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Klaus Kunze
- Publizierte Zeitungsartikel (Auswahl) -
   

 

Das Plebiszit als Sollbruchstelle des Parteienstaates

Klaus Kunze
Vortrag, gehalten in Bielefeld (3. Bielefelder Ideenwerkstatt) am 11.11.2007

Der Parteien­­staat ist im Zeitalter der industriellen Massengesellschaft unüberwindlich, so­lange er deren objektive Funkti­onsbedingun­gen und den Machterhalt ihrer Hauptnutznießer optimal garantiert. Er ist ein Ge­mein­we­sen, in dem
(I.) - soziologisch gesehen - sich gesellschaftliche Kräfte des Staates bemächtigt und eine absolute Ge­sell­schaft installiert haben,
(II.) in dem es verfassungsrechtlich gesehen keine Gewal­tenteilung mehr gibt, weil alle Staats­ge­wal­ten von den­selben gesellschaftlichen Kräften kon­trolliert werden,
(III.) ökonomi­sch diese Kräfte eine sie begünstigende Ordnung durchgesetzt haben
(IV.) und ideologisch ihre Macht durch eine Herrschaftsideolo­gie absichern,

wobei jedes dieser vier Merkmale mit den anderen in einem notwendigen funktionalen Zusammenhang steht.

In der konkreten geographischen, histori­schen, ideologi­schen und ökonomi­schen Lage der Deutschen entspricht der heutige Partei­enstaat der Interes­senlage derer, die mächtig sind und ihre Macht dazu benutzen, diejenigen Regeln aufrechtzuerhalten, die ihre Macht auch künftig sichern. Die Macht hat nämlich, wer die Regeln von Machtgewinn und Machterhalt regelt.

Der philo­so­phische Liberalismus hat verfassungsrechtlich im Parlamentarismus und ökonomisch im Kapita­lismus seine in sich widerspruchsfreie, konsequente Verwirklichung erfah­ren. Die poli­ti­sche Stabilität des Gesamt­phänomens beruht auf dieser Konsistenz der zusammen­gehören­den Merk­male, von denen sich keines beliebig verändern läßt, ohne mit einem anderen in Wi­der­spruch zu geraten. Das Gesamtphänomen Parteienstaat ist stabil und nicht durch ein ande­res Modell zu er­setzen, solange wir uns in der modernen industrielle Massengesellschaft befin­den. Alle publizistischen Crash-Theoretiker, die Deutschland sein Jahrzehnten einem Ab­grund ent­gegentaumeln se­hen, auf den Aufschlag warten und den Tat danach ersehnen, um als Retter Deutschlands in die erste Reihe zu treten, verges­sen das Wort Machiavellis: Jeder muß scheitern, der seine Pläne nicht mit den Zeitverhältnissen in Einklang bringt.

Die Machtergreifung des Partikularen

Grundlegend für das Verständnis des Partei­enstaates ist die Unterscheidung von Staat und Ge­sellschaft, weil die Überwältigung des Staates durch Parteiinteressen verpflichtete gesellschaftliche Kräfte ein Wesensmelrmal des Parteienstaates ist.

Die neuzeitliche Idee des Staates beruht auf der Erfahrung, daß es keine bürgerliche Frei­heit geben kann, wo kein überparteilicher Staat sie garantiert. Er soll die gesellschaftlichen Mächte zähmen und kontrollieren. Es kann keine Freiheit geben, wo niemand Rechte des Bauern gegen seinen Grund­herrn garantiert, Rechte des Gesellen gegen seine Zunft, Rechte des Mieters ge­gen seinen Vermieter oder der Verbraucher gegen die Industrie. Kurz: Der neutrale Rechts­staat ist die Garantie des Schwächeren gegen den gesellschaftlich Starken. Der neutrale Rechtsstaat ist die Errungenschaft der Neuzeit schlechthin und unverzichtbarer Garant unserer bür­gerli­cher Freiheit.

Einen Parteienstaat erkennen wir äu­ßerlich daran, daß Staat und Parteien sich un­un­ter­scheidbar zu decken beginnen. Gesellschaftliche Gruppen identifizieren den Staat mit sich selbst und treten im Parteienstaat als Staatsparteien auf. Ihre Konkurrenz nennen sie dann Staatsfeinde oder Verfassungsfeinde. Die Bundesrepublik ist solch ein Parteienstaat, in dem sich Parteien des Staates fast rest­los bemächtigt ha­ben. Es gibt kaum noch parteilose Machtträger. Sich des Staates be­mäch­tigt heißt: Vertreter der Parteien beherr­schen fast restlos alle Staatsorgane und -funk­tio­nen, ja selbst den halb- und vorstaatli­chen Raum wie Fernsehsender. Sie haben sich den Staat zur Beute ge­macht und lassen sich von ihm finan­zieren.

Der Begriff Staat gehört zu den mehrdeutigen Begriffen, bei deren Verwendung begriffliche Klarheit angebracht ist, um Mißdeutungen zu vermeiden. Es gibt unterschiedliche Verwendungen des Begriffes Staat.

a) Im allgemeinen staatsrechtlichen Sinne ist ein Staat nach der Dreielementenlehre ist eine eigene Rechts­per­son, die durch ihre Or­gane handelt. In jedem Staat übt ein bestimmtes Staatsvolk auf einem Staatsgebiet Staatsge­walt aus. Diese Staatsgewalt oder Souveränität ist rechtlich die höchste, also von nichts höherem abgeleitete Herrschaftsbefugnis.
Wenn sie von verschiedenen unab­hängigen Organen ausgeübt wird, spricht man von Gewaltenteilung. Wo sie in einer Hand vereint ist, herrscht Diktatur.

b) Wenn man vom Staat im Gegensatz zur Gesellschaft spricht, ist damit von diesen drei Komponenten (Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt) die dritte gemeint, die Staatsgewalt. Wo sie unkontrolliert und unbeeinflußbar alle Macht aus­übt, gibt es einen absoluten Staat wie im historischen Absolutismus der Fürsten. Wo umgekehrt gesellschaftliche Kräfte wie Parteien alle Staatsgewalten beherrschen, haben wir eine absolute Gesell­schaft.
Ihr Problem liegt in mangelnder Vertretung des Gemeinwohls. Was uns als Volk in unser aller Bestandsinteresse zusammenhalten müßte, zerbröselte in den letzten Jahrzehnten. Der Staat hätte funktionell das Ganze gegenüber den Einzelinteressen zu repräsentieren und zu schützen.

Diese Repräsentation ist in unserer jetzigen Verfassung defizitär. Jede gesellschaftliche Gruppe hat ein Interesse gegen die Gesamtheit, etwa daran, weniger Steuern zu zahlen; zugleich hat der Einzelne aber auch als Teil des Ganzen ein Interesse daran, daß so viel Steuern einkommen, daß der Staat ihm nützlich dienen kann. Diese gegenläufigen Inter­essen jedes Einzelnen können nicht alle zugleich im selben Staatsorgan repräsentiert sein. Darum bietet es sich an, daß ein Staatsorgan die Interessen des Ganzen vertritt und ein ande­res die Partikularinteressen in sich reprä­sentiert und ausgleicht. Nach jahrhundertealter Tradi­tion sind diese Staatsorgane einerseits die Regie­rung, als König oder Kanzler, andererseits die Parla­mente.

Niemand kann gleichzeitig zwei einander entgegengesetzte Interessen vertreten. Darum kann kein Staatsorgan zugleich das Gesamtinteresse der Allgemeinheit und zu­gleich die Ein­zelinteressen der jeweiligen gesellschaftlichen Mehrheit vertreten. Es gibt die Re­gierung, die für das Ganze handelt, und es gibt das Parlament, in das sich die Einzel­interes­sen einbringen. Beide - Ge­samt- und Einzelinteresse - sind nur dann effektiv repräsentiert, wenn Regie­rung und Parlament vonein­ander unabhängig sind. Wo hin­gegen das eine ab­hängig vom anderen ist, da herrscht dieses andere absolut.

So herrschte im Zeitalter des absoluten Fürstenstaaten der Fürst als Regierung über die macht­­losen Stände. Im Zeitalter des staatlichen Absolutismus wurden die gesellschaftlichen Kräfte gegängelt. Heute ist die Lage umgekehrt: Wir haben wieder einen Absolutismus, nur sind es diesmal die gesell­schaftlichen Parteien, die den Staat entmachtet und die Regierung von sich abhängig gemacht haben. Heute hält sich ein Parteienkartell eine jederzeit abhängige Regie­rung. Wir haben heute wieder einen Absolutismus, und zwar einen der Gesellschaft.

Der Parlamentarismus

Beschränkten wir unsere Sicht auf unsere im Grundgesetz geregelte Regierungsform, müßen wir sie - wie in England - als Parlamentarismus klassifizieren und kämen zum Ergeb­nis, daß der Bundestag das zentrale Machtzen­trum ist und alle klassischen Staatsgewalten beherrscht: Er macht die we­sentlichen Gesetze, bestimmt zu­sammen mit dem Bun­desrat die Verfassungsrich­ter, die über die Ausle­gung seiner Gesetze wa­chen sollen, und er bildet mit der Wahl eines von ihm jeder­zeit ab­hängigen Kanz­lers eine Regierung, die wie ein Ausschuß funk­tioniert und sei­ner völ­li­gen Kon­trolle unterliegt. Im Zweifelsfall hat der Bun­destag die Kompetenz-Kompe­tenz, al­so das Recht, die Verfassung zu ändern und die Grenzen seiner verfas­sungsmäßi­gen Macht selbst zu bestimmen.

So­lange das Staatsvolk als han­delnde politische Ent­scheidungs­ein­heit aus­ge­schaltet ist - Volks­abstimmun­gen sind im Grund­gesetz zwar als mög­lich vorgese­hen, aber nicht in effektiv wirksamen Einzel­gesetzen geregelt - bleibt die Souve­ränität des Volkes eine meta­physi­sche Fik­tion. Das konkrete han­delnde Gremium, das über die Gel­tung der Ver­fas­sung und ihrer einzelnen Regelun­gen, das also "über den Aus­nahmezustand ent­schei­det", ist der Bundestag. Er allein übt die Sou­­veränität aus und ist damit faktisch ihr Trä­ger, weil er anstelle des nur metaphysisch souve­ränen Volks, das danach nie gefragt wurde, die Grund­ent­scheidungen des politi­schen Lebens trifft. Der Bun­des­tag ist damit Nukleus der durch die Grundgesetz­kon­struktion gebildeten und ver­fas­sungs­rechtlichen Normen ge­hor­chenden Regierungsform des Parlamentarismus.

Wir müssen unsere Sicht aber erweitern auf Phänomene, die unser Grundgesetz nur bei­läu­fig erwähnt, die aber die faktische Macht haben. Die aus allgemeinen Wahlen hervorge­gangene Parlamentsregierung ist nur das Untersystem eines übergeordne­ten Ganzen, nämlich des abso­lu­ten Parteienstaates mit seiner Herr­schaft der Parteiapparate: Wie jeder weiß, besit­zen die real existierenden Abgeordne­ten, jeder für sich und gemeinsam, die ihnen verfas­sungsrechtlich ge­bührende Ent­schei­dungsmacht und -freiheit nur auf dem Papier. Tatsäch­lich sind sie in ein Ge­flecht von persön­li­chen Abhängigkeiten mannigfacher Art eingebunden und unterliegen stren­ger Frakti­onsdisziplin. Wer ausschert, wird nicht wieder auf die Wahlliste ge­setzt. Über das System der Listenwahl beherrschen die Par­teien ihre entsandten Abge­ordne­ten.

Wenn wir uns das System der staatlichen Verfassungsorgane mit seinem In­ein­an­dergreifen verschie­dener Gewalten als große Maschine vorstellen, sind die Par­teien ihre Bediener. Ein­schließlich ihrer hierarchischen Binnen­struktur bilden sie ne­ben dem Staat ein organi­sier­tes Subsystem. Nach außen von staatli­cher Dauerfinanzie­rung abhängig ha­ben sie den Staat von innen durch­drun­gen und usurpiert, um diese Ab­hängigkeit umzu­kehren. Bildlich gespro­chen grün­den sie mit ih­ren Wurzeln in der Ge­sell­schaft, üben aber mit ihren Wipfeln schon die Funk­tion von Verfas­sungsorga­nen aus. Durch hohe Äm­ter­kom­bi­na­tion zwi­schen Partei- und Parla­mentsamt und Re­gie­rungs- und Ver­wal­­tungs­amt haben sie ne­ben das innere Gerüst staatli­cher Struk­tu­ren wie ei­ne Schling­pflan­ze ein per­so­nell identi­sches zwei­tes Gerüst gesetzt und sich auf diese Weise di­rek­ten Zugriff auf alle staat­lichen Funktionen ge­si­chert. So sind staatli­che Amts­träger zu­gleich Partei­funk­tio­näre und machen durch diese Personal­union die Verbin­dung zwi­schen den Subsystemen "Staat" und "Parteien" sichtbar. Den Partei­enstaat dürfen wir da­her als übergeordnetes Sy­stem begreifen, in des­sen In­nenleben mehrere aufein­ander bezoge­ne Subsy­steme existieren, von denen das eine dominiert und das andere funktio­niert: Die Par­tei­en sind die han­de­lnde Seele der Staatsmaschine; diese die Handpuppe - jene der Puppen­spie­ler!

Bei der grundsätzlichen ideologischen Übereinstimmung der großen Bundestagsparteien spielt es keine Rolle mehr, ob sich der totale Parteienstaat als Mehrparteienstaat zeigt, als Block­par­teienstaat oder als Einparteienstaat. Die Macht befindet sich vollständig in Händen ei­nes Par­tei­enkar­tells, dessen Teilsy­ste­me nach au­ßen hin Schau­kämpfe austragen, in­haltlich aber nicht für Al­ter­nati­ven ste­hen. Ihr Wahl­kampf ist Schwin­del, weil er pro­gram­ma­ti­sche Ver­schie­den­heit vortäuscht. Er ist, mit den Worten George Orwells aus seinem Roman 1984 ge­sprochen, "das glei­che wie die Kämp­fe zwi­schen ge­wis­sen Wiederkäuern, deren Hör­ner in ei­nem sol­chen Win­kel ge­­wach­sen sind, daß sie einander nicht verletzen kön­nen. Wenn er aber auch nur ein Schein­gefecht ist, so ist er doch nicht zwecklos, son­­dern hilft, die be­sondere gei­sti­ge Atmosphäre auf­recht" und unsere "Ge­­­sell­schafts­struktur intakt zu halten." So besteht der Zweck der Groß­­par­teien heute haupt­säch­lich da­rin, Wahl­verein für den ei­nen oder den an­de­ren Kanz­ler zu sein: Po­sten­vertei­lungs­kar­­telle auf Dau­er.

Die verfassungsrechtliche Konstruktion des totalen Parteienstaates

Äußerlich erkennen wir einen Parteienstaat daran, daß Staat und Parteien sich un­unter­scheid­bar zu decken beginnen. Die Bundesrepublik ist solch ein Parteienstaat, in dem sich die Parteien des Staates fast rest­los bemächtigt haben. Es gibt kaum parteilosen Machtträger im Staat. Sich des Staates bemächtigt heißt: Vertreter der Parteien beherr­schen restlos alle Staatsorgane und -funktionen, ja selbst den halb- und vorstaatlichen Raum wie Fernsehsender. Sie haben sich den Staat zur Beute ge­macht, lassen sich überwiegend von ihm finan­zieren und bezahlen ihre Wahlpropaganda von Schulden, an denen noch unsere Enkel abzahlen müs­sen.

Die fehlende Trennung von Staat und Gesellschaft wirkt sich verfassungsrechtlich so aus, daß alle wesentlichen Staatsgewalten in der Hand gesellschaftlicher Parteien sind. Die Gewal­tentei­lung wird dadurch unterlaufen, daß ein und dieselbe Partei etwa im Bundestag die Ge­setze macht, als Regie­rungspartei anwendet und durch parteikonforme Richter überprüfen läßt. Die institutionelle Tren­nung der Gewalten wird praktisch bedeutungslos vor dem Hin­ter­grund der gemeinsamen Parteizu­gehörigkeit der jeweiligen Amtsträger.

Gewaltenteilung ließe sich in Deutschland leicht wieder einführen, wenn wir, dem Vorbild der heuti­gen US-Verfassung, der französischen Verfassung oder der Reichsverfassung von 1871 folgend, eine Persönlichkeit den Staat vertreten und regieren und auf der anderen Seite das Par­lament die Gesell­schaft vertreten und die Gesetze machen ließen. Der Präsident wäre selbst de­mokratisch legi­timiert und nicht dem Parlament verantwortlich. Ein solches Präsidi­al­system wäre mit der frei­heit­li­chen de­mokra­ti­schen Grundordnung im Sinne des BVerfG nach richtiger Mei­nung Roman Herzogs ohne wei­te­res ver­einbar. Art.79 III und 20 GG ver­langen nicht das rein par­la­men­ta­ri­sche Regierungs­system, sondern lassen ein präsidiales durch­aus zu. Darum sind et­wa die USA kein Parteienstaat. Die Türkei hat im Oktober 2007 ein solches Präsidialsystem gesetzlich eingeführt.

Der Blick auf das komplizierte Ineinandergrei­fen der beiden Handlungssysteme - wir be­trachte­ten die vom Parteiensystem faktisch überlagerte Macht des Parlaments - darf nicht ein drittes außer acht lassen: die Medienmacht. Die Diskussion geht dahin, wie weit der Partei­enstaat überhaupt noch diesen Namen verdient, und ob nicht Massenme­dien längst den beherrschenden Einfluß ausüben. Tatsächlich ist das Verhältnis ambivalent: einer­seits wirken die Medien auf die Parteienlandschaft ein, indem jede Partei für ihre mas­senhafte Selbst­darstellung und spätere Wahler­folge zwingend auf Medien angewiesen ist. Die öf­fentlich­rechtli­chen Medien laufen ohnehin an der Leine der Großparteien, und die privaten Medien unterliegen den Gesetzen des Marktes und werden keine Partei positiv darstellen, von der sie eine grund­sätzliche Veränderung der Verhältnisse be­fürchten müssen, von denen sie selbst ab­hängen. Vor allen diesen Überlegungen ist aber festzustel­len, daß die Existenz- und Einfluß­bedingungen aller Medien in ihrem Grunde bestimmt und beherrscht werden durch das Parla­ment, das die Gesetze erläßt, in deren Rahmen Medien erst wirken können. Der Parla­menta­rismus hat sich natürlich solche Gesetze geschaffen, in denen die Medien die Funkti­onsbe­din­gungen des Parlamentaris­mus bzw. des Kapita­lismus in Gegenwart und Zukunft ga­rantieren. Aus dieser Sicht ist die Me­dienwelt ein weiteres Subsy­stem eines Parteienstaates.

Innerpartei­lich begünstigt sie oligarchische Strukturen, indem sie das Gewicht stets medien­prä­senter Füh­rungspersonen gegenüber den Partei­gremien erhöht. Dem ehernen Gesetz der Oli­g­ar­chie entgegen wirken nur Plebiszite. Ein solches wäre eine Direktwahl der Exekutive, also etwa des Bundespräsidenten, dem allein die Regierung ver­antwortlich wäre. Darum scheuen etablierte Machteliten nichts mehr, als ihre Herrschaft und ihre Entscheidungen durch all­gemeine Abstimmun­gen zu gefährden. Die Macht hat und behält, wer die Regeln regelt. Die Füh­rungs­­oli­garchien des Parteienstaates werden immer das strenge Reprä­sen­tationsprinzip ver­teidigen und Volksent­schei­dungen als gefährliches Spiel mit dem Feuer de­nunzieren. Tatsächlich steht bei Volksentscheid al­les zur Disposition, weil das Volk nominell der Souverän ist. Ob sich Forde­rungen nach demokrati­schen Direktentscheidungsrechten des Volkes durchsetzen, ist eine reine Machtfrage. Ließen die Führungsoligarchien der Staats­parteien sie zu, wür­den sie den Ast absä­gen, auf dem sie sitzen. Solan­ge sie die Macht haben, werden sie die Gesetze so lassen, daß das Volk weiterhin nicht danach gefragt wird, ob es Entscheidungen direkt durch Abstim­mung tref­fen will.

Die Ideologie des Parteienstaats im Rahmen der Moderne

Jede Staats- und Gesellschaftsform beruht auf einer herrschenden Ideologie. Heute ist die bürgerliche des 19.Jahrhunderts durch die moderne des 20. abgelöst. Der Parteienstaat beruht auf der letzteren. Er kann nicht abgelöst werden durch eine andere Gesellschaftsform, solange die Moderne anhält.

Im 18. Jahrhundert hatten sich die ideologischen Grundlagen des bürgerlichen Liberalismus gebildet. Sein welt­an­schaulicher Kern bestand im Glauben, aus der frei­en Aktivi­tät aller Kräfte und Gegenkräfte entstehe von selbst im all­ge­meinen jede Art von Harmo­nie, in der Diskussion die voll­kommene Wahr­heit und im Gesell­schaft­li­chen das Ge­meinwohl. Dieses Weltbild hatte eine ständi­sch ge­gliederte Gesell­schaft vorgefunden undf richtete sich pole­misch gegen diese. Bürgerlichem Denken zufolge bestanden zwar die Standes­unter­schiede sub­stanziell wei­ter. Sie verfestigten sich aber nicht, sondern gestalteten sich im Rah­men ei­ner Konkurrenz, die ihrerseits nicht in dem Kampf aller ge­gen alle, sondern in ein dy­namisches Gleich­gewicht münden sollten, in der das Bürgertum seinen festen Platz hatte. Die "synthetisch-harmonisie­rende" Denk­figur ist grund­sätzlich bestrebt, das Weltbild aus ei­ner Viel­falt von un­terschiedli­chen Dingen und Kräften zu kons­truieren, die zwar isoliert be­trachtet sich im Gegen­satz zu­einander befinden (können), doch in ihrer Gesamtheit ein har­monisches und gesetz­mäßi­ges Ganzes bilden, innerhalb dessen Friktionen oder Konflikte im Sinne überge­ordneter ver­nünf­tiger Zwecke ausgehoben werden. - Dieser Grundanschauung entspringt der heutige Verfas­sungsstaat nebst Gewaltenteilung und ist somit ein Kind des 19. Jahrhunderts.

Der Kern bürgerlichen liberalen Denkens liegt unserem Grundgesetz und seinen Institutionen zwar noch zugrunde. Durch die Entwicklung zum Parteienstaat funktionieren die Staatsorgane aber nicht mehr im ursprünglich gedachten Sinn. Im Bundestag finden keineswegs die edelsten Geister des Volkes in freier Diskussion das Beste des Volkes. Auch behauptet das niemand mehr ernstlich. Weil die ursprüngliche ideologische Legitimation der verfassungsmäßigen Institutionen offenkundig nicht mehr trägt, ist an ihre Stelle eine Ersatzideologie getreten, die von der politischen Klasse mit allen Machtmitteln der sogenannten politischen Correctness durchgesetzt wird.

Die synthetisch-harmonisierende Denkfigur des bürgerlichen 19. Jahrhunderts wurde im 20. abge­löst durch die analytisch-kombinatorische. Sie ist Kennzeichen der Moderne und be­ruht auf die An­nahme, es gebe keinerlei substanzielle Unterschiede, und darum lasse sich prinzipiell alles bis in den Grund seiner Bestandteile analysieren und mit allem anderen kom­binieren. Sie geht mit einer Verfassung der Gesellschaft einher, in der soziale Unter­schiede nicht mehr als sub­stanziell gelten, sondern die soziale Mobilität prinzi­piell keine Gren­zen kennt und ständig neue Be­setzungen der sozial verfügbaren Rollen gestat­tet; der massen­hafte Charak­ter dieser Gesellschaft ermöglich angesichts der prinzipiellen Be­teiligung aller Atome, die diese Masse konstituieren, an den sozialen Vorgängen auf allen Ebenen eine un­endliche Anzahl von Kombinationen, deren Vielfalt und zugleich Vergäng­lichkeit eben jeden Substanzgedanken ver­schwinden und an seiner Stelle bloß funk­tionale Gesichtspunkte gelten läßt. Sie nimmt uns Bürger nur noch in funktionalen Rollen wahr wie als Verbraucher, Arbeitnehmer und so fort.

Diese philosophische Sichtweise steht in engem Zusammenhang mit den ökonomischen Vor­aus­setzungen von Effizienz und Mobilität, die eine auf engstem Raum zusammenlebende Mas­sengesell­schaft mit dem höchsten Konsum der Menschheitsgeschichte für ihr Funktionie­ren un­ter den gegen­wärtigen technischen Bedingungen benötigt. Diese arbeitsteilende indu­strielle Mas­sengesellschaft spülte den Menschentypus und mit ihm die Ideologie an die Schaltstellen der Ge­sellschaft, die auf die Anforderungen an Mobilität, Flexibilität, Aus­tauschbarkeit und - auf der Konsumseite - an Hedonis­mus und Konsumfreude bestmöglich angepaßt ist.

Beide, das Phä­­nomen Parla­men­ta­ris­mus und seine Herrschafts­ideologie, die­­nen letzt­lich der Auf­recht­er­hal­tung eines be­stimm­ten Sta­tus quo, in dem sich die fakti­sche Macht­po­si­tion der­jeni­gen nor­ma­tiv aus­prägt und sta­bili­siert, die ih­ren öko­nomi­schen Vor­teil aus einer Wirt­­­schafts­verfas­sung zie­hen, in der ein freies Spiel der Kräfte wei­test­­­mög­lich ist. Die Geldmacht ist angewiesen auf ein System, das funk­tio­nal alle nicht öko­nomischen Machtmittel ausschaltet, indem es sie in ih­rem mate­riellen Wert­gehalt negiert und tabui­siert. Ihre Gesetz­mäßig­keiten führen inner­staat­lich und internatio­nal zu analogen Wir­kungen: Freie Geld­wirt­schaft be­­gün­stigt den öko­no­misch Star­­ken dadurch ent­schei­dend, daß er alle an­­de­ren als öko­no­mische Kräfte wirksam aus dem Kreis der all­ge­mein ak­zeptierten Spiel­re­geln aus­schließt.

Die heutige Ideologie des Parteienstaats dürfen wir als die Ethik der­je­ni­­gen begreifen, die unter den kon­kreten Bedingungen des Par­tei­en­staa­tes wirtschaftliche und sonstige Vorteile genie­ßen, weil sie Par­tei­un­gen angehö­ren, die unter einem löcherig gewordenen staatli­chen Dach ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Sie setzen ihr spezi­fisches Recht so, daß es sie und ihren weiteren Machter­halt begün­stigt.

Der Zugriff ideologischer Parteien auf den Staat

Zur Absicherung ihrer Macht erzeugt die politische Klasse einen zunehmenden ideologischen Konformitätsdruck. Dieser bezieht sich zunächst auf die unmittelbaren Funktionsbedingungen ihres Machterhalts.

Von der sogenannten politischen Bildung über Parteistiftungen bis zu Berufsschulen und in die Medien werden Begriffe uminterpretiert, um mit ihrer ursprünglichen Bedeutung auch die Erinnerung daran zu beseitigen. Wer sich allein aus solchen Quellen belehren läßt, was Demokratie, Gewaltenteilung, Diktatur und ähnliche Begriffe besagen, wird sie keine Ähnlichkeit zur eigentlichen begrifflichen Bedeutung mehr feststellen.

Darüber hinaus bezieht sich der Konformitätsdruck auf die ideologischen Grundlagen des gesamten Systems. Der Einzelne bedeutet alles und das Volk nichts, alle Menschen sind gleich und darum austauschbar, gesellschaftliche Rangunterschiede werden allenfalls durch den Faktor Geld geregelt, wir leben im freiesten Staats denn je auf deutschem Boden, alles was rechts ist, ist böse, die Parteien handeln zum Wohle des Volkes und wie die Glaubenslehren sonst heißen.

In Deutschland benehmen sich Parteien traditionell wie weltanschauliche Bürgerkrieger. Zu oft schon wurden Unterlegene in unserem Lande gnadenlos verfolgt: als Ketzer, als Volksschädlinge oder als Klassenfeinde. Heute nennt man sie Verfassungsfeinde. Wann immer in Deutschland eine Partei zur alleinigen Macht kam, ohne durch einen weltanschaulich neu­tra­len Staat gebändigt zu werden, stand es schlimm um die Freiheit. Es ist wieder soweit. Stolz sprechen Innen­minister vom gegen „rechte“ Gesinnungen erzeugten Verfolgungsdruck.

Der geballte weltanschauliche Haß, dessen unser Volk schon immer fähig war und noch ist, entlädt sich heute gegen alles was als rechts gilt. Er wird in Schulen herangezüchtet, an Unis verstärkt. All­abendlich wird uns im Fernsehen eingetrichtert, wen wir lieben sollen und wen wir nicht häßlich finden dürfen und welche Worte wir noch nicht einmal mehr denken dürfen. Die Bundesrepublik befindet sich seit ihrer Gründung im ideologischen Kriegszustand mit dem Drit­ten Reich. Darum werden alle damaligen Werte zu Unwerten erklärt und ihr Gegen­teil zum Wert. Wer Volk oder Vater­land sagt, gilt schon als Verfassungsfeind.

Es wäre Aufgabe des Staates, über den Parteien zu stehen und eine neutrale Rechtsordnung zu ge­währleisten, die jeder innergesellschaftlichen Kraft, jeder weltanschaulichen Richtung ihr Recht und ihre Freiheit läßt. Heute ist das Gegenteil der Fall. Die Ideologisierung unserer Rechtsordnung ist weit fortgeschritten. Das Gesetz wird fortwährend mißbraucht, um unter dem Vorwand der Rechts die politische Rechte rechtlos zu machen. Im Rechtsstaat äußert sich Macht in der Inter­pre­tations­macht über das Recht. Die Macht hat, wer die Regeln regelt: Die Spielre­geln im Rechtsstaat heißen Ge­setze. Gesetze sind allgemeingülti­ge Gebote und be­ste­hen aus Worten und Sät­zen. Wer über den Sinn inter­pretati­onsfähiger Worte ent­schei­det, be­stimmt darüber, welcher Bürger und welche Partei gesetz­lich und wel­che ungesetz­lich denkt oder han­delt. Er vermag andere Bürger in­ner­halb oder außerhalb "des Ge­setzes" zu stellen. Wer sich draußen vor die Tür von Recht und Ver­fas­sung gesetzt findet, muß sich von drin­nen "Verfassungs­feind" nennen lassen.

Die Interpretationsmacht über Verfassung und Gesetze ist einer der hei­ßest­um­kämpften Schauplät­ze der politischen Arena. Weil Worte wie Ehe, Demo­kratie oder Menschenwürde keinen konkreten Be­deu­tungskern besitzen, sondern nur Ideen oder Ideale umschreiben, wechselte ihre Auslegung im Laufe der Jahrhun­derte mit den Moden der Philosophie und der Theologie. Es gibt darum kein Geset­zesrecht, das durch den Wortlaut seiner Buchsta­ben al­lein unum­stöß­lich und ewig gilt. Es wird je­weils aus der Sicht wech­selnder Weltanschau­ungen oder Ideolo­gien in­terpretiert. Das Bundesver­fas­sungsge­richt bezeich­net die dem Grund­ge­setz zu­grundelie­gende Weltan­schauung tref­fend als Wert­ord­nung. Ein und dersel­be Begriff wie etwa Ge­mein­wohl oder Gemein­eigentum kann aus Sicht verschiedener Wertordnungen ganz ver­schiedenes be­deuten. Darum suchen die Gegner im politischen Wett­kampf den für alle gelten­den Geset­zes­worten je­weils ihren eigenen weltan­schauli­chen Sinnge­halt zuzuspre­chen.

Der Verfassungsschutz ist eines der Instrumen­te einer zur Totalität driften­den Parteienherrschaft. Er dient nicht mehr dem Schutz der Staatsver­fas­sung, sondern der ideo­lo­gischen Feindbestimmung. Der Verfassung wer­den ideologische In­halte untergeschoben, von denen die Verfas­sungsväter sich unter dem Eindruck zweier Totalitarismen schau­dernd abgewandt hatten. Die Gesinnungsblock­warte sit­zen nicht mehr nur in den Medien. Ihr Marsch durch die Institutionen hat die links­ex­tremen Ideo­logen von 1968 in die ideologischen Kom­man­dozen­tra­len unseres Staates getragen. Schlimm genug, daß es eine Zen­tral­verwal­tung Wahr­heit in Deutsch­land nach 1945 und nach 1989 wieder gibt. Schlim­mer noch, daß sie die Frech­heit besitzt, jedem ihre Propaganda auf Hoch­glanzpapier aus unseren Steuer­gel­dern kosten­frei in Haus zu schic­ken. Am schlimmsten aber ist es, daß ihre Ideo­logie auf dem Wege über nachrichten­dienstli­che Beobachtungs­maßnah­men, Dis­zi­pli­nar­maß­nahmen und im Strafrecht Eingang in die Rechts- und Verfas­sungs­ord­nung findet.

Der Prozeß der Umin­terpretation unserer freiheitli­chen Rechts­ordnung in ei­ne totalitäre Parteienideologie ist in vol­lem Gange. Wer Ziel staatsamtlicher Feindbestimmung ist, sollte sich vor dem Mor­gen hüten. Die ideo­logi­schen Messer sind bereits für ihn ge­wetzt. Auch an verfas­sungs­rechtlichen Vorgaben fehlt es nicht: Nach Art. 18 GG "ver­wirkt" die Grundrechte der Mei­nungsäußerung, Presse­freiheit, Ver­samm­lungs­freiheit, Vereini­gungsfreiheit, Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis, ja sogar das­je­nige auf Eigen­tum, wer sie "zum Kampfe gegen die freiheitliche demo­kratische Grund­ordnung miß­braucht."

Die Strategie der Systemüberwindung

Der Parteienstaat hat nur eine Sollbruchstelle. Bisher hat sie gehalten und kann noch solange halten, wie die Bürger ihn sich gefallen lassen. Eine Strategie der Sy­stem­über­­windung kann nur je nach Lage der Dinge, also jetzt und hier, anhand der dargestellten Machtverhältnisse und Spielregeln entworfen werden. Da die Machtverhältnisse, also zum Beispiel der Besitz der Medien, keinen direkten Zugriff möglich machen, muß ein archimedischer Punkt gefunden werden, von dem aus das allmächtige Parteiensystem aus den Angeln gehoben werden kann. Es muß ein geistiges Samenkorn gelegt wer­den, das keimt, die verfilzten Machtstrukturen durchdringt und schließ­lich den Deckel des selbstreferentiellen Systems sprengt. Weil dieses nur noch seinen eigenen Gesetzen gehorcht, eignet sich nur ein Korn, das unter Geltung dieser Gesetze gedeiht. Wir müssen uns ei­nes integralen Wertes der Verfassungsordnung be­­mächtigen und zum An­griffsinstrument um­funktionieren. Nur dann grei­fen sei­ne sy­stemimma­nenten Ab­wehr­me­cha­nismen nicht.

Ein solches Korn gibt es. Wir können das demokratische Prinzip gegen das liberale ausspielen. Die Ei­gen­le­gi­ti­ma­tion des Systems be­ruht der­maßen auf dem Demo­kra­­tie­prin­zip, die­ses ist so sehr welt­anschau­lich über­höht und quasi­re­ligiös funktiona­lisiert wor­den, daß es bei Stra­fe ge­sell­schaft­li­cher Acht und Banns nicht in Frage ge­stellt werden darf. Der For­de­rung nach mehr Volksabstim­mun­gen und ­-ent­schei­den kann ohne Ver­stoß ge­gen das de­mo­krati­sche Dogma nichts ent­ge­gen­ge­halten werden. Sie sind der einzige Ausweg aus dem geschlossenen Macht­kreislauf ei­nes auf dem strengen Repräsentationsprinzip beruhenden Partei­enstaates.

Der Parteienstaat kann nur mit einem Mittel aufgebrochen werden, dem Plebiszit, genauer gesagt: der demokratischen Direktwahl von Machtträgern. Diese würde der Alleinherrschaft der Parteien mit einem Schlag das Genick brechen. Daß die Apologeten und Nutznießer des Liberalismus bei der blo­ßen Er­wäh­nung des Wortes Plebiszit wütend aufheulen, zeigt uns, daß wir hier ih­ren ein­zigen wun­den Punkt getrof­fen ha­ben. Hier kön­nen sie zappeln, so­lange sie wol­len. Sie kom­men nicht ohne Ver­stoß gegen ih­re eigenen demo­krati­schen Prämis­sen aus dem Dilemma, weil diese de­mo­kratischen Prä­mis­sen mit denen des klassischen Li­be­ralismus und sei­nem Reprä­sentativ­gedan­kens in Wahrheit un­ver­ein­bar sind. Was die Verteidi­ger des Status quo auch tun - sie kön­nen nur Fehler ma­chen. Das De­mo­kratieprinzip als tra­gen­der, aber unverwirk­lichter Wert der Verfassung muß zur An­griffs­waf­fe um­funktioniert wer­den, weil die sy­stem­im­ma­nenten Ab­wehr­mechanismen dann nicht grei­fen. Gibt das System nach und läßt die Volksge­setzge­bung zu, öff­net es damit nämlich weit das Tor zu seiner ei­genen mögli­chen Ver­än­derung und Abschaffung durch das Volk. Damit wäre das takti­sche Zwi­schenziel erreicht und die Zu­kunft wieder offen.

Das Einfordern plebiszitärer Mitbe­stim­mungs­rechte dient aber nicht nur dem lang­fristigen Ziel, das vom strengen Repräsen­ta­tions­­prinzip abhängige oli­garchische Parteiensystem zu unterminieren, es ist auch Teil einer Strategie der Delegitimie­rung.  Einst­wei­len kann mit Recht auf den offen­kundigen Wider­spruch zwischen der no­minel­len Demokratie, in Wahr­heit aber einem oligarchischen Parteienstaat sui gene­ris, hingewiesen werden. Gibt das System aber nicht nach, kann es als undemokratisch ent­larvt wer­den, bis die Zahl sei­ner Verteidiger so weit abnimmt, daß es dem Ver­än­de­rungs­druck nicht mehr stand­hält. Als Anlaß für sol­che Ope­rationen eignet sich her­vor­ragend die Forde­rung nach Volks­ent­scheid über alle jene Reizthe­men, in der die demoskopisch er­mit­telte Mei­nung einer von Lösungsinkom­petenz der Poli­tiker ge­nervten Be­völke­rung auf den entschlos­senen Wider­stand des Par­tei­en­estab­lish­ments treffen wird, das hinter dem Plebiszit schon lange die Gefahr des System­wechsels am Horizont erkannt hat

 
 
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Der totale Parteienstaat