Der
"Guerillakrieg" gegen "die soziale Vorherrschaft des
Normativismus" ist uralt.
[1]
Auch die humanitaristische Zivilreligion
kann nur durch untergründige Maulwurfstätigkeit von innen ausgehöhlt
werden. Diese Tätigkeit muß damit beginnen, ihren ideologischen
Charakter zu beleuchten, lustvoll an den Tabus und Sprachregelungen
zu kitzeln und diese der Lächerlichkeit preiszugeben. Die zentralen
Ideologeme der Political correctness zu zerstören, ist vordringliche Aufgabe einer geistigen Partisanentätigkeit.
"Der Betroffenheits-Besoffenheit kann man nur mit Subversion
begegnen.
...
Der Anarch,
[2]
Partisan oder Dandy ist das einzig effektive Gegenbild zum Bürokraten,
Apparatschik, Funktionär und Despoten."
[3]
Er ist der Bote, der das postideologische
Zeitalter ankündigt.
In
ihm werden wir uns einer Ideologie nur noch bedienen, uns aber nicht
mehr von ihr beherrschen lassen. Wir werden die alte deutsche Unart
ablegen, Dinge um ihrer selbst willen zu tun, und pragmatisch werden.
Wir werden kaltlächelnd national-eigennützig denken, aber nicht
davon sprechen. Dabei werden wir uns nicht mehr zuvor dreimal bekreuzigen
wie die Kosmopoliten und nicht der ganzen Welt das nationale
Denken aufdrängen wollen wie die Nationalisten. Diese Ideologie
mit ihrem heutigen Hauptvertreter Eichberg
geht auf Herder
zurück. Sie möchte nicht ruhen noch rasten, bis die ganze Welt in
niedliche kleine Reservate ethnischer Natiönchen parzelliert
ist. Eichberg möchte etwas für uns Richtiges universalisieren und
exportieren. Wir dagegen werden am deutschen Wesen und seiner
neuesten Idee: dem Ethnopluralismus, nicht mehr die Welt genesen
lassen wollen. National denken bedeutet dann: tun, was wir in
unserem Interesse für richtig halten, und: unser Interesse selbst
definieren. Wenn es in unserem Interesse wäre, daß Rußland zerbröselt,
würden wir den Mordwinen und Gagausen den Eichbergschen Befreiungsnationalismus
[4]
wärmstens anempfehlen. Für Sorben
und Tschechen dagegen werden wir diese Lektüre in jedem Fall für
ungeeignet halten. Geistiger Waffenexport kann eine Dummheit
sein.
Das
postideologische Zeitalter muß nicht erst ausgerufen werden, es ist
bereits angebrochen. Beim "heutigen Dezisionismus" geht
es "nicht um dramatische existenzielle oder weltanschauliche
Entscheidungen,
...
wie dies beim vorangegangenen [militanten oder fideistischen] Dezisionismus
existenzialistischer Philosophen der Fall war, sondern um solche,
die von einem kalkulierenden Intellekt getroffen wurden, der die
weltanschauliche Grundeinstellung technischer Rationalität
...
voraussetzt. Seine Entscheidungen betreffen also nicht das Ganze,
nicht den Ursprung der Dinge und den letzten Sinn des Lebens..."
Damit ordnet er sich geistesgeschichtlich in die Postmoderne ein.
"Der postmoderne Denkstil beruht
...
auf der freien Kombinatorik" historischer Elemente.
[5]
Diese freie Kombinatorik setzt die
prinzipielle Gleichwertigkeit der Entscheidungsoptionen und damit
den Dezisionismus voraus. Der postmoderne Denkstil und der heutige
Dezisionismus beinhalten für sich genommen noch keinerlei konkrete
Entscheidung, sondern öffnen erst den Weg zu Entscheidungsfreiheit
und Selbstbestimmung.
Selbstbestimmung
ist normative Selbstbestimmung, oder sie ist eine Farce. Jedes menschliche
Kollektiv hat selbst die Möglichkeit, frei darüber zu entscheiden,
ob es sich als Volk definieren und durch einen Staat handeln will
oder nicht. Die Entscheidung für oder gegen ein konkretes kollektives
Selbstverständnis muß jede Gemeinschaft selbst treffen. So standen
die Juden in den letzten beiden Jahrhunderten vor den drei Möglichkeiten:
sich völlig zu assimilieren und damit als Gemeinschaft zu erlöschen,
sich in der Zerstreuung rein religiös zu definieren wie bisher oder
zu einem Staatsvolk zu werden. Das politische, ethische und geistige
Selbstbestimmungsrecht, solche Entscheidungen zu treffen, müssen
wir für uns reklamieren und von Fall zu Fall anhand unserer situationsbedingten
Interessen ausüben. Alle Welt glaubt an den unantastbaren Wert der
Autonomie. Darum ist diese ein bestens geeignetes Ideologem, unsere
Interessen vorzutragen.
Wenn
die Lage ein festes Zusammenstehen gegen einen Feind erfordert,
wenn wir uns von jemandem befreien wollen oder das Volk sich in multiethnische
Bestandteile auflösen sollte, werden wir mit Ernst Moritz Arndt
"welschen Tand vertilgen" und mit Friedrich Ludwig Jahn
die Jugend zur Leibesertüchtigung rufen, aber wir werden dabei leise
über uns selbst lachen. Wenn die Lage ruhig ist und wir friedlich
Handel und Wandel treiben dürfen, werden wir den Negern in Afrika
ernsthaft erklären, daß es ein Menschenrecht ist, einen deutschen
Kühlschrank für unser Exportbier kaufen zu dürfen, und wir werden
dabei innerlich ein wenig lauter lachen. Wenn General-Motors
die Kölner Fordwerke schließen will, werden wir erklären, daß die
Produktionsmittel dem Volke gehören und hiermit in dessen Verfügungsgewalt
übergehen, und dabei werden wir am lautesten lachen. Nie wieder
werden wir uns auf das Prokrustesbett einer verordneten Ideologie
legen lassen. Wir werden jeden Morgen aufstehen und uns dabei fragen,
für welche Ideologie das Wetter günstig ist. Jeden Tag werden wir
eine liebgewordene Denkgewohnheit über Bord werfen, wenn sie
uns hindert, den Anforderungen einer geänderten Zeit zu genügen.
Dabei werden wir uns nicht opportunistisch schimpfen lassen müssen;
schließlich brauchen wir den ganzen ideologischen Müll nicht selbst
zu glauben. Woran wir tief drinnen wirklich glauben: unsere tiefste
Liebe, unser größter Schmerz: das geht keinen etwas an. Wir werden
ganz einfach freie Herren unserer Entschlüsse sein.
Ideologien
zu dienen ist etwas für normativistische Herdenmenschen, nicht
für selbst Denkende und frei Entscheidende. Beide Menschentypen
wird es immer geben, ja es steckt in jedem von uns etwas von dem
einen und etwas von dem anderen. "Wer erinnert sich nicht,"
fragte Comte
, "Theologe in seiner Kindheit, Metaphysiker in seiner Jugend
und Physiker in seinem Mannesalter gewesen zu sein?"
[6]
Der Begründer der Soziologie irrte
aber, wenn er die ganze Menschheitsgeschichte als Abfolge einer
theologischen, einer metaphysischen und einer positiv-wissenschaftlichen
Epoche darstellte.
[7]
Im postideologischen Zeitalter
werden nämlich immer nur diejenigen leben, die anderen die Richtung
vorgeben. Die Masse läßt anderswo denken und beschränkt sich auf
dumpfes Glauben. Denkgewohnheiten aufzugeben erforderte schon
immer mehr geistige Beweglichkeit als die Hände brav gefaltet
zu lassen.
Vor
allem aber ist die bewußt freie Entscheidung keine realistische
Möglichkeit für Mehrheiten, weil sie den Primat der Willenskraft
voraussetzt, die bei den meisten eher unten in der Skala ihrer
Fähigkeiten und Bedürfnisse rangiert. Wer das Wagnis der geistigen
Freiheit ohne tröstendes Netz transzendenter Hoffnungen eingeht,
den umweht ein eher kalter Wind. Das mag nicht jeder, und so mancher
Freigeist kroch im Alter an der Schwelle des Todes doch noch unter
den segnenden Rockzipfel religiöser Trostspender und gesellte
sich als braves Schäfchen zur Herde seines Bischofs. Andere ziehen
das weltliche Zepter dem Krummstabe vor und fühlen sich erst im
Kollektiv richtig frei und schwärmen dann: "Wahre Freiheit wird
dem Menschen nur in der Aufhebung von Einmaligkeit und Begrenztheit
des Einzelwesens."
[8]
Machiavelli
wurde von Alters her von den Gläubigen aller Religionen und Ideologen
als Erzteufel verschrien, weil er immer wieder betont hat, daß man
Systeme benutzt und sich
nicht benutzen lassen soll. Im Zusammenhang mit verschiedenen Staatsformen
wie Monarchie oder Republik hat er mit Recht auf das Phänomen des
Zeitgeistes hingewiesen. Je nach Beschaffenheit des Volkes und
der Verhältnisse verspreche die eine oder eine andere Handlungsweise
Erfolg. "Der aber wird weniger Fehler machen und mehr Glück
haben, der
...
seine Handlungsweise mit den Zeitverhältnissen in Einklang bringt."
[9]
Wer sich durch schlechte Wahl seiner
Mittel in Gegensatz zu seiner Zeit stelle, werde meistens unglücklich,
und seine Handlungen nehmen ein schlechtes Ende. Bisher sind noch
alle Tyrannosaurier von Religionen und Ideologien mit ihren Gläubigen
irgendwann ausgestorben.
Seien
wir also flexibel! Jeder blinde Glaube an Heiliges oder Ewiges hindert
uns daran, Ideologien als zeitbedingte Problemlösungsstrategien
zu erkennen und zu benutzen. Jede ist in ihrer Art eine einzigartige
und unwiederholbare Antwort auf eine konkrete historische Frage.
"Leider ist es nur allzu natürlich, daß die Menschen auf den
neuen Anruf mit der alten Antwort reagieren, weil diese sich für
eine vorangegangene Epoche als richtig und erfolgreich erwiesen
hat. Dies ist die Gefahr: Indem die Menschen historisch zu sein glauben
und sich an das früher einmal Wahre halten, vergessen sie, daß eine
geschichtliche Wahrheit nur einmal wahr ist."
[10]
Die
Schlacht um unsere gegenwärtige und künftige geistige und physische
Existenz müssen wir auf demjenigen Schlachtfeld schlagen, über dem
heute der Zeitgeist schwebt. Wir sind nicht in der glücklichen
Lage, aus unserer tiefsten Seele unsere Götter zu beschwören und
ins Rennen zu schicken. Sie wären machtlos gegen den Geist einer
technozentrischen, egomanischen und nützlichkeitsbesessenen
Zeit. Die moderne Massengesellschaft erzeugte den ihr eigenen Menschentypus.
Dieser schuf sich im libertären Liberalismus seine passende Philosophie,
im Kapitalismus seine adäquate Wirtschaftsform und sucht im
Weltstaat seine politische Form zu finden.
Damit
sind die utilitaristischen Gesetzlichkeiten formuliert, die
in unserer Epoche den Ton angeben. Wir können sie aber geistig
mit ihren eigenen Waffen auf ihrem eigenen Felde schlagen. Immer
wenn der Erzfeind eines Zeitgeistes mit dessen eigenen Waffen hantiert,
ist das allerdings der letzte Beweis dafür, wie sehr dieser Zeitgeist
sich bereits durchgesetzt hat. Der Katholik "de Maistre
hat ein glänzendes Zeugnis dafür abgelegt, indem er unwillkürlich
diese unvermeidliche Notwendigkeit in seiner Philosophie anerkannt
und sich bemüht hat, die Wiederherstellung der päpstlichen Macht
aus einfachen historischen und politischen Gründen herzuleiten,
statt sie im Namen des göttlichen Rechts einzufordern, wie ein
solcher Geist zu einer anderen Zeit es sicherlich getan hätte."
[11]
Als Royalist mußte er sich zu Erörterungen
darüber herablassen, "ob es im Interesse des französischen
Volkes liegt, einem vollziehenden Direktorium oder den beiden
Kammern der Verfassung von 1795 untertan zu sein, anstatt einem König,
der nach alten Formen regiert."
[12]
So müssen auch wir uns äußerlich dem
Geist der Eigennützigkeit unterwerfen und zollen der herrschenden
Zeitmeinung unseren Tribut, indem wir ihr die Wahl der Waffen lassen.
Doch sie wird gehen, und unsere Zeit wird kommen.