Kunze Normal Kunze 1 2004-09-06T19:11:00Z 2004-09-06T19:12:00Z 2 984 5609 46 11 6888 9.2812
 
Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
 

 

Vom Ideologiewechsel zum kalten Verfassungsputsch

Vortrag, gehalten am 17.4.1999 in Oberorke vor „Die Deutschen Konservativen“

   

Es geschieht keineswegs zufällig, wenn Verwaltungsrichter Vaterlandsliebe als Verdachtsgrund für Rechtsextremismus werten, Strafrichter patriotische Lieder als schwer jugendgefährdend verurteilen und Zivilrichter erlauben, Rechte als braune Ratten zu bezeichnen. Ich könnte heute ein Sammelsurium von Urteilen vorstellen und vor Augen führen, daß Rechte heute rechtloser sind als jemals in der Nachkriegsgeschichte. Flächendeckend befindet sich die deutsche Justiz auf Linkskurs, werden Konzerte rechter Sänger verboten, rechte Aufmärsche untersagt und weggeknüppelt. Da holen Polizisten bei Trauerfeiern mißliebige Schleifen und Angebinde von Gräbern, und mancher muß sich bereits wieder beim freien Wort am Stammtisch scheu umdrehen, ob ihm nicht ein Gesinnungsblock­wart lauscht und bei der Staatsanwaltschaft anschwärzt, weil er vielleicht nicht nett genug, über Asylbe­werber, Polen oder andere Hätschelkinder linker Multikulturpflege gesprochen oder auch nur gewitzelt hat oder ein Reizwort wie Zigeuner in seine Rede hat einfließen lassen. Rechte Werthaltungen wurden erst von linken Ideologen zu Unwer­ten erklärt. Inzwischen spre­chen Richter im Namen des Volkes Unwerturteile über alle diejenigen aus, die dieses Volk noch lieben und erhalten möchten. Der Weg hinter Gitter ist wieder kürzer geworden im angeb­lich freiesten Staat auf deutschem Boden.

Es führten Gesetzmäßigkeiten dazu, unsere Werte umzuwerten und bisheriges Recht in Unrecht zu verkehren. Diese Gesetzmäßigkeiten möchte ich aufzeigen. 

I.Recht als Spiegel der Ideologie

Es ist ein verbreiteter Irrtum, Recht als etwas Absolutes und Statisches anzusehen. Es gibt nicht ein Recht und ein Gerechtigkeitsideal, sondern vielleicht so viele, wie es Menschen gibt. Unter Worten wie Gerechtigkeit kann man darum ganz Verschiedenes verstehen. Kein Gesetzgeber kommt ohne unbestimmte Begriffe aus wie Gemeinwohl oder öffentliche Ordnung, die bei bloß philologischer Be­trachtung noch keinen kon­kreten Inhalt haben. Erst vor dem Hintergrund eines konkreten Volkes oder einer konkreten Lage ist bestimm­bar, was das Gemeinwohl ist, nur vor dem Hintergrund konkreter staatspolitischer Vorstel­lungen, was die jeweilige öffentliche Ordnung ist. Je abstrakter und allgemei­ner ein Begriff formuliert ist, desto inhaltsleerer ist er. Solche Begriffe sind dazu geeignet und be­stimmt, je nach Zeitgeschmack und ideolo­gischem Bedürfnis mit völlig verschiedenen Inhalten gefüllt zu werden.

Ohne daß ein Federstrich am Gesetz geändert zu werden brauchte, erfüllt der gute alte Rechtsbe­griff von der öffentlichen Ordnung, bei deren Störung Polizei tätig werden darf, ihren Zweck: nur war die Ordnung und besonders ihre Störung etwas ganz unterschiedliches bei Kaiser Wilhelm, in der Wei­marer Zeit und so weiter. Ein nackter Busen am Kiosk störte noch 1959 die öffentliche Ordnung, vierzig Jahre später nicht mehr.

Jedem Rechtsbegriff wohnt eine bestimmte Moral inne, und er läßt sich im Lichte geänderter Ideolo­gie immer wieder anders interpretieren. Dies ist ein Schlüssel zum Verständnis der heutigen Uminterpre­tation des Verfassungsrechts, wie sie von Parteien, Behörden und Gerichten vorgenommen wird.

II.Beispiel der Uminterpretation

1952 hatte das BVerfG noch formuliert: "Für das deut­sche Volk hat die Reichs­idee einen be­son­de­ren Ge­fühlswert. Nach den bit­te­ren Er­fah­rungen der deutschen Ge­schichte ist sie der Ausdruck der Sehn­sucht des deut­schen Vol­kes nach natio­naler Ein­heit. Von dieser, bester deut­scher Tra­dition ent­spre­chen­den Reichs­idee unter­scheidet sich der Reichs­ge­danke der SRP."

Am 16.3.1999 beurteilte das LG Coburg einen Rennicke-Liedtext als schwer jugendgefährdend und verurteilte einen Schallplattenhändler zu zwei Monatseinkommen Geldstrafe mit folgender Be­gründung: "Die Texte der CD propagieren in eindeutiger Sympathie mit dem Gedankengut des Natio­nal­sozialis­mus ein Deutsches Reich in den Grenzen von 1937." Eine Landkarte mit diesen, durch das Versailler Diktat gezogenen Grenzen hat übrigens noch in meiner Schulzeit in Klassenzimmern ge­hangen. Ich nenne dieses Beispiel nicht bloß wegen seiner beispiellosen historischen Ahnungslosig­keit, sondern zum unmittelbaren Vergleich mit dem BVerfG-Urteil von 1952 zum Stichwort Reichs­idee. Wir sehen hier ex­emplarisch, wie unter Geltung einer anderer ideologischen Vorwertung des Richters aus einem Wertbe­griff ein Unwertbegriff und aus einem Ideal etwas Strafbares werden kann, ohne daß sich nur ein einzi­ges Komma an irgendeinem Gesetz ändern mußte.

Ich zitiere weiter aus dem Coburger Urteil, um recht plastisch hervortreten zu lassen, wie alle Rechtsanwendung, hier die des Gesetzes gegen jugendgefährdende Schriften, mehr oder weniger ideolo­giegesättigt ist und nicht ohne ideologische Vorwertungen auskommt: "Durch die eindeutig chauvini­stisch-revanchistischen Textpassagen", heißt es also im Coburger Urteil, "wird dem jugendli­chen Hörer die nazisti­sche Doktrin und Ideologie von der Überlegenheit der deutschen Rasse mit ihrem Anspruch auf die im Weltkrieg verlorenen Territorien als erstrebenswertes politisches Ideal vorgestellt. [...] Mit diesem Weltbild [...] wird die Erziehung junger, noch unreifer Menschen zu sittlich verantwortungs­bewußten Persönlichkeiten, die in ihrem Nächsten nicht nur den Volkszugehö­rigen, sondern entspre­chend der christlich-abendländischen Kultur vor allem auch den Mitmenschen sehen, geradezu in ihr Gegenteil verkehrt." -

Damit sind die Stichworte gefallen, um die es dem Richter geht: Jugendgefährdend und damit strafbar ist es, ein Lied in Versandlisten anzubieten, das nicht dem erstrebenswerten politischen Ideal des Richters und seiner Idee vom christlichen Abendland entspricht. Heute, das nehmen wir zur Kenntnis, ist nicht mehr ein nackter Busen am Kiosk jugendgefährdend, sondern ist es Schlesien in Liedern junger Men­schen. Das ist es, was ich als Uminterpretation bezeichne.

III.Die Ziele der Uminterpretatoren

Welche Ziele haben nun die Uminterpretatoren? Die an die Macht gekomenen Multikulturalisten möchten mit den Deut­schen als Volk bestimmte geistige Tra­di­tions­­linien aus­mer­zen. "'Deutsche Anti­fa­schi­sten'", schrieb der Politikwissenschaftler Knütter in seinem Buch Die Faschismus-Keule, "ver­tre­ten eine The­se der anti-deutschen Pro­pa­gan­da des Zwei­ten Welt­krieges: Der Na­tio­­nal­sozia­lis­mus sei das zwangs­läufige Er­geb­nis au­to­ri­tärer, krie­ge­rischer, obrig­keits­staat­licher, anti­liberaler Ten­den­zen der deut­schen Ge­schichte. Für die 'pro­gres­siv'-he­do­ni­sti­schen In­tellek­tuel­len stellt der ord­nungs­lie­bende, au­to­ritäts­hö­rige, aggres­­sive, 'aus­län­der­feind­li­che' Deut­sche den Gegentypus des pro­gres­­si­ven Ide­als dar. Der 'Anti­fa­­schist' wird damit automatisch zum Geg­­ner deut­­schen We­sens, deut­scher Tradition und nationalen Selbst­­be­wußt­seins." [1] Er hofft, "daß in einer nicht allzu fernen Zu­kunft die Mitte Eu­ro­pas nicht mehr von einer deutschen Nation be­wohnt werden würde, die ihr Ge­schichts­­­be­wußtsein, nach der Kor­rektur von allzu einseitigen Ankla­gen, auf neue Weise be­grün­det hätte, sondern von einer multiethni­schen Be­völ­ke­rung, die, wie man meint, den Frieden der Welt sichern sowie einen höchst er­wünsch­ten Beitrag zum Aus­gleich der Le­bens­verhältnisse auf der Erde lei­sten würde. [...] So wie einst an die Stelle der ge­schicht­li­chen Nation die na­tur­hafte 'Rasse' treten sollte, so soll heute die Na­tion oder das Staats­volk durch eine nicht mehr geschichtli­che Be­völkerung der Su­per­markt­zi­vi­li­sa­tion ab­gelöst werden." [2] In diesem Sinne forderte ein Pseudonymus aus Trittins Geistesverwandt­schaft [3] aggressiv anti­deutsch und "umgekehrt"-rassistisch die Schaf­fung einer "hö­he­ren" Mensch­heits­mi­schrasse, weil das deut­sche Volk ohne­hin in­züch­tig-dekadent sei: "Die Ge­setzgeber al­ler Län­der sind nun ge­fordert. Ehen unter Gleich­häuti­gen, Gleich­­haa­ri­gen und Gleichäugi­gen müs­sen strikt untersagt wer­den. Ziel: Hebung des glo­ba­len Intel­li­genz­quotienten. [...] Helfen Sie [...] mit, den Ho­mo futurus [...] zu schaf­fen."

In ihrem pathologischen Selbsthaß möchten Mulitikulturalisten bewußt die kultu­rel­le, dann die politische und schließlich die physische Existenz des deut­schen Vol­­­kes zerstören. In einem derartigen, im Ver­fas­sungs­schutz­be­richt 1990 abgedruckten Grund­­­­lagenpa­pier der aus dem Kom­mu­ni­stischen Bund, in dem Minister Trittin einmal Mitglied gewesen war, hervorgegangenen Radi­ka­len Linken heißt es: "Die Lin­ke müsse den Haß auf das eigene Va­ter­land schü­ren und die­ses be­kämp­fen. Das erklärte Ziel sei die Zer­stö­rung des deutschen Staa­tes und die Auf­lö­sung des deutschen Vol­kes in eine mul­ti­kulturelle Ge­sell­schaft." [4]

IV.Jede Zeit hat ihre ideologischen BedÜrfnisse

Es kann niemand die Welt oder Rechtsbegriffe deuten, ohne dabei auf eine Ideologie zurückzugrei­fen. Eine komplette Wertordnung oder Ideologie steckt bereits im geltenden Grundgesetz und verbie­tet dem Richter, Rechtsbegriffe mit seiner Privatmeinung zu füllen. So gesehen stellt es eine verfas­sungswidrige Verdrehung des Rechts dar, wenn Richter nicht die Wertordnung des Grundgeset­zes zum Maßstab der Rechtsanwendung machen, sondern eine andere, heute meist eine extrem links­libe­rale und kosmopolitische. Wer die Wertordnung des Grundgesetzes absichtlich verdreht, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Verfassungsfeind zu sein oder gar, mit der Umdeutung des Grundge­set­zes der Deut­schen in eine Art multikulturelles Monopoly einen kalten Verfassungsputsch zu be­treiben.

Das Problem besteht aber darin, daß all jene Verfassungsfeinde, auf die ich oft in Richterroben stoße, gar keine bösen Leute sind und schon gar keine bewußten Verfassungsputschisten. Sie wissen nämlich nicht, was sie tun, weil sie Praktiker sind und ihnen gelegentlich die rechtstheoretischen und rechtsphilo­sophischen Kenntnisse fehlen. Sie legen die Gesetze vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Weltan­schauung aus. Diese ist durch Schulen, Universitäten und Fernsehen vorgeformt im Sinne der heute tonangebenden linken Weltsicht. Der Durchschnittsrichter vermag nicht zu reflektieren, daß er ideo­logisches Kind seiner Zeit ist, und bemerkt nicht mehr, wie weit er sich von der Wertordnung des Grundgesetzes entfernt. Hinzu kommen erschreckende Mängel historischer Bildung, wie sie etwa aus obigem Zitat des LG Coburg sprechen. Der Durchschnittsstrafrichter entscheidet jahrein, jahraus über Diebstähle und Trun­kenheitsfahrten und ist hoffnungslos überfordert, wenn er einmal in zehn Jahren entscheiden muß, ob ein Lied jugendgefährdend ist. In jeder Zeit herrscht ein sogenannter Zeitgeist, der auch Richter vorprägt. Wer Karriere machen will, muß ideologisch mit den Wölfen heulen.

Menschliche Ideologien entwickeln sich in einer analogen Weise, wie sich bei Tieren und Pflan­zen bestimmte Eigenschaften durch Mutation und Selektion ausprägen. Ein Bein oder eine Flosse oder ein Flügel sind prinzipiell gleichwertige Fortbewegungsmittel. In einer bestimmten Umwelt er­mögli­chen sie aber mehr oder weniger gutes Fortkommen, und so pflanzten sich jeweils diejenigen Popula­tionen stärker fort, die ihrer Umwelt am tauglichsten angepaßt waren. Auch das Sich­anpassen­können selbst ist überle­benswichtig: Mehrere Arten überstraußengroßer, schmackhafter Laufvögel mit kleinen Flügeln sind allein in den letzten tausend Jahren ausgestorben. Es sind auch schon viele Völ­ker ver­schwunden, deren starre Kultur und Weltanschauung einem plötzlichen Zusammenprall etwa mit Eu­ropäern nicht gewach­sen war.

Prinzipiell ist es gleichwertig, ob ein Volk an Manitu glaubt oder an Jesus, an das Militär oder an die Friedenstaube, an die Demokratie oder an das Königtum. Je nach jeweils wechselnder geographi­scher, historischer, demographischer Lage eignet sich der eine, der andere oder auch ein ganz neuarti­ger Glaube dazu, erfolgreich zu überleben. Innerhalb einer konkreten Umwelt wird immer derjenige Mensch oder dasjenige Volk erfolgreich sein, der seinen Ehrgeiz einigermaßen mit den Zeitverhältnis­sen in Einklang bringt. Mit dem Glauben und dem Verhaltensrepertoir eines Ernst Moritz Arndt läßt sich heute in Deutschland keine persönliche Karriere machen, und mit dem Satz Wir Deutsche fürch­ten Gott, sonst nichts keine erfolgreiche Außenpolitik.

Dasselbe gilt innerstaatlich wie international: Wenn ein Volk auch lauter kleine Leonidasse sein möchte wie soeben die Serben, hätten sie mit völkischer Ideologie und starrer Orthodoxie in anderen Zeitläuften Erfolg: nicht aber in der westlichen Hemisphäre, in der Interessen unter dem Vorzeichen der Humanität und des Internationalismus verfolgt werden. So steht die Prämie auf Erfolg und auf Überle­ben in analoger Weise im Tierreich, für den Einzelmenschen in der Gesellschaft und für eine Nation unter anderen jeweils demjenigen zu, der das für seine Zeit Richtige tut. Diese Einsicht war es, die wahre Ideologen und Gläubige jeder Couleur Herrn Machiavelli nie verziehen haben.

Wer es aber begriffen hat, der tut immer nur gottgefällige Werke und erklärt es für baren Zufall, daß diese am Ende seine Macht vermehren. So gesehen war es die reinste Selbstaufopferung Spaniens für die armen Heidenkinder Mexikos, Konquistadoren auszusenden, so gesehen bombardierten die Allierten unsere Städte wegen unserer schönen blauen Augen und um uns von diesen schrecklichen Nazis zu befreien. Und so gesehen müssen die vom Irak eroberten paar Kuwaitis den Amerikanern immer noch dankbar sein, weil Amerika in Kuwait ihr Selbstbestimmungsrecht rettete.

V.Die Ideologie unserer Zeit

Wie man im Mittelalter im Namen Gottes Interessen- und Eroberungspolitik betrieb, betreibt man sie heute im Namen des Internationalismus, Kosmopolitismus und Humanitarismus. Sie sind die hei­lige Dreifaltigkeit unserer Zeit. Einzelmenschen und Völker können mit ihnen siegen oder gegen sie sterben, diese freie Entscheidung ha­ben wir alle noch.

Schon mehrfach in der Geschichte gab es diesen Wechsel: vom Nebeneinander heterogener Völker und Kulturen zu einem imperialen Großreich, das diese Unterschiedlichkeit nivellieren mußte, um stabil zu bleiben. Wer einem unterworfenen Volk nicht erfolgreich erklärt, daß sein Stammesgott ein Teufel ist, wird nicht dauernd herrschen.

Je stärker der Strom von Menschen, Waren und Informationen in­nerhalb eines Großreiches ist, de­sto mehr Menschen werden ihrer engeren Heimat entfremdet und entwurzelt. Großreiche wie das Alexanders und das römische brachten Men­schenmas­sen ver­schiedener Her­kunft und Glaubens unter ihre Kontrolle und ver­wan­delten sie in lenk­bare Massenmenschen. Je umfas­sender eine Herrschaft sich geo­graphisch aus­dehnt, desto dringlicher ist ihr Be­dürfnis nach einer univer­salen Herr­schafts­ideo­logie. Das Be­dürfnis nach einer uni­versa­li­sti­schen Moral ist ein wechselseitiges: Wer als Ent­wur­zelter fern der Heimat un­ter frem­den Anschauungen lebt, muß sich trösten und eine Moral der Heimat­losen annehmen, eine überall brauch­bare Ethik der Bindungslosen, der Zer­streuten, der Entor­teten. In dieser Lage be­­fanden sich die Menschen im ersten historischen multi­eth­nischen Groß­­­reich: dem Alex­anders und der folgenden Diadochen.

Es gibt einen direkten Zusam­menhang zwi­schen der allum­fas­senden Kosmopolis des Hel­lenismus und der Aus­bil­dung universa­listi­scher Ideen, ebenso zwischen dem Heiligen Römischen Reich und der Reichsidee des christlichen Mittelalters und der US-amerikanischen One World und ihrer humanita­risti­schen Zivilreligion. Für den moralisierenden Handels­staat fand schon der in Athen woh­nen­de Phönizier Zenon, ein schwer­reicher Händler, die passende Ideo­logie: eine universali­sti­sche Welt­sicht, nach der alle Verwandt­schaftsverbindun­gen und Stam­mes­pflich­ten vor der Tugend zurückzutreten hätten. [5] Hier entstand der Ge­danke eines mensch­heits­um­spannenden Naturrechts.

Eine analoge Entwick­lung hat sich wäh­rend des 20. Jahrhunderts abgespielt: Wieder gewinnen in den Quasi-Viel­völ­kergebilden USA und Europa universalistische Vor­stellungen an Bo­den, so daß Kos­mo­politen und Globetrotter sich über­­all hei­misch fühlen dür­fen. Der geistige An­spruch einer Mensch­heits­moral hat aber auch immer ei­ne polemische Spitze. Sie rich­tete sich zu­nächst gegen die­jenigen Staaten, die sich der Zumutung wider­setzten, sich die amerika­nischen Ansichten von Mo­ral, Demokratie und Frei­heit zu eigen zu ma­chen. Früher war das Deutschland, heute ist es Jugoslawien.

Staaten pflegen wie Indi­vi­duen ihre Interessen heute im Vokabular uni­versaler Ziel­setzungen und weltum­spannender So­zialentwürfe zu formulie­ren. [6] Sie be­gründen heute den uni­ver­­sa­len Geltungsan­spruch einer konkreten Welt­macht, unter Beru­fung auf das, was sie als Men­schenrecht definiert, not­falls global mili­tä­risch ein­­zu­­greifen. Vom Standpunkt ihres uni­­­­ver­­sali­stisch-imperialistischen, rau­m­­auf­he­benden Welt­rechtse aus sind un­ab­seh­bare 'hu­­ma­ni­täre' In­ter­ventionen völ­ker­­­­­rechtlich zulässig. [7] Sie sind im Völ­ker­­­recht die typischen Waffen des Inter­­­ven­tio­nismus: eine imperialistische, un­ter hu­manitä­ren Vor­wän­­den in alles sich einmischende, sozusagen pan-in­ter­ven­tionistische Welt­­­ideo­lo­gie. [8]

Sie predigt nicht ganz zufällig, aber subjektiv guten Wil­­lens den Glau­ben an eine Mensch­­heitsmo­ral, auf deren Fuß die Welt­bank folgt. Jede Ideologie mit universa­lem Anspruch ist eine ob­jektive Be­dro­hung für jedes Volk, das geistig eigenständig bleiben will. Im le­bens­wich­tigen Punkt sei­nes Glau­bens, seiner Moral, seiner Werte gleich­ge­schal­tet und fremd­­be­stimmt, treibt das Volk "der Auflösung ent­ge­gen: zur Gegen­wehr nicht nur unfähig, sondern auch unwillig." [9]

VI.Die Weginterpretation des deutsches Volkes

Das Staatsvolk der Deutschen ist Träger von Staat und Verfas­sung, der ÄÞìïò im Sinne un­serer Demokratie als Staatsform. Seit der letzten Bundes­tagswahl sind par­tei­poli­tische Ver­treter der entge­genge­setzten Meinung mit zur Regie­rung ge­kommen: Manche wollen das als Abstam­mungsgemein­schaft be­griffene deutsche Volk aus ideologi­schen Gründen in eine multi­kulturelle Bevöl­kerung trans­formieren. An­dere geben sich pragmati­sch und meinen, der fakti­schen Ein­wanderung müsse durch eine Ände­rung des Verfas­sungs­verständnisses Rech­nung getra­gen werden. So will man bei der Staats­ange­hörigkeit das ius sanguinis aufgeben und die Staatsange­hörigkeit kraft Geburt in Deutschland ver­lei­hen (ius soli).

Um den Staat der Deutschen, festgeschrie­ben im Grund­gesetz, vollends in ei­ne multi­kul­tu­relle Ge­sell­schaft zu über­führen, müßten alle Anknüp­fungspunkte an das deutsche Volk und die von ihm aus­ge­hende Staatsge­walt aus der Verfassung ge­stri­chen werden. Dahin geht die Tendenz. In einem ersten, noch bloß weltanschaulichen Schritt soll die Vater­landsliebe durch Verfassungs­patrio­tis­mus ersetzt werden. In ei­nem zweiten Schritt muß die Verfassung erst uminterpretiert und schließlich ge­ändert werden: Politik­wissen­schaft­ler wie Dieter Oberndörfer vertreten be­reits die Mei­nung, wo das Grund­ge­setz an die deut­sche Volkszugehörigkeit an­knüpfe, han­dele es sich um "verfassungswidrige Verfas­sungs­normen" im Grundgesetz - verfas­sungswidrig nämlich im Lichte eines multikul­turel­len ideologi­schen Vorverständnisses. Solche Verfassungs­normen müßten abge­schafft wer­den, "um eine zivili­sierte Einwan­derungs­gesell­schaft zu ermöglichen".

Auf dieser Linie liegt die Argumentation des Landes Rheinland-Pfalz in einer Berufungsbegrün­dung vom 4.9.1998. Prof.Hufen rechtfertigt dort für das Land, was als eine Transformation des Staa­tes durch Ver­fassungs­schutz oder auch als kalter Verfassungsputsch bezeich­net werden muß. Während ein ideo­logisch ahnungsloser Amtsrichter nicht merkt, was er tut, müssen wir von einem Verfas­sungsputsch sprechen, wo bewußt das deutsche Staatsvolk unserer Demokratie abgeschafft und durch eine multikul­turelle Bevölkerung ersetzt werden soll, zu deren Beitritt allenfalls eine Gesinnungsprü­fung berechtigt.

Anders als es der Rechtsprechung des Bun­des­verfassungs­gerichts ent­spricht, so argumentiert das Land Rheinland Pfalz vor dem OVG Koblenz, müsse man in den Text des Grund­gesetzes heute schon mehr hineinin­ter­pretieren. Die Verfassungsordnung, bekannte dessen Prozeß­vertreter, gelte aber nicht wie ein Kö­nigswort ohne Drehen und Deuteln. Es komme darauf an, "normative Be­grif­fe wie frei­heitliche demokratische Grundordnung und Men­schen­würde nicht sta­tisch zu inter­pretie­ren." Anders als vor dreißig Jahren müsse man in diese Be­griffe heute hineinlesen, was dem friedlichen Zusam­men­leben von 7 Mio. Ausländern mit uns diene und was dafür erfor­derlich sei.

In einem neusten Schriftsatz vom 26.2.1999 vertritt das Land ausdrücklich die Ansicht, Art.20 GG garantiere "die Republik als eine Verfassungsordnung der friedlichen Koestistenz von Rassen und Kulturen." [10] Tatsächlich lautet die Vorschrift: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokrati­scher und sozialer Bundesstaat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Recht und Gesetz gebunden."

So wird die Ver­fassung wie eine Wundertüte benutzt, aus der man jeden beliebi­gen ideo­logischen Inhalt heraus­lesen kann. Darin liegt ein Ab­schied von der Fiktion der un­ver­brüch­li­chen "Herrschaft des Ge­setzes". Wer das Gesetz durch einen Vorbe­halt wechselnder ideo­logi­scher Aus­legungen relati­viert, verändert die Natur des politischen Kon­flikts: Er wird nicht mehr mit rechtlichen, sondern mit ideolo­gischen Waffen ausge­tragen. Er geht den Weg vom Rechtstaat zum Weltanschauungsstaat.

Nach der in Art.79 III GG zum Ausdruck kommenden Konzeption des Grundgeset­zes ist ein Kernbereich der Verfassung jeder Änderung entzogen. Überdies verbietet sich die aus­deh­nende Neu­interpretation durch Art.79 I 1 GG, weil das GG nur durch aus­drückli­che Wortlautände­rung geändert werden darf, auch wenn sich die Verhältnisse ge­ändert haben sollten. Hier bewe­gen wir uns im sensiblen Kern­bereich des Art.79 III GG. Die Men­schenwürde ist nämlich der begriff­liche und ideel­le Kern dessen, was jeder Änderung entzogen ist: nicht nur jeder gesetzgeberischen, sondern auch jeder interpretato­rischen Änderung durch die Gerichte. Die Gerichte dür­fen und müs­sen den Rechtsbegriff der Menschenwürde zwar auslegen, ihn aber nicht verändern. Eine Veränderung stellt es dar, von der Objektformel ab­zuweichen und dem Begriff einen ganz anderen Inhalt zu un­terlegen. Nach der Objektformel darf kein Mensch unter Verstoß ge­gen seine Würde zum Objekt staatlicher Gewalt herabge­würdigt werden. Insoweit ist die Menschenwürde staatlich zu schützen. Hingegen darf der Begriff der Menschenwürde nach richtiger herr­schender Ansicht nicht zum Füll­horn alles und jedes ideologisch Wün­schenswerten miß­braucht werden, auch nicht zur Hintertür für die von Klägerseite etwa beabsichtigte Um­gestaltung Deutschlands zu einer multikulturellen Gesell­schaft, in wel­cher der Staat unter Berufung auf die Menschenwürde für ein Nebeneinander mehrerer Kulturen auf deut­schem Boden aktiv zu sorgen hätte.

VII.Die Ideologie der industriellen Massengesellschaft

Nachdrücklich weise ich darauf hin: Die international arbeitsteilige Massenzivilisation ist für ihr rei­bungsloses Funktionieren darauf angewiesen, daß Ströme von Menschen, Waren und Dienstleistun­gen grenzenlos hin- und hergeschoben werden können. Ebenso wie in einer kalten Bergumwelt Tiere mit dickem Fell einen Überlebens- und Vermehrungsvorteil haben, so besitzen in der Welt-Industrie­gesell­schaft diejenigen Einzelmenschen Karrierevorteile, die sich auf ihre Bedingungen funktional und ideolo­gisch voll einlassen, also wanderungsbereit sind und sich den Gesetzmäßigkeiten des Geldmarktes opti­mal anpassen. In einer Tierwelt des Fressens und Gefressenwerdens hat Vorteile, wer gute Zähne hat und frißt, und in einem Weltkapitalmarkt, wer Kapital hat und dieses einsetzt, ohne danach zu fragen, ob seine Geldvermehrung zu einer Rodung von Urwald oder einem Zustrom frem­der Arbeitskräfte in ein Land führt. Der optimal Angepaßte und darum nach den Spielregeln der One World Erfolgreichste sollte darum dieses Persönlichkeitsprofil haben: Um nirgends anzuecken und sich überall anpassen zu können, sollte er keine festen Wurzeln und Bindungen zu einer bestimmten Nationalität haben, sondern überall bereit sein, sich oberflächlich anzupassen. Hinsichtlich seiner Ideologie dürfte er aber nicht anpassungs­bereit sein. Er muß nämlich die Umweltbedingungen erhal­ten, denen er so gut angepaßt ist, muß also eine Ideologie global durchzusetzen streben, nach der alle Menschen ihre kulturelle und nationale Identi­tät geringer achten als die Menschenrechte auf freie weltweite Migration, auf Unterordnung nationaler Interessen unter die Regeln des internationalen geldmarktes und so weiter.

Für einen Staat gilt notwendigerweise dasselbe: Ein Staat ist unter den derzeitigen Bedingungen des Weltmarktes und der Welt-Massenzivilisation ökonomisch im Vorteil, der keine feste ethnische Struktur aufweist, jederzeit offen für Migrantenströme ist und diese sogar als Ressource zu nutzen versteht. So ist es kein Zufall, wenn Gerhard Schröder am 15.4.1999 vor dem Bundestag in einem Atemzug erklärte, die feste Einbindung Deutschlands in die westliche Gemeinschaft sei Staatsräson, und Ziel der Bombenan­griffe auf Serbien sei ein multiethnischer Kosovo, in dem die Völker friedlich zusammenleben könnten. Hier bombardiert die Bundesrepublik Deutschland, könnte man glossieren, die multikulturelle Gesell­schaft herbei, und hier verfestigt sie sich zur heimlichen neuen Staatsräson.

Sieht man nur die Erfordernisse der Ökonomie und des internationalen Geldwettbewerbs, dann han­delt unsere Regierung völlig konsequent und richtig nach innen wie nach außen, wenn sie Multi­kulti im Kosovo herbeibombt und wenn deutsche Richter Multikultigegner in Gefängnisse stecken. Hier besteht ein enger Ursachenzusammenhang, den ich nachdrücklich betonen muß, um deutlich zu machen, in welche globalen Zusammenhänge der Linkskurs der deutschen Justiz eingebettet ist. Es ist keinesfalls ein Sonderweg versprengter linker Richter, sondern liegt voll auf Kurs derjenigen Kräfte in Deutschland, die sich ideologisch den ökonomischen Erfordernissen unserer Zeit optimal angepaßt haben. Darum wäre je­de Hoffnung auf einen Kurswechsel illusionär, im Gegenteil, die Repression wird wachsen.

VIII. Der Interessenkonflikt hinter Ideologie und Recht

Die Argumentation des Landes Rheinland-Pfalz in einem der Verfassungsschutzprozesse erhellt die wahre Natur jedes Rechtskonfliktes, hinter dem immer ein ideologischer und wieder hinter dem ein Interessenkonflikt steht. Unterschiedliche konkrete Interessen sind es nämlich, die sich in antago­nisti­schen abstrakten Idealen ausdrücken. Klugerweise erklärt jeder, er kämpfe für eine ideale gute Sache, nicht etwa für seine Interessen, daß klänge zu banal und egoistisch. So kämpfen die USA stets für Ideen wie die Humanität, und nur wer dahinter blickt, findet hinter den schönen Worte regelmäßig die Interes­sen der Wallstreet.

Wem aber noch nicht genügt, seinen Egoismus hinter hohen Idealen zu verstecken - schließlich kann man über Ideen lange streiten -, der befiehlt klugerweise die Geltung seiner Ideologie in Form von Gesetzen, und wer diese ungehorsam übertritt, bricht das Recht und darf bestraft werden. Hinter unse­rem Horizont dämmern bereits Gesetzesideen herauf, in denen dereinst auf Rassismus eine Ge­fängnis­strafe steht, und was als Rassismus gelten wird, werden nicht wir entscheiden. Weil es aber heute poli­tisch noch nicht durchsetzbar ist, den multikulturalistischen Vielvölkerstaat zum Gesetz zu erheben, wird er in das geltende Recht hineininterpretiert. Dann urteilt etwa ein Arnsberger Landrich­ter am 16.2.1999, es sei strafbar, öffentlich zu erklären, Rassismus sei Notwehr eines Volkes, übrigens ein krasser Fall von Gesinnungsjustiz, weil das öffentliche Bekenntnis zu einer bestimmten ideologi­schen Gesinnung bestraft wurde

Es wird also der eigentliche Interessenkonflikt zwischen verschiedenen Men­schengruppen erst ka­schiert, indem jede Seite ihr Interesse auf eine abstrakte, ideologische Stufe hebt, und schließlich, in­dem sie die Geltung ihrer Weltanschauung bei Strafe zur allein seligmachenden er­klärt.

Ich schildere diese Funktionsweisen menschlichen Interessenkampfes und Machtstrebens, wie sie im­mer und überall funktioniert haben und auch künftig funktionieren werden. Darum bin ich denjeni­gen nicht böse, die sich für meine ideologischen Gegner halten, weil ich eine andere Sicht der Welt habe. Auf eine Gefahr muß aber eindringlich hingewiesen werden:

Im Altertum kämpften die Menschen im Namen oder unter Mithilfe von Göttern, und so saßen als Statthalter der verschiedenen Völkerinteressen die olympischen Götter auf ihren Wolken und halfen einerseits den Griechen, andererseits den Trojanern. Gehaßt haben sich die Feinde nicht unbedingt, wenn sie sich bekriegten, denn die eine Seite galt als so ehrenhaft wie die andere. In späteren Zeiten traten Ideologien anstelle der alten Götter, und diese ließen den Feind oft als minderen Menschen er­scheinen, den man austilgen mußte im Namen irgendeiner Ideologie. Wo ideologischer Kampf offen ausgetragen wird, führt er zu Haß, zu Mord über den Kampf hinaus und geradewegs in die Barbarei der Massenver­nichtung, der gegenüber die Plünderung Trojas ein Kuraufenthalt war. Die ersten ideo­logischen Gemet­zel fanden im 30jährigen Krieg und der französischen Revolution statt.

Dagegen setzte sich im 19. Jahrhundert die Erkenntnis durch, daß der ideologische Bürgerkrieg mit den Mitteln des Rechts aufgehalten werden muß. Die siegreiche Konfliktpartei setzte ihre Wertord­nung als Recht und Gesetz. Im Rechtsstaat, so glaubte man naiverweise, herrschte nicht mehr ein per­sönlicher Herrscher oder eine Ideologie, sondern herrsche das Gesetz. Dies war natürlich eine Fiktion, denn jedes Gesetz ist ein Befehl und muß von Menschen erteilt werden. Hinter der Fiktion des Rechtsstaates, in dem nur Recht und Gesetz galten, verbargen sich immer konkrete Menschen, die ein bestimmtes Recht zu ih­rem Nutzen und nach ihren Ideen erließen und durchsetzen.

IX.Rechtsstaat und Verfassungswidrige Weginterpretation des deutschen Volks

Auf gerade dieser Fiktion des Rechtsstaats, nämlich der unverbrüchlichen Geltung des gesetzten Rechts, gründet aber unsere Rechtsordnung, unser Grundgesetz. Nach heutiger Verfassungslehre weist ein Rechtsstaat eine formelle und eine materielle Komponente auf: Formell ist er Rechtsstaat, wenn alles staatliche Handeln durch unverbrüchliche Gesetze gebunden ist, und materiell ist er einer, wenn diese Gesetze inhaltlich gerecht erscheinen. Das ist der Fall, wenn sie ideologisch für legitim gelten. Vor­sichtshalber haben die Schöpfer des Grundgesetzes aber nicht dem Zufall oder der Willkür eines Richters überlassen, welchen konkreten Inhalt Gesetze haben müssen, um materiell rechtsstaatlich zu sein, mit anderen Worten: um ideologisch legitim zu sein. Das Grundgesetz enthält nämlich eine ma­terielle Wert­ordnung, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1952 urteilte. Diese Wertordnungs­lehre besagt, daß alle staatliche Gewalt materiell bzw. ideologisch gebunden ist, die Wertentscheidun­gen des Grundgeset­zes als unmittelbar geltendes Recht anzuwenden.

Die Wertordnung des GG konkretisiert sich in denjenigen Artikeln des Grundgesetzes, die unsere Grundrechte und gewisse Grundzüge des Staatsaufbaus enthalten. Das GG legt alles staatliche Han­deln von Rechts wegen darauf fest, daß wir freie Menschen sind, daß die Familie unter besonderem Schutz steht, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht und so weiter. Es wäre darum allemal ein ver­suchter Verfassungsputsch, wenn uns jemand weismachen wollte, Freiheit bedeute heutzutage etwas ganz anderes als bisher, also nicht mehr Freiheit gegenüber der Allmacht eines totalitären Staats, son­dern ab morgen vielleicht Freiheit beliebiger Menschen, hier einzuwandern; oder sogar: das Volk, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, seien gar nicht wir, sondern andere Leute.

Die Position des Landes Rheinland-Pfalz im genannten Prozeß wegen nachrichtendienstliche Boebachtung ist ver­fassungswidrig, ja der Versuch eines Angriffs auf den Souverän unseres demokratischen Verfas­sungs­staats schlecht­hin. Ein schleichender Ver­fassungs­putsch droht nämlich, wo der ideolo­gisch er­wünschte Ab­schied vom deutschen Volk nicht durch den Verfassungs­geber, son­dern durch ju­risti­sche Künste der Umin­terpretation vollzo­gen wer­den soll. Die frei­heitliche demokrati­sche Grundord­nung wird heute begriff­stechnisch ver­ändert: [12] Über Bewußt­seins­formung und str­af­bewehrte Verhaltenssteue­rung mit staatli­chen Mitteln wird ein neues Herrschaftssy­stem vorbereitet. Vertreter des Status quo der Ver­fassung und nachgeordne­ter Gesetze zur Staatsangehörigkeit und zur Stellung von Aus­ländern werden schon heute als Feinde der Ver­fassung deklariert. Dage­gen bedürfte die Umwand­lung in eine multikultu­relle Ge­sellschaft eines ge­sellschaftli­chen Konsenses und der demo­kra­tischen Legitimierung durch das Staats­volk. [13]

Doch eine offen politische Auseinan­derset­zung findet nicht statt. Statt ihrer werden die Vertreter des verfassungs­rechtlichen Status quo erst ideologisch als rechtsextrem ver­dächtigt und - aus der Deckung juristischer Uminterpretation des geltenden Rechts - als Verfassungs­feinde belauscht. Wer dage­gen mit gleicher Münze erwidern wollte, dürfte mit der jetzt in Göttingen tätigen Wissenschaftlerin Christiane Hubo auf die Verfassungs­feindlichkeit solcher Bestre­bungen hinwei­sen:

"Wenn man das Zerfließen von Staat und Ge­sellschaft im Parteienstaat berück­sich­tigt und be­denkt, daß der Personenverband der Deut­schen der Träger demo­kratischer Staatsge­walt ist, sich das staatliche Gemeinwesen im Zusammenwir­ken von Staat und Gesellschaft jeden Tag neu kon­stituiert, und das deutsche Volk nach dem kör­perschaftli­chen Staatsbe­griff mit dem Staat iden­tisch ist, be­deutet dies, daß durch die geförderte Hetero­genisie­rung des Staatsvolkes zum ei­nen die Identität des Volkes als Träger des Staates und daraus fol­gend auch der Staat in seiner ge­schützten Identität als bestehender Staat zerstört wird. An seine Stelle träte dann ein neuer Staat mit einem neuen Volk als Träger der Staatsge­walt. Dies alles ohne die Zu­stim­mung durch die verfassunggebende Gewalt des (bestehenden) Volkes dürfte letztlich auf ei­ne Zerstörung der jetzt verfas­sungs­mäßigen Ordnung hin sich entwic­keln." [14]

X. Kein objektiv feststellbarer Inhalt des Volksbegriffs

Das Wort deutsches Volk hat ebensowenig einen objektiv feststellbaren Inhalt wie irgendein ande­res Wort, es ist also auslegungsfähig. Darum eignet es sich bestens dafür, von Juristen mit multi­kultu­reller Ideologie anders ausgelegt zu werden, als die Väter des Grundgesetzes es sich vorstellten. Dem deut­schen Volk im Sinne unserer romantischen, nationalen Tradition des frühen 19.Jahrhunderts ge­hörte alles Land und gehörten alle Leute, soweit die deutsche Zunge klingt. Zum deutschen Volk im Rechts­sinne zählte man im 3.Reich nicht mehr diejenigen, die zwar deutsch sprachen, aber zum Bei­spiel jüdi­scher Abstammung waren. Deutsches Volk im Sinne des Grundgesetzes ist das Staatsvolk der Bundesre­publik, sind also nur diejenigen Deutschen, die auf diesem Territorium leben und Staats­bürger sind. Dabei setzte und setzt das geltende Recht immer für die Volkszugehörigkeit zweierlei voraus, deutsche Abstammung und deutsches Bekenntnis. [15] "Deutscher Volks­zu­ge­hö­­riger gem. § 6 Bundesge­setzes über die Ver­­triebenen und Flücht­linge von 1971 ist etwa, wer sich in seiner Heimat zum deut­schen Volks­­tum bekannt hat, so­fern dieses Bekenntnis durch be­stimmte Merkmale wie Ab­stammung, Sprache, Erzie­hung, Kultur bestätigt wird" [16]

Bei der Dehnbarkeit des Begriffs deutsches Volk wundert es also nicht, wenn ideologisch motivier­te Bemühungen um die multikulturelle Gesellschaft hier ansetzen. Soweit man das verhaßte Wort Volk nicht bereits durch den Begriff der Gesellschaft ersetzen konnte, zählte man zum Volke plötzlich alle und jeden, kaum daß er in Frankfurt gelandet und seinen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hatte. Wo Umin­terpretation am klaren Wortlaut der Gesetze doch einmal scheitert, müssen eben die Gesetze geändert werden, nur beim Grundgesetz ist das mangels Mehrheit noch nicht gelungen. Aber beim einfachen Recht, nämlich dem Ausländerrecht, suchte die rot-grüne Koalition mit beispielhafter Frechheit genau das durchzusetzen, was der renommierte Bonner Verfassungsrechtler Prof.Isensee als Staatsstreich des Parlaments bezeichnete: [17] Isensee ist nicht irgendeiner, sondern wurde eben erst am 13.4., vor vier Tagen, vor dem Innenausschuß des Bundestages als Sachverständiger zur doppelten Staatsangehörigkeit angehört.

"Die Problematik besteht darin", erläutert Isensee, "daß geplant wird, durch einfachen Gesetzes­beschluß des Parlaments das deutsche Volk umzudefinieren und auf einen Schlag drei Millionen Personen als Deutsche zu bestimmen, obwohl diese sich nicht zur Gemeinschaft des deutschen Volkes, sondern zu der eines anderen, im wesentlichen des türkischen bekennen. Eine solche obrigkeitliche Umdefinition durch das Parlament liegt außerhalb seiner verfassungsrechtlichen Befugnisse. Die Staatsangehörigkeit in ihren wesentlichen Strukturen wird vom Grundgesetz garantiert und kann nur durch Verfassungsänderung aufgehoben und wesentlich umstrukturiert werden. Die Artikel 16 und 116 GG garantieren die Institution der Staatsangehörigkeit in ihren hergebrachten Strukturen. Sie verweh­ren eine solche Maßnahme. Daher ist eine autoritative Umdefinition des deutschen Volkes so etwas wie ein Staatsstreich durch das Parlament. Es ist schon erstaunlich, daß man Himmel und Hölle in Bewegung setzt, wenn es um geringfügige Einschränkungen des Grundrechts der Wohnungsfreiheit geht. Daß man die Verfassung völlig aus dem Blick läßt, wenn es um die Fundamente des Staates geht und damit die nationale Einheit planmäßig aufgesprengt wird und nationale Minderheiten hier geschaffen werden."

Anders als ein Teil der Öffentlichkeit meint, liegt das eigentliche Problem dabei nicht in der Frage ei­ner doppelten Staatsangehörigkeit. Massenhafte Doppelstaaterei wären nur ein weiteres Absurdum eigener Art. Das Problem liegt vielmehr darin, daß dies unser Land ist, das heißt das Land des deut­schen Volkes, und das dieses deutsche Volk der Souverän unseres Landes ist, nicht etwa das Parla­ment. Der Bundestag darf sich darum nicht mal so eben mit einfacher Mehrheit ein neues Volk zule­gen, ebenso wie ein Konzernvorstand nicht eigenmächtig alle Grundstücksnachbarn zu Aktionären erklären kann.

Mit der Frage, was ein Gremium wie ein Gericht oder der Bundestag von Rechts wegen darf, ist aber noch lange nicht entschieden, was es tatsächlich kann. Wenn Richter hanebüchenen Unsinn für Recht er­kennen und kein anderer Richter mehr über ihnen steht, bleibt es bei dem Fehlurteil. Und wer steht über dem Bundestag? Da schweben nur noch die Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihren höheren Sphären und entscheiden letztverbindlich, wie die Werte unserer Verfassung zu verstehen sind. Bezüg­lich seiner Auslegungsmacht ist das BVerfG faktisch souverän. Nachdem sie den Satz, Soldaten seien potentielle Mörder, für straflos erklärt hatten, notierte die FAZ zurecht: "Mit solchen of­fenbar ideologisch motivierten und durch nichts begründeten Entscheidungen sei das Verfassungsge­richt auf dem besten Wege, seine einstmals hohe Reputation zu verspielen. Das hänge vermutlich auch mit der Auswahl der Verfassungsrichter zusammen, die 'nicht nach juristischer Qualifikation, sondern nach Parteibuch und Proporz erfolge." [18]

Ich kann gerade darum keine Hoffnung machen, an diesen Zuständen etwas durchgreifen­des zu ändern. Sie sind im menschlichen Machtstreben und seiner Neigung angelegt, Interes­sen im Namen von etwas höherem, heiligen oder idealen zu vertreten und seinen Egoismus dahinter zu verstecken. Interessen verfolgte man darum erst im Namen von Göttern, dann von Ideologien, schließlich im Namen des Rechts. In jeder Rechtsnorm steckt eine ideologische Wertung. Der Kampf um Interessen findet darum heute statt als ein Kampf um ideologische Positionen und Begriffe und als ein Kampf darum, wie Schlüsselrechtsbegriffe zu verstehen sind.

Dieser Kampf ist aber wieder nur scheinbar ein geistiger Kampf um die besseren Argu­mente, denn die Spielregeln lauten so, daß diejenigen über den konkreten Inhalt von Rechts­begriffen entscheiden, die dazu die Macht haben. Heutzutage können das nur diejenigen sein, die gesell­schaftlich schon durch ihre Anzahl dominieren. Die Schlüsselpositionen der Justiz befinden sich bereits in Händen früherer Linksradikaler der 1968er-Generation. Sie sind in diese Positionen gelangt, weil die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse es zuließen. Sie haben sich durchge­setzt, weil ihre Haltung und Ideologie ihnen offenbar Vorteile bot im in­nergesellschaftlichen Wettbewerb um Einfluß und Karrieren.

 

 



[1] Knütter, Die Faschismus-Keule,1993, S.93.

[2] Nolte, Streitpunkte, S.428 f.

[3] Unter dem Ti­tel 'Gleich und gleich macht krank und bleich'  ZEITmagazin vom 29.10.1993.

[4] Knütter, Die Faschismus-Keule, S.42.

[5] Gehlen, Moral und Hypermoral, S.30.

[6] Kondylis, Ausschau nach einer planetarischen Politik, FAZ 21.10.1995.

[7] Schmitt, Raum und Großraum im Völkerrecht (1940), in: der., Staat, Groß­raum, Nomos, S.234 (251).

[8] Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung ..., ebenda, S.285.

[9] Sander, Die Auflösung aller Dinge, S.109.

[10] OVG Koblenz, Rechtsstreit 12 A 11774/98.OVG, Schriftsatz des Landes Rheinland-Pfalz, Autor Prof.Hufen, vom 26.2.1999, S.7.

[12] Christiane Hubo, Verfassungsschutz des Staates durch geistig-politische Auseinandersetzung, Ein Beitrag zum Handeln des Staates gegen Rechts, Dissertation Speyer-Göttingen 1998, S.247.

[13] Hubo, a.a.O., S.254.

[14] Hubo a.a.O., S.256 f.

[15] BGBl. I 1971, 1563 ff..

[16] Neu­fas­sung vom 2.Juni 1993, BGBl.1993, 829 ff..

[17] Ein Staatsstreich des Parlaments, DIE WELT 6.1.1999.

[18] FAZ 5.1.1996 über Urteil des LG Mainz v.4.1.96: dpa

 

     
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