicher Beliebigkeit. Die End­­lö­sung der deutschen Fra­ge wird Hand in Hand betrieben von ei­ner Front politi­scher Ex­ter­mi­natoren, die von Autonomen bis zur Geiß­ler -Süß­muth-Truppe [524]  reicht. Sie bietet nicht nur den­jenigen be­son­de­ren An­laß zur Ge­gen­wehr, denen ein heroischer Rea­lis­mus oh­nehin Her­zens­sa­che ist.

Für jeden, der sich mit dem deut­schen Volk identifiziert, geht es um nichts we­ni­ger als das nackte Überle­ben, nämlich darum, als Deutscher in einem als "deutsch" de­fi­nierten Land unter Landsleuten leben zu dürfen. Wenn der Be­griff vom 'Na­tur­recht' überhaupt irgend einen Sinn haben soll, dann den­je­ni­gen, daß jeder sich und die Seinen mit allen Kräften ver­tei­di­gen kön­nen darf und muß. "Welcher Edel­den­kende will nicht und wünscht nicht in seinen Kindern und wie­de­r­um in den Kindern dieser sein eigenes Leben von neuem auf eine ver­besserte Weise zu wiederholen und in dem Leben derselben ver­edelt und vervollkommnet auch auf dieser Erde noch fortzuleben, nach­­­dem er längst gestorben ist?" Wer wollte nicht durch das beste Ver­­mächt­­nis seines Denkens in seinen Nach­kom­men "offenbare Denk­­­ma­le hin­terlassen, daß auch er dagewesen sei?" Die Fort­dauer sei­ner Wirk­samkeit grün­det er auf die "Hoff­nung der ewigen Fort­dau­er des Vol­kes, aus dem er selber sich entwickelt hat, und der Ei­gen­­tüm­lich­keit dessel­ben." Diese ist "das Ewige, dem er die Ewigkeit sei­ner selbst und seines Fortwir­kens anvertraut"; die "Ord­nung der Din­ge", die sich in ihm verkörpert und in der er sich selbst wie­der fin­det. Ihre Fort­dauer muß er wollen, denn sie allein ist ihm das Mittel, wo­durch "die kurze Spanne seines Lebens hienieden zu fort­­dau­ern­dem Leben aus­gedehnt wird." [525]

Wenn der Selbsterhaltungstrieb als 'natürlich' gel­ten darf, muß der um­ge­kehr­te Rassismus, die Lust an der Selbst­zer­stö­rung, als wi­der­na­tür­li­che, patho­lo­gi­sche Perversität bezeichnet werden. "Es ist mo­ra­lisch nicht ver­tret­bar, aus ethni­schem Selbsthaß oder aus Gleich­gül­tig­keit Bedingungen her­bei­zu­führen, durch die die Zu­kunft der eige­nen Ge­mein­schaft gefährdet wird. [...] Selbst­her­ab­set­zung, Selbst­be­schul­di­gung und unent­wegte Übung in Selbst­zer­knir­schung führen zur Selbst­zerstö­rung. [...] Man verschenkt nicht die Zukunft sei­ner Enkel, auch nicht aus humanitä­ren Gründen. Wer alle Welt umarmt und darüber seine Ange­hörigen vergißt, han­delt nicht human, mag er sich noch so in dieser Rolle gefal­len. [...] Es muß gestattet sein, das nicht zu ak­zep­tie­ren," resümiert der Ver­hal­tens­for­scher Eibl-Eibes­feldt. [526]  

Während in deutschen Städten Jugendliche "Nie wieder Deutsch­land!" [527]  an Haus­wände schmie­ren und sich als antifa­schistische Hel­den vorkommen, macht man sich beim Bonner Establishment und sei­nen westlichen Freunden vor allem Sor­gen, wie man Deutsch­land macht­los hält, in­dem man es mili­tä­risch, politisch und wirt­schaft­lich "einbindet". Dem geplanten mul­ti­kul­tu­rel­len Genocid am deut­schen Volk entspricht im politischen Bereich die ein­ge­lei­tete Ent­mündigung und Un­ter­stel­lung unter die Brüsseler Bürokratie. Wäh­rend die deut­sche Staat­lich­­keit im In­nern an libe­ralisti­scher Schwind­sucht leidet und das Gemein­wohl Sonderinter­essen zum Opfer gefallen ist, wer­den die Restbestän­de sou­ve­räner staatlicher Hand­lungs­macht von Brüs­sel auf­ge­sogen. So wird die ein­zi­ge Instanz, die nach ihrer Zweck­be­stimmung ori­­gi­när deutsche Interessen ver­tre­ten müß­te, von zwei Seiten in ei­nen Zan­gen­griff ge­nommen und ent­leert.

Wie durch Millionen fort­pflan­zungs­freu­di­ge Türken und an­de­re aus­ländische Mitbürger und moslemische Mit­christen in deut­schen Zen­­tren ir­re­ver­sible Fakten geschaffen wer­den sollen, will die heute herr­­schende Generation der "Betroffenen" auch durch den Weg nach Eu­­ropa alle Brücken hinter sich ab­brechen. Hier sieht sie die letzte Zu­­flucht vor ihrem ungeliebten Schicksal, als Deut­sche auch deutsche Politik machen zu müssen. Es irrt aber, wer meint, durch ei­ne Freund­­schaftserklä­rung an alle Welt oder durch Auf­gabe der eige­nen Selbst­­bestimmung das Politische aus der Welt schaf­fen zu kön­nen. "Wenn ein Volk die Mühen und Risiken der po­litischen Exi­stenz fürch­tet," bemerkte kühl Carl Schmitt, "so wird sich eben ein anderes Volk fin­den, das ihm diese Mühen ab­nimmt, in­dem es seinen 'Schutz ge­gen äußere Feinde' und damit die politische Herr­schaft übernimmt; der Schutz­herr be­stimmt dann den Feind, kraft des ewi­gen Zu­sam­men­hanges von Schutz und Ge­horsam." So mar­schierten die po­li­tischen Groß­väter Helmut Kohls 1812 unter der Tri­kolore zum Ruh­me Frank­­reichs gegen Ruß­land, und so werden deut­sche Söh­ne dereinst unter "euro­päi­schem" Kom­­mando sterben, in So­malia, im Irak, in Li­by­en oder anderswo. "Da­­durch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, ver­schwin­det das Politi­sche nicht aus der Welt. Es ver­schwin­det nur ein schwaches Volk." [528]

Unser strategisches Ziel kann nur die selbstbe­stimmte und daher selbst­or­ga­nisierte deutsche Staatlichkeit sein. Ihre Aufgabe es ist, die Fundamen­tal­garantie für den Frieden im Innern und den Schutz nach au­ßen zu über­nehmen, [529] die je­de Art von individueller und gesell­schaft­licher Freiheit und den Frieden erst er­möglicht. [530]  Wir brau­chen un­seren Staat als um­fas­sen­de Schutzhülle für unser gesell­schaft­liches Leben im Inneren und für un­sere gemeinschaftliche Existenz nach au­ßen. Objekt der Befrie­dung und des Schutzes ist also auch das deut­sche Volk als ge­schicht­liche Grö­ße, also nicht nur als Ge­samt­ge­sell­schaft, also Summe der bloß zu­fällig heute hier woh­nenden Men­schen. Dieses Volk als Schutz­ge­mein­­schaft für unser aller Freiheit zu den­ken und uns Le­ben­de in die­sem Sinne als unse­ren Vorfahren und Nach­­­kom­men ver­pflich­tet zu verstehen, [531]  ist der Sinn deut­scher Staat­­lichkeit. "Keiner lebt für sich allein. Jeder ist auf Gemeinschaft ... in der Abfolge der Generationen an­gewiesen." [532]  Zu die­ser Ge­mein­schaft gehören alle, die sich zum "deut­­schen Volks­tum als national ge­präg­ter Kultur­ge­meinschaft, nicht als an­er­kannter oder nicht an­er­kannter Rechts­in­sti­tution, son­dern als einer rechtlicher Wer­tung a priori vor­gege­be­nen Seins­form, be­­kennen oder nicht be­ken­nen." [533]  

Wer das anders sieht, mag sich der deutschen Vergangenheit schä­men, kin­­derlos blei­ben und Deutschland zum Einwande­rungsland er­klä­ren, damit die Kinder ande­rer Völker ihm im Alter seine Rente zahlen. Er mag sich auch von Brüssel regle­mentieren lassen und sich als "Europäer" oder gar "Welt­bür­ger" fühlen. Danken wird es ihm nie­mand. Für diese Haltung ist cha­rak­te­ri­stisch, daß viele Deut­sche heute nicht mehr in der Lage sind, sich als ei­ge­nes Volk mit ei­gen­tümlichen Merk­malen und eigenen Interessen wahr­zu­neh­men. [534]  Wer sich, von jahrzehnterlanger Charakterwäsche indok­tri­niert und neu­ro­tisiert, sei­ner Wurzeln schämt, mag lustvoll selbst seine Identität auf­ge­ben. Doch wird er mit ihr seine Freiheit ver­lie­ren und sich selbst auf die Rol­le ei­nes Konsumenten in einem ge­mein­samen Markt von ein paar hun­dert Mil­lionen Ver­brauchern re­du­zieren. Der Ver­lust von Identität und Tra­dition eb­net den Weg zum "zur Masse degra­dierten, naturent­frem­de­ten, nur an kom­merzielle Werte glau­benden, ge­fühls­ar­men, ver­hau­stier­ten," politisch in­­dok­­­tri­nier­baren und durch die Groß­­in­du­strie ma­ni­pu­lierba­ren [535]  Ein­heits­verbraucher; ebnet den ame­­­­ri­­can way of li­fe. Die von ihren modernen Geldherren in dump­fem Li­beralismus gefangene Masse in ein seiner selbst be­wuß­tes Volk zu­rück­­verwandeln zu wol­len, heißt da­her nicht, für das Volk als "völ­ki­­sches" Hirngespinst ein­zu­tre­ten, sondern Bevölke­rung zum für jede De­­mo­kratie unentbehrlichen Subjekt zurückzu­verwandeln, zum selbst­­­bewußten ÄÞìïò. Es bedeutet auch, die republikanische Tu­gend der virtú gegenüber egozentrischer Eigensucht wie­der­zu­be­le­ben, und diese Tüchtig­keit bezieht sich immer zurück auf das Volk als Sub­jekt. 

 

Strategisches Ziel muß daher sein, ein gerade so starkes Maß an deut­scher Staat­lich­keit zu be­wahren, wie es benötigt wird, um das deut­sche Volk sub­stantiell zu erhal­ten, Bür­gerfrei­heit gegenüber in­län­di­schen und interna­tio­na­len ge­sell­schaftlichen Macht­grup­pen zu be­wah­ren und zurückzuge­win­nen, die selbst­bestimmende Mit­ver­ant­wortung dem Po­sten­vertei­lungskartell wie­der ab­zu­rin­gen und vor Fremd­be­stim­­mungs­gelüsten zu schüt­zen. "Der Staat ist notwendige Be­din­gung einer gerechten, sozialverträglichen, die Freiheit aller er­mög­li­chen­den Ordnung des menschlichen Zu­sam­menlebens, und er muß sich darum gegenüber allen innner­staat­li­chen Macht­grup­pie­run­gen als über­legen erweisen." [536]  Ein star­ker Staat ist ebenso not­wen­dig wie eine starke Gesellschaft, und eine star­ke Ge­sell­schaft eben­so not­­wendig wie ein starker Staat. Das mensch­li­che Zu­sam­men­leben darf nicht einseitig von einem die­ser seiner bei­den Aspekte re­giert wer­­den. Wir müssen da­her das strategi­sche Ziel klar ins Blickfeld rücken, weil wir es sonst einer­seits nicht erreichen kön­nen, an­de­rer­seits aber auch nicht über das Ziel hinaus­schießen und in der ab­so­lu­ten Republik lan­den dürfen, die wir uns als frei­heits­lie­bende Men­s­chen allenfalls für den letz­ten Notfall aufheben möch­ten. Wer meint, dieser Notfall sei heute schon da, mag das an­ders se­hen.

Vor allem aber müssen wir klar zwischen Strategie und Tak­tik un­ter­schei­den. Mög­li­cher­weise werden wir das strategi­sche Ziel nicht di­rekt, son­dern nur auf ei­nem Um­weg über taktische Zwi­schenlösun­gen erreichen kön­nen: Be­dau­er­li­cher­wei­se gibt es nämlich viele Poli­tiker und politikabhängige Bürger, die vom ge­gen­wärti­gen System gut leben und es da­her bis aufs äu­ßerste ver­teidi­gen wer­den. Nie­mand von ihnen wartet etwa dar­auf, hier nach Feierabend nach­zu­le­sen, wie er sich selbst dadurch ent­machten kann, daß er uns frei­wil­lig die Macht über­läßt. Haupthin­dernis­se auf dem Weg zum Ziel sind al­so alle, die dem von Scheuch so genannten Po­stenvertei­lungs­kar­tell der etablierten Par­tei­en angehö­ren, weil diese die Zu­gänge zu den von ihm befal­lenen staatli­chen Ent­schei­dungs­gre­mien mit ihren Ge­folgsleuten ver­stopft hal­ten. Der Speyerer Verfassungsrechtler von Arnim sieht durch sie eine "systembedingte Reform­blockade". [537]  Ihr Feu­dal­sy­stem muß, wie Scheuch so schön for­mu­lierte, auf Bundesebene be­seitigt wer­den. Mit "be­sei­tigt werden" sind natür­lich nicht jene Par­teien als sol­che ge­meint, son­dern die ihre Macht stabilisie­ren­den soziologi­schen und ver­­fas­sungs­rechtlichen Si­che­run­gen. Oder mit den Worten von Ar­nims: Weil die Män­gel ganz über­wie­gend struk­tur- und sy­stembe­dingt sind, gilt es, diese Struktu­ren und damit das System selbst zu än­dern. [538]  Die Verfas­sungs­struk­tu­ren müs­sen so um­gebaut und re­for­miert wer­den, daß sie dem Staat die Verfol­gung des Angemesse­nen und Not­wen­di­gen er­leich­tern und die organi­sierten Parti­ku­larin­ter­es­sen, die "in­termediären Kräfte" [539] , in ih­re Schran­­ken wei­sen. Das Ziel läßt sich daher nur er­rei­chen, wenn vor­her das selbstrefe­ren­tielle Feu­dal­sy­­stem auf­ge­knackt und dadurch für Struk­tur­ver­än­de­rungen ge­öff­net wird. Je­des Mit­tel, das uns die­sem Zwi­schen­ziel nä­her­bringt, darf uns als tak­ti­sche Zwi­schen­lösung will­kom­men sein. Das libera­le Syndrom kann gegenwärtig nur so bekämpft werden, daß wir den demo­kra­ti­schen Gedanken gegen den liberalen aus­spielen. Dieser ist der Feind, jener ist unser Mittel zum Zweck.

Das Angriffsobjekt

Was also steht dem Ziel im Weg? Welche Regelhaftigkeiten sind es kon­kret, die die­jeni­gen Politiker zu tragischen Helden machen, die nicht mit den Wölfen heulen? Die Re­geln des Systems sind im Ver­fas­sungsstaat zuallererst und an wichtig­ster Stelle im­mer die im Staats­­grundgesetz niedergelegten ma­te­riellen Ver­fas­sungs­nor­men. Dar­über hin­aus sind von größter praktischer Wirk­samkeit alle die­jeni­gen fakti­schen Re­geln und sozio­lo­gischen Ge­setzmä­ßig­keiten des in­nen­politi­schen Macht­kampfes, die von der Ver­fas­sung still­schwei­gend impli­ziert oder geduldet werden.

Das "Sys­tem" ist überwölbt von einer abstrakten Herrschaftsideo­lo­gie und stellt sich konkret als Wirkeinheit einer Fülle sich gegen­sei­tig stabili­sierender und be­dingen­der recht­licher und sozio­lo­gi­scher Re­geln sowie fak­ti­scher Macht­verhält­nisse dar. [540]  Dabei stabi­lisieren sich je­­weils die Macht­po­si­tionen der Eta­blier­ten in kon­kre­ten Ver­fas­sungs­ge­setzen; die­se Gesetze erhalten die Macht usw. Das Per­pe­tuum mo­bile des selbst­referenti­ellen Sy­stems scheint per­fekt; aber ge­ra­de dieser per­fek­te Kreis­lauf von sich in den Ver­fas­sungs­ge­set­zen ste­tig selbst sta­bi­lisie­ren­der Macht re­lativ klei­­ner Einflußgrup­pen pro­­vo­ziert die Frage, von wel­chem Punkt aus der Kreislauf durch­bro­chen wer­den kann. Die Al­ter­nativen wären ei­ner­seits die Hoff­nung, die herr­schen­den Macht­eli­­ten könnten auf ir­gend­einem Wege ver­an­laßt wer­den, "freiwillig" die sie stüt­zen­den Ver­­fas­sungs­re­geln durch an­­dere zu er­set­zen und so das ge­schlossene Sy­­stem zu öffnen, oder an­der­er­seits der Ge­dan­ke: Trotz der ent­ge­gen­­ste­henden Spiel­re­geln könn­te eine Sy­stem­op­po­si­tion vom Vol­ke als Bun­des­tagsmehrheit ge­wählt wer­den.

Wo liegt nun von Verfassungs wegen das Haupthindernis für un­ser strate­gi­sches Ziel? Was muß von Verfassungs wegen ge­ändert wer­den? Was wollen wir als un­ver­zichtbar erhalten? Unter verfas­sungs­rechtli­chen Ge­sichtspunkten hat­ten wir den Parla­menta­ris­mus und den Par­tei­enstaat, sozio­logisch das Feu­dal­system als Ba­sis für den Macht­erhalt des Bonner Esta­blish­ments ausge­macht und alle diese Phäno­mene letztlich aus ins Extreme über­stei­ger­tem Li­be­ralis­mus ab­gelei­tet. Wenn wir davon ausgehen dürfen, daß faktische Macht­­ver­hält­nis­se schwe­rer zu kip­pen sind als Verfassungsregeln und daß die Macht letztlich demjeni­gen zufällt, der zu seinen Gun­sten die Spiel­­re­geln ver­ändern kann, müssen wir den ver­fas­sungsrechtli­chen Kern des Parla­men­tarismus suchen und ver­än­dern. Die­ser besteht in der be­kann­ten Stu­fenleiter des Repräsen­ta­tionsprin­zips: Das Volk wählt Ab­geordnete als seine Repräsen­tanten, und diese wählen ihrer­seits ei­nen Kanzler als Regierungschef. So ist das Parla­ment funk­tio­nal ein Aus­schuß des Volkes und die Regierung einer des Par­la­ments. "Das par­lamentarische Prinzip betrachtet das Ministerium als ge­schäfts­füh­ren­­den, wenn auch nicht notwendig aus ihrem Schoß her­vor­ge­gan­ge­nen Aus­schuß der Volksvertretung." [541]  Das Ver­fas­sungs­recht hat da­für den Begriff des par­la­men­ta­rischen Regie­rungs­systems im Ge­gen­satz zum weiter ge­faß­ten Begriff der parla­men­tarischen De­mo­kratie ge­bil­det. [542]  Im Grun­de ist es ei­ne Art Räte­sys­tem, nur oh­ne per­ma­nente Abwähl­bar­keit und - de jure - ohne im­peratives Man­dat.

Dieses System muß sich die Frage nach seiner inneren Logik ge­fal­len las­sen: Wem oder welchen Interessen gegenüber soll das Par­la­ment eigent­lich wen oder wessen Inter­essen "reprä­sentieren", wenn es kraft seiner All­zustän­digkeit alle Inter­essen überhaupt in sich ver­eint? Reprä­sentation setzt nämlich drei­er­lei vor­aus: Ei­nen Re­präsen­tan­ten, einen Re­präsentierten und einen Drit­ten, dem gegen­über re­präsentiert wird. [543]  "Die Bedeutung des dritten Fak­tors ist da­bei nicht geringer als die der beiden erstgenannten. So ver­lö­ren etwa dip­lo­ma­ti­sche Ver­tre­tungen ihren Sinn, gäbe es keine frem­den Regierungen mehr, de­nen ge­genüber sie Re­prä­sen­ta­tions­aufgaben wahrzu­nehmen hätten. Ge­schäfts­­führer von Ge­sell­schaften wären überflüssig, träte das Unter­nehmen nicht in Au­ßen­be­ziehun­gen. Übertragen auf die parlamen­tari­sche Re­prä­sen­ta­tion, erfüllt sie ihren Sinn in der Vertre­tung aller im Volk vor­han­denen Mei­nun­gen, solange ein tat­sächlicher Dualismus zwi­schen Par­lament und Re­gie­rung besteht." [544]  Ein sol­cher In­ter­es­sen­gegensatz kann nicht be­stehen, wenn die Regierung funktional ein Parla­mentsaus­schuß ist, zumal beide Staats­or­ga­ne oh­nehin unter den Bedin­gungen des Parteienstaats von einer jeweiligen Ma­jo­ri­tätspartei oder -koalition überlagert werden.

Das ist das eigentliche Spezifikum des Parlamentarismus im hier dar­ge­stell­ten enge­ren Sinne: Die absolute Parlaments­herr­schaft, [545]  seine prinzipiel­le All­zu­stän­dig­keit, die so­ge­nannte Kom­petenz-Kom­pe­­tenz des Parlaments, das heißt die ge­setzliche Zu­ständig­keit, über den Umfang der eigenen Zu­ständig­keit zu ent­schei­den. Das ur­sprüng­lich nur den Staat überwachende Par­la­ment hatte nach Teilhabe an der Macht ver­langt; und nach der Teil­habe verlangte es nach der gan­zen, un­ge­schmä­lerten Macht. "Je mehr der Gegenspieler, die mon­ar­chi­sche Repräsentation, entfiel, um so mehr entfiel auch die Re­prä­sen­tation des Parla­ments, und die repräsentative Körperschaft ver­wan­­delte sich in einen Ausschuß der Wählermassen." [546]  Historisch war als erste den Weg der radikalen Repräsen­tation unter Aus­schal­tung des empiri­schen Volkes die französische Konstituante von 1789 ge­gangen und begründete damit "eine demokratietheo­retische Tra­di­tion, die ... sich nun­mehr der Gefahr eines repräsentativen Ab­so­lu­tis­mus aus­setzte." [547]  Ihre heutige All­macht läßt sich weder mit Geist und Buch­sta­ben der Ge­wal­­tentei­lungs­­lehre verein­baren noch wirk­­lich mit dem Prin­zip der In­ter­es­sen­re­prä­sen­ta­tion.

Die Existenz eines Parlaments als solche macht das System noch nicht zum Parla­men­ta­ris­mus, ebenso wie ein Verfas­sungsstaat wie Schweden trotz eines machtlosen Kö­nig­leins keine Mon­archie im Sin­ne der Staatslehre; wie ein dem so­zialen Gedanken ver­pflich­teter Staat wie unse­rer nicht gleich ein Sozia­lis­mus und ein dem nationalen Gedan­ken ver­pflichte­ter Staat wie Frank­reich des­halb nicht gleich ein Natio­nalismus ist. Der apo­diktische "Ismus" recht­fertigt sich erst durch die verfassungsmä­ßige All­macht des Par­laments. Wie in der ab­so­luten Re­publik die absolute Macht beim regieren­den und ge­setz­ge­benden Staat liegt, ruht sie im Par­la­men­taris­mus bei der Gesell­schaft in Gestalt des ge­­setz­ge­ben­den und regie­renden Parlaments. Das eine wie das andere ist als Ab­so­lu­tis­mus im Prinzip abzuleh­nen. Wo nämlich der Ismus zum al­lein selig ma­chenden Prinzip er­ho­ben wird und keine Götter ne­ben sich duldet, unterdrückt er an­dere not­wen­dige Vor­aus­setzun­gen mensch­li­cher Freiheit. Allein durch das Hinzu­fügen der harmlosen Sil­ben is­mus kann ei­ne gefährliche Um­wälzung des Wortsinnes be­wirkt werden dank ih­rer Ela­sti­zität. [548]

Eine nur einer fixen Idee verpflichtete Sicht der Welt nennen wir Ideo­logie, und ihre praktische Durch­setzung und Unterdrückung an­de­rer Grund­werte ist ex­tremisti­sch. So liegt der spezifische Ex­tre­mis­mus des Liberalen also darin, daß alle mög­lichen Interessen re­präsen­tiert sein dürfen, ausge­rechnet das all­ge­meine In­teresse aber nicht, was mit der rein ideologi­schen Behaup­tung ge­recht­fer­tigt wird, die­sem sei durch das un­ge­hemmte Wirken der gesell­schaft­li­chen Grup­pen genügt; man könne der jeweiligen Majorität ohne Beden­ken die Obhut über das All­gemeininter­esse an­vertrau­en, die ande­ren seien ja durch Minder­hei­tenrechte vor ihrer gänz­li­chen Vernichtung aus­rei­chend ge­schützt; so­wie durch die empi­risch widerlegte Fik­tion, in ein Gremium entsandte Par­tei­en­ver­tre­ter könnten dort andere Interessen als die ihrer Partei vertreten. Die Fiktion, die Repräsen­tanten von Ge­sellschafts­gruppen ver­trä­ten das Wohl aller, ist der Kern der Herr­schaftsideologie Li­be­ra­lis­mus. Ihrer bedient sich zur Zeit die Bonner "politische Klasse" als so­zial­geschicht­lich greifbare Gruppe konkreter Men­schen. Diese lei­tet ih­re persön­liche Macht aus ihrer Funktion als Reprä­sen­­tan­ten ab und recht­­fertigt mit ihrer Herrschaftsideologie den An­spruch ge­gen alle, ih­ren Gesetzen Gehor­sam zu leisten.

Folgerichtig erkennen sie jeden auch nur philosophisch gegen den Li­be­ra­lis­mus ge­führ­ten Angriff als Angriff auf die Grundfesten ihrer Macht. So urteilte das Ver­wal­tungs­ge­richt Stuttgart [549]  im Prozeß ei­ner rechten politi­schen Partei um die Recht­mä­ßig­keit ge­gen sie ein­ge­setz­ter nach­richten­dienst­li­cher Mittel: Die Partei stehe im Ver­dacht, die frei­heit­liche demokratische Grund­­ordnung zu bekämpfen. Sie ha­be zwar ihr Pro­gramm nun­mehr geän­dert, doch habe sie ihr "Ge­dan­kengut nicht grundlegend und vor allem aus in­ne­rer Über­zeu­gung her­aus in ei­ne liberalere Rich­tung (sic!) geändert." Ohne dies ei­gent­lich juristisch be­grün­den zu können, erkannten die systemtreu­en Verwal­tungs­rich­ter in­stink­tiv im Liberalismus die unge­schriebene Staats­doktrin der BRD. Tat­säch­lich sind näm­­lich alle Bundestagspar­teien ein­schließ­lich der Grü­nen libe­ral, wenn man den Begriff korrekt aus der Tradi­tion des historischen Libe­ra­lismus des 19. Jahr­hunderts und seinen politi­schen For­derungen ab­lei­tet. "Heute nennen sich 'Kon­servative' jene Liberalen, die das unter den Bedingungen der in­du­striel­len Mas­sengesellschaft in je­weils verschiedenem Ausmaß und Tempo vollzie­hende Ab­gleiten (eines Flügels) des Liberalismus in Positionen der sozialen De­mo­kra­tie ablehnen." [550]  

Das Grund­gesetz verwirklicht seiner Kon­struk­tion nach, vor al­lem durch das System der Parla­mentsregierung, ideal­typisch rein liberale For­­de­run­gen. In­dem das Gericht der vom Ver­fassungs­schutz beob­ach­teten Partei ausgerech­net das vorgehal­ten hat: sie sei nicht li­be­ral!, hat es schlag­lichtartig auf­ge­zeigt, worum es geht: Nicht darum, die Übereinstim­mung oder Ab­wei­chung von Par­tei­pro­grammen mit We­sens­merkma­len der freiheitlichen demo­krati­schen Grund­­ord­nung zu prüfen; Wie bei dem Streit um den CDU-Bun­des­prä­si­den­ten­kan­di­da­ten Heitmann geht es "um die Herr­schaft über die Dis­kurse, also dar­um, wer wen zwingen kann, politische Aussa­gen mo­ra­lisch zu le­gi­ti­mieren." [551]  Seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung bröckelt die links­liberale He­ge­monie in der poli­tisch-intellektuel­len Öffent­lich­keit. Linke und Li­bera­le merken das und verteidi­gen mit der Herr­schafts­ideolo­gie Li­be­ralismus ihre Macht an der ent­­scheiden­den Einbruchstel­le. Nur hier können wir sie ideologisch ent­waff­nen, und erst dann ist ih­re Macht zu brechen.

Es sind also der Parlamentsabsolutismus sowie die "blinden Flec­ke" der Ver­fas­sung ge­gen die nicht vorgesehene Macht des Par­tei­en­staates mittels Ver­fas­sungser­gänzungen zu besei­ti­gen, und es darf ge­hofft werden, daß die Macht­träger des bisherigen Syste­ms mit den sie sta­bilisierenden Regel­me­ch­a­nis­men mit­telfristig wer­den wei­chen müs­­sen. Ihre "Stabilität heißt doch mittlerweile nichts an­de­res mehr als Fest­gezurrtheit. Dieser Parteienstaat muß auf­ge­bro­chen wer­den." [552]  

Das Subjekt der Veränderung

Vier Akteure eines Systemwechsels sind denkmöglich: Das Sy­stem könnte von den nach dem Grundgesetz vorgesehenen ver­fas­sungs­mä­ßigen Gremien ge­ändert werden, soweit die Ewig­keits­klau­seln der Art. 79, und 20 GG es zulas­sen. Zweitens könnte das Volk von seiner verfassunggeben­den Ge­walt Ge­brauch machen und sich in frei­er, de­mo­krati­scher Selbstbe­stim­mung gemäß Art.146 GG eine neue Verfas­sung ge­ben. Drittens könnte eine ge­sell­schaftli­che oder staat­liche Machtgruppe putschen und eine andere Ver­fassung erlas­sen. Viertens könnte eine bisher an der gesellschaft­lichen und staat­li­chen Macht nicht betei­ligte Gruppe eine Revolution machen und ein an­deres System in­stallie­ren. Letzt­lich könn­ten meh­rere dieser vier mög­­li­chen Akteure gemein­sam eine schlei­chen­de Sy­stemänderung be­­wirken.

Die Bonner "politische Klasse"

Einen bewußten und freiwilligen Systemwechsel dürfen wir von kei­nem der ge­gen­wärti­gen Machtträger erwarten. Niemand wird sich selbst ent­machten. Die für Ver­fas­sungs­änderun­gen zustän­di­gen Staats­­­organe wie Bun­des­tag und Bun­desrat sind von Ver­tre­tern der Partei- und Sonderinteres­sen ver­ein­nahmt, die jeden Ände­rungsvor­schlag so­fort als für ihren Machter­halt feind­lichen Akt durchschauen wer­den. Da sie überdies die me­dienöffent­liche Mei­nung gut im Griff ha­ben, sind verfas­sungsändernde Mehrheiten zu­gunsten system­über­win­­dender Reformen nicht zu er­warten.

Es kommt als systemstabilisierende Klammer um alle zur Zeit "ge­sell­schaft­lich rele­van­ten" Kräfte eine weitgehend homo­gene Ideo­logie hinzu, die auch dieje­nigen Per­sonen das Sy­stem ver­tei­digen läßt, die ökono­misch noch nicht von ihm abhängig sind. Vor­aus­setzung für die dauernde Herr­schaft ei­ner Olig­archie ist ihre Geschlos­senheit. Diese kann, wie beim früheren Ge­burts­adel, auf ver­wandt­schaftlichen Bin­dun­­gen, auf glei­chen ökonomi­schen In­ter­es­sen, aber auch auf welt­an­schau­li­cher Übereinstimmung be­ru­hen. In Deutsch­land domi­niert heu­te der linksli­bera­le Main­stream des derzeitigen BRD-Estab­lish­ments, der, aus dem Geiste der 1968-Studen­tenre­volte ge­bo­ren, sei­nen Marsch durch die Insti­tutionen erfolgreich been­det hat. Die revo­lu­tio­näre Linke von 1968 hatte das damalige Esta­blish­ment als il­le­gi­tim be­kämpft und seine Throne umge­stürzt, auf de­nen es sich selbst be­quem ge­macht hat. Be­kanntlich sind die Re­vo­lu­tio­näre der Gegen­wart die Reak­tio­näre der Zu­kunft. Die 68er haben ihre revo­lu­tionäre Ge­genwart schon hinter sich, und verbissen verteidi­gen sie ihren Ein­fluß von den er­run­­genen Po­sten in Parteien und Medien herab gegen je­de ideo­logische Di­ver­sion. Ihre wü­tende Vertei­di­gung gegen den Zan­­gen­griff der jün­geren, nach­drän­genden Ge­ne­ration und einzelner aus der Ge­ne­ration der Groß­vä­ter trägt alle Züge eines Kul­tur­kamp­fes. [553]  Schon Robert Mi­chels hatte 1911 festgestellt: Im Besitze der Macht geht in dem Re­vo­lutionär eine Umwand­lung vor, an deren End­punkt er, wenn nicht der welt­an­schau­lichen Legitimation, so doch der Sub­stanz nach, den Ent­thronten so ähn­lich wird wie ein Haar dem an­de­ren. [554]  

Soziologischer Beobachtung nach findet normalerweise kein völli­ger Eli­ten­aus­tausch statt, son­dern eine Verschmelzung des nach oben drän­gen­­den Neuen mit dem Al­ten. So gehen die Revolu­tionäre nach ei­ner Pe­rio­de glorrei­cher Kämpfe und ei­ner Peri­ode ruhmloser Teil­nahme an der Herrschaft zugu­ter­letzt in der alten dominie­renden Klas­se auf. "Je­doch gegen sie erhe­ben sich na­mens der Demokratie wieder neue Frei­heits­kämp­fer. Und dieses grausa­men Spieles zwi­sch­en dem un­heilbaren Idea­lismus der Jungen und der unheilbaren Herrsch­sucht der Alten ist kein Ende. Stets neue Wel­len to­sen gegen die stets gleich Brandung. Das ist die tiefinner­ste Signatur der Partei­ge­schichte." [555]  Heute sind wir unten, wir sind die Welle, die "re­vo­lu­tio­nären Freiheits­kämpfer". Wir dürfen von denen da oben nichts er­warten, gar nichts. Sie werden uns den Gefallen nicht tun, uns einen 1.Klasse-Fahrschein in den Bun­des­tag zur Ver­fas­sungs­än­derung zu schen­ken. Nur Naive und im Grun­de Un­po­li­ti­sche kön­nen über­sehen, daß die Bonner "politische Klasse", nach einem be­kann­ten Wort Hein­rich Bölls , mit rattenhaf­ter Wut die ver­fau­len­den Re­ste ih­rer Macht verteidigt. Ihr Wille, oben zu blei­ben, ist ein ganz unbän­di­ger, und nur wer persön­lich hinter die schö­nen Ku­lis­sen ge­blickt hat, vermag die völlige Skru­pellosigkeit und den im schlech­ten Sinne machiavel­li­stischen Wil­len zum Macht­er­halt in sei­nem ganzen Aus­maß zu über­schauen.

Das revolutionäre Potential

Das Hoffen auf eine Revolution hat in gewissen Kreisen alle Züge mes­sia­ni­scher Heil­ser­war­tung angenommen. Die fixe Idee der Crash-Theorie, hier werde in ab­sehbaren Jahren irgend et­was um­ge­stoßen werden können oder von selbst in sich zusammenbrechen, ist nichts als ein von es­cha­to­lo­gi­schen Vorstellungen genährter from­mer Wunsch. Wie mittelal­terliche Christen vor runden Daten wie dem Jah­re 1000 ihr Hab und Gut verschleuderten, weil sie die Wie­derkehr Chri­sti oder das jüngste Gericht als unmittelbar bevor­ste­hend er­war­te­ten, so übt die Vor­stellung, "das System" werde dem­nächst zusam­men­brechen, kurz vor dem Jahr 2000 ei­ne starke Fas­zination aus. Die­ser Glaube hat vor allem die prakti­sche Wir­kung, den Gläu­bigen von jed­weder tatsächli­chen politi­schen Tä­tigkeit abzu­hal­ten. Vor al­lem Rechte mit linker oder marxistischer Vergan­genheit haben die fi­xe Idee in ihre neue politi­sche Hei­mat im­portiert, die Ge­schichte müs­se dem Sog hi­sto­rischer Not­wen­dig­kei­ten folgen und zwangs­läu­fig die eine oder ande­re Rich­­tung nehmen. Da man den Li­be­ra­lismus und andere po­liti­sche Phä­no­me­ne als historisch wi­der­legt be­trach­tet, er­wartet man für die nächsten Jahre sei­nen Zu­sam­men­bruch. Dann wer­de ei­ne neue Elite wie der Deus ex ma­china auf­ste­hen und das Va­ter­land retten. Daß es - aus rechter Sicht - immer weiter ab­wärts ge­hen oder daß es etwa am "Ende" über­haupt keinen Sieg ge­ben könn­te, können sich die zur Va­terlandsliebe bekehrten Lin­ken über­­haupt nicht vorstellen.

Vielleicht wird es ja auch so kom­men, wie sie pro­phe­zeien. Zu be­strei­ten sind derartige gläubige Zu­kunftserwar­tun­gen je­den­falls nur mit kon­­trä­ren gläu­bigen Er­war­tungen und kaum mit Ar­gu­men­ten. Für die Ge­gen­­wart läßt sich aber eine Aus­wirkung sol­cher End­zeit­er­war­tung klar fest­stel­len: Zur Zeit ist diese neue Elite noch damit be­schäf­tigt, mit dem Hut her­umzu­ge­hen und um fünf Mark zu betteln, wenn sie eine geistreiche rechte Zeit­schrift ver­schic­ken will. Ihr er­klärter Unwille zur Organisati­ons- oder gar Par­teibildung führt zu ih­rer weit­gehenden Wir­kungs­lo­sig­keit. Diese Haltung wird mit der These ent­schuldigt, jede Par­tei­bil­dung wirke inner­halb des Verfas­sungs­bo­gens system­sta­bi­li­sie­rend, während eine verfassungs­be­kämp­fen­de Partei verboten wer­den wür­de. Die Richtigkeit dieser These hängt aber von der Par­tei, ihren Struk­turen und den sie führenden Po­liti­kern oder len­ken­den Strategen ab. Eine spie­gelbildliche Debatte hat sich vor ei­ni­gen Jahren in den Rei­hen der GRÜNEN abge­spielt und mündete in die Differenzierung in Rea­­los und Fundis: In der Be­kämp­fung des Sy­stem war man sich einig, nur ob man dies besser von innen oder von draußen bewerkstelli­gen kön­ne, stand zur De­batte. Diese ist von der Geschichte noch nicht ent­schie­den.

Ein Re­vo­lu­tio­när, der sich für seine Schick­sals­stunde Chan­cen er­hofft, darf nicht so welt­fremd sein, diese Stun­de unor­gani­siert und blind auf die Gunst des Schick­sals oder "hi­sto­ri­sche Not­wen­digkei­ten" ver­trau­end kom­men zu lassen. Für einen Putsch oder ei­ne Revo­lution fehlt es in Deutsch­land an al­len Voraus­set­zun­gen; vor al­lem fehlt es an Re­­volutio­nä­ren, die diesen Na­men ver­die­nen. Der deut­sche Mi­chel, wenn er sich als Revolutionär ver­sucht, kauft sich nach einem be­kann­ten Satz Lenins erst eine Bahn­steigkarte, bevor er den Bahn­hof stürmt. "Zur parlamentari­schen Mitwirkung gibt es" im Gel­tungs­bereich der Spielregeln des Parlamentaris­mus nun einmal "keine ech­te Alternative. Die Möchtegern-Intellektuellen, die in ver­schwie­ge­­nen idyllischen Waldorten aben­delang in Revolutionsszenarien schwel­­gen und über den Untergang des Parteien­systems phi­lo­so­phie­ren, sind Relikte einer längst vergangenen Zeit. Die selbster­nannten De­zisions-Theoretiker und Politapoka­lyptiker eint, bei genauem Hin­se­hen, die praktische Politikunfähigkeit und der man­gelnde Wille zur Macht." [556]

Zu­dem sind alle sy­stem­ei­genen Abwehrinstrumente gerade auf ei­nen ge­dach­ten Um­sturz von "rechts" geeicht und zuge­schnitten, von der Be­ob­ach­tung durch den "Ver­fas­sungs­schutz", der Ver­wir­kung von Grund­rechten und dem Par­tei­en­verbot bis zum Wi­der­stands­recht des Art.20 Abs.IV GG. Die Paro­len der wehr­haften De­mo­kratie lau­ten: "Au­gen rechts!" und "Wehret den Anfän­gen!", und dar­um sind vor der "rech­ten Ge­fahr" alle Türen fest verrammelt: die ge­­setzlichen Türen zur Macht und die Medi­entü­ren in die Köpfe der Men­schen. Ganz ab­gesehen von der Frage der Le­gi­ti­mi­tät eines gewaltsamen Staats­strei­ches oder einer Re­vo­lution: Hier gibt es kei­nen tatsächlich gangbaren Weg.

Das Volk

Wer fest in der Mausefalle sitzt, muß als erstes versuchen, diese zu loc­kern. Das selbstrefe­rentielle Bonner System ist eine solche Mau­se­falle. Wie man sie auch dreht und wen­det: Die systemimma­nen­te Lo­gik führt wie ein Teufelskreis immer wieder zum Sy­stem zu­rück. Nichts scheint sich hier zu be­we­gen. Wenn sich aller­dings auch nur irgend­wo ein bewegli­ches Scharnier fin­den ließe, wäre die Hin­ter­tür gefunden, durch die man vielleicht doch in System ein­bre­chen und über diese tak­tische Zwi­schenlösung zum Ziel ge­lan­gen könnte. Tat­säch­lich gibt es einen deutli­chen Riß im Gebäude des Bonner Sy­stems, ei­nen wun­den Punkt, einen eingebauten Denkfeh­ler im Sy­stem. Dieser liegt im nicht ein­ge­lö­sten An­spruch des Bonner Par­la­men­taris­mus, eine de­mokratische Volksherr­schaft zu sein. Wer wie wir die Struk­turmerkma­le von Demo­kratie und Par­la­men­tarismus mit­­ein­an­der vergli­chen hat, weiß natür­lich, daß die beiden Ideen­krei­se ein­an­der teil­weise aus­schlie­ßende Be­griffs­merk­male auf­weisen. Der Par­la­men­taris­mus ist natürlich keine De­mokratie, und daran ist auch aus Sicht seiner Verfechter nichts Auf­regendes, weiß man sich doch an­ge­sichts des uto­pi­schen Mo­ments der De­mo­kratie mit dem Prin­zip "de­mokratischer Repräsentation" so demokratisch wie real nur ir­gend mög­­lich. Doch wissen das die Bürger? 1968 sind doch auch Tau­sen­de der scheinbar neuen Er­kennt­nis auf den Leim ge­gan­­gen, daß in Deutsch­land, bei Lichte be­trach­tet, eine ganze Menge zu "de­mo­kra­ti­sie­ren" ist. Der uto­pisch-emanzi­patorische Im­puls, für je­den grö­ßere de­m­okra­ti­sche Mit­spra­che einzufor­dern, hat sich als äu­ßerst kraft­vol­ler Motor der Desta­bilisie­rung von Herr­schafts­struk­tu­ren er­wie­sen.

Der demokratische Anspruch des Bonner Systems ist zur Doktrin er­starrt. Mil­lionen gläu­bi­ger Bürger haben ihn so ver­innerlicht, daß al­­lein schon der Ge­danke, nicht in de­mokra­ti­schen Ver­hält­nis­sen zu le­ben, nur einen all­gemei­nen Auf­schrei der Empö­rung zur Folge ha­ben kann. Die Masse der Deutschen ist mit Leib und See­le Demo­krat - oder was sie selbst so darunter versteht. Sol­chen Gläu­bigen kann man nicht mit akademischen Spitzfindig­keiten in der Art kom­men, die De­mokra­tie sei eine Utopie, und deshalb soll­ten sie sich mit der Herr­schaft ihrer Repräsentanten über sie selbst auf unab­sehbare Zeit ab­fin­den. Wie viele DDR-Nostal­giker heute noch an ihren Sozia­lis­mus glauben, der nur nicht richtig ver­wirklicht worden sei, so spukt in der Köp­fen der mei­sten Bun­dis eine fundamentalistische Idee von De­mo­kratie nebulös herum, die mit äußeren Kenn­zeichen wie Mei­nungs­freiheit und theo­reti­schen Mitwir­kungs­mög­lich­keiten am poli­ti­schen Ge­schehen wie Wählenge­hen ver­bunden ist. Es ist ganz ausge­schlos­sen, an die Stelle des Got­tes der Demo­kratie einfach mal so ir­gend ei­nen an­de­ren Gott zu setzen. Wir können die herr­schenden Li­be­ra­len nur ideo­logisch ent­waffnen, wenn wir un­sere For­de­rungen im de­mo­kra­tischen Gewand der direk­ten Berufung auf das Volk prä­sen­tie­ren.

Die metaphysisch überhöhte Gläubigkeit an die Demokratie gleicht in unse­rem Jahrhundert einer Mas­sen­psy­cho­se, die sogar Po­ten­taten mit unzweifel­haft diktato­rischen Ge­lüsten zum de­mo­kra­ti­schen Eti­kett greifen ließ: "Man denke an die 'gelenkte Demo­kra­tie' des frühe­ren in­donesi­schen Präsi­denten Sukarno , an die 'or­ganische De­mo­kra­tie' des spanischen Diktators Franco , an die 'wahre De­mo­kra­tie' des li­by­­schen Staatschefs Khadafi, an den Begriff 'demo­kra­ti­sche Dik­tatur' des Mar­xi­sten Georg Lu­kács oder gar an die nach 1945 in Mittel- und Osteu­ropa ge­schaf­fe­nen 'Volks­de­mo­kra­tien'." Selbst Hitler nannte sich ei­nen "Erz­demo­kra­ten" [557] , und Goeb­bels rühm­te am 19.3.1934 den na­tio­nal­sozialisti­schen Führer­staat als "die edel­ste Form der euro­päischen Demokra­tie". [558]  Alle diese Herren meinten na­­türlich nicht eine Regierungsform Demokratie, sondern Demokratie als Staats­form; und so regierten sie angeblich auf Grundlage der Sou­ve­­ränität des Volkes, ohne dieses allerdings häufiger als eben nötig nach seiner Meinung zu fragen. Jedwede Regie­rungsform kann sich mit der Be­haup­tung als demokratisch bezeichnen, das Volk wolle es so, ob ein Diktator die tatsächlichen Entscheidungen trifft, ein Bür­ger­könig oder ein Parlament. Die Mehrzahl unserer bra­ven, bie­de­ren Deut­schen hält den faktischen Parlaments- und Parteienabsolutismus für demokra­tisch. Sie ist durch die Ge­wohn­heit jahr­zehn­te­lan­ger In­dok­­­­tri­nie­rung von der Schulbank an mit den in­neren Be­weg­grün­den rand­­voll ge­füllt, die  sie für de­mo­kra­ti­sch hält. Sie hat den de­mo­­krati­schen An­spruch unse­res Staats­we­sens so verin­ner­licht, daß sie sehr böse wer­den könn­te, wenn sie ein­mal bemerken sollte, daß die schein­bare De­mo­kratie nur Fassade vor der Macht von Inter­es­sen­tencli­quen ist. Ei­nen Eindruck davon gibt uns die Wut links­ex­tre­­mer De­­mon­stran­ten gegen ein­schreitende Po­li­zei­beamte als Ver­treter "des Sy­stems."

Seit immer offensichtlicher wird, daß jene Interessenten­cliquen nur noch ihre eige­nen Macht­pro­bleme kennen und nicht die Pro­ble­me der Mehrheit des Vol­kes lösen, hat ein massiver Pro­zeß des Nach­denkens und des Miß­trauens ein­ge­setzt. Von der Ver­dros­sen­heit über einzelne Skan­dalpoli­ti­ker wendet sich der erstaunte Blick langsam auf die Par­tei­en und ihr System und den einzig gang­baren Weg aus der Mi­se­re: Die­ser führt über das takti­sche Zwi­schen­ziel einer mög­lichst um­fas­sen­­den Durchlöcherung des selbst­referen­tiel­len Repräsenta­tivsy­stems durch In­stru­mente der di­rekten Demo­kratie. Hans Herbert von Arnim meint, hier noch zwei Wege zu sehen: "Innerhalb des Systems gibt es wohl nur zwei We­ge, an den alle Schlüsselstellungen beherr­schenden Par­tei­en vor­bei et­was zu bewirken: die Grün­dung neuer Parteien und das Her­beiführen von Volksentscheiden." [559]  

Es spricht viel dafür, den erst­ge­nann­ten Weg als empi­risch wi­der­legt anzuse­hen. Das gilt jedenfalls, wenn man ihn am an­ge­streb­ten Er­folg der Regierungsbe­teiligung mißt. Die praktische Erfahrung in einer mit den Herrschenden konkur­rierenden neuen Partei fehlt dem Pro­­fessor von Arnim; vor allem aber die Erfah­rung am ei­ge­nen Leibe, wie Medien und Esta­blishment mit einer parteipoliti­schen Kon­kur­renz umspringen. Dazu müß­te er als Theore­tiker erst ein­­mal zum Par­teifüh­rer und dem Esta­blishment prak­tisch ge­fähr­lich wer­den. Er müß­te eine Reportage von Monitor, Pano­ra­ma und Kon­sorten über ihn sehen, in der ihn seine eigene Mutter nicht wie­der­er­kennen wür­de; er müßte am nächsten Tag erle­­ben, wie Autonome unter de­es­ka­lie­rend zuschauen­den Polizeibeamten seinen Parteitag spren­­gen, weil sie in Moni­tor ge­sehen haben, daß er eigentlich ein Na­zi sei; er müßte ein Ver­waltungs­gerichts­ver­fah­ren führen, um erst die Stadthalle an­mie­ten zu kön­nen, und ein zweites gegen den Staat, der seinen Par­tei­­tag wegen be­fürch­te­ter autonomer Aus­schrei­tungen verbot. - Nein: nur das Volk selbst kann heute überhaupt noch etwas be­wegen; und wenn sich alles wie­der be­wegt, wird man wei­ter­se­hen kön­nen.

Das Plebiszit als Instrument der Systemverän­derung

Dem Pochen auf den nicht eingelösten demokratischen An­spruch, der For­de­rung nach Volks­wahl politischer Mandats­träger und nach Volks­ge­set­z­ge­bung und -ent­scheid haben die Parlamentaristen kein po­pulä­res Argument ent­ge­gen­zusetzen. "Daß die Bürger über wich­ti­ge Fragen in Volks­ab­stim­mungen selbst entscheiden können, gehört für 60% im We­sten und 72% im Osten unbedingt zur Demokratie. Un­ter solchen Umständen läßt sich über reprä­sentative oder ple­bis­zi­tä­re Demokratie nicht diskutieren. Man kann sich aber auch die Ent­täu­schung vorstellen, wie wenig die deutsche Realität den ver­meint­li­chen Versprechen der Demokratie ent­spricht." [560]  Ge­rade vielen lin­ken De­mo­kra­ten er­scheint ein Ple­biszit alle­mal ein­leuch­ten­der als eine vom Vol­ke ab­ge­hobene Reprä­sen­tati­on. Das Ple­bis­zit ist die Achil­les­fer­­se des Parla­men­tarismus, und das wissen seine po­liti­schen Stra­te­gen sehr ge­nau. Nicht umsonst sto­ßen alle ple­bis­­zitä­ren For­derungen über­all dort auf erbitter­ten Wi­der­­stand, wo die CDU das Sagen hat. Für drohen­den Macht­verlust hat man im Kon­rad-Ade­nauer-Haus eine aus­­ge­zeichnete Nase. CDU-Vor­­denker und unions­nahe Ver­fas­sungs­recht­­ler spre­chen sich re­gel­mä­ßig ge­gen je­­den Ansatz zu ple­biszi­tären Lö­­sun­gen aus. So hat der Bon­ner Pro­fes­sor Isensee seinen Carl Schmitt [561]  gut gelesen, wenn er im Grund­­­satz­magazin der Konrad-Ade­­nauer-Stiftung erkennt: "Schon die of­fi­zielle Ein­lei­tung einer Volks­­ab­stimmung führt dazu, der gel­ten­­­den Verfassung Legiti­ma­tion zu ent­zie­hen." [562]  Recht hat er! Aber ge­­­nau das ist not­wendig, weil das Bonner Po­stenver­tei­lungs­kar­tell, dem Isensee nahe­steht, seine in­ne­re Legitimati­on und seine äu­ße­re Le­­gi­­timität aus eben diesem Ver­fas­­­sungs- und Ge­setz­ge­bungs­system zieht und nur durch dessen Än­de­­rung ge­sprengt wer­den kann. Eben­so wie Isensee argu­mentiert sein Köl­­ner Kollege Hart­mut Schie­der­mair: Ple­biszite mit ihrem genau ein­­kal­kulierten Kon­flikt zwi­schen Volk und Parla­ment seien geeignet, das par­la­men­ta­rische System zu schwä­­chen. [563]  

Das Repräsentationssystem beruht auf einem tiefsitzenden Miß­trau­­en der Re­gieren­den gege­n­über dem Volk. Ihm mißtrauten schon die Schöpfer des Grund­gesetzes 1949 und ver­mie­den ab­sichtlich je­des unmittelbare Ent­scheidungsrecht, weil sie das Volk auch nach dem Zusammen­bruch des 3. Rei­ches noch na­tio­nal­sozia­listischer Nei­gun­gen für fähig hiel­ten. Gera­de links­li­be­rale Fundamen­tali­sten halten heu­te noch das Volk für durchaus unsi­che­re Kantoni­sten: So gestand 1991 der Kieler SPD-Politiker Nor­bert Gan­sel der briti­schen Zeitung The Spectator, seine per­sönliche Phi­lo­sophie beru­he auf einem Ele­ment des Mißtrau­ens ge­genüber den Deutschen, die er vertrete, weil ihre Väter und Großvä­ter Hitler mög­lich gemacht hätten. [564]  Obwohl die­ses Grund­mo­tiv bis heute über­all hinter vor­ge­schobenen Schein­ar­gu­men­ten er­fühl­bar ist, wird es selten so offen zugegeben. Viel­mehr ver­­sucht man, Plebis­zite mit den übli­chen, kei­nen Wi­der­spruch dul­den­­den Ste­reo­ty­pen aus dem Handbuch der Be­wäl­ti­gungs­pädagogik ma­dig zu ma­chen. So gehören Volks­entschei­de nach christ­demokrati­scher An­sicht "zu den ab­ge­feimten Techniken totalitärer Diktatu­ren." Im Ple­bis­zit sei näm­lich der­jenige souve­rän, der die Frage for­­mu­liert. Das Volk, so weiß man in der CDU, ist ein biß­chen dumm, und au­ßer­dem neigt es zum Wählen schlimmer Par­teien: Als die CDU bei der Land­tags­wahl in Ba­den-Würt­tem­berg im April 1992 die ab­so­lu­te Mehrheit ver­­loren hatte, spra­chen ihre Vorstands­mit­glie­der im Kon­rad-Ade­nau­er-Haus bei lautem Nach­denken aus, man müs­se an­ge­­sichts der Un­ein­sich­tig­keit der Wäh­ler eine "erzieherische Po­litik" be­trei­ben. [565]  

Damit die feinen Herrschaften des Bonner Parteienkartells unter sich blei­ben dürfen, muß das Volk also von jeder di­rekten Mitwir­kung fern­gehal­ten wer­den, vor allem aber von den ent­scheidenden He­beln der Macht. Die wirkungs­voll­sten wären die Di­rektwahl ei­nes Bun­despräsi­denten, der über die Person des Kanzlers zu be­fin­den hätte, und die Volks­ent­schei­dung von Verfassungs­fragen und Fra­gen der Ta­gespoli­tik. Das französi­sche Volk hat solche Rechte. Die Schwei­zer ent­schei­den durch Abstimmung traditionell selbst über po­li­­ti­sche Grundsatzfra­gen. Das deutsche Volk ist nach christ­de­mo­kra­ti­scher Ansicht da­für of­fenbar zu unreif. Die Uni­ons­juristen weh­ren sich ge­gen die Ausübung der verfas­sungs­ge­ben­den Ge­walt des Vol­kes mit Händen und Füßen und ver­ra­ten da­mit, welch schlechtes Ge­wis­sen sie ha­ben angesichts ih­rer "Art, wie Macht ausgeübt und miß­braucht wird." [566]

Panisch beschwört der Münchener Ordinarius Peter Badura die Le­gi­timität des Par­tei­en­sy­stems und treibt jeden Gedanken an die ver­­fassungge­bende Ge­walt des Volkes in exorzisti­scher Ma­nier aus: Es "ist die verfas­sungsgeben­de Ge­walt nicht eine Kompe­tenz- oder Ver­­­fahrensregel des Rechts oder der Poli­tik, sondern ei­ne Doktrin zur Her­beifüh­rung oder zur Legitimierung einer revo­lu­tio­nären Staats­­­­um­wäl­zung. ... Abwegig ist es, aus einer geltenden Ver­fas­­­sungs­­norm einer legitimen Ver­fassung, dem Art.146 des Grundge­set­zes, das Ge­bot zu ent­neh­men, dem Volk das Re­voluti­onsinstru­ment der verfas­sungs­ge­benden Gewalt zur mög­lichen Ab­schaffung eben die­­ser Ver­fassung in die Hand zu ge­ben." [567]  

Daß die Apologeten und Nutznießer des Liberalismus bei der blo­ßen Er­wäh­nung des Wortes Plebiszit wütend aufheulen, zeigt uns, daß wir hier ih­ren ein­zigen wun­den Punkt getrof­fen ha­ben. Hier kön­nen sie zappeln, so­lange sie wol­len. Sie kom­men nicht ohne Ver­stoß gegen ih­re eigenen demo­krati­schen Prämis­sen aus dem Dilemma, weil diese de­mo­kratischen Prä­mis­sen mit denen des Li­be­ralismus und sei­nem Reprä­sentativ­gedan­kens in Wahrheit un­ver­ein­bar sind. [568]  Was die Verteidi­ger des Status quo auch tun - sie kön­nen nur Fehler ma­chen. Das De­mo­kratieprinzip als tra­gen­der, aber unverwirk­lichter Wert des Systems muß zur An­griffs­waf­fe um­funktioniert wer­den, weil die sy­stem­im­ma­nenten Ab­wehr­mechanismen dann nicht grei­fen. [569]  Gibt das System nach und läßt die Volksge­setzge­bung zu, öff­net es damit nämlich weit das Tor zu seiner ei­genen mögli­chen Ver­än­derung und Abschaffung durch das Volk. Damit wäre das takti­sche Zwi­schenziel erreicht und die Zu­kunft wieder offen.

Gibt das System aber nicht nach, kann es als undemokratisch "ent­larvt" wer­den, bis die Zahl sei­ner Verteidiger so weit abnimmt, daß es dem Ver­än­de­rungs­druck nicht mehr stand­hält. Als Anlaß für sol­che Ope­rationen eignet sich her­vor­ragend die Forde­rung nach Volks­ent­scheid über alle jene Reizthe­men, in der die demoskopisch er­mit­telte Mei­nung einer von Lösungsinkom­petenz der Poli­tiker ge­nervten Be­völke­rung auf den entschlos­senen Wider­stand des Par­tei­en­estab­lish­ments treffen wird, das hinter dem Plebiszit schnell die Gefahr des System­wechsels am Horizont erken­nen und da­her keinen Volks­ent­scheid zulas­sen wird.

Gewöhnlich wird jeder Gedanke an plebiszitäre Mitwirkungs­rechte des Vol­kes um­so ent­schie­dener verworfen, je weiter jemand "rechts" steht und der Weis­heit derjenigen wenig zu­traut, die zu­fäl­lig die mei­sten sind. Umge­kehrt er­hofft man sich vom Ple­biszit als Mit­tel der "Basisdemokratie" gerade­zu den all­um­fassenden Schlüs­sel für die Hauptpro­bleme unse­rer Zeit, wenn nicht die Auf­he­bung der Herr­schaft des Men­schen über den Mensch­en, je wei­ter man "links" steht und dem Idealbild des von Natur aus ver­nünf­ti­gen, auto­nom ent­scheiden­den In­di­viduums anhängt. Die skeptische, "rechte" Po­sition hat Günter Ma­schke mit dem Argument auf den Punkt gebracht, wir müß­ten das Grundge­setz ver­teidigen, wie es ist, "weil das, was ein in­zwi­schen völ­lig umerzo­genes Volk dar­aus ma­chen würde, eine noch schlechtere Verfassung wä­re." Der größte Fehler von Rechten sei ihr Rousseauis­mus, der von seinem linken Pen­dant gar nicht weit ent­fernt sei. Die Rechte glaube, das Volk sei gut; nur der Ma­gi­strat sei kor­rup­ti­bel: "Das ist das Gerede, daß das Volk manipuliert wer­de von den Politi­kern, die es unterdrücken, und in Wahrheit ha­ben wir die to­tale Demo­kra­tie - das ist ja die Mise­re! Wir haben ein Sy­stem, in dem oben die gleiche Moral bzw. Amoral herrscht wie unten. Man regt sich auf über Partei­en­fi­nanzie­rung, Lügen, Kor­ruption etc.... Aber Lüge und Kor­ruption und 'nichts als Geld' sind doch schon längst Volks­sport ge­wor­den. Die BRD wird peu a peu ein orientali­sier­tes Land, weil die staatli­chen Strukturen nicht mehr funktio­nie­ren, weil es, bis rauf in die Büro­kra­tie, kein Staats­ethos mehr gibt. Die voll­kom­mene Demo­kratie, das ist die Uni­versalisie­rung des Schwein­chen Schlau, und die haben wir doch. Und deshalb verpufft der Un­mut über die "politische Klasse" so rasch. Die Leute haben oft eine Ah­nung davon, daß sie sich ganz ge­nau­so ver­halten würden, ge­nauso von part­ikularen Interessen de­ter­mi­niert." [570]

Eine andere Idee, den Motor notwendiger Veränderung wieder an­­zu­wer­fen, hat Gün­ter Ma­sch­­ke aber auch nicht. Und selbst wenn eine Mehrheit "Panem et circen­ses" rufen und Rudi Ca­rell zum Kanz­ler wählen würde, gilt doch: Wenn man ganz un­ten ist, kann es ei­gentlich nur noch aufwärts gehen. Gegen­über der Notwendig­keit, daß sich erst einmal überhaupt et­was be­wegt, muß Masch­kes be­rech­tigter Einwand als zweitran­gig zurück­stehen. Verkehrt man al­le Be­griffe seiner Kritik in ihr Gegenteil, spürt man hinter seinem Ab­scheu ge­gen­ü­ber dem jetzi­gen Zustand der Gesellschaft die po­si­tive Vision ei­nes ho­hen, das All­ge­mein­wohl einfordernden Staats­ethos durch­schimmern: Masch­kes Sehn­sucht nach einer bes­seren Welt - vielleicht eines idealen Staates. Die al­les entschei­den­de Frage aber, wie er dorthin kommen möchte, läßt er unbeant­wor­tet.

Bekanntlich gelangt man erst durch Mühe zu den Sternen, manch­mal viel­leicht auch auf Um­wegen. Auf die Jakobinerdik­tatur von 1792 war schließlich auch nicht sofort Na­pole­on gefolgt. Erst hatte der Pö­bel sich ein­mal kräftig aus­toben müssen. Erst hatte Frank­reich durch das Tal der Tränen und der Ochlokra­tie gemußt, bis Über­druß am Guil­lotinieren und Erschöp­fung die überlebenden Re­volutionäre ein­se­hen ließen, daß ein be­stimmtes Maß an über­par­teilicher, ordnen­der Staatlichkeit zum Vorteil Al­ler wäre. Die­ser Einsicht folgte ein quali­ta­tiver Sprung: Dieselben Massen, die noch die Bastil­le ge­stürmt, den Kö­nig geköpft und die Fahne der Gleich­heit über Eu­ro­pas Schlachtfel­der ge­tra­gen hatten, wählten Na­poleon 1799 mit 3 Mil­lio­nen ge­gen 1562 Stim­men und erneut 1802 zum Allein­herrscher auf Lebens­zeit. Statt "Freiheit, Gleich­heit, Brüder­lich­keit" schallte "Vive le em­pereur!" durch Frank­reichs Straßen.

Hinter diesen nur scheinbar paradoxen Vorgängen stehen all­ge­mein gül­tige Gesetz­mä­ßigkei­ten. Vom Kreislauf der Staatsformen waren schon Aristoteles und Polybios [571]  überzeugt: Auf das Kö­nig­tum, die Herr­schaft des dem Allge­meinwohl verpflichteten Tüch­tig­sten, folgt als Ent­ar­tungser­schei­nung die Ty­rannis des ei­gen­süch­ti­gen Dik­tators. Die­ser wird von wenigen der Edelsten ge­stürzt. De­ren Ari­­­sto­kratie neigt zum Umschla­gen in eine ei­gen­süchtige Oligar­chie. Die­se wird vom Volk ge­stürzt, das mit der Demokratie die höch­ste Staats­form ver­wirklicht. Auf die Dauer gewinnt in ihr aber der Pöbel die Ober­hand und tobt sich in einer Ochlokratie aus, bis ein Tüch­tig­ster das zerrüttete Staatswe­sen wieder aufrichtet und der Kreis­lauf mit ihm als König von neuem be­ginnt. - Diese klassische Staats­for­men­lehre läßt sich heute na­tür­lich nicht wort­wörtlich als Pa­tentrezept an­wen­den. Gegen­über der herr­schenden Dok­trin un­wandel­barer Ver­fas­­sungs­klauseln, wonach es aus den histo­ri­schen Nie­de­rungen vor­sint­­flutli­cher Zeiten immer nur linear auf­wärts ge­he bis zu irgendei­nem Ende der Ge­schichte in ei­nem idea­len Staat, wirkt die beschei­dene Ein­sicht der Anti­ke in die Ver­gäng­lichkeit und Wan­­delbar­keit ge­sell­schaftli­cher Organi­sati­ons­formen erfri­schend reali­täts­nah. "So­bald die Demokratie ein ge­wisses Stadi­um ihrer Ent­wick­lung erreicht hat, setzt ein Entar­tungsprozeß ein; sie nimmt aristo­krati­schen Geist, bis­­wei­len auch aristokratische Formen an und wird dem im­mer ähnli­cher, gegen das sie einst zu Felde zog. Dann entste­hen ihr aus ihrem ei­­genen Schoß neue Ankläger, die sie der Oli­garchie zei­hen." [572]

Am 9.November 1918 waren die Demokraten voller Idealismus auf­ge­bro­chen, eine ver­knö­cherte und privilegierte wilhelmi­ni­sche Ober­­­schicht ab­zulö­sen. Bis 1994 haben sie es ge­schafft, der de­kaden­ten Adelsoberschicht des Kaiser­reichs in allen ihren ab­sto­ßen­den Zü­gen ähnlich zu werden: Sie ha­ben eine neue Obrig­keit gebil­det, und wo 1914 Adelsdünkel vor­herrschte, dün­ken sich heute selbsternannte po­li­tische Tu­gendbolde über das ein­fa­che Volk er­haben, das man nach ei­ner "falschen" Wahl nur "bes­ser erziehen" muß. Wo früher Adels­privi­legien bestanden, mästen sich heute Ex­ponenten des mo­der­­nen Feu­dal­systems an ge­deck­ten Aufsichtsratsti­schen und anderen Pfrün­den­trö­gen. Das BRD-Esta­blishment hat tief in die Pandora­büch­se der Macht ge­grif­fen und sich alle menschlichen Schwächen ange­eig­­net, die als Strafe auf ih­ren Genuß folgen; nur die Tu­gend hat es auf dem Grund der Büch­se liegen­ge­las­sen und schnell den Deckel ge­schlos­­­sen: näm­lich die Tugend der Pflicht­erfüllung ge­genüber den Re­­­gierten. Wo der wil­hel­minische Adel bei aller Deka­denz und al­lem Dün­­kel ein stren­ges, auf das Gemein­wohl bezo­genes Staats­ethos be­ses­sen hat­te, wo Adel ver­pflichtete, erlaubt sich un­sere demo­krati­sche Par­tei­obrigkeit alles. Mit den Worten Erwin Scheuchs ist die Po­liti­kerkaste zu einem "selbsternannte Adel ver­kom­men", der sich die Ta­schen füllt, ohne dabei die geringsten Skrupel zu emp­fin­den. [573]  1918 hatte es mächtiger Anstöße von außen be­durft, die Vorherr­schaft der alten Stände zu brechen. Heute sind Krieg, Revo­lu­tion oder Putsch weder in Sicht, noch wären sie wün­­schens­wert. Das ein­zi­ge In­stru­ment, das in sich ge­schlosse­ne Kar­tell der neuen Obrigkeit auf­­zu­bre­chen, ist die Souve­ränität des Vol­­kes. Jedes Zeital­ter hat sei­nen eige­nen My­thos. Heute erfüllt der Glau­be, daß alle Gewalt vom Volk komme, eine ähnliche Funktion wie früher der Glaube, daß alle obrig­­keitliche Ge­walt von Gott kom­me. [574]  Das Schwert dieses Glau­bens muß ge­gen die Bonner Par­teien­oli­­garchie ge­führt wer­den, weil al­le an­deren Waf­fen stumpf sind. [575]  Nur durch Aktivierung des Vol­kes kann es gelingen, dem Parteienabsolu­tismus ent­ge­genzu­wir­ken. [576]  -

 

Die Bonner "politische Klasse" führt uns ins Brüsseler Multi­kultopia. Dort wer­den wir erst unse­re Souveränität verlie­ren. Diese ist nach Je­an Bodin die in­nere Kraft des Zu­sammenhalts, ohne die das politi­sche Gemeinwesen zer­fällt. Ohne sie wird es uns in ei­nigen Jahr­zehn­ten als Volk nicht mehr ge­ben. In der kurzen, uns noch übrigen Zeit eigen­staatli­cher Handlungs­freiheit und Selbs­t­be­stimmung muß das Bon­ner Esta­b­lish­ment auf demokratischem We­ge durch Ent­schei­dung der Mehrheit des Volkes entmachtet werden, wenn un­ser Land ei­ne de­ut­sche Zukunft haben soll.

Nur das Ple­biszit kann dies leisten. Weil es zu einer "impliziten Ab­wer­tung des Parlaments" füh­ren wird, ist es nicht et­wa ab­zu­leh­nen, [577]  sondern aus genau diesem Grund zu begrüßen. Und wenn Ma­schke warnt, bei der derzeitigen Dege­neration des Volkes wür­den sich die Rechten ganz schön wun­dern, was bei einer Ände­rung der Ver­­fas­sungslage herauskäme, wür­­den sich die zahl­rei­chen lin­ken Be­für­worter des Plebiszits wahrscheinlich noch mehr wun­dern, was das deut­­sche Volk zur Zeit noch mehrheitlich zur mul­tikulturel­len Ge­sell­schaft sagen würde, zur Aus­län­der­­ein­wan­derung, der Ab­schaf­fung der Mark und dem Weg in die Brüs­se­ler Eu­ro­­kratie. Ein klein wenig muß man seinen Lands­leu­ten auch mal ver­trauen kön­nen. Und sollte das Volk wider Erwarten wei­ter den radikalli­bera­len Rat­ten­­fängern hin­ter­herlaufen und sei­ner eigenen Ab­schaffung zugunsten eines Brüs­­seler Mul­ti­kul­to­pia zustim­men, hat es wenig­stens nach­her den klei­nen Trost, aus freiem Willen gehandelt zu haben und nicht nur durch frei schwe­ben­de Füh­rungsoli­gar­chien be­handelt worden zu sein. -

 

Die gesetzestechnische Einfügung des Plebiszits in das Grundgesetz und der Erlaß nä­he­rer Ausführungsgesetze bieten keine juristischen Schwie­rigkei­ten und sind daher hier nicht nä­her darzustellen. In ei­ni­gen Landesverfassun­gen sind in­zwi­schen Volks­begehren und -­ent­scheid vorgese­hen, wenn auch nicht im hier geforderten Um­fang. Auf Ein­­zelheiten der man­nig­fachen Mög­lich­­kei­ten zur Regelung von Ein­zel­fra­gen wie der des er­forderli­chen Quo­­rums für Volks­be­gehren kommt es für un­seren Zusammen­hang nicht an. [578]  Für das an­ge­streb­te takti­sche Ziel genügt die Forde­rung, dem Volk mög­lichst um­fas­sen­de Rech­te zur Mitwirkung bei den Fra­gen ein­zu­räumen, die sein Wohl und We­he als Gan­zes be­rüh­ren. Volks­­ini­tia­ti­ven und -ent­schei­de sind sowohl über Landes- und Bun­des­gesetze wie auch we­gen ad­mi­­ni­stra­ti­ver Einzel­fragen denkbar wie über die Nut­zung der Kern­kraft, der Grö­ßen­ord­­nung des er­wünsch­ten Aus­län­der­zu- oder -weg­zugs oder den Einsatz der Bun­des­­wehr als Hilfs­trup­pe der UNO bzw. der USA.

In der Öffentlichkeit kann für solche Plebiszite das unbe­streitbare ver­fas­sungs­rechtli­che Ar­gu­ment ins Feld geführt werden, daß das Grund­gesetz in Art.20 Abs.II einen aus­drückli­chen, aber bisher nicht er­füllten Auftrag zur Be­teili­gung des Volkes an der Staats­gewalt ent­hält: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Ab­stim­mungen und durch be­sondere Organe der Ge­setz­gebung, der voll­ziehenden Gewalt und der Recht­sprechung aus­ge­übt." Die Parteien haben sich bisher gescheut, dem Volk durch Ge­setz das in der Verfas­sung vorgese­hene Recht der Ab­stim­mung, al­so des Ple­bis­zits, in die Hand zu geben. An der Ver­ein­bar­keit dieses Rechts mit der frei­heitli­chen de­mokratischen Grund­ord­nung kann es nicht nur keinen Zweifel ge­ben; das Grund­ge­setz verlangt sogar aus­drücklich da­nach. Da alle Staats­gewalt vom Volke ausgehen und die­ses nicht nur durch Or­gane, son­dern auch selbst han­deln können soll, steht das Volk über seinen Or­ga­nen, so daß kein Or­gan von vorn­her­ein und ohne triftige Grün­de von einem Rückhol­recht des souve­rä­nen Vol­kes aus­genommen wer­den sollte: Wo der Vertre­tene selbst ent­schei­den will, muß der Vertreter zurückstehen.

Die Trennung von Staat und Gesellschaft

Die Direktwahl des Bundespräsidenten

Das Plebiszit ist, wie jede Wahl, "das elementarste Sicher­heits­ven­til ge­gen oli­garchi­sche Gift­dämpfe." [579]  Es ragt aber nicht bloß als De­struktions­waffe her­vor, indem es das Re­prä­senta­tivprinzip durch­lö­chert, jenes Boll­werk der Partei­enmacht. Es ist viel­mehr in Gestalt ei­ner Volks­wahl des Bun­des­prä­si­denten auch kon­struk­tiv unentbehr­lich. Unter de­mokrati­schen Prä­missen muß je­de Regie­rung, über­haupt jede Staatstä­tigkeit, durch ei­ne Wahl de­mo­kra­tisch legi­timiert sein. Die Di­rektwahl des Bun­des­prä­­si­den­ten durch das Volk wie in der Weima­rer Re­publik und heute in Frank­reich wä­re eine solche Le­gi­ti­mati­on. Sie würde eine volle Nut­zung des Präsi­denten­amtes im Rah­men des Ver­fassungs­sy­stems er­mögli­chen. Heute ist das wegen der dop­pelt in­di­rek­ten Wahl des Präsidenten nicht möglich: Der pro­ze­duralen Di­stanz zwi­schen Volk und Präsi­den­tenamt entspricht die geringe Kompe­tenz sei­nes Inhabers. Die in­­nere Logik des Liberali­s­mus will mit mög­lichst wenig Staat aus­kommen und benötigt die Amtsfunktion eines regierenden Staats­oberhauptes nicht.

Wir brauchen aber das Präsidentenamt konstruktiv für die die ge­wal­­tenteilen­de Tren­nung von Staat und Gesellschaft und um das Re­prä­sen­ta­tions­de­fi­zit bezüglich des Gemeinwohls zu füllen. Das kann das Amt nach heuti­gem Verfas­sungszu­stand nicht leisten. In der Zeit des Für­sten­ab­solutismus hatte sich der Staat gegen­über der Ge­sell­schaft in der Per­son des Monar­chen ver­körpert, seinen Mi­ni­stern und sei­nem Heer. Zwischen ihm und der ge­sell­schaftli­chen Re­prä­sentati­on, dem Parla­ment, hat seit Einführung konstitutio­nel­ler Verfas­sun­gen in Deutsch­land bis 1918 meist ein Schwebezu­stand ge­herrscht. Bei­de Gewalten hielten ein Machtgleichge­wicht, ob­wohl jede Seite die anderen gerne überwun­den hätte. Es liegt in der Logik des Ge­gensatzes zwischen Staat und Gesellschaft, daß jede Seite gern zur Ab­solutheit werden möchte. Solange das keiner Seite gelingt, sind wir Bürger so frei wir irgend möglich. Abgesehen von behebbaren demokratischen Schönheitsfehlern wie ei­nem un­glei­chen Wahlrecht hatte die Reichsverfassung vom 16.4.1871 diese Grund­bedin­gung bürgerlicher Freiheit erfüllt, indem sie Staat und Gesellschaft trennte. Mon­­archie nannte sie sich zwar noch in dem Sinne, in dem heute Län­der wie England und Holland Mon­archien heißen. Der Ver­fas­sungs­form nach aber hatte das Reich "mit der Monarchie gebrochen, denn es [war] eine Republik." Sein Kaiser, seufzte ein Monarchist, war recht­­lich "der Präsident einer Republik, welchen man überein ge­kom­men [war], Kaiser zu nennen." [580]  

In Berlin hatte sich der Sündenfall deut­scher Ver­fas­sungs­ge­schich­te am 28. Oktober 1918 er­eig­net: An diesem Tage trat ein Reichs­ge­setz in Kraft, mit dem Reichs­kanz­ler und -re­gie­rung nicht mehr dem Sou­ve­rän ver­ant­wort­lich waren. Sie wur­den aus ihrer Be­zo­gen­heit auf das Gan­ze, da­mals noch per­sonifiziert im Kaiser, her­aus­ge­löst und der je­wei­­li­gen Mehrheit der im Reichstag ver­sammel­ten Parteien­ver­tre­ter un­ter­worfen. Ohne deren Einver­ständnis konnte der spätere Reichs­präsi­dent kei­nen Kanz­ler er­nennen. Damit hat die Macht­ergrei­fung der Gesellschaft über den Staat be­gon­nen, die im 3. Reich und in der DDR als Par­teiherr­schaften trau­ri­ge Höhe­punkte er­reich­te und bis heute nicht wie­der abge­schüt­telt werden konnte. Seit 1918 saugen die partikularen Kräfte alles Ge­mein­schaftli­che, Staats­be­­zogene in sich hinein, so daß Begriffe wie Staatsräson und Ge­mein­wohl zu von Jün­geren nicht mehr ver­stan­de­nen Worthülsen wur­den und jedes politi­sche Handeln in den Au­gen der meisten Bür­ger nur noch mit innerge­sell­schaftli­chem Catch-as-catch-can as­soziiert wur­de, ei­nem schmut­zigen Ge­schäft, von dem man sich verdrossen, ja angeekelt abwendet.

Gegen denselben Versuch der Gesellschaft, den Staat zu erobern, setzt sich gegenwärtig der letzte regierende Reichs­fürst des Heiligen Rö­mi­schen Reichs Deut­scher Nation und des Deut­schen Bun­des, Hans Adam II. von Liechtenstein, mit erstaunlich treffenden Ar­gu­men­ten zur Wehr: "Fürst Hans Adam II. von Liechten­stein hat mit Weg­zug aus dem Land gedroht, wenn seine verfassungs­mäßi­gen Rech­te ein­ge­schränkt wer­den sollten. Sie si­chern ihm in der Innen- und Au­ßen­po­li­tik großen Ein­fluß. Zu der Eröffnung des neuen Land­tags sagte der Re­gent am Wo­chen­­ende, er sehe es als seine Auf­ga­be an, darüber zu wa­chen, 'daß die demo­krati­schen und rechts­staatlichen In­­sti­­tu­tionen nicht durch die Oli­garchie (Herr­schaft ei­ni­ger weniger) geschwächt wer­­den'. Vor allem dürften Partei­in­ter­essen nicht über je­ne des Staa­tes ge­stellt werden." [581]

Mit dem Gesetz vom 28.10.1918 haben die Parteienvertre­ter im Reichs­­tag dem Kai­ser nicht mehr schaden können, weil dieser am 9. No­vem­ber ab­dankte. Mit der fakti­schen In­stallie­rung ei­ner Par­la­ments­regierung schlu­gen die im Reichstag ver­sam­melten Partei­en­ver­­tre­ter viel­mehr dem Volk als neuem Sou­ve­rän ein Schnipp­chen, ohne daß dieses es bemerk­te: Sie machten sich die Regie­rung bot­mä­ßig und be­gründeten, nicht dem Ver­fas­sungs­buch­sta­ben, aber der Sa­­che nach, eine Art eigener Sou­ve­rä­ni­tät, nämlich die der Ge­sell­schaft über den Staat. Der Schlag vom 28.10.1918 war formal noch ge­­gen den Kaiser als alten Sou­ve­rän geführt wor­den und durfte seine Le­gi­timität auf die Sou­ve­rä­ni­tät des Volkes stützen. Dieses aber han­delte ihm Rahmen des neu installier­ten Par­la­men­tarismus nicht selbst, son­dern durch das Par­lament. Während die Partei­en­vertreter das Volk nur nomi­nell als sou­veränen Herrscher einsetzten, wußten sie sich im tat­sächlichen Be­sitz der maß­geblichen Gewalten, der ent­schei­den­den Hebel der Macht: der Gesetzge­bung und dem Zugriff auf das Amt des Reichs­kanzlers. Dieser wurde zwar formell vom Reichs­­prä­si­den­ten ernannt, bedurfte aber des Ver­trau­ens des Reichs­tags.

Diese Machtergreifung wirkte über die Augenblickslage weit hin­aus und trug nicht nur zur schließlichen Abdankung des faktisch schon entmachteten Kai­sers bei; die Wei­marer Par­tei­en gaben die Macht auch danach nicht wie­der her. Daß das Volk nach der Wei­ma­rer Ver­fassung mit dem Reichspräsi­denten noch einen direkt ge­wähl­ten Vertreter und damit einen Verfechter des Ge­mein­wohls hat­te, half ihm nicht. Paul von Hindenburg nahm als Reichs­präsi­dent die ihm ob­lie­gende Neu­trali­tät über die Parteien aus­ge­spro­chen ernst. Die wirk­li­che Macht lag aber nicht in seinen Händen. "Die par­lamenta­ri­sche Ver­antwortlich­keit der Reichsregierung, die je­der­zeit durch ein Miß­trau­ensvotum von der Mehrheit des Reichs­tags abberufen werden konnte (Art.54 WRVerf), machte praktisch die ge­samte Re­gie­rungs­tä­tigkeit zum Ge­gen­stand parlamentarischer Ko­gnition." [582]  Diesen Zu­­stand hat das Grund­gesetz noch ver­schärft, in­dem es dem Bun­des­prä­­si­den­ten ge­gen­über dem Parlament die Rechte vor­enthält, die der Wei­­marer Reichs­­präsident noch ge­habt hatte. [583]

Zu konstitutionell-monarchischen Zeiten rechtfertigte sich die Idee der parla­menta­ri­schen Re­gierungsform als syste­müberwindendes Kampf­­­­­­­instru­ment ge­gen die Idee der mon­ar­chi­schen Sou­ve­rä­ni­tät: Dem Monarchen sollte die Ver­ant­wort­lichkeit für die Re­gie­rungsge­walt entwun­den werden, weil er keine demo­kra­tische Legitimation be­saß. Nach 1918 wurde die Idee der parla­menta­ri­schen Re­gie­rungs­form mit den Wor­ten Ro­man Herzogs "in die demo­kratische Epo­che herüberge­schleppt", die Exekutive "demokra­ti­siert", ihr je­de Tätig­keit oh­ne Grundlage eines parlamenta­risch be­schlos­se­nen Geset­zes unter­sagt und darüber hinaus noch die parlamentari­sche Abhän­gig­keit der Re­gierung "in exzes­siver Form ein­ge­führt." [584]  Hier gilt es den He­bel an­zuset­zen. Die fossilen Über­bleib­sel aus der Epoche des Par­la­ments­kampfes gegen die Krone müs­sen beseitigt und eine demokra­tisch ge­wählte Vertretung des Ge­meinwohls einge­setzt werden: Der Bun­des­präsident als Ver­tre­ter des ganzen Volkes. In seiner Hand liegt allein die Ver­ant­wor­tung für Kanzler und Regie­rung.

 

Nichts, aber auch gar nichts wür­de gegen diese Forderung die pole­mi­schen Be­haup­tung rechtfertigen, dieser wer­de ein starker Mann sein oder wie die alten Sprüche aus der radi­kal­li­be­ra­len Mot­ten­ki­ste noch lauten. Die Prinzipien und Wesensmerk­male der frei­heit­li­chen demo­kratischen Grund­ord­nung wä­ren mit­einander teil­wei­se unver­einbar, wenn man den Ehr­geiz hätte, jedes dieser Ge­stal­tungs­prin­zi­pi­en unein­geschränkt ver­wirk­li­chen zu wol­len. Dann würde es an­dere verdrän­gen. Jede Ver­fassungsordnung muß sich um ein Austarieren und auf­ein­ander Einwirken teils ge­gen­läu­fi­ger Wün­­sche bemü­hen. Die stärkere Betonung des ei­nen Merk­mals bewirkt unter Um­­ständen eine zwangs­läufige Ge­wichts­ver­rin­ge­rung ei­nes an­deren. So hat die Ein­setzung des Kanzlers durch den Präsiden­ten ein stark ge­waltentei­len­des Gewicht; ja ei­gent­lich entspricht nur ein solches Präsidial­sy­stem eini­ger­maßen dem Bild einer ge­waltenteilen­den Demokratie, in dem das Parla­ment die vom Präsiden­ten berufe­ne Regierung weder von Rechts wegen zu be­stä­tigen noch zu stürzen befugt ist. [585]  

Wenn der Kanzler von der parlamentarischen Kontrolle be­freit und nur noch dem Ge­mein­wohl verpflichtet, also vom Vertrauen des Bun­despräsiden­ten ab­hängig ist, erfor­dert dies ei­ne andere Art von Kon­trolle der regierenden Ge­walt. For­mal liegt eine de­mo­krati­sche Ver­antwortlichkeit der Regie­rung schon in der Ab­hän­gig­keit des Kanz­lers vom volksge­wählten Bundespräsi­den­ten. In­haltlich stößt die Re­gie­rung an ihre Grenzen und wird auf Kom­pro­misse und ein grund­sätz­­liches Vertrauen des Bun­destags fak­tisch an­gewiesen sein, weil die­­ser das Haushaltsrecht besitzt. Oh­ne Geld läßt sich nicht re­gie­ren. Dar­über hinaus sind für Fälle extremen Machtmiß­brauchs des Bun­­­des­­prä­si­den­ten oder sei­nes Kanz­lers eine permanente Ein­griffs­mög­lich­­keit des Volks und eine besondere rechtli­che Un­ter­wor­fenheit un­ter verfassungs­ge­richtliche Kontrolle zu erwägen. Das Parlament muß als Verfas­sungsorgan wenig­stens das Recht ha­ben, wegen eines an­­­gebli­chen Verfassungs­versto­ßes der Exe­ku­ti­ve das Verfassungsge­richt an­zurufen. Die po­liti­sche Kontrolle durch das Volk ist nach dem hier vorge­schla­genen Maßnahmen­bün­del schon durch die Mög­lich­­keit des Volksentscheids über kon­kre­te Regierungs­maß­nah­men ge­geben. Ei­ne geordnete Re­gie­rungs­tätigkeit setzt aller­dings voraus, daß ein ho­her Pro­zentsatz der Wähler einen sol­chen Ent­scheid be­gehrt. Die­ses Qu­orum muß hoch genug lie­gen, so daß es nur in wich­tigsten Rich­tungs­fra­gen und großer Mobilisierung der Wähler zu einem Volks­­entscheid kom­men kann.

Das gilt entsprechend für ein Recht des Volks, den Bundespräsi­den­ten wäh­rend sei­ner Amts­zeit durch Wahl eines anderen zu stür­zen. Weil der Prä­sident notfalls auch erfor­der­li­che, aber un­po­pu­läre Maß­nahmen treffen kön­nen muß, kann dieses Volks­recht nur auf Ausnah­mesitua­tionen be­schränkt sein, wenn kein per­ma­nen­ter Wahl­kampf herrschen soll. Denkbar wäre auch ein nur ge­meinsam von Bundestag und Volk jeweils mit den Stim­men der Mehr­heit aus­zu­übenden In­itiati­vrecht.

Die Rekonstruktion des Staates

Oben waren wir auf die Ausbildung des neuzeitlichen Phäno­mens "Staat" ge­genüber der mit­telalterlichen Lehnsgesellschaft eingegan­gen. Wir haben das Auf und Ab der Macht des Staats von ihrer vollen Ent­faltung im Fürsten­ab­so­lu­tis­mus bis in unser Jahr­hundert der to­tali­tären Ideo­logien ver­folgt, in dem der Staat häufig nur noch ge­duldet und miß­braucht wurde als von einer Ein­heits­par­tei ver­ein­nahmter Knecht, wenn seine Amtswal­ter, die Poli­zei und Ju­stiz auf Par­teibe­fehl Unrecht tun mußten. Schließlich ha­ben wir auch in der Ide­enwelt des Libe­ralis­mus ein ideologi­sches Grund­prinzip ge­fun­den, des­sen ex­treme, ul­tra­li­berale Anwendung auf eine wei­test­mögliche Reduzie­rung staatli­cher Funk­tionen hin­aus­läuft, wenn nicht gar zu einem in letzter Konsequenz er­wünsch­ten "Ab­ster­ben" des Staates, den der Li­berale al­lenfalls als leider un­ent­­behr­lich dul­det.

Daß diese Zukunftsperspektive nicht übertrieben ist, be­weist das Ver­hal­ten der libe­ra­len deut­schen Parteipolitiker tagtäglich. In Deutsch­land gibt es be­deu­ten­de Bereiche, die tradi­tionell "staat­lich" ge­führt oder zumindest kon­trol­liert sind. Die­se Bereiche wer­den all­ge­mein mit dem umfas­senden Begriff der Da­seins­vor­sor­ge und -für­sorge um­schrie­ben. Für das Gemeinwohl für unent­behr­lich gehaltene Tätig­keiten sind so seit dem 18. Jahr­hundert staat­li­che Do­mänen ge­worden: Von den merkanti­listischen Wirt­schafts­be­trieben Fried­richs des Großen führt eine direkte Ver­bin­dung zum staatli­chen Bau des Volks­wa­gen­werks und den Ak­tien­an­teilen des Bundes an der Luft­hansa. Staat­lich wurden in Deutsch­land seit dem 19. Jahrhun­dert die Post geführt, die Ei­sen­bahn, die Was­ser­ver­sor­gung und andere Un­ternehmungen, mit de­nen der Staat eine er­for­­derli­che Grundver­sor­gung der ganzen Be­völ­kerung sicher­stel­len wollte. Be­kannt­lich wer­den zur Zeit alle diese bis­her staatlichen Wirt­schafts­betriebe pri­vati­siert. Die Entstaatlichung zeichnet sich aber auch in den Berei­chen am Hori­­zont ab, wo der Staat uns Bürgern bisher mit hoheitlicher Macht­be­fugnis ge­gen­über­ge­treten ist. Wo we­nig Polizei von Po­liti­kern als li­­beraler empfunden wird als mehr Polizei, spart man im Staats­haus­halt und läßt den Bür­ger mit den Prob­le­men der wach­sen­den Kri­mi­na­­li­tät al­lein. In ganzen Stadtvierteln ist der Staat mit seiner Polizei nicht mehr präsent und über­läßt die ratlosen Bür­ger ih­rem Schick­sal, der Selbst­bewaffnung oder teueren privaten "Si­cher­heits­dien­sten".

In diesem Zusammenhang lohnt sich ein Blick auf das klassi­sche Land des Liberalis­mus, die USA, und auf dort als Zu­kunfts­per­spek­ti­ven gedrehte utopi­sche Spielfilme. Diese ge­ben uns einen rea­li­tätsnah dargestellten Aus­blick auf eine auch bei uns mög­li­che Zu­kunft. Die Drehbücher signifikant vieler aktueller Hollywood-Pro­duk­tionen ver­wen­den als ge­sell­schaftli­chen Hintergrund uto­pi­scher Spielhand­lun­gen die Vision einer Welt ohne Staat: die to­tale Ge­sell­schaft. [586]  So wer­den die Geschicke der zukünfti­gen Mensch­heit in Science-­Ficti­on-Filmen wie "Aliens - Die Rückkehr" (1986) oder "Total Recall" (1989) aus­schließ­lich durch private Fir­men gelenkt: Großkonzerne ha­ben die alleinige Macht über­nom­men. Ne­ben ihren Ord­nungstrup­pen gibt es keine staat­liche Poli­zei mehr. Wer in der Zukunfts­welt auf dem Mars in "Total Recall" at­men will, muß die Luft von einem all­mächtigen In­du­strie­be­trieb und seinem Inhaber kau­fen, der dort von der Druckkup­pel bis zur letzten Schraube alles gebaut hat und be­herrscht. Tat­sächlich liegt ein solcher End­zu­stand in der inneren Lo­gik des Libe­ra­lis­mus. Er markiert den Endpunkt einer hi­storischen Ent­wicklung vom totalen Staat des Für­stenabsolutismus zur tota­len Gesell­schaft ei­nes Ab­solutis­mus des Partikula­ren. Rohrmoser hat hier­zu darauf aufmerksam ge­macht, insbe­sondere He­gel habe be­grif­fen, "daß die mo­derne Gesellschaft zu einer Art neuem Ab­so­luten" wer­de, wenn "sie sich an die Stelle von Ge­schichte, von Volk, von Na­­tion" setze [587] : Mit dem weni­gen, was bei weiterem unge­hemm­tem Wirken des Liberalis­mus übrig­blei­ben wird, wer­den wir keinen Staat mehr ma­chen können.

Hier gilt es Gegenkräfte zu mobilisieren, die Tendenz umzu­keh­ren und den Staat vor sei­ner gänzlichen Beseitigung zu bewahren, weil wir ihn noch benö­ti­gen, und ihn insbeson­de­re vor einem Auf­ge­hen im nur Gesellschaftli­chen zu schüt­zen. Eine voll­ständi­ge und in allen Le­bens­be­reichen sauber durchzuhal­ten­de Trennung von Staat und Ge­sell­schaft ist zwar nach allge­meiner Ansicht nicht möglich. Diese Ein­sicht ist aber kein Grund, die mit Staat und Gesellschaft be­zeich­ne­ten Aspekte menschli­chen Zusam­menle­bens nicht von­einander zu tren­nen, wo dies möglich ist. Dazu be­darf es zual­lererst eines Ver­fas­sungsor­gans, dem die Verkörperung des Staats gegen­über der Ge­sell­schaft obliegt. Die­ses Organ ist der Bundes­präsident. Wäh­rend er heute nur symbolische Funk­tio­nen erfüllt, sind ihm die Ent­scheidung über den Kanz­ler und damit die Regie­rungsge­walt und damit deren Kon­trolle al­leinverant­wortlich zu über­tragen.

Das Repräsentationsdefizit

Da das Ganze in der Bonner Verfassung nicht hinreichend vertre­ten ist, liegt das Struk­tur­de­fizit des Grundgesetzes vor allem in ei­nem Re­­­prä­­sen­ta­ti­ons­man­gel. Der in ein ge­sell­schaftliches Kräf­teparallelo­gramm eingebundene Bür­ger bedarf der Reprä­sen­ta­tion seiner Inter­es­­­sen ge­genüber ande­ren ge­sell­schaft­li­chen Mäch­ten in einem plura­len Ver­tre­tungsor­gan, dem Bundes­tag. Aber auch sein Fun­da­men­tal­in­­teresse an der Integrität desjenigen Ganzen, das seine individuelle Frei­­heit schützt, müßte vertreten werden. Das eigentliche Problem be­­­steht im Kon­flikt zwischen verschiedenartigen Einzelbelangen und ih­rem mög­li­chen Ge­gensatz zum umfassen­den öffentlichen Inter­es­se. [588]  Weil man mit dem Re­prä­sen­ta­tionsmodell im Grund­gesetz 1949 ein Höchst­­maß an "de­mo­kra­ti­scher" Legitimation bewirken woll­te, muß der Par­la­­ments­ab­solutismus als korri­gier­­ba­rer Kon­struk­­t­ions­­feh­ler der Ver­fas­sung angese­hen wer­den, weil das Re­prä­sen­­ta­ti­ons­prin­zip nur un­voll­­stän­dig durchgeführt wur­de. Darin liegt ein Sy­­­stem­bruch, ein Wi­der­­­spruch des ge­dank­lichen Mo­dells der In­ter­es­sen­ver­tre­tung in sich. Die­ser Wi­der­spruch beruht auf einer ex­tre­mi­sti­schen Übertrei­bung der oben dar­ge­stell­ten libe­ra­len Grund­an­nah­men. Die entschei­dende fal­­sche Grund­prä­misse des mo­der­nen Liberalis­mus war danach die, das Gemein­wohl als bloße Resul­tante des innerge­sell­schaftlichen In­ter­­es­sendrucks anzusehen. Die Ba­lance zwi­schen den wechsel­sei­ti­gen In­ter­essen führt eben tatsächlich nicht zu einer Art hö­herer Har­monie. Dieses Modell läßt sich mit dem Prinzip der Inter­es­sen­re­prä­sen­ta­tion aus dem Grund nicht in voll­ständigen Ein­klang brin­gen, weil es die in­nergesell­schaftli­chen Um­ver­tei­lungs­in­ter­essen fälsch­lich für die ein­zigen zu repräsentie­renden In­ter­essen hält. Je­der ein­zelne hat aber zwei Seelen in seiner Brust: [589]  Er hat ein In­teresse an einem mög­lichst gro­ßen Anteil an den volks­wirt­schaftlich verfüg­ba­ren Gü­tern, der im Geldzeitalter sei­nem in­ner­ge­sell­schaft­li­chen Rang ent­spricht; zu­gleich aber auch ein Interesse, das sich spe­zi­fisch auf den un­be­schädig­ten Fort­bestand des Ganzen gegen alle Teil­kräfte als sol­che und ge­gen­über anderen Ganzhei­ten richtet, also gege­n­über an­de­ren Staa­ten. Es geht also um Inter­essen von grund­sätzlich zwei­erlei Na­tur. Es gilt die "durch den Staat organisierte ho­mogene Volks­ge­samt­­heit" durch andere Repräsentanten zu vertre­ten als die Ge­sell­schaft in ihrer wirtschaftlichen, re­gio­na­len, welt­an­schaulichen und po­li­ti­­schen Zersplitterung. [590]

Dieses Fundamentalinteresse jedes einzelnen kann aber in einem in­teres­sen­pluralisti­sch or­gani­sierten Gremium nicht repräsentiert wer­den, sondern nur in einer Person. Diese reprä­sentiert das Ganze ge­gen­über seinen Teilen. Die Inter­essen des Ganzen und die sei­ner Tei­le können nicht in dem­selben Organ vertre­ten sein. Dieses müß­te sonst gleichzei­tig gegensätz­liche Inter­es­sen ver­treten, was es der Natur der Sache nach nicht kann. Das zeigt sich heute z.B. an der Per­son des Bundes­kanzlers, der, obwohl Partei­vorsit­zen­der, das Wohl des gan­zen Vol­kes zu­gleich mehren soll, also auch das der In­ter­­­essengegner seiner Partei. Im 18. Jahrhundert, der Epoche des ab­so­luten Staates, repräsentierte der König das Volk und verkörperte des­sen Einheit. In unserem Jahrhundert der absoluten Gesellschaft wählt es sich ein Par­la­ment voller kleiner Könige, die es in seiner plu­ralen Form als Ge­sell­schaft repräsentieren sollen. Es wird Zeit, wie­der beide Aspekte zwischenmenschlichen Daseins zugleich zu re­prä­sen­tieren.

Nach deutscher Verfassungstradition ist der berufene Ver­treter der Fun­da­mentalin­ter­es­sen aller Bürger der vom Volke direkt ge­wähl­te Bun­des­prä­si­dent. Dieser ernennt ei­nen nur von ihm ab­hän­gi­gen Kanz­ler, wie in Frank­reich und der Wei­marer Republik, oder er regiert selbst, wie in den USA. Sein Kanzler ist aber nicht vom Par­lament ab­hängig wie im Parla­mentaris­mus. Ihm wird ge­ra­de ge­gen­über dem Parlament, das auch künftig die Ge­sellschaft mit ihren Bin­nen­in­teres­sen vertritt, die notwendige Re­präsentati­on des zu den in­nergesell­schaftli­chen Interessen meistens quer lie­gen­den [591]  All­ge­mein­in­ter­es­ses ob­lie­gen, und als des­sen Ver­treter wird er mit staat­li­cher Re­gie­rungsmacht in ei­nem gewal­tentei­len­den Verfas­sungs­system dem ge­setz­ge­benden Par­la­ment eben­bür­tig gegen­über­stehen.

Das wird dann im Ergebnis kein Par­la­mentaris­mus im engeren Sinne mehr sein, sondern ein Präsi­dialsy­stem, das im Prinzip so funk­tio­nie­ren wird, wie es auch bei unse­ren ame­rika­nischen und französi­schen und russi­schen Nach­barn funk­tio­niert. Nebenbei bemerkt wäre ein Präsidialsystem, wie hier vorgeschla­gen, mit der frei­heitli­chen de­mokra­tischen Grundordnung im Sinne des BVerfG ohne wei­te­res ver­einbar. Art.79 III und 20 GG verlangen nicht das rein par­la­men­ta­ri­sche Regierungs­system, sondern lassen ein präsidiales durch­aus zu. [592]  Wün­schenswert ist dabei eine mög­lichst weitgehende Tren­­nung von Staat und Ge­sell­schaft in Form ei­ner völligen Unab­hän­gigkeit des Präsidenten und der Regierung vom ge­setz­ge­benden Par­lament. Als Prag­mati­ker würden wir eine Verfas­sung wie die Weimarer und die jetzi­ge rus­sische [593]  mit einer Regie­rung, die vom Vertrauen von Par­la­ment und Prä­si­dent abhängt, na­türlich als Teilver­wirklichung un­se­rer Prinzipien immer noch lieber sehen als unser heu­tiges Sy­stem rei­ner Parla­ments­herr­schaft.

Die Ironie der Geschichte des historischen Liberalismus bringt es mit sich, daß gerade das hier geforderte Re­gie­rungs­system einmal li­beralen Forderungen exem­plarisch entsprochen gehabt hatte: Bevor es Liberale 1918 und 1948 bevor­zugten, nach der ganzen Macht zu grei­fen und einen liberalen Parlaments­ab­so­lu­tis­mus zu errichten, sa­hen sie "das Wesen des echten Parlamentarismus ge­rade darin, daß die Exekutive nicht das untergeordnete Instrument des Par­la­ments­wil­lens ist, sondern ein Gleichgewicht zwischen beiden Ge­walten be­steht." [594]  Machtgleichgewichte verhindern ihrer Natur nach die ein­deutige Entscheidung zwischen zwei antagonisti­schen Prinzipien. Das hier eingeforderte Gleichge­wicht zwischen den reprä­sentier­ten In­ter­essen des Ganzen und denen seiner Teile ist aber notwendig, wenn ein Absolutismus der einen oder anderen Seite vermie­den wer­den soll. Entgegen Carl Schmitt ist es also kein "Mangel" dieser "rechts­staat­li­chen Idee", daß sie "die letzte, unab­wendbare, politische Ent­schei­dung und Konsequenz der politischen Formprin­zipien um­ge­hen will." [595]  

Wenn man schon von der Vertretbarkeit von Interessen ausgeht, dann muß man auch konse­quent sein und mit dem Repräsenta­tions­ge­­dan­ken ernst ma­chen. Es ge­nügt dann eben nicht, die In­teres­sen der­jeni­gen in einem Parla­ment zu bün­deln, die sich aufgrund ihres Le­bensal­ters und ihrer Kraft über­haupt or­ga­nisie­ren kön­nen. Nur be­stimmte Eli­ten kön­nen die ge­ge­be­nen Be­tei­li­gungs­mög­lichkeiten aus­schöp­fen und dabei ihre Interessen ar­ti­kulie­ren. [596]  Aus ver­­bands­so­zio­­logi­schen Grün­den lassen sich vor allem ganz all­gemeine In­ter­es­­sen und die In­ter­­essen von Rand­grup­pen ohne Macht zur Konflikts­aus­tra­gung nicht or­ga­ni­sie­ren; [597]  und was nicht or­gani­siert ist, bleibt nach dem rein libera­len Modell weit­ge­hend un­ge­schützt. Sind Par­ti­ku­­la­r­in­teres­sen regel­mäßig stär­ker organisiert, stellt von Arnim wei­ter mit Ol­sonscher Logik fest, bleibt der Ap­pell zum All­ge­mein­in­ter­es­se auf der Strecke.

Daß es ein Gemeinwohl überhaupt gibt, kann schlechterdings nicht ohne Wi­derspruch zu seinen eigenen Prämissen bestreiten, wer Inter­es­sen überhaupt für vertretbar hält. Merkwürdigerweise pflegen aber die­selben Autoren die Existenz des Gemeinwohls aller Bürger eines Staates oder aller Angehörigen eines Volkes als ideologisches Kunst­produkt oder Gedankenfiktion zu bezeichnen, die über­haupt keine Probleme mit der Annahme eines gemeinsamen Wohls aller ÖTV-Mit­glieder oder aller Proletarier oder aller Frauen haben. Daß es ein auf ein politisches Ge­meinwesen zu beziehendes gemeinsamen Wohl grund­sätzlich geben kann, wie auch immer es konkret zu bestimmen sein mag, ist nur zu be­streiten, wenn man generell die Möglichkeit des gleichen Interesses zweier Men­schen abstreitet. Dieses gemein­sa­me Wohl kann vertreten werden, wenn über­haupt irgendein ge­mein­sames Inter­esse zweier Menschen vertreten werden kann. Wer es ver­tre­­ten will, muß dabei einen Standpunkt einnehmen, der sich ge­gen­über den auch vorhandenen Privat- und Einzelinteressen mög­lichst neu­tral ver­hält. Daß sich die Staatsgewalt als pauvoir neutre über die ge­sellschaftlichen Kräfte erheben kann, ist also keineswegs Ideo­lo­gie, [598]  sondern folgt zwingend aus der Idee der Ver­tret­barkeit von In­ter­essen.

Mit Recht hat Böckenförde darauf hingewiesen, daß der poli­ti­sche Ort zur Austra­gung von Funda­mentalkonflikten fehlt, wenn kon­sti­tu­ierte Interes­sen­gruppen die einzi­gen Faktoren der politi­schen Wil­lens­­bil­dung sind. Diese Kon­flikte würden ver­drängt, und sie wären nur bei einer Mobilisierung der Ge­samt­heit aller Bür­ger ar­ti­kulati­ons­fä­hig. Diese Mobili­sie­rung bedürfe staat­li­cher Lei­tungs­organe. [599]  Ein solches Or­gan wäre der Bun­despräsi­dent mit den hier vor­geschla­ge­nen Kom­pe­tenzen. Das struk­tu­rel­le Defizit des ul­tralibera­len Bonner Mo­dells liegt darin, daß er diese Be­fug­nis nicht hat. Das ist ein Re­prä­sen­tati­ons­man­gel, der die je­weilige Ma­jorität der Gruppenin­ter­es­sen durch den Bun­destag un­ein­ge­schränkt herr­schen läßt und dem Ge­mein­wohl keine wirk­same Ver­tre­tung zu­ge­steht. Diese Ver­tre­tung ist eine Be­din­gung, oh­ne die Staat und Gesell­schaft nicht vonein­an­der ge­schie­den werden kön­nen. Es gibt demzufolge nur ei­ne rea­listi­sche Stra­tegie für ein Roll Back des Partei­en­staates: Sie be­dient sich des beid­seits scharfen Schwertes des Ple­bis­zits: Die­ses be­kämpft de­struk­tiv die verkrusteten Struktu­ren des selbst­re­fe­ren­tiel­len Partei­en­feu­da­lis­­mus, und sie gibt dem Neu­en kon­struk­tiv durch Wahl des Bun­des­prä­si­denten die nö­ti­ge de­mo­kra­ti­sche Le­gitimation.

Anders als heute wird und muß das Volk doppelt repräsen­tiert sein: In sei­ner Er­schei­nungs­form als bürgerliche Ge­sellschaft mit plu­ralen Interessen in ei­nem Par­lament ab­ge­ordneten Vertreter die­ser Einzelin­teressen; als gan­zes Volk hin­gegen in einer vom Vol­ke direkt ge­wähl­ten Einzelper­sön­lichkeit, die den Staat ver­kör­pert und durch ihren Kanzler die Belange des Ganzen vertritt. Das folgt aus dem ge­nuin aufklärerischen Ansatz erfor­der­licher In­ter­es­sen­vertretung und führt diesen konse­quenter durch als das extrem li­be­rale Modell ein­seitiger Ent­faltungs­möglichkeiten vor allem für den öko­no­misch Stärkeren und das linke Modell klassen­mäßiger In­ter­es­sen­ver­tretung. Jeder hat also ein unmittelbar selbst­be­zo­ge­nes Ei­gen­in­ter­es­se und ein manchmal damit kon­kurrierendes Eigen­interesse am Be­stand der Gruppe hat, zu der er gehört und die ihn schützt. Wer nicht er­kennt, daß es Völker gibt, die Staa­ten zur Wohlfahrt ihrer An­gehörigen bil­den, mag freilich dem Irr­tum verfallen, Staaten seien nur zum Pri­vat­vergnü­gen bos­hafter Po­tentaten erfunden. Er mag dann etwa ge­gen die hier ver­tretene Position formulieren: "Auch wenn sie von De­mo­kratie reden, meinen sie doch nichts anderes als den für sie wün­schens­werten starken Staat (Diktator), unter dessen Interessen sich die Menschen unterzuordnen haben." [600]  Welch bemer­kenswertes Be­griffs­mikado und Sammel­surium von Halbverstandenem steckt doch in einem solchen, immerhin in Auflage von 5000 Stück ver­brei­te­ten Satz!

Die Gegnerfreiheit

Aus der inhaltlichen Aufgabe des Bundespräsidenten zur Ver­tre­tung des Gan­zen ge­gen seine Teile folgt zwingend die formale For­de­rung, daß er kei­nem dieser Teile ange­hö­ren darf. Da nie­mand zu­gleich zwei Herren dienen kann, darf der Präsident nicht Mit­glied ir­gend­einer Par­tei oder Interes­sen­grup­pe sein. Nun läßt sich die in­ner­li­che Ge­mein­wohl­o­ri­entierung ei­nes Men­schen nicht ver­ord­nen, und das Volk muß in der Aus­wahl der Per­son frei sein, die es ins­gesamt re­präsentieren soll. Ein ganz un­ge­bun­dener Kan­di­dat wird die Aus­nahme sein und oh­ne Par­tei­en­un­terstüt­zung kei­nen Wahl­kampf ge­win­nen können. Ande­rer­seits kann gerade die Kandida­tur eines par­tei­un­ab­hän­gigen Be­wer­bers alle Par­tei­en hoffen lassen, dieser werde allseits neutral auf­tre­ten, und ge­ra­de das könnte eine allgemeine Un­terstützung über Par­tei­gren­zen hinweg nach sich ziehen. Späte­stens mit der An­nah­me der Wahl und sei­­nem Amts­eid auf das Wohl des ganzen Vol­kes muß der Bun­despräsident aber äl­tere Bin­dungen lösen und ein eventuell vorhande­nes Parteibuch zu­rückge­ben.

Heute wird die Bundesregie­rung von einem Kanzler ge­führt, der zu­gleich Partei­vorsitzender ist. Eine ab­solute Mehrheit an Bürgern hat andere Parteien oder gar nicht gewählt. Für sie reprä­sentiert er den in­nenpolitischen Gegner. Je­der Gewerk­schaft ge­steht man aber Geg­ner­freiheit zu. Sie braucht nie­man­den aufzuneh­men, ge­schwei­ge denn in Führungs­positionen zu lassen, der eine von ihr will­kürlich als geg­ne­risch an­gesehene andere Bindung hat, z.B. ein Par­tei­buch einer von den Ge­werk­schafts­funktionären nicht gern ge­sehe­nen Partei. Kir­chen müs­sen keine Angestell­ten be­schäf­ti­gen, die gegen Kir­chen­recht ver­stoßen haben. So kann ei­ne Kü­chenhilfe eines kirchlichen Al­ters­heims ent­las­sen wer­den, nur weil sie nicht kirchlich geheira­tet hat. Nur der Staat, das Ganze, soll es heute hin­nehmen müssen, daß seine Schaltstel­len mit Per­so­nen besetzt wer­den, die nach Partei­pro­porz ausgewählt oder nach par­tei­taktischem Macht­kalkül protegiert wor­den sind und die sich ihr­er Partei verpflich­tet fühlen, nicht dem Gan­zen.

Aber wie ist der Gefahr zu begegnen, der Bundespräsident als ein­zel­ner könne, was noch schlimmer wäre als die Herrschaft einer Teil­gruppe, im we­sentlichen eigennützig für sich selbst regieren? Ist er als Person nicht auch Teil der Gesell­schaft? Wenn die Herrschaft ei­ner Ge­sellschaftsgruppe über den Staat, das Ganze, von Übel ist - muß nicht die Herrschaft eines einzel­nen, also eines Teils einer Teil­grup­pe, das Übel noch verstär­ken?

In der parlamentarischen Demokratie behauptet die jeweilige Par­la­ments­ma­jorität ja auch, für das Ganze zu herrschen. Daß sie ihrer Na­tur nach nicht das Ganze, sondern nur sich selbst vertreten kann, ist ei­ne wesentliche kriti­sche Einsicht gegen das System der Parla­ments­re­gierung. Wenn ein ein­zelner Prä­si­dent das Ganze in­halt­lich soll reprä­sentie­ren können, wenn wir ihm zu­trauen, für die Be­lan­ge Aller einzu­treten, warum soll ein vom Parla­ment ge­wählter Bun­des­kanzler das nicht auch können? Warum können es die Parla­men­tarier praktisch nicht, obwohl sie es nach Art.38 GG doch sol­len?

Der wesentliche Unterschied liegt in der nötigen persönlichen Un­ab­hän­gig­keit des Bundespräsidenten und dem ihm abzufordernden Amts­ver­ständ­nis. Ein Bundes­kanzler von Parlaments Gnaden ist stets dem Gut­dün­ken der je­wei­ligen Mehrheit ausgesetzt und muß für diese Ent­schei­dun­gen tref­fen. Im tägli­chen Ringen um Kom­promisse zwi­schen den Interessen inner­ge­sell­schaftlicher Macht­gruppen kann er nicht zu­gleich für die Unor­ganisierbaren, Un­ge­borenen und Schwachen und schon gar nicht für das Ganze gegen den In­ter­es­sen­druck seiner Teile eintreten. Das gilt erst recht, wenn er zu­gleich Vorsit­zender der Ma­joritätspartei ist. Ohne Unge­bundenheit von sol­chen Ab­hän­gigkeiten kann ein Präsident daher nicht für das Gan­ze regieren oder re­gieren lassen. Keine formelle Par­tei­ge­bun­den­heit darf Zweifel an der Neu­trali­tät und inneren Unbe­stech­lich­keit des Amtsin­habers wecken. Die Frei­heit von Partikularbin­dun­gen und Basi­simpe­rati­ven ist Grund­voraus­setzung de­mo­kra­tischer Reprä­sentati­on. [601]  

Wichtigstes Erfordernis für ein Präsidentenamt im Präsidialsystem ist aber ein auf das Ganze gerichtetes Amtsverständnis. Ein Präsident mit dem Wahl­spruch Ludwig XIV. "Der Staat bin ich!" würde alle Übel kumulieren: Er würde den Staat für eine selbstbezo­gene Herr­schaft mißbrauchen und mit seiner Ein­personenherr­schaft den klein­sten Bau­stein der Gesellschaft zum Eroberer des Staatsapparates ma­chen. Damit wäre die Herr­schaft aus Sicht des Staats ab­so­lut, aber doch wie­der ausgeübt durch und bezogen auf einen gesell­schaft­li­chen Kleinst­teil. Gegen diese absolutistische Versuchung hilft nur ein Amts­ver­ständ­nis, wie es Friedrich der Gro­ßen mit sei­nem Motto aus­gedrückt hat: "Ich bin der erste Diener meines Staa­tes."

Auch Ernst-Wolfgang Böckenförde fordert eine derartige, auf die Er­forder­nisse der Allge­meinheit gerichtete, aus einem Amtsethos kom­­mende und von Partikular­bindungen und Basi­simperativen freie Ver­tretung und nennt sie "inhaltliche Reprä­sentation". Das Vorhan­den­sein einer solchen, auf die Be­lange des Volkes ins­gesamt ge­rich­te­ten Reprä­sentation ist Vorausset­zung da­für, daß die par­la­men­tarische De­mokratie nicht zu ei­ner de­legierten Individual- und Grup­penherr­schaft, ei­nem wech­selnden Mehr­heits­ab­solutis­mus [602]  oder der au­to­kra­­tischen Selbstherrschaft eines einzelnen ab­sinkt. Der Mehrheits­ab­­so­lu­tis­mus ist aber der Istzu­stand der to­talen Gesellschaft, deren radi­ka­ler Li­beralis­mus den Gegen­satz zwi­schen dem Ganzen und sei­nen Tei­len konse­quent zula­sten des Gan­zen aufgelöst hat. Immer folgt aus dem Liberalismus in letzter Konsequenz Mehrheitsabsolutismus, nie­mals Frei­heit. [603]  Seine Ab­ge­ordneten sind in reale, soziologisch, öko­nomisch und in­ner­par­tei­lich greifbare Zwänge und Ge­setz­lich­kei­ten einge­bunden und können in ihrer Masse selbst dann nicht für das Wohl aller eintreten, wenn sie das gerne wollten. Nichts zwingt sie zu ei­nem auf das Ganze bezoge­nen Amts­ethos, wo­hin­ge­gen sie von Grup­­pen­in­ter­es­sen und ihrem Eigeninteres­se an Wie­deraufstel­lung per­sönlich abhängig sind.

Allein der Amtsbegriff eignet sich als Ausgangspunkt [604]  für eine prin­zi­piell fremd­nützi­ge Vertretung der Interessen des Ganzen durch sein Ober­haupt. Die­sem muß, prak­tisch auf dem Höhepunkt sei­ner politischen Karrie­re, durch ge­eignete Maßnahmen per­sön­liche und sach­liche Unabhängigkeit und Unbe­stech­lichkeit er­mög­licht werden. Zum Beispiel sollte er bei Gesprächen mit dem Auf­sichts­rats­vor­sit­zen­den ei­ner mul­ti­nationalen Aktien­gesell­schaft nicht weniger ver­die­nen als einer der unter­ge­ordneten Ma­nager dieser AG. Die Frei­stel­lung von Partikular­bindungen darf aber nicht in die Belie­bigkeit des nack­ten Wil­lens des Amts­trä­gers füh­ren. Zum Begriff des Amtes ge­hört vielmehr die Fremd­nüt­zig­keit, also die Aus­richtung auf Auf­ga­ben und Verantwort­lichkeiten, die von den ei­genen In­teressen unter­schie­den sind. [605]  Mit der For­de­rung nach dieser inne­ren Aus­rich­tung sto­­ßen wir an die Gren­zen dessen, was von Rechts und Ver­fas­sungs we­gen herbeigeführt wer­den kann. Wir gelangen in den pri­mär mensch­li­chen Bereich mit sei­nen Schwächen, aber auch der Möglich­keit menschlicher Größe. Wir können hier, wie bei jeder Wahl und Ver­tre­tung der Gewählten, nur mit der Mehrheit der Wäh­ler hoffen, daß sich im Einzel­fall das al­te Behörden­sprichwort einlö­sen mö­ge: Wem der Herr ein Amt gibt, dem gibt er auch den Ver­stand; und wir ergän­zen: auch das nö­tige Amtsethos als Primär­tu­gend.

Tatsächlich ist die Geschichte reich an Beispielen, daß derselbe Mensch, der unter den einen Gesetzen der einen Sache und ihren Zwän­­gen unterwor­fen war, unter anderen Gesetzen und damit be­freit für eine andere Sache mit gan­zer Kraft eintrat. So machte Hein­rich II. von England seinen Gefolgs­mann Tho­mas Becket (1118-1170) in der Hoffnung zum Erzbischof von Canterbury, dieser werde dort des Kö­nigs Macht vertreten und so die Kirche lähmen. Kaum hat­te dieser den Bischofs­stuhl erklommen, wandelte er sich vom hö­ri­gen Saulus des Königs zum Paulus und unerbittlichen Verfechter kirch­licher Rechte und päpst­licher Politik. Wir entsinnen uns auch des Wortes von Hans Herbert von Arnim von den vielen Politikern, die heute nur die Wahl haben, im Rahmen des Systems nach dessen in­ter­essene­goisti­scher Partikularlogik zu handeln oder zum tragi­schen Helden zu werden. Es gibt noch viele mutige Menschen in un­se­rem Lande, die es bis heute vorzie­hen, lieber tragische Hel­den zu sein als sich dem System des pu­ren Eigen­nutzes zu un­terwer­fen; Men­schen, die es hüb­scher finden, für eine gute Sache unterzugehen als mit ei­ner schlech­ten zu gedei­hen. Ihre Stunde wird kommen.

 

Alle Überlegungen zur notwendigen Freiheit des Staatsober­hauptes von par­teili­chen Bin­dun­gen gelten auch für alle ihm nach­ge­ord­ne­ten oder föderal ne­ben­geordneten Be­hör­den. Nie­mand kann gleich­zeitig zwei Herren dienen: dem Staat und einer Partei. [606]  Art.130 der Wei­marer Reichsver­fassung hatte das noch erkannt: "Die Beamten sind Diener der Ge­samtheit, nicht ei­ner Partei." Überall in Bund, Ländern und Ge­mein­den, wo heute Par­tei­en kraft ihres Macht­an­spruchs ihre Leute in Schalt­stellen der Macht ge­setzt ha­ben, pral­len tagtäglich Staats­räson und Partei­räson auf­­einander. Die formale, durch Be­am­ten­gesetze ab­ge­stützte Pflicht, das Gemeinwohl zu vertreten, er­weist sich im Alltag als un­er­füllbar, wenn die wirklichen Ent­schei­dungs­stränge im In­nenleben der Partei­en zu suchen sind. Nach Art.33 II GG gilt das Lei­stungsprinzip: Jeder hat nach sei­ner Eig­nung gleichen Zugang zu öffentlichen Äm­tern. Ein wu­­cherndes Par­teie­nun­we­sen benötigt Ämter aber zur Ver­sor­­gung sei­­ner Pfründ­ner und zur Aus­deh­nung seiner Machtbasis. So wer­den die Funktionäre der Verwal­tung durch die jeweilige Mehr­heits­par­tei be­stimmt. "Das staatliche und kommunale Beamten­tum ver­wandelt sich auf diese Weise in eine Parteigefolg­schaft, wobei die lei­tenden Be­amten zu Parteifunktionä­ren und Wahlagenten wer­den." [607]  

Darum gilt in weiten Teilen der öffentlichen Verwaltung seit Jah­ren, daß man ohne das je­weils richtige Parteibuch nichts wird. Die­ser Zu­stand ver­kehrt den Sinn des Grund­ge­setzar­tikels 33 in sein Ge­gen­teil und schwächt entschei­dend die Sach­kompe­tenz und Schlag­kraft der Staats­verwaltung. Er hat ihr An­sehen in der Öf­fent­lich­keit und das Zu­trauen der Bürger in die Un­par­teilichkeit der Be­hörden schwer und nach­haltig erschüt­tert. Es gibt keinen ju­stizia­blen Weg, dem Lei­stungs­prinzip Geltung zu verschaf­fen, so­lange Par­teigänger als Be­am­te über die Beamtenkar­riere anderer Par­teigänger ent­schei­den. Diese kön­nen mit ein­fachsten Tricks be­vorzugt werden: So braucht eine Schulbe­hör­de nur eine hinreichen­den Anzahl von Be­wer­bern um eine Direkto­ren­stelle durchweg mit demselben Prä­di­kat und der for­mal bestmögli­chen Beurteilung zu verse­hen, um sie so formal "gleich" zu machen; dann hat sie die ver­waltungs­ge­richt­lich unan­greif­bare Mög­lichkeit, willkür­lich "zufällig" den von ihr ge­wünschten Be­werber mit dem rich­tigen Par­tei­buch zu beför­dern. Hier hilft nur eine juristisch geringfügige, in der Wirkung aber ein­schnei­den­de Maß­­nah­me: In Art.33 GG ist ein Absatz VI an­zu­fü­gen: "Beamte dür­fen nicht Mit­glied einer Partei sein." Wollen sie ei­ner Par­tei die­nen, dür­fen sie nicht als Beamte vortäu­schen, für das Ge­mein­wohl zu ar­bei­ten; und wenn sie den Eid auf das Ge­meinwohl ernst neh­men, kann es ih­nen nichts ausma­chen, nicht zu­gleich einer Teil­grup­pe oder politi­schen Weltan­schauung dienen zu dürfen.

Bohlander und Latour fordern das speziell für Richter [608]  und verweisen auf Art.395 Satz 1 der spanischen Ley Orgánica del Poder Judical: "Art.395. (1) Richter dürfen weder einer politischen Partei noch einer Gwerkschaft angehören, noch in deren Diensten stehen..." und resümieren: "Im Sinne von Art.33 II und III 2 GG wäre eine solche Regelung sicher zu begrüßen, obwohl na­türlich ein Spannungsver­hältnis zur politischen Meinungs- und Vereini­gungsfreiheit be­stünde, das genauerer Abwägung bedürfte." Auch nach Hans Herbert von Arni m sollte "das Übel einfach an der Wurzel gepackt" und von Verfassungs wegen die "Wählbarkeit von Beamten und Richtern ins Parlament untersagt" werden. [609]

Schwierig abzugrenzen ist der staatliche Bereich, in dem parteiori­en­tierte Amt­sinha­ber nicht geduldet werden dürfen, vom Bereich öf­fentlicher Dienst­lei­stungen. Während noch un­mit­telbar ein­sich­tig ist, warum ein Poli­zei­beamter, Lehrer oder Richter nur der Allge­mein­heit verpflichtet und darum nicht partei­gebunden sein darf, bil­det etwa der Gemein­dean­gestellte im Sozial- oder Bau­amt einen Grenz­fall, wäh­rend gegen eine Par­teimit­glied­schaft eines Müll­­wer­kers oder ei­nes städti­schen Bademeisters nichts ein­zu­wenden sein dürf­te. Die Pro­blemlage ist dieselbe wie in der allgemeinen De­bat­te um das Staats­­handeln durch Beamte oder Angestellte des öf­fent­lichen Dienstes: Der Trend der Zeit geht vom öf­fentlich-rechtli­chen Dienst- und Treue­verhältnis der Beam­ten weg. Ge­rade wenn man an die Beam­tenei­gen­schaft, wie hier vorge­schlagen, die For­de­rung nach einem Parteibuch­verzicht knüpft, muß der staatlich-ho­heit­liche Bereich der Eingriffs­verwal­tung säuber­lich vom Be­reich bloßer Leistungsver­wal­tung ge­trennt werden, der kein so hohes Maß an Neu­tralität er­for­dert. Während in die­sem nur die Daseins­fürsorge gewährleistet wird, tritt der Staat in jenem dem Bürger mit der Ermächtigung ge­gen­über, ein Han­deln zu ver­bieten oder zu be­fehlen, so z.B. im Po­li­zei- und Ordnungs­recht.

Vor allem im Bereich der Leistungsverwaltung für den Bürger be­dient der Staat sich zu­nehmend normaler Arbeitnehmer. Ge­rade die Füh­rungseta­gen die­ses mittel­bar staatli­chen Sek­tors, also z.B. die Auf­sichtsräte und Vorstände kom­munaler Eigenbe­triebe, sind aber als Pfründenobjekte beson­ders dem Zu­griff der Parteien ausgesetzt. Hier handelt der Staat nicht hoheit­lich, sondern tritt in bür­gerlich-recht­li­chen Formen wie ein privater Unter­nehmer zur Gewin­ner­zie­lung oder zur Versor­gung der Öffent­lichkeit mit Gütern des all­ge­meinen Be­darfs auf. Für die Führungs­etagen solcher staatlicher Be­trie­be wie öf­fentliche Verkehrsbe­triebe, Wasserversor­gung usw. ist ein Par­tei­buchverbot ebenso not­wendig, wie in gleich­wer­tigen Po­si­tio­nen der ho­heitli­chen Staatsverwaltung. Damit die kom­munalen Be­trie­be nicht mehr zur Versor­gung alt­gedienter Par­tei­funktio­näre miß­braucht wer­den können, muß aber noch mehr ge­schehen. Diese könn­ten ja vor ih­rer Berufung mit ge­gensei­ti­gem Au­genzwinkern aus ih­rer Partei aus­tre­ten und so das Verbot um­gehen. Erwin Scheuch for­dert hier mit Recht, Vorstands- und Ge­schäfts­füh­rerpositio­nen von Betrieben der öffentli­chen Hand müß­ten öffent­lich aus­ge­schrie­ben werden. Die Be­wer­bun­gen seien dann von einem unabhängi­gen Un­ter­neh­mensberater zu prü­fen. [610]  

Da ein einzelner, "unabhängiger" Unternehmensberater aber leicht un­ter der Hand ab­hängig werden könnte, wäre hier ein direkt der je­weiligen Lan­des­regie­rung unterste­hen­des Gre­mium vor­zu­zie­hen. Des­­­sen Mitglieder müß­ten die Ei­genschaf­ten preußi­scher Ge­nauigkeit und Unbe­stechlichkeit mit per­­sönli­cher Un­ab­hän­gig­keit von Partei­ein­flüs­sen in ihrer Per­son vereini­gen. Dem Gre­mium könnten sinnvol­lerweise mit be­ratender Stim­me Vertre­ter des Bun­des der Steu­er­zah­ler oder ähnli­cher gesellschaft­li­cher Kon­trollor­gani­sa­tio­nen an­gehö­ren. Da die Furcht vor öf­fent­li­cher Entlarvung ein be­trächtli­ches Sti­mu­­lans für ge­set­zestreues Wohl­verhalten sein kann, sollten Sit­zungen dieses Gremi­ums öf­fent­lich sein. Letztlich muß man als Bremse für Postenpro­tekti­on an das In­stru­ment des Strafrechts für nachgewie­sene Fälle den­ken, wobei die er­wünschte Wirkung des Straf­rechts in der Abschreckung und der öffentlichen Be­wußt­seins­bildung liegt.

Die Repräsentation als Demokratieproblem

Versteht man jedes gesetzliche Regelwerk als von Menschen zur Legi­tima­ti­on der Herr­schaft über Menschen aufgestellte allgemeine Be­fehle auf Grund­lage einer Herr­schafts­ideologie, dann stellt sich ei­gent­lich nur noch die Frage nach dem per­sönlichen An­knüp­fungs­punkt: Wer herrscht über wen in wessen Namen und wessen In­ter­esse? Wer un­ter Berufung auf demokrati­sche Prinzipien das Volk zum Dreh- und Angelpunkt dieser Über­le­gungen macht, kann nicht ohne Verstoß ge­gen seine eigenen Prämissen auf eine Re­prä­sen­tation des Volks als Ganzem gegenüber seinen Teilen und ihren Son­der­in­ter­es­sen verzich­ten. Da­her kann ei­ne Repräsentation oh­ne Berück­sichti­gung und Ver­tretung des Volks als über­grei­fen­dem Be­zugs­punkt ihrer Natur nach nicht demokratisch sein. [611]  "Die Regierung ist in erster Linie bestrebt, ihr Regierungs­programm und damit die po­li­ti­schen Vorstellungen der hinter ihr stehenden Par­teien zu ver­wirk­li­chen. ... Die Parteien wieder werden nur von Teilen des Volkes ge­bil­det und müssen nach den Intentionen die­ser Teile agieren." [612]  

Sie erklären dagegen gern, mit der Wahl habe sich doch der Wille "des Vol­kes" gezeigt, ihnen bis zur nächsten Wahl "freie Hand" zu las­sen. Sie seien nun einmal der klügste und fort­schritt­lich­ste Teil des Vol­kes. Die anderen machten es schließ­lich ebenso, das sei nun ein­mal der Pluralismus. "Hinter diesen Erklärun­gen steht ei­ne Auf­fas­sung von 'Volk', die im demokratischen Staat gar nicht exi­stie­ren dürf­te. Was sie bewirkt, ist die 'Parteienherrschaft', 'Grup­pen­herr­schaft' oder 'Mediokratie', wie sie von niemandem ge­wünscht oder ge­­billigt wird. Was dagegen Grundlage des de­mo­kra­tischen Denkens bil­­den müßte, wäre eine aus der Tiefe des Be­wußt­seins stammende Lie­­be und Bejahung des Volkes als eines ver­trau­enerweckenden, rich­­­tig denkenden und handelnden Ganzen." [613]  Es be­darf daher ne­ben dem Bundes­tag als gesell­schaft­lichem Re­prä­sen­ta­ti­ons­or­gan ei­ner wei­teren, im Wort­sinne de­mo­kra­tischen, also auf den Demos, das gan­­ze Volk in seiner Totalität be­zogenen Reprä­sentation.

In die­sem Zu­­­sammenhang wandte sich der Bun­des­verfas­sungs­rich­ter Böcken­förde mit Recht gegen die ein­sei­tige An­sicht, un­mit­­telbar Ideen, Werte oder ei­nen ab­strak­ten Gemeinwohl­be­griff als Be­­zugs­punkt der Re­präsentation her­anzuzie­hen: Will diese de­­­mo­­kratisch sein, kann sie nicht los­ge­löst wer­den von ihrem Be­zugs­­punkt, dem Volk; und zwar nicht irgendei­nem idealen oder hy­po­­theti­schen, son­dern dem wirk­lich existierenden Volk. [614]  Ohne ein auf das reprä­sen­tier­te Volk insgesamt bezogenes Amtsver­ständnis des Re­prä­sen­tan­ten wä­re ein Handeln des Bundesprä­sidenten dem­nach von vorn­herein un­­­de­mokra­tisch. Eine vom konkreten Volk los­ge­löste, rein for­ma­le, al­so nur auf ab­­strakte Ver­fas­sungs­nor­men be­zo­gene Re­prä­sentation kann den ihr un­terwor­fenen Men­schen weder die Fra­ge nach dem Sinn dieser Ver­fas­sung beant­worten, noch kann sie auf die Exi­stenz­fra­gen ihrer Bür­ger Rede und Antwort ste­hen. [615]  Dar­um ist eine sich nur auf abstrak­ten Verfassungs­patrio­tis­mus stüt­zen­de Re­prä­sen­ta­­tion nicht demo­kratisch, und sie kann auch auf Dauer mangels de­mo­­­krati­scher Legi­ti­mati­on keine stabile Herr­schaft be­grün­den: "Wenn eine Re­gierung ledig­lich im kon­sti­tu­tionellen Sin­ne reprä­sentativ ist, wird ihr früher oder später durch einen reprä­sen­ta­ti­ven Herr­scher im exi­stentiellen Sinne ein En­de bereitet, und sehr wahr­scheinlich wird der neue exi­stentielle Herr­scher nicht allzu reprä­sen­tativ im kon­sti­tu­tio­nellen Sinne sein." [616]

Die Länder und Gemeinden

Da alles staatliche Handeln nach Art.30 GG Ländersache ist, so­weit das Grundge­setz nicht ausdrücklich Zuständigkeiten auf den Bund überträgt, un­ter­steht den Ländern der quanti­tativ größere Teil der Staatsverwaltung. Jedes Land ist ein Staat im Kleinen, nur ist er nicht sou­ve­rän, sondern einge­bunden in die bundesstaat­liche Ord­nung. Eine Re­form des Parteienstaa­tes durch in­sti­tutionelle Tren­nung von Staat und Gesellschaft kann nicht sinnvoll nur auf Bun­desebene durchgeführt wer­den. Gerade auf Länder- und Ge­mein­deebene müs­sen alle obi­gen Ausführungen sinngemäß in glei­cher Weise gelten.

So ist der Ministerpräsident jedes Bundeslandes durch das Volk zu wäh­len, wie der Bun­despräsi­dent auf höherer Ebene. Ob die Funk­tions­aufteilung zwi­schen ei­nem Bun­desprä­si­denten und ei­nem Kanz­ler auch auf Landesebene sinn­voll ist, müssen die ein­zel­nen Länder selbst entscheiden. Die be­sondere Würde eines über Staat, Ge­sell­schaft und Län­dern stehenden Präsi­denten, der sich nicht selbst in die Niede­run­gen der Politik be­gibt und statt dessen einen Kanzler re­gie­ren läßt, dürfte auf Landesebene nicht er­forder­lich sein. Der vom Volk ge­wählte Ministerpräsident eines Landes [617]  sollte also auch selbst die Landesre­gie­rung bil­den, wie das bereits der Fall ist. Auf Gemeindeebene schließlich ist die direkte Wahl eines Bür­ger­mei­sters als Kommunal­oberhaupt durch das Volk ein ei­gent­lich un­entbehrli­ches Mit­tel, die Identifika­tion der Bür­gers mit ihrer Ge­mein­de und damit demokrati­sches Be­wußt­sein zu stär­ken.

Repräsentative Demokratie erfordert ein hohes Maß an Iden­ti­fi­ka­ti­on des Bür­gers mit seinen Vertretern. Heute hat die Öf­fent­lich­keit ein sehr fei­nes Ge­spür dafür entwic­kelt, daß die Partei­en­ver­treter tat­säch­lich nur noch Parteienin­teres­sen reprä­sentieren, und das hat in Deutschland traditionell ei­nen unange­neh­men, an­rü­chi­gen Beige­schmack. Er­folg oder Scheitern der reprä­sen­ta­ti­ven De­mokratie wer­den in den nächsten Jahren davon ab­hängen, ob es gelingt, durch Di­rektwahl verantwortungs­bewußter, gemein­wohl­orien­tier­ter und un­ab­­hängiger Kandidaten dem Bürger und Wäh­ler wieder das Bewußt­sein zu ver­mit­teln, daß da oben für ihn Po­li­tik ge­macht und das Ge­mein­­wohl vertreten wird. Was die Politik in den Augen der Mehrheit zu ei­nem so schmut­zigen Ge­schäft macht, ist näm­lich der berechtigte Ein­­druck, daß hinter den de­mokrati­schen Ku­lissen nichts als eigen­süch­­tige Interes­sen­ver­tre­tung getrieben wird. Nur durch klare in­sti­tutio­nelle Ab­grenzun­gen auf allen Ebenen ist eine Ände­rung mög­lich: Es muß nach­vollziehbar und trans­parent werden, wo das Ge­mein­wohl vertreten wird. Dann wird auch die Vertretung von Son­der­in­teres­sen, zur rech­ten Zeit und am rechten Ort, in den Au­gen der Bür­ger ihre innere Legi­timität wiederge­winnen.

Das Parlament - Eine Gesellschaft gibt sich Gesetze

Eine ursprüngliche Aufgabe der in Deutschland aus Landstän­den her­vor­ge­gan­genen Par­la­mente war die Repräsentation der ge­sell­schaft­lichen Grup­pen ge­genüber dem Mon­ar­chen, in des­sen Per­son sich die legitimen Interes­sen des Ganzen verkör­perten. Mit dem all­mählichen Zurückwei­chen des Ge­dan­kens monarchischer Le­gitimität ging im Laufe des 19. Jahrhun­derts zu­nehmend die ge­setz­geberische Auf­gabe auf die Par­la­mente über. Montes­quieus Leh­re von der Ge­waltentei­lung eig­nete sich hervorragend dazu, der All­gewalt des Ab­solu­ti­smus Schei­bchen für Scheibchen an Macht abzurin­gen: Erst die ge­setzge­bende, später die richterli­che und, in Deutschland seit 1918, die regie­rende Gewalt, bis die ur­sprüng­liche prinzipielle Allzuständig­keit der Monar­chen durch eine eben­solche des Parlaments ersetzt war. [618]  Diese All­gewalt muß ge­stutzt werden, wenn Ge­waltentei­lung mehr sein soll als Sa­la­mi­tak­tik zur Er­obe­rung der Macht des Staa­tes durch die Ge­sell­schaft und bloße Aufteilung von Ver­fassungskom­pe­ten­zen auf glei­cher­maßen von Regie­rungs­partei­en ab­hängige Fi­lialen des Par­la­ments.

Wie der einer gesellschaftlichen Repräsentation nicht zu­stehende Ein­fluß auf die Re­gie­rungsge­schäfte für das Ganze zu beseitigen ist, wurde bereits dar­ge­legt: Das Par­la­ment darf sich nicht mehr ei­nen von ihm abhängigen Kanzler hal­ten und sich in seine konkre­ten Re­gie­rungsent­scheidungen einmi­schen. Eben­so muß die Kom­petenz des Par­laments zur Be­set­zung von Rich­ter­stellen mit Partei­freunden be­seitigt werden. Diese Be­fugnis ist partei- und par­laments­unab­hängi­gen Rich­terwahlaus­schüssen unter Aufsicht des Bun­des­präsi­denten zu übertra­gen. Diese Aufsicht be­schränkt sich auf die Unabhän­gigkeit der Aus­schußmit­glieder und die for­ma­le Rechtmäßigkeit deren Ent­scheidun­gen. Die Sach­ent­schei­dungen des Aus­schusses sind verwal­tungsge­richtlich überprüf­bar, wo­bei das Ge­richt befugt ist, die Ein­hal­tung des Lei­stungs­prin­zips mate­riell zu überprü­fen.

Im Vordergrund der modernen Parlamentstätigkeit steht die Ge­setz­ge­bung. Sie kann dem Bundestag als dessen originäre Aufgabe nicht grundsätz­lich ent­zo­gen werden. Die Gesetz­ge­bung nach Gut­dünken der jeweiligen Mehrheit der gesell­schaftlichen Kräfte ist in ei­nem Ge­meinwesen nicht ent­behr­lich, das Wert legt auf die Le­gi­ti­mität und Ak­zeptanz seiner Rechts­regeln durch die Bevölke­rung. Der Grun­d­­satz der al­leinigen Gesetzgebung durch das Par­lament ist aber be­reits heute viel­fach durchbrochen, und der verbrei­tete Glau­be, es gebe in Deutsch­land eine wegen der Gewaltenteilung strikt durch­ge­hal­­tene aus­schließ­liche Ge­setz­gebung durch den Bun­destag und die Land­ta­ge, ist ein lai­enhaft falscher Glaube. Die Juri­sterei unterschei­det spitz­findig zwi­schen Ge­setzen im for­mel­len und im materiellen Sinne: Formell gelten nur die vom Par­la­ment be­schlos­senen Regeln als Ge­setze. Materi­ell, al­so in­halt­lich, gilt eine Fülle nicht von den Parla­menten beschlos­sener, ab­strakt-genereller Rege­lun­gen. Be­kann­testes Beispiel ist die von der Regie­rung, nämlich dem Bundes­ver­kehrsmi­nister, auf­grund ei­ner ge­setzlichen Er­mäch­tigung im Straßen­ver­kehrsgesetz er­las­sene Sta­ßen­ver­kehrsordnung. Auch solche Re­ge­lun­gen sind in­haltlich Gesetze, weil wir uns alle an sie hal­ten müssen.

Das Parlament konnte schon seit der Weimarer Zeit nicht mehr den sprung­haft stei­gen­den Normenbedarf befriedigen, weil dieser im­mer wieder die Ka­pazi­tät der gesetz­ge­ben­den Or­gane über­stieg. Was da­mals aber als Über­gangser­scheinung angesehen wurde, erwies sich als bis heute anhalten­der Dau­erzu­stand, der nicht auf Deutsch­land be­schränkt, sondern in allen hoch entwickel­ten Staa­ten anzutref­fen ist. "Das un­ter der Voraussetzung ei­ner Auto­nomie der Ge­sell­schaft ent­standene parla­mentarische System ist in­soweit der moder­nen Staats­wirklich­keit nicht mehr kon­gru­ent, wie die Gesetz­ge­bungs­rückstände der mo­dernen Parlamente erkennen las­sen." [619]  Heu­tige Geset­zge­bungs­tätigkeit ist mehr und mehr auf ei­nen fach­juristi­schen Mitar­bei­terstab an­gewie­sen, wie ihn fak­tisch nur die Regierung mit ih­rer Mi­ni­ste­rialbü­rokratie ef­fek­tiv und dauer­haft leisten kann. Die Realität der tägli­chen Ge­setzgebungsar­beit der Bundestags­abge­ord­ne­ten be­steht daher darin, daß die Mehr­zahl der Gesetze paketweise die Le­sungen durchläuft, oh­ne daß mehr als einige weni­ge Abgeo­rd­nete von Ein­zelheiten ihres In­halts überhaupt noch Kennt­nis neh­men, ge­schweige denn sie durch­blic­ken oder gar Ein­zelfra­gen beein­flus­sen kön­nen. "Unser Par­la­ment ertrinkt in einer Flut von Gesetz­ge­bungs­auf­gaben. Die Ge­setze sind zu dick und zu kompliziert, kaum noch je­mand ver­steht sie." [620]

Die politischen Grundsatzentscheidungen werden gewöhnlich auf Par­tei­ta­gen oder in Ver­hand­lungen der Koalitionsspitzen ge­trof­fen, von Beamten der Mini­sterien oder von frakti­ons­angestell­ten wis­sen­schaftli­chen Mitarbei­tern aus­ge­arbeitet und von der Ab­stim­mungsma­schine Bundestag nur noch am Fließ­band durch die ge­setzlich erfor­derli­chen for­malen Ver­fah­rensstatio­nen ge­peitscht. Partei- und Frak­tionsdiszi­plin, in der Praxis oft Fraktions­zwang, fru­strieren viele Ab­geordnete maßlos; und "häufig sind sie kaum mehr als Ratifika­tions­maschi­nen." [621]  Nur wenn eine Ge­set­zes­vorlage sich ein­mal auf einen für alle ver­steh­baren Einzel­punkt be­schränkt, wie das bei der Debatte um die Str­af­bar­keit der Ab­trei­bung der Fall war, sticht das echte Rin­gen der Ab­geord­ne­ten um eine überzeu­gende Lösung gerade als sel­tene Ausnahme her­vor. Und wenn dann noch ausnahmsweise der Fraktionszwang fehlt, wird durch diese Auffällig­kei­ten nur be­stätigt, daß Gesetzge­bungs­ar­beit im Regelfall mit ar­gu­mentie­render De­batte nichts zu tun hat.

Im gesetzgeberischen Alltag hat der einzelne Abgeordnete nicht viel bei­zu­tra­gen und muß sich auf Vorgaben seiner Partei oder Vor­gaben der Regie­rung verlassen. Diesen fakti­schen Zwän­gen sollte künftig auch normativ ent­spro­chen wer­den, in­dem die Ab­ge­ordneten in grö­ße­rem Maße als bisher von den Aufga­ben einer rou­tinemäßigen Geset­z­gebungsmaschinerie entlastet werden. Da­für sollten sie zu scha­de sein und sich auf die Entscheidung grund­sätz­licher Fragen be­schränken dür­fen. Die Diskussion sol­cher, auch für die Öffentlichkeit nach­voll­ziehba­rer Fra­gen wie z.B. die nach dem Schwan­ger­schafts­ab­bruch, der Über­tra­gung von Ho­heits­rechten auf Brüssel oder der Ausländer­einwande­rung muß von den engen Machtzirkeln der Par­tei­en dahin verlagert werden, wo­hin sie gehört: ins Parlament, sofern nicht das Volk selbst zu ent­schei­den begehrt.

Der ungeheure Ballast an minder grundsätzlichen Gesetzes­vorha­ben muß da­gegen in größe­rem Umfang als bisher durch gesetzliche Ver­ord­nungser­mäch­tigun­gen an die Re­gierungsbe­hörden de­le­giert werden, die allein die er­forderli­che fach­juristische Kompe­tenz und die quantitative Kapazität besit­zen. Unbe­schadet eines je­der­zeitigen Rück­­hol­rechts des Bun­des­tages sollten durch Re­gie­rungs­verordnung nicht nur der Stra­ßenver­kehr geregelt werden, son­dern auch Materi­en wie die Pfän­dungsfreigren­zen nach der Zi­vil­prozeßordnung, Ge­büh­­ren­ordnungen und weite Bereiche des Ver­wal­tungs- und So­zial­rechts. Es ge­nügt völ­lig, wenn der Bun­destag ei­nen Rah­men setzt, den der regie­rende Ver­ord­nungs­geber schnell und flexibel handha­ben kann.

Diese Forderungen rechtfertigen sich einerseits aus der Überle­gung, daß sie bereits weit­ge­hend dem realen Einfluß­verhältnis zwi­schen Re­gierungs­ver­wal­tung und Parla­ment ent­spre­chen, den Bun­destag aber entlasten und dort Ka­pazi­tät für die wirklich für wich­tig gehalte­nen Entscheidun­gen schaffen; und ande­rerseits aus dem un­verzicht­baren Grund­satz, daß das Par­lament als Nor­men­ge­ber über der Regie­rungs­bürokratie steht und eine Materie je­der­zeit wie­der an sich ziehen kann. Das­selbe Über- und Un­ter­ord­nungs­ver­hältnis muß zwischen dem Parla­ment und dem Volk be­ste­hen: Wie das Par­lament jeder­zeit der Regie­rung die Norm­set­zung entzie­hen können muß, so muß das Volk sei­nem Parla­ment jederzeit die Ge­setzgebungs­befug­nis entziehen kön­nen, wenn eine qualifi­zierte Menge des Volkes das be­gehrt. Die Zuständig­keit der Vertre­ters endet immer, wo der Ver­tre­tene selbst zu handeln ge­denkt. Daß das Volk dieses Recht heute auf Bundesebene nicht hat, macht seine von vie­len Bür­gern emp­fun­dene Unmün­digkeit aus und verstärkt den Eindruck, daß die ab­ge­ordne­ten Vertreter hier eine eige­ne Souveränität auf Kosten der des Volkes begründen wol­len.

Die Gesetzgebung der Parlamente ist also von zwei Seiten her zu be­schnei­den: All­fäl­lige Rou­tinemaßnahmen wie die An­passung ge­setz­lich fest­lie­gender Zahlen­werke (z.B. Gebührenordnungen) sind in weit grö­ße­rem Ausmaß als bisher auf die Regie­rung als Ver­ord­nungsgeber zu delegieren, wobei das Par­lament die Norm­set­zung aber an sich zie­hen kann, wenn es das für geboten hält. Auf der ande­ren Seite un­ter­liegt das Parlament dem Recht des Volkes, das sei­ner­seits immer be­geh­ren kann, eine Rechts­materie zu re­geln, wenn ein ausrei­chend gro­ßer Teil der Öf­fent­lichkeit die Frage für wichtig ge­nug hält.

Erst recht ist es nicht Aufgabe des Parlaments, als eine Art Neben­re­gie­rung Regierungsakte zu ersetzen und darüber zu debattieren und zu entscheiden, ob etwa deutsche Truppen der UNO zur Ver­fü­gung gestellt werden sollen. Im Sy­stem des Parlamentarismus ist die­se Art der parlamentarischen Direktregierung allerdings konsequent und ver­­anschaulicht, daß von Gewaltenteilung oder einer Trennung von Staat und Gesellschaft heute nicht die Rede sein kann. Der Ge­setzge­ber hat die abstrakten und generellen Normen zu setzen. Ein­zel­fälle zu ent­schei­den hat er der Regierung zu überlassen. Die Ent­schei­dung eines Einzel­falles ist immer eine Maß­nahme, ein konkreter Be­fehl, und vor dem Einzelfallbefehl kann es keine Gleichheit ohne An­sehen der Per­son geben. Gleichheit vor dem Gesetz ist aber un­ver­zicht­barer Teil der Rechtsstaatlichkeit.

Die Parteien - Brücke zwischen Staat und Ge­sell­schaft?

Wie ein roter Faden hat sich die Übermacht der Parteien bisher durch un­se­re Überle­gun­gen ge­zo­gen; und ihr wesentli­ches Ziel ist es, auf mehr Bürger­frei­heit und Mitent­schei­dung hin­zuwirken. Heute liegt der Macht­an­spruch der etab­lierten Partei­en wie ein Lei­chentuch überall dort gebrei­tet, wo unabhängige Meinung sich re­gen will. Die Partei­en haben sich nicht nur recht­lich institutio­nell abgesi­chert, son­dern auch ein Vorfeld der Meinungs­kon­trolle ge­schaf­fen. Dieses wird von Partei­gängern in öffentli­chen und ge­sell­schaft­li­chen Insti­tutio­nen und den Medien gebildet und sucht je­den mundtot zu ma­chen, der den univer­sa­len Machtan­spruch der Parteien in Frage stellen oder ge­fährden könnte. Wer grund­sätz­li­che Kritik am Alpdruck der Partei­en­herr­schaft zu üben wagt, wird von den Schaltstel­len ge­sellschaft­li­cher Kom­muni­kation aus­ge­sperrt. Man redet in Talk-Schauen, jenen Mit­ternachtsmessen der liberalen Dis­kurs­gesellschaft, betroffen über ihn, aber niemals mit ihm. Er wird ausgegrenzt, gesell­schaftlich ge­ächtet, stigmati­siert, durch den Verfas­sungs­schutz beobach­tet oder gar kri­mi­na­li­siert.

Die Mitwirkung der Parteien an der öffentlichen Meinungs­bil­dung hat sich längst zu ihrer Er­zeugung und Manipulation durch die al­lein seligma­chende Ver­kündung des volkspäd­ago­gisch Er­wünsch­ten durch seine Medi­enapostel ge­mausert. So­gar Richard von Weiz­säc­ker fragte be­sorgt: "Ist das so vom Grund­gesetz ge­wollt? Der Ein­fluß der Partei­en geht ohnehin über den politi­schen Wil­len, von dem allein die Verfas­sung re­det, weit hin­aus. Die Par­tei­en wirken an der Bil­dung des gesam­ten gesellschaftlichen Le­bens aktiv mit. Sie durchzie­hen die ganze Struktur unserer Ge­sell­schaft bis tief hin­un­ter in das sei­ner Idee nach doch ganz un­po­li­tische Vereins­le­ben." [622]  

Die Allgewalt der Parteien kann nur durch eine umfassende Rechts­re­form ge­brochen wer­den, die sie auf ihre verfas­sungs­mäßige Rolle zu­rück­führt. Als Aus­druck gesell­schaftli­cher Selbstorganisa­tion sind Parteien für ein Gemein­we­sen freier Bür­ger gera­dezu kenn­zeich­nend. Und das Recht, sich mit Gleich­ge­sinnten zu­sam­men­zu­schlie­ßen, ent­springt einem so grundlegen­den mensch­lichen Be­dürfnis, daß es gegen jede totali­täre oder ab­solutistische Ver­su­chung ver­tei­digt wer­den soll­te. Hier beginnt die Be­rechtigung des Parteien­we­sens, und hier endet ihr legitimer Entfaltungsspiel­raum aber auch schon. Wo immer sich ei­ne Partei darüber hinaus den Zugriff auf staatliche, also der All­gemein­heit dienende Macht­mit­tel erlaubt und da­durch die un­ab­dingbare Neu­trali­tät des Staa­tes in Frage stellt, darf dieser illegi­time Über­griff nicht legali­siert wer­den. Weder dür­fen ge­sell­schaftli­che Teil­gruppen auf Ko­sten des Gan­zen para­si­tieren, noch gar die er­beu­te­ten Geldmittel dazu miß­brauchen, sich bei ih­ren Op­fern, den steuer­zahlenden Bürgern, in teueren Wahl­kämpfen als deren Wohl­tä­ter auf­zuspielen. Durch die Ver­fügung über das Geld der nicht par­teige­bun­denen Be­völ­ke­rung üben die Parteien Macht über die Bürger aus. [623]  Daß die Par­teien das Geld der Allge­meinheit auch wieder nur für die All­ge­mein­heit ausgeben dürfen, wenn sie in den Parlamen­ten Haus­halts­ge­set­ze beschlie­ßen, und daß an ih­ren Händen kein Geld kleben blei­ben darf, muß im Grundge­setz er­gänzt und zu einer Staats­fun­da­men­tal­norm erhoben wer­den: Je­dwede Finan­zie­rung poli­ti­scher Par­teien aus Steu­ergeldern und jed­wede steu­erliche Bevor­zu­gung von Parteien ist zu verbie­ten.

Auch das zweite, entscheidende Herrschaftsinstrument der Partei­en über das Volk muß ih­nen aus der Hand genommen wer­den: die Par­tei­buchwirt­schaft, das Bilden partei­licher Me­tastasen in der öf­fentlichen Verwaltung und die ge­samte da­mit verbun­dene Pfrün­den­wirtschaft, die Ver­sorgung von Par­tei­gängern mit Staats­äm­tern. Wenn es nicht mehr von persön­lichem Vorteil sein wird, Par­tei­ge­nosse zu sein, wird auch nie­mand mehr systema­tisch zu­rückge­setzt werden, der dies nicht ist. "Wes' Brot ich eß, des' Lied ich sing?" - das wird in Staats­verwal­tung und Mas­sen­me­dien hof­fentlich nicht mehr nötig sein.

Nach liberaler Doktrin sollten die Parteien eine Brücken­funktion zwi­schen Staat und Ge­sell­schaft wahrnehmen: Als gesellschaftlich frei gebildete Organi­satio­nen mündiger Bür­ger sollten sie gleich­sam mit ih­ren Wipfeln in die Sphä­re der Verfas­sung hineinra­gen. Das Bun­des­ver­fassungs­gericht hält sie gar als Wahl­vor­be­rei­tungs­or­gani­sationen für un­ent­behrlich. In allen diesen Funk­tio­nen ha­ben die real exi­stie­renden Bundes­tagspartei­en aber kläglich ver­sagt und ih­re Macht miß­braucht. Wo ihnen der Staat ge­stattete, ei­nen Fuß in die Tür staatli­cher Or­gani­sation zu setzen, brachen sie in einem beispiel­lo­sen Marsch durch alle Insti­tu­tionen und er­ober­ten den Staat von in­nen. Oder nach dem Bilde der in der Ge­sell­schaft wurzeln­den und mit den Wip­feln ins Verfas­sungsrecht ra­gen­den Par­teien: Die Parteien ha­ben sich am Stamm der staatli­chen Or­gan­i­sa­tions­hierarchie hoch­ger­ankt wie eine tropi­sche Schling­pflanze, im Wipfel entfal­tet und er­stic­ken jetzt den Staat, ihre "Wirtspflanze" unter der Last wu­chernder Triebe.

Damit ist das liberale Modell einer sich selbst regierenden Gesell­schaft ge­scheitert. Eben­so wie der Marxismus vom end­lichen Ab­ster­ben des Staates träumte, begegnet der Libera­le al­lem Staat­li­chen mit tiefem Mißtrauen und suchte dieses möglichst zugun­sten nur gesell­schaftlicher Organisation in den Hintergrund zu drängen. Der real exi­stierende Parlamen­ta­rismus in seinen Mut­terländern Groß­britanni­en und den USA wie auch seine nach Deutsch­land ver­pflanzte Va­ri­ante machen augenfällig, daß ein schwa­cher Staat und eine Gesell­schaft, der man freien Lauf läßt, nicht zu einem so­li­da­ri­schen Ge­mein­wesen freier Bür­ger führt, sondern zu einer Zwei­drit­telgesell­schaft, in der die wohlor­ganisierten Interessen­grup­pen den Ton ange­ben und mafiose Struktu­ren die Staat­lich­keit allmählich auflösen und Bür­gerfreiheit, demo­krati­sche Mitver­ant­wor­tung und den inneren Zusam­menhalt der Res publica ge­setz­mäßig ver­rin­gern. Die li­berale Vorstellung einer Brücken­funk­ti­on der Partei­en zwischen Staat und Ge­sellschaft hat sich da­mit als un­taug­lich er­wie­sen. Allen­falls sind die Parteien wie her­ab­ge­lassene Zug­brücken, über die die for­mierte Ge­sell­schaft in die Burg des Staates ein­dringen kann. Wer den Grundge­setz­satz, nach dem die Partei­en an der politi­schen Willensbil­dung des Vol­kes mitwir­ken sollen, so ver­steht, der Staat sollte sie wie Verfas­sungs­or­gane inkorporieren, macht sie zum troja­nischen Pferd des Par­tikula­ren.

Das Plebiszit als konstruktives Korrektiv des Re­präsentationsprinzips

1948 trat auf der Insel Herrenchiemsee eine seltsame Schar gutsi­tu­ierter Per­sönlich­kei­ten zu­sammen, fast ausschließ­lich Herren. Wenn wir sie in alten Fil­men sehen, fällt an ihrem Erschei­nungsbild vor al­lem auf, daß der Typus des überfütter­ten Bundis noch völ­lig fehl­te. Blaß, dünn und in abgetragenen, gräu­li­chen Anzügen saßen sie da auf Anord­nung und unter Aufsicht der Alli­ierten zu­sammen und mein­ten es mit dem deutschen Volk so gut, daß sie ihm ein Grund­gesetz zim­merten, in dem das Volk unmittelbar über­haupt nichts zu sa­gen hat. Sicherlich ha­ben sie "uns alle geliebt." Wer woll­te rück­blickend Ar­ges über sie den­ken? Auch heute noch lie­ben uns unsere Parteipoliti­ker. Sie mei­nen es so gut mit uns, daß sie gar nicht aufhö­ren wol­len, uns zu be­glücken.

Nein, böse Leute sind unsere Parteipolitiker nicht. Der Fehler steckt im Sy­stem. Selbst wenn es praktisch möglich wäre, in dieser Re­publik die herr­schen­den Partei­en abzuwäh­len und neue Ge­sich­ter ins Rennen zu schicken, würden diese neuen Men­schen und neu­en Par­teien unter Fortgeltung der heu­tigen Spiel­regeln über kurz oder lang ein ähn­lich ge­schlosse­nes System bil­den wie das der jetzigen Par­teien. Wir haben das Plebiszit bisher kennen­ge­lernt als die Na­del, mit der allein der ganze aufgeblasene Luftballon des Bon­ner Partei­en­feu­da­lismus zum Platzen gebracht werden kann. Wir haben es auch als un­ent­behrlich er­kannt, einem Staatsober­haupt nebst Regie­rung die unentbehrli­che Weihe de­mokrati­scher Zu­stimmung der Regier­ten zu ver­leihen. Schließ­lich sa­hen wir das ge­setz­geberische Ple­biszit als vorrangig vor parlamentari­schem Ge­setzes­werk an.

Die Bedeutung des Plebiszits erschöpft sich keineswegs in seiner de­struk­ti­ven Wir­kung ge­gen­über oligarchischen Wild­wüchsen. Wenn die Verfesti­gung un­demo­krati­scher Strukturen auf Dauer ver­hindert und der Bildung ei­ner Obrig­keit wie der des jetzigen Par­teienkartells entge­gengewirkt werden soll, kann das nur durch di­rekte Ent­schei­dungs­rechte des Volkes auf allen Ebenen gelei­stet werden. Jeder Bür­­ger, der nicht zum auser­wählten Kreis der Be­rufsreprä­sen­tan­ten ge­hört, wird die Forderung unmittelbar einleuch­tend und nicht weiter be­grün­dungsbe­dürftig finden, ihm ein direk­tes Mit­sprache­recht über seine Be­lange einzu­räu­men. Also: Wa­rum eigentlich nicht?

Wir müssen hier zwischen wahren und vorgeschobenen Gründen un­ter­schei­den: Hi­sto­ri­scher Hauptgrund für den fast völli­gen Aus­schluß des Vol­kes von der unmit­telbaren Ein­flußnah­me war 1949 die Angst der alliierten Besat­zer, das deutsche Volk könnte trotz Krieg und Nieder­lage nicht demo­kratisch kapi­telfest sein und wie­der böse Leute wählen oder kraft Volksab­stimmung den Be­sat­zern unliebsame Entscheidungen tref­fen. So hat Otmar Jung be­legt, daß die Befür­wor­ter ei­ner engen Anbindung der Bun­desrepublik an die Westalliier­ten fürchte­ten, die Bevölkerung könnte diese nicht mit­tra­gen, und eine Volks­­ab­stimmung könnte diese Kluft zwi­schen den Land­tagen und der Bevölkerung of­fenbar wer­den las­sen. [624]  Die vorge­schobenen hi­sto­rischen Gründe aus der Wei­ma­rer Zeit verfangen nicht. Es ist ins Reich der Legende zu ver­weisen, die Weimarer Repu­blik sei an zu vie­len Ple­biszi­ten ge­schei­tert. In Wahr­­heit hat es damals keine ein­zige rechts­gültige erfolgreiche Volks­ab­stim­­mung ge­­geben.

Aus alliierter Sicht mag sich auch ein ganzes Volk nicht so einfach ma­ni­pu­lie­ren und kon­trollieren gelassen haben wie eine Schar hand­ver­lesener Günst­linge der Besat­zungs­mächte. Schon im Vor­feld der Aus­arbeitung des Grundge­setzes hatten diese den Deut­schen nämlich kei­neswegs völlige de­mokrati­sche Ent­schei­dungs­freiheit einge­räumt, son­dern sich durch Ver­gabe von Lizen­zen an Presseorgane und Par­teien den maß­gebli­chen Einfluß auf die von ihnen je­weils ge­wünschte Rich­tung deutscher Poli­tik ge­si­chert. Auch nachdem die Landtage mit Ver­tretern der von ihnen li­zen­zierten Parteien be­setzt und der Parla­menta­ri­sche Rat gebildet war, hat­ten die Alliier­ten an den eige­nen Vor­stel­lungen der deut­schen Parlamenta­rier eini­ges auszusetzen und nahmen durch Anwei­sun­gen direkten Ein­fluß auf einzelne Re­ge­lungen des Grund­ge­set­zes.

Auch im mittleren Teil Deutschlands, der damaligen Sowjeti­schen Be­sat­zungs­zone, legte man aus denselben, naheliegen­den Grün­den kei­nerlei Wert auf völlig freie Wahlen oder gar Volks­abstim­mun­gen, die mit einem Fiasko für die Besat­zungs­macht geendet hät­ten. Die Kolla­borateure und Günstlinge der Be­sat­zungs­macht konn­ten sich so fest in die Re­gierungs­sät­tel setzen und jede uner­wünsch­te Konkur­renz ver­drängen, daß es in der spä­teren DDR 40 Jahre lang dauerte, eine pa­rasi­täre Kaste in der Mos­kauer Emigra­tion ge­schulter Funk­tio­näre ab­zuschütteln. Sie sind durch eine hand­greifliche Art von Volks­entscheid weggespült worden, und wer das Selbstbe­wußtsein der Massen auf je­nen De­monstrationen wie montags in Leipzig selbst er­lebt hat, wird den Wert des ge­schrie­be­nen Ver­fas­sungs­pa­ra­graphen nie wieder über­schätzen.

Auch im wiedervereinigten Deutschland könnten die Lehren der Wen­de­zeit nutz­bringend an­gewendet werden. Es ist in sal­bungs­vol­len Reden der letzten Jahrzehnte zum Überdruß zu hö­ren ge­we­sen, aus der Geschichte solle man ler­nen; und nach dem Sturz des Kom­munis­mus in Mittel­deutschland be­schwo­ren gerade so­ge­nann­te Bürger­rechtler gern die Erfahrun­gen aus der Wende­zeit, die in das vereinte Deutschland ein­gebracht werden sollten. Wenn hier ei­ne Erfah­rung an erste Stelle zu setzen und auf das ganze Deutsch­land zu übertra­gen ist, dann die: Nie wieder gegen das Volk he­rr­schen! Wa­ren sie nicht alle "Verfassungsfeinde", die da mon­tags auf die Straße gin­gen in Leip­zig, Dresden, Ber­lin und an­ders­wo? Haben sie nicht die ge­schrie­bene Ver­fas­sung der DDR durch ihr be­herztes Han­deln zur Maku­la­tur gemacht? Eine il­le­gi­time Verfas­sung, die nur für eine dünne Schicht von Par­tei­fürsten das Perpe­tuum mobile ihrer Macht­erhal­tung be­deutet, kann auch durch zivilen Ungehor­sam beseitigt werden, in­dem sie ganz ein­fach nie­mand mehr an­wendet. Das souve­räne Volk steht über seiner Staatsverfassung und hat die Macht und das Recht dazu, sich den seinen Bedürfnissen adäquaten Staat zu schaf­fen und des ihm jeweils nützlichen Sy­stems zu bedienen. Wer ihm dieses Recht verwehrt, hindert die demokratische Selbst­be­stim­mung. Diese erst verleiht dem Staatswesen die innere Legitimation und volle Au­torität, kraft deren ziviler Ungehorsam seiner­seits ille­gi­tim ist. "Insofern das eigene Land, das eigene Volk, die eigene Na­tion etwa von einer Partei terrorisiert oder von einem anderen Staat gamz oder teilweise an der Ent­faltung einer eigenen 'Logik des Le­via­than' gehin­dert wird, wäre ein 'ziviler Un­gehorsam' sinnvoll, der sich, wie Carl Schmitt in der Nachfolge Hobbes' formu­lierte, als 'Pflicht zum Staate' darstellen könnte." [625]

 In ei­ner politi­schen Ord­nung, die den Ge­danken der Volks­herr­schaft ernst nimmt und Volks­abstim­mun­gen zuläßt, kann eine sol­che Kluft zwi­schen dem Volk und mit ei­ner illegi­timen Ver­fas­sung herr­schenden illegitimen Machtha­bern nicht so leicht ent­ste­­hen. [626]  Eine Herr­schaftsordnung, die dem Volk jedes di­rekte Mit­spra­che­recht ver­sagt, weil sie ihm zu­tiefst miß­traut oder es, ver­steckt oder of­fen, nur kon­trollie­ren oder in ir­gendwelche Interna­tio­na­len ein­binden will, kann nicht auf die Dauer stabil sein. Frü­her war das ein­mal anders. Doch im Zeitalter der Medien und der Massen­kom­muni­kati­ons­mittel, der mün­di­gen, eman­zipier­ten Bürger stößt auch die per­fekteste Mani­pu­la­tion und Meinungs­lenkung an ihre Gren­zen. Die Ver­fas­sung muß da­her schnellst­möglich für Plebis­zite geöff­net werden, so­lange sich die Mehrheit in Deutsch­land noch an sie hält.

Auch wenn das destruktive Plebiszit gegen jenes Parteien­kartell nicht mehr not­wendig sein wird, das so gerne an­stelle des sou­ve­rä­nen Volkes die Ent­schei­dungen trifft, bleibt es als konstruk­tives Ple­biszit un­verzichtbar. Le­gi­­t­imität von Repräsen­tanten­­ent­schei­dun­gen wird zu­­­­nehmend proble­ma­tisch in einer Zeit, in der von Ma­fiastrukturen, Lob­­bies, auserwähl­ten Hin­ter­män­nern und ein­flußrei­chen mul­tinatio­na­­len Strukturen eine be­klem­mende Wir­kung auf die verängstig­te Psy­che mancher Deutscher ausgeht. Sei­en der­ar­tige Einflüsse real oder ein­ge­bildet: Vox po­puli, vox dei! Dann kann man wenig­stens nachher kein Malheur ir­gend­wel­chen Dun­kelmän­nern in die Schuhe schie­ben. Sozio­lo­gisch be­schreib­bar und real sind aber jene un­liebsa­men Parteioligar­chien, ge­gen de­ren Gift­dämpfe das Ple­biszit nach den Wor­ten Robert Mi­chels das beste Heilmittel ist. Sol­che Machtcli­quen und andere grup­pen­egoistischen Partikular­in­teres­sen beru­hen ge­rade auf dem strengen Repräsentations­prinzip und kön­nen sich umso we­niger durch­setzen, je mehr direktdemo­kratische Elemente ei­ne Ver­fassung ent­hält. [627]

Von kaum zu überschätzender Bedeutung ist die Verbesserung des gan­zen in­nen­politi­schen Klimas in einem Staat, dessen Bürger und Re­präsentan­ten stets in dem Be­wußt­sein leben, die Ver­tre­te­nen könn­ten ihre Vertreter je­derzeit aus ihren Luft­schlössern mit dem Stimm­zet­tel auf den Boden der Tat­sa­chen herab­holen. Allein schon das Be­wußtsein der Repräsen­tan­ten, vom Volk jeder­zeit in der Sache korri­giert werden kön­nen, würde allzu bürger­ferne Pro­jek­te ver­hin­dern. [628]  Natürlich sollen die Bürger nicht alles und je­des entschei­den müs­­sen: Es ist ja gera­de der Sinn des Plebiszits, die Parlamentarier dazu zu zwingen, im Sinne der Bürger und nicht verbohrter Ideolo­gen oder mächtiger Interessen­ten zu handeln. Soweit sich das Politi­ker­­han­deln mit dem Mehr­hei­tswillen deckt, darf erwartet werden, daß kei­ne aus­rei­chen­de Zahl von Bürgern An­stoß nimmt und einen Volks­­entscheid begehrt. Im Grund­satz ist von dem oben dargestell­ten drei­­stufi­gen Aufbau des Rechtes zum Erlaß aller konkre­ten (Re­gie­rungs­­entscheide oder Volksentscheide in Regierungs­fragen) und aller ge­­­ne­­­rel­len Re­ge­lungen (Gesetze und Rechts­verord­nungen) aus­zu­ge­hen. Danach steht das Par­la­ment über der Re­gierung und das Volk über dem Parla­ment.

Einen ähnlichen dreigliedrigen Aufbau der Gesetzgebungskom­pe­tenz sieht die Ver­fas­sung des Landes Brandenburg vom 22.4.1992 [629]  vor: Auf ge­setzliche Er­mächtigung des Parla­ments hin kann die Lan­de­s­regierung Recht setzen, soweit dieses nicht von ge­setzlichen Vor­ga­ben des Parlaments ab­weicht. Die auch in den westlichen Bun­des­län­dern übliche Rechtsverordnung ist eine ab­strakt-gene­relle Re­ge­lung, also Recht im materiellen Sinne. Über dem par­la­men­tarisch be­schlos­­se­nen Gesetz steht aber der Volksent­scheid nach Art.78. [630]  Die prak­ti­sche Funk­tion sol­cher direktde­mokrati­scher Elemente steht und fällt mit der Höhe des Quorums. Soweit auch in westlichen Bun­des­län­dern seit Jahren in der Ver­fas­sungs­theo­rie Volks­be­gehren zuläs­sig waren, blockte sie ein zu hohes Quo­rum schon im Vorfeld politi­scher Or­gani­sa­tion ab. "Das Volk ist eben ins­gesamt nicht handlungs­fähig; viel­mehr müs­sen immer wie­der aus dem Volk kleine, den Etab­lierten wi­dersetz­liche Grup­pen emporstei­gen, die nicht die Medien auf ihrer Sei­te ha­ben und da­her nicht von vorn­herein z.B. 20% der Wähler­stim­­men für ein Volksbegehren mobilisieren können." [631]  So kann man demokra­ti­sche Of­fen­heit vor­täuschen und sich durch ein zu ho­hes Quo­rum doch des unge­störten Genus­ses oli­gar­chi­­scher Macht völlig si­cher sein.

Wenn es nicht gelingt, diese Ruhe und Sicherheit der Etab­lierten nach­­hal­tig durch de­mo­kratische Unruhe und system­über­win­den­de Re­­­­formen zu stören, wird die Kluft zwi­schen Volk und Par­teien im­mer mehr zunehmen, die sich be­reits heute in laufenden dra­mati­schen Ein­bußen der Etablierten bei allen Wahlen zeigt. "Auch den demo­kra­ti­schen Par­teien könnte passieren, was den au­to­ritären Parteiregi­men im Osten passierte. Die illegi­time Macht könnte ih­nen eines Ta­ges un­ter den Hän­den zerbröckeln." [632]  Wei­te­re Teile des Volkes wer­den sich fra­gen, ob es in unse­rem Lande noch eine wirkliche Chance gibt, die im Bundestag seit Jahrzehnten re­gieren­den Großparteien ab­zulö­sen. Wenn diese ihre Macht wei­ter abschot­ten, wächst die von Carl Schmitt auf­gewiesene Gefahr unfriedli­cher Aus­brüche. Wenn dem Volk nicht die nötigen Äuße­rungsformen zugestanden wür­den, wächst die Gefahr, daß die zu­nehmende und berechtigte Un­zu­frie­den­­­heit sich unkon­trol­liert Bahn bricht. [633]  Der ein­zige Grund für eine Op­­­po­sition, sich im Streben zur Regie­rungs­ver­ant­wor­­tung bür­ger­kriegs­­­ähnli­cher Methoden zu enthal­ten, ist nämlich das wirkli­che Be­ste­hen der legalen Chance friedlicher Machtge­win­nung . [634]  Wo der Staat von einer formier­ten gesell­schaftlichen Grup­pe er­obert ist und den anderen Grup­pen den inneren Frieden ver­weigert, ent­fällt für diese jeder rechtfertigen­de Grund, sich einer sol­chen Par­tei­räson zu beugen und ih­rerseits den inneren Frieden zu halten. Ob die Chan­ce heute für non­kon­for­me Kräfte be­steht, wird die nahe Zu­kunft zeigen. Andern­falls gilt: "Wenn die Reprä­­sentativverfassung vor Heraus­for­de­rungen versagt, die die Inter­essen aller berühren, muß das Volk in Ge­stalt seiner Bürger ... in die originä­ren Rechte des Sou­veräns ein­tre­ten dürfen. Der demo­kra­tische Rechtsstaat ist in letz­ter Instanz auf die­se Hüter der Legi­ti­mation angewiesen." [635]

Ù

Literaturverzeichnis

Zeitschriften:

Criticón, Hrg.Caspar von Schrenck-Notzing, München, Knöbelstr.36/V.

FAZ = Frankfurter Allgemeine Zeitung

NJW = Neue Juristische Wochenschrift, Beck-Verlag, München.

ZRP = Zeitschrift für Rechtspolitik, Monatsbeilage zur NJW, Hrg.Martin Kriele, Beck, München.

 

Adam, Konrad, Die Ohnmacht der Macht, 1994.

- Ich kenne nur noch Parteien, FAZ 3.9.1992.

- Wenn der Staat zum Besitz der Parteien wird, FAZ 2.3.1991.

Agnoli, Johannes, in: ders.-Brückner, Die Transformation der Demokratie, 1967.

Amira, Karl von, Grundriß des germanischen Rechts, 3.Aufl.­1913.

Aristoteles, Politik, Hrg.Nelly Tsouyopoulos, Ernesto Grassi.

Arnim, Hans Herbert von, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, Mainz 1991.

- Ein demokratischer Urknall, DER SPIEGEL Nr.51/1993 vom 20.12.1993, S.35.

- Hat die Demo­kra­tie Zu­kunft? FAZ 27.11.1993.

- Staat ohne Diener, 1993.

- Wenn der Staat versagt, FAZ 13.7.1993.

- "Der Staat sind wir!", München 1995.

Aron, Raymond, Demokratie und Totalitarismus, 1965.

Benda, Ernst, Vom rechten Umgang mit rechten Parteien, NJW 1994,22.

Berglar, Peter, Die Wiederkehr der Biographie, Vergangenheitsanschauung und ge­schichtli­che Ori­entierung, Criticón 1978,231.

- Wie krank ist die Spätdemokratie? Die Entmündigung des Bür­gers, in: Criticón 1987,153.

Birg, Herwig, Diffe­rentielle Re­produktion aus der Sicht der biographi­schen Theorie der Fertilität, in: Eckart Voland (Hrg.), Fortpflanzung, Natur und Kul­tur im Wechselspiel, 1992, S.189.

Bis­marck, Otto von, Gedanken und Er­in­ne­rungen Bd.I, Neue Ausgabe Ber­lin 1922.

Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Demokratie und Repräsentation, Hannover 1983.

- Die ver­­fas­sungs­theoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Be­din­gung der indivi­duellen Freiheit, 1973.

- Staat, Verfassung, Demokratie, 1991.

Bodin, Jean, Les Six livres de la République, 1583, Über den Staat, Hrg.Gottfried Nied­hardt, Stuttgart (Reclam) 1976/1982.

Braun, Johann, Recht und Moral im pluralistischen Staat, Juristische Schu­lung (JuS) 1994,727.

Brender, Reinhold, Der Staatsstreich als kleineres Übel - Eine fragwürdige Atempause in Al­gerien? FAZ 16.5.1992.

Burckhardt, Jacob, Weltgeschicht­liche Betrachtungen, 1905, Neu­druck

Cardano,H.,  Opera omnia, 1663, De summo bono = Opera I, zit.nach Kon­dylis, Meta­phy­sikkritik.

Cortés, Juan Donoso, Essay über den Katholizismus, den Liberalis­mus und den Sozia­lis­mus, 1851, Hrg.Günter Maschke, 1989.

Depenheuer, Otto, Der Mieter als Eigentümer; Neue Juristische Wochen­schrift (NJW) 1993, 2561.

Dettling, Warnfried, Demokratisierung - Wege und Irrwege, Hrg.: Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, 3. Aufl.1974.

Diwald, Hellmut, Geschichte der Deutschen, 1978.

Dürig, Günter, Grundgesetz, Kommentar, von Maunz/Dürig/Herzog, Mün­chen 1994.

Eibl-Eibesfeldt, Irenäus, Der Mensch, das riskierte Wesen, 1988.

- Wider die Mißtrauensgesellschaft, 1994.

Eisermann, Gottfried, Parteienkrise - Staatskrise, in: Herder-Initiative Bd.73 (Hrg.Gerd-Klaus Kaltenbrunner) 1988, S.85.

Ellwein-Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 6.Aufl. 1988.

Engdahl, F. William, A Century of War: Anglo-Ame­ri­can Oil Poli­tics and the New World Order, (dtsch. Ausgabe: Mit der Ölwaffe zur Welt­macht, 1992).

Enzensberger, Hans Magnus, Aussichten auf den Bürgerkrieg, 1993.

Eyermann-Fröh­ler, Kom­mentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 9.Aufl. 1988.

Fahrenholz, Peter, Wenn ein Jour­nalist Streibls Miß­fal­­len er­regt, in: Frank­furter Rund­schau 2.6.1992.

Fest, Joachim, Offene Gesellschaft mit offener Flanke, FAZ 21.10.1992.

Fichte, Johann Gottlieb, Fichtes Reden an die deutsche Nation, 1808, Hrg.Eucken, 1915.

Fichte, Johann Gottlieb, Staatslehre, 1813, Werke IV.

Forsthoff, Ernst, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 4.Aufl.1961/1972.

Freund, Michael, Eliten und Elite-Begriffe, Herder-Initia­tive Bd.29, Hrg.Gerd-Klaus Kal­ten­brunner, Freiburg 1977, S.28 (35).

Friedrich II, Brief, zit.nach Hans Pleschinksi (Hrg.), Voltaire - Fried­rich der Große, Aus dem Briefwech­sel,  2. Aufl.1993.

Friedrich, Carl J., Der Verfassungsstaat der Neuzeit, 1953

Fromme, Friedrich Karl, Präsidentin, Vizepräsident - Ein verabredetes Rol­len­spiel bringt ei­ne Frau in das höchste Richteramt, FAZ 27.5.1994, S.12.

- Über die Art des Regie­rens beunruhigt, FAZ 15.11.1993.

Früchtl, Josef, Klug und gut - Gibt es Menschenrechte? FAZ 29.1.1992.

Fukuyama, Francis, Das Ende der Geschichte - Wo stehen wir? 1992.

- Der Mensch braucht das Risiko, DER SPIEGEL Nr.15/1992, S.256.

- Die Zukunft des Krieges, FAZ-Magazin 16.12.1994, S.16.

Geck, Wilhelm Karl, Wahl und Amtsrecht der Bundesverfassungsrichter, 1986.

Gehlen, Arnold, Urmensch und Spätkultur, 1956.

Geitmann, Roland, Volksentscheide auf Bundesebene, ZRP 1988, S.126 ff.

Gillessen, Günter, Die Rache der Veteranen, FAZ 9.5.1992.

Glotz, Peter, Die deutsche Rechte, 1989.

Göring, Helmut,  Tocqueville und die Demokratie, 1928.

Gössner, Rolf, Auch Ge­sin­­nungsschnüffelei gegen rechts führt in eine Sack­gasse, Frankfurter Rund­schau 26.1.1994.

Grebel, Volkram, Wer kontrolliert die 'Vierte Gewalt? in: Die politische Mei­nung, Hrg.K.-Adenauer-Stiftung, Nr.285, Aug.1993, S.79 ff.

Gruhl, Herbert, Die Menschheit ist am Ende, DER SPIEGEL 23.3.1992.

Häberle, Peter, Soziale Marktwirtschaft als "Dritter Weg", ZRP 1993, 383.

Habermas, Jürgen, Faktizität und Geltung, 1992.

- Ziviler Ungehorsam - Testfall für den demokratischen Rechts­staat, in: Pe­ter Glotz (Hrg.), Ziviler Ungehorsam im Rechts­staat, 1983, S.29 ff.

Heckel, Hans, "Es ist alles noch viel schlimmer", Ost­preu­ßenblatt 25.9.1993, S.4.

- Das Deut­sche wird schließ­lich erlö­schen, Ostpreußenblatt 6.11.1993, S.2.

Heineccius, Johann Gottlieb, Elementa juris naturae et gentium, 1737,  (Grundlagen des Na­tur- und Völkerrechts), Hrg.Christoph Bergfeld, 1994, S.58.

Hennis, Wilhelm, Amtsgedanke und Demo­kra­tie­be­griff, in: Staatsverfassung und Kir­chen­ordnung, Festgabe für Rudolf Smend, 1962, S.55 f.

- Auf dem Weg in eine ganz andere Republik, FAZ 26.2.1993.

- Überdehnt und abgekoppelt - An den Grenzen des Partei­enstaa­tes, in: Christian Gr.v. Krockow (Hrg.), Brauchen wir ein neues Partei­ensystem, Frankfurt 1983.

Heptner, Bernd, Öko-Diktatur oder Sturmlauf gegen die Ökologie? FAZ 27.12.1994.

Herzog, Roman, in: Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, 1994, Zitier­weise: M-D-H.

Herzog, Roman, Staats­lehre.

Hesse, Konrad, Bemerkungen zur heutigen Problematik und Tragweite der Un­ter­schei­dung von Staat und Ge­sellschaft, in: Die öffentliche Ver­wal­tung (DöV), 1975, S.437 ff., 438.

Hildebrandt, Walter, Der Schmarotzer - ein Symptom unserer Zeit, in: Her­der-Initiative Bd.43 (1981), S.50.

Hilger, Norbert, Armin Mohler und der Neokonservatismus, in: Die neue Gesell­schaft - Frank­furter Hefte, Heft 8/1991, S.718.

Hippel, Ernst von, Der Rechtsgedanke in der Geschichte, 1955.

Hobbes, Thomas, Leviathan, Stuttgart (Reclam), 1970.

Hoffmann-Lange, Ursula, Eliten und Demokratie in der Bundesrepublik, in: Max Kaase (Hrg.), Poli­tische Wis­senschaft und politische Ordnung, Opladen 1986.

Hop­pe, Wer­ner, Die Regelung der ver­waltungs­recht­li­chen Organstreitigkei­ten, NJW 1980, 1017 ff..

Hornung, Klaus, Eine antitotalitäre Phalanx - Der Kreisauer Kreis und seine Nach­wir­kun­gen in der Bundesrepublik, FAZ 1.11.1993.

- Lorenz von Stein, Criticón 1980,56.

- Über die Effizienz der Demokratie, Criticón 1979,306.

Huber, Ernst Rudolf, Die Einheit der Staatsgewalt, Deutsche Juristen-Zei­tung 1934,950.

Ihering, Rudolf von, Der zweck im Recht, 1. Aufl. I 1877, II 1884.

Illies, Joachim, Der Affenfelsen und wir, Criticón 1982,68.

Isensee, Josef, Die künstlich herbeigeredete Verfassungsdebatte, in: Die po­liti­sche Mei­nung Nr.269, April 1992, S.11 (14), Hrg.Bernhard Vo­­gel.

- Staatsrepräsentation und Ver­fas­sungs­patrio­­tismus, Cri­ticón 1992, S. 273.

Jäde, Henning, Die Lebenslüge der Demokratie, Herder-Initiative Bd.20, 1977, S.107.

Jäger, Wolfgang, Für einen Par­la­­ments­ka­nal, in: Die politische Meinung Nr.270, Mai 1992, S.53 (58).

Jeismann, Michael, Ende des Hochamts, FAZ 28.5.1994.

Jellinek, Georg, Allgemeine Staatslehre, 3.Aufl.1929.

Jung, Ernst Julius, Die Herrschaft der Minderwertigen, 2.Aufl.1930

Jünger, Ernst, Der Arbeiter, 1932, Ausgabe 1982.

Kaltenbrunner, Gerd-Klaus, Der schwierige Konser­vatismus = ders. (Hrg.) Rekon­strukti­on des Konservatismus, 1972, S.7.

- Rückblick auf die Demokratie, in: Herder-In­itia­tive Bd.20, 1977, S.7.

Kant, Immanuel, Metaphysik der Sitten.

- Zum ewigen Frieden, Werkausgabe Bd.XI.

Kimminich, Otto, Verfassungsgerichtsbarkeit und das Prinzip der Gewalten­tei­­lung, in: Her­der-Initiative Bd.33, Hrg. Gerd-Klaus Kaltenbrunner, 1979, S. 62.

Klein, H.H., Die Grundrechte im demo­kra­ti­schen Staat, 1977.

Klein, Markus, Machiavellis Lage­ana­lyse, in: Politische Lageanalyse, Fest­schrift für Hans-Joachim Arndt, 1993, S.129.

Knütter, Hans-Helmuth, Die Faschismus-Keule - Das letzte Aufgebot der deutschen Lin­ken, 1993.

Kondylis, Panajotis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, 1990.

- Konservativismus, Geschichtlicher Gehalt und Un­ter­gang, 1986.

- Macht und Entscheidung, 1984.

- Ohne Wahrheitsanspruch keine Toleranz, Im Wider­streit sind uni­versales und partikula­res Kulturverständnis aufeinander an­gewiesen, FAZ 21.12.1994.

- Montesquieu und der Geist der Gesetze, Berlin 1996.

Kraus, Hans Christof, Die politische Lehre des Leviathan, Criticón 1988, S.197.

Kriele, Martin, "Sekte" als Kampfbegriff, FAZ 6.4.1994.

- Über jeden Grundgesetzartikel einzeln ab­stim­men; Aktuelle Probleme der Verfassungs­re­form, FAZ 21.12.1993.

Krippendorf, Ekkehart,  Das Ende des Parteienstaates? in: Der Monat, Heft 160, 1960, S.64.

Krockow, Christian Graf von, Die Entscheidung, Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, 1958, 2.unveränderte Aufl.1990.

Kroll, Peter, Vor dem Ende des klassischen Journa­lismus, Cri­ticón 1988,113

Krüger, H., All­gemeine Staatslehre, 1964, S.542 f.

Kunze, Klaus, Dem Machtmißbrauch wehren! Für eine Demokratisierung der Volks­par­teien, in: DER REPUBLIKANER Nr.4 (April) 1989, S.6.

- Der Staat als Parteienbeute, in: DER REPUBLIKANER 1.9.1989.

- Der totale Parteien­staat, in: Junge Freiheit Nr.2/1992.

- Die Legitimität der Diktatur, Der Putsch von Boris Jelzin in Ruß­land, Junge Frei­heit 10/1993, S.1.

- Die Teilung der Ge­wal­ten, Staats­briefe 11/1993, S. 8.

- Die Verfas­sungs­schutz­prozesse und ihre po­li­ti­sche Funktion für den Par­teienstaat, in: Deut­sche An­nalen, Jahr­buch des Na­tio­­nal­geschehens, 1994, S.77-111.

- Plebiszite als Weg aus dem Parteienstaat, Junge Frei­heit Ok­tober 1992, S.23.

- So­zial­­ge­schen­ke statt ech­ter Volksherrschaft, In Bonn will man von der ver­fas­sung­­ge­ben­­den Gewalt des Vol­kes nichts wissen, in: Ostpreußen­blatt 11.1.1992, S.3.

- Wege aus der Systemkrise, in: Opposition für Deutschland, Hrg.Andreas Molau, 1995.

- Mut zur Freiheit - Ruf zur Ordnung, Der schmale Pfad zwischen Fanatismus und Nihilis­mus, 1.Auflage Esslingen 1995 ISBN 3-924396-4; 2. neubearb. 2. Auflage Uslar 1998 ISBN 3-933334-02-2.

- Geheimsache Politprozesse, Systemwechsel durch Uminterpretation: Verfas­sungs­schutz und Gerichtsbarkeit nach dem linken Marsch durch die Institutionen am Beispiel der Re­publikanerverfolgung, Uslar 1998, ISBN 3-933334-05-5.

Kutscha, Martin, und Anke Engelbert, Staatliche Öffentlichkeitsarbeit und De­mo­kra­tie­prin­zip, NJW 1993, 1233.

La Bruyère, Caractères, suivis des caractères de Théophraste.

Lagarde, Paul de, Deutsche Schriften, 1884, zitiert nach Sammlung Diede­richs, Hrg. Fried­rich Daab, 1914.

Leesen, Hans-Joachim von, Die Wahrheit über den Bombenkrieg, Ost­preu­ßen­blatt 12.12.1992.

- Wie die Freie und Hansestadt Hamburg die Tötung ihrer Einwohner im Luftskriegs-Ho­locaust rechtfertigt, Ost­preu­ßen­blatt 24.7.1993.

Leif, Thomas, Hoffnung auf Reformen? Reformstau und Partizi­pa­tions­bloc­ka­den in den Parteien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wo­chen­zei­tung Das Parla­ment, 22.10.1993, S.24.

Levy, David, David Hu­me, Cri­ti­cón 1980,4.

Lorenz, Konrad, Der Abbau des Menschlichen, 1983.

- Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, 1973.

- Die Rückseite des Spiegels, 1973, Sonderausgabe 1975.

Luhmann, Niklas, Chirurg auf der Parkbank, FAZ 9.6.1994.

- Wie haben wir gewählt? FAZ 22.10.1994.

Machiavelli, Nic­colò, Discorsi, I.Buch, 11. Kapitel, Deutsche Ge­samtaus­gabe, Hrg. Ru­dolf Zorn, 2.Aufl.1977.

Madison, James, Die Federalist-Artikel, Hrg.Adams, UTB 1994.

Maistre, Joseph de, Betrachtungen über Frankreich, 1796, Hrg.G.Maschke, 1991.

Martini, Winfried, Das Ende aller Sicherheit, Stuttgart 1954.

Maschke, Günter, Die Verschwörung der Flakhelfer, Criticón 1985,153.

Meier, Horst, Parteiverbote und demokratische Republik 1993.

Mende, Erich, Gedanken zu einer Parlamentsreform, in: Herder-­Initiative Bd.73, S.72.

Michels, Robert, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demo­kratie, 1911, 4.Aufl.Stuttgart 1989.

Mielke, Gerd, Plädyer für offene Parteistrukturen; unveröffentlichtes Manu­skript 1993, zit. nach Leif S.26 Fußnote 9.

Mitteis, Hein­rich/Heinz Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 15. Aufl.1978.

Mohler, Armin, Die konservative Revolution, 3.Aufl. 1989.

- Liberalenbeschimpfung, 1990.

Molau, Andreas, Al­fred Rosenberg, Der Ideo­loge des Nationalsozialismus, Ei­ne politi­sche Bio­grafie, 1993.

Montesquieu, Charles-Louis de, Vom Geist der Gesetze, bei Reclam 1965/1989.

Müller, Adam, Elemente der Staats­kunst, 1808/1809.

Neumann, Heinzgeorg, Von der Parteiendemokratie zur Soziokratie, in: Her­der-Initiative Bd.73 (Hrg.Gerd-Klaus Kaltenbrunner) 1988, S.168.

Nolte, Ernst, Die fortwirkende Verblendung, FAZ 22.2.1992.

- Die Fragilität des Triumphs, FAZ 3.7.1993

- Streitpunkte, 1993.

Oberlercher, Reinhold, Zur Erneuerung des deutschen Parteiensystems, in: Her­der-Initia­tive Bd.73, S.135.

Oel­mann, Michael, Die Steue­rung der In­for­ma­tion, Bay­eri­scher Rund­funk nennt Repu­bli­ka­ner nicht mehr rechtsradikal - CSU pro­te­stiert, Junge Freiheit 6/1994 v. 4.2.1994, S.1.

Olson, Mancur, The Rise and the Decline of Nations, Yale University 1982, deutsch: Auf­stieg und Niedergang von Nationen, 2.Aufl. Tübingen 1991.

Orwell, George, "1984", deutsche Ausgabe 1950, 13.Aufl. 1964.

Pe­rel­man, Chaïm, Über die Ge­rech­tig­keit, 1945, deutsch 1967.

Platon, Politeia (Staat), Übersetzung von Schleiermacher, Rowohlt 1958.

Posener, Paul, Ein­­­führung in die Rechts­wissenschaft und Rechtsgeschichte, 2.Aufl. 1909.

Preuß, Ulrich K., Die Wahl der Mitglieder des BVerfG als verfas­sungs­recht­li­ches und politi­sches Problem, in: ZRP 1988, 389.

- Plebiszite als Form der Bürgerbe­teiligung, ZRP 1993, 131.

Proudhon Pierre Joseph, Les confessions d'un révolutionnaire. Ed.Nouvelle, Paris 1868.

Pufendorf, Samuel von, De jure Naturae et Gentium, 1672.

- De officio hominis et civis juxta legem natu­ralem, 1673, Hrg.Maier/Stolleis, 1994.

Radbruch, Gustav, Gesamtausgabe (GRGA), Hrg.A.Kaufmann, Bd.3, Hei­delberg 1990.

Ranke, Leopold von, Neueste Geschichte, Sommersemester 1850, zit. nach Carl Pertz in: Vorlesungseinleitungen, Hrg. Volker Dotterweich u.a., 1975.

Rebenstorf, Hilke, Steuerung des politischen Nachwuchses durch die Par­tei­­führungen? in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wo­­chen­zei­tung Das Parlament, 14.8.1992, S.45.

Reißmüller, Johann Georg, Ein langlebiges Unrecht in Belgien, Die blutige Repression der Nachkriegszeit, FAZ 10.5.1994.

Ridder, H., Die so­ziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S.85 ff., 94 ff.

Rohrmoser, Günter, Gibt es eine Alternative zum Staat? in: Bur­schen­schaft­li­che Blätter 1984, 135.

Romieu, Auguste, Der Caesarismus, 1850, Hrg.Günter Maschke, Wien 1993.

Rother, Werner, Die Art, mit Souveränen umzugehen, ZRP 1994, 173.

Rousseau,  Jean-Jacques, Der Gesellschaftsvertrag, 1762, (Hrg. Weinstock), 1974.

Rüthers, Bernd, Ein Grundrecht auf Wohnung durch die Hintertür? Neue Juristische Wo­chenschrift (NJW) 1993,­ 2587 ff.

- Ideologie und Recht im System­wech­sel, 1992.

Sander, Hans Dietrich, Die Auflösung aller Dinge, 1988.

- In der Zwickmühle der Restauration, Criticón 1976, 213.

- Vortrag auf dem 3. Marburger Diskurs, 20./22.­11.­1987, in: Staats­briefe 3/1992, S.27.

Schacht, Konrad, Wahlentscheidung im Dienst­lei­­stungs­­zen­trum. Ana­ly­sen zur Frank­fur­ter Kommunalwahl vom 22.März 1981, Opladen 1986.

Schelsky, Helmut, Die Strategie der Systemüberwindung, FAZ 10.12.1971.

- Mehr Demokratie oder mehr Freiheit? FAZ 20.1.1973.

Scheuch, Erwin K. und Ute Scheuch, Angriff auf den Klüngel am Rhein, Rheinischer Mer­kur vom 13.2.1992.

- Cliquen, Klüngel und Kar­rieren, Hamburg 1992 (zit.: "Cliquen...").

- Parteien und Politiker in der Bun­des­re­pu­blik (alt) heute, Hrg.Wirtschaftsvereinigung der CDU in NRW, Düsseldorf 1991 (zit.: "Studie").

Schiedermair, Hartmut, Hände weg vom Grundgesetz! in: Die politische Meinung, Hrg. Bernhard Vogel, 37.Jahrgang April 1992, S.17.

Schlierer, Rolf, Für eine rechtsdemokratische Partei, Junge Freiheit Nr. 24/1994 vom 10.6.1994, S.11.

Schmidt-Hieber, Werner und Ekkehard Kiesswetter, Parteigeist und politi­scher Geist in der Justiz, NJW 1992, 1790.

Schmitt Glaeser, Walter, in: Mahrenholz u.a., Stern, 40 Jahre Grund­gesetz, 1990.

Schmitt, Carl, Die Diktatur, 2.=5.Aufl. 1928/1989

- Der Begriff des Politischen, 1932.

- Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parla­men­taris­mus, 1923, 7.Aufl.1926/1991.

- Verfassungslehre, 1928, 8.Aufl.1993.

- Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931.

- Legalität und Legitimität, 1932, 4.Aufl. 1988.

- Politische Theologie, 1934, 4.Aufl.1985.

- Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, 1938/ 1982.

- Staat, Großraum, Nomos, Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, Hrg. Günter Maschke, Berlin 1995.

Schmoeckel, Reinhard. Die Hirten, die die Welt veränderten, 1985.

Schönberger, Christoph, Der Staat, Bd.33, 1994, Heft 1, S.124.

Schreckenberger, Waldemar, Ein Staats- und Gesellschaftsbild aus Karls­ruhe, FAZ 3.3.1995.

- Sind wir auf dem Weg zu einem Parteienstaat? FAZ 5.5.1992.

Schrenck-Notzing, Caspar von, Abschied vom Dreiparteiensystem, in: Her­der-Ini­tia­tive Bd.73 (Hrg.Gerd-Klaus Kaltenbrunner) 1988, S.121.

- Abschied vom Parteienstaat, 1988.

Schröer, Friedrich, Deutsche Volkszugehörigkeit von Minderjährigen, Baye­ri­sche Ver­wal­tungs­blät­ter 1973, 148.

Schulz, Til, Der liebe Ultra: Günter Maschke, in: Die neue Gesell­schaft - Frank­furter Hefte, Heft 8/1991, S.730.

Schweisfurth, Theodor, Der Staat soll in Zu­kunft für den Menschen da sein, Die russi­schen Wähler stimmen über eine Ver­fassung prä­sidialdemo­kra­tischen Zuschnitts ab, FAZ 9.12.1993.

Seiters, Rudolf, Mehr innere Sicherheit, in: Die politische Meinung Nr.285, Au­gust 1993, S.27.

Stein, Erwin, Staatsrecht, 12.Aufl.1990.

- Verfassungsgerichtliche Interpretation der Grundrechte als Kon­kre­ti­sie­rung des Rechts­staa­tes, in: Herder-Initiative Bd.33, Hrg.Gerd Klaus Kal­tenbrunner, 1979, S.83.

Stelz­­mann, Arnold, Illu­strierte Geschichte der Stadt Köln, 7.Aufl.­1976

Stolz, Werner, Die persönlichen Mitarbeiter der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten - ein neues Feld verdeckter Parteienfinanzierung? ZRP 1992,372.

Stubbe-da Luz, Helmut, Parteiendiktatur - Die Lüge von der innerparteili­chen De­mokra­tie, 1994.

Sunic, Tomislav, Videopolitik, Die neue Dimension des Politischen, Criticón 1993,292.

Thoma, Richard, Rechtsgutachten betreffend die Stellung des BVerfG, in: Peter Häberle (Hrg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976.

Vandergucht, Jeef, Nihilismus - Normenerhöhung - Nullpunkt, Ernst von Sa­lo­mon und seine Zeit, in: Die Achte Etappe, Hrg.Heinrich-Theodor Homann, April 1992, S.57 f.

Venohr, Wolfgang, Der Öko-Staat kommt bestimmt, in: Junge Freiheit 5/1993, S.23.

Vernuls, Nicolas de, De una et diversa religione, 1646.

Vierhaus, Hans Peter, Die Identifizierung von Staat und Parteien - eine mo­der­ne Form der Parteidik­tatur? ZRP 1991, S.468.

Vitzthum, Wolfgang Graf von, Demokratie, Parteien und Par­teiendemokra­tie, FAZ 21.11.1994.

Weiß­mann, Karlheinz, Edgar J. Jung, Criticón 1987,245.

Weizsäcker, Richard von, Im Gespräch, mit Gunter Hofmann und Werner A.Perger, Frank­furt 1992.

- Wird unsere Parteiendemokratie überleben? 1983.

Wie­sen­dahl, Elmar, Volksparteien im Abstieg, Nachruf auf eine zwiespälti­ge Erfolgs­ge­schich­te, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 14.8.1992, S.3.

Wild, Dieter, Doch wie Weimar? DER SPIEGEL Nr.51/1993 vom 20.12.1993, S.38.

Willms, Bern­ard, Thomas Hobbes - Das Reich des Leviathan, München 1987.

Wolff, Hans Julius, Organschaft und juristische Person, Bd.II, Theorie der Ver­tretung, 1934.

- und Otto Bachof, Ver­wal­tungsrecht Bd.II, 4.Auflage 1976.

Yser, Cornelia, CDU-MdB, Stolz auf das Grundgesetz, in: Die politische Mei­nung Nr.270, Mai 1992, S.61.

Ziemske, Burckhardt, Ein Plädoyer für das Mehrheitswahlrecht, ZRP 1993, 369.

Zitscher, Wolfram, Äm­ter­pa­tro­nage - Krise der Rechtspflege, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1991, S.100

Über den Autor

Geb.1953         in Bahrendorf bei Magdeburg, verheiratet, 6 Kinder 1979-1996

1972                 Abitur am altsprachlichen Hölderlin-Gymnasium in Köln

1972-1975        Polizeibeamter in NRW, zuletzt Hauptwachtmeister Poli­zeipräsidi­um Köln

1974                 Sommersemester Immatrikulation Universität Köln, Jura

1974                 Wintersemester, aktiv bei der Kölner Burschenschaft Germania,

1976                 Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung

1976/77            Mitglied des Hochschulpolitischen Ausschusses der Deut­schen Burschenschaft

1977                 Mitgründer des Ring Freiheitlicher Studenten in Köln

1979                 1. juristische Staatsprüfung, Köln

1981                 2. juristische Staatsprüfung, Köln; Zulassung als Rechts­anwalt in Göttingen

1984-                Rechtsanwalt in Uslar

 

1970-71            Herausgeber eines Science-Fiction-Fanmagazins

1977-79            Korrespondent der Zeitung student in Köln

seit 1978          diverse Beiträge in genealogischen und heimatkundlichen Fachzeit­schriften

seit 1989          diverse Beiträge für politische Zeitschriften



[1] Pufendorf, De jure Naturae, Buch VII, Kap.­VI, § 8; Schelsky, FAZ 20.1.1973.

[2] Aristoteles, Politik, 4.Buch 1292a, 3.Buch 1279a.

[3] Pufendorf, De officio hominis, 2.Buch, Kap.8, § 4, S.171; Heineccius, Elementa juris, Buch II, § 124, S.412.

[4] Ebenso nebst vielen: Böckenförde, Demokratie und Reprä­sen­ta­tion, S.6, S.8,15 f.

[5] Michels, Soziologie S. 370, S.351.

[6] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen. S.286.

[7] Roman Herzog, Art.20 I. Rdn.39, 42; V. Rdn.25; Helmut Schelsky FAZ 20.1.73; Carl Schmitt, Die gei­stes­ge­schicht­liche Lage, S.47, 41, 52.

[8]  Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, Buch III, Kap. 15 S.158.

[9] Michels, Soziologie,  S.371.

[10] Kant, Zum ewigen Frieden, S.191 ff., 207 und Metaphysik der Sit­ten § 52 S.464; Madison, An das Volk von New York, 22.11.1787, Federalist-Artikel, S.55.

[11] Vgl. Preuß, ZRP 1993,133.

[12] Arnim, Staat ohne Diener, S.60, 335.

[13] Roman Herzog, M.-D.-H. Art.20, I. Rdn.41; V. Rdn.12.

[14] Roman Herzog, in: M.-D.-H, Art.2O, I. Rdn.40 f.

[15] Unverständlicherweise behauptet Armin Pfahl-Traughber, Kulturrevolution von rechts, in: MUT Nr.351 v.Nov.1996, S.36 ff (53), dieses Buch laufe "auf eine Ab­leh­nung des Parlamen­tarismus zugunsten einer homogenen Gesellschaft im anti­plu­ra­li­sti­schen und identitären Sinne hinaus". Er verkennt, daß es außer dem extremen Re­prä­sen­tativsystem und dem extremen identitären Demokratie­verständnis ein ge­wal­ten­tei­lendes System mit einer Machtbalance zwi­schen Staat und Gesell­schaft geben kann.

[16] Herzog, M.-D.-H, Art.20 GG, I, Rdn.­40 ff.; Schmitt, Die geistesgesch.Lage, S.20 ff.

[17] Carl Schmitt, Die geiste­­sgeschichtliche Lage, S.22, 34.

[18] Rousseau, Gesellschaftsvertrag, 1.IV ch.2, al 8; Carl Schmitt, Die geiste­­sge­schichtliche Lage, S.22, 34.

[19] Zu diesem totalitären Aspekt der Demokratie ebenso Roman Herzog a.a.O.

[20] Bodin, Six Livres, Buch II, insbesondere 1. Kapitel.

[21] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.25.

[22] "Mängel des eigenen Systems", so Arnim, FAZ 27.11.1993.

[23] Ihering, Der Zweck im Recht, 1.Aufl. I 1877, II 1884.

[24] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.90.

[25] De Lagarde, Deutsche Schriften, S.138 (S.323 ff. der Gesamtausg. von 1903).

[26] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.66 nach Thomas Hobbes.

[27] Romieu, Der Caesarismus, S.38.

[28] Vgl. Kondylis, Konservativismus, S.16.

[29] Kondylis, Macht und Entscheidung, S.50 ff., 99.

[30] David Hume, Of the Original Contract, zit. nach David Levy, Cri­­ti­cón 1980,4. 

[31] Rüthers, Ideologie und Recht im System­wech­sel, S.47.

[32] Kondylis, FAZ 21.12.1994.

[33] Machiavelli, Discorsi, I.Buch, 11. Kapitel, S.45.

[34] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.66.

[35] Hippel, Der Rechtsgedanke in der Geschichte, S.6.

[36]  Thomas von Aquin, Summa theologiae, 1273, zit. nach von Hippel, S.48. 

[37] Cardano, Opera omnia, 1663, De summo bono = Opera I,583 B.

[38] Hobbes, Leviathan, 6.Kap., S.50.

[39] Pe­rel­man, Über die Ge­rech­tig­keit, S.28, 43.

[40] Vgl. Kondylis, Die neuzeitliche Metaphysikkritik, S.543, 561

[41] Äßêáéïí (Dikaion) ann Recht bedeuten, aber auch Gerechtigkeit oder das Gerechte. Je­de an­dere Übersetzung als Recht würde das Argument des Thrasymachos grob miß­verstehen, weil er ja gerade bestreitet, daß Recht mehr ist als gesetz­tes Recht, und gerade nicht behauptet, das Recht sei Gerechtigkeit oder eine Art (hö­heres) Gerechtes.

[42] Zitiert nach Platon, Politeia 1.Buch, B.Hauptteil, II. Das Gespräch mit Thra­symachos, 12., 338e. Während Platon selbst als Idealist diese Ansicht ge­ne­rell ablehnt, erkennt Aristoteles, daß dikaion (Recht) in der Oligarchie, De­mokra­tie usw. "in gewissem Grade" etwas ganz verschie­denes bedeutet, vgl. Politik, 3.Buch, 9., =1280a. Ebenso a.a.O. 1318a.

[43] Falk Frhr.v.Maltzahn, Leserbrief in der FAZ 27.5.1994 in Hinblick auf die Recht­sprechung des BVerfG zum Fortbestehen der Enteignungen der SBZ.

[44] Deutscher BT, 12.Wahlperiode, Bundestags-Drucksache 12/6000, S.14.

[45] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.250.

[46] Krockow, Die Entscheidung, S.19.

[47] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.45

[48] Wilhelm Hennis, Bericht aus Bonn, FAZ 11.3.1996, S.9.

[49] Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S.337 ff.

[50] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.66.

[51] Hoffmann-Lange, Eliten und Demokratie, S.338.

[52] Scheuch, Studie, S.8, 10; Cliquen, S.44.

[53] Scheuch, Rheinischer Mer­kur 13.2.1992.

[54] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.257.

[55] Carl Schmitt , Die geistesgeschichtliche Lage, S.36.

[56] Michels, Soziologie, S.13, 351 f., 354 beruft sich seinerseits auf Vorläufer wie Vilfredo Pareto und seine Théorie de la circulation des élites. Vgl. Freund, Eli­ten und Elite-Begriffe, S.28 (35).

[57] Kon­rad Lorenz, Der Abbau des Menschlichen, S.222.

[58] Scheuch, Cliquen S.72, 13; Anonymus, in: ZRP 1988, S.62 (64).

[59] Anonymus, in: ZRP 1988, S.62 (64).

[60] Scheuch, Studie, S.17

[61] Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S.306.

[62] Heino Kaack, Zeitschrift Das Parlament, 1980, S.200.

[63] Scheuch, Cliquen, S.82 ff.

[64] Anonymus, in: ZRP 1988, S.62 (65).

[65] Scheuch, Studie S.27; ders. Cliquen S.116 ff; vgl. auch Sander, Criticón 1976, 215 über die Wiederbelebung mittelalterli­cher, feudaler Strukturen im "plu­ra­li­sti­schen" Verbän­de­kollekti­vismus.

[66] So Scheuch a.a.O., und er schreibt daher vorsichtshalber anonym (siehe obigen "Anonymus" ZRP 88,62).

[67] Vgl. auch Zitscher, ZRP 1991, S.100 (103).

[68] R. von Weizsäcker, Wird unsere Parteiendemokratie überleben? S.155.

[69] v.Arnim, "Der Staat sind wir", S.111.

[70] Vierhaus ZRP 1991, S.468 (469); v.Arnim FAZ 29.1.1991 und ders. Die Partei, der Abgeord­nete und das Geld S.78,370.

[71] Erwin Scheuch, zit. nach Hans Heckel, Ost­preu­ßenblatt 25.9.1993, S.4.

[72] Vierhaus, ZRP 1991, S.468 (472).

[73] Vgl. insgesamt Scheuch, Cliquen S.72 (74).

[74] Dieter Göbel (GRÜNE), zit. nach Klaus Zöller, Kölner-Stadt-Anzeiger 15.2.1992.

[75] DER SPIEGEL Nr.45/1993, S.73.

[76] Vierhaus, ZRP 1991, S.468 (470).

[77] Kunze, Der Staat als Parteienbeute; Adam, FAZ 2.3.1991.

[78] Vierhaus S.470; Walter Schmitt Glaeser, in: Mahrenholz u.a., S.153.

[79] Bert Strebe, Das Parteibuch zählt, Göttinger Tageblatt 2.7.1994.

[80] R.v.Weizsäcker, (1983), S.157.

[81] Vierhaus a.a.O.; Konrad Adam, FAZ 2.3.1991.

[82] Vierhaus a.a.O. mit weiteren Nachweisen.

[83] R.v. Weizsäcker, (1983),  S.156.

[84] Leif, Hoffnung auf Reformen? S.24 (33) nach Klaus von Beyme, Die po­li­tische Klasse im Par­tei­en­staat, 1993, S.58 ff.

[85] Vgl. auch K.Kunze, Für eine Demokratisierung der Volks­par­teien, April 1989; ders. So­zial­­ge­schen­ke, S.3; ders. Der totale Parteien­staat, in: JF Nr.2/1992.

[86] Carl Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme, in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.61.

[87] Arnim, Staat ohne Diener, S.107.

[88] Scheuch, Cliquen S.158; Zum "völlig beherr­schenden Ein­fluß der Par­teien" ebenso R.v.Weizsäcker, Im Ge­spräch, S.140 f.; Ge­gen das "Parteien-, Stiftungs- und Fraktionskar­tell" auch Hen­nis, FAZ 26.2.1993.

[89] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.256.

[90] Scheuch, Studie S.20,30; ders. Cliquen S.175.

[91] Scheuch, "Studie". a.a.O. S.30 u. S.121.

[92] Alexander Gauland, FAZ v. 31.5.1991; ebenso Jäger, Für einen Par­la­­ments­ka­nal, S.58 zur Ge­­­schlos­senheit von Herrschaft, heute der Par­teieli­ten; dem Wähler bleibe nur die Absegnung von Koa­litionen.

[93] Ernst Günter Vetter, FAZ 2.10.1991.

[94] Arnim, Wenn der Staat versagt, FAZ 13.7.1993.

[95] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.39, 106.

[96] George Orwell, "1984", S.192.

[97] Leif, Hoffnung auf Reformen, S.24 (25).

[98] Mielke, Plädyer für offene Parteistrukturen.

[99] Leif, Hoffnung auf Reformen, S.26 nach Schacht, Wahlentscheidung.

[100] Scheuch, Cliquen, S.72.

[101] Ders. Studie S.26 und Cliquen S.175.

[102] Scheuch, Cliquen, S.114; Dasselbe fordert auch der Anthropologe Eibl-Eibes­feldt, Der Mensch, das riskierte Wesen, S.168 f.

[103] Scheuch, Studie, S.17, 26; Sander, Criticón 1976 S.213 (219).

[104] Kurt Biedenkopf, Feuilleton der Süddeutschen Zeitung v.25./26.10.1987.

[105] Scheuch, Studie, S.20.

[106] Anonymus in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1988, 62 (64).

[107] Michels, Soziologie,  S.184.

[108] Scheuch, Interview in "Europa vorn", Nr.29 v.15.3.1992, S.1 ff.

[109] Günter Zehm, Pankraz, Gaetano Mosca und das Schiboleth der classe politique, Junge Frei­heit 14/97 v.28.3.1997, S.11.

[110] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.8.

[111] Als Beleg für den "Stammtisch" vgl. die BILD-Zeitung 12.6.1992, Schlagzeile S.1: "Treiben wir auf eine Staatskrise zu? Millionen Deutsche verachten ihre Politiker."

[112] Leif, Hoffnung auf Reformen, S.24.

[113] Schiedermair, Hände weg vom Grundgesetz, S.17 (20), ist Pro­fessor für öf­fentliches Recht in Köln. Der Aufsatz erschien in "Die politi­sche Meinung", dem Organ der Kon­rad-Ade­nauer-Stiftung der CDU.

[114] Vgl. Vierhaus S.464, S.472 m.w.N.

[115] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.13, 21.

[116] v.Arnim, "Der Staat sind wir", S.112.

[117] Vgl. Carl Schmitt, Die geistesgesch. Lage, S.43 in Fn.2 m.w.N.

[118] Habermas, Faktizität und Geltung. Dazu vgl. Klaus Kunze, Mut zur Freiheit - Ruf zur Ord­nung.

[119] Mit dieser Hilfsbegründung versucht die neuere liberale Theorie den mit sei­ner ur­sprüng­li­chen Be­gründung nicht mehr haltbaren Parlamentarismus neu­­er­­­dings zu recht­fertigen, vgl. z.B.Dett­ling, Demokratisie­rung, S.21; zu Dettling vgl. Scheuch,  Cliquen, S.166.

[120] BVerfG, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1966, S.1499.

[121] Ebenso Arnim, FAZ 27.11.1993.

[122] Habermas, Faktizität und Geltung, S.331.

[123] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.11.

[124] Jeremy Bentham, 1748-1832, liberaler Jurist und Theoretiker des Parlamenta­ris­mus.

[125] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.12.

[126] Jäde, Die Lebenslüge der Demokratie, S.107 (117).

[127] Scheuch, Cliquen, zum "Kölner Modell".

[128] Vierhaus S.474

[129] Ziemske, ZRP 1993, 369 (371).

[130] Schreckenberger, FAZ 5.5.1992; ebenso Weizsäcker, Im Gespräch, S.158.

[131] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.28.

[132] Ziemske, ZRP 93,371.

[133]  Waldemar Schrecken­berger am 14.11.1993 bei einem Vortrag vor der Deut­schen Vereini­gung für Parlamentsfragen. Die Ko­ali­tions­runde sei die Magna Char­ta der Regierungstätigkeit. Vgl. Friedrich Karl From­me, FAZ 15.11.1993.

[134] Erwin Scheuch, Die Entmachtung der Abgeordneten, FAZ v. 17.1.1996.

[135] Vgl. bei Ernst Nolte, Streitpunkte, S.382.

[136] Jacob Burckhardt, Weltgeschicht­liche Betrachtungen, S.37.

[137] Vierhaus S.472, Häberle, Juristenzeitung 1977, 361 (362).

[138] Weiterführend Klaus Kunze, Die Teilung der Ge­wal­ten.

[139] Kondylis, Montesquieu, S.85 m.w.N.

[140] Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S.212 = 11.Buch, 6.Kapitel.

[141] Montesquieu, S.213.

[142] Göring, Tocqueville und die Demokratie.

[143] Kondylis, Montesquieu, S.94.

[144] Vgl. Emil Hübner, Ursula Münch, Das politische System Großbritanniens, Eine Einführung, München 1998: Die Regierung wirke als Exekutivausschuß des Parlaments, der mit Hilde sei­ner Mehrheit im Unterhaus auch über das legislative Recht verfügt. Die Gewaltenteilung in ih­rer reinen Form existiere schon lange nicht mehr.

[145] Roman Herzog, in M-D-H, Art.20 GG, II. Rdn.78, 79.

[146] Roman Herzog, in M-D-H, Art.20 GG, V. Rdn.28 unter c).

[147] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.218.

[148] Hamilton, Die Federalist-Artikel, S.435.

[149] Stein, Staatsrecht, S.152.

[150] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.51; vgl. zum Ge­dan­ken der in­ternen Macht­ba­lance von Partikularinteressen innerhalb ei­ner Ver­tre­­tungs­kör­­per­schaft auch Eyermann-Fröh­ler, Rdn.31 zu § 40 mit Hinweis auf Bethge, DVBl.1980,310 (313); Hop­pe, NJW 1980, 1019 spricht von einem In­ter­esse der or­ganisierten Ein­heit an der Zusammenord­nung der organ­­schaft­lichen Hand­lungen zu einem ein­heit­li­chen Wir­kungszusammenhang. Die­ser "Wirkungs­zu­sam­­menhang" der kör­per­­schaftlichen Interes­sen­ge­gen­sätze läuft sach­lich auf die libera­le Idee der Aus­­­balancierung hin­aus.

[151] Schreckenberger, FAZ 5.5.1992.

[152] Roman Herzog, in M-D-H, Art.20 GG, V. Rdn.29. Im Er­geb­nis so auch Re­benstorf, Steue­rung des politischen Nachwuchses, S.45 f., 50.

[153] Waldemar Schreckenberger, FAZ 5.5.1992.

[154] Arnim, FAZ 27.11.1993

[155] Kondylis, Montesquieu, S. 96 f.

[156] Montesquieu, S.214.

[157] Arnim, Staat ohne Diener, 1993, S.107.

[158] R.v.Weizsäcker a.a.O., Wird unsere Parteiendemokratie überleben? 1983, S.155.

[159] 40-50% der ARD- und ZDF-Mitarbeiter sind Parteimitglieder vgl. Scheuch, Cliquen, S.45. Allgemein weicht die Parteipräferenz von Jour­na­li­sten erheb­lich von derjenigen der Bevölke­rung ab (Zahlen nach Criticón 1993, S.237):  

[160] Scheuch, Cliquen, S.12 Fn.5, nach Hennis, Überdehnt und abgekoppelt, S.32.

[161] Werner Weber, zit. nach Arnim, Staat ohne Diener, S.107.

[162] Montesquieu, S.218.

[163] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.258.

[164] Ingo v. Münch, Minister und Abgeordneter in einer Person: die andauernde Verhöhnung der Gewalten­teilung, NJW 1998, 34.

[165] v. Münch beruft sich hier auf: Herzog, in: Maunz1Dürig, Art. 20 V Rdn. 16; vgl. aber auch ders., Art. 20 V Rdnr. 46.

[166] Arnim, FAZ 27.11.1993.

[167] Roman Herzog, in M-D-H, Art.20 GG, V. Rdn.29.

[168] Walter Schmitt Glaeser a.a.O., S.153.

[169] Wolf Dietrich Narr, Auf dem Weg zum Einparteienstaat, 1977.

[170] Agnoli S.33, 40;  Ebenso Arnim, Die Partei.., S.243 ("partiell ähnliche Situation"). Zu­stim­mend Horst Meier (Rezension) ZRP 1992, 189 ("nicht von der Hand zu weisen").

[171] v.Arnim, "Der Staat sind wir", S.111, 149 f.

[172] Vierhaus S.473.

[173] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, 1994, S.49.

[174] Vierhaus S.473.

[175] Erwin Scheuch, Interview mit EUROPA VORN 15.3.1992, S.2.

[176] George Orwell, 1984, a.a.O., S.182.

[177] George Orwell, 1984, a.a.O., S.180.

[178] Schrenck-Notzing, Abschied vom Parteienstaat, S.9.

[179] Ralf Dahrendorf, DIE ZEIT v.19.8.1988.

[180] Eisermann, Parteikrise - Staatskrise, S.85 f. (97 f.).

[181] Hesse, DöV, 1975, S.437 ff., 438.

[182] Roman Herzog, in M-D-H, Art.20 GG, V. Rdn.34 und ebd. Fußnote 3 m.w.N.

[183] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.156.

[184] Hesse, DöV 1975, S.437; Böckenförde, Die ver­­fas­sungs­theoretische Unter­scheidung von Staat und Gesellschaft.

[185] Zur Aufgabe des Staats als pouvoir neutre, ausgleichende Kraft der gesell­schaft­li­chen An­tagonismen zu sein, vgl. Hornung, Criticón 1980,56 (57).

[186] Hornung, Criticón 1980, S.58 nach Lorenz von Stein.

[187] BVerfG E 4,15,16; 7,205; 18,267,273; 24,144.

[188] Luhmann, FAZ 9.6.1994.

[189] Kondylis, Konservativismus, S.36, 63, 80 ("ewige Seinsord­nung"), 161 ff., 168.

[190] Huber, Deutsche Juristen-Zeitung 1934,950 (956, 960).

[191] Stein, Verfassungsgerichtliche Interpretation der Grundrechte, S.83 (85).

[192] Lorenz von Stein, zit. nach Klaus Hornung, a.a.O., Criticón 1980,58.

[193] Bodin, Six Livres, Buch I, 7. Kap.; Pufendorf, De officio hominis, 1.Buch, 2.Kap. § 5; Hob­bes, Leviathan, 21.Kap., S.197; Schmitt, Der Leviathan, S.127.

[194] Vorläufer gab es schon früher. Stets be­ding­ten Friedenswahrungsgebot und Schutz­­verspre­chen ein­ander unmittelbar. So heißt es in Friedrichs II. Mainzer Reichs-Landfrieden von 1235: "Wir setzen und gebieten, zwaz schaden ie­men an deheiner slahte dinge geschê, daz er daz selbe niht enreche (Friedensgebot!), ern chlag ez alrest sinem rihter und volge siner chlage ze ende, als reht ist..." (Rechts­ge­wäh­rungs­versprechen!).

[195] Dazu ausführlich Kondylis, Konservativismus.

[196] Vgl. im einzelnen Kondylis, Konservativismus, S.34 mit Hin­­weis auf Kal­ten­brun­ner, Der schwierige Konser­vatismus, S. 18; dieser for­mu­­liert als "kon­ser­va­tive" Po­si­tion in alt­liberaler Manier des 19. Jahrhun­derts: "Die for­melle, ab­strak­te und bürgerliche Frei­heit ist die Freiheit schlecht­hin." In den 20er und frü­hen 30er Jahren wurde die Forderung nach ei­­ner Tren­nung von Staat und Gesellschaft auch von sogenannten 'Jung­kon­ser­­vativen' im Anschluß an Lo­renz von Stein wieder­belebt, vgl. Nachweise bei Kondylis, Konservativis­mus, S.487 ff., 489 f.

[197] Habermas, Faktizität und Geltung, S.215.

[198] Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S.84

[199] Martini, Das Ende aller Sicherheit, S.292.

[200] Braun,  Recht und Moral im pluralistischen Staat,JuS 1994, S. 730 f.

[201] Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, S.155.

[202] Krockow, Die Entscheidung, S.142.

[203] Ebenso Maschke, Criticón 1985,153 (154).

[204] Sander, Criticón 1976, 213 (215).

[205] Vgl. Carl Schmitt, Der Leviathan, S.116 ff., 127.

[206] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.62, 51.

[207] Nicolas de Vernuls, De una et diversa religione.

[208] George Orwell, 1984, S.28.

[209] Schrenck-Notzing, Criticón 1993,155.

[210] Steffen Heitmann im Interview, Junge Freiheit 35/1994 v.26.8.1994, S.3.

[211] Schrenck-Notzing, Rezension von Meinhard Adler, Vergan­gen­heits­­be­wäl­ti­gung in Deutsch­land, Cri­ticón 1991,207.

[212] Mohler, Liberalenbeschimpfung, S.133.

[213] Martin Kriele, Leserbrief in der FAZ 4.5.1994.

[214] Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S.284.

[215] Kriele, FAZ 6.4.1994.

[216] F.K.Fromme, Nun ist das Amt zu erfüllen, FAZ 25.5.1994 in An­spie­lung auf R.v.Weizsäckers Reden.

[217] Vgl. Kondylis, Konservativismus, S.502.

[218] Carl Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme, in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.75.

[219] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.269.

[220] BVerfG, Amtliche Entscheidungssammlung (BVerfG E) 2, S.12; 5,199 (206).

[221] BVerfG E 20, 56 (99) = NJW 1966,1499 (1503).

[222] BVerfG U.v. 9.4.92, NJW 1992, S.2545 ff.

[223] BVerfG E 20, 56 (102, 113).

[224] Ellwein-Hesse, S.195.

[225] Vierhaus S.468 f., 469 mit weiteren Nachweisen.

[226] BVerfG Urteil vom 9.4.1992, NJW 1992,2545 ff.

[227] Vgl. i.e. die historische Entwicklung bei Arnim, Die Partei..., S.54 ff.

[228] Vgl. dazu ausführlich Stolz, ZRP 1992,372.

[229] Kutscha/Engelbert, NJW 1993, 1233 (1235).

[230] BVerfG E 44, 125 (150) = NJW 1977,751.

[231] Schrenck-Notzing, Interview in: Junge Freiheit 12/1993, S.3.

[232] Michels, Soziologie,  S.125.

[233] Walter Schmitt Glaeser, Wem nützt das? FAZ 24.5.94.

[234] Kutscha/Engelbert, NJW 1993, 1233.

[235] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.72, nach Wie­sen­dahl, Volksparteien im Abstieg, 11.

[236] Berglar, Criticón 1987,153, (154).

[237] Sunic, Videopolitik, Die neue Dimension des Politischen, Criticón 1993,292.

[238] Scheuch, Cliquen , S.121 f.

[239] Scheuch a.a.O. S.166 Fn.47 nach Der Tagesspiegel 27.11.1991, Der Hofbe­richt­er­stat­tung ab­hold - Wolf­gang Herles kehrt mit 'Streitfall' und 'Köpfe' ins ZDF zu­rück; Stern, in "Münchener Freiheit" 30.1.1992.

[240] Karl F. einer bekannten Tageszeitung für Deutschland. In einem ähnlichen Fall wur­de der Redakteur Wolfgang Kracht nach Intervention eines Mi­ni­ster­prä­­si­den­ten vom Herausgeber des Donau­-Kuriers, Wilhelm Reiß­müller, ar­beits­­­recht­lich gemaßregelt; vgl. bei Fahrenholz, Frank­furter Rundschau 2.6.1992.

[241] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.71.

[242] Scheuch, Cliquen, S.121.

[243] Vgl. Oel­mann, Die Steue­rung der In­for­ma­tion; Süd­deutsche Zeitung 23.6.1989 (CDU-Gene­ral­sekretär Huber hatte pro­te­stiert, daß der BR die REP nicht mehr 'rechtsradikal' nannte.).

[244] Kroll, Vor dem Ende des klassischen Journa­lismus, Cri­ticón 1988,113.

[245] Grebel, Wer kontrolliert die 'Vierte Gewalt? S.79.

[246] Berglar, Criticón 1987,153, (155).

[247] Kutscha/Engelbert, NJW 1993, 1233 (1235).

[248] Michael Stolleis VVDStRL 44 (1958, S.11).

[249] Scheuch, Cliquen S.50 f.

[250] Klaus Heugel, SPD-Ratsvorsitzender in Köln, zit. nach Klaus Zöller, Kölner-Stadt-Anzeiger 15.2.1992.

[251] Was die Leibholzsche Parteienstaatslehre in Ordnung findet. Kri­tisch dagegen Eisermann, Parteienkrise, S.94.

[252] Mende, Gedanken zu einer Parlamentsreform, S.72 (79/80).

[253] Vitzthum, Demokratie, Parteien und Parteiendemokratie, FAZ 21.11.1994.

[254] Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S.307.

[255] Arnim, Staat ohne Diener, 1993, S.56.

[256] Carl Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme, in: ders., Staat, Großraum, Nomos, S.56.

[257] Oberlercher, Zur Erneuerung des deutschen Parteiensystems, S.135, (141).

[258] Vierhaus, S.472.

[259] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.268.

[260] Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung S.25, 31, 44; Hesse, DöV 1975, S.439.

[261] Zur totalitären Tendenz Konrad, Hesse S.438.

[262] Sander, Bonn totalitär, Staatsbriefe 4/1994, S.1.

[263] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.268.

[264] Proudhon (1809-1865), Les confessions d'un révolutionnaire, S.286.

[265] La Bruyère, Caractères, suivis des caractères de Théophraste, S.381.

[266] Michels, Soziologie, S.17.

[267] Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, S.37.

[268] Hamilton, Die Federalist-Artikel, S.435.

[269] BVerfG E 20, 56 f., 101.

[270] Mohler, Liberalenbeschimpfung, S.137.

[271] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.66, nach Thomas Hob­bes.

[272] Falk Frhr.von Maltzahn, Leserbrief FAZ 27.5.1994.

[273] Rüthers, NJW 1993,­ 2588; Alfred Söllner, Allzu oft wirkt der Richter als Er­satz­ge­­setzgeber, FAZ 11.7.94.

[274] Depenheuer, NJW 1993, 2561 ff. (2564).

[275] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.118.

[276] Vgl. ein­gehend Kunze, Die Verfas­sungs­schutz­prozesse, S.77-111.

[277] Z.B. "Überlegungen zur Strategie der CDU gegenüber den REP", April 1989, Hrg. Grund­satz- und Planungsabteilung, S.2: "Daher scheinen mir die nach­ste­­­hen­den Methoden der 'Stigmatisierung der REP erfolgreicher zu sein."

[278] Gegen Wertungen wie "radikal" oder "extremistisch" als solche kann nach Recht­­spre­chung des BVerfG (E 39,360; 40,287) nicht mit Erfolg vor­ge­gan­gen werden.

[279] Stefan Dietrich, Das gewendete Landesamt, FAZ 22.6.1993.

[280] Auf diese Zusammenhänge weist kritisch hin auch Gössner, Frankfurter Rund­schau 26.1.1994.

[281] Zitscher, Ämterpatronage, ZRP 1991, 100 (103).

[282] Erwin Scheuch, in: Europa vorn a.a.O., Nr.29 v.15.3.1992, S.2.

[283] Zitiert nach Zitscher a.a.O. ZRP 91,103.

[284] Schmidt-Hieber/Kiesswetter, NJW 1992, 1790.

[285] Zitiert nach Zitscher ZRP 1991, 102, 100.

[286] Preuß, ZRP 1988, 389 (390, 392).

[287] Arnim, Staat ohne Diener, 1993, S.31.

[288] Thoma, Rechtsgutachten.

[289] Ulrich K. Preuß ZRP 1988, 389.

[290] Fromme, FAZ 27.5.1994, S.12.

[291] Schmidt-Hieber und Kiesswetter NJW 1992, 1791; Lamprecht ZRP 95,2531 f.

[292] Neumann, Von der Parteiendemokratie zur Soziokratie,  S.168 (174).

[293] Geck, Wahl und Amtsrecht der Bundesverfassungsrichter, 1986, S.9.

[294] Michael Bohlander und Christian Latour, Zum Einfluß der politischen Parteien auf die Er­nennungen zum Bundesgerichtshof, ZRP 1997, 437.

[295] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.211.

[296] Bericht der FAZ vom 19.11.1994 'Klage gegen Verfassungsgerichtshof'.

[297] Kimminich, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 62 (65).

[298] Dagegen vor der Machtergreifung entschieden Carl Schmitt, Legalität und Le­gitimität, S.61; ders. danach über die inneren Widersprüche des Wei­ma­rer Systems, das sich in dieser neutralen Legalität selbst zerstörte und seinen ei­ge­nen Feinden auslieferte, resignativ-doppelbödig in: Der Füh­rer schützt das Recht, Deutsche Juristen-Zeitung 1934,947.

[299] Das Grundgesetz bekennt sich zur "militanten Demokratie": Roman Herzog, M-D-H, Art.5 GG Abs.I, II, Rdn.111.

[300] Schmitt gilt als "Erfinder" der "Ewigkeitsklausel" des Art.79 Abs.III GG; vgl. Le­galität und Legi­ti­mität, S.55 ff. (61): Eine Verfassung könne nie­mals "legal" die Möglichkeit ihrer eigenen Ab­schaf­fung ermöglichen.

[301] Vgl.Otto Kimminich, S.62 (74).

[302] Axel Görlitz, Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1994,159.

[303] Schreckenberger, FAZ 3.3.1995.

[304] Vgl. weiterführend Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, S.30 f. (34).

[305] Braun, JuS 1994,727, 730.

[306] BVerfG Urteil v.9.4.1992, NJW 1992, 2545 f.

[307] So wies das Niedersächsische OVG (Be­schluß v.  24.1.1994 -10 M 457/94-) nach Einsicht in die Ak­ten der Stadt Salz­gitter nach, daß de­ren Rechts­amt dem Schul­verwaltungsamt gut­acht­lich den Nut­zungsanspruch einer Par­tei für den Wahl­kampfauftritt ihres Vorsit­zen­den in einer Aula bestätigt hatte. Den­noch muß­te die Stadt erst gerichtlich ge­zwun­gen wer­den, ihre Räu­me der Partei zu öff­nen. Wäh­rend der laufenden Ver­an­stal­tung misch­te sich Stadtdi­rektor Lo­hoff Zeu­gen zufolge unter steinewerfen­de Au­to­no­me, die gegen die Au­la anstürm­ten und ho­hen Sach­scha­den an­rich­teten. Spä­ter ver­langte er von der Partei, de­ren Mitglieder sich fried­lich ver­sam­melt hat­ten, Scha­dens­er­satz für seine zer­bro­che­nen Fen­ster­schei­b­en.

[308] Das stenographische Wortprotokoll des Landtags verzeich­net dies so auf Seite 14; In der von Weimer redigierten Druckfassung des Land­tags­pro­to­kolls wurde die Stelle gestrichen.

[309] Benda, NJW 1994,22 (23).

[310] Eckhard Fuhr, Die Lüge verbieten? FAZ 7.4.1994.

[311] Schrenck-Notzing, Abschied vom Dreiparteiensystem, S.121.

[312] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.61

[313] Dieses liberale Bild vom Menschen als "Marktbürger" vertritt Peter Häberle, ZRP 1993, 383 (385), unter Berufung auf Adam Smith (Der Wohlstand der Na­tio­nen, 1776, Hrg.­Recktenwald, 1986, S.17) und auf Eucken: Privatei­gentum brin­ge nicht nur dem Eigen­tümer, sondern auch dem Nichteigentümer Nut­zen. Je­der nutze die Eigen­liebe der anderen, indem er ihnen zeige, daß in ih­rem ei­ge­nen Interesse liege, was er von ihnen wünscht. So nutze jeder die Ei­genliebe der anderen zu seinem eigenen Vorteil. - Die Tatsache antagoni­sti­scher Interes­sen, vor allem zwischen Einzelnutzen und Ge­mein­nutzen, wird hier völlig über­se­hen.

[314] Arnim, FAZ 27.11.1993.

[315] Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S.302.

[316] Fichte, Staatslehre, S.404.

[317] Dürig in Maunz-Dürig, Komm.zum GG, Art.2 Abs. I, Rdn.75

[318] Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch, das riskierte Wesen, S.11.

[319] Vgl. dazu auch die Rezension von Henning Ottmann "Der Urmensch trug kein Braunhemd" in der FAZ 15.11.1993 zur 1993 erschienenen Gehlen-Ge­samt­aus­gabe, Bd.3 Der Mensch: Gehlen habe den Begriff von Herder über­nom­men, und was er meine, gehe in der Sache schon auf Plinius und Pro­ta­go­ras zurück. Bei Platon, Politeia, siehe 320 c ff.

[320] Konrad Lorenz, Der Abbau des Menschlichen, S.151.

[321] Roswin Finkenzeller, Warum das Böse so mächtig ist, FAZ 29.12.1993.

[322] Vgl. dazu die Institutionentheorie Arnold Gehlens (in: Urmensch und Spät­kul­tur) und zu Gehlens "Institutionen als Ort der sozialen Abstützung".

[323] Mohler,  Liberalenbeschimpfung, 1990, S.135

[324] Anonymus, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1988, S.63.

[325] Anonymus, ZRP 88, 63; Hennis, Amtsgedanke und Demo­kra­tie­be­griff; Her­zog, Staats­lehre, S.173; ebenso Jä­de, Die Lebens­lüge der Demokratie, S.108.

[326] Anonymus, ZRP 88, 63.

[327] Eibl-Eibesfeldt, Wider die Mißtrauensgesellschaft, S.85 f.

[328] Lothar Orzechowski, Gesicherte Beute, in: Hessisch-Niedersächsische Allge­mei­ne 20.3.1992.

[329] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur,1994, S.236.

[330] Hildebrandt, Der Schmarotzer, S.50 (51).

[331] Konrad Lorenz, Die acht Todsünden, S.57.

[332] Scheuch, Cliquen, S.175.

[333] Arnim, Hat die Demokratie Zukunft? FAZ 27.11.1993.

[334] So der US-amerikanische Ver­tei­di­gungs­minister Wilson in den 50er Jahren; zit. nach F. Wil­liam Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Welt­macht, S.142.

[335] Joachim Fest, Krise des Politischen, FAZ 14.10.1993.

[336] Dagegen ebenso: Arnim, Wenn der Staat versagt, FAZ 13.7.1993.

[337] Arnim, Hat die Demokratie Zukunft? FAZ 27.11.1993.

[338] Ein großer Teil der Spitzenfunktionäre der Parteien sitzt in Aufsichtsräten von Großunter­nehmen oder in Füh­rungspositionen von Gewerkschaften; vgl. Scheuch, Cliquen, S.51, 42 ff.

[339] Das fiel so schon 1837 der Zeitung Berliner Politische Woche ("Der moderne Feu­dalismus", in: Nr.23) auf; zit. nach Kondylis, Konservativismus, S.363.

[340] Hornung, Criticón 1979,306 (307).

[341] Olson, S.6.

[342] Olson, S.52.

[343] Olson, S.56. 

[344] Arnim, FAZ 27.11.1993.

[345] Olson, S.53 ff.

[346] Olson, S.61.

[347] Olson, S.103, 187.

[348] Olson, S.233.

[349] Arnim, FAZ 13.7.1993.

[350] H.Kelsen, Archiv für Soz.-W. 1920, S.84, zit. nach C.Schmitt, Politi­sche Theologie, S.55.

[351] Meier, Parteiverbote und demokratische Republik S.416.

[352] Ulrich Everling, FAZ-Leserbrief 29.9.1995.

[353] Dettling, Demokratisierung, S.30, 21.

[354] Jeismann, FAZ 28.5.1994 in An­spie­lung auf R.v.Weizsäckers Reden.

[355] Carl Schmitt, Politische Theologie, S.49, nach Donoso Cortés, Essay, S.6 f.

[356] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.41.

[357] Michels, Soziologie, S.351.

[358] Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg, S.74.

[359] Voltaire - Friedrich der Große, Aus dem Briefwechsel, 1993.

[360] Vgl. Illies, Der Affenfelsen und wir.

[361] Brief an Voltaire vom 14.5.1737.

[362] Voltaire an Friedrich im April 1737.

[363] David Hume, Of the Liberty of the Press, zit. nach David Levy, Criticón 1980,4 (6).

[364] Nolte, FAZ 22.2.1992.

[365] Ernst-Wolfgang Böckenförde, Ist die Demokratie eine notwendige Forderung der Menschen­rechte, in: MUT, Januar 1997, S.50 ff.

[366]  Johann Georg Reißmüller, FAZ 10.5.1994.

[367] Stein, Verfassungsgerichtliche Interpretation der Grundrechte, S.83.

[368] Stein a.a.O. S.84; Carl Schmitt, Die geistesg. Lage, S.62 f., 43; Zu dieser "funk­tionalen Grundrechts­theorie" vgl. Klein, Die Grundrechte im demo­kra­ti­schen Staat; Krüger, All­gemeine Staatslehre, S.542 f.; Ridder, Die so­ziale Ord­nung des Grundgesetzes, S.85 ff., 94 ff.

[369] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.201.

[370] Ebenso Herzog, M.-D.-H, Art.20 GG, Ab­schn.I, Rdn.40 ff..

[371] "Institutionelle Grundrechtstheorie"; vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.170 f.; Erwin Stein, a.a.O.  S.89.

[372] "Werttheorie der Grundrechte" des Bundesverfassungsgerichts unter dem Ein­fluß Rudolf Smends; vgl. Erwin Stein a.a.O.; BVerfG E 7, 204 f. (215); 21, 371.

[373] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.200.

[374] Hesse, DöV 1975, S.442.

[375] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.268.

[376] Im Ergebnis ebenso Seiters, Mehr innere Sicherheit, S.27.

[377] Mohler, Liberalenbeschimpfung, S.138, 141 f.

[378] Nolte, Die Fragilität des Triumphs, FAZ 3.7.1993.

[379] Donoso Cortés, Essay, S.117.

[380] Jeder Konsul hatte gegen den anderen das Ius intercedendi, konnte also ohne Be­­gründung die Amtshandlung des anderen verhindern, vgl. Posener, Ein­­­füh­rung in die Rechts­wissenschaft und Rechtsgeschichte, S.109.

[381] Ähn­lich in Deutschland reichsstädtische Zunftverfassungen wie die der freien Reichs­­stadt Köln von 1396 mit zwei Bürgermeistern (vgl. Stelz­­mann, Ge­schich­te der Stadt Köln, S.134; allge­mein: Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechts­ge­schichte, Kap. 36 II. 3).

[382] Posener, Einführung  S.108 f.

[383] Posener, Einführung, S.178;

[384] Amira, Grundriß, § 45, S.149 f.

[385] Mitteis-Lieberich, Kap.8 II., S.27.

[386] Lorenz von Stein, zit. nach Hornung, Criticón 1980, 56 (59 f.).

[387] Klaus Hornung, Criticón 1980, 56 (59).

[388] Ebenso Ernst Nolte, Streitpunkte,  S.345, 353 f., 358, 363 ff.

[389] Gnauck - Vollstreckt und bestätigt - Millionen von Erschossenen FAZ 3.4.1993; Robert Konquest, Der große Terror, 1992; dazu Rezension Klaus Hor­nung, Criticón 1993,149; Anto­now-Owssejenko: Stalin. Portrait eines Ty­ran­nen, Berlin 1986; Wolfgang Strauß, Der Ho­locaust im Vergleich, Staats­brie­­fe 5/1994, S.36.

[390] Molau, Al­fred Rosen­berg, S.63 f.

[391] Berglar, Criticón 1978,231 (232).

[392] Hans Heckel, Ostpreußenblatt 6.11.1993; Zu den strukturellen Gründen des Geburtenrück­gangs in den Industrielän­dern: Birg, Diffe­rentielle Re­produktion, S.189 (213).

[393] Zu denselben Folgerungen gelangt Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt.

[394] Lorenz, Rückseite des Spiegels, S.34 ff.; ders. Abbau, S.57 ff. (58).

[395] Ebenso Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch, S.196; Lorenz, Abbau, S.209.

[396] Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch, S.23.

[397] Lorenz, Todsünden, S.72, Eibl-Eibesfeldt, Mißtrauensgesellschaft, S.126.

[398] Paul de Lagarde, Deutsche Schriften, S.138.

[399] Adam, Die Ohnmacht der Macht, S.149, nach Thomas Paine.

[400] Zur politischen Klasse Bonns als ge­schlossenes Sy­stem vgl. C.v.Schrenck-Notzing, Editorial, Criticón 1992,51.

[401] Vgl. z.B. bei Dettling, S.89.

[402] Michels, Soziologie, S.360.

[403] Michels, Soziologie, mit Hinweis auf La Bruyère, S.381.

[404] Erwin Scheuch, Cliquen S.156 nach Gunnar Sohn auf der Junge-Union-Lan­deskonfe­renz Berlin am 12.11.1989.

[405] Hornung, Über die Effizienz der Demokratie, Criticón 1979,306 (307).

[406] Erwin Scheuch, Studie S.30.

[407] Michels S.370.

[408] Michels, Soziologie, S.134.

[409] Michels, Soziologie, S.352, 196.

[410] Machiavelli, Discorsi, Buch III Kap.9.

[411] Klein, Machiavellis Lage­ana­lyse, S.129, (144 f.).

[412] Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, S.186 f.

[413] Zitatnachweis bei Olson, S.187.

[414] Fukuyama, Der Mensch braucht das Risiko, S.256; ders. Das Ende der Ge­schichte.

[415] Vgl. Schmoeckel, Die Hirten, die die Welt veränderten, S.35.

[416] Francis Fukuyama, Der Mensch braucht das Risiko.

[417] Fukuyama, Die Zukunft des Krieges, FAZ-Magazin 16.12.1994, S.16 ff. (17).

[418] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.70.

[419] Vgl. ebenso bei Dettling, Demokratisierung, S.15.

[420] Ebenso z.B. Joachim Fest, FAZ 21.10.1992; Ernst Nolte, FAZ 3.7.1993.

[421] Konrad Adam, FAZ 3.9.1992.

[422] Ernst Nolte, FAZ 22.2.1992.

[423] Ebenso R.v.Weizsäcker am 30.4.1992 in einer Rede vor beiden Häu­sern des US-Kongres­ses: In allen westlichen Demokratien hätten die Parteien sich den Staat zur Beute gemacht und ähn­liche Probleme hervorgeru­fen. Zu Italien, wo angesichts mafioser Strukturen in der Politik "von Staat kaum noch die Rede sein könne", Ernst Nolte, FAZ 3.7.1993.

[424] Z.B. Vierhaus, ZRP 1991, S.468 (476).

[425] Biedenkopf-Engholm, Gemeinsames Wort zum Vereinigungsprozeß, FAZ 5.7.1991.

[426] BVerfG E 20, 56 (101); 73, 40 (87) u.a.m.

[427] BVerfG Urteil v.9.4.1992, NJW 1992, 2545; Arnim, Die Partei..., S.8.

[428] Michels, Soziologie, S.118.

[429] Michels, Soziologie, S.190.

[430] BVerfG U.v.9.4.1992, NJW 1992, 2545.

[431] Vierhaus, ZRP 1991, 468 (475).

[432] BVerfG a.a.O. NJW 1992, 2545 f.

[433] Proudhon a.a.O., Les confessions, S.132.

[434] Arnim, Ein demokratischer Urknall, S.35 (37).

[435] Leif, Hoffnung auf Reformen, S.24 (32/33).

[436] So Leif S.33 unter "Reformrezepte gegen Politikverachtung"; ähn­lich Scheuch, Cliquen S.122 "Thesen zu einer struk­tu­rel­len Erneuerung der politi­schen Führung" und Vierhaus S.475 "Wege zur Entflechtung von Staat und Parteien".

[437] Leif, Hoffnung auf Reformen, S.33.

[438] Arnim, FAZ 13.7.1993; ders.FAZ 27.11.1993.

[439] BVerfG a.a.O. NJW 1992, 2545 f.

[440] Scheuch, Cliquen S.114.

[441] Scheuch, Cliquen S.123.

[442] Vierhaus, S.475.

[443] Scheuch, Cliquen S.139.

[444] Arnim, Wenn der Staat versagt, FAZ 13.7.1993.

[445] Luhmann, FAZ 9.6.1994.

[446] Anonymus, ZRP 1988, S.62-65.

[447] Scheuch, Interview in Europa vorn a.a.O., S.1.

[448] Scheuch, Cliquen S.121.

[449] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.39, 106.

[450] Schrenck-Notzing, Interview in: Junge Freiheit Nr.12/1993, S.3.

[451] Stubbe-da Luz, Parteiendiktatur, S.233.

[452] Arnim, Ein demokratischer Urknall, S.35.

[453] Scheuch, Interview in Europa vorn, a.a.O., S.1.

[454] Krippendorf, Das Ende des Parteienstaates? in: Der Monat, Heft 160, 1960.

[455] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.13.

[456] Wild, Doch wie Weimar? S.38 (40).

[457] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.13; im Ergebnis ebenso Weiz­säcker, wenn er "die Überlebensfähigkeit unserer Demo­kra­tie" gefährdet sieht, in: Wird unsere Parteien­demo­­kratie überleben? S.154, 174.

[458] Der pauschale Faschismusvorwurf ist die letzte taktische Finte der Linken und dient dem Zweck, Konservative und demokratische Rechte mundtot zu machen. Vgl. Knütter, Die Fa­schismus-Keule.

[459] Dagegen ebenso Kriele, FAZ 21.12.1993. Weniger deutlich Art.3 Abs.2 Satz 2 GG in der im Juli 1994 ergänzten Fassung: "Der Staat fördert die tat­sächliche Durchsetzung der Gleichbe­rechti­gung von Frauen und Männern und wirkt auf die Besei­tigung bestehender Nachteile hin." Vgl. Klaus Kunze, Junge Freiheit v. 8.7.1994.

[460] "Vorurteile - Argumentationshilfe zur Ausländerthematik", Hrg. Nieder­säch­si­sches Ministe­rium für Bundes- und Europaangelegenheiten, Hannover 1992, S.10.

[461] Ebenso Kondylis, Konservativismus, S.19.

[462] Ernst Jünger, Der Arbeiter, S.35.

[463] Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S.48.

[464] De Maistre, Betrachtungen über Frankreich, S.60.

[465] Louis de Bonald, Du Perfectionnement de l'homme (1810) = Ouevres, VII, 516 f., zit. nach Kondylis, Konservativismus, S.335.

[466] Donoso Cortés, Essay, S.169.

[467] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.55.

[468] Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, S.22, 23, 29.

[469] Helmut Schelsky, Die Strategie der Systemüberwindung, FAZ 10.12.1971.

[470] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.52, 41.

[471] Arnim, Die Partei,.. S.6: "Das Kartell der Etablierten wirkt wie eine Einheits­partei."

[472] Vierhaus, ZRP 1991, 473.

[473] Kritisch dazu Luhmann, FAZ 22.10.1994: "Stim­men zu zählen, Prozentzah­len auszurechnen und Prozentgewinne und -ver­luste zu notieren" sei bei "ge­ring­fügigen Differenzen" zwischen Regierung und Opposition, als habe das Volk "nicht gewählt", sondern "nur gewürfelt". "Man hätte dasselbe Resultat viel einfacher haben können, wenn man Mün­zen geworfen hätte - Kopf oder Zahl."

[474] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.37.

[475] Brender, FAZ 16.5.1992; vgl. auch C.v.Schrenck-Not­zing, Editorial, Criticón 1992,51.

[476] So lehrbuchartig geschehen beim Jelzin-Putsch in Moskau 1993, als dieser als volks­ge­wähl­ter Prä­sident das Parlament auflöste und fortan regierte, per De­kret Rechts­re­geln setzte und die obersten Rich­ter ignorierte, und alles unter freund­li­chem Kopf­nicken der westlichen Wertege­meinschaft im Namen der De­mo­kra­tie, vgl. Klaus Kunze, Junge Frei­heit 10/1993, S.1.

[477] Ebenso Kondylis, Konservativismus, S.506.

[478] Radbruch in einer Buchrezension, GRGA Bd.3, S.33 (35).

[479] Huber, Die Einheit der Staatsgewalt, Deutsche Juristen-Zeitung 1934, 950.

[480] J.Beyer, Die Ständeideologien der Systemzeit und ihre Überwindung, Diss. Darmstadt 1942, S.322 ff.,326 ff.,331,338; zit.nach Kondylis, Konserv., S.500.

[481] Hornung, FAZ 1.11.1993.

[482] Ebenso Maschke, Criticón 1985,154: Der Staat sei von Hitler demontiert wor­den. Der NS-Staat sei als Unstaat der Behemoth als das Gegenteil des Hob­bes'schen Leviathan ge­wesen. Ders.: Zum 'Leviathan' von Schmitt, in: ders, Der Le­viathan, S.179 (193 mit Hin­weis in Fuß­note 19 auf F.L.Neumann, Behemoth, New York 1942: Das NS-Sy­stem sei der Behemoth).

[483] Vgl. Ernst Nolte, Streitpunkte, S.382.

[484] Radbruch, Gesetzliches Unrecht, GRGA Bd.3, S.83 (90).

[485] Sander, Staats­briefe 3/1992, S.27 (30-31).

[486] Ranke, Neueste Geschichte, S.218 u.a.

[487] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.280.

[488] Baldur von Schirach in einem Brief Ende 1928, zit. nach Edmund Forsch­bach, Edgar J. Jung - Ein konservativer Revolutionär, 1984, S.23.

[489] Edgar J. Jung, Sinndeutung der deutschen Revolution, 1933, S.42; Karlheinz Weiß­mann, Criticón 1987,245.

[490] Vgl. Hilger, Armin Mohler, S.718 (723); Til Schulz, Der liebe Ultra, S.730.

[491] Hesse, DöV 1975, 440 ff.

[492] Sander, Staatsbriefe 3/1992, S.31.

[493] So die zentralen Thesen von Kondylis, Konservativismus.

[494] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.10.

[495] Sander, Staatsbriefe 3/1992, S.31.

[496] Scheuch, Interview in Europa vorn 15.3.1991; Arnim, Ein demokratischer Urknall, S.35: nur an den Parteien und Parlamenten vorbei; Sander a.a.O.

[497] Wolfgang Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt.

[498] Sander, Die selbstgefesselte Jurisprudenz, Criticón 1979,127.

[499] Sander, Criticón 1976, 213.

[500] Günter Maschke im Interview Junge Freiheit 5/1993, S.3.

[501] Sander, Staatsbriefe 3/1992, S.32, ders.: Nachwort zur Bun­des­re­pu­blik, in: Staats­briefe 2/1992, S.28 (31).

[502] Sander, Staatsbriefe 3/1992, S.33.

[503] Sander, Criticón 1997, S.216. Ähn­lich Jelzins Staatsstreich 1993; vgl. Klaus Kunze, Junge Freiheit 10/1993, S.1.

[504] Sander, Nachwort zur Bundesrepublik, Staatsbriefe 2/1992, S.31.

[505] Sander, ebenda S.30

[506] Vgl.bei Hornung, Criticón 1980, 56 (58).

[507] Oberlercher, Zur Erneuerung..., S.141.

[508] Ralf Dahrendorf, SPIEGEL-Gespräch 11/1995 vom 13.3.1995, S.48.

[509] Hesse, DöV 1975, 439.

[510] Glotz, Die deutsche Rechte, S.141 f. mit Anspielung auf San­der.

[511] Markus Klein, Ernst von Salomon, Criticón 1992, S.57.

[512] Vandergucht, Nihilismus - Normenerhöhung, S.57 f.(72).

[513] Vgl. Mohler, Die konservative Revolution, S.4.

[514] Wolfgang Venohr, Der Öko-Staat kommt bestimmt. Ähnlich sah die Zusam­men­hänge schon Ernst Jünger, Der Arbeiter, S.69 und wies darauf hin, daß der preußische Pflichtbegriff überall an­zutreffen sei, wo in der Welt neue Anstren­gungen zu beobachten sind: "Wo in­mitten der äu­ßersten Ent­beh­run­gen das Gefühl für die großen Aufgaben des Lebens wächst.....". Ähnlich auch 1976 Robert L. Heilbroner, Die Zukunft der Mensch­heit, 1976, S.78 f.

[515] Ernst Nolte, FAZ 3.7.1993.

[516] Armin Pfahl-Traughber, Konservative Revolution und Neue Rechte, Opladen 1998, S.173 zitierte diesen Satz und behauptete, die Modellvorstellung des Verfassers für den von ihm ge­wünschten Staat liefe darauf hinaus. Dagegen dürfte hinreichend deutlich sein, daß der Verfas­ser nicht zu denen gehört, die sich nach einer absoluten Republik sehnen oder sie unter den ge­genwärtigen Bedingungen für den letzten verzweifelten Halt gegen das Chaos ansehen.

[517] Sander, Criticón 1976, 218 nach Aron. Vgl. umfassend Klein, Machiavellis La­ge­analyse, S. 143 ff.

[518] Nur darin sieht Nolte die Singularität der Judenverfolgung, Streitpunkte, S.399.

[519] Gauweiler, Wie christliche Demokraten abdanken, FAZ 10.3.1995, S.16.

[520] Knütter, Die Faschismus-Keule,1993, S.93.

[521] Nolte, Streitpunkte, S.428 f.

[522] ZEITmagazin vom 29.10.1993.

[523] Knütter, Die Faschismus-Keule, S.42.

[524] Heiner Geißler in der FAZ vom 2.11.1988: Die Bundesrepublik müsse für Aus­länder of­fen gehalten werden. Für ein Land in der Mitte Europas sei die Vision einer multi­kul­turellen Ge­sellschaft eine große Chance.

[525] Alle Zitate dieses Absatzes: Fichte, Reden an die deutsche Nation, 8.Rede.

[526] Eibl-Eibesfeldt, Der Mensch, das riskierte Wesen, S.183 f.

[527] "Es darf nie wieder Deutschland geben. Nie wieder Deutschland!", MdB Briefs, Die Grünen, am 21.6.1990, siehe Bundestags-Protokoll S. 17 280, das "Beifall bei den Grünen" vermerkte.

[528] Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.53, 54.

[529] Willms, Thomas Hobbes, S.174.

[530] Hobbes, Leviathan, 17.Kap.; Kraus, Criticón 1988, 199.

[531] Ähn­lich Adam Müller, Elemente der Staatskunst, S.146.

[532] W. Schäuble, Wie leben aus der Wurzel des Überlieferten, FAZ 25.8.1995.

[533] Friedrich Schröer, Deutsche Volkszugehörigkeit von Minderjährigen, Baye­ri­sche Ver­wal­tungs­blät­ter 1973, 148 ff.; vgl. ebenso § 6 Bundesge­setz über die Ver­­triebenen und Flücht­linge (BGBl. I 1971, 1563 ff.): "Deutscher Volks­zu­ge­hö­­riger im Sinne die­ses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deut­schen Volks­­tum bekannt hat, so­fern dieses Bekenntnis durch be­stimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erzie­hung, Kultur bestätigt wird"  und die Neu­fas­sung vom 2.Juni 1993, BGBl.1993, 829 ff. sowie andere Ge­set­ze.

[534] Diwald, Geschichte der Deutschen, S.123.

[535] Lorenz, Die acht Todsünden, S.98, 84 ff (94 f.), 96.

[536] Heribert Klein, Hüter der Verfasser: Ernst-Wolfgang Böckenförde, FAZ-Ma­gazin 15.4.1994, 12 (16).

[537] von Arnim, Reformblockade der Politik? Ist unser Staat noch handlungsfähig? ZRP 98, 138 ff.

[538] von Arnim, Ein demokratischer Urknall, S.35.

[539] von Arnim, Wenn der Staat versagt, FAZ 13.7.1993.

[540] Vgl.auch Kunze, Wege aus der Systemkrise.

[541] Giese, Kommentar zur Reichsverfassung, 2.Aufl., S.161, 191.

[542] Vgl. Herzog, M.-D.-H, Art.20 II. Rdn.78 f.; Arnim, Staat ohne Die­ner, S.323.

[543] Wolff, Organschaft und juristische Person, S.16 ff.

[544]  Ziemske, ZRP 1993, 369 (370).

[545] Zu dieser vgl. systematisch Carl Schmitt, Verfassungslehre,  S.304.

[546] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.219.

[547] Preuß, Plebiszite, ZRP 1993, S.134, 138.

[548] Klemens Fürst von Metternich am 28.4.1852 an Donoso Cortés, Criticón 1988, S.70. Aus der Antwort Cortés vom 18.5.1852: "Der Ismus ist unzwei­fel­haft eine Art von Euphemismus, um die Herab­würdigung oder den Wahn und den Irrtum des menschli­chen Verstandes auszudrüc­ken, in den oftmals die be­sten Dinge sich verkehren."

[549] VG Stuttgart Beschluß vom 4.8.1993 -18 K 959/93-.

[550] Kondylis, Konservativismus, a.a.O., S.29 f.

[551] Eckhard Fuhr, Ein Kulturkampf, FAZ 29.9.1993.

[552] W. Hennis, zit. nach Kleine-Brockhoff/Kurbjuweit, DIE ZEIT 21.1.1994, S.9.

[553] Eckhard Fuhr, Ein Kulturkampf,  FAZ 29.9.1993.

[554] Michels, Soziologie,  S. 196.

[555] Michels, Soziologie,  S. 378.

[556] Schlierer, Für eine rechtsdemokratische Partei.

[557] Völkischer Beobachter 10.11.1938.

[558] Kaltenbrunner, Rückblick auf die Demokratie, S.7 (14 f.).

[559] Arnim, Hat die Demokratie Zukunft? FAZ 27.11.1993.

[560] Elisabeth Noelle-Neumann, Die Deutschen und der Staat, FAZ 11.1.1995.

[561] Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, S.22 f.

[562] Isensee, Die künstlich herbeigeredete Verfassungsdebatte, S.14.

[563] Schiedermair, Hände weg vom Grundgesetz! S.17 ( 20).

[564] Schiedermair a.a.O.; Isensee, a.a.O.

[565] Nach Karl Feldmeyer, Die christliche Demokraten tasten, FAZ 7.4.1992.

[566] Hildegard Hamm-Brücher (FDP) im ORF/ 3 SAT am 10.3.1992.

[567] Peter Badura, Direkte Teilhabe oder mittelbare Demokratie, FAZ 12.12.1991.

[568] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.21, 23.

[569] Helmut Schelsky, FAZ 10.12.1971.

[570] Günter Maschke, Interview in der Jungen Freiheit, 6/1991, S.3.

[571] Vgl. bei Machiavelli, Discorsi, I.Buch, 2.Kapitel, S.14 f.; Klein, Machiavellis Lageanalyse, S. 130 ff., 144-145.

[572] Michels, Soziologie, S.378. Schon 1911 wies Michels (S.145) dar­auf hin, wie wenig sich die Ten­den­zen der staatlichen Oligarchien (Re­gie­rung, Hof usw.) von denen der pro­le­ta­rischen Oligar­chien unterscheiden.

[573] Zit. nach Hans Hertel, Ostpreußen­blatt 25.9.1993, S.4.

[574] Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.41.

[575] Vgl. auch Kunze, Plebiszite als Weg aus dem Parteienstaat.

[576] Kunze a.a.O.; Arnim, Staat ohne Diener, S.330; Schrenck-Notzing, Interview in: Junge Frei­heit 12/1993, S.3.

[577] Cornelia Yser, CDU-MdB, Stolz auf das Grundgesetz,  S.66.

[578] Geitmann, Volksentscheide, stellt die Möglichkeiten detailliert dar.

[579] Michels, Soziologie,  S.93.

[580] Lagarde, Deutsches Wesen, S.119.

[581] Mel­dung der FAZ vom 8.11.1993 "Va­duz 7.11.1993".

[582] Forsthoff, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S.172.

[583] Zum Zustandekommen des Grundgesetz mit seiner noch weitergehenden Auf­lö­sung des Staates gegenüber der Gesellschaft vgl. Maschke, Criticón 1985,153 (154): "Wie jedes Ge­schenk eines Sie­gers, so diente auch dieses der Schwä­chung des Besiegten."

[584] Herzog, in: M-D-H, Art.20 GG, V., A. Rdn.28.

[585] Roman Herzog, a.a.O.

[586] "Totale Gesellschaft": Carl Schmitt, Konstruktive Verfassungsprobleme (1932), in: ders.: Staat, Großraum, Nomos, S.59.

[587] Rohrmoser, Gibt es eine Alternative zum Staat? S.136.

[588] Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, S.306.

[589] Ebenso Arnim, FAZ 27.11.1993; Rebenstorf, Steuerung, S.45.

[590] Daß es hier Interessen von grundsätzlich zweierlei Natur zu repräsentieren gibt, betont auch Preuß, ZRP 1993, 135: Er unterscheidet die Re­prä­sentanten der durch den Staat organisierten homogenen Volks­ge­samt­heit von den Reprä­sentanten der Gesellschaft in ihrer wirtschaftlichen, re­gio­na­len, welt­anschauli­chen und politi­schen Zersplitterung.

[591] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.11

[592] Herzog, in: M.-D.-H, Art.20 GG II. Rdn.81.

[593] Zur Russischen Verfassung von 1993 Schweisfurth, FAZ 9.12.1993.

[594] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.304 nach R.Redslob, Die parla­men­ta­rische Regierung in ihrer wahren und in ihrer unechten Form, 1918.

[595] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.305.

[596] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.10.

[597] Arnim, Wenn der Staat versagt, FAZ 13.7.1993.

[598] So irrig Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, S.216.

[599] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.10.

[600] So ein Anonymus (Schämte er sich der Armut seiner Gedanken?) in: Anti­fa­schi­­stische In­formationen gegen die Zeitung 'Junge Freiheit', Winter 1993/1994, Hrg.Antifaschistisches Bro­schürenkollektiv unterstützt vom AStA Uni Göttingen, S.13, unter Bezugnahme auf Kunze, Die Legitimität.., Junge Freiheit 10/1993.

[601] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.20.

[602] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.20.

[603] E.J. Jung, Die Herrschaft der Minderwertigen, S.228.

[604] Ebenso Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.21; Hennis, Amts­ge­dan­ke, S.51 passim.

[605] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.21; Wolff/Bachof, Ver­wal­tungsrecht, § 73 I, S.28-32.

[606] Pufendorf, De officio hominis 2.Buch, Kap.18, § 7.

[607] Carl Schmitt, Verfassungslehre, S.271 f.

[608] Michael Bohlander und Christian Latour, Zum Einfluß der politischen Parteien auf die Er­nennungen zum Bundesgerichtshof, ZRP 1997, 437.

[609] Hans Herbert von Arnim, Reformblockade der Politik? Vortrag vom 14.10.97 in der Mainzer Staatskanzlei, ZRP 1998, 138 (140).

[610] Scheuch, Cliquen, S.123.

[611] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.21.

[612] Rother, Die Art, mit Souveränen umzugehen, ZRP 1994, 173 (174).

[613] Rother, ZRP 1994, 174.

[614] Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.22.; ähnlich Isensee, Staats­repräsentation und Ver­fas­sungs­patrio­­tismus, S.276.

[615] Schrenck-Notzing, Editorial, Criticón 1992, 51, nach Erich Voege­lin.

[616] Erich Voegelin, Die neue Wissenschaft von der Politik, zit. nach Schrenck-Notzing a.a.O.

[617] Volkswahl der Ministerpräsidenten fordert ebenso Arnim, Ein de­mokratischer Urknall, S.35.

[618] Ebenso die Entwicklung in England, wo sich die Abgeordneten 1642-1649 ge­gen die könig­liche Prärogativgewalt wandten, mehr und mehr von ihr an sich ris­sen, bis schließlich der Mon­arch selbst unter die Vorherrschaft des Par­la­ments geriet. Vgl. Ziemske, ZRP 1993, 370, nach Mar­tin Kriele, Die Herausfor­derung des Verfassungsstaates: Hobbes und englische Juristen, 1970.

[619] Forsthoff, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S.171.

[620] Roman Herzog, Interview in FOCUS 19/1994 vom 9.5.1994, S.23 (24).

[621] Arnim, Ein demokratischer Urknall.

[622] R.v. Weizsäcker, Im Gespräch, S.146.

[623] Arnim, Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, S.1.

[624] Otmar Jung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Band 45/1992, 30.10.1992.

[625] Willms, Thomas Hobbes - Das Reich des Leviathan, S.259.

[626] Ebenso im Ergebnis mit eingehender Begründung: Thomas Mayer, ZRP 1993, S.330 ff. (332).

[627] Thomas Mayer, ZRP 1993, S.330 ff., 333.

[628] In diesem Sinne sprach sich auch Bernd Guggenberger auf der Fachtagung der Deut­schen Gesell­schaft für Ge­setzgebung des Landtages NRW am 27.2.1991 für Plebiszite aus; vgl. ZRP 1992, S.27; ebenso vor allem mit Blick auf die Staatsfinanzierung der Parteipolitik: Arnim, Die Par­tei, der Abgeordnete und das Geld, a.a.O., S.292; ders. in: Staatslehre der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, 1984, S.512 ff.; ebenso Thomas Mayer,ZRP 1993, S.330 ff., Fn.312.

[629] Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg 1992 I S.100 (132).

[630] Hier ist es für das Verständnis des Grundsätzlichen nicht erforderlich, auf kri­tik­­wür­di­ge Ein­zelhei­ten der Art.75-81 BrandVerf einzugehen. Dazu siehe Fried­­rich Karl Fromme, Staatsziele und Grundrechte bunt durch­ein­an­der, FAZ 12.6.1992.

[631] Thomas Mayer, ZRP 1993, S.330 ff.,331 mit weiteren Nachweisen.

[632] Lothar Orzechowski, Die Beute, in: Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, 5.3.1992.

[633] Arnim, Hat die Demokratie Zukunft? FAZ 27.11.1993.

[634] Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, S.30 ff. (34).

[635] Habermas, Ziviler Ungehorsam, S.29 ff.