Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -

Im Westen nichts neues

(Publikation des Aufsatzes: Junge Freiheit 28 / 1995 )

 

Alle Jahre wieder erfreut uns der Bonner In­nen­minister mit einem Verfas­sungs­schutzbe­richt. Wäh­rend halb Deutschland in der Juli­sonne schwitzt, schwitzten die heimlichen Ver­fas­sungs­schlingel: Wird Herr Kanther uns bloß­stellen? Je­der weiß ja um die Funktion des Be­richts. Ma­chia­velli schrieb einmal über die re­publikani­sche Staatsform: "Wenn sie außerhalb ih­rer Grenzen kei­nen Feind hätte, so würde sie ihn im In­nern finden. Dies scheint das unver­meid­liche Schicksal aller größeren Freistaa­ten zu sein." Wo der Ver­fas­sungspatriotismus zur Staatsräson wird, nennt man die Staatsfeinde: Verfassungs­feinde. In den Augen der Öffent­lichkeit sind das die Leute, die der Minister als solche be­zeichnet.

Konkret hält jeder Minister diejenigen für Ex­tremisten, deren ideologischer Stand­punkt von sei­nem eigenen ideologi­schen Standpunkt extrem weit entfernt ist. Dies schätzt er intuitiv ein: Ver­fas­sungsrecht­liche Fragen beantwortet sein Be­richt nicht. Die Ministermeinung ist auch nicht rechts­förmig überprüfbar: Et­was zu mei­nen, ist nicht nur das Recht des Herrn Kanther, sondern sogar seine Pflicht. Dafür wird er ja bezahlt!

Nur eines darf auch ein Minister nicht: lü­gen. Am 6.Juli mußte das Ver­waltungs­gericht Köln ihm mit einstweili­ger An­ordnung die im Bericht schon ge­druckte Falschbehauptung verbieten: "Ein hoher Funktionär der Republi­kaner er­klärte zu einer Statistik über Antisemi­tismus, wenn er wüßte, daß wirklich 20% des deutschen Volkes Antisemiten seien und 5% davon die REP wählen würden, dann könne die Partei 'in der Judenfrage schärfer range­hen'. Denn die Juden seien 'wirklich Stin­ker." Diese ungeheuerlichen Worte soll Schönhuber nach einer Be­hauptung einer Martina Rosenberger von sich gegeben haben. Wie die JF berich­tete, hat das LG Weiden ihr soeben die Verbreitung der von Schönhuber als Lüge be­zeic­hneten Äußerung untersagt. Herrn Kanther mußte sie durch das VG Köln untersagt werden.

Der Republikaner-Vorsitzende Rolf Schlie­rer äußerte den Verdacht, Rosen­berger sei "von inter­essierten Stellen" als "Agent pro­vocateur" einge­setzt worden. Die Dame hatte sich lange im eng­sten Umfeld der Parteiführung bewegt, um end­lich auszutreten und "aus­zu­packen". Wiederholte Vorfälle dieser Art nä­h­ren den Verdacht, der Ver­fassungs­schutz pro­duziere jene Fak­ten selbst, auf die sich später die behauptete Verfassungsfeind­lichkeit stützen soll. So hatten die Re­pu­blikaner auch den langjährigen Ge­heim­dienst-Offizier Udo Bösch monate­lang als Bundesorganisationsleiter be­schäftigt und als Ausweis ihrer Verfas­sungs­treue her­umgezeigt. Doch heißt es nicht: "Ein­mal Dienst, immer Dienst?" Auch Bösch trat ur­­plötz­lich aus und pro­duzierte für den Verfas­sungs­schutz plötz­lich jene Mel­dungen und Be­richte über seine schreck­liche Zeit bei den Re­publi­ka­nern, nach denen Herr Kanther sich sehnte. Ge­gen­über dem Oberverwal­tungs­ge­richt Lüne­burg hat der nieder­sächsische In­nenmi­nister in einem Ver­fahren die Behauptung unbestritten gelas­sen, Bösch sei als Spit­zel mit dem Ziele einge­schleust worden, angebliche Vorfäl­le zu doku­mentieren. - Nur zu doku­men­tieren? Das fragt sich mancher und denkt dabei an das von den Hannoveraner Ver­fas­sungsschützern in eine Ge­fängnismau­er ge­sprengte "Celler Loch".

Unterdessen läßt Kanther seinen nicht ge­richt­lich nachprüfbaren Gefühlen frei­en Lauf. Ohne sich mit Kleinigkeiten ab­zu­geben wie der Frage, was er Verfas­sungs­feindliches an ihnen findet, läßt er Zi­tate für sich sprechen. Ihre ju­ristische Prüfung auf Grundlage der freiheitli­chen demo­kratischen Grundordnung überlaßt er der Phanta­sie des Lesers. Betreten wir mit Herrn Kanther das Gruselkabi­nett: Unter der Rubrik 'Fremdenfeindlichkeit' darf ein 27jähriger Repu­blikaner im 'Bericht' seine Äu­ßerung nachlesen: "Der Massen­zuwanderung wurde viel zu spät und nur äußerst halbherzig entge­genge­treten. Da­bei wurde noch verkannt, daß das Hauptproblem nicht die materielle Be­la­stung unse­res Staates, sondern die kultu­relle Auszehrung unseres Volkes ist. Multikulturelle Gesellschaftsutopi­en und nach immer mehr Macht strebende Aus­länderorganisa­tionen stellen eine erheb­lich größere Langzeitge­fahr dar als die Belastung, denen das Bundesfi­nanzmini­sterium ausgesetzt ist." - Der ver­fas­sungs­fromme Leser erschauert schier ob solch schlimmer Ausländerfeindlichkeit! Nicht zitiert hat Herr Kanther allerdings Steffen Reiche, den Brandenburger SPD-Vorsit­zenden. Diesem wur­den im Stern die Worte zugeschrieben: "Große Flücht­lingsströme aus dem Osten kön­nen der eu­ropäischen Kultur ein Ende setzen. Sie können für Europa gefährlicher werden als die Rote Armee in der Zeit des Kalten Krie­ges." - Das ist natürlich nicht auslän­derfeind­lich, weil Herr Reiche der SPD und nicht den Republikanern vorsitzt.

Diese "schüren" ja auch "Furcht vor Über­fremdung", weiß Herr Kanther. Sein Unions­kol­lege Edmund Stoiber schürte hingegen nicht, wenn er formulierte: "Was soll ich den Leuten sa­gen, wenn in der Nähe eines Asylan­tenheims ein jun­ges Mädchen vergewaltigt wird." - Wie jeder verständige Demokrat sofort be­merkt, spricht aus dem Minister Stoiber das Verantwortungsgefühl eines Uni­ons­politikers für seine Wähler. Fremden­feindlich ist es je­doch, wenn Republika­ner schrei­ben: "Einwan­derung heißt: Wohnungsnot, Ar­beits­losigkeit, steigende Kriminalität, Zusammen­bruch des Sozial­staates. Nach dem Wahltag wird die Ein­wanderung weitergehen. Grundge­setzän­de­rungen lie­gen bereits in der Schublade, um aus Deutschland einen multikulturel­len Vielvölker­staat zu machen. Das ein­zige, was diese kata­stro­phale Entwick­lung verhindern kann, ist der Pro­test der Wähler." Un­verdächtig ist Herrn Kanther hingegen der Satz: "Angesichts der jetzt schon beklagten Überfüllung stellt sich die Frage: Wie viele Menschen verträgt das Land? Das ist eine Frage der Physik und der biologie und - wie wir heute wis­sen - auch der Ökolo­gie." Warum un­ver­dächtig? Nun, das sagte Herr Gauweiler von der CSU.

Nichts Neues also im Westen: Der Jahres­be­richt lebt wie seine Vorgänger davon, daß nie­mand ihn selbst liest: Kopfschüt­telndes Un­ver­ständnis wäre sonst die Folge. Es ist auch nicht seine Auf­gabe, wirkliche Erkenntnisse zu lie­fern über je­ne, die Staat und Verfassung tat­sächlich bekämpfen. Im Zeitalter sym­bolischer Politik soll er ein "Zeichen set­zen" - sonst nichts.