Urkunde
aus dem Kirchturmknopf von 1851
Urkundliches
Dokument für den Knopf des Kirchthurms zu Fürstenhagen
der am 4ten Sonntag n.Trinitatis,
13ten Juli a.1851 renovirt
u. sodann aufgesetzt wurde.
Der
Nachwelt unseren freundlichen Gruß zuvor!
Bey
Abnahme des alten, vom Wetter beschädigten Knopfes, in welchem die
Spindel mit der Fahne ganz schief steckte, fand man nur ein vom
Pastor Hoffmann unterm 7ten Mai 1808 ausgestelltes Dokument, ganz
zerfressen, aus welchem sich nur noch mit Mühe ersehen ließ, daß
der Thurm im J. 1774 repariret war, 1808 der Knopf neu aufgesetzt;
ferner daß damals unter der Westphäl. Regierung des Jerome (meines Pathen) der Generalsup.
Trefurt u. Dr.Ballhorn in Göttingen an der Spitze eines
daselbst provisorisch eingesetzten Consistorii gestanden, der
Himten Waizen 1 Rtl. 15 Mariengroschen á Himten Kartoffeln 12-16
Mgs. gekostet habe u.a.m. Damit nun nicht wieder sobald alles vom
Wetter vernichtet werde, suchte man die Reparatur diesmal dauerhafter
mit Metall und Schiefersteinen zu verwahren, ließ auch dieses Document
u. einige Münzen durch die Gebrüder Schramm aus Göttingen in eine blecherne Büchse im Knopfe deponiren.
An
der Spitze der Regierung im Lande steht jetzt König Ernst August,
der am 5ten Juni d.J. seinen 80ten Geburtstag feierte (der älteste
regierende Fürst seines Zeitalters, aber noch rüstig). Sein Sohn,
der Kronprinz Georg, ist total blind (als er einige Jahre alt war,
soll er durch einen Wurf erst die Sehkraft des einen, dann auch
des anderen Auges unrettbar verloren haben). Er ist aber doch seit
7 Jahren mit einer Altenburgischen Prinzessin Marie verheirathet, hat einen Erbprinzen u. eine Prinzessin,
so daß der Guelphen-Stamm wol noch nicht erlöschen wird.
An
der Spitze der geistlichen Regierung steht noch das Consistorium
zu Hannover (i.e. für seinen Sprengel; denn Osnabrück hat ein eigenes
Consistorium). Zu ihm gehören a 1834: 67 Superintendenturen,
4 städtische Ephorate, 752 Pfarren, 13 geistl. Ministerien in Städten,
etwa 2000 Schulen pp. An der Spitze dieses Cons. steht jetzt der
Abt von Loccum u. die Consist. Räthe Leopold, Niemann, v. Derschau
(als weltl. Cons.Director) in Hannover, Abt Lücke von Bursfelde,
zugleich Consist. Rath u. Professor legens in Göttingen, Consist.
Rath Bauer in Elze u.a.
Die
Volksbewegungen in Deutschland v.J. 1848 haben unsere abgelegene
friedliche Gegend nicht viel berührt, hier hielt man sich lieber
an den Wahlspruch: Bete und arbeite, fürchtet Gott, ehret
den König. Dabey ist überhaupt unser land am besonnensten durch
jene stürmischen Zeiten gekommen, unter deren unheilvollen Folgen
noch jetzt vorzüglich unser Nachbarland Hessen seufzt. Doch aber
reichte der gewaltige Wellenschlag auch in die innersten Verhältnisse
der Kirche: auch Fürstenhagen hob die geistl. Exemtionen Ausnahmen
von Verpflichtungen in diesem Jahre auf und zwang Prediger und Schullehrer
gerichtlich an den Communal-Lasten Theil zu nehmen, vom Staate
kam die Grundsteuer dazu - für die arme Kirche, Pfarre und Schule
von Fürstenhagen kein Segen. Freilich brachten die Neuerungen auch
manche Verbeßrung ins Kirchliche: Der neue Kirchenvorstand,
hier der Bauermeister Willig, Ackermann Glasewald (zugleich
Rechnungsführer), Erich Voß und
Schuhmacher Voigt überwachen
redlich das Vermögen u. die Intereßen der Kirche und Schule. Der
frühere Superintendent Walther wurde wegen Defraudatt. abgesetzt und im vorigen Jahre
nach America befördert, jetzt können die Ältäre nicht mehr willkürlich
gebrandschatzt werden. Dazu ist eine neue Synodal-Verfassung der
prot. Kirche unseres Landes in nahe Aussicht gestellt. Der zeitl.
Ephorus, Superint. Dr.Meyer zu Uslar, ein sehr humaner Mann, vertritt
die geistl. Intereßen gut, weniger der weltl. Kirch. Commissar,
Amtmann De Pottere daselbst. Durch die neue Gerichtsordnung werden
wir vom Amt Uslar an Adelebsen fallen.
Die
Verhältnisse der hiesigen Predigerstelle sind eigen; seit einigen
20 Jahren ist der Pastor Bein geistesschwach und vom Amt removirt.
Während der Zeit sind schon 3 Vicare (Quantz, Schmidt, Gollmart)
vor mir hier gewesen, ich seit Michaelis 1842. Die Kirche ist noch
in gutem Stande, die Pfarre desgleichen (1832 neu gebaut), dieSchule
ist alt, aber noch gut. Der Schullehrer Brodtmeyer sen. ist im
70ten Jahre, aber noch rüstig.
Die
Preise der Lebensmittel sind mäßig. Korn à Himten 11/3 Rtl.. Waizen á 1 ½ Rtl.. Kartoffeln à Himten á. ½ Rtl. (weil in den letzten
10 Jahren in Europa und noch mehr in America die Kartoffelkrankheit,
eine Art Fäule, geherrscht hat). Vor einigen Jahren war eine Theuerung,
wo der Himten Korn noch 5 Rtl. kostete. Auch unter den Menschen
herrschte strichweise die furchtbare asiatische Cholera seit mehren
Jahren, voriges Jahr vorzüglich in Gieboldehausen, Lindau, vom
Fuße des Harzes bey Seesen links über Einbeck bis zur Leine waren
viele 1000 Menschen, oft binnen einigen Stunden, unter den gräßlichsten
Krämpfen, die sie ganz entstellten, starben. Sie kam ganz in unsere
Nähe, wütete in Sievershausen u.a. Orten bey Nörten u. zeigte sich
in Uslar und Göttingen. Bey dem diesjährigen kalten Sommer hört
man nichts davon. Bis jetzt hatten wir erst einige warme Tage, jetzt
nur 8° r, viele Gewitter und Regen, u. das schon mehere Jahre so.
Die
merkwürdigsten polit. Erscheinungen waren in diesem Jahre die
Baierischen Executionstruppen in Churhessen (auch in Heisebeck)
u. die Östreichschen in Schleswig-Holstein u. Hamburg. Im Mai d.J.
wurde die große Kunst- u. Industrieausstellung im Glaspallaste
zu London eröffnet, wohin aus allen Ländern und Erdtheilen die
Sachen u. die Beschauer kamen. Am 28ten d.m., Nachmittag 2-3 Uhr
wird die große (fast totale) Sonnenfinsternis eintreten. In Münden
und Göttingen wird die sogen. Südbahn zur Verbindung der Eisenbahnen
von Hannover, Hildesheim u. Cassel in Angriff genommen u. in Göttingen
ein Bahnhof gebaut werden. Dann kommt ja wol auch in unsere Gegend,
welche spottweise heißt "ut der Welt", mit der Außenwelt
mehr in Verbindung. Die Dampfschiffahrt auf der Weser wird dann
freilich wol aufhören. Seit kaum 2 Jahren machen die reichen Goldschätze
Californiens Aufsehen, und mit der zeit gewiß bedeutende Veränderungen.
Leider wird nur nicht die Wissenschaft u. das Reich Gottes so gefördert
werden wie die materiellen Interessen, jener droht russische Barbarey,
Diesem die Erschütterung der Kirche durch sog. Lichtfreunde u.
vielerley Secten u. Schriften ohne den göttlichen Kern wahrer Frömmigkeit,
höheren Strebens, christlicher Selbstverleugnung. Möge Gott, der
Welten Lenker und Beschirmer mit seinem sichtbaren Heiligthume
in Fürstenhagen auch die Köpfe und Herzen aller regieren, die ihm
im Geiste u. in der Wahrheit dienen, diese Kirche und Gemeinde gnädig
bewahren u. mit seiner unerforschlichen Weisheit die kommenden Geschlechter,
wie jeden einzelnen leiten, erziehen u. durch Christum zu sich ziehen,
bis die Zeit auch dieses Heiligthum u. uns u. Alles Irdische zernagt
u. vernichtet. Nur helfe er uns alle aus zu seinem ewigen Reiche.
H.Lüdecke,
Pastor vicar, Friedrich August Willig, Christian Vogt,
Friedrich
Glasewald, Erich Voß, Fürstenhagen, den 13ten Juli 1851
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